Mittel- und Osteuropäisches Kino bei goEast

Die zwölfte Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films wird am Mittwoch, 18. April, in der Wiesbadener Caligari Filmbühne um 19 Uhr mit dem tschechischen Film „4 Sonnen“ von Bohdan Sláma, einem tragisch-absurden Familiendrama.

Aus 26 Ländern kommen 141 Filme – mehr als je zuvor bei goEast –, die bis zum 24. April in Wiesbaden laufen; und als Filmauswahl auch im Frankfurter Filmmuseum und im Mainzer Palatin-Kino. Dabei sind viele deutsche und internationale Premieren zu sehen. Neben dem Wettbewerb mit seinen zehn Spiel- und sechs Dokumentarfilmen beleuchtet ein „Highlights“-Programm vier besonders sehenswerte, bei Jurys und Zuschauern in den Herkunftsländern erfolgreiche Filme, Specials stellen das Filmschaffen in Georgien vor und mit einem Kurzfilmprogramm das Zagreb Film Festival. Das goEast-Porträt stellt den in Weißrussland geborenen und heute in Deutschland lebenden Regisseur Sergei Loznitsa mit einer kompletten Werkhttp://www.blogger.com/img/blank.gifschau von zwölf Filmen vor; eine Retrospektive inklusive Symposium widmet sich dem russischen Lenfilm-Studio, das schon 1908 gegründet wurde – und das jetzt abgewickelt werden soll.

Das komplette Programm von goEast, Infos zu allen Filmen und Spielstätten finden Sie HIER.

Grindhouse-Nachlese März 2012 – Menschenfresser und Monster

Samstag, 31. März 2012, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Mangiati vivi!“ / „Eaten Alive!“ / „Lebendig gefressen“, Italien 1980, Regie: Umberto Lenzi.

„Dracula jagt Frankenstein“ / „Los Monstruos del terror“, Spanien/BRD/Italien 1970, Regie: Tulio Demicheli, Hugo Fregonese, Eberhard Meichsner.




Es geht um die Reinheit, um die Schönheit der Seele, um das Leben im Einklang mit der Natur, mit dem Natürlichen. Die Purifikationssekte hat sich in den Dschungel von Neu-Guinea zurückgezogen, fernab von den schändlichen Verführungen der Zivilisation, dort, wo der Mensch noch wahrer Mensch – sprich: ein Tier – sein kann. Und es auch ist. Und isst.

Eigentlich ist diese Sekte eine Art wahrgewordenes Wahngebilde des Anführers Jonas, der einen Personenkult errichtet hat, der Schlangensymbolik huldigt mit Kobragift wahlweise als Tötungsmittel oder als Droge, und dem die arme reiche Diana verfallen ist, Erbin einer Baumwollfarm in Alabama, die Jonas gefolgt ist und ihr ganzes Geld an ihn verloren hat. Und nicht mehr fortkann, durch Rauschgift und Gewalt im Dorf festgehalten; und von der Flucht abgehalten durch die Kannibalenstämme, die ringsum wohnen.

Sheila, Dianas Schwester, und der Vietnam-Deserteur Mark kämpfen sich durch den Dschungel zur Befreiung, treffen Kannibalen, fliehen, werden von Jonas und seinen Mannen gefangengenommen, fliehen, treffen Kannibalen, kehren zurück etc. Das übliche; man kennt so was auch von Umberto Lenzis anderem Film, über den ich hier nicht so viel schreiben durfte wegen staatsanwältlicher Beschlagnahmung und Verbot. Natürlich ist auch „Lebendig gefressen“ wegen Gewaltverherrlichung beschlagnahmt – diesmal aber hat Boris Becker, der die feine Mannheimer Grindhouse-Filmreihe zusammenstellt, aber nix gesagt, dass ich nix schreiben soll…

Nun denn. Was der Film vor allem bietet, sind ja tiefe Einsichten in die Mechanismen von Sekten, von Psychoterror im Namen eines größeren Ganzen – also genau das, was Kultur im besten Sinne tun soll: den Kunstbetrachter einstimmen auf den Gang der Welt und ihn dabei erfreuen. Genau das tut der Film: zeigen, was die Welt, den Menschen, das Tier im Innersten zusammenhält; und das sehr anschaulich. Eine Riesenschlange, die einen Affen würgt und frisst, Krokodile, die von Menschen lebendig aufgeschlitzt werden, Menschen, die von Kannibalen bei lebendigem Leib zerrissen werden: Titten, Arme, Beine abschneiden, schließlich aufschlitzen und roh auffressen … Das Atavistische wird sichtbar in mancherlei Form. Im Sektencamp werden die Frauen nach der Ordnung der Dinge vergewaltigt: eine Witwe von den Brüdern des Verstorbenen, um die Familienbindung zu stärken, unter Drogeneinfluss wird Sheila von Chef Jonas persönlich penetriert mit diversen Gegenständen. Und draußen, im Grün des Urwalds, lauern die Kannibalen, eine Gemeinschaft fast nackter Männer auf der ständigen Suche nach Menschenfleisch. Wenn ein Fräulein da mal hysterisch wird, darf man auch mal stärker zuschlagen.

Dagegengesetzt: New York, Verkörperung der Zivilisation, die von Jonas als Sündenpfuhl, als Grundübel der Menschheit verdammt wird. Dort arbeiten Völkerkunde-Professor und FBI eng miteinander, um den Vorgängen im fernen Exotenland nachzuspüren. „Geben Sie mir Guinea!“, fordert der Kommissar die Telefonvermittlung auf, und präzisiert: „Nein, das ist nicht die sexy Kleine aus der Kantine!“ So kann jeder was lernen; denn, wie bei einem solchen Film nicht anders zu erwarten: Er beruht selbstverständlich auf Tatsachen. Am 18. November 1978 hat ein Fall von Massenselbstmord die Welt aufgerüttelt, eine Sekte unter Führung von Jim Jones killt sich selbst im Dschungel von Guyana, hunderte Tote, ein wahres Schlachtfeld… Das Szenario mit Kannibalen aufzumischen, ist nur konsequent.

Man lernt also was über fremde Kulturen und über das Wesen des Menschen selbst; unterhält sich prächtig – vor allem in der deutschen Synchronfassung –, und kann auch noch ein lustiges Filmzitateraten machen. Mark, der Glücksritter, tritt auf mit Stirnband an einem Tisch beim Duell mit einem Einheimischen – nicht Russisch Roulette, sondern Armdrücken –, das Camp, das Herz der finsteren Sekte, ähnelt verblüffend dem Reich von Col. Kurtz (wo zwar keine Krokodile geschlachtet werden, dafür ein Rind), und am Schluss hängt einer an den Kufen eines Hubschraubers…

Die Filmgeschichte zu verwursten ist ja auch nicht unbedingt das Schlechteste. Obwohl… ich habe letztens ein paar „Abbott und Costello“-Filme gesehen, die als DVD-Box rauskamen, dachte, ich könnte dort neue Komikgründe auftun; die Filme hat damals, Ende der 40er, Anfang der 50er, Universal produziert, man hat populäre Komiker in einen Topf geworfen mit den legendären, aber an sich veralteten und ausgemusterten Horrorfiguren, und so treffen Dracula, Frankensteins Monster, der Unsichtbare etc. auf Bud Abbott und Lou Costello, und es entsteht dabei kaum ein winziger Funke an Lustigkeit. Außer einmal, wenn sie alle hintereinanderher durch ein Schloss jagen. Aber naja: A&C sind Stangenwahre, wie Kleider von C&A; während der Film „Frankenstein jagt Dracula“ tatsächlich ein Horrorfilm der Sonderklasse ist, wie der Trailer postuliert.

Dracula, Frankensteins Monster, die Mumie und der Werwolf werden in diesem Film reaktiviert; und nein, um schwerwiegenden Missverständnissen gleich vorzubeugen: sie jagen nicht einander. Vielmehr sind da Außerirdische am Werk vom Planeten Umo, 14 Lichtjahre von der Erde entfernt. Der Planet, bewohnt von Körperlosen, ist dem Untergang geweiht, deshalb muss die Erde erobert werden, und zwar auf raffinierte Weise. Statt einfach alle zu killen übernehmen die Aliens ein paar Körper von Toten und wandeln unauffällig als Menschen unter Menschen. Sind aber natürlich viel weiterentwickelt, haben keine Schwächen, sprich: Gefühle, dafür aber einen todsicheren Plan, nämlich: Monster reaktivieren, die dann geklont und auf die Menschen losgelassen werden, unter telepathischer Führung durch Dr. Varnoff, Chef-Außerirdischer und Mad Scientist. Dieser Plan wird gleich am Anfang, innerhalb weniger Minuten, dem verblüfften Zuschauer eingetrichtert, und dann im Rest des Films ausgeführt.

Also auf nach Blaustadt, weil dort… weiß nicht, egal: weil dort Kirmes ist. Auf dem Rummel wird ein Vampirskelett inkl. Holzpfahl zwischen den Rippen gefunden, also: Schausteller verführen und töten, die schöne Assistentin entführen, Pfahl entfernen, und schon ist der Vampir wieder lebendig. Ein altes Kloster, das von einer alten Burg dargestellt wird, ist das Hauptquartier, inkl. tollem Labor mit blinkenden Lichtern und so Kästen und Monitoren, die Computer darstellen sollen. OP-Tisch natürlich, und elektrischer Stuhl zur telepathischen Gefügsammachung. In Ägypten wird per Zauberspiegel die Mumie erweckt, die prompt den einheimischen Führer killt, damit man auch glaubt, dass sie böse ist, aus einem Grab wird der Werwolf geholt, und woher das Monster kommt (nicht nach Frankenstein-, sondern nach von Farancksalan-Muster (!) gebaut, was keinen Unterschied macht), weiß ich nicht mehr. Wurde vielleicht auch nicht gezeigt, wie die ganzen Entführungen diverser hübscher Damen, die willenlos als Assistentinnen im Labor rumstehen dürfen. Davon liest man eingeblendeten Zeitungsmeldungen, und man hört davon von der Polizei.

Die nämlich, die berühmte Polizeibrigade von Blaustadt, schickt ihren besten Mann: Inspektor Tobermann. „Diese Ungeheuer sind ja ungeheuer“, weiß er, und lässt in bester 70er-Jahre-Manier rainerbrandtesk ein paar Sprüche los, er ist schließlich der lockere Sympathieträger, „mit Sichertum“. Seine Ermittlungsarbeit: sich an eines der Beinaheopfer des Werwolfs ranmachen, die zweite große Frauenrolle nach Karin Dor als Varnoff-Assistentin mit Skrupeln, die einen der weiteren Mitarbeiter liebt, der dann vom Monster auf Varnoffs Geheiß niedergemacht wird. Kompliziert? Macht nichts! Darum geht es ja, aus Mücken Elefanten zu machen, oder aus Leichen Monster, oder aus sinnlosem Nichts lustigen Quatsch.

Das Drehbuch stammt von Jacinto Molina Álvarez alias Paul Naschy, er spielt in diesem Film wieder seine Paraderolle des Waldemar Daninsky, seines Zeichens wehmütiger Werwolf in diversen Filmen. Er ist das eigentliche Starungeheuer im Film: Im Gewölbekeller kommt es zum Showdown der Guten und der Monster, Werwolf kämpft gegen Mumie, im Labor dann gegen das Monster, der Werwolf hat zudem eine schöne Freundin getroffen, die ihn erlösen will und mit ihm in den Tod geht.


Die Produktionswerte sind niedrig, die Darsteller schwach, die Dialoge dämlich, die Monster überhaupt nicht gruslig, die Szenenfolge hingekloppt und überhaupt alles bekloppt – kurz: es ist alles genau richtig in diesem Film. Und eine Szene ist wirklich unvergesslich, sie ist tatsächlich einzigartig: Inspektor Tobermann untersucht die Burg, kommt ins Labor, wo Dr. Varnoff ihn natürlich schon erwartet. Mit der Assistentin prüft er irgendwelche Flüssigkeiten in irgendwelchen Reagenzgläsern, liest irgendwelche Werte ab, reagiert gar nicht auf den eingetretenen Tobermann – den dafür Varnoff von einer Monitorwand her begrüßt, aus einem anderen Seinsstadium. Am Labortisch Varnoff am Experimentieren, neben ihm Tobermann, mit dem im Bildschirm Varnoff spricht – nicht aufgezeichnet, sondern live. Anwesenheit und Gegenwart werden hier entkoppelt, und das macht diesem Film so schnell kein anderer nach.

Auch in diesem Film gibt es ein paar Einsichten in die conditio humana. „Der Mensch: gut und böse – das ewige Paradox“, murmelt weise Dr. Varnoff einmal, der die Menschheit vom Planeten Umo her studiert hat – und der doch zuletzt erkennen muss, dass die Leidenschaften, die Emotionen der Menschen keine Schwäche, sondern deren Stärke sind. Was Tobermann und sein Gspusi stante pede beweisen und mit einem Kuss besiegeln. Da sind wir echt froh, dass alles gut ausgegangen ist.

Harald Mühlbeyer