Grindhouse-Nachlese Dezember 2011 – Freudstein und Hundegott

Samstag, 17. Dezember 2011, Cinema Quadrat Mannheim:

„The House by the Cemetary“ / “Quella villa accanto al cimitero”/ „Das Haus an der Friedhofsmauer“, Italien 1981, Regie: Lucio Fulci.

“The Curse of the Dog God” / “Inugami no tatari”, Japan 1977, Regie: Shunya Ito.

Recht vorhersehbar ist Lucio Fulcis „The House By the Cemetary“ – nur, dass es nicht um Zombies geht, ist überraschend, vor allem wegen des in dieser Hinsicht etwas irreführenden Titels. Ein haunted house in good ole New England steht im Mittelpunkt, drumrum im Garten Kreuze und Grabsteine, auch im Wohnzimmer eine Grabplatte; ein unheimlicher Babysitter, ein geheimnisvolles Geistermädchen, der Angriff einer blutrünstigen Fledermaus, unheilschwangeren Geräusche aus dem Keller und diverse Splatterszenen sind die Zutaten. Die Familie im unheimlichen Haus, ein holder Knabe mit blondem Haar ahnt Böses, der Papa, Historiker, erforscht den Selbstmord eines Kollegen, die Mutter nimmt Tabletten gegen Halluzinationen – das alles ist uninspiriert zusammengerührt, und lächerlich wirken die ständigen wiederholten Aktionen: Jemand kommt heim und ruft nach den anderen, die aber nicht da sind; und wenn einer dann allein ist, dann geht er in den dunklen, dunklen Keller. Dort lauern die Splattereffekte.

Ann, das Kindermädchen, hat ein ähnliches Antlitz wie eine Schaufensterpuppe, die wir zuvor gesehen habe: Ihr Kopf fiel ab, Blut quillt hervor, die Maskenbildner taten alles, um das Halsinnere echt aussehen zu lassen. Zeuge davon: Ein Mädchen, offenbar ein Geist mit telepathischen Fähigkeiten. Doch das alles – inklusive dem Babysitter – sind Nebenkriegsschauplätze, die gar nichts mit irgendwas anderem zu tun haben, deren Wirkung des Unheimlich-Seltsamen deshalb verpufft, ja: sich nie entfalten kann. Das Beste an dem Film: Der Unhold ist ein untoter Geist, ein Mad Scientist des 19. Jahrhunderts, mit dem feinen Namen Dr. Freudstein.

Völlig unvorhersehbar dagegen der zweite Film des Abends; der aber wiederum verblüffend vorausschauend ist. Wäre „The Curse of the Dog God“ bekannter, wäre die Welt nicht so erstaunt über die Katastrophe von Fukushima gewesen. Alles ist hier schon vorgezeichnet, in prophetischer Klarheit!

Das japanische Kino ist voll von Metaphern wider das Atomzeitalter. Godzilla ist die metaphorische Verkörperung von Little Boy und Fat Man; zwei Banden, die von einem herrenlosen Samurai gegeneinander ausgespielt werden, symbolisieren Hiroshima und Nagasaki; und verschiedene Versionen über ein Verbrechen im Lustwäldchen bedeuten zehntausende verlorene Geschichten von atomisierten Toten. Aber diese Interpretationen sind natürlich höchste Kunst der Hermeneutik, die nicht jeder verstehen muss.

Ganz eindeutig dagegen „The Curse of the Dog God“, der sowohl metaphorisch als auch ganz konkret vor dem Atom warnt. Es geht um die Suche nach Uran im rohstoffarmen Japan, drei junge, enthusiastische, übermütige Männer sind im Jeep unterwegs und geraten außer sich vor Freude, als der Geigerzähler über 30.000 geht. Dabei überfahren sie einen Schrein für den Hundegott und gleich darauf auch noch einen echten Hund. Zack, fährt der Fluch in sie, und 10 Filmminuten später sind zwei von ihnen tot. Der Dämon ist entfesselt, die Geister, die sie fanden, werden sie nicht mehr los, die Gefahr des Atoms wütet in Form eines bösen Gottes. Wenn der Bergbaukonzern dann das Uran abbaut, wird es konkret: ein wildgewordener Bohrer rast unten im Bergwerk wild herum und verfolgt und durchlöchert zwei Arbeiter. Und selbstverständlich kann es nicht gut gehen, wenn Uran aus dem Berg mit Schwefelsäure herausgewaschen werden soll. Tepco-like versuchen die Uranarbeiter die Verseuchung des Grundwassers zu vertuschen; und Kano, der einzige integre Uraningenieur – der einzige der Uransuchenden vom Anfang, der überlebt hat –, kann natürlich nichts ausrichten, weil da draußen immer noch der Hundegott wütet.

Was man immer in den Nachrichten hört: Es gebe in Japan keine Antiatomgesinnung; die Katastrophe von Fukushima sei völlig überraschend gewesen – „The Curse of the Dog God“ führte bereits vor fast 35 Jahren die Gefahren haarklein vor. Und ist dabei unheimlich unterhaltsam, weil er alles tut, was man von einem Grindhousefilm verlangen kann: Schon vor dem Sündenfall mit dem Hundegottschrein sehen wir zwei nackte junge Damen sich im Wildwasser tummeln, Kano und seine Kumpels beobachten sie heimlich, und – als wärs ein Almenjodlerbumsifilm: Kano fällt vom Baum ins Wasser, hahaha! Später schlägt der Fluch zu, Kanos Freunde sterben auf unheimliche Weise – der eine wird von Hunden aufgefressen, Tierhorror! -, und Kanos Frau nimmt den Fluch auf sich, um Kano zu schützen. Sie wird wahnsinnig, ist auch noch schwanger, Rosemarys Baby und der Exorzist treffen sich zum Kaffeekränzchen, allerdings auf japanisch: Ein Priester fuchtelt furchtbar herum, ein Medium wedelt mit Papierstreifen aus dem Aktenvernichter, wilde Bewegungen und groteske Fratzen lassen den Dämon im Leib der Lady hervortreten; sie stirbt dann im Schnee. Und der Film wird zum Hinterwäldlerhorror, ein alter Bauer will sein Land nicht an die Urancompany verkaufen – er hat Angst vor der Atombombe –, es kommt zu diversen Ausschreitungen, an denen der Hundegott kaum Schuld hat, eine Art Fronleichnamsprozession wird zum Lynchmob, Religionspsychoaction meets Hexenjagd meets Ökothriller, und im übrigen vergewaltigt eine Rockerbande beinahe die Tochter des renitenten Bauern, Bikerfilm kommt also auch noch hinzu.

Man kann, wenn man inmitten des Wahnsinns dieses Filmes steckt, niemals vorhersagen, was als nächstes passieren wird; Grusel, Horror, Splatter wechseln sich mit Momenten der Komik ab, um dann eine neue, absurde Handlungsschleife zu nehmen. Dass alles vor atemberaubender Landschaft geschieht (gedreht wurde in einem Nationalpark), macht die Bilder groß und schön – dass alles auf komplizierten Familienverhältnissen beruht, macht das Kuddelmuddel schön groß. Kano hat nämlich die Tochter dessen geheiratet, dem der Uranberg gehört, geschäftlich ist also alles in Butter; deren Freundin aber hat einen Bruder, und dessen Hund hat Kano getötet, was überhaupt erst alles ins Rollen brachte. Vater von diesen Geschwistern ist wiederum der renitente Bauer, und – jetzt wird’s kompliziert – nach dem Tod seiner Frau bändelt Kano wiederum mit dessen Tochter an, was den vormaligen Schwiegervater grämt… Reicher Bauer gegen armen Bauer, mein Land und dein Land: typische Heimatfilmzwistigkeiten mischen auch noch mit rein und werden durch diverse wechselseitige Hundegottbeschwörungen und –besessenheiten nicht vermindert. Dass auf der Seite des armen Bauern eine Zwölfjährige sich ganz vom Hundegott in Besitz nehmen lässt und fantastisch-übernatürliche Sprünge durch die Luft vollführt, als sie Kano endgültig den Garaus machen will; oder dass der reiche Uranbergbesitzer in der Scheune einen gewalttätig-wahnsinnigen Sohn versteckt hält: das sind die letzten Aufbäumungen dieses wirren, wilden, hellsichtigen Filmes, der alles in sich vereint, was man sich wünschen könnte.

Ob Regisseur Shunya Ito das kleine oder gar das große Latinum hat – der Name Kano deutet darauf hin (oder habe ich bei meiner Googlesuche nach dem Film vielleicht den falschen Namen der Hauptfigur erwischt…?) – bleibt ungewiss, wie am Ende so manches im völlig Verworrenen bleibt. Wenn Kanos Leiche zum Schluss verbrannt wird und sein Körper sich in den Flammen nochmals erhebt: Dann würde man sich eigentlich nicht wundern, wenn noch eine Zombieepisode angehängt würde.

Harald Mühlbeyer

TV-Nachschau: KOMMISSARIN LUCAS: AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN



Eine Frau um die 60 putzt sich heraus: roter Lippenstift, rauchiger Lidstrich, schwarze Netzstrümpfe, hohe Absätze. Im Bus sitzt sie neben einer Freundin. „Du siehst schön aus“, sagt sie zu ihr, und die beiden lachen kurz. Eine dunkle Limousine gibt Lichtzeichen, sie lässt die Freundin gehen – wir hören noch, wie die protestiert, aber das Auto braust gleich davon. Auf der Donaubrücke wartet ein junger Kerl auf sie. „Hallo, Maria“, sagt er und kaut auf einem Zahnstocher herum. Ganz in der Nähe vertreibt eine andere ältere Dame eine Bordsteinschwalbe. Sie sieht Maria und den jungen Mann von eben ins Haus gehen, im Dachzimmer geht das Licht an und er schließt die Vorhänge. Am Morgen wird die Frau tot an der Donau gefunden, kein Handy, keine Papiere, aber dafür Kondome in allen Farben in ihrer Handtasche – was die Vermutung über sie bestätigt, die bereits seit dem Anfang in der Luft hing.

Kommissarin Ellen Lucas (Urike Kriener) muss ihren jungen Kollegen Leander (Florian Stetter) erst einmal aufklären über Verhütung und Frauen um die 60. Prostituierte in diesem Alter sind neu für die Polizisten. Innerhalb von kurzer Zeit bekommen alle Figuren aus dem Prolog einen Namen und eine Verbindung: Der junge Mann ist Philip Schumann (Vladimir Burlakov) und hatte eine Beziehung mit der ermordeten Maria Bolte (Renate Krößner). Die Kommissarin folgt ihm zum halbseidenen Nachtclubbesitzer Liebl (Hans-Jochen Wagner als arroganter Unsympath), der auf „die Schlampen vom Omastrich“ nicht gut zu sprechen ist. Marias Freundin Agneta Wilhelm (Traute Hoess), die letzte Nacht versehentlich in Liebls Auto gestiegen ist, kann das mit blauen Flecken bezeugen. Philips Mutter Nadja (Hannelore Elsner) betreibt eine Kneipe und war früher selbst Prostituierte. Ferdinand Bolte (Elmar Wepper) schließlich ist Marias Ehemann, der seine Frau als vermisst meldet. In diesem kleinen Panoptikum an Figuren rund um die käuflichen Damen im Herbst ihres Lebens sind alle reichlich maulfaul. Als Zuschauer wissen wir bereits viel mehr, das macht sie natürlich alle verdächtig. Später wird auch Liebl erstochen vor seinem Club liegen, was den Kreis der Suspekten nicht gerade schmälert.

Die Kommissarin ist bald frustriert von den Befragungen und Verhören. Aber sie wäre nicht Ellen Lucas, wenn sie nicht angetrieben wäre, die Wahrheit aufzudecken. So scheint sie aufzublühen, wenn es etwas Konkretes zu tun gibt, denn dann kommt auch der (bewusst) ruhig erzählte Fall stärker auf Touren. „Sie kombiniert und kombiniert“, grantelt ihr Vermieter Max (Tilo Prückner), den sie natürlich auch zu seiner Bekanntschaft mit Agneta befragt. Die Kommissarin bemüht sich sehr, zu verstehen, warum Frauen in ihrem Alter ihren Körper verkaufen. Geld sei immer ein Grund, gibt Nadja lapidar an. Agneta, die Ellen Lucas im Morgengrauen an der Donau trifft, sagt, es fühle sich immerhin gut an, begehrt zu werden.

Im Zentrum von AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN stehen starke Frauen. Resigniert sitzen die Männer zuhause, während ihre Frauen sich nachts schick machen und aus dem Potential schlagen, was sie noch anzubieten haben. Die Männer wussten nichts oder wollten nichts wissen. Ferdinand Bolte gibt zerknirscht zu, dass seine Frau nun eben eine „Geschäftsfrau“ war, aber Überzeugung spricht nicht aus seinem Gesicht. Er wird gleich doppelt entmachtet: Nicht nur ist seine Frau nun zum Verdiener geworden, er muss auch dulden, dass ihr Körper ihm nicht mehr allein gehört. Der junge Philip flüchtet sich in die Beziehung mit Maria, die locker seine Mutter sein könnte, das Schwein Liebl kann er ihr jedoch nicht vom Leib halten. Die Wilhelms hatten früher eine eigene Metzgerei – jetzt nur noch einen Haufen Schulden und Hartz IV, denn beide sind in ihrem Alter auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Als die Ermittler aus dem Haus sind, baut sich Agneta vor ihrem Mann auf, reißt sich die Bluse herunter und entblößt die Reizwäsche und Strapse, die sie darunter trägt. „Schau’s dir an, so verdien ich unser Geld. Warum fragst denn nie?“, beschwört sie ihn, während er hilflos davonschleicht. In dem System der Entwertung ist das kein Vorwurf, sondern lediglich der Wunsch nach Anerkennung. Sie will wieder von ihrem Mann „gesehen“ werden, so wie die Männer auf der Straße sie ansehen. Was sie tut, das tut sie für beide. Diese Ehrlichkeit schmerzt, aber zumindest für die Wilhelms gibt es am Ende etwas Hoffnung auf Glück.

Ebenso sachlich wie seine Kommissarin geht auch das Drehbuch von Friedrich Ani mit dem Thema Altersprostitution um. Auf dem sozialen Abstellgleis nimmt man auch für 20 Euro eine unangenehme Nummer in Kauf, so die diegetische Logik. Und das zur besten Sendezeit im ZDF, ohne der Versuchung zu erliegen, die Figuren allzu sozialdramatisch zu karikieren. Das ist auch der Verdienst des nüchternen Stils, in den Regisseurin Maris Pfeiffer den Fall kleidet. Man kann diese Figuren zwar vielleicht nicht immer verstehen, aber man kann sie alle ernst nehmen.
Während der Nebenstrang mit den Wilhelms zeigt, wie trotz grimmiger Krimi-Sozialrealität ein emotional warmer Kontrapunkt gesetzt werden kann, bleibt der Rest des Krimis schnörkellos. Mit Maria muss diejenige sterben, die ihren zweiten Frühling genießt und ausbrechen will. Liebl war ohnehin ein Schwein. Konsequent ist es ein Fall, der sich auf die Kommissarin fokussiert, während das (Männer-)Ermittlungsteam in den Hintergrund rückt. Sie will diese Sache, die ihr so fremd ist, durchdringen. Nadja und sie sitzen sich gegenüber wie Pokerspieler, die abschätzen, welche Hand das Gegenüber haben mag – die Kommissarin ist ebenfalls eine starke und abgeklärte Frau. Natürlich löst Ellen Lucas am Ende beide Morde (mit der Doppel-Verhör-Methode à la Exley in L.A. CONFIDENTIAL) – die entscheidende Spur ergibt sich, das war absehbar, aus der problematisierten Mutter-Sohn-Beziehung. AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN ist, wie in der LUCAS-Reihe üblich, ein stark besetzter Krimi, der ein gesellschaftliches Thema zum spannenden Milieu macht. Die leider sehr konventionelle Auflösung nutzt die darin liegenden Möglichkeiten nicht und bleibt der einzige wirkliche Kritikpunkt, den man hier feststellen kann.

Mathias Grabmaier


KOMMISSARIN LUCAS: AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN (ZDF, 23.04.2011)
Regie: Maris Pfeiffer
Buch: Friedrich Ani
Kamera: Andreas Doub
mit: Ulrike Kriener, Hannelore Elsner, Elmar Wepper, Renate Krößner, Vladimir Burlakov, Traute Hoess, Günter Junghans, Michael Roll, Florian Stetter, Inez Björg David, Alexander Lutz, Tilo Prückner, Hans-Jochen Wagner, Roland von Kummant u.a.
Prod: Olga Film

Grindhouse-Nachlese November 2011 – Fleisch

Samstag, 26. November 2011, Cinema Quadrat Mannheim:

„Die Kleine mit dem süßen Po“, Deutschland 1975, Regie: Hans Georg Keil (a.k.a. Georg Tressler).

„Wild Beasts“ / „Belve feroci“, Italien 1984, Regie: Franco Prosperi.


Von ihren Filmen her waren die 1950er Jahre die Fortsetzung des Filmschaffens der 30er und 40er mit anderen Mitteln. Das NS-staatliche Ideologie wurde durch religiös-moralische Ideologie ersetzt, seicht, bieder, chauvinistisch ging es nach wie vor zu, nur wurde nun jegliche Frivolität aus den Filmen rausgeschwärzt (die Filme der Nazizeit durchaus beinhalteten).
Wie in der NS-Zeit gab es auch im Nachkriegsjahrzehnt ein paar Ausnahme-Meisterwerke, von denen eines der größten wohl Georg Tresslers „Das Totenschiff“ von 1959 mit Mario Adorf und Horst Buchholz ist – letzteren hatte Tressler kurz zuvor mit „Die Halbstarken“ zum Star gemacht, einem Film, der nicht nur über die Jugend, sondern auch von den Jugendlichen handelt. „Das Totenschiff“ ist eine Abenteuergeschichte, in der Buchholz als mittelloser Seemann durch Frankreich wandert, um am Mittelmeer endlich auf einem Schiff anheuern zu können. Eine paradiesische Liebe auf dem Land schlägt er aus, um dafür auf einem Totenschiff verheizt zu werden, einem alten Kahn, der aus Versicherungsgründen auf hoher See untergehen soll. Action und Resignation gehen hier eine knisternde Verbindung ein.

16 Jahre später sieht es so aus in der deutschen Kinematographie: Es gibt Autorenfilme mit hohem Anspruch, der schon ins Elitäre geht, und es gibt das populäre Kino – sprich: Schmuddelsexfilmchen; eine Rückkehr der zuvor verdrängten und verdammten filmischen Freizügigkeit. Wo landet Georg Tressler? Es ist traurig, traurig... Wo die anderen Großen des Kinos vor dem Neuen Deutschen Film, Käutner und Staudte etwa, wenigstens ihr Auskommen im Fernsehen hatten, da landet Tressler unter dem Pseudonym Hans Georg Keil auf der Alm.


„Die Kleine mit dem süßen Po“: Da zieht sich zunächst mal die Muschi aus, sie ist die Kellnerin im Berggasthof vom Pichelhofer. Der hat einen jungen Sohn, der gerne der Muschi auf der Alm an die Dudeln gehen möchte, und auch in der Küche lässt er nicht von ihr, obwohl der Herr Pfarrer doch einen Schoppen bestellt hat: „Wo bleibt meine Liebfrauenmilch?“ Die ist in Arbeit, in Handarbeit...

Eine Handlung gibt es natürlich auch, die hat sogar klassische Vorbilder: Schon in den 30ern war Geldvermögen in 13 Stühlen versteckt, denen nachgejagt werden musste, im Farb-Remake in den 50ern waren’s wie bei Mel Brooks 1970 dann noch 12. Hier nun ist keine Erbschaft versteckt, sondern ein Diamant (was später bei Tommy und Mike zum Super-Tanken der Nasen führte: Solche Trash-Albernheit mit mehr Nacktheit ist ungefähr das Niveau von „Die Kleine mit dem süßen Po“), und er steckt nicht in Sitzgelegenheiten, sondern in gewissen runden Objekten. Und zwar solche, die eingeführt werden – erstens aus Japan, zweitens in die weibliche Anatomie, erhältlich sind sie im Sexshop von Herrn Spanner (sic!). Der ist ein windiger Betrüger und Hochstapler, man glaubt es nicht, wie er den Leuten das Geld aus den Taschen zieht. Zum Beispiel dem Pichelhofer, der die ganzen 40.000 Mark vom Kirchenbauverein investiert – ohne zu wissen, dass Spanner pleite ist, dass die Steuerfahndung all seinen Besitz beschlagnahmt hat (in einem großen LKW mit „Finanzamt“-Aufschrift) und dass der Spanner mit Pichelhofers Geld einen Diamanten kauft, den er in einer japanischen Liebeskugel versteckt, die der Pichelhofer und seine Söhne dann usw. usf.

Unglaublich alberne Situationen sind das: Wie der Pichelhofer beim Telefonieren seine Hand im Spalt einer künstlichen Herrenbefriedigungsgerätschaft einklemmt! Das ist lustig, weil es in seiner freizügigen Thematik so verklemmt ist. Das liegt nicht mal am Bauernschwank-Gewand – gerade in diesen Lustspielen geht es um die Lust –, sondern daran, wie die Libido in bizarr-öden Witzchen kompensiert wird. Wo irgendwo so etwas wie Erregung sich breitmachen könnte – beim Filmzuschauer oder bei einer der Filmfiguren –, wird munter eine billig kalauernde Zote hingeklatscht, wo Lust droht, wird diese sofort in einem Scherz aufgelöst. Was geil sein könnte, wird Gag: Genau das macht den Wert des Films aus, dass er sich ständig weigert, das zu sein, was er ist. Dass er jeder Qualität, die er haben könnte – und sei es die einer Blutpumpe in gewisse Körperteile – so konsequent aus dem Weg geht, ist fast schon bewunderungswürdig. Dass er in keiner Weise stimulierend ist – weder Lach- noch sonstige Muskeln–, das macht ihn schon wieder komisch, dass jede Lust verweigert wird, macht ihn lustig.

Also müssen die Herren fünf Liebeskugeln suchen. Also müssen sie die Öffnungen diverser Damen erkunden. Also gibt sich der eine Sohn als Arzt vom Gesundheitsamt aus, der mit seiner großen Spritze der bedürftigen Hausfrau so richtig hintenrein... „Peniscillin“, haha, und als der Ehemann unvermutet heimkehrt und seine Hämorrhoiden untersucht haben will, wird ihm ein Kollege „von der anderen Fakultät“ empfohlen. Der andere Sohn bumst eine andere junge Dame durch, die eigentlich einen Klempner erwartet hatte, der das kleine Löchlein stopfen soll, aus dem immer so viel rausspritzt. Kalauerkalauer, das Niveau wird mau und mauer – und hinterrücks macht es wieder Spaß. „Die Kleine mit dem süßen Po“ – der Titel hat übrigens nichts mit dem Film zu tun – ist eine Anhäufung miesen Geschmacks – und erreicht sehr schnell den Gipfelpunkt, ab dem man bestens unterhalten wird. Das ist ein bisschen wie beim Schwefelwasserstoff: Dieses Gas stinkt in geringen Konzentrationen übel nach faulen Eiern; bei stärkeren Konzentrationen aber kehrt sich der Geruchssinn um, alles riecht fein und süß – dann freilich sind schon solche Gasmengen in der Luft, dass sie tödlich wirken.

Zum Tod führt ist das Machwerk von Tressler/Keil nicht; aber zu seltsam verstiegenen Assoziationen; unerklärlich, wie man als Normalzuschauer von diesem unwitzig-witzigen Film auf die historischen Gipfel der komischen Kunst schließen kann, aber tatsächlich: ist diese Burg, in die es den Pichelhofer auf der Suche nach den Liebeskugeln verschlägt, nicht vergleichbar mit Castle Anthrax / Schloss Dosenschreck, in das Sir Galahad auf der Suche nach dem Heiligen Gral gerät? Und ist ein leergeräumter Sexladen nicht so was wie ein Cheese Shop ohne Käse?

Um Fleischeslust in anderer Form geht es in Franco Prosperis „Wild Beasts“. Prosperi ist Veteran der Mondo-Filme, jener italienischen Spielart von Dokumentationen der Wunder der Welt, die sich auf die bizarren, ekelerregenden, sexual-ausbeuterischen Details stürzen. So wie Disney die Wüste mit all den putzig-lustigen Tierchen, die dort leben, zu einem filmisch erfahrbaren familienfreundlichen Erlebnispark macht, so verdrehen die Mondo-Filme die Wirklichkeit in die andere Richtung, wo Horror und Porno herrschen.

In „Wild Beasts“ ist ein doller Tierfilm, in dem Prosperi sein ganzes Können der filmischen Einvernahme von Natur und deren Umverwandlung ins Exploitationkino zeigt: Die italienische Produktion, die in Frankfurt gedreht wurde, lässt die wilden Tiere des Zoos auf die Menschheit los. Und mit wilden Tieren meine ich: echte wilde Tiere. Löwen, Tiger, Elefanten marschieren durch den Film und fressen und zertrampeln Menschen. Gut, OK: das Zerfleischen wurde mit prostethic makeup und schneller Montage von Großaufnahmen natürlich gefaket; aber ein Tiger in der S-Bahn, ein Gepard, der an einer Ladenpassage vorbei einem Auto hinterherjagt mit 100 km/h, Elefanten, die am Flughafen an Jumbojets vorbeilaufen: Das ist echt, und das ist beeindruckend. Im Schlachthof fällt eine Hyäne Schweine an, eine Löwin zerfleischt ein Rind; und eine Katze wird von Ratten aufgefressen. Hu, die Tierwelt ist ein einziges Töten und Sterben!

Beinahe putzig sind die kleinen sozialkritischen Einlagen, die pflichtbewusst eingestreut werden: Denn das Wasser war kontaminiert, mit dem die Tiere gefüttert wurden. „Dachte ich mir’s doch: Phenol! Sieh nach, ob es zyklisch ist!“ – ja tatsächlich: PCP hat das Wasser verseucht und die Tiere wild gemacht, in einem Halbsatz klingt an, dass ein Leck in einer Industrieanlage schuld ist, und immer wieder wird obligatorisch auf den bösen Umgang der Menschen mit der Natur hingewiesen.


Und weil so scheinheilig grüngefärbt eine Moral behauptet wird, vergisst der Film ganz, wie chauvinistisch er wiederum ist: Der Tierarzt – supermännlicher Held des Films – darf ungestraft die Journalistin – weiblich-emotionales Opfer – betatschen, hat selbstverständlich recht, wenn er sie nach einem Tigerangriff kokett tadelt, dass ihr Make-up nicht mehr sitzt; im übrigen hat die Journalistin eine vernachlässigte Tochter, die sie wegen ihrer Berufstätigkeit niemals sehen kann. Die wird Mit-Opfer einer Horde killender Kinder, die der Film in seinem letzten Drittel braucht, um zu zeigen, wie auch der Mensch nicht gefeit ist vor animalischer Wildheit.

Solche Thesen sind aber natürlich nicht ernst gemeint, es geht nur um die Bilder, nur um das Spektakel, nur um die Echtheit dieses Alptraums. Wo echte Tiere auftreten, ist immer was Dokumentarisches mit dabei – wahr aber ist es natürlich nicht. Zumal man einmal den Dompteur sieht, der schnell hinter einer trampelnden Elefantenherde verschwindet, weil er ja fehl im Bilde ist; und zumal das Hinweisschild auf den Rhein-Main-Airport sich „Flughafel“ liest.

Harald Mühlbeyer

FILMZ 2011 - Elfter Abschluss

"Der Albaner" hat gewonnen bei FILMZ 2011. Völlig zurecht, wie man HIER und HIER nachlesen kann.

Vermutlich ist die Festivalreise dieses Debütfilms von Johannes Naber damit zuende, nach München 2010, Saarbrücken und Ludwigshafen 2011. Die Karriere im Kino übrigens auch: Anfang August hatte "Der Albaner" einen Pflicht-Kinostart wegen der Filmförderung, sprich: wurde vom Filmverleih rausgehauen und ist direkt im Kinospielbetrieb versickert. Ob wohl irgendjemand diesen Film tatsächlich regulär, gegen eine normale Eintrittskarte, im Kino gesehen hat? Schön jedenfalls, dass er jetzt, wenn auch auf einem Festival, doch auch in Mainz gelaufen ist und begeistern konnte: dabei ist das Mainzer FILMZ-Publikum durchaus streng.

Zumindest, wenn ich unter den Zuschauern bin und beim FILMZ-Abschluss einen der im Wettbewerb gezeigten Kurzfilme öffentlich kritisiere - nachdem der Regisseur seine eigene Meinung über den Film verkündet und ausdrücklich zugegeben hatte, dass auch andere Ansichten gelten können; und meine Aussage dann als Blödsinn abtat. Was völlig legitim ist - und dann eskalierte, als ein anderer Herr im Publikum dem Regisseur widersprach, worauf diverse Schmähungen durch den Saal hallten ("Idiot!" - "Selber Idiot!") Kurz: Es war sehr lustig.

Wie ja ohnehin die Stimmung bei FILMZ locker ist wie auf keinem anderen Festival. Was dazu führt, dass der Kurzfilmwettbewerb inkl. Preisverleihungen dreidreiviertel Stunden dauert - und dabei große Unterhaltung bietet. Kulenkampff hat auch überzogen, Gottschalk selig auch! Es gibt Led-Zeppelin-Konzerte von dieser Länge! Im Übrigen ist FILMZ wohl auch das einzige Festival, bei dem der Start eines Filmes um ein paar Minuten verzögert wird, um einem Zuschauer die Möglichkeit zur Eintrittspreis-Teilrückerstattung zu geben, der wegen eines Missverständnisses 8 statt 6 Euro bezahlt hatte...

Und die Filme in diesem Jahr: "Der Albaner" und "Über uns das All" von Jan Schomburg zählen zum Besten des deutschen Kinos in diesem Jahr, und "Tage die bleiben" von Pia Strietmann spielt auch beinahe in dieser Liga.

"Tage die bleiben" beginnt mit einem Totentanz: eine Frau im Auto, während eines Unfalls, in ästhetizistischer Zeitlupe, mit graziös umherfliegenden Blumenblättern und Glasscherben, das Ballett einer Sterbenden. Dann für zehn, zwanzig Minuten die Vorgeschichte dazu, eine Vorstellung der Familie Dewenter, die keine wirkliche Familie mehr ist. Vater meist abwesend, zumindest geistig, oft auch körperlich, weil er eine Affäre hat; die Tochter eine rotzfreche Pubertätsteenagerin; der ältere Sohn schon lange aus dem Haus; und die Mutter hat einen Roman geschrieben über den Ausbruch aus dem Alltag einer mittelalten Mutter... Nach der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Münster stehen wir dann wieder am Anfang des Films, am Ende des Lebens der Mutter, am Beginn einer neuen Zeit für die Dewenters. Wie sich Vater, Tochter, Sohn zusammenraufen - wie sie vor allem miteinander raufen -, wie zwischen dem Trott der Vergangenheit, dem Bruch durch den Verlust der Mutter, den nötigen Bestattungsformalitäten und den gegenseitigen Abneigungen so etwas wie Einsicht, vielleicht gar Gemeinschaft entsteht: Das erzählt Pia Strietmann auf sehr einfühlsame Weise, ohne in die Klischees des Trauerfilms auszubrechen. Weil die Trauer erstmal gar nicht da ist, sondern die Egoismen der Übriggebliebenen, die miteinander so gar nichts anfangen können. Und die sich selbst und einander erstmal überhaupt kennenlernen müssen.

Was es natürlich auch gab bei FILMZ: Filme, die nicht ganz schlecht sind, aber auch nicht gut, so lala im Mittelfeld, also eigentlich unsichtbar, sprich: eigentlich nicht sehenswürdig. In "Unter Nachbarn" macht Regisseur Stephan Rick an sich alles richtig, das heißt aber auch: alles vorhersehbar. Womit nicht einmal unbedingt die Handlung gemeint ist, die sogar recht spannend ist: Maxim Mehmet, neu in der Stadt, lernt seinen Nachbarn kennen, der so anhänglich ist, dass es psychopathisch wird. Als Mehmet einen Unfall baut, eine Frau tötet und dann Fahrerflucht begeht, ist er an seinen Nachbarn, den Mitwisser, gebunden; der fortan sich mehr und mehr in sein Leben drängt.
Vorhersehbar ist dabei insbesondere die Inszenierung: Man weiß schon im Voraus, wann der nächste Schnitt kommt, bei manchen Einstellungen weiß man genau, dass jetzt eine Schärfenverlagerung kommt, man kennt vorher die Klavierakkorde, die dann tatsächlich auch einsetzen; und den nächsten Dialogsatz kann man mitunter auch erraten. Es ist alles so glatt, handwerklich so präzise und nach Lehrbuch gefilmt, dass kein Platz für Überraschungen mehr bleibt. Und die wären nötig in einem solchen Nachbarschaftsthriller.

Höchst originell dagegen Niko Kühnels Langfilmdebüt. "Ein Jahr später" ist privat entstanden, unter Freunden - quasi die Fachschaftsrat-Generation nach mir beim Filmwissenschaftsstudium -, die an Wochenenden, ohne Budget, diese fantastische Komödie gedreht haben. Natürlich sind die production values niedrig, die Schauspieler sind sichtlich keine Profis, weshalb der Film auch nie über den Status eines Liebhaberobjektes hinauswachsen wird.
Aber eine dolle Handlung, dramaturgisch sehr gut entwickelt, mit treffenden Dialogen und ohne jeden Lehrlauf: Frank, Mark und Alex erwachen nach einem langen WG-Abend, und es ist ein Jahr später. Sind sie über zwölf Monate drübergestolpert? Haben sie ein Jahr verschlafen? Haben sie die vergangenen Monate vergessen? Jedenfalls ist die Zeit weitergegangen, und sie stecken im Zustand der Vergangenheit fest. Und müssen feststellen, dass ihre Träume allesamt nicht in Erfüllung gegangen sind: Alex, der mit seiner Freundin ein spießiges Familienleben beginnen wollte, hat plötzlich eine Neue, Caro, mit der er ein halbes Jahr zusammen ist, die er aber natürlich gar nicht kennt. Frank, der wild und frei nach Neuseeland wollte, steckt im langweiligen, aber wohldotierten Job als, uaaah: Unternehmensberater fest. Und Mark ist nicht mehr ihr Freund: der wacht dafür in einer möbellosen Wohnung auf, und wird von ominösen Gestalten gejagt.
Ein Sprung in die Zukunft, nach dem Abschluss des Studiums: ein Sprung, der das Ergebnis ohne den Entwicklungsweg dahin präsentiert. Verlorenheit in einer neuen Zeit für die drei, eine Zeit, die ihre eigene ist, ihre eigene sein wird, in sprunghafter Fortentwicklung.
Sie müssen sich zurechtfinden in diesem neuen Leben. Sie müssen herausfinden, wer sie nun sind, was sie nun sind: Detektivarbeit für jeden von ihnen, was in drei Handlungssträngen von Mysterythriller bis romantic comedy mündet. Und vor allem letztere ist sehr gelungen: schön, wie Caro, Alex' Neue, ihn an sich heranführen will, indem sie im Schnelldurchgang ihr Kennenlernen nachinszeniert: Das Re-Enactment einer schonmal erlebten Liebe, um die Gefühle in Alex zu wecken, die sie für ihn empfindet - weil sie ihn ja schon lange kennt, und er sie am Morgen erstmals gesehen hatte...
Kühnel schaltet ganz sicher von einem Strang zum anderen, die Schauspieler liefern eine gute - wenn auch nicht professionelle - Leistung ab: Ein Film, der wirklich großen Spaß macht.

Harald Mühlbeyer

FILMZ 2011 - Elfte Eröffnung

Ging es wirklich so drunter und drüber hinter den Kulissen von FILMZ, wie die beiden Moderatorinnen des Eröffnungsabend, Tiziana Calò und Linda Kujawski, andeuteten? Immerhin sind die beiden die Hälfte der Festivalleitung und müssen es wissen; und immerhin wurden wir zwar im Foyer des Residenz&Prinzess-Kinos in Mainz von einer freundlichen Dame mit "Akkreditierung"-Schild empfangen, die uns aber erst an die falsche Kasse schickte, und die Dame an der richtigen Kasse wiederum wusste nichts mit einem anzufangen, der so mit so einem orangeroten Badge eine Karte haben wollte... Immerhin, und eine solche Freundlichkeit findet man auf keinem anderen Festival: Mit der Pressemappe wurde den Akkreditierten auch eine Ritter Sport-Mini-Schokolade mit auf den Weg gegeben. Danke dafür!

FILMZ ist ehrenamtlich organisiert, FILMZ hat eine große Fluktuation der Organisatoren: Es sind ja alles Studenten, die das machen, und wer im einen Jahr kann, ist im nächsten vielleicht nicht mehr verfügbar. Davon hat man aber gar nichts bemerkt am Eröffnungsabend - außer bei den gar nicht kokett gemeinten Bemerkungen der Moderationsrede (die sich also für etwas entschuldigten, was keiner Entschuldigung bedurfte). Dass in diesem Jahr zwei Drittel des 600-Plätze-Kinosaals für geladene Gäste reserviert waren, kann FILMZ als neuen Rekord buchen - dass davon gut ein Drittel frei blieb, ist den Veranstaltern nicht anzulasten, eher den doofen Promigästen, die zusagen und dann doch nicht kommen.


Verpasst haben sie eine schöne Komödie von Ingo Haeb: "Sohnemänner" erzählt vom Sohn im Mann. Dreh- und Angelpunkt ist Edgar, auch schon über sechzig, ein Hamburger Kiez-Original mit zwanghafter Vitalitätsaura. Er hat einen Sohn, Uwe, und eine Mutter, Hilde. Und unter Umgehung der Edgar-Generation schnappt Uwe seine Oma Hilde und fährt sie schnurstracks in den Schwarzwald. Dort wohnt er in einem urigen Bauernhof, zusammen mit Johann. Edgar folgt ihm nach, nistet sich dort ebenfalls ein. Später kommen noch Edgars viel jüngere Freundin und deren einigermaßen hyperaktiver Sohn dazu. Natürlich gibt es Reibereien.

Denn Uwe hegt tief verwurzelte Animositäten gegen den Vater, der seine Oma so schnöde in ein schäbiges Altenheim abgeschoben hat; sie wäre doch in der Seniorenresidenz Sonnenhof hier am Ort viel besser aufgehoben. Schließlich ist sie wie eine Mutter für ihn! Der Vater hatte ihn ja als Kind bei ihr abgegeben... Edgar wiederum will auch das Beste für die Mutter, nur soll's ihn auch nicht allzusehr belasten in seinem Leben, das er mit aller Kraft führen will. Edgar gegen Uwe, dazwischen Oma Hilde als Zankapfel und zugleich Waffe, die beide wechselseitig gegen den anderen führen. Und dabei weiß keiner viel über den anderen; und Edgar heißt ja eigentlich wohl doch Johnny, ein Name, der viel besser zu ihm passt.

Dass Uwe schwul ist, dass sein Liebhaber an Parkinson erkrankt ist und wegen seiner Pillen gerne mal durchgeistigt lächelt: Das sind kleine Nebendetails, die den Film so reich machen. Haeb hat ein Gespür für die Charakterisierung seiner Figuren - auch der kleinsten Rollen - aus kleinen Gesten, aus Blicken, aus Bemerkungen, die en passant fallen; er hat ein Gefühl für die eingestreuten Gags, die ganz beiläufig eingeflochten sind. Was dem Film ein bisschen fehlt: Man kann die Figuren nicht wirklich sympathisch finden, zunächst zumindest, sie sind nicht skurril genug, um schrullig zu wirken, aber innerlich, emotional zu verdreht, um für normal zu gelten. Immerhin, wenn wir tiefer in die Geschichte, in diese irgendwie beleidigten und doch aufeinander angewiesenen Wesen eindringen, dann bietet der Film sehr schöne Einblicke in Generationenproblematik, Sohn-Dasein, Männlichkeitsvarianten.

Harald Mühlbeyer

DVD: MOON


The Dark Side of the ...

In der Zukunft löst die Menschheit ihr Energieproblem durch Helium-3, das auf der Rückseite des Mondes abgebaut wird. Das geschieht weitgehend automatisiert unter der Kontrolle von Computer Gerty (mit der Stimme von Kevin Spacey). Ganz ohne Menschen geht es allerdings nicht: Sam Bell (Sam Rockwell) ist als einziger Arbeiter auf der Mondstation postiert und leistet die letzten zwei Wochen seines dreijährigen Dienstes ab. Bald wird er seine Frau und seine kleine Tochter wiedersehen. Direkt mit ihnen sprechen kann er nicht, eine defekte Satellitenverbindung erlaubt nur die Kommunikation über Videobotschaften. Die Isolation nagt an Sams Psyche. Er beginnt, mysteriöse Erscheinungen zu sehen, und verunglückt bei einer Kontrollfahrt. Auf der Krankenstation kommt er wieder zu sich, wird jedoch das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt. Gerty erklärt ihm nur, dass er aufgrund des Unfalls an Gedächtnislücken leide. Sams Misstrauen ist geweckt.

"There is no dark side of the moon really. / Matter of fact it's all dark." (Eclipse)

Wer sich nach gänzlich Spoiler-freier Kritik sehnt, dem sei Dennis Vetters SCREENSHOT-Beitrag vom Exground Filmfest 2009 ans Herz gelegt. Doch bitte keinesfalls einen Blick auf die Rückseite der DVD werfen (ärgerlich!). Wie gut, dass Duncan Jones‘ erster Langfilm zwar nach Mystery aussieht, aber sich letztlich viel mehr als ein melancholisches Drama herausstellt. Es geht nicht so sehr darum, was geschehen ist, die Kraft und Schönheit von MOON liegt vielmehr darin, wie der Film sich des einsamen Mondbewohners annimmt.

Sam definiert sich über die Familie, die er auf der Erde zurücklassen musste. Er arbeitet und lebt drei Jahre in völliger monotoner Einsamkeit. Seine einzige wirkliche Aufgabe besteht darin, gelegentlich zu den Erntemaschinen hinauszufahren, volle Rohstoffkartuschen abzuholen und diese zur Erde zu schicken. Sein Leben in der Station richtet er sich ein in der Hoffnung auf das andere Leben, das Zuhause auf ihn wartet, so wie die Fotos von seinen Liebsten, die überall hängen. Den schmuddeligen Funktionalismus der Station „Sarang“ hat er sich mit ein wenig Geborgenheit ausgefüllt. Im Traum sehnt er sich in goldenem Licht nach seiner Frau Tess. Doch in der Mond-Realität reißt ihn der Wecker aus dem Traum, aus dem ironischerweise ausschließlich „The One and Only“ von Chesney Hawkes tönt. Nur sachte angedeutet wird, dass es mehr als nur einen beruflichen Grund für sein Exil geben könnte. Tess denkt jedenfalls laut darüber nach, dass es richtig von ihm war, fortzugehen. Dem Vater seines Kindes wünscht man sicher keine drei Jahre Einzelhaft ohne Telefon.

I never said I was frightened of dying.” (The Great Gig in the Sky)

Im Audiokommentar, zusammen mit Produzent Stuart Fenegan, lässt Regisseur Duncan Jones keinen Zweifel daran, dass er seine Vorbilder kennt. Wenn Sam sich geduldig seinen Pflanzen widmet, die er in Essenskartons züchtet, und mit ihnen spricht, erinnert das nicht von ungefähr an SILENT RUNNING (1972) – außerdem heißen die Pflänzchen Ridley, George, Kathryn und Stanley. Kubricks 2001 drängt sich stark auf, ebenso wie OUTLAND, ALIEN oder SOLARIS (eher Soderbergh als Tarkovski, doch darüber lässt sich natürlich trefflich streiten). Es verwundert nicht, dass entlang dieser Kette an Referenzen (nicht nur) Sams Verdacht zunächst auf Computer Gerty fällt, der zwar mit Emoticons mit seinem menschlichen Mitbewohner interagiert – das hat er der roten Glühbirne von HAL voraus –, doch letztlich auch für dessen Überwachung verantwortlich ist. Er überlistet ihn und fährt hinaus zur Unfallstelle und findet seinen Doppelgänger dort eingeklemmt. Er rettet ihn.

Die Begegnung mit dem Fremden ist in MOON nichts anderes als die Begegnung mit sich selbst, die Reise eine existenzialistische. Jeder der beiden ist sich seiner Individualität und Erinnerungen völlig gewiss. Erst gehen sich Sam und Sam aus dem Weg, dann streiten sie, wer das Original ist und wer die Kopie, über einer Partie Tischtennis kommt es fast zu Handgreiflichkeiten. Sam Rockwell schafft es in dieser Doppelrolle, beide Figuren als unterschiedliche Charaktere zu entwickeln: Einerseits der gealterter Sam, gesetzter und müder, auf der anderen Seite der junge Sam, vitaler, aber auch aufbrausender, der nicht aufhören will, die Situation zu hinterfragen.

Die Begegnung mit seinem Doppelgänger konfrontiert Sam damit, wie er vor drei Jahren war. Der ältere bleibt das emotionale Zentrum des Films, denn er ist eine melancholische Figur und spürt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Also fährt hinaus, immer geradeaus und siehe da – Funkkontakt. Sam will, nein, er muss herausfinden, welche Wahrheit ihm bleibt. Er ruft Zuhause an. Clint Mansells sensibler Score weitet sich hier zu Sams ganz eigener Version des „Nach-Hause-Telefonierens“, öffnet den Raum zu einem elegischen Moment: Der kleine Mensch in seinem Spielzeugauto in der Mondwüste, die Erde direkt vor ihm und doch absolut unerreichbar. Es ist einsam dort oben. Jetzt noch mehr als vorher.

So wie Gerty lernen muss, dass Menschen keine Programme sind (ein versöhnlicher Moment), so muss auch Sam den Wert des Lebens neu entdecken. Beide Sams lernen voneinander und versöhnen sich in einer Art Vater-Sohn-Verhältnis. Sie haben beide die gleiche Tochter, die sie gleich lieben. MOON ist nicht die Geschichte von einem – sondern von zweien, die daran wachsen, dass sie in den Spiegel schauen. Darin gleicht der Film einem anderen modernen Klassiker, GATTACA, der auf einer ganz ähnlichen bittersüßen Note endet. Sams Reise ins Ungewisse, die er am Ende wirklich antritt, zitiert erneut Kubricks 2001, doch es ist nicht der Übergang in zeit- und ortlose weiße Räume, sondern die Reise nach Hause. Sam will endlich sein Leben zurück. Er hat lange genug gewartet.

Mathias Grabmaier

MOON (UK 2009)
Regie: Duncan Jones
Buch: Nathan Parker nach einer Idee von Duncan Jones
mit: Sam Rockwell, Kevin Spacey, Dominique McElligott, Kaya Scodelario, Benedict Wong, Matt Berry
Laufzeit: 93 min.
Sprachen: Deutsch und Englisch

Bonusmaterial: Trailer, Audiokommentar mit Duncan Jones, Kameramann Gary Shaw und den Designern Gavin Rothery und Tony Noble, zweiter (empfehlenswerter) Audiokommentar mit Duncan Jones und Produzent Stuart Fenegan
Zusätzliches Bonusmaterial der Special Edition: Kurzfilm WHISTLE von Duncan Jones, Making of Visuelle Effekte, Science Center und Sundance Festival Interviews

MOON ist erhältlich auf Blu-Ray, DVD und 2-Disc Special Edition
(Die Extras von Blu-Ray und DVD sind identisch)

FILMsZene - FIlmemachen in RLP oder: Ohne Moos nix los

Nicht nur, dass sich schon mit seiner Podiumsdiskussion bzw. dessen Titel "FILMsZene" das 11. FILMZ - Festival des deutschen Kinos allein typorgrafisch in unser Herz gekalauert hat, die Veranstaltung selbst verspricht auch inhaltlich Spannendes, berührt sie doch ein gerade in Rheinland-Pfalz wundes Thema: Die (hier nicht, zumindest nicht direkt existente) Filmförderung.

"Ohne Filmförderung kein Filmmarkt" lautet die Devise des Gesprächs von und mit regionalen Filimschaffenden. Gäste am Donnerstag, dem 24.11. im Instut Francaise (18.00 Uhr) sind Michael Schwarz von "Nachtschwärmerfilm", Tidi von Tiedemann ("Konstrastfilm") und Claudia von Tronnier (Redaktionsleitung ZDF - Das kleine Fernsehspiel). Aus der Politik gibt es Ulrich Steinbach als Medienpolitischen Sprecher Landtagfraktion Bündnis 90 / Die Grünen zu bestaunen, außerdem Tanja Machalet, SPD Arbeitskreisvorsitzende für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur. Heidi Schmidt von ARD Online moderiert. Vertreter aus Wirtschaft und Politik sind - laut FILMZ - eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen (was immer das jetzt heißen soll...).

Aber vielleicht kommt ja doch was bei raus, drum: Hingehen, kräftig Filmförderung fordern - vielleicht kommt nächstes Mal dann nicht "nur" eine Arbeitskreisvorsitzende, sondern Doris Ahnen, wer weiß.

zyw

FILMZ 2011 - Viel geboten!


Vielfältig wie nie, soll das FILMZ – Festival des deutschen Kinos sein, so versprechen es die Veranstalter. Ob das stimmt, können Sie selbst vom 23. bis 27. November hier in Mainz nachprüfen. Das Programm lässt sich auch im 11. Jahr (wieder) sehen: Im Landfilmwettbewerb präsentiert wird Brigitte M. Berteles bemerkenswertes Vergewaltigungsdrama DER BRAND (D 2010) mit einer eindrucksvollen Maja Schöne.

Außerdem: Das Trauerdrama TAGE DIE BLEIBEN (D 2011) von Pia Strietmann, in dem Götz Schubert, Max Riemelt und Mathilde Bundsch als Vater, Sohn und Tochter nach dem Autounfalltod der Mutter (Lena Stolz) im doppelten Sinne zu sich und einander finden müssen.

Und ebenfalls dank den FILMZern in Mainz das Exilanten- u. Schwarzarbeiterdrama DER ALBANER von Johannes Naber, Gewinner des diesjährigen Max-Ophüls-Preises.

Ist aber natürlich nicht alles Drama, auf dem 11. FILMZ, dafür sorgt schon die FILMZ-Vorfreudeparty in der Dorett-Bar am 17.11., die Kurzfilme, der FILMZirkel. Eröffnet wird das Festival übrigens mit SOHNEMÄNNER (D 2011) von Ingo Haeb, dem Vorfilm MEIN SASCHA (D 2010) von Markus Kaatsch und sicher einer ulkigen Ansprache von dem bald nicht mehr amtierenden Bürgermeister der Mainzelmännchenmetropole.

Ehrengast ist 2011 Hans W. Geißendörfer. Dem Mann mit der Mütze wird die Rückblende gewidmet sein (mit Filme wie die DIE GLÄSERNE ZELLE oder JONATHAN); live Rede und Antwort steht der „Lindenstraße“-Macher auf dem traditionellen Symposium im Hörsaal der Filmwissenschaft (Medienhaus, Samstag, 26.11., ab 13.00 Uhr).

Ein weiteres Highlight gibt es auch am Sonntag, dem 27.12.: Ab 11.00 Uhr morgens werden im Cinestar 7 hintereinander die drei Teile des Projekts DREILEBEN (D 2011) gezeigt: ETWAS BESSERES ALS DER TOD von Christian Petzold, KOMM MIR NICHT NACH von Dominik Graf und EINE MINUTE DUNKEL von Christoph Hochhäusler bauen aufeinander auf, hängen zusammen, und wie dies alles entstand und mit welchen Hintergedanken, das ergibt sich aus der anschließenden Szenischen Lesung des (E-Mail-)Briefwechsels der drei Meisterregisseure. Vom Team und der Produktion (bzw. Redaktion) wird dafür leider – anders als bislang angekündigt – dann niemand da sein.

Mehr - ach was: ALLES! - zum FILMZ hier: http://www.filmz-mainz.de/


zyw

KURSDORF auf Festivals

Neues zu dem kurzen Dokumentarfilm der "Nachtschwärmer"-Filmer Michael Schwarz und Alexander Grieser:

KURSDORF feierte am 10. November Doppel-Premiere auf dem Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest sowie auf dem den Flensburger Kurzfilmtagen, wo die u.a. mit Harry Rowohlt besetzte Fachjury dem Film eine lobende Erwähnung aus- bzw. zusprach.

Außerdem wird die Kurzdoku sowohl im Rahmen des exground filmfests Wiesbaden (19.11.2011, 18 Uhr, Murnau Filmtheater) und beim Mainzer FILMZ (25.11.2011, 17.30 Uhr, Cinestar)zu sehen sein. Und schließlich geht es mit KURSDORF auch nach Oberfranken: Die Doku wurde für den Dokumentarfilm-Wettbewerb der Bamberger Kurzfilmtage Ende Januar ausgewählt.

Grindhouse-Nachlese – Slasher zu Halloween

Samstag, 29.10.2011, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Friday the 13th“, USA 1980, Regie: Sean S. Cunningham.

„Madman“, USA 1982, Regie: Joe Giannone.



Da sitzen sie alle am Lagerfeuer, die Betreuer eines Camps und ein paar Kids, und einer singt eine Horrormoritat vom Killer im Dunkeln. Dann erzählt der Chef des Camps, passend zur Atmosphäre, die Geschichte des alten Bauern Marz, hässlich, fies, brutal, ein Säufer und Schläger, der eines Tages durchdreht und Frau und Kinder mit der Axt zerhackt. Ein Mob lyncht ihn, erhenkt entkommt er der Schlinge und streunt seither durch die Wälder. Und wer seinen Namen ausspricht, den holt er: Madman Marz.

Wie sich herausstellt: eine lebende Legende. Degeneriert und mehr Tier als Mensch, mit klobigen nackten Füßen, behaarten Klauen mit langen Krallen, einem fellähnlich behaarten Gesicht, gebücktem Gang tötet er die, die allein im Wald unterwegs sind. Mal mit einer Axt zugeschlagen, mal eine Schlinge flugs seinem Opfer von hinten um den Hals geschlungen; gefährlich auch, nachts den Pickuptruck reparieren zu wollen, den Kopf unter die Motorhaube zu stecken, wenn Madman Marz auf dem Autodach steht, bereit zum Sprung… Ein Kühlschrank bietet Sicherheit, nicht nur – siehe Indiana Jones – vor einer Atombombe, auch vor dem Wahnsinnigen; sofern man nicht zu früh die Türe aufmacht…

Da sitzt sie, die verängstigte Frau, wie ein kleines Zicklein im Versteck: Dieser Moment offenbart, was die Grundlage für diesen Film „Madman“ von Joe Giannone aus dem Jahr 1982 ist, was die Grundlage eines jeden Slasherfilms sein sollte: Der böse Wolf kommt, die Geißlein versuchen, ihr Heim zu verrammeln; vergeblich: sie verstecken sich voll tödlicher Angst, und sie werden doch eins ums andere gepackt und gekillt. Ein Muster, das im Horrorfilm lediglich um die Komponente eines weitläufigeren Geländes ergänzt wird, und um eine größere Eigenständigkeit der Geißlein, die im Slasherfilm dummerweise ihren eigenen Kopf haben und deshalb immer wieder alleine in den Wald gehen. Mit den besten Vorsätzen zwar – die Vermissten zu suchen –, aber mit fatalem Ergebnis. (Was nebenbei ein kleines Rotkäppchenmoment mit hineinbringt: Ich will mein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn mir's die Mutter verboten hat... Im Übrigen ist das Bäucheaufschlitzen – wie es in beiden Märchen vorkommt – das konstituierende (und titelgebende) Motiv des Genres, wenn’s auch vornehmlich nicht beim Bösen Wolf geschieht, sondern bei den bemitleidenswerten Opfern.)

Ein grandioser Slasherfilm ist „Madman“, von Ideenreichtum und Wirkung wie „The Burning“, aber dann doch nochmal interessanter – sind die Opfer doch nicht die Teenies, sondern die Betreuer, die sich wie Teenies verhalten, mit ihren kleinen Kabbeleien, mit ihren Sehnsüchten, mit ihren Beziehungskisten und Sexaffären. Dunkel ist der gefährliche Wald, unheimlich das halbverfallene Farmhaus, in dessen Keller Marz seinen Vorrat an selbstgefertigten Leichen anlegt, unmenschlich-grauenhaft ist der Killer; Regisseur Giannone spielt nach den Regeln, er weiß um die Regeln, er variiert sie und ironisiert sie mitunter, wobei der tongue-in-cheek-Ansatz dem Grusel nicht im Weg steht. Vor allem aber: Die Opfer wissen um ihr Schicksal, und der Zuschauer tut es auch. Denn zu Anfang, bei den Lagerfeuer-Horrorstories – das ist der Clou des Films – blendet Giannone sekundenkurze Flashforwards auf das spätere Schicksal derer ein, die sich da am Feuer so schön gruseln – und die später stolpern, schreien, fliehen und sterben werden.

Das ist der Unterschied zu „Freitag, der 13.“: Dieser gilt als einer der allerersten Slasherfilme, als der, der mit seinem immensen Erfolg dieses Subgenre so richtig angeschubst hat, der deshalb filmgeschichtlich legendär ist – und dem die Zeit nicht gut getan hat. Ein Eindruck, der durch die billige deutsche Synchro nicht gerade gemildert wird; der sich aber vor allem aus dem Film selbst ableitet. Denn: Die Teenager, die Crystal Camp wiederaufbauen wollen, werden vom Killer – den wir wegen subjektiver Kamera (die nie so schön glatt gleitet wie am Beginn von „Halloween“) nie sehen können – voneinander isoliert und dann aus heiterem Himmel gemordet. Ohne dass sie es selbst merken würden. Ohne dass irgendjemand im Film Angst hat. Sprich: Nicht sieben Geißlein, sondern zehn kleine Negerlein werden hier zum Opfer, die nichts wissen von ihrem Schicksal, die nichts ahnen, die einfach rumlaufen und plötzlich tot sind. Bis zu den letzten fünfzehn Minuten weiß keiner, dass da überhaupt irgendwo ein Killer ist!

Der Zuschauer weiß es. Das würde ja auch genügen, wenn der Film denn die Whodunnit-Formel erfüllen würde. Aber darum geht es eben auch nicht, denn der Killer ist keiner, den wir kennen, und kann auch keiner sein. Dafür taucht am Ende eine ältere Dame auf, die direkt aus einem Edgar Wallace-Film von 15 Jahre zuvor stammen könnte. Und am Ende ist alles eine Art umgekehrtes „Psycho“, mit einer Kinderstimme „Töte sie, Mami, töte sie“, die, so stellt sich heraus, die diversen (scheinbar mit sexueller Bedeutung aufgeladenen, weil phallisch ausgeführten) Morde generiert hat.

Man kann dem Film natürlich nicht vorwerfen, dass er zu formelhörig dem Genremuster folgt – er hat die Regeln ja erst aufgestellt. Aber wie es eben ist am Anfang einer Kette, wenn man sie im Nachhinein betrachtet: zu offensichtlich, zu plakativ werden die Motive und Elemente des Genres angeordnet, und das wird weder durch Witz oder Ironie noch durch übermäßige Gewalt aufgelockert. Klar: es gibt Momente von heftigem Blutvergießen, bei denen Special Make-Up Effects-Mann Tom Savini ganze Arbeit leistet. Aber immer nur für ein paar Sekunden, und ohne wirklichen Effekt auf die Atmosphäre, weil ja im Film keiner außer dem Getöteten was gemerkt hat. Dafür ergehen sich die Teenies in diversen Erforschungen der Sexualität, und das wird dann zuverlässig vom Killer bestraft. Als Final Girl übrig bleibt die mit der hochgeschlossenen Rüschenbluse.

Das natürlich ist eine der Grundregeln des Slashergenres, dass die Teenies mit sexuellen Interessen gemeuchelt werden – muss aber nicht unbedingt als reaktionär-moralisierend gebrandmarkt werden. Die Zielgruppe des Films sind halt Teenies, die müssen gekitzelt werden mit ein bisschen Sex und viel Gewalt, die zur größeren Effektivität miteinander verknüpft werden, nichts weiter. Denn am Ende wird alles eben doch anders aufgelöst, die Motive des Mörders sind nicht sexuell konnotiert, sondern dem Wahnsinn entsprungen. Dass dieser Wahnsinn real sein könnte – das legte den Grundstein für eine langlebige Filmreihe um Jason Vorhees, der dann in späteren Filmen eine Hockeymaske aufgesetzt bekam. Zehn weitere Teile des Franchises plus einer modernen Neuinterpretation: Das zeigt, wie viel Potential nach oben im ersten „Freitag, der 13.“-Film steckt. Während der „Madman“ ein Unikat blieb, das nicht hätte verbessert werden können.

Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage 2011 - Das Gute zum Schluss

Natürlich will ich nicht den Eindruck erwecken, die Filme in Hof seien irgendwie so lala, bestenfalls. Nein: Ein Filmfestival, das im ganzen Ort Resonanz findet, kann natürlich nicht schlecht sein. Auf dem Fußweg von einem zum anderen Kinogebäude kommt man an einem Laden vorbei, der letztes Jahr noch unter dem Beate Uhse-Label firmierte. Inzwischen hat er sich von der Kette abgehängt - doch noch immer, wohl aus Überzeugung, hängen während der Filmtage im Schaufenster Werbeplakate, Fotos von früheren Festivalgästen und Poster aktueller Filme - nein: keine Erotik! - im Schaufenster aus. Hochsympathisch, dass in Hof eigene Interessen hinter der Kultur als Allgemeingut hintanstehen (nur ganz klein das Schild mit dem Hinweis auf Dildoabende: "Einfach mal ohne Mann kommen".)

Die Titelfigur der französisch-belgischen Komödie "La Fée" ist auch selbstlos für alle da, eine Frau, die dem tolpatschigen Nachtportier Dom das Leben versüßt. Und einigen anderen auch. Zauberhaft, wie sie hineinschwebt ins Foyer, wie sie duldsam seinen Unwillen erträgt - sie ist die ca. zehnte Störung, will er doch eigentlich nur im Fernsehen Musik sehen -, wie plötzlich für sie der Aufzug wieder funktioniert, wie sie den Portier vor dem Erstickungstod rettet und ihm zudem drei Wünsche gewährt... Motorroller und lebenslange Benzinversorgung sind gar kein Problem für sie. Den dritten Wunsch muss sich Dom noch überlegen, sicher ist er aber, dass er die Fee liebt.
Zauberhafte Komik bestimmt den Film, ein Tanz unter Wasser oder auf dem Dach ist der direkteste Ausdruck der grundsätzlichen Musikalität, die "La Fée" innewohnt. Ein englischer Hotelgast, der seinen Hund in einem (ständig fortlaufenden) Köfferchen versteckt, ein quasiblinder Kellner in einer Kneipe, ein fliegender Mann, depperte Polizisten; ein vortrefflich ausgeführter Schuhraub aus einem Laden, eine findige Entführung aus einer Klinik, der inbrünstige Gesang einer Rugbyspielerin an der Theke - der Film findet stets einen weiteren bizarren Weg, um die Liebe, die Individualität, die Gemeinschaft zu feiern. Und ist immer unter der Folie des Clownesken inszeniert, als eine Art filmisches Straßentheater mit Comedy, Artistik, Tanz, Buntheit. "La Fée" spielt in Le Havre - und zusammen mit Kaurismäkis Film wirkt er beinahe als Touristikwerbung für die an sich triste Hafenstadt; zumindest für Menschen, die skurrilen, absurden, liebenswerten Humor mögen.

Eine Entführung aus dem Krankenhaus - das ist ein Motiv, das auch in Valerie Donzellis "La Guerre est Declarée" vorkommt (bei dem lustigerweise die Regisseure von "La Fée", Dominique Abel (der den Portier spielt) und Fiona Gordon (die Fee) neben mir saßen). Witzig ist der Film auch, aber nicht für sich, sondern weil seine Figuren ihren Witz behalten - inmitten des Dramas, in dem sie stecken. Romeo und Juliette - werden sie ein schlimmes Schicksal erleiden? Sie verlieben sich auf einer Party, bald ziehen sie zusammen, bekommen ein Kind, sind glücklich - doch das Kind erbricht sich oft, ist verschleimt, es kann mit 18 Monaten noch nicht laufen, eines Tages ist die rechte Gesichtshälfte gelähmt. Diagnose: Hirntumor. Doch anders als demnächst in Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke" (einem im übrigen hervorragenden, beklemmenden, direkten und sehr berührenden Film) ist in "La Guerre est Declarée" die Hoffnung mit der Diagnose nicht gestorben; doch der Weg ist schwer. Juliette und Romeo beginnen den Kampf, und auf subtile Weise flicht Donzelli eine Kriegsmetapher in ihren Film. Die Diagnose: Am Tag des Beginns des Irakkriegs. Spezialisten entwerfen einen Schlachtplan, die Familie wird zur Unterstützung mobilisiert, die Ärzte in ihren weißen Uniformen sind Generäle, die den Kampf aufnehmen.
Der Film konzentriert sich auf die Eltern, er ist mindestens soviel wie ein Krankendrama auch ein Liebesfilm. Und er ist humorvoll, und er ist emotional. Und er ist ehrlich: Die Regisseurin greift auf eigene, autobiographische Erlebnisse zurück. Dass sie dies nicht naturalistisch-realistisch tut, mit Betroffenheitsattitüde und Larmoyanz, sondern sehr frei, locker, leicht - das ist belohnt worden. Der Film ist der französische Oscar-Kandidat für 2012.

Wer das Pech hatte, 2002 "Kiss and Run" gesehen zu haben (Regie: Annette Ernst), der wird den Namen der Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin Maggie Peren nicht vergessen haben. Die z.B. auch "Napola" schrieb, der mit ein paar Schnitten und in schwarz-weiß beinahe auch aus den 40ern hätte stammen können; oder "Liebes Spiel" von 2005 - wieder mit Peren auch in der Hauptrolle -, ein Drama über Spielsucht, inkl. Liebesgeschichte; konventionelle Kost. In ihrer zweiten Regiearbeit (nach eigenem Drehbuch) hat sich Peren aber jetzt als tatsächlich gut herausgestellt, trotz des schwierigen Themas, das eine Menge Sentimentalitäts- und Betroffenheitsduselei-Fallen bereithält. Afrikanische illegale Flüchtlinge auf den Kanaren: Darum geht es in "Die Farbe des Ozeans", und speziell um José, einen der Zollpolizisten; um ein deutsches Touristenpärchen; um Vater und Sohn, die nach strapaziöser, fast tödlicher Überfahrt ins Flüchtlingslager gesperrt und auf die Abschiebeliste gesetzt werden; und denen die Flucht gelingt.
Wie sich die verschiedenen Wege kreuzen, wie sich die Figuren über den Weg laufen mit ihren verschiedenen Zielen, wie sich dabei die mitunter böse Ironie des Schicksals entfaltet: das ist perfekt orchestriert. José, der eine Abneigung gegen all die Schwarzen entwickelt hat, die da anstürmen, Zynismus, der aus Erfahrung gespeist ist; Nathalie, die Deutsche, die einfach nur helfen will, mit ein paar Flaschen Wasser, mit ein paar Kleidern, mit 500 Euro; Zola und sein Sohn, die ein besseres Leben wollen und tief in der Klemme stecken. Dass daraus kein verkrampftes Aufrüttel- und Gefühlskino geworden ist, liegt an Perens einfühlsamer Regie, die mit Zwischentönen, mit Ambivalenzen, mit Subtiliäten arbeitet. Und daran, dass der Film einerseits authentisch wirkt, andererseits aber an den richtigen Stellen das Filmische, das Dramaturgische zu seinem Recht kommen lässt, indem sie verdichtet, peronalisiert, zusammenfasst. Nur in einem lehnt sie sich etwas zu weit aus dem Fenster: José hat eine Junkie-Schwester, die offenbar nur dazu dient, um ihm am Ende der Handlung die ihm zugehörige Läuterung zukommen lassen zu können.

Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage 2011 - Unterirdisch

Der Keller: Das ist zunächst mal der Vorratsraum des Hauses. Das ist der Raum, aus dem sich der Alltag oben speist - ein inoffizieller Raum, ein heimlicher Raum, den Gästen verwehrt - sie sollen nicht wissen, ob der Wein, der kredenzt wird, tatsächlich der beste im Haus ist, oder ob die Erbsen-mit-Möhrchen-Dose MDH-mäßig schon lange abgelaufen ist. Im Keller holt man sich, was man braucht. Was bei Perversen zum Beispiel was anderes ist als die reine Speisung des Leibes oder das Waschen schmutziger Wäsche. Der Keller ist auch ein Vorratsraum, aus dem man sich etwas holen kann für die eigene Seele, für die eigene Lust; etwas, das verborgen bleiben soll. Deshalb ist in "Bastard" der entführte Junge, der sterben soll, in einem Keller eingesperrt. Und deshalb hat die Figur des Autors in Roland Rebers "Die Wahrheit der Lüge" zwei Frauen in seinem Keller, damit er sie quälen kann und an die Grenze treiben, auf den Gipfel, von wo aus sie - und er - die Wahrheit zu schauen erhoffen.

Was sich krude, unausgegoren, kindisch und exploitativ anhört, ist exploitativ, kindisch, unausgegoren und krude - und herrlich doof. Roland Reber - wir kennen ihn von "Engel mit schmutzigen Flügeln" 2009, zwei Frauen - Engel - rekrutieren eine dritte, um sie einzuführen in die Welt der Vollkommenheit, sprich: der Morallosigkeit, der unbedingten Selbsterfüllung, sprich: Sie soll sich überall durchficken, um sich selbst zu finden. Herrlicher Stoff für eine Mitternachtsvorstellung, unglaublich billig gemacht, mit miesen Schauspielern, offensiven Beinahe-Porno-Bildern und wahnsinnig schlechten - weil unbedingt philosophisch sein wollenden - Dialogen. Ein Film wie Stalingrad überlebt zu haben - man kriegt ihn nicht aus dem Kopf.

Ähnlich, aber noch dialoglastiger - also philosophischer, also noch doofer - ist "Die Wahrheit der Lüge", wo Frauen für das höhere Ziel, ein Buch über Grenzerfahrungen, gefoltert werden: Waterboarding, Pranger, diverse SM-Apparaturen; in den Ofen gesperrt, ans Kreuz gefesselt, in Abu Ghraib-Pose... der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, ja: die Grenze soll ja gesucht und erfahren werden, von wem, warum und welche Grenze überhaupt ist im Gesamtkontext egal. Hauptsache, Reber kann Lackleder-Motorrad (und SM)-Klamotten unterbringen und Frauen beim Pinkeln filmen - was offenbar zwei seiner Leidenschaften sind -, und Hauptsache, er kann seinen eigenen aktuellen philosophischen Stand der Dinge auf die Leinwand bringen; wobei interessanterweise Gedanken wie die obigen über Kellerräume - rasch hingepfuscht, um analytisch-theoretisches Denken vorzutäuschen - fehlen. "Wo ist die Grenze, wer ist der Zöllner?", heißt es einmal bedeutungsschwanger im Film, und: "Schreibe ich, oder werde ich geschrieben?", so zweifelt der Autor im Film an seinem seltsamen Projekt.

Was Reber im anschließenden Q&A auf sich selbst bezog: Irgendwann schriebe sich das Drehbuch von alleine, er wisse dann nicht, was alles bedeute. DASS es etwas bedeutet, daran hat er wohl keinen Zweifel. Was ein bisschen schade ist, weil der Film, wenn er so mit gedanklichem Ernst - selbst wenn die Gedanken nirgendwohin führen und/oder völlig banal sind - plötzlich nur noch halb soviel Wert ist. Es ist halt alles unglaublicher Schmonzes, was da auf der Leinwand zusammengetragen wird, der Autor hat eine Verlegerin, die unbedingt sein Buch will (warum auch immer), die ihn immer weiter treibt im Weitertreiben der Frauen, die auf immer bizarrere Weise körperlich und seelisch gequält werden. Was nur dadurch aus der Ecke der chauvinistischen Unmoral gezogen, also legitimiert ist, dass die beiden oft nackten Weibsen so schlechte Schauspieler wie alle sind, und dass sie alle mitsammen den Film gemeinsam produziert haben: WTP International ist wohl so eine Art Billigphilosophiefilmkommune. Alles hat den Appeal von Exploitation-Frauenfoltercamp-Filmen aus den 70ern, nur ohne Dschungel, in bunkerähnlichen Kellerräumen gedreht.

Grenze, Gipfel, Wahrheit sind Stichworte, und zwischendrin gibt es einen ernstgemeinten und einen comic-relief-Song. Letzterer: "Ich hab ne Zwiebel auf dem Kopf, ich bin ein Döner. Denn Döner macht schöner", gesungen in einer Kneipe. Ersterer: Ein unglaubliches Reimdichoderichfressdich-Liedchen mit total nachdenklichem Text, ich hab ein paar Fetzen mitgeschrieben: "Die Wahrheit der Lüge aus zartem Gefüge", "Aus liebenden Fragen wolln wir uns vertragen", "Ich lehr dir [sic!] das Beugen vor Scham fremden Leuten", "Wir schwingen in Tiefen wenn wir uns verliefen", "Was echt ist und nicht entscheidet die Sicht". Also alles Fragen, die die Menschheit seit Jahrtausenden bewegen, das alle in einem seltsam hedonistisch-De Sadeschen philosophischen Kosmos gewendet sind wie ein Schnitzel in Ei und Mehl, damit die Gedanklichkeit schön knusprig wird, und das Ganze als eine Art Selbsterfahrung gesehen, wenn man Reber richtig verstanden hat nachts um Viertel nach Zwei. Der der Bedeutung seines Films hinterherhechelt, und sie vielleicht irgendwann einholt auf seiner Harley.

Wir freuen uns jedenfalls schon auf die nächsten Werke, in der Pipeline sind unter anderem ein Film über die Hells Angels-Bandidos-Rockerszene und als Opus magnum der Film über den Zahnbürschdlmann.

Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage 2011 - Viva la Revolución!

Zugegebenermaßen habe ich meinen letzten Blogeintrag über "Bastard" nach dem Tippen und vor dem Hochladen nicht nochmal durchgelesen, dies aber jetzt nachgeholt und einen furchtbar gönnerhaften Satz, für den ich mich jetzt noch schäme, wieder rausgeschnitten. Meine Prognose aus der Filmtage-Vorankündigung dagegen hat sich am ersten "richtigen" Festivaltag gestern schonmal bestätigt: Krise und damit der Wunsch nach Umwälzung der Verhältnisse ist angekommen im Filmschaffen.

Irgendwie zumindest, wenn wir uns jetzt mal auf Konstantin Ferstls "Trans Bavaria" stürzen wollen, ein HFF München-Abschluss-Debüt, das zu Anfang recht charmant daherkommt - wenn auch grob- und großpixelig digital gedreht und projiziert. Wobei die schlechte Auflösung des Filmmaterials sich auch inhaltlich wiederfindet...

Wir lernen zu Beginn Quirinalis kennen, der sich nach dem römischen Senator nennt, um dem Spitznamen Quirl zu entgehen. Und dessen Berufswunsch Revolutionär ist, was sich sehr lustig in allerhand imaginären und imaginativen Bildern ausdrückt: Treffen mit Che, Wunschvorstellungen von Lenin, Gedanken ans Römische Reich (dem letzten funktionierenden Staat auf bayrischem Boden) - hier schöpft Ferstl gekonnt und originell an derselben Quelle wie Rosenmüller in "Wer früher stirbt...", lässt seinen Quirinalis auch überaus eloquent und literarisch-poetisch seine Weltsicht verbreiten, in der sich eine fundamentale Unzufriedenheit mit den Verhältnissen und der unbedingte Wunsch nach Veränderung ausdrücken. Was ja in der Tat vollkommen berechtigt ist, nicht nur, weil wir seit vier Jahren in einer unendlichen Weltwirtschaftskrise stecken.

Revolution ist die einzige Option, und der Film - bei all seinem Witz, bei all seinen gelungenen visuellen und pointierten Einfällen - geht bei diesem Wunsch, Gedanken, Ziel - zunächst - durchaus mit. Und zeigt auch, wie unmöglich Revolution sein kann, wenn die Eltern liberale Pädagogen sind und man feststeckt in der Provinz, und sich wenn dann noch das Schicksal gegen einen verschwört und eine Aktion bei der Abiturzeugnisverleihung völlig in die Hose gehen lässt. Die Lösung, die der Film aufzeigt, ist natürlich keine - ist aber immerhin ein Weg, auf dem sich eine Lösung, eine Loslösung von den repressiven Verhältnissen finden lassen könnte: Eine Reise nach Moskau, wo Fidel Castro, der letzte lebende Revolutionär, auf dem Roten Platz sprechen wird. Bis hierher könnte der Film also durchaus noch hinführen zu einem Roadmovie, das sich anlehnt an die Motorradreisen des jungen Che, in deren Anschluss ja tatsächlich der Umsturz, die Verwirklichung der Ideale stand.

Aber: Ferstl bewegt sich auf den Standpunkt von Quirinalis' Freundin zu, die in Castro den alten Deppen im Jogginganzug sieht. Und lässt die Reise vor allem zur Umkehr des Helden weg von den Fantastereien hin zu mehr Realitätssinn, zum Erwachsensein werden. Was natürlich - und darüber hat Ferstl wahrscheinlich gar nicht nachgedacht - eine völlige Denunzierung der Hauptfigur bedeutet, die in der ersten halben Stunde durchaus sympathisch mit ihren Spinnereien war, völlig integer und mit sich selbst im Reinen, die ihren Idealen nachhing und versuchte, diese Ideale im künftigen Leben verwirklichen zu können...

Lustig - wir sind ja in einer Komödie - sind die beiden Kumpels, der zigarrenrauchende, schnöselige Dandy Joker und der dickliche, bisschen prollige Metzgerssohn Wursti. Überzeichnet? Ja. Konventionell-bizarre Sidekicks? Ja. Aber: Mitrevolutionäre, und tatsächlich teilen sie ja den Wunsch nach einem Leben im Idealismus und nach einem Sein im richtigen Bewusstsein. Was der Film aber mehr und mehr als pubertären Quatsch abtut, als etwas, das aus der grundsätzlichen Verunsicherung in der Umbruchzeit zum Erwachsenwerden - kurz: aus dem Privaten und eben nicht aus dem Politischen - hervorwächst. Weshalb Ferstl den Weg der Läuterung seiner Figuren einschlägt, einer Läuterung, wie er sie versteht: Revolution, heißt es irgendwann mal, das bedeutet: sich mit den Freunden gut verstehen, die Eitelkeiten ablegen, die Heimat toll finden. Sprich: Für Ferstl - wie er es in seinem Film propagiert - bedeutet Revolution Anpassung, und vielleicht darf man sich mal heimlich über doofe Autoritäten lustig machen. Was natürlich ausgemachter Quatsch ist, aber typisch deutsch, wo ja, nach einem alten Bonmot, beim revolutionären Stürmen eines Bahnhofs vorher noch eine Bahnsteigkarte gekauft würde.

Konservativer, konterrevolutionärer Quark also, dieser Film - vermutlich aber vor allem, weil einem bayrischen Publikum keine Revolutionsagitation, auch nicht in Form einer Komödie, zugemutet werden darf, weil es einen Zwang zum Happy End gibt, das sich vor allem als Bestätigung des Status quo versteht, und weil "Trans Bavaria" unbedingt publikumsaffin sein will. Wobei sich die Frage stellt, was schlimmer ist: Eine grundsätzlich reaktionäre Grundhaltung zu haben, die Revolution als Unsinn denunziert, oder gar keine Haltung zu haben und lediglich dem Publikum lustigen Honig ums Maul zu schmieren zu versuchen.

Anders der österreicher Paul Poet, der mit seinem Dokumentarfilm "Empire Me - Der Staat bin ich!" den grundsätzlichen Verweigerern nachspürt, die selbst die Staatlichkeit, also das, was als Basis an sich gelten kann, in Frage stellen. Spinner sind das natürlich, sektenhafte Esoteriker oder künstlerische Punks - aber haben sie deshalb unrecht?

Poet steigt hinein in sechs Mikronationen, unabhängige Kleinststaaten, die quasi Privatnationen sind in Abkehr und Verweigerung der "normalen" Groß-Nationen. Auf einer Betonplattform vor Großbritanniens Küste - im Zweiten Weltkrieg als Artilleriestandort in die Nordsee gebaut - residiert die älteste Mikronation Sealand, gegründet in Internationalen Gewässern und seit Mitte der 60er Jahre eigenständiger, unabhängiger Staat. Anzahl der ständigen Bewohner: 2. In Australien hat sich die Hutt River-Nation losgelöst, nennt sich das zweitgrößte Land auf dem Kontinent, huldigt seinem Fürsten - und Gründer -, hat eigene Briefmarken und eigene Pässe und lebt von den Touristen, die diese Merkwürdigkeit eines Spinners besuchen wollen. In Norditalien hat sich eine seltsame Esoteriksekte eine Nation erschaffen, mit Ganzheitlichkeit, präatlantischem Leben, Außerirdischen und musizierenden Pflanzen; in Belzig, Ex-DDR, hat sich nach der Wende die Lebensgemeinschaft Zegg - Zentrum für experimentelle Lebensgestaltung herausgeschält, wo's vor allem um freie Liebe geht. In Kopenhagen hat sich mit Christiania ein besetztes Stadtviertel vom Rest der Stadt losgesagt, Hippies wohnen dort, Obdachlose und, nun ja, Dealer. Poet filmt das Leben dort - und eine Polizeiaktion gegen diese ständige, auch politische Provokation. Schließlich gibt es ein Kunstprojekt der schwimmenden Städte von Serenissima, selbstgebaute Flöße, die wie Schrotthaufen aussehen, auf denen die Punkkünstler leben. Kunstaktion, politische Aktion und eigene Nation in einem.

Eine Menge mehr solcher Mikronationen gibt es, einigen wird im Abspann gedankt, auch wenn sie gar nicht im Film auftauchen. Poet gelingt ein Einblick in die Abkehr, in die verwirklichte Revolution, in der sich Unbehagen, Individualismus, obskures Weltbild und/oder Vision für ein neues, anderes, besseres Leben ausdrücken. Ohne darauf herumzureiten, zeigt Poet die verschiedenen Beweggründe, die politisch, esoterisch oder exzentrisch sind, die aber alle etwas mit der Realisierung von Idealen zu tun haben: Was Ferstl filmisch in den Mülleimer kickt, unterstützt Poet mit seiner gelungenen Doku. Wobei in beiden Filmen - in ersterem ex negativo - ein vages, diffuses, brodelndes Gefühl für Aufbruch und Umbruch zu spüren ist. Und irgendwann wird es dann auch soweit sein.

Harald Mühlbeyer

Hofer Filmtage 2011 - Zur Eröffnung Psychospiele

Carsten Ungers Debütfilm "Bastard", der die diesjährigen Hofer Filmtage eröffnete, sieht super aus: Cinemascope, 35 Millimeter, ausgeklügeltes Setdesign mit kaltem Ambiente und sterilen Innenräume, aus denen Psychostörungen wachsen, und stimmungsvoll-symbolische Nacht- und Regenszenen, dazu eine kluge, leicht verstörende Kameraführung. Und der Film lässt sich auch inhaltlich sehr gut an, mit ein paar episodisch scheinenden Einblicken in Handlungsstränge, die sich erst später zusammenfügen sollen:
Da wird ein Junge in einem stockdunklen Keller eingesperrt, hämisch gefilmt mit Nachtsicht-Videokamera; ein lolitahaftes Mädchen baggert im Schwimmbad einen Familienvater an, mit einer bitchigen "Ich will"-Attitüde; und Martina Gedeck als Polizeipsychologin Claudia Meinert bahnt sich ihren Weg durch Matsch und Regen, wenn ihr auch ein tapsiger Polizist auf den Füßen rumtrampelt - Schirm und Gummistiefel fordert sie, zieht blitzschnell Schlüsse aus dem Inhalt eines aufgefundenen Schulranzens, klar, deutlich, geradlinig, professionell - nur eine persönliche Bemerkung: "Mit Kindern kann ich nicht."

Mit Kindern bekommt sie es aber zu tun. Da ist ein 13jähriger Junge, der seinen Namen verweigert, der sich den Eltern verweigert, der sich allem verweigert. Und Mathilda, das Mädchen aus dem Schwimmbad, das alles will und sich alles nimmt, mit allen Mitteln. Er: Aus reichem Hause, verwöhnt mit allem, nur nicht dem Nötige. Sie: Plattenbau, versoffene Nuttenmutter, Not und Elend im untersten Hartz-4-Milieu. Reichtum wie Armut erzeugen Vernachlässigung, emotionale Leere, deshalb tun sich der Junge und das Mädchen zusammen: Sie wollen das Opfer im Keller töten, kurz vor der Strafmündigkeit des kindlichen Entführers. Drei Tage noch.

Denn schnell ist klar: Der fremde Junge ohne Namen hat das Kind, Nikolas, entführt, und wegen Strafunmündigkeit leugnet er auch nicht. Nein: Er will Terror verbreiten, will alle in der Hand haben, die eigenen Eltern, die Eltern des Jungen, die Psychologin, die Polizei - und nun kommt der Film zu dem Punkt, an dem es spannend wird: Wenn Psychologin Meinert mit einsteigt in dieses Spiel. Der Täter und Mathilda nisten sich bei den Eltern des Opfers ein, spielen mit ihnen ein Spiel namens Familie - das geht beiden ja ab, das wollen beide erzwingen: ein Zusammensein, Bindung, Herzlichkeit. Erzwungen durch Angst und Erpressung. Meinert setzt sich dazu, spielt mit, nimmt das Heft in die Hand. Und enthüllt so langsam die tieferen Unter- und Hintergründe des bösen Jungen, der seinen Namen, seine ihm gegebene Identität verweigert.

Während sehr spannend ist, wie Meinert, die "Gute", das böse Spiel mitspielt, die Psychoterror-Sperenzchen selbst sicher beherrscht und die vernachlässigten Täterkids, die "Bösen", mit deren eigenen Waffen zu schlagen versucht, verwirrt sich der Film dann doch in allzuviel Küchenpsychologie. Reiche wie arme Kinder habens schwer, sie suchen ein Ventil, und sie suchen Anschluss; und wenn dann noch ungeklärte Geburtsumstände dazukommen und sich die eigene Existenz als Lüge herausstellt - dann wirds eben, wies ist, sagt der Film; und mitunter verirrt sich Unger in seinem eigenen emotionalpsychologischen Gebäude, versucht (vergebens) Mitgefühl mit den Tätern zu erzeugen, deren Handeln ja nun verständlich ist, und gerät bei diesem Verständlichmachen beinahe noch in diesselbe verdreht-gestörte Argumentationslinie des bösen Täterjungen, der andere - die Eltern, die Mutter - für sein Sein verantwortlich macht...

Zudem wird die Aufdeckung der wahren genetisch-elterlichen Verhältnisse beinahe wie ein Geheimnis offenbart; und man weiß nicht, wie ernst es Unger damit ist, die Hintergründe als Rätsel aufzubauen. Nunja: Das war's eben nie, der Zuschauer ahnt die Zusammenhänge bald - zumal ja der Filmtitel "Bastard" da recht hilfreich ist...

Der Film hat große Momente als Psychothriller, wenn er sich tatsächlich auf das Genre einlässt; wenn Martina Gedeck die Dämonen zähmen will, indem sie sich selbst auf dämonische Spiele einlässt etwa - eingedenk des an Nietzsche angelehnten Satzes, der einmal fällt: dass wer sich mit Ungeheuern einlässt selbst zum Ungeheuer werden kann.

Schön eingeflochten sind in diesen "Bastard"-Film auch kleine Momente, die an Tarantinos "Basterds"-Film angelehnt sind: Wenn der Eindringling ins Familienhaus betont freundlich - und deshalb umso bedrohlicher - ein Glas Milch erbittet; oder wenn das "Wer bin ich"-Spiel mit Zetteln auf der Stirn gespielt wird.
Wäre ich zuhause, würde ich an dieser Stelle aus Seeßlens weitgespannten Bastard-Meditationen in seinem letzten Tarantino-Büchlein zu "Inglourious Basterds" zitieren. Muss aber auch so gehen, ist ja hier nur spontaner Blog.

Harald Mühlbeyer