11. September 2021: Grindhouse Triple Feature, Cinema Quadrat, Mannheim
Die Tollwütigen / I Drink Your Blood / Die Satansbande / Blood Suckers, USA 1970, R: David E. Durston
Slaughter, USA 2972, R: Jack Starrett
Ufos zerstören die Erde / Yōsei Gorasu, JAP 1962, R: Ishirô Honda
Es war Lockdown. Es gab kein Kino, und als Kino im letzten Herbst dann doch wieder möglich war und damit auch die Grindhouse-Abende im Cinema Quadrat, war wieder Lockdown.
Ich habe, und darauf weise ich jetzt mal einfach so hin, während dieser grindhouselosen Zeit das Buch Grindhouse-Kino. Schund – Trash – Exploitation deluxe! zusammengestellt, aus all den fantastischen Screenshot-Texten hier, und möchte auch betonen, dass bald Weihnachten ist!
Das Buch kann als eine Art haptischer Zwischenstand der Grindhouse-Nachlesen verstanden werden, aber natürlich kein Endpunkt, es geht weiter, und nach dem Lockdown ist vor dem Grindhouse – weshalb nun, als es wieder ging, das Cinema Quadrat gleich ein Triple-Feature geschmissen hat, eines, das tief hineinfährt in die filmischen Grundlagen des Bahnhofskinos. Und auf verblüffende Weise mit der Gegenwart korrespondiert.
„I Drink Your Blood“ heißt der erste Film des Abends im Original, und es kommt niemand vor, der Blut trinkt. Auf deutsch: „Die Tollwütigen“, das trifft es, und selbst der, laut IMDB, spätere Videotitel „Die Satansbande“ passt – letzterer zum ersten Teil des Films, ersterer zur zweiten Hälfte.
Im Wald sitzen ein paar, und der Obermotz von ihnen hält eine Predigt über Satan, über sich selbst als dessen Nachkommen, über die Freiheit des Tuns und das Loslassen des Bösen in einem, und drumrum sitzen seine Jünger. Wie wir allmählich erkennen, sind sie nackt, vor ihnen liegt eine Dame, und jemand hat ein Huhn, und der Satansschamane ein Messer, aber da! Hinterm Baum steht eine und guckt zu, fasziniert und abgestoßen zugleich. Als die Bande sie entdeckt, wird sie gejagt, sie stolpert, die Satanisten über ihr, Schnitt. Die brutale Vergewaltigung sehen wir in ihren Auswirkungen, als die junge Frau ins Dorf torkelt, körperliche und seelisch fertig, vollkommen traumatisiert.
Die Satanisten wollen sich in diesem Dorf niederlassen, und nachdem wir sie beim Ritual kennengelernt haben und bei der Grausamkeit gegen andere, lernen wir sei jetzt bei ihren internen Späßen kennen: Einer schläft im Lieferwagen und die anderen spielen ihm einen Streich, indem sie das Auto einen Abhang runterschubsen. Hahaha! Man ist also auch untereinander arschig.
Das Dorf ist so gut wie verlassen, nur wenige Einwohner gibt es, die Häuser sind verfallen, ein Geisterort für Satanisten, perfekt! Im alten Hotel nisten sie sich ein und jagen erstmal Ratten, das macht Spaß, und der Gewinner bei der Ratz-Hatz darf eine Nacht lang Boss sein. Das führt dazu, dass der Underdog im Team an den Füßen aufgeritzt wird und am Dachbalken aufgehängt, ja so ist das, wer mitmachen will, muss leiden!
Klar nehmen alle LSD.
Bemerkenswert ist, wie divers der Film besetzt ist. Der Boss ist Inder – ich dachte beim Gucken erst: Indianer, aber nein, laut Internet: Inder; eine Ostasiatin gibt es, einen Schwarzen, einen Hispanic. Bemerkenswert auch, wie der Film trotz (und aus) seiner Diversität untergründig Ressentiments schürt: Die Genannten sind die Bösesten, und der Gute unter den Satanisten ist ein blonder Weißer, der überläuft, der sich nämlich in die Vergewaltigte verliebt hat. Die übrigens anderntags eigentlich nix mehr spürt und sich zurückverliebt.
Nun haben wir aber nicht nur die Teufelsanbeter, die Terror machen, gegen die paar, denen sie begegnen, und gegen sich selbst, sondern wir haben auch noch Pete. Der ist vielleicht zwölf Jahre alt und der Enkel vom örtlichen Tierarzt – den gibt’s noch, außerdem eine Bäckerei, sonstige Bürger Fehlanzeige –, und der findet die Satanisten blöd, und weil er weiß, wie’s geht, erschießt er einen tollwütigen Hund, der plötzlich durchs Bild läuft, und dessen Blut impft er in die Hackfleischpasteten aus der Bäckerei als leckeres Mahl für die Bösewichter. Nun wird aus der Charliemansonploitation eine unglaubliche Sause, denn der Tierarzt erkennt ganz klar: Diese Tollwut macht ungeheuer toll und wütend, und die wildgewordenen Infizierten werden wild auf frisches Fleisch, und auch sonst verlieren sie einige Hemmungen, und sie haben großen Durst und zugleich Angst vor Wasser.
Der Virologe hat gesprochen, und die Krankheit breitet sich aus. Nach dem Nachtmahl nämlich schlachtet erstmal der Schwarze seine Teufelskollegen ab, hat ein Beil gefunden, Flucht in alle Richtungen, und oberhalb des Dorfes, da gibt es einen Staudamm. Der leitende Ingenieur will nix wissen von der Gefahr, die von den Satanisten ausgeht, und von der Tollwut weiß er da noch gar nichts! Schickt seine Leute trotzdem los, mal nach dem Rechten zu sehen, da, eine Anhalterin, eine der Verfolgten, sie geizt nicht mit ihren Reizen, und alsbald kommt’s zum Rudelbums im Staudammarbeitercamp. Tja. Weniger anregend als ansteckend.
Max, der Kurator der Grindhouse-Reihe, hat kurz vor Beginn des Abends bemerkt, wie passend ein Film über diese Seuchenausbreitung ist. Wollte er eigentlich gar nicht in dieser Weise machen, die Gegenwart kommentieren, aber so ist das mit guten Filmen: Auch 50 Jahre später passen sie wie die Faust aufs Auge. Ähnlich wie Zombies, nur lebendig und durchaus schlau, überrollen die Tollwut-Infizierten die noch Gesunden, in hochgradigem Blutrausch. Beine absägen und Köpfe abhauen: Kein Ding!
„Die Tollwütigen“ ist natürlich ein Reißer, der sich auf die Hippieundergroundszene stützt und auf die Satanisten, die da in Hollywood Polanski häckseln wollten, der auch noch Romeros „Nacht der lebenden Toten“ toppen will, das alles aber für billig Geld, und der aus seinem langsamen Beginn eine unglaubliche Dynamik entfaltet, Tollwut ist ja super ansteckend. Schaum am Mund und Mordlust im Auge!
„Slaughter“ ist ein früher Blaxploitationfilm mit Jim Brown in der Hauptrolle. Wer er eigentlich ist, weiß ich gar nicht mehr so recht, auf jeden Fall Vietnamveteran, und er will Rache, weil sein Vater in die Luft gesprengt wurde. Der hatte irgendwas mit der Unterwelt am Laufen, ist egal, ein Mordanschlag hat ihn erwischt, und auf jeden Fall gibt es da eine Dame, die sich zuerst als Reporterin ausgibt und dann nackig in Slaughters Bad auftaucht, und sie ist die Botin von Mr. Price. Schöner Name für einen, der’n hohen Posten beim Finanzamt hat! Mr. Price ist also so etwas wie die US-Version von Olaf Scholz (schönen Gruß! In zwei Stunden schließen die Wahllokale…), er hat eine Menge Agenten überall, die die Bösewichter der Welt überwachen, und weil Slaughter ebenfalls seinem Namen alle Ehre macht, hat Price ihn an den Eiern. Sie haben nämlich einen gemeinsamen Feind; Slaughter muss also nun die Finanzministeriums-Drecksarbeit machen, muss der bisher unfassbaren Gangsterbande nachsteigen, die so viele Schurkereien macht und jetzt irgendwas mit Computern vorhat. Ich hab nicht kapiert, was genau, weil wenn’s um Steuern geht, gehen bei mir die Schotten dicht, verstanden hab ich aber, dass so eine Lochkarte irgendwelche Daten enthält, damit sie als MacGuffin funktionieren kann und Slaughter was hat, an dem er sich festhalten kann, weil’s jetzt nach Südamerika geht.
Wohin genau hält der Film gegenüber dem Zuschauer geheim, weil der Dreh in Mexiko nur unter der Auflage genehmigt wurde, dass Mexiko nicht schlecht rüberkommt, sprich: nicht erwähnt wird. Dort aalt sich Slaughter am Pool, zusammen mit Sidekick Harry, der ist die lustige Figur im Film und der örtliche Finanzamtsgeheimagent, und die beiden ermitteln fleißig, indem Harry Frauen anbaggert und Slaughter Informationen bekommt.
Kurz und gut: Da gibt’s ein Casino, das dem Schurken gehört, aber es gibt nicht nur den einen Schurken, sondern auch noch den Oberboss-Schurken, der bleibt im Hintergrund und lässt seine Geschäfte laufen, aber sein Unterschurke ist wild und crazy, er hat auch die Autobombe für Slaughters Papa gelegt, er weiß, wie der Hase läuft, glaubt er, ist aber ein Heißsporn – Rip Torn spielt ihn, es ist unglaublich, ein totaler Psycho! Ein besitzergreifender, eifersüchtiger Laffe, der die Macht und den Anspruch hat, jeden zu killen, der ihm querkommt, der vor nichts zurückschreckt, egomanisch und fies und ehrgeizig, erzrassistisch sowieso. Also alles, was den Aufstieg garantieren mag, außer dass er ’n bisschen eine zu kurze Zündschnur hat und dann strategisch nicht so die guten Entscheidungen trifft, aus Sicht des Kriminalitätsnetzwerkes, in dem er sich hochkämpft. Seine Blonde wird zum love object von Slaughter, gut, das ist jetzt keine Überraschung, aber für Dominic, den Psychopathen, ein weiterer Trigger.
Im Ringen mit den Finanzministerium |
Blaxploitation ist erstmal per definitionem cool, und wenn Jim Brown die Hauptrolle hat, dann sowieso. Der macht nicht so sehr auf Macho und Pimp, wie’s später zum Standard wird im Genre, sondern ist einfach ein Actionheld, Hautfarbe schwarz. In diesem Fall offiziell in Diensten des Finanzministerium (ich krieg mich immer noch nicht ein deswegen!), aber natürlich vor allem in eigener Mission. Ihm ist klar und er sagt es laut: „Mr. Price, you’re a prick!“; der lässt’s sich’s gefallen, weil er sich’s leisten kann, es sich gefallen zu lassen. Slaughter hat da nämlich schon zugestimmt, bei den Gangstern aufzuräumen, und dass er auf eigene Rechnung arbeitet, ist für den Herrn Finanzbeamten ja auch gut für die moralische Bilanz.
Eine ordentliche Schießerei rundet alles ab, aber vor allem knallt der Titelsong rein: Harter E-Gitarrenriff und funkiger Rocksound von keinem Geringeren als Billy Preston, der hat ja für die Stones und die Beatles georgelt und haut hier richtig drauf: „My advice to you is this: if you shoot at him, you better not miss!“
Wir hatten eine Seuche. Wir hatten das Finanzministerium auf Gangsterjagd. Es fehlt noch die globale Bedrohung und der Disput zwischen Wissenschaft, die weiß, was zu tun ist, und Politik, die grad so rumeiert. Es fehlt also „Ufos zerstören die Erde“!
Ein Titel, der Unfug ist, weil kein Wort von Ufos fällt, und Außerirdische gibt’s auch nicht, sondern den Planeten Gorath, der aus den Tiefen des Weltalls kommend Kurs auf die Erde genommen hat.
Zwei junge Frauen fahren im Auto ans Meer und wollen sich gerade ausziehen (und das ist so eine kleine Neckerei: Sie haben nämlich keine Badeanzüge dabei, Nacktbaden ist also angesagt!), aber da gucken sie in den Himmel: Denn eine Rakete steigt auf, darin von der einen den Papa, von der anderen der Verlobte. Die Mission ist ganz klar: Die Radialsphäre ist viel zu stark frequentiert! Oder so ähnlich, was Astrophysisches halt, auf jeden Fall muss man mal raus und nachsehen, sagt die Weltregierung.
Wir befinden uns, wenn ich die japanischen Zeitungsschlagzeileneinschübe richtig entziffert habe, irgendwann zwischen 1979 und 1981. Die UN regiert, die einzelnen Länder sind in einem föderalen System miteinander verbunden, die Ost- und Westblöcke sind überwunden. Das heißt aber nicht, dass die Borniertheit und der nationale Stolz keine Rolle mehr spielen! Japan bildet sich einiges darauf ein, dass die Rakete nach draußen der hiesigen Forschung zu verdanken ist, auf dem Weg ans Rand des Sonnensystems grüßen beim Saturn die amerikanischen und europäischen Raumstationen, doch was ist das! Gorath wird vom Computer berechnet, sein Kurs wird genau auf die Erde treffen – er ist zwar kleiner, aber 600 Mal mehr Masse! Oder Volumen, das wird im Film auch mal verwechselt, so wie Gorath mal Planet, mal Stern ist (von letzterem ist anzunehmen, dass „Fixstern“ gemeint ist); Astrophysik halt, da steigt man nicht immer durch als Filmemacher Schrägstrich Synchronregisseur.
Der heroische Untergang dieser ersten Rakete – mannhaft für das große Ganze! – erschüttert die Nation, vor allem aber die Wissenschaft, die mehr Daten braucht, und er stachelt die Brigade junger Astronauten auf, ein tolldreister Haufen verwegener Männer voll Abenteuerlust! Die Politik aber mauert, so viel Geld, und jetzt ist doch erst eine Rakete kaputtgegangen, und die Wissenschaftler mahnen, und dann wird aber quasi rumgemerkelt: „Politik ist das, was möglich ist“, und was möglich ist, bestimmt immer noch die Politik, und die Wissenschaft verzweifelt, kurz: Es ist ein Schauspiel wie zu Corona- und Klimakrisenzeiten 60 Jahre nach der Filmpremiere, schon wieder ein so visionäres Werk!
Die Rakete, die aussieht wie eine V2, nur nicht kariert, steht da, wird aber nicht abgefeuert, weil Gorath ist ja noch weit weg, aber die UN versammelt sich, die Weltregierung sagt: Doch, jetzt muss was getan werden, und mit Atomkraft soll der Planet weggesprengt oder vielleicht auch nur abgelenkt werden. Plan B gibt es auch, aber das verrate ich noch nicht.
In der Rakete ist der tolldreisteste Verwegene, ein junger Mann, der sich in die Frau vom Anfang verliebt hat, und da deren Verlobter ja im All geblieben ist, rechnet er sich Chancen aus. Eine Liebesgeschichte muss eben auch in einem Wissenschaftsfilm sein! Im All nähert sich die Crew Gorath, der junge Liebhaber steigt in eine Forschungsraumkapsel und kommt völlig derangiert wieder zurück, weil sein Gehirn vom Planeten Gorath gelöscht wurde, er jedenfalls derartige geistige Überwältigung nicht verarbeiten konnte. Man darf ihm nicht zu Nahe kommen. Sagt jemand „Solaris“?
Ein Weichei auf der Erde, dem keiner was zutraut, hatte aber zum Glück noch eine andere Idee: Man könnte ja die Erde vom Kurs abbringen. Die UN hat auch das beschlossen, und nach einigem Zögern stimmen die Länder der Erde zu, ihre Geheimnisse um Nuklearkraft, um Tritium und Deuterium nicht länger vor anderen zu verstecken, sondern für die gemeinsame Anstrengung zum Überleben des Planeten mitnand zu teilen. Auf der Antarktis werden in kürzester Zeit riesige Düsen gebaut, und hier wird klar, warum Regisseur Ishirô Honda der beste Mann für diesen Film ist: Wer „Godzilla“ kann, der kann auch diese Großbaustelle inszenieren! Es ist unglaublich schön, so liebevoll und detailliert, diese Modelllandschaft mit halbfertigen Gebäuden, riesigen Kränen, mit Schaufelbaggern, mit Transportbändern, mit Containern und kleinen Menschen, alles in Fitzelarbeit aufgebaut, und das nur, um es dann wieder zu zerstören, weil sich die Erde bewegt und vieles einstürzt!
Als alles doch fertig ist, und die Düsen gezündet werden, da
passiert noch was. Plötzlich nämlich tut sich ein Riss auf, die Kommandozentrale
ist im Eimer, und erstmal weiß keiner warum, nur wir Filmzuschauer sehen es: Da
wurde offenbar ein riesiges Urzeitmonster aufgeweckt, eine Art
Walrossungeheuer, das seinem Unmut freien Lauf lässt, wiewohl es noch etwas
verschlafen wirkt!
Monster muss sein, daran haben wir bisher nicht gedacht!
Was uns dieser Film also lehrt, ist letztendlich optimistisch: Trotz größter Opfer, trotz unvorhersehbarer Ereignisse, trotz saumseliger Politiker kann die Menschheit zusammenwachsen, kann sich ihrer größten Bedrohung stellen, ob aus dem Weltall oder aus den Tiefen des antarktischen Eises. Aber es ist ein Kampf, ein Kampf gegen viele Widerstände, und am Ende ist doch noch nicht alles wieder an seinen Platz zurechtgerückt. Dass des Astronauten Gedächtnis wieder da ist, und seine Liebe zur Dame seines Herzens auch, ist aber ein Trost.
Harald Mühlbeyer