Die Passion Mickeys

THE WRESTLER von Darren Aronofsky.

von Christophe Braun


USA 2008, Regie: Darren Aronofsky; Buch: Robert D. Siegel; Kamera: Maryse Alberti; Musik: Clint Mansell; Produktion: Darren Aronofsky, Scott Franklin u.a.

Darsteller: Mickey Rourke (Randy), Marisa Tomei (Cassidy), Evan Rachel Wood (Stephanie), Mark Margolis (Lenny), Todd Barry (Wayne).

Verleih: Kinowelt GmbH
Laufzeit: 111 Minuten
Dt. Kinostart: 26.02.2009

IMDb-Link



Im Grunde genommen ist THE WRESTLER eine recht konventionelle Versagerballade. Sehenswert ist er wegen seiner naturalistischen Schärfe, die kaum ins Voyeuristische abzugleiten scheint. Darren Aronofsky erzählt knapp zwei Stunden lang von Randy „The Ram“ Robinson, einem alternden Wrestler, dessen größte Erfolge gut zwanzig Jahre her sind. Immer noch schleppt sich Randy an Wochenenden in den Ring, immer noch besiegt er seine Feinde mit dem „Ram Jam“, einem Sprung vom Leinenpfosten. Nach den Kämpfen fährt er nach hause in den Trailerpark; und wenn er die Miete nicht pünktlich zahlen kann, muss er im Heck seines Vans schlafen. Bis er nach einem Kampf, in dessen Verlauf er sich in Maschendraht und Glassplittern wälzt und mit Tackernadeln beschossen wird, einen Herzanfall erleidet. Er beschließt, das Wrestling an den Nagel zu hängen und versucht, den seit Jahren abgebrochenen Kontakt zu seiner Tochter wieder aufzunehmen. Da wird er zu einem letzten großen Kampf aufgefordert …

Die paar Wendungen, die der Film sich leistet, sind vorhersehbar, dennoch ist die Geschichte packend, was in erster Linie an den hervorragend besetzten Darstellern liegt. Rourke (weniger), Evan Rachel Wood und Marisa Tomei bemühen sich, die Geschichte nicht ins Pathetische abrutschen zu lassen. Aronofsky zeigt Randys Welt mit all ihren Hässlichkeiten, die von der Kamera Maryse Albertis in grobkörnigen Bildern festgehalten werden. Aber die größte Hässlichkeit ist natürlich Randy selbst. Der Film bezieht einen Großteil seiner Anziehungskraft aus der Faszination des Hässlichen, Deformierten, der geschundenen, blutenden Körper. Insofern ähnelt er Mel Gibsons THE PASSION OF CHRIST; beides sind Körper- und Fleischfilme, sie riechen nach Schweiß und Blut und inszenieren die körperliche Dekonstruktion ihres Helden. Auch THE WRESTLER erzählt eine Passionsgeschichte.

Dennoch: Darren Aronofskys THE WRESTLER ist ein Monster von Film. Wenn Mickey Rourke seinen zerstörten und irgendwie wieder zusammengeflickten Körper in den Ring schleppt, wo er sich in Randy „The Ram“ Robinson verwandelt, dann steht zugleich Rourke selbst im Ring. Und die naturalistische Darstellungsweise hat eben doch etwas Voyeuristisches: Alle Beteiligten wurden nicht müde, die Parallelen zwischen Randy und Rourke zu betonen, und die meisten Kritiker stimmten ein: „Witness the ressurection of Mickey Rourke“, schrieb die Newsweek. Der Satz strahlt inzwischen von den meisten Postern. Die Botschaft, die er kommunizieren will, ist eindeutig: Schaut Euch Rourke an, einst einer der gefeierten Engel Hollywoods, in den Neunzigern abgestürzt mit einer erfolglosen Karriere als Profiboxer – jetzt ist er heimgekehrt, der verlorene Sohn Mickey; und aller Schmerz, alle Wut, alles Versagen bündelt sich in dieser einen Figur, in Randy „The Ram“. Diese Botschaft wird von Seiten der Filmschaffenden wie von den Kritikern so gründlich hoch- und runtergebetet, dass es schier unmöglich ist, den Film objektiv, ohne Rücksicht auf den Werdegang seines Hauptdarstellers, zu betrachten. Und das ist das Problem: Der WRESTLER, der Golden Globes gewonnen hat und für den Oscar nominiert war, ist womöglich ein bizarres Zwitterwesen aus Film und Realität. Es wird ein paar Jahre brauchen, ehe man ihn, unvoreingenommen von der Ikonographie Rourkes, sehen kann.

THE WRESTLER ist ein Hybrid zwischen Film und Wirklichkeit. Er bezieht seine Faszination aus dem schonungslosen Realismus, mit dem er seinen Hauptdarsteller in Szene setzt – ein Film, der gleichermaßen Anleihen macht bei MILLION DOLLAR BABY und FRANKENSTEIN.

Screenshot REGION - Aktuelles

NEUIGKEITEN AUS DER REGION:


Deutsches Filminstitut übernimmt Filmarchiv von X Filme Creative Pool.

Das Deutsche Filminstitut (DIF) in Frankfurt übernimmt das Filmarchiv der Produktionsfirma X Filme Creative Pool in seine Sammlung, um es archivarisch zu sichern und die wissenschaftliche Auswertung u.a. von Produktionsunterlagen bieten zu können. Die Arbeiten an einem umfangreichen Ausstellung- und Publikationsangebot in Frankfurt haben schon begonnen.

Von X Filme stammen Produktionen wie LOLA RENNT (1997/98), GOODBYE, LENIN! (2003) oder ALLES AUF ZUCKER! (2004/05); von ambitionierten Regisseuren wie Sebastian Schipper (ABSOLUTE GIGANTEN, 1999), Achim von Borries (WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN, 2004) und Nicolette Krebitz (DAS HERZ IST EIN DUNKLER WALD, 2007) sowie etablierten Regisseuren wie Michael Klier (HEIDI M., 2001; ALTER UND SCHÖNHEIT, 2009), Oskar Roehler (AGNES UND SEINE BRÜDER, 2004; LULU & JIMI, 2009) und Michael Haneke (DAS WEIßE BAND, 2009).

Über den im Jahr 2000 gegründeten X Verleih werden auch internationale Independent-Filme wie AMORES PERROS (2000), IRINA PALM (2007) und THE COUNTESS (2009) herausgebracht.

(Quelle: DIF)

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Nachtschwärmer Film mit DOLCE VITA auf der Visions du Réel


Kaum dass die Premiere rum ist, wurde nun der kurze Dokumentarfilm DOLCE VITA mit dem FBW-Prädikat „wertvoll“ ins Programm der Visions du Réel aufgenommen.

Visions du Réel ist eines der bedeutendesten, auf den internationalen Dokumentarfilm spezialisiertes Filmfestivals in Nyon. Dieses Jahr findet es vom 23. bis 29. April 2009 statt. „Dolce Vita“ wird als Internationale Premiere in der Sektion "Tendances" präsentiert.

Zuvor ist der Film von Michael Schwarz und Alexander Griesser allerdings noch im Wettbewerbsprogramm des 10. Landshuter Kurzfilmfestivals (25.–29.3.) zu sehen.

Infos zur Vision du Réel HIER,

zu Nachtschwärmer Film HIER


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Mit der Mainzer Kinolandschaft gehts bergauf!

Letztes Jahr schloss das „Capitol“ in Mainz – ein weiterer Niedergang in Sachen anspruchsvolles Kino in der „Medienstadt“, die nicht zuletzt von einer regen Filmwissenschaft und -praxis geprägt ist.

Drei Mainzer Filmstudenten wollen nun das Kino im Bleichenviertel wieder aufleben lassen und in Mainz ein Kleinkunstzentrum schaffen, dessen Fokus zwar weiterhin auf Filmvorführungen liegt, das aber auch Platz für Lesungen oder Kabarett bietet.

Eduard Zeiler, einer der drei Projektinitiatoren:

„Zum Einen werden wir natürlich die ‘normale’ Programmkino-Palette zeigen, wie es sie auch im CinéMayence oder dem Caligari zu sehen gibt. Zum Anderen wollen wir aber auch so genannte ‚Crossover’-Filme zeigen. Das sind vom Konzept her eigentlich Independent-Filme, die aber mit großer Produktion und oft auch bekannten Schauspielern umgesetzt wurden.“

Ganz konkrete Kooperationen mit der Uni und der FH sind ebenfalls vorgesehen: „Filmwissenschaftsstudenten zum Beispiel möchten wir für verschiedene Veranstaltungen eine Plattform bieten, die es so in Mainz noch nicht gibt“, so Zeiler

Allerspätestens Anfang März soll der erste Film im neueröffneten Kino laufen.

Das Interview mit Eduard Zeiler HIER.

(Quelle: http://onlinejournalismus.wordpress.com/)

Berlinale 2009

von Harald Mühlbeyer


Über 270.000 verkaufte Kinokarten auf der diesjährigen Berlinale, das ist neuer Rekord. In 1238 Vorführungen wurden 383 Filme gezeigt – das macht pro Film ca. 218 verkaufte Tickets; dazu kommen 20.000 Akkreditierte, die ebenfalls in die Säle strömen. Und da es hier um Durchschnittszahlen geht, kann man sich vorstellen, welch ein Gedränge es manchmal im Einlassbereich gab.

Lesen Sie mehr über das Gedränge und die Filme, die sich dahinter verbargen: HIER!

Zirkelschlüsse

Evi Hallermayer: Filme analysieren – Kulturen verstehen. Über Akira Kurosawas „Yojimbo“ und seine beiden Remakes „Per un pugno di dollari“ und „Last man standing“. UVK, Konstanz 2008. 49,90 EUR.

von Harald Steinwender



In Anbetracht dieser Wandlungen, Übernahmen und Variationen ist das Thema geradezu prädestiniert für eine cultural study, die dem Kulturtransfer und den darin wirksamen Techniken der Aneignung und Umformung nachspürt. Insoweit ist eine Studie wie Evi Hallermayers Filme analysieren – Kulturen verstehen durchaus begrüßenswert. Leider überzeugt die vorliegende Arbeit, die sich ausschließlich auf Kursosawas, Leones und Hills Varianten konzentriert, nur eingeschränkt...

Lesen Sie die Kritik HIER

Reingeschaut: RUNDGANG 2009 (Filmklasse der Kunstakademie Mainz)

Filmpraxis zum Anfassen

von Dennis Vetter





Am 6.2. war es wieder soweit. Wie jedes Jahr präsentierte die Filmklasse der Kunstakademie Mainz ihren neuesten Output. Und als ob die 15 Kurzfilm-Kleinode des Programms ASPECTS OF FILM sowie das separate Dokumentarfilmprogramm VIVA! nicht schon ein ausreichender Grund zum Besuch gewesen wären, gab es sogar noch Weiteres zu entdecken. Im Rahmen des RUNDGANG 2009 wurden zusätzlich zwei Videoinstallationen von Jonas Etten und eine Lesung von Sebastian Linkes DAS AKADEMION. EINE GESCHICHTE ÜBDER LIEBE, KUNST UND WURST geboten. Nach der dem letzten Programmpunkt des Tages, der Präsentation des Kurzfilmprogramms zur Prime-Time, wurden die angeregten Besucher dann durch ein Konzert der Band BILLION DOLLAR HANDSHAKE so richtig in Gang gebracht und dabei mit feuchtfröhlichen Verlockungen zu Tratsch und Tanz in der Akademie animiert.

Das präsentierte Sammelsurium von Filmen der Studierenden und Absolventen zeichnete sich durch eine recht große inhaltliche wie produktionstechnische Bandbreite aus. So bot beispielsweise der Film RAPGAME von Steven Batesaki einen ironischen Kommentar zur medial geprägten Musiklandschaft, in dem er die Karriere zweier fiktional überspitzter Klischee-Rapper und ihre Auseinandersetzungen miteinander zeigte, begleitet von passenden Klingeltonwerbespots und geschickt montierten Medienberichten, fingierten Fankommentaren und Interviews – ein schräges Vergnügen zwischen amateurhaft wirkenden Dokumentarbildern und tricktechnischen Verrücktheiten.

Noch weitaus bunter und stilistisch gewagter waren einige der experimentelleren Filme, wie Vladimir Mladenovs WALK ON NEON, inszeniert als Musikvideo, der wohl am ehesten mit einem rohen LSD-Video-Trip zu vergleichen ist, oder der durch und durch bunte COLORANDO (Till Jürgens). Wie es sich für die Filmklasse einer Kunstakademie gehört, war der Experimentalfilm während des ganzen Programms durchgehend präsent und die entsprechenden Vertreter wirkten dabei besonders eindrucksvoll. Hier sind neben den eben genannten vor allem auch die Percussion-Plansequenz KALIMBA von Nils Hillebrand sowie FESTIVAL II (Danilo Vogt), der das Cannes-Festival im wahrsten Sinne des Wortes als ‚filmisches Kaleidoskop’ darstellte, zu nennen.



Auch der Dokumentarfilm kam nicht zu kurz. Das VIVA! Programm wusste mit einer großen Vielfalt zu begeistern und auch bei der Kurzfilmpräsentation schlichen sich mit FASS (Sabine Ermann) und dem fabelhaften DOLCE VITA von Routinier Michael Schwarz zwei Dokus ein. DOLCE VITA, als letzter Film des Tages, führt die Zuschauer mit unaufgeregten Bildern durch einen leeren Swingerclub. Dabei läßt er die gut gelaunten Besitzer des Etablissements die eigene Geschichte sowie die des Ortes und seiner Besucher erzählen. Der Film zeigte dabei keinerlei ‚Action’, sondern er schilderte respektvoll und minimalistisch, vor allem ohne jeden Voyeurismus, was sich zu Besuchzeiten in den Räumen abspielt und was die Menschen im Club und vor allem diejenigen außerhalb des Clubs daran reizt – alles Weitere blieb der Fantasie des Zuschauers überlassen.

Insgesamt blieben die Filme nicht nur als sehenswert, sondern vor allem als anregend im Gedächtnis. Anregend zum Nachdenken über die dargebotenen Inhalte und nicht zuletzt über das Filmemachen an sich. Das rund einstündige Programm am Abend und die Dokumentarfilm-Packung zur Mittagszeit förderten den Ehrgeiz, eigene Filmpläne irgendwann genauso gelungen umzusetzen, weckten beim Einen oder Anderen vielleicht auch die Überzeugung, es ohne Kunststudium bereits besser zu können – mit Sicherheit aber bei nicht Wenigen den Drang, die nächstbeste Kamera, vor der Kamera zu stehen oder selbst im Regiestuhl zu sitzen und es schnellstmöglich herauszufinden.

Der RUNDGANG 09 bot anspruchsvolles und ansprechendes Kino und blieb konsequent auf Augenhöhe. Während des Sehens hat sich wieder einmal bestätigt: Die Auseinandersetzung mit dem Kurzfilm und das vor allem im kreativen Kontext einer regionalen Filmszene ist eine der fruchtbarsten Möglichkeiten, sich in dem Kino theoretisch wie auch praktisch zu nähern. Und ebenfalls hat sich bestätigt: Auf diesem Gebiet stellt die Filmklasse eines der wesentlichen Foren in Mainz dar. Als kleiner Ausblick nebenbei: Filmpraxis-Interessierte können sich übrigens auch die Aktionen des PENGLAND!-Vereins einmal genauer ansehen, der die lokale Kurzfilm-Landschaft hin und wieder mit seinen ‚Kino in 48 Stunden’-Aktionen kräftig ankurbelt.

Filmfestival Max Ophüls Preis 2009



Das diesjährige Filmfestival Max Ophüls Preis feierte seinen 30. Geburtstag. Und wie das so ist mit Geburtstagen: Mal gab es grandiose Geschenke, mal gibt’s Quatsch. Der Wein war besonders gut – und der Kuchen leider nix geworden. Die Leute gingen zu früh, alle auf einmal, einer nach dem anderen. Dann wieder wollte man eigentlich gar nicht heim ...

Den ersten Teil des Festivalberichts von unserem Redakteur Bernd Zywietz gibt es HIER, den zweiten HIER.

Das Kino der Hoffnungslosigkeit

Wojciech Kuczok: Höllisches Kino. Über Pasolini und andere. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 136 Seiten. 9 €. ISB-N: 978-3-518-12542-7

von Christophe Braun



Wojciech Kuczoks (*1972) Roman Gnój (dt. Dreckskerl) erregte 2003 großes Aufsehen in Polen und erhielt ein Jahr später die Nike, die wichtigste literarische Auszeichnung des Landes. Die Geschichte einer unglücklichen Jugend in den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, das düstere Portrait einer Familie, die unter der Tyrannei des gewalttätigen Vaters leidet, war ein großer Erfolg in Polen. Die Übersetzung erschien 2007 bei Suhrkamp und fand auch in Deutschland wohlwollende Beachtung.

Doch Kuczoks Interessen erstrecken sich weit über die Romanschriftstellerei hinaus: Bereits in den Neunzigern hat sich der junge Journalist einen Namen als Filmkritiker gemacht. Daneben verfasste er selbst das Drehbuch zur preisgekrönten Verfilmung von Gnój – PRĘGI (2004) von Magdalena Piekorz. Inzwischen promoviert der Filmwissenschaftler an der Jagiellonen-Universität in Krakau.

Kurzum, es war für den Suhrkamp-Verlag, wollte er das gesamte Schaffen seines neuerworbenen Autors berücksichtigten, eigentlich eine Notwendigkeit, einen Band Essays zum Film ins Programm zu nehmen. Das ist nun geschehen, und das Ergebnis, Höllisches Kino, ist verwirrend.

Zunächst der Untertitel: Über Pasolini und andere. Dabei handelt es sich schlicht um einen Verkaufstrick: Vom großen, bösen, letzten Film des italienischen Filmemachers, von SALÒ, ist auf insgesamt vier von 136 Seiten die Rede. Davon abgesehen sucht man vergebens nach Verweisen auf Pasolini. Man kann's dem Verlag insofern nachsehen, als auch von den anderen Regisseuren, die hierzulande bekannt sind – Antonioni, Bergman, Greenaway, Haneke, Noé, von Trier, Weir – sehr wenig und meist nur in Halbsätzen gesprochen wird. Kuczok konzentriert sich auf das polnische Kino, und zu meiner Schande muss ich gestehen, keinen einzigen der von ihm besprochenen Filme gesehen zu haben. Die da wären, insbesondere: DAS LEBEN ALS EINE GESCHLECHTLICH ÜBERTRAGENE TÖDLICHE KRANKHEIT (2000) und SPIRALE (1978) von Krzysztof Zanussi. Hätte Suhrkamp das schmale Bändchen mit dem Untertitel „Über Zanussi und andere polnische Independent -Filmer“ versehen, es hätte sich zweifellos schlechter verkauft, aber wenigstens hätten Inhalt und Verpackung zusammengepasst.

Kuczok ging beim Schreiben anscheinend davon aus, dass die Filme nicht allein mir, sondern seiner gesamten Leserschaft gänzlich unbekannt seien, denn er liefert zu praktisch allen besprochenen Werken umständliche (und mitunter verwirrende) Inhaltsangaben. Dass er sich hierbei, wie überhaupt im ganzen Buch, einer teils arg gekünstelten Sprache bedient, trägt nicht gerade zum Lesevergnügen bei. Zum Beispiel seine gelegentliche Schwäche, Wichtiges großzuschreiben, etwa so:

Hiernonymus Bosch hat damit nicht die Hölle gezeigt, er hat sie geschaffen, eine HÖLLE (mit Großbuchstaben geschrieben im Namen der KUNST, und kursiv), denn wenn wir ästhetischen Genuss schöpfen angesichts dieser Wahnsinnsvision, dann sind wir eher im HIMMEL ...“ (S. 9)

Aus dem Satz wird deutlich, dass man von dem Autor keine kritische Würdigung der besprochenen Filme erwarten darf. Nichts liegt ihm ferner als Kritik. Stattdessen taucht er ein in den Kosmos seines „höllischen Kinos“ – die besprochenen Filme handeln von Tod, Krankheit, Verzweiflung, alles unter dem Paradigma der Ausweglosigkeit – und versucht, die psychische Entwicklung der Protagonisten mittels seiner Prosa nachzuvollziehen. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Kuczoks Augenmerk liegt fast ausschließlich auf den Protagonisten. Selten geht er darauf ein, wie – also, mit welchen filmischen Mitteln – sich ein Regisseur seinem Thema nähert.

Verwirrend ist weiterhin seine Verwendung des Begriffs „Hölle“, den er auf den ersten Seiten erläutert: „Um einen Film über die Hölle zu machen – mehr noch, einen höllischen Film -, muss man sich an die Worte Pasolinis kurz vor seinem Tode halten und sie so konsequent in die Tat umsetzen, wie er selbst es in Salò getan hat: ‚Was die Künstler machen müssen – und die Kritiker verteidigen und alle Demokraten in einem entschlossenen Kampf von unten unterstützen müssen -, sind Werke, die so extremistisch sind, dass sie selbst noch für die aufgeschlossensten Ansichten der neuen Macht(-haber) inakzeptabel sind.’“

Aber im weiteren Verlauf verliert er diese Orientierung aus den Augen. Mögen Filme wie SALÒ und IRREVERSIBLE noch dem Konzept des Autors entsprechen, so trifft das auf DAS LEBEN ALS EINE GESCHLECHTLICH ÜBERTRAGENE TÖDLICHE KRANKHEIT scheinbar nicht zu, handelt der Film doch von einem Arzt, der von seinem bevorstehenden Tod erfährt und sich schließlich seinem Schicksal fügt. Inwiefern ist das höllisch im Sinne der oben genannten Definition? Während Zanussi sich seinem Thema behutsam nähert, die Psychologie seines Protagonisten in den Mittelpunkt stellt, bleiben die vermeintlichen Protagonisten bei Pasolini stets austauschbare Schablonen, Figuren in einer Versuchsanordnung, hinter der sich eine beißende Kritik am Konsum verbirgt. Die Filme könnten unterschiedlicher nicht sein, es verbindet sie einzig die zentrale Stellung des Todes und – was für Kuczok anscheinend wichtig ist – ihr zu Unrecht schlechter Ruf. Wie schreibt er in der Vorrede:

Wenn ich also, statt von einem mutigen Film, vom Werk eines kranken Geistes, einem abscheulichen und abartigen Film höre und gleichzeitig weiß, dahinter steht ein Regisseur von anerkannter und bewährter künstlerischer Potenz, ergreift mich ein wahrhaft höllischer Wissensdrang, und ich eile im so schneller ins Kino, je zahlreicher die perplexe Herde der Kinomanen in die entgegengesetzte Richtung strömt.

Ist es das, was er mit „höllisch“ meint: Verrufen, gefürchtet, verboten etc.? Diese Botschaft wäre natürlich ein kleines bisschen billig.

Die letzten beiden Kapitel fallen völlig aus dem Rahmen, weil Kuczok darin sein eigenes Schreiben, seine eigenen Erfahrungen mit dem Filmemachen thematisiert. Das letzte Kapitel hat Tagebuchcharakter und bestätigt den Eindruck, es hier mit einer Sammlung teils gelungener, teils sehr unausgegorener Essays zu tun zu haben, die in das titelgebende Korsett gezwängt wurden.

Man könnte fast sagen, Kuczoks Essays handeln weniger von den Filmen selbst, als dass die – untereinander völlig verschiedenen - Filme Ausgangspunkte sind für die gedankliche Auseinandersetzung des Autors mit dem Tod. Am Ende weiß man ein bisschen mehr über polnisches Independent-Kino und viel mehr über die Ansichten des Autors über Tod, Krankheit, Verzweiflung etc. Nicht uninteressant, aber angesichts der Erwartungen, die man hegte, als man das Buch aufschlug, doch ziemlich unbefriedigend.

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Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? - Eröffnung der H.R. Giger-Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum



Kunst - Design - Film. Unter diesen Schlagworten präsentiert das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt seine Sonderausstellung zum Künstler H.R. Giger, die am 20. Januar mit prominenten Gästen eröffnet wurde. Nicht nur war der Künstler selbst in Begleitung von engen Freunden und seiner Gattin anwesend, sondern Claudia Dillmann, die Direktorin des deutschen Filminstituts, und Ausstellungsleiter Hans-Peter Reichmann konnten auch den schweizerischen Generalkonsul Julius F. Anderegg und den Giger-Experten Dr. Carlos Arenas begrüßen, die beide wohlwollende Worte zum ambitionierten Projekt des Museums und zu Gigers Schaffen insgesamt mitbrachten und damit sowohl Appetit auf eine erste Besichtigung der Ausstellung als auch auf das zur Eröffnung vorbereitete Schweizer Büffet machten.

Garniert mit Speis’ und Trank wurde Gelegenheit geboten, einen ersten Blick auf die gelungene Sonderausstellung zu werfen und sich darüber hinaus bei Meister Giger höchstpersönlich ein Autogramm abzuholen. Den Abschluss des Abends bildeten zwei Dokumentarfilme, die zahlreiche Interessierte in den hauseigenen Kinosaal lockten. Gezeigt wurden „Giger’s Alien“ (1979), mit dem der Künstler selbst die Dreharbeiten zu Ridley Scott’s “Alien“ kommentierte, und anschließend Fredi M. Murers „Passagen“ von 1972, eine essayistische Auseinandersetzung mit Gigers künstlerischer Motivation sowie seinen Themen, Motiven und Arbeitsweisen.

Hans Ruedi Giger (geb. 1940 in Chur) beginnt in den sechziger Jahren kurz nach einer vierjährigen Designausbildung seine Tätigkeit als freier Künstler und findet ein Forum in diversen Undergroundmagazinen. Bis heute hat er eine imposante Zahl von Kunstwerken, darunter vor allem Malereien und Skulpturen, geschaffen, die eine einzigartig düstere Eleganz besitzen. Er verbindet Metall, Holz oder Kunststoffe unter anderem mit Knochen bzw. Schädeln und hat sich für seine Bilder die Airbrush-Technik angeeignet, die er aus freier Hand ohne die sonst üblichen Schablonen einsetzt. In seinem Kosmos finden sich kalte, dunkle, lebensfeindlich anmutende Raumkonzeptionen, höhlenartige Strukturen und endlose Korridore, die scheinbar endlos in die Tiefe reichen. Sind seine Räume bevölkert, dann vor allem von seinen so genannten ‚Biomechanoiden’, von Lebewesen, die ein Verbindung aus Technik und Fleisch darstellen und die meist mit Symbolen von Tod, Gewalt, Geburt und Sexualität verknüpft sind.

Im Zentrum der noch bis zum 17. Mai dauernden Ausstellung stehen dem Titel entsprechend H.R. Gigers filmbezogene Arbeiten, die bisher wohl am eindrucksvollsten in Ridley Scotts „Alien“ (1979) zur Geltung kommen konnten. Für seine Arbeit an dem Klassiker wurde Giger 1980 mit dem Oscar in der Kategorie ‚Best Achievement in Visual Effects“ belohnt. Der Künstler ermöglichte durch detailliert ausgearbeiteten Kreaturen und Sets eine bis dahin einmalige Verbindung von Design, Kunst und filmischen Ausdrucksmitteln und konfrontierte die Zuschauer weltweit mit einem nie dagewesenen, in sich enorm ausgereiften Grauen, das sich vor allem im Kopf ausbreitete. Weitere Arbeiten folgten, Giger wirkte an Filmen wie „Species“ (1986) oder „Poltergeist 2“ (1995) mit und fertigte mit viel Detailverliebtheit zahlreiche, zum Teil leider nie realisierte Entwürfe an. Zu sehen sind neben Kostümen, Skizzen, Requisiten und Modellen zu den genannten Filmen auch weniger bekannte Arbeiten, wie beispielsweise das abstrakte außerirdische Wesen zum Film „Swissmade 2069“ (1968) oder Möbelstück-Designs für Alejandro Jodorowskys sagenumwobene, leider gescheiterte „Dune“-Umsetzung.



Ergänzend zu Gigers rein filmbezogenen Arbeiten finden sich auch zahlreiche Originalgemälde, die in ihrer imposanten Größe stets sehr sehenswert sind, dabei den Betrachter gleichermaßen anziehen wie abstoßen und in jedem Fall ein angenehm ‚mulmiges’ Gefühl im Magen hinterlassen. Außerdem präsentiert das Filmmuseum seltene, teils noch nie ausgestellte Fundstücke aus Gigers Haus in der Schweiz. Frühe Arbeiten, Tagebuchseiten und sogar Kinderzeichnungen dokumentieren seine frühe Entwicklungsphase sowie die Dreharbeiten zu „Alien“ und rufen so ein wenig den Menschen hinter dem Grauen ins Bewusstsein – was bei vielen Ausstellungen leider nur zu gerne ausgespart wird.

Trotz des begrenzten Platzes kann also ein recht repräsentatives Spektrum von Gigers Arbeit und Werdegang betrachtet werden. Wer sich für zusätzliche Informationen interessiert, hat die Möglichkeit, einen Ausstellungskatalog mit fachkundigen Texten und einigen Inhalten, die über die Exponate hinausgehen, zu erwerben. Hier findet sich unter anderem ein empfehlenswerter Essay des bereits erwähnten Giger-Kenners Dr. Carlos Arenas, der kurz und prägnant das Universum des Künstlers präsentiert. Wie üblich findet im Kino des Filmmuseums auch wieder eine begleitende Filmreihe zur Ausstellung statt, die Termine hierzu finden sich auf der Homepage des Frankfurter Filmmuseums. Dem geneigten Betrachter werden zahlreiche seltene Dokumentationen zugänglich gemacht und außerdem in zwei Nächten die vier „Alien“-Filme jeweils im Doppelpack auf der großen Leinwand geboten, wo sie ihre ganze, beängstigende Wirkung entfalten können.

Dennis Vetter