Grindhouse-Nachlese Januar 2022: „Die Brut des Bösen“ und „Der Clan der Killer“

Grindhouse Double Feature: Zwei Überraschungsfilme am Samstag, 29. Januar 2022, Cinema Quadrat Mannheim

  

„Die Brut des Bösen“, DEU 1979, Regie: Christian Anders, Antonio Tarruella

 

„Der Clan der Killer“ / „Ricco“, ITA/ESP 1973, Regie: Tulio Demicheli


Christian Anders: Das ist der mit dem „Zug ins Nirgendwo“, ein blonder Schlagerbarde, der unterm blonden Haarschopf super aussieht und mit intensivem Blick Mädchenherzen schmelzen lässt. Und der ganz tiefsinnige Texte singt von Liebe und Einsamkeit und Verlassenwerten und Reue. Aber das, was Anders Ende der 1960er als Laufbahn in der DT Heck-Hitparade aufgebaut hat, ist nur Fassade. Eigentlich und in Wirklichkeit geht es ihm nicht um persönlichen Ruhm, das muss man ihm glauben, sondern um die allumfassende Liebe unter den Menschen – so ähnlich drückt er es in seinem Filmregiedebüt „Die Brut des Bösen“ aus, und er prügelt diese Liebe in seine Gegner rein, aber kräftig!

Denn C. Anders ist zudem Martial Arts-Meister mit Schwarzem Karategürtel, und in „Die Brut des Bösen“ plaudert er aus der Schule, aus der Kampfschule nämlich: In Madrid lehrt er die Kunst des waffenlosen Kampfes, und er betont total, dass man keinen einfach so angreifen und umhauen darf, sondern ihm mit Liebe und Respekt begegnen muss. Die innere Stärke ist die äußere Stärke, und nur zur Verteidigung und so weiter.

Es kann als gesichert gelten, dass Christian Anders dies alles glaubt, es ist aber so, dass der Film ganz anderes zeigt. Da kommen drei Neue in die Karateschule, und deren supercooler Oberdroog dröhnt herum, ob denn Karate wirklich besser sei als seine Kampftechnik, nämlich einfach Kicken und Treten. „Na, greif mich an“, lockt Anders, denn nur wer ihn mit Schlägen trifft, darf als Schüler aufgenommen werden (zwinkerzwinker), und Anders kloppt den Kerl brutal zusammen, vor seinen Schülern und dessen Kumpels. Ja, Frank Mertens – so heißt die Christian Anders-Figur im Film – ist hier ganz schön fies und gefällt sich darin, den anderen auflaufen zu lassen. Soviel zur allumfassenden Liebe, die halt über einen kleinen Gag doch nicht erhaben ist. Man muss mit so ’nem Film die Leute ja auch unterhalten!

Die Geschichte ist einfach. Da gibt es nämlich einen Gangster, der heißt Van Bullock, und der will eine Karateschule in Madrid eröffnen. Und dann merkt er, dass auf der anderen Straßenseite schon die Karateschule von Frank Mertens steht, und also muss Van Bullock den Frank Mertens fertigmachen. Mit seinen Schlägertypen versucht er es, die haben aber keine Chance, mit Geld versucht er es, aber Mertens ist Idealist. Dann versucht er’s mit den Waffen einer Frau, nämlich mit seiner Sekretärin Cora (gespielt von Dunja Rajter, Schlagerkollegin von Anders), die verführt Mertens und schiebt ihm einen Beutel Heroin unter, und Mertens gerät in eine Polizeirazzia und ins Gefängnis, und dann merkt er, dass der Van Bullock Jahre zuvor seinen japanischen Karatemeister hatte ermorden lassen und er sinnt auf Rache, und alles könnte gut sein, Dutzendware wie in jedem Martial Arts-Film, nur eben diesmal eine deutsche Produktion, die in Spanien spielt, und keine Hongkong- oder Japan-Kungfu-Schwert-Karate-Haudraufaction.

Könnte also ein Film von vielen sein, doch Christian Anders macht vieles anders. Und zwar anders, als er selbst denkt. Nicht nur die Inkonsequenz, wenn es um die Werte von Liebe und Frieden geht, die genau dann nicht mehr gelten, wenn Frank Mertens zuschlägt (und der Kampf auf dem Friedhof gegen Van Bullocks Schergen ist wirklich ganz gut).

Da ist zum Beispiel der Immobilienmakler, bei dem Van Bullock das Haus für seine Karateschule kaufen will, und der ist Jude; so ein Jude wie er im Buche der Klischees steht, mit Jiddisch-Akzent und Feilschen und Geldhabenwollen; wie kann man das tun, in einem deutschen Film? Gut, es ist alles deutsch synchronisiert, der Schauspieler ist Spanier und hat das möglicherweise nicht so im Sinn gehabt, aber Anders als Regisseur (und Mit-Investor) hat das sicherlich so gewollt. Warum?

Da fährt ein goldener Rolls Royce vor, in Madrid mit Münchner Kennzeichen (ja, äh. genau???), es steigt ein Schrank von einem Mann aus, öffnet den hinteren Schlag, rollt einen roten Teppich aus in Richtung Gehsteig, und Van Bullock steigt majestätisch aus – er ist kleinwüchsig. Das ist OK, bei James Bond gibt es auch kleinwüchsige Bösewichter, warum auch nicht. Ein Passant aber läuft vorbei und murmelt verächtlich: „Was ist das für’n Wurzelzwerg?“; und Mertens wird später seinen Gegenspieler auch mal als „Gnom“ betiteln; das ist wohl lustig gemeint und sagt eben auch viel darüber, wie Anders keineswegs nachdenkt bei seinem Film.

Als Zwischenspiel sehen wir Christian Anders einmal, völlig der Handlung enthoben, beim Muskeltraining. Also, es soll wohl Muskeltraining sein, ist aber eigentlich Posieren für die Kamera. Er zeigt seinen Oberkörper, was für ein Oberkörper, und hält diese Bodybuildingprahlerei für total männlich, weil Mertens nun mal der Held der Geschichte ist. Aber dann lässt Anders seine Bauchmuskeln von links nach rechts rollen, Bauchtanz ist nichts dagegen, und nach dem nächsten Schnitt steht er da in Lederunterhose (!), an die er Expander hängt, und er (also Regisseur Anders) merkt nicht wie er ihn (also Darsteller Anders) hier als schwule SM-Ikone präsentiert. Zum Abschluss dieser eigentlich sehr peinlichen Sequenz liegt Anders, immer noch in der Leder-Bux, auf dem Boden und schnalzt sich hoch wie ein halbtoter Fisch. Es sieht furchtbar lustig aus.

Christian Anders, wie Christian Anders ihn inszeniert, ist sehr lächerlich, und keiner von beiden merkt es. Im Film lächerlich soll der Zwerg sein, Van Bullock, der im Grunde ein trotziges Kleinkind ist, das alles sofort haben will und wütend wird wenn nicht. Aber was wir sehen ist ein bedauerlicher Behinderter, der mehr noch seine psychische als seine physische Zukurzgekommenheit kompensiert mit narzisstischer Machtfülle – er kann nichts dafür, dass er ein Psychopath ist. Seine geliebte Cora sticht er ab, als er mitkriegt, dass die sich nach ihrer Auftragsnacht mit Mertens in diesen verknallt hat; seinen Handlangerschrank Komo braucht er, liebt ihn vielleicht, haut an ihm trotzdem seinen Spazierstock kaputt. (Gespielt wird Van Bullock übrigens von Roy Deep, den wir alle kennen in vielfacher Ausfertigung, weil er alle Oompa Loompas spielt in Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Leibwächter Komo wiederum hat dieselbe Synchronstimme wie Bud Spencer, und sein Kampfstil Marke FaustaufdenKopp ähnelt diesem ebenfalls.)

Am Ende wird Van Bullock von Frank Mertens in einen Bach geschmissen, Komo wird im Anschluss getötet, indem sich Mertens auf dessen Rücken setzt und die Beine hochzieht, das soll vielleicht sowas wie den Bruch des Rückgrates symbolisieren, was weiß ich. Auf jeden Fall singt Thomas Anders im Titelsong dann von dem fruchtlosen Pfad namens Rache, ein letzter Beweis dafür, dass der Film nichts von sich selbst weiß: „It’s a dead end! The road to revenge. Just a dead end! Don’t make any sense.“

 

Nicht mehr als er ist will der zweite Film des Abends sein, damit hat er einiges gegenüber der „Brut des Bösen“ voraus: „Der Clan der Killer“ ist eine italienisch-spanische Koproduktion, spielt in Turin, es geht um die Mafia. Es geht um Ricco, der dem Film seinen Originaltitel gab: Er wird gespielt von Christopher Mitchum, Sohn des großen Robert (und Bruder von Jim, den wir in „Blackout“ bewundern konnten). Er sieht ein bisschen wie Robert Mitchum aus, hat aber auch einiges von der unbeeindruckbaren Ennui David Hemmings’ in „Blow Up“, so um die Augen rum. Und ähnlich wie dieser geht Ricco mit mutwilliger Unwilligkeit durchs Leben – gerade ist er aus dem Knast gekommen, saß zwei Jahre, und schon wieder wird von ihm erwartet, seinen Vater zu rächen. Dieser Vater wiederum hat die Synchronstimme von Robert Mitchum, Familie ist nicht einfach.

Riccos Vater jedenfalls war der Mafiaboss, der ermordet wurde mutmaßlich von Don Vito, der ihm dann nachfolgte. Ricco hat keine Lust, sich da einzumischen, er hat genug von Blutrache und will lieber der Schwester und dem Schwager helfen beim Aufbau eines Motels; die beiden haben eine Tankstelle, sind aber die meiste Zeit im Bett zugange: „Wenn du bumsen willst, vergisst du die Ölkrise!“ Ricco gerät trotzdem rein in den Strudel, einmal, weil ein alter Kumpel von Papa ihn drängt, vor allem aber, weil seine Geliebte Rosa jetzt die Geliebte vom neuen Boss ist.

Aus der Unlust des (Anti)Helden macht der Film zuwenig, das wäre sehr reizvoll gewesen; überhaupt geht Regisseur Tulio Demicheli seinen Film geradezu betulich an (also: für einen Mafia-Rachethriller), ohne daraus aber großen Mehrwert zu ziehen – im Mittelteil zumindest. Dann aber zieht der Film an, Ricco will einen großen Diamantendeal durchkreuzen, wird selbst aufs Kreuz gelegt, Don Vito hat nicht nur Rosa in seiner Hand, sondern lässt auch Riccos Familie – die Mutter im Rollstuhl, die ihn aufgehetzt hat, Schwester und Schwager direkt im Bett – killen. Währenddessen geht auch Rosas Plan schief, den Leibwächter zu verführen, um Don Vito zu entkommen, und das ist der Punkt, an dem der Film wirklich drastisch wird und deshalb wirklich gut: Don Vito nämlich, der Mafiaboss, residiert offiziell als Boss einer Seifenfabrik; und das ist ziemlich geschickt, denn Natron, billiges Parfum, Fett und Knochenmehl kann er immer gebrauchen für sein Produkt, und er bezieht seine Rohstoffe auch aus seinen Widersachern, denen er den Garaus macht und deren Überreste er dann weiterverwertet. Nicht einfach so: Er lässt sie erstmal brutal zusammenschlagen, Sadismus gehört dazu, und das geschieht auch mit dem Leibwächter, der ihn hintergangen hat, verprügeln, nackt ausziehen, und dann. Dann: Der Schniedel schwingt auf dem Fliesenboden, schnippschnapp – eine solche Kastration ist denn doch selten im Grindhousekino, obwohl ja das Heftige dabei des Salz in der Suppe ist. Dann wird der schreiende Typ in den Bottich mit brodelnder Lauge geworfen, Rosa muss dabei übrigens zusehen. Kurz darauf kommt ein Paket an bei Ricco, Seife – das, was von seiner Rosa übrigblieb.

Nunja. Er hängt zwar an Rosa, hat inzwischen sich aber auch deren Kusine geangelt, eine Zweitfrau in der Hinterhand ist nie verkehrt, es kommt dann auch noch zum großen Rachefinale, klar. Aber zwischendurch hatten wir auch komische Momente. Nämlich Scilla, Riccos neue, hatte im Zuge von dessen Feldzug gegen Don Vito den Wagen von dessen Geldeintreibern angehalten, auf die Tasche mit den Millionen haben sie und Ricco es abgesehen. Da steht sie im Dunkeln auf der Straße und zieht sich aus, und die deutsche Synchro schlägt Purzelbäume vor Entzücken: „Ich glaub, ich steh im Spargelfeld!“; „Zum Glück bin ich nicht nachtblind!“; „Sowas Heißes auf meinem Kühler!“; und natürlich: „Entweder hat die’n Hammer, oder sie ist so voll Hasch wie ein türkischer Reisebus!“ Da hat der Zuschauer dann wirklich Glück, wenn der Filmschnitt über lange Passagen die Münder der beiden Gaffer nicht zeigt, damit derartige Sprüche drübergelegt und aus den Lautsprechern gehauen werden können.

 

Harald Mühlbeyer