Nicht nur Weihnachten, auch der Tod steht vor der Tür |
Es geht um Rache. Rache für den Tod eines kleinen Mädchens,
der Tochter von Detective Black. Der mit seinen Kollegen einen Drifter
aufgegriffen hat und aus ihm die Wahrheit über den Kindermord herausprügeln
wollte… Und es geht um Rache an dieser Folterung, an der alle schuldig sind, an
dieser Brutalität, an dem Blutrausch, der die Polizisten in der Zelle ergriffen
hat, als sie mit Scheren und Gürteln, mit Plastiktüte und Schaufel den Verhafteten
ins Koma prügelten.
Val Kilmer ist eine Art Nosferatu, der Pein und Tod über
seine Opfer bringt, unerbittlich, unausweichlich – und es ist überraschend
spannend, da wir doch alle den Fortgang des Films kennen. Zu überlegen ist der
Racheengel, zu unüberlegt handeln die Polizisten, die einer nach dem anderen
abgemurkst werden. Die Regeln sind klar: Auf dem Spielbrett geht es nicht mehr
ums Gewinnen, sondern nur darum, den Gegner rauszuschmeißen. Ein Gegner, der
nie zum Zuge kommt.
Jeder bekommt seine Untat heimgezahlt, mit den Mitteln, die
er damals, ein Jahr zuvor, gegen den Drifter angewendet hat. Gürtel um Gürtel,
Schaufel um Schaufel – er sei Fan des Alten Testaments, sagt der tödliche
Fremde, der sich Nobody nennt, der Bibelteil mit dem strafenden Gott; erst, als
die Menschen dieses Konzept nicht mehr ausgehalten hätten, hätten sie den
netten, freundlichen Jesus mit seinem Neuen Testament dazugesetzt…
Oblowitz inszeniert ganz zwingend, zumindest über weite
Teile. Zu redundant wird die Folterszene gezeigt – alsbald hat der Zuschauer
natürlich die Korrespondenz zwischen Tat und Strafe kapiert, das muss nicht
immer extra betont werden. Die Polizisten dagegen verstehen den Zusammenhang
allzu spät, der Zuschauer ist viel weiter und wundert sich über deren
Blindheit. Während Oblowitz, wahrscheinlich, um die Story zu steigern, jeden
Racheakt blutiger und blutiger inszeniert, da werden Gedärme aus dem noch
lebenden Körper geschaufelt, einer Polizistin schießen die Eingeweide aus dem
Unterleib… An solchen Stellen stimmt die Balance nicht, weil offenbar wird,
dass Oblowitz – oder seine Produzenten, oder wer immer – ihrer Prämisse der
reinen Rache nicht vertrauen. Und erst am Ende holt der Film sich selbst wieder
ein, mit einem Twist, der dann doch alles nochmal düsterer, nochmal
erbarmungsloser macht. Denn in der Tat ist das Böse immer und überall.
Ganzfeld-Apparatur |
Immer und überall, vor allem im Verborgenen. Wenn etwa vier
junge Studenten sich zurückziehen für ein Psychologieexperiment, Teil der
Semesterabschlussprüfung, es geht um Telepathie, um ein Experiment aus den 50er
Jahren, um Ganzfeld-Versuche zur Übertragung von Wahrnehmungen von einem
isolierten Raum zum anderen, aufgezeichnet mit einer Apparatur zur
Dokumentation parapsychologischer Vorgänge. Hitler und die Filterzigarette
hätten den Grundstein gelegt, heißt es im Film, denn um des Führers überlange
Reden aufzuzeichnen, habe man das Eisenoxid aus den Filtern extrahiert und das
Magnetband erfunden, das hier extensiv zum Einsatz kommt – eine extravagante Retro-Filmausstattung,
wie sie Oblowitz, der bekennende „Brazil“-Adept, immer gerne benutzt. Die
Vampire in „The Breed“, die außerhalb der Zeit leben, die die Jahrhunderte
überdauern; die uralten Vehikel, mit denen die Cops im „Traveler“
umherkutschieren, ein Film, der heute wie vor Jahrzehnten spielen könnte, würde
nicht einmal kurz erwähnt, dass die Handys alle ausgefallen sind…
Das „Ganzfeld-Experiment“, Oblowitz’ neuester Film, der hier
in Hof seine Weltpremiere hatte, vermischt die Zeiten, nicht nur in Design und
Ausstattung. Auch, wieder ein Oblowitz-Thema, durch die alte Schuld, die die
Protagonisten einholt, eine metaphysische Wiedervereinigung von Geschwistern,
die sich längst vergessen haben, ein alter Mord, der in Erinnerung,
Halluzination, in der Manifestation durch ein Geisterwesen gegenwärtig ist…
Nunja. Vor allem sind da die jungen Leute, die klischeehaft
mehr an Drogen und Sex interessiert sind als an Studien. Die ihre
Ganzfeld-Experimente an einem „neutralen“ Ort ausführen wollen und dafür ein
halbverfallenes, düsteres Haus wählen, wie es in jedem Horrorfilm vorkommt. Die
es mit überlauten Geräuschen, flackernden Lampen, auf- und zuschlagenden Türen
zu tun bekommen. Was halt dummerweise alles schon so ausgelutscht ist, dass es
den Zuschauer kaum mehr berührt.
Die Vermischungen von Halluzination, Traum und
übersinnlicher Wirklichkeit hatten wir so und ähnlich auch schon mal, dass
diese Typen ständig koksen, machts nicht besser. Und eine lange Sexorgie – die
aber abbricht, bevor irgendeine unanständige Nacktheit zu sehen ist – dient
auch eher zur Aufrechterhaltung des Interesses: Mädels in Unterwäsche, die
durchs Haus rennen, sind sicher ein Hingucker.
Über weite Strecken ist dies ein ziemlich schlechter Film.
Was einem leidtut, wenn man sich mehrere Oblowitze am Stück reingezogen hat. Doch
dann, ganz unvermutet, kommt am Ende wieder ein ganz großartiger Moment,
Oblowitz pur, wenn Polizisten auftauchen am Ort des Schreckens. Wobei der eine
dem anderen seine Pommes wegfrisst, bevor sie aufgeladen mit dem Zynismus aus
Jahrzehnten von Berufserfahrung und deshalb auch korrumpiert bis aufs Blut
ungerührt dieses maniac mansion besichtigen und auch mal eine Nase Koks wagen:
Da hat wohl einer sein Rezept abgeholt – SNIFF!
Da sind sie wieder, die überlebensgroßen Figuren, die
Oblowitz’ Filme immer wieder bevölkern, und die in ihren Szenen den ganzen Film
nochmal ein paar Level höher pushen. Oh, ich erinnere mich an einen der
„Breed“-Vampire, ein fetter Italiener, der täglich das Grab seiner Mama besucht
und ansonsten seiner Schauspielerleidenschaft frönt, der in einem vollgestopft-halbverfallenen
Theater in dröhnendem Pathos den Monolog von Peter Lorre aus „M“ rezitiert…
Diesen Touch bringt auch die letzte Szene wieder hinein in das
„Ganzfeld-Experiment“ – zusätzlich natürlich zum ständigen unterschwelligen
Bezug zu „This World, then the Fireworks“. Auch bei „Ganzfeld“ spielt Billy
Zane mit, in parapsychologisch heraufbeschworenen Erinnerungsrückblenden, als
tödlicher Vater, der es auf zwei Geschwister (!) abgesehen hat… Das stecke
alles freudianisch in ihm drin, das komme raus, wenn er Filme dreht, so
Oblowitz. Überhaupt: Billy Zane, das sei immer sein Alter Ego, man sehe es an
der dicken Hornbrille. Die Hornbrille in seinen Filmen: Sowieso immer ein
Zeichen für die filmische Verkörperung des Regisseurs…
Ebenfalls mit Brille: Der fette feige Polizist mit dem Traveler |
Muss man noch erwähnen, dass das Ganzfeld-Schreckenshaus
schön vor dem ikonischen Hollywood-Zeichen in den Hügeln von Los Angeles
drapiert ist? Nein; ich denke, dass das eine Selbstverständlichkeit ist bei
Oblowitz.
Harald Mühlbeyer