Grindhouse-Nachlese Oktober 2019 – Heiliger Horror und irrer Horror

28. Oktober 2019, Cinema Quadrat Mannheim:

"Alice, Sweet Alice" / "Communion" / "Holy Terror" / Communion – Messe des Grauens", USA 1976, Regie: Alfred Sole

"Misterios de ultratumba" / "Der Tote kehrt zurück", Mexiko 1959, Regie: Fernando Méndez


Paterson: Dort leben dichtende Busfahrer gleichen Namens, Frauen mit kreativer Schwarz-Weiß-Obsession, der Wirt sammelt lokalhistorische Zeitungsausschnitte, und überhaupt haben, wie man weiß, dort alle Bewohner ihre liebevollen kleinen Macken, die sie pflegen und die sie als Personen ausmachen, die man also wertschätzen muss. Zumindest im Jahr 2016. Im Jahr 1961 – das Jahr, in dem "Alice, Sweet Alice" spielt, ein Film aus dem Jahr 1976 – habe auch alle ihre Macken, nur dass die in Mord, Terror und Horror durchschlagen.

"Alice, Sweet Alice" spielt in Paterson, New Jersey, und der Wahnsinn, wenn man die Stadt wiedererkennt aus Jim Jarmuschs Film, der den Namen der Stadt (und seines Protagonisten) im Titel trägt! Viel hat sich nicht verändert in den 30 Jahren zwischen den Filmdrehs, und auch der Charakter der Stadt ist in beiden Filmen persönlich, dörflich geprägt, jeder kennt jeden und guckt nach allen. Einmal als poetische Filmmeditation. Das andere Mal als beunruhigender Horrorthriller.

Alice ist die Tochter einer alleinerziehenden Mutter. Die kleine Schwester wird von Brooke Shields in ihrem Filmdebüt gespielt. Die Familie ist eng mit der katholischen Kirche verbunden, der Priester ist jung und menschlich zugewandt. Die Tante der Kinder ist fies und bösartig, aber nicht aus Absicht, sondern wohl eher aus Charakterschwäche. Der alte Monsignore ist gelähmt und anfangsdement. Der geschiedene Vater der Kinder würde gern seine Ex verführen und gleichzeitig mit seiner zweiten Frau ein unbeschwertes Leben führen. Der Nachbar im Erdgeschoss – und Vermieter für die Mutter und ihre Töchter – ist unglaublich fett, besitzt eine Menge Katzen, ist stets überall bekleckert und zumindest proto-pädophil.

Alice aber ist vollkommen verdreht. Sie ist fies zur Schwester, klaut ihr die Puppe und erschrickt sie gerne auf den Tod, sehnt sich nach dem Vater auf kindlich-naive Art und ist zugleich bedrohlich wie eine ungeahnte Gefahr. Im Keller hat sie eine Kiste, das ist ihr Schrein, Puppe darin und schrecklich anzuschauende Masken. Eine große Rolle im Film spielen die knallgelben Regenmäntel, die wurden von der Kirche an die Kommunionskinder ausgegeben, und der Mörder/die Mörderin trägt so einen. Jawohl: Mord. Während der Erstkommunionsfeier, in der Sakristei. Und Alice hat kein Alibi. Die Tante hat einen Verdacht. Die Mutter ist völlig überfordert. Der Priester versucht, den Überblick zu behalten. Die Mutter übrigens ist ihm sehr zugetan, nicht nur geistlich. Überhaupt hat jeder so seine Absichten und Motive im mentalen Hinterzimmer, geradeheraus ist keiner. Man redet und handelt mit Hintergedanken, das ist nur angedeutet im Film, aber das macht seinen Reichtum aus: Dass die Charaktere dermaßen ausgestaltet sind…!

Brooke Shields jedenfalls ist tot. Und der Tante wird vom Treppenabsatz aus ins Bein gestochen, mit einem langen, bösen Messer, wie es Alice immer wieder in den Händen hat. Und dem Zuschauer ist jeder Boden unter den Füßen entzogen: Es könnte sein, dass der Film ein Whodunnit ist, der dem Zuschauer eine mutmaßliche kindliche Mörderin präsentiert, es ist aber dann eben alles doch ganz anders. Es könnte aber genauso gut sein, dass dem Zuschauer eine tatsächliche kindliche Mörderin präsentiert wird und dass alles so ist, wie es scheint, dass hier das Böse aus dem scheinbar so nächstenliebenden katholischen Milieu entspringt und in dieser Beinahejugendlichen explodiert. Die gelben Regenmäntel verweisen auf Nicolas Roegs "Don't Look Now", die Traumata der Vergangenheit, die losbrechen im Schrecklichen, und einmal – bezeichnenderweise hinter einem Sarg – sehen wir ein Plakat, das den Kinostart von "Psycho" ankündigt.

Ein wirklich meisterhaft inszenierter Film, der in Deutschland sträflichst unbekannt ist. Und der den Auftakt für einen wunderbaren jahreszeitgemäßen Horrorabend gab, dessen zweiter Teil auf eine ganz andere Art faszinierend war: "Der Tote kehrt zurück" ist ein mexikanischer Gruselfilm von 1959, schwarz-weiß, gediegen klassisch, der im Irrenhaus spielt, wo die Irren genauso irre sind wie die Mad Scientists. Schön übernatürlich geht es zu, zu Anfang, und dann wird's zu 'nem fast schon putzigen Atmosphärenthriller.

Zwei der irren Ärzte nämlich schließen einen Pakt: Zur Erforschung dessen, was nach dem Tode kommen wird, soll derjenige, der zuerst stirbt, dem anderen aus dem Jenseits Hinweise geben, ja, womöglich zurückzukehren versuchen. Dies nun geschieht, aus einer Seance kommen die Hinweise: Drei Monate später wird sich eine Türe öffnen, die wird Einblick ins Jenseits bieten. Dafür werden merkwürdige Dinge geschehen… Beispielsweise kommt eine Nachtklubtänzerin ins Irrenhaus, nicht als Patientin wohlgemerkt; und ein junger Mann, der sie aus seinen Träumen kennt, folgt ihr; und der Arzt, der noch lebt, verliebt sich in die Frau etc., und eine wilde Irre bricht aus und geistert höchst verwirrt und höchst aggressiv durch die Hallen, und ein Schlüssel taucht auf, und ein Kästchen enthält einen Dolch, der zuvor in einem anderen Zimmer gelegen war, und der Tote wandert immer wieder als Schimäre durchs Bild, insbesondere durch den tollen Innenof der Anstalt, eine dschungelartige Ansammlung von Pflanzen, die wohl kaum eine beruhigende Wirkung auf die Nerven der Patienten haben dürfte, bei all den Schatten, die sie an die Wände werfen!

Während zu dieser Zeit in Deutschland Edgar-Wallace-Krimis mit Horrorelementen bestückt wurden, in England die knalligen Hammerfilme ihren Klassikerstatus erlangten, kommt aus Mexiko dieser wunderbare E.A.Poe-mäßige Horrorfilm, man könnte auch Vincent Price um die Ecke lugen sehen: Dunkelheit und Schatten und Überweltliches und Wissenschaft und das Schicksal, das Schicksal! Denn dem entrinnt keiner, und wer die Schwelle überschreitet, kommt um in all seinen Obsessionen, in seiner zielstrebigen Halsstarrigkeit, im Versuch, umzukehren, was immer schon bestand – in tollen Volten spielt der Film sein Finale aus, nicht als Explosion eines großen Konflikts, sondern als unausweichliches Verpuffen eines großen Traumes, der nie hätte geträumt werden dürfen. Weil der diesseitige Arzt die jenseitigen Tipps nicht richtig hat lesen können (wollen), weil dann über zig Banden und nach allerlei Andeutungen, falschen Fährten und kleinen Schocks und Wendungen jeden das Los trifft, das für ihn bestimmt ist: Tote gibt es, und ein von schrecklicher Säure entstelltes Gesicht, und Verwechslungen, und ein Todesurteil – und dann wird die Schraube nochmal weitergedreht, und tatsächlich wandelt ein Toter auf Erden, nicht nur ein Geist, sondern körperlich habhaft. Doch was für ein Körper, und welch ein Geist…
Ach, ich will nicht zuviel verraten. Wem der Film unterkommt – vielleicht läuft er ja auch mal in einer der regelmäßigen arte-Trashreihen –, der soll sich’s angucken, möglichst bei Kerzenschein.

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese September 2019: New York und Philippinen

Grindhouse Double Feature, 28. September 2019, Cinema Quadrat Mannheim:

"Willie Dynamite", USA 1974, Regie: Gilbert Moses

"The Twilight People", USA/Philippinen 1972, Regie: Eddie Romero

 

Purpurmantel wie ein überkandidelter König, goldenes Gewand, auch mal ein weißer Strampelanzug: Modisch lässt es Willie Dynamite krachen. Der Titelheld ist ein Pimp, wie er im Buche steht, und das muss er zeigen. In keinem der bisherigen Blaxploitations in der Grindhouse-Reihe im Cinema Quadrat war die Kleidung so sehr als Statussymbol inszeniert. Willie muss sowas tragen, und ein Blick in seinen begehbaren Kleiderschrank zeigt, dass er durchaus noch mehr Auswahl hätte. Seine Gewänder sind so was wie seine Uniform, seine Arbeitskleidung, ohne die er nicht aus seinem Haus kann. Ebenso sein grün-goldener Straßenschlitten. Man muss zeigen, was man ist, was man hat, sonst ist man nichts und hat bald nichts mehr.

Willie Dynamite hat, wie uns der Titelsong verrät, "seven women in the palm of his hand", die für ihn anschaffen. Er hat sie aus der Gosse geholt und damit an sich gebunden, jetzt bietet er ihnen als Arbeitsplatz ein Luxushotel, als Klienten Geschäftsleute, die sich abends, weit weg von zuhause, ein bisschen entspannen wollen. Ein Aufstieg, das flüstert er seinen Miezen immer wieder ein, sie sind Teil eines Produktionsprozesses, wie am Fließband, müssen Umsatz schaffen, und dafür haben sie diverse Annehmlichkeiten wie Sicherheit, Willies Zuneigung und einen Einigermaßen-Anteil am Erwirtschafteten. "Wir sind schließlich Kapitalisten!", ruft Willie beim Spitzentreffen der Zuhälter-Funktionäre von New York, als ein Konkurrent den Vorschlag macht, sich zusammenzutun, die Stadt aufzuteilen, füreinander einzustehen. Eine Art Kartell; oder, andersherum: die Einführung des Sozialismus in die Prostitution.

Willie will die Nummer 1 sein, und er ist auf dem besten Weg dahin. Aber wie das so ist, kommt ein dickes ABER. Und zwar in Form einer engagierten Sozialarbeiterin. Bzw.: einer aggressiven. Wir lernen sie kennen im Bett mit dem stellvertretenden Staatsanwalt, sie ist neckisch und fordernd und frei, lehnt einen Heiratsantrag ab und schüttet Cola über den Geliebten, der nicht aus den Federn will. Und sie geht hart Willie Dynamites Geschäfte an, und deshalb geht sie Willie Dynamite selbst hart an. Sie war früher selbst Bordsteinschwalbe, das betont sie gerne, das gibt ihr Street Credibility, und mit dem scharfen Auge der gelernten Hure macht sie das schwächste Glied unter Willies angeketteten Weibern aus. Deshalb wird gezielt die junge Passion verhaftet, gezielt dringt Sozialarbeiterin Cora in das Domizil der Damen ein und versendet vergiftete Pfeile, die den Nutten ihren sozialen Status und ihre Abhängigkeit klarmachen. Sie bricht bei Willie ein und kopiert seine diversen Sparbücher, und vor Gericht drängt sie sich Passion auf, als Hilfe, als Alternative.

Und für Willie geht alles den Bach runter. Sein stolzes Auto wird abgeschleppt, das ist ein Running Gag im Film. Er wird verhaftet, unter hanebüchenem Vorwand ("Du siehst einem Verdächtigen ähnlich: Mann in braunem Mantel", heißt's – als Willie gerade seinen weinroten Umhang spazieren führt); Polizeibrutalität, Willkür, Durchsuchung ohne richterlichen Beschluss: reine Schikane. Und fies noch dazu. Mit tollen Dialog-Streitigkeiten zwischen Pimp und Cops, und mit einem Zuschauer im Zwiespalt: Willie Dynamite ist ein schlimmer Finger, ein Großprotz, arschlochiger Turbokapitalist, ein Ausbeuter weiblicher Körper, der alle Tricks der Psycho-Manipulation beherrscht, um seine Ladies bei der Stange zu halten; und wird zugleich von Polizei und Sozialamt böse und gemein behandelt, wie man es sich nicht vorstellen kann. Der wird vom Staat fertiggemacht! Mitleid? Aber ja!

Gut: Die schauspielerischen Leistungen im Film sind jetzt oft nicht soooo; Willy hat sieben Nutten, davon zwei als Sprechrollen, die anderen als darstellerische Null-Staffage. Der Filmschnitt ist auch, sagen wir: originell. Bzw. vielleicht auch ungelenk. Jedenfalls: Die Ausstattung ist fantastisch: Der über-flamboyante Willie steckt in einer dreckigen Welt, die New York in den 70ern nun mal war, zwischen all den normalen Leuten, eine gelungene Dissonanz sind seine Kleider im Big Apple-Alltag. Und wie er von zwei Cops – die sich auch gegenseitig nix schenken, der eine ist schwarz und Moslem und wird vom anderen deshalb dumm angemacht –, wie Willie von den beiden angegangen wird, teils aus Langeweile, teils aus Bösartigkeit, teils aus persönlichem Hass; und wie Cora, die Sozialtante, das Gute für die Nutten will und dafür die fiesesten Mittel anwendet, wie ihr dann aber, als sie ihr Ziel fast erreicht hat, alles aus den Fingern gleitet und für ihren Schützling das Leben praktisch vorbei ist; wie ganz nebenbei die Story von Willie sich in der Story seines überdimensionierten Straßenkreuzers spiegelt, der nach vielerlei Abschleppen irgendwann ausgeweidet wird von den vernachlässigten Straßenkids, und auch in der Passion der Passion, die als unschuldige Hure alle Last tragen muss: Das ist unter einer Oberfläche, die Blaxploitation verheißt, richtig großes Kino.

Verglichen damit ist der zweite Film des Abends vollkommener Stuss, is' klar. "The Twilight People" – jawoll, so was wie eine Literaturverfilmung, von H. G. Wells' "Die Insel des Dr. Moreau", der Mad Scientist heißt hier Dr. Gordon, er hat einen Helfer wie es sich für einen ordentlichen Bösewicht gehört, der ist wild und blondiert und heißt Steinman, so eine Art Proto-HP Baxxter in der Rolle von Christopher Walken als Psychopath vs. James Bond, im Angesicht des Todes.

Der Film beginnt mit idyllischen Bildern zu idyllischer Musik, die aber alsbald total unheimlich wird, obwohl nichts Bedrohliches zu sehen ist. NOCH! Denn ein softer Typ mit weichen Wangen taucht in exotischen Gewässern und guckt sich Fische an, als PLÖTZLICH böse Hände ihn greifen, unter Wasser fesseln, und mit einem Kran wird er kopfunter an Bord einer Yacht gehievt, und aber seine eigene Yacht ist gar nicht mehr da. Vielmehr eine sehr hübsche Krankenschwester und Mr. Blondiepsychopath. Sie fahren zur exotischen Insel, durch den Dschungel hin zur Villa von Dr. Gordon, bewacht von allerhand philippinischen Handlangern. Der softe Typ ist ein Superforscher mit Supergehirn, und weil er so ein guter Mann ist, will Gordon ihn für seine Experimente. Und was für welche! Es geht um die Zukunft der Menschheit!

Eigentlich ist alles an dem Film reichlich egal; interessant nur, wie die Liebe zwischen Farrell – das ist der Held – und Neva – die Krankenschwester a.k.a. Gordons Tochter – fix behauptet wird, indem sie ihn mal fragt, wie es ihm geht, und danach sind sie verliebt. Fluchtplanung etc., dazu Steinman, der Psycho, der so gerne jagt, und Gordon, der für die Wissenschaft verrückt geworden ist: Um das Überleben der Menschen zu sichern, züchtet er eine Über-Rasse, die das Beste aus Mensch und Tier ineinander vereint! Hat bisher nicht so recht geklappt, deshalb soll Gordons Gehirn, also der Inhalt, die Software, irgendwie kopiert werden, dann gibt es da noch irgendwelche Organfetzen unter Käseglocken und so was wie eine Laserkanone im Labor nebenan. Eine Gehirn-OP an einem Nebendarsteller hamwer auch. Und vor allem, und darauf kommt es an: Wir haben TIERMENSCHEN!!!

Im Keller, im Käfig. Ein Antilopenmann, mit Hörnern auf die Stirn gepappt. Eine Wolfsfrau mit Bart. Einen Affenmann, einen Fledermausmann mit Flügeln; und Pantherfrau, gespielt von Pam Grier, die wahrscheinlich grad sowieso auf den Philippinen war. Sie darf katzig gucken und sich putzen und ab und zu ihre Fänge in Menschenleiber schlagen, so'n richtiger Panther halt.

Das ist schon super. Kinderkarneval mit bisschen Blut und Toten, mit einem Bat-Man, der auf dem Baum seine Flügel ausbreitet, als alle mitnand durch den Dschungel fliehen, und man bedauert die Leute: Wie muss man sich fühlen, als Schauspieler, wenn man ein tolles Angebot bekommt für einen Science-Fiction-Horror-Abenteuerfilm, und dann stellt sich raus: Dir werden Haare, Hörner oder Flügel angepappt, und du weißt, das sieht scheiße aus, und du weißt, dass damit ein persönlicher Tiefpunkt erreicht ist, aber du weißt auch, du musst das durchziehen, Vertrag ist Vertrag, und Mensch!, was wird die Nachwelt sagen! Naja, Frau Grier ist ja ganz gut aus der Sache rausgekommen, aber eine Karriere-Rakete war das wohl trotzdem eher nicht…

Fledermausmann hat am Ende noch seinen großen Auftritt, HUI! geht es durch die Lüfte, und durch einen geschickten Schnitt überlebt der Held auch, als er vor der Luger des Psychopathen steht. Wie er das angestellt hat, wissen wir nicht, wahrscheinlich ist es auch egal: Er darf nicht sterben, punktum, wie er entkommt, ist wurscht, Hauptsache ein Happy End mit ihm und seiner schönen Gespielin und dem Fledermausmann, idyllisch vor der Abendsonne.

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese Mai 2019: "Maniac Cop" und "Patrick"


Grindhouse Double Feature, 18. Mai 2019, Cinema Quadrat Mannheim:

 "Maniac Cop", USA 1988, Regie: William Lustig

 "Patrick", AUS 1978, Regie: Richard Franklin


Maniac Cop
Zeit, einmal nachzudenken über den Begriff des Reißerischen. Der begleitet ja die Trash-/Grindhouse-/Exploitationfilme seit jeher, ja, macht sie per definitionem aus. Was wird beim Reißerischen gerissen? Die Latte? Das wäre ja schon fast schlüpfrig, aber vielleicht kommen wir gerade so drauf: Ist das Reißerische das, was auf unsere "niedrigen Instinkte" zielt? Das Voyeuristische, das Gewalttätige, das ansonsten Tabuisierte macht natürlich das Grindhouse-Kino aus. Aber eben in unterschiedlichem Maße. Und Tarantino nimmt das auf, und es ist Kunst. Oder Kurosawa. Oder Scorsese. Oder Melville. Oder Bergman. Gewalt – oder auch Sex – sind also nicht per se Kennzeichen des Reißerischen, des Exploitativen, eher, sagen wir, der Selbstzweck – auch so ein Schlagwort fürs Grindhouse-Kino. Selbstzweck: Ist nicht alles, was in einem Film vorkommt, Selbstzweck: Bezweckt nichts anderes, als in genau diesem Film vorzukommen? Mit dem Genaunehmen der Begrifflichkeiten kommen wir wohl nicht weiter. Selbstzweck: Das ist also das Aufnehmen eines Motivs – nackte Brüste oder blutig zerstückelter Torso – in den Film mit keinem anderen Zweck, als den Zuschauer aufzugeilen: Sexuell oder in sonst einem Begehren: Nach Männlichkeit, nach Befriedigung seiner Gewaltfantasien. Freud kommt auf: Eros und Todestrieb, konzentriert und gebündelt im Ausbeutungsfilm.

Selbstzweck: Wer definiert das? Der Zuschauer. Aber wohl kaum der Zuschauer, der dem Selbstzweck, also der Befriedigung seiner libidinösen oder brutalen Triebe, erliegt. Der "mündige", der "aufgeklärte" Beobachter. Ist das gleichzusetzen mit dem Sittenwächter? Zensurgeschichtlich auf jeden Fall. Was da oftmals mit hanebüchenen Begründungen angemahnt oder gar verboten wurde… (Ich bin glücklicher Besitzer der "6000 Filme", die die katholische Filmkommission in den 50ern bewertet und oft genug verworfen hat…! Von der FSK in den 80ern gar nicht zu reden.) Aber zum Glück gibt es auch zugewandte Beobachter: Die innerlich mitgehen und geistig sich distanzieren, die begutachten, analysieren, bewerten. Die sich mit den Filmen beschäftigen. (Ich selbst bin da nur ein kleinstes Licht…) Man kann sich erfreuen, seinen Trieben freien Lauf lassen, ist schließlich alles schön fiktiv und auf die Leinwand gefesselt; und kann dabei drauf schauen, was das Gesehene filmisch ausmacht: Filmgeschichtlich, genrespezifisch, zeitgeistlich.

Wenn nun der Selbstzweck, wie vage auch immer, auf das Zeitgeistliche verweist – beispielsweise Blaxploitation auf die Bürgerrechtsbewegung, Sexploitation auf die Liberation der Libido, Nazisploitation auf den Muff von tausend Jahren unter den Talaren –, dann ist er plötzlich kein Selbstzweck mehr, sondern so eine Art soziologischer Seismograph. Ex negativo, von mir aus.
Knochenbrecher
Der Punkt ist: Es ist nicht so einfach mit dem Reißerischen, dem Selbstzweck, dem Grindhouse. Wobei andererseits: Die Filme, die im April im Cinema Quadrat-Grindhouse-Double-Feature liefen, die waren denn doch eindimensional. Unterhaltsam, das sicher: Aber in "Monkey Kung Fu" (aka "Hurra, die Knochenbrecher sind da", Hongkong 1979, Regie: Mar Lo) ist Handlung auf alle Fälle wurscht.  Es geht halt vor allem um höchst akrobatische Martial Arts, die direkt aus dem Zirkus stammen könnten – Affentechnik meets Geier- und Betrunkenenstil, wenn zwei aus dem Gefängnis Ausgebrochene es mit dem Gibbon-Clan aufnehmen: Das hat was von der guten alten "Robert und Bertram"-Story, wobei Obacht: Die Millowitsch-Torriani-Filmversion unbedingt meiden, und die von 1939 ist der Versuch einer antisemitischen Propaganda-Komödie; bemerkenswert unlustig noch dazu…
Grausame Leichen
Und mit "El jorobado de la morgue" (aka "Die Stunde der grausamen Leichen", Spanien 1973, Regie: Javier Aguirre) hat Paul Naschy – Drehbuch und buckliger Hauptdarsteller – einen billigen Frankenstein-Abklatsch gedreht inklusive brennender Ratten und einem per Menschenfraß gentechnisch kreierten Urzeitmonster, das aussieht wie ein in Gummi gewickelter Komparse. Interessant: Spielt im bayrischen Flecken Feldkirch, wohl, weil Frankenstein persönlich ja aus Ingolstadt kam… Ansonsten aber halt doch eher Wegwerfware, bzw. Guck- und Genieß- und Abhak-Ware. Im Vormonat waren Grusel und Kung Fu tatsächlich Selbstzweck. So wie Zirkus oder Geisterbahn auch nichts anderes bedeuten wollen als sich selbst.

Ganz anders dann im Mai. Da haben wir zwei Filme mit Untoten, die eigentlich doch keine sind. Untote sind ja die Fantasiegestalten, in die der Filmemacher ungefähr alles reinprojizieren kann. Hier aber: Nur scheinbar tot! Das macht das Ganze schon mal interessant. Und dann haben wir eben in "Maniac Cop" von William Lustig eine junge, schöne Frau in einem durch und durch verkriminalisierten New York, und sie kann sich gegen zwei puertoricanische Handtaschenräuber mit aller Kraft wehren und rennt dann auf einen Uniformierten zu: "Officer, Officer!", das sind ihre letzten Worte. Mit ungeheurer Kraft nimmt der ungeheuer große Polizist sie am Hals, hebt sie hoch, sie ist tot. Das ist der Anfang einer heftigen Mordserie, die die Stadt erschüttert. Und weil ein Cop – der weiße Schnurrbart zeigt seine Erfahrenheit an – ahnt, dass ein echter Polizist der Täter ist, leakt er das an die Presse. Und eine Ebene der Medienreferenzen tut sich auf, denn nun kommen die Toten in den Nachrichten, und alle Welt fürchtet sich vor allem, was uniformiert ist. Eine Hysterie, die in Einklang steht mit der filmisch etablierten Atmosphäre eines New York im Ausnahmezustand, zwischen Verbrechen und Polizeigewalt: Der Film stammt aus den 80ern, als alles versucht wurde, den Big Apple von bösen Würmern zu säubern, mit einer heftigen Null-Toleranz-Politik, in der kleinste Vergehen heftigst bestraft wurden. Was sich freilich rückwirkt auf die Befindlichkeiten, dieser Film zeigt es, und er legt den Finger in die Wunde: Die Verunsicherung in den Reihen der Polizei ist nicht geringer als die Verunsicherung der Bevölkerung, weil nie klar sein kann, aus welcher Ecke das Kriminelle kommt.

Dann werden plötzlich Szenen einer zerfallenden Ehe gezeigt, ein Polizist, groß genug, um der Mörder zu sein, wird von seiner Frau (im Nachthemd) durch die Straßen verfolgt, weil sie ihm nicht traut – bzw.: Weil sie ihm alles zutraut. Und dann, lediglich: Eine Affäre, in einem billigen Motel. Wütend zieht die gehörnte Ehefrau ab, und dann wird sie von bekannt muskulöser Hand in einen Wagen gezogen. Und tags drauf tot im Motelbett gefunden. Und die Polizei, die schnelle Aufklärung liebt, mehr noch als die Wahrheit, die hat den gefunden, den sie als den Killer hinstellen kann. Nur ist da noch besagter erfahrener Cop. Und eine Frau mit Gehkrücke. Und am Pier 14 dieser Hüne, der rachsüchtige Bösewicht. Und so spitzt sich alles zu, ein ganzes Polizeirevier wird massakriert, die St. Patricks-Parade beinahe zur Killerkatastrophe – das ist alles zwar in B-Film-Manier gefilmt, aber herausgesogen aus den Straßen von New York, nicht unähnlich dem "Taxi Driver", Urbild des Stadtgewaltfilms.
Am Ende dann ein erstaunlich großartiger Stunt, ein Gefängniswagen der Polizei fällt mitsamt durchstoßenem Killer und dem Helden auf dem Trittbrett in den Hudson River, und nein: Das ist keine Puppe, die im Stürzen vom Auto abspringt, das ist ein tatsächlicher Mensch! Doch gerettet ist erstmal niemand, die Unsicherheit geht weiter im Hinweis auf das Sequel, das Lustig denn auch pflichtschuldig zwei Jahre später drehte.

Was nun erhebt "Maniac Cop" über die "Knochenbrecher" oder die "grausamen Leichen" des Aprils? Nun: Lustig legt seinen Film, so wahnsinnig er sein mag (der Bösewicht, ein Ex-Polizist, der in Sing Sing beinahe hops ging und nun, nach seinem Nahtod, übermenschlich wirkt!), er legt seine Fantasie über die urbane Gewalt getrost in die Welt, wie sie wirklich ist. Die Realität schimmert durch, hinter der Polizeifilm meets Horror-Fiktion. Eine Philosophie wird sichtbar, krude vielleicht, oder vage, aber fatalistisch genug, um wahrhaftig zu wirken und die Menschen anzusprechen.

Wobei Lustigs "Maniac Cop"-Überbau noch gar nichts ist gegen den Australier Richard Franklin, dem es in "Patrick" 1978 gelingt, die "Tommy"-Story der Who ins Grauen zu überführen und dabei "The Shining" vorwegzunehmen.
Ein tauber, stummer/dummer, blinder Junge liegt im Krankenhausbett, völlig karthatisch, ohne sichtbare Regungen, scheinbar ohne Sinneswahrnehmung. In einem ruhigen Land der Vibrationen hat er Gedanken, so kühn, wie Gedanken nur sein können: Die Krankheit wird sicherlich seinen Verstand erreichen, und er spielt zwar nicht Flipper, aber dafür mit allen Gegenständen, die seine Gedankenmacht erreichen kann. "Patrick", so der Filmtitel, ist ein Telekinesefilm, das ist ja schon mal selten. Ein Film, der reingeht in die Gedankenkraft seiner Titelfigur, die die allermeister Zeit reglos, mit weit geöffneten Augen, im Krankenhausbett liegt. Und die dennoch ihre Umgebung manipuliert. Wie, glaubst du, macht sie das? Ich weiß es nicht!

Ihn sehen, ihn fühlen, ihn berühren, ihn gar heilen: Das funktioniert nicht. Die neue Krankenschwester Jacquard tut ihr Bestes, ist einfühlsam, streichelt Patrick die Wange. Mit dem Ergebnis, dass er spuckt. Seine Art der Ejakulation, wie man annehmen muss. Seine einzige Art, sich auszudrücken. Das aber, aus Zuneigung (oder Begierde? Oder Obsession?), sehr deutlich: Denn Schwester Jacquard gelingt es tatsächlich, mit dem komatösen Patienten zu interagieren. Einmal spucken: Ja. Zweimal spucken: Nein. Und dann tippt die Schwester auch noch in Trance seine Gedanken auf die Schreibmaschine…

Was hier, in der schnellen Zusammenfassung, krude und durcheinander wirken mag, entwickelt der Film mit langsamer, zwingender Stringenz. Und genau das macht ihn aus: Wie er einerseits den privaten Trouble der Krankenschwester zeigt, die sich von ihrem Mann getrennt hat und sich einem Playboy-Arzt zuwendet – und die andererseits ihre Pflicht tut bei den täglichen Schichten mit dem Patienten Patrick, der reglos und anscheinend hirntot dahinvegetiert, seit drei Jahren. Zuvor, am Anfang des Films, das Schockerlebnis für ihn: Die Mutter, die mit einem Mann rummacht, ohne an Patrick im Nebenzimmer den kleinsten, lusttötenden Gedanken zu verschwenden. Der daraufhin den beiden in der Badewanne den Garaus macht. Und sich in sich selbst verschließt. Vermutlich, der Film legt es nahe, in ultimativem Narzissmus. Vielleicht aber auch das Opfer langjähriger Vernachlässigung? Oder das Böse an sich?
Keine Heidi weit und breit.
Patrick jedenfalls, der weder Körper noch Geist mehr ist, begehrt seine Krankenschwester. Und manipuliert per Gedankenkraft ihr Leben, vor allem ihr Liebesleben. Ihr Liebesleben zwischen zwei Männern, anderen Männern als Patrick: Das ist das Problem. Psychoanalytiker sollten sich diesen Film mal vornehmen, da haben sie wahrscheinlich alles, was Freud sich jemals hat träumen lassen! Wo William Lustig die Ängste und Unsicherheiten veräußerlicht, da setzt Franklin ganz auf das Innerliche: Die Kraft des Verstandes, geschärft, weil nichts anderes mehr funktioniert, dahingehend, dass mit dem Geistigen physische Aktionen möglich sind. Den Playboy-Arzt im Swimming Pool unter Wasser festzuhalten. Oder dem Ex-Mann die Hände zu verbrennen. Oder Schreibmaschinenbuchstaben zu bewegen. Oder. Oder. Oder. Es steigert sich, das hat ein Film so an sich. Aber es ist von Anfang an Unheimlich – auch das im freudschen Sinne: un-heimelig –, und zusehends werden menschliche Verhaltensweisen von Mitgefühl oder Nächstenhilfe unterwandert und subversiv abgetragen. Nicht nur, weil Patrick bei der Liebe der Krankenschwester Agape mit Eros verwechselt, bewusst, wie einem scheinen kann, auch, weil die Oberschwester gleich zu Anfang klar macht, wie fräuleinrottenmeyerhaft kaltblütig sie ist, sich ins Privatleben einmischt und alles andere als barmherzig handelt.
 
Und wenn diese Oberschwester in ihrer roten Tracht vor grün gemustertem Teppichboden von oben gefilmt wird, wie sie versucht, in Tommys, Verzeihung: Patricks Krankenzimmer einzudringen, dann hat das was von den labyrinthischen Fluren des Overlook Hotels. So, wie Patricks starre Augen die von Alexander DeLarge sind, während der hirnzerfressenden Ludovico-Therapie.

"Patrick" hat nichts Grelles. "Patrick" ist wie Patrick: Scheinbar bewegungslos, aber mit größter Wirkung. Das hat der Film dem "Maniac Cop" voraus, der auch mal auf seine heftigen Szenen setzt, auf das krasse Zeigen von Gewalt und auf die Action. Was ja klar ist, weil es sich um einen Killer-Thriller handelt.


Was kann dies alles nun aussagen? Kommen wir weiter in unseren Überlegungen? Klar ist, dass die Filme des Mai-Grindhouse-Abends, ihre je eigenen Philosophien haben. Sind die auszuformulieren, in Worten? Oder nur in Film auszudrücken, in einer Form, die interpretativ unklar bleibt und doch Ahnungen hervorruft? Vielleicht ist das ja das Geheimnis, das die Grenze zwischen Trash aka Selbstzweck und B-Movie aka verkanntes Kunstwerk ausmacht: Dass das Reißerische auf der anderen Seite nur die Hirnareale aufreißt, die sonst für Körpersäfte zuständig sind, für Blut- und Spermafluss, und die im Sinne des Kultur- und Zivilisationsprozesses besser unterdrückt bleiben. Und bei Filmen der "höheren Kategorie" wird das Hirn rechts- und linkshälftig aufgerissen, zueinander gedrückt, ineinander verschoben, so dass sich Assoziationen ergeben, die das Psycho- und Philosophische erreichen, zumindest ansatzweise, zumindest… Die etwas aussagen über den Menschen, über das Böse und über das Gute, das über Banalitäten hinausgeht: Eben nicht hanebüchen zwei Holzstücke zusammenfügen, um weitere Bösewichter vermöbeln zu können, wie im Hongkongaprilfilm, oder einen Mad Scientist den buckligen Diener schöne Frauen killen lassen wie im Paul Naschy-Vehikel. Sondern, ob gewollt oder nicht, etwas aussagen über die conditio humana: Im New York der Dauerkriminalität oder im Spinnennetz der menschlichen Beziehungen, auch, wenn die rein über Gedankenkraft gelenkt werden.
A bsoffene G'schicht:
Unbemerkt aufgenommenes Selfie des Autors
beim Verfassen dieses Textes.

Und dabei nicht allzu laut werden. Das "Zuviel" vermeiden. Das "Zuviel" ist ja ohnehin ein Schlüssel in mehrerlei Hinsicht: Zu große Ambitionen des stümperhaften Regisseurs, zu nackig, zu blutig, zu eklig, zu wenig von allem – das kann alles eine Rolle spielen, jenseits von allem Inhaltlichen. Wichtig bei der hingebungsvollen Beurteilung ist eben auch: Die handwerkliche Fertigkeit der Filmemacher. Ein Knallophag wie das März-Filmdebakel "Dolemite" ist zwar höchst vergnüglich – sagt aber, trotz seiner Bemühungen, herzlich wenig über die Black Community aus. Aber andererseits ist ein High End-Produkt, das super aussieht, vom Reißerischen nicht weit weg. Ich sach mal: Star Wars.
Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese März 2019: "Dolemite" und "Hi-Riders"


Grindhouse Double Feature, Cinema Quadrat Mannheim, 30. März 2019



"Dolemite", USA 1975, R: D'Urville Martin


"Hi-Riders – Jungs lasst die Fetzen fliegen" / "Hi-Riders", USA 1978, R: Greydon Clark


Dolemite – ja, da klingelt's! Im Jahr 2010, da gab es eine ganze Doppelnacht mit Rudy Ray Moore; von den Filmen selbst weiß ich ehrlich gesagt nicht mehr viel (könnten also auch nochmal laufen im Grindhouse Double Feature…), aber der Körper, dieser Körper von Mr. Moore: irgendwie vollkommen unproportioniert, zu dick, mit Plautze und Brüsten, ein ungestalter Leib, der so gar nicht zu dem passen will, was Moore darzustellen vorhat: Ein ladies' man, ein Pimp, dem die Weiber freiwillig zu Füßen liegen, ein hartgesottener Ghetto-Bursche, ein Kungfu-Kämpfer vor dem Herrn…

"Dolemite" war sein erster filmischer Versuch. Ziemlich vollkommen missglückt. Gerade deshalb sehenswert: Man muss ja auch gerade im retrospektiven Blick das Scheitern schätzen lernen können. Gleich in der ersten Szene, Dolemite sitzt im Gefängnis und hat seine Mitgefangenen offenbar schon lange zu Kumpels gemacht, da ist oben links was zu sehen, ziemlich direkt vor der Kamera, wahrscheinlich 'ne Lampe oder so, irgendwas Filmtechnisches vom Drehort auf jeden Fall. Später, das ist mit das Lustigste, redet Dolemite mit einem Junkie auf der Straße, und unten rechts hockt der Tonmann mit seinem Mikro – und man sieht ihn!!! Es war wohl tatsächlich so, dass Kameramann Nicholas Josef von Sternberg – jawoll: Sohn des Josef von, der Marlene Dietrich zu der machte, die sie war! –, dass dieser junge Filmenthusiast überhaupt nicht wusste, wie eine Filmkamera funktionierte, weil er wie die Jungfrau zum Kind zu dem Job gekommen war, und so hat er das Bild zu sehr aufgezogen und man sieht Mikros, Beleuchtung und alles das, was eigentlich ausgespart bleiben sollte…

Wobei dies ja nur ein handwerkliches Versehen ist. Kann passieren, wenn Amateure einen Film drehen. Und Amateure warense wohl alle, die bei "Dolemite" mitgemacht haben, Amateure im Filmbereich zumindest. Rudy Ray Moore, Mastermind hinter diesem Film, wiederum war durchaus Profi – Profi im Bereich von Underground-Standup-Comedy, der schon einige Tourneen und einige Platten hinter sich hatte. Und der in den Jahren zuvor die Dolemite-Figur erschaffen hat, als Plattform für komische, gereimte Stories, die er aufgeschnappt hat und die er nun aufpeppt, eine Art Oral History schwarzer Urban Legends; so 'ne Art Proto-Rap-Speech. Man muss also verstehen: Dolemite, die Figur, und "Dolemite", der Film, sind uneigentlich gemeint, als nahezu parodistisch konzipiert, komisch gemeint. Nur, dass diesem ersten Film – im Gegensatz zu "The Human Tornado", dem Nachfolger – es nicht so recht gelingen mag, die ironische Ebene rüberzubringen. Weil er halt viel zu läppisch daherkommt, als dass man irgendwelche Feinheiten erkennen oder gar nur vermuten könnte.

Handlung: Nullachtfuffzehn. Dolemite war zwei Jahre im Knast, aber der Knastchef und Dolemites Freundin Queen Bee wissen, dass er unschuldig ist, weil er von Cops reingelegt wurde, die ihm gestohlene Pelzmäntel und zwei Packen Rauschgift im Kofferraum untergejubelt haben. Das sehnwer in einer Rückblende und auch Dolemites Kampf, sich der Verhaftung zu entziehen: Weil er kann ja Kungfu, oder vielleicht auch Karate, ist alles nicht so richtig auszumachen, zumal die Schläge ja weit von den Körpern der Gegner entfernt bleiben, die aber trotzdem umfallen, und natürlich sind die Kämpfenden viel zu unbeholfen, um irgendeine Art von Choreographie hinzubekommen. Im Abspann immerhin ist als erstes der Martial Arts-Einweiser genannt, und ein nettes Dankeschön an die Chuck Norris-Karateschule gibt es auch.

Jedenfalls soll Dolemite rauskommen und rausfinden, wer an Schulkinder Drogen und Waffen verkauft, einen Mord hat es auch gegeben, und außerdem hat der böse Widersacher Willie Greene – gespielt vom Regisseur des Films, da hat er sich was zugetraut! – ihm einen seiner Clubs weggeschnappt und auch eine seiner Huren, bzw. Mädels. Vor dem Knastausgang erwarten ihn gleich vier, fünf nette Girls, die ihm im Wagen auch ihre Brüste zeigen, dann gibt es einen Mordanschlag, ein missglücktes Drive-By-Shooting führt dazu, dass Dolemite seine Schießkünste zeigen kann, und schon wieder sind ein paar Bösewichter tot. Er hat sich auch gleich nach dem Knast seine schönen bunten Pimp-Klamotten angezogen und steigt wieder ins Geschäft ein, sprich: Mädchen bumsen und Schurken verkloppen und zugleich den Club retten. Zwischendurch erzählt er Stories, gereimt, so, wie Mr. Moore es auf seinen Dolemiteplatten tut, Zuschauer applaudieren, und in diesen Momenten kommt der Film komplett zum Halten.

Wie er ohnehin sehr langsam ist, mit einigen langen, langweiligen Szenen, bis dann wieder der eine oder andere Knaller kommt. Immerhin schaffen's die Filmemacher, dramaturgisch sich zu steigern bis zu einem Eröffnungsabend im Club mit Musik und Tanz, einer Rudy Ray Moore- aka Dolemite-routine, Schlägerei und Schießerei und einem Cop, der Dolemite glaubt, dem einzigen, der nicht korrupt ist. Hatte ich erwähnt, dass während Dolemites Knastaufenthalt seine Girls Karate gelernt haben? Nun geht es aber noch weiter, im Krankenhaus nämlich, wo Killer ihre Aufwartung machen und der gerade noch schwer verletzte Dolemite sie alle abfertigt. Und die Oberkorrupten unter den Bullen tauchen auch auf! Der Bürgermeister wiederum, der hinter allem steckt, wäre vorher schon beinahe bei 'nem Flotten Dreier von einem seiner Betthäschen erschossen worden, war aber selbst zu schnell und killt stattdessen sie; und es gibt einen radikalen Pfarrer, der für den Kampf der Nigger gegen die Weißen Waffen sammelt und der Damenwelt gegenüber auch sehr aufgeschlossen ist. Kurz: Ist alles dabei, was man haben muss für einen Blaxploitation-Actionknaller. Wenn er allerdings besser gemacht wäre, wär's besser – aber zum Glück ist der Abend ja noch nicht zuende!

Denn als Zweites gab es Autoaction. Mark und Lynn kommen neu in die Stadt, sie sind auf der Durchreise, aber sie suchen nach "Action". Ein paar der Kids weisen ihnen den Weg – nachdem ein paar Mädels ihre nackten Hinter- und Vorderseiten aus dem Autofenster gestreckt haben, das ist für die Einheimischen die Action –, Mark und Lynn jedenfalls finden sich bei einer Wette wieder: Ein Autorennen, wer gewinnt, kriegt 50 Dollar. Natürlich verlieren sie. Ja, einer der "Hi-Riders" ist nicht zu schlagen! Mark und Lynn fordern Revanche: Diesmal geht's um 500 Dollar. Natürlich gewinnen sie. Sie sind ein eingespieltes Team, sie haben Bill reingelegt, jetzt ist der sauer. Prellt sie um denn Wettgewinn, und so kommen Mark und Lynn zum Village der Hi-Riders, das sind die Merry Men von Kalifornien, die sich auf einem Filmset, einer alten Westernstadt, niedergelassen haben, da gibt's Bier, da gibt's Autos, sie leben in einer Art motorisierten Hippiekommune, und der Boss findet Mark und Lynn sofort gut.

Die beiden sind so was wie die pärchengewordene Variante des Fahrers und seines Mechanikers aus "Two-Lane Blacktop", wie der Film sich ohnehin aus dem ganzen Individualisten- und Freiheitstopos speist, den das sagenwirmal semi-undergroundische, newhollywoodische US-Kino der vorvergangenen zehn Jahre, also seit Ende der 60er, hervorgebracht hat. Die ganze Bande von "lost boys" (inklusive ein paar weiblicher Anhängsel) macht sich auf zu einem großen Wagenrenn-Festival, bleibt aber in einer Kneipe am Wegesrand hängen. Dummerweise. Denn Billy, der ja ohnehin gerne wettet und ab und zu unfair fährt, fordert einen Einheimischen raus. Zweimal. Das zweite Mal geht's schlecht aus. Die beiden krachen in eine Baustelle, da, wo die Gastanks stehen, und es gibt enorme Explosionen, und damit fängt der Ärger an.

Und man merkt: Ja, der Film hat was. Denn dass bei diesem Unfall die Feuerbälle in die Höhe schießen – klar. Aber, und das ist das Gute: Wenn später Autos kaputtgehen, durch die Luft fliegen etc., dann explodieren sie nicht. Ganz gegen jede Gewohnheit dieses Filmgenres – und das spricht definitiv für die Qualität des Films. Zweites Qualitätsmerkmal: Ein guter Kameramann – im Gegensatz zum "Dolemite"…! Dean Cundey fotografierte später "Halloween" und weitere Carpentersachen, "Zurück in die Zukunft" und weiter Spielberg-Produktionen… Regisseur von "Hi-Riders" ist Greydon Clark, von dem kennen wir den Blaxploitationreißer "Black Shampoo"; hier scheint er sehr viel ernsthafter mit seinem Film umzugehen.

Die Hi-Riders bekommen es mit dem Daddy des verunfallten, verbrannten einheimischen Buben zu tun. Der nämlich hat seine Gang an alten Hinterwäldlern, das sind ungefähr die, die zehn Jahre vorher Dennis Hopper und Peter Fonda von ihren "Easy Rider"-Bikes geschossen haben: Rednecks, die die jugendlichen langhaarigen Autorebellen grundsätzlich scheiße finden und nun einen Anlass gefunden haben. An einer Tankstelle gibt es ein Massaker, fast alle Hi-Riders sind tot. Und schnell beseitigt, so dass der Sheriff wenig Grund zum Eingreifen sieht. Die alten Spießer sind gut organisiert in ihren Pick up-Trucks, immer wieder sehen wir einen in einer Ecke stehen, der beobachtet und die anderen via Funksprechgerät instruiert – Mark, Lynn, der Boss und ein Barmädchen sind übrig, einerseits geschockt, andererseits romantisch infiltriert, an einem schönen Felsenweiher sitzen sie und beginnen mit Liebesszenen, bevor sie gegen die Proto-Trumpwähler Recht und Ordnung wieder herstellen.
Was heute ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint, wenn inzwischen – m. E. zurecht – junge, rücksichtslose als Mörder verurteilt werden, die hier aber die Guten sind.

Kein großer Film, das Budget nur minimal höher als beim Low-Budget-Dolemite – aber effektvoll inszeniert, ohne grobe Fehler, wenn man mal von der Softrock-Musikberieselung absieht, wo sehr mau bei Fahrtszenen Einfach-Riffs eingesetzt werden, die sogar Status Quo-Fans beschämt weggucken lassen, und zwischendurch, bei Romantik, säuselt die Akustikgitarre… Aber sonst: Gutgut.
Und: Sehen wir da nicht mal eines der Hi-Riders-Autos mit "Dolemite"-Aufdruck…? Göttliche Fügung, würde ich sagen.

Harald Mühlbeyer

Grindhouse Nachlese Februar 2019: Laser und Aliens


Cinema Quadrat, Mannheim, 23.2.2019: Grindhouse Double Feature

"Laserkill – Todesstrahlen aus dem All" / "Laserblast", USA 1978, R: Michael Rae


Sprechen wir mal in diesem Fall nur vom zweiten Film des Double Features: "Laserblast" von 1978. Ein Melodram der Jugend, ein verkehrter Entwicklungsroman, der ins Verderben führt, eine Meditation über das Böse und die Rettung, die von außen kommen kann; und über den Preis, der bezahlt werden muss für das Wohl der, wie anzunehmen ist, gesamten Menschheit.

Billy hat eine Freundin, aber die hat einen bösen Opa, na ja, böse: Er ist verwirrt, ein Schwätzer, ein Verschwörungsdenker, der Billy fortjagt, weil er ja auch nur einer von denen ist. Mit Kathy muss sich Billy also anderweitig treffen, am malerischen Picknickplatz, wo Billy es schön romantisch einrichtet. Aber Billy ist sowieso anders als die anderen, wird von zwei Polizisten schikaniert und von den Orts-Bullies beschimpft. Und zwar, weil er aus reichem Hause kommt und sich manchmal komisch benimmt. Dieses komische Benehmen sehen wir nicht, müssen es aber glauben, weil der Dialog es so will. Seine Mama muss immer mal wieder nach Acapulco und lässt ihn allein, und er muss immer mit freiem Oberkörper rumlaufen.

Die Polizei kifft, Gras genug wird ja konfisziert, und das sind die beiden lustigen comic reliefs im Film: Dick und doof sind die Bullen, weil die immer alles ziemlich falsch machen und der Dicke dem Doofen immer das Essen wegisst. Hihi. Die jedenfalls haben ein scharfes Auge auf Billy geworfen. Und zudem beschimpfen ihn zwei jugendliche Grobiane in ihrem Cabrio  und sagen "Arschloch" und vergewaltigen mal fast Cathy. Eine Prügelei entspinnt und dann scheidet man unentschieden.

Aber in der Nacht, da… Doch halt. Ich möchte zunächst am Anfang beginnen. Da rennt nämlich eine zombieähnliche Gestalt durch die kalifornische Wüste. In der Hand: Eine Laserkanone. Das ist so eine Art Plastik-Ofenrohr, in das man seinen Arm reinsteckt, und vorne dran ist so was wie ein Auspuff in Handstaubsaugerform, und daraus schießt es Laserstrahlen. Und deshalb gibt es einen Kampf mit Aliens. Jawoll, mit Aliens: die perfekten scene stealers in diesem Film, man wartet immer drauf, dass die wieder auftauchen! Die Außerirdischen sehen aus wie Schildkröten ohne Panzer, sie haben kleine, aber mächtige Laserpistolen, und sie sind in Stop Motion animiert. Das ist ganz, ganz toll, herzallerliebst! Allein, dass sich jemand die Mühe gemacht hat, diese Außerirdischen zu kreieren und aus Knete oder sonst was zu basteln und dann auch noch Bild für Bild zu bewegen! Und diese Aliens und der Zombietyp schießen aufeinander, und dann verbrennt der Zombietyp zu Asche.

Später dann fährt Billy, in seiner sexuellen Frustration und in seiner vom Film behaupteten Teenager-Einsamkeit (bei der man nicht vergessen darf, dass der Billy-Darsteller schon auf die 30 zugeht!), jedenfalls ist er in der Wüste und findet den Laser-Ofenrohr-Auspuff. Und mit dem spielt er rum wie ein kleines Kind mit der Faschingspistole, aber immerhin, das ist dem Film zugute zu halten, ruft er nicht "Piffpaff". Sondern findet beim Aschehaufen des zuvor von den Aliens Gehetzten so eine Art Fahrradkette, an dem so ein metallischer Hoden bommelt, der im Dunkeln übrigens blinken kann. Das hängt er sich um den Hals, und zu seinem (und unserem) Erstaunen schießt jetzt die Laserkanone. Weil das ist außerirdische Technologie: Man muss so ein Funk-Ei um den Hals tragen, damit Energie entsteht.

So, wieder zurück, beziehungsweise voraus, denn nach der Poolparty mit der Beinahevergewaltigung schießt Billy mit seinem Laserstrahl das Auto der beiden Bösewichter zusammen. Und er sieht dabei aus wie sein Möchtegern-Alice Cooper!!! Was Energie in den Laser schleust, erzeugt offenbar auch heftiges Gesichts-Makeup. Und wir bekommen das Leitmotiv des Film zu erleben: Große, schöne Explosionen. Und was für welche! Andauernd! Der Pyrotechniker muss ein Workaholic sein! Billy lässt es sich nicht nehmen, Nacht für Nacht seinen inneren Alienzombie rauszulassen und auf Zeug zu schießen. Zum Beispiel auf den Doktor, der ihn behandelt hat: Denn das bommelnde Ei hat auf seiner Brust eine Wunde hinterlassen, in die eine außerirdische Metallplatte aufgeklebt ist, die der Arzt rausoperiert und um Mitternacht ins Labor bringen will – wieder geht ein Auto hoch. Oder die beiden depperten und bösartigen Polizisten – ein Glück sind die gerade bei einer Tankstelle, da gibt’s noch mehr und noch größere Feuerbälle!

Kurz und gut: Billy wird böse, und tagsüber weiß er nichts davon. Die Aliens im Weltraum kriegen das mit, weil ihr Boss ihnen per Alien-Skype zeigt, was in der Wüste vorgeht: Und wieder bekommen wir Einblicke in avancierteste Alien-Technologie, denn was auf dem großen Infobildschirm im Raumschiff erscheint, das sind die Bilder des Films, wie Billy mit dem Lasergewehr in der Wüste rumspielt. Die können das Bildmaterial vom Schneidetisch der späteren (!) Postproduktion abzapfen und direkt aufspielen, so dass im Film der spätere geschnittene Film auftaucht, ein unglaublicher Paradoxon-Effekt, und wir würden uns nicht wundern, wenn die Aliens die Quadratur der eierlegenden Wollmilchsau in dutzendfacher Lichtgeschwindigkeit durchführen könnten. Im Quantenuniversum.

Jedenfalls: Washington ist ja auch noch da. Wir haben also nichts zu befürchten. Der geschniegelte Mann in seiner schwarzen Limousine ist von, wahrscheinlich, FBINSACIA und er weiß Bescheid. Er verfügt auch über die natürliche Autorität, den örtlichen Sheriff sofort strammstehen zu lassen. Er hat Billy bald im Blick, die Aliens auch, und sie alle wollen nur helfen. Nämlich verhindern, dass Billy seinen Amoklauf ungehindert fortführt. Er schießt auf Briefkästen und Telefonhäuschen und auf Autos und auf Häuser und freut sich dabei so sehr, dass alle Klischees des Horror-Buckligen in ihn zusammenfallen – er ist ja jetzt dauerhaft so ein Zombie-Geschöpf, und Cathy ist deshalb traurig.

Ende des Films.
Ach ja: Produzent Charles Band hat damit kokettiert, dass der Film quasi nix gekostet habe. Das können wir nicht glauben. Benzin oder was immer da dauernd explodiert hat auch in den 70ern ein paar Cent gekostet. Im Übrigen blafft der dicke Polizist einen der Bullies – der von Laser redet – an, dass der wohl zu oft "Krieg der Sterne" geguckt hat. Und Billy zerschießt ein "Star Wars"-Werbeplakat. Das ist lustig.

Harald Mühlbeyer