Grindhouse-Nachlese November 2021: „Nacht der Gejagten“, „FBI jagt Phantom“ und „Mission Thunderbolt“

Grindhouse-Triple-Feature, 27. November 2021, Cinema Quadrat Mannheim:

 

„Nacht der Gejagten“ / „Die Nacht der Gehetzten“ /  „La nuit des traquées“, FRA 1980, Regie: Jean Rollin

 „FBI jagt Phantom“ /  „The Human Duplicators“, USA 1965, Regie: Hugo Grimaldi

 „Mission Thunderbolt“, Hongkong 1983, Regie: Godfrey Ho


Scheinwerfer in der Nacht, ein Auto auf kurviger Straße, eine Frau in weißem Nachthemd, verängstigt, gehetzt – das ist Brigitte Lahaie in ihrer Rolle als Elisabeth, die nun von Robert, dem Autofahrer, gerettet wird. Lahaie ist vollkommen unten durch, ein Nervenwrack – Robert stürzt auf sie zu, packt sie an, der Zuschauer ist einen Moment im Ungewissen, was er ihr antun will. Aber er will nur helfen!

Mitunter sind es solche Momente der Nachlässigkeit in Inszenierung oder Schauspielführung oder Darstellung, die „Nacht der Gejagten“ ins Grindhousemäßige abrutschen lassen – und natürlich die Tatsache, dass offenbar jeder Protagonist mit geladener Pistole in der Hosentasche rumläuft, mit der auch über 50 Meter Entfernung sicher getroffen werden kann, und dass Frauen sich baldmöglichst nach ihrem Leinwandauftritt ausziehen müssen. Diese filminszenatorischen Einschränkungen – wenn man sich die Mühe machen sollte, sie als solche anzusehen – müssen mitgedacht sein; aber das eigentlich äußerst Merkwürdige ist, dass sie nicht daran rütteln, dass wir es hier mit einem Meisterwerk zu tun haben.

Jean Rollin gelingt dabei eine Besetzungstrinität: Er wählte seine Darsteller(innnen) offenbar danach aus, ob sie in die Rolle passen (tun sie), ob sie schauspielerische Qualitäten aufweisen (tun sie) und wie wohlgeformt ihre Brüste sind (sehr).

Brigitte Lahaie war damals Pornodarstellerin. Doch Jean Rollin hatte schon zuvor einige Nicht-Hardcorefilme mit ihr gedreht, er nutzt in „Nacht der Gehetzten“ auch ihre Körper – aber nicht, um den Zuschauer aufzugeilen. Bald, nachdem Robert Elisabeth in seinem Auto mitgenommen hat, merken wir: Sie leidet unter Gedächtnisverlust; was ein paar Minuten zuvor passiert war, entfällt ihr unweigerlich. Auch die nackte Frau, die durch den Wald zur Straße läuft, ihren Namen ruft, die verzweifelt sieht, wie Elisabeth mit Robert wegfährt, existiert kurz darauf für Elisabeth nicht mehr. Véronique heißt sie, irgendwie sagt der Name Elisabeth etwas, aber was? War es wichtig?

Mit Robert macht Elisabeth Liebe. Und das ist nicht ihrem Pornostatus geschuldet, denn Rollin inszeniert diese Liebesszene nicht als Bums-Akt, nicht für den Zuschauer. Vielmehr sehen wir zwei Körper, die sich vereinigen, mit ganz wenigen Schnitten quasi in Echtzeit, ein Verlangen, eine Zärtlichkeit, ein Ineinanderübergehen – und zwar eben nicht voyeuristisch, sondern sozusagen protokollarisch aufgenommen von der Kamera, die immer wieder die Gesichter ins Blickfeld nimmt und eben nicht Geschlechtsorgane, die keine „Ästhetik“ erzeugt, sondern von außen betrachtet, wie zwei sich einander hingeben. Diese Liebesszene ist gerade in ihrer Ausführlichkeit ungeheuer wichtig: Weil hier das Miteinander gefeiert wird von Elisabeth und Robert – und weil wenige Minuten später sie alles wieder vergessen haben wird.

Elisabeth, gedächtnislos, lebt im Moment, kann nicht anders. Sie wird aus Roberts Wohnung abgeholt von Dr. Francis und seiner Assistentin Solange; beide in Trenchcoats gekleidet, ohne jedes Mitgefühl in der Mimik, ja, ohne Gefühl überhaupt führen sie Elisabeth ab, führen sie in ihr Zimmer im 30. Stock eines dunklen Hochhauses. Dort wohnen eine Menge Leute, die an Amnesie leiden, und es könnte eine Klinik sein, dessen Personal bis hin zum Chefarzt Dr. Francis schlicht vollkommen überlastet ist von Patienten, die immer wieder ausbüchsen, ohne zu wissen wohin. Es könnte auch ein Gefängnis sein, das Menschenlabor eines sinistren Mad Scientist. Oder eine Selbsthilfegruppe von desorientierten Menschen, denen Reden und Medikamente möglicherweise helfen sollen… Catherine ist Elisabeths Zimmergenossin, ebenfalls ohne Gedächtnis; die beiden erfinden sich eine eigene Vergangenheit, eine Kinderfreundschaft, die es nie gab und die bei ihnen wiederum nur Verstörung hervorruft.

Im Flur stehen die weiteren Patienten, eine Frau sucht ihr Kind, sie ist sicher, dass sie mal eins hatte, eine andere blättert in einem Fotoalbum mit uralten Schwarzweißporträts, ob das mal ihre Verwandten waren?

Menschen, die nicht mehr sich selbst kennen, geschweige denn andere – torkelnde Männer; ein geiler Aufseher, der sich etwas darauf einbildet, Zimmernummern wiederzufinden und dafür von den Frauen belohnt werden will. Er führt eine junge Frau in einen Filmsaal, dort vergewaltigt er sie – sie wird sich danach ja nicht mehr erinnern können. Ein Mann taucht auf, er hat einen Hammer. Blut. Mord. Ein anderer wird von einer Frau angesprochen: zu zweit ist besser als allein. Nackt in der Sauna liegen sie aufeinander. Er erwürgt sie. Es geht nicht nur um Gedächtnisverlust, um Störungen den Gleichgewichtssinns: Die Menschen hier töten, sie sind gefährlich füreinander, für sich selbst… Sind es noch Menschen?

Véronique ist da. Sie und Elisabeth erkennen sich. Zwischen ihnen scheint etwas zu bestehen, was älter ist und tiefer geht als die normalen Erinnerungen. Sie wollen fliehen. Véronique sitzt am Fenster, sie kennt ihren Zustand, zumindest in diesem Moment kennt sie ihn, sie wird wenig später vielleicht alles wieder vergessen haben: „Wenn es Nacht wird, bleibt nur die Angst derer, die leiden in der Welt der Hochhäuser.“

Jean Rollin ist gewiss ein Erotomane. Am nackten Leib berauscht er sich, am weiblichen vor allem, wir hatten von ihm bereits „Die nackten Vampire“ im Grindhouse-Programm, der war ebenfalls verstörend, von einer merkwürdig abseitigen Erotik durchzogen; in „Nacht der Gejagten“ aber erzeugt Rollin eine ganz faszinierende Stimmung, der man sich nicht entziehen kann, die einen mit runterzieht in Verstörung und Verlorenheit: Immer wieder lässt er seine Protagonisten in den Statussymbolen der Moderne agieren, inmitten kalter Architektur, die Welt der Hochhäuser ist keine menschliche, sie ist fremd und übergestülpt, hier kann man verloren gehen.

Elisabeth schleicht sich an einen Wächter, stiehlt seine Pistole und erschießt ihn, ohne Mitgefühl, von hinten. Ein Schock – Elisabeth, die immer einfühlsam war, auch in der eigenen Verzweiflung, die Catherine mit ihren motorischen Störungen gefüttert hat, die so zärtlich ist und so unschuldig… Mit der Pistole in der Hand erkämpft sie sich einen Weg nach außen, sie schießt, wenn nötig; es gelingt auch, Robert zu benachrichtigen. (Auch hier wieder eine der Nachlässigkeiten: „Ich weiß nicht, wo ich bin, es ist ein schwarzes Hochhaus…“ – „Das kenne ich, ich bin in zehn Minuten da!“) Doch eigentlich ist klar, dass alles zu spät ist, denn die Gedächtnis-, die Denkfunktionen nehmen rapide ab.

Die Patienten sind nur noch Körper, und Rollin stellt sich mit seinem Film ganz deutlich in die Philosophiegeschichte: „Ich denke, also bin ich“ hat Descartes erkannt, ein Schlüsselsatz der Moderne, der Aufklärung – für Descartes gab es Geist und Körper, beziehungslos, aber miteinander verbunden, eine Dualität, in der der Geist das Menschsein ausmacht, in dem Denken, Fühlen, Seele sich finden, dem Körper entgegengesetzt, der rein mechanisch seine Funktionen erfüllt: „Nacht der Gejagten“ führt diese Thesen unerbittlich weiter dahin, wo das Unerträgliche lauert; denn er verlässt mit seinem Film nun die Welt der Hochhäuser, die Hypermoderne, die den Menschen kaputtmacht, verlässt das Hochhaus, das auch Gesellschaftsgleichnis war, wo die Geistlosen hausten, dieses System des überwachten Funktionierens, der Entindividualisierung – Rollin verlässt diese parabelhafte Kritik am menschlichen Zustand, um zurückzufinden zum ultimativ Unmenschlichen: Die verbliebenen Gedächtnislosen stehen zombiehaft in einem leeren Eisenbahnwaggon, sie werden nach und nach abgeholt, maskierte Ärzte mit Todesspritzen, ein Feuerloch als Krematorium: Faschismus, Holocaust sind die Endpunkte der düsteren Analyse, die Rollin der Descartes-Philosophie anlegt. Wer nicht denkt, ist nicht; er lebt nicht mehr, existiert nur noch, ist Körper, ohne Mensch zu sein – oder doch nicht?

Die Körper, die schönen filmischen Aktbilder, die Jean Rollin in seinem Film zeigt – es sind eben nicht die Obsessionen eines Erotomanen, der dem Voyeur im Publikum Futter bietet – es sind dies die einzigen Artefakte des Menschlichen, die den Protagonisten bleiben. Selten war Nacktheit im Film depressiver.

 

„FBI jagt Phantom“: So ein Quatsch. FBI? Phantom? Beides hat nichts mit Hugo Grimaldis Film zu tun, der Titel ist schlicht der Tatsache geschuldet, dass Hauptdarsteller George Nader in Deutschland als filmgewordener Jerry Cotton Berühmtheit erlangt hat, damals, in den 1960ern, als man mit Abenteuerkrimithrillergenrefilmen noch Geld im Kino zu verdienen versucht hat. „FBI jagt Phantom“ entstand vorher und kam mitten in der Cotton-Reihe in Deutschland raus – doch Naders Figur Glenn Martin ist in diesem Film nicht „G-Man“, sondern Agent der NSA: Die NSA, das waren damals noch die Guten!

Aber beginnen tut der Film mit dem Weltall, und ein Ufo taucht auf, das wie ein Brummkreisel aussieht. Es ist nicht auszuschließen, dass wir tatsächlich einen sehen, der ein Ufo darstellen soll, und dass irgendwo ein Kind weint, weil ihm sein Spielzeug geklaut wurde, um es an einer Schnur vor einen nachgemachten Sternenhimmel zu hängen! Drinnen befindet sich der Beißer. Ja, der Beißer, also: Richard Kiel zehn Jahre vorher, er heißt im Film Koloss, weil er so ein Koloss ist, und wird von der Zentrale instruiert: Um die Menschheit zu infiltrieren, muss er sich an Professor Dornheimer ranmachen. Achtung: deutscher Name auch im Original – das heißt übersetzt, dass Dornheimer zwar eine Kapazität ist, aber auch eigentlich böse, weil mit einer Elite-Philosophie ausgestattet, die nur einen Führer anerkennt. Koloss wird zu Dornheimers Villa gebeamt (avant la lettre), als Dr. Koloss übt er sofort seine böse Macht über Dornheimer und seine beiden hübschen, jungen Assistentinnen aus, die unten im Kellerlabor – Labor im Keller, klar, wo sonst! –, jedenfalls –. Also. Es gibt auch noch Dornheimers Tochter, sie ist blind. Was aber wirklich passiert, darüber gab es bisher nur Andeutungen, und die NSA ist auch ratlos!

Der aufgeklärte Zuschauer von heute kennt das alles natürlich. Im Film aber muss lang und breit erklärt werden, was Androiden sind. Was die Körperfresser in den 1950ern mit außerirdischen Kokons vollbracht haben, das kann Koloss mithilfe von Dornheimers Laboratorium auf technischem Wege bewerkstelligen: Kopien erschaffen! Und dann passiert es immer wieder, dass hochrenommierte Wissenschaftler mit tadellosem Ruf in ihren Wissenschaftsinstituten einbrechen und hochsensible Gerätschaften stehlen, und das Wachpersonal kann nichts gegen sie tun, weil sie haben als Roboter übermenschliche Kräfte!!!

Einmal sehen wir, wie das Kopieren von Menschen geht. Es funktioniert überraschenderweise eigentlich genau so wie 40 Jahre zuvor in Fritz Langs „Metropolis“. Nur dass um den Androiden keine Lichtkreise auf- und abschwingen, das war wohl im Filmbudget nicht drin, vielmehr hängen kreisförmig Lichterketten runter, drinnen dann entsteht die Kopie, in diesem Fall einer Frau, was aber nicht heißt, dass es unzüchtig würde, wenn die Kleider noch nicht fertigkopiert sind.

George Nader als NSA-Agent Glenn Martin tappt lange im Dunkeln, weiß aber sofort bei Durchsicht der Fotos aller wichtigen Wissenschaftler, dass er diese eine Chinesin gerne mal persönlich beschatten würde. Weil er halt ein Mann ist! Ein Mann, der mehr ist als wie die Agentin Wilson, die eigentlich, also in Wirklichkeit, sehr flott viel mehr weiß als Martin und sein Chef, die aber immer rumkommandiert wird und auch mal in der Bibliothek vorbeischauen muss, wenn Nader was braucht: Sie ist eine Frau, der Film hat da klare Standpunkte, so ist das in den 1960ern. Agentin Wilson aber ist herzlich in Martin verliebt, der sie immer gerne mit Missachtung behandelt, sich aber auch mal zu einem Kuss herablässt. Irgendwie wohnen die beiden auch zusammen, oder so. Es ist halt nicht alles klar, der Film hat einige Geheimnisse.

Die androidischen Menschenkopien jedenfalls sollen nach außerirdischem Willen irgendwie die Invasion vorbereiten, das werden Klonkriege werden, Koloss muss alles irgendwie anstoßen mit der Dornheimer-Kopie in dessen Labor, das aussieht wie jedes Labor in einem B-Film, und es gibt immer wieder neue Menschenkopien und die Frage, wie man eigentlich einen Androiden erkennt. Und auch Glenn Martin wird kopiert! Aber nicht Lisa, des Professors blinde Tochter. Denn Koloss zeigt menschliche Züge, er ist blind in sie verliebt, als Außerirdischer. Und der Klon von Prof. Dornheimer baut sich seine eigene faschistisch-darwinistische Ideologie auf, denn: Koloss hat den wichtigsten wissenschaftlichen Grundsatz vergessen! Man darf nämlich die mechanischen Technikgehirne der Androiden nie mit dem ganzen Wissen des Originals ausstatten, sonst werden die Kopien die Originale irgendwann erledigen, denn sie sind sehr viel weiter als der bloße Mensch: Sie haben nicht den Fehler der Emotion!

Soweit der philosophische Überbau. Das Sein des Films ist jedenfalls sehr viel unterhaltsamer als sein Bewusstsein – weil der Film gar nicht weiß, wie doof er ist. Ich meine, hallo, der Plan der Außerirdischen könnte auch einem Ed Wood-Gehirn entsprungen sein! Irgendwann ist Glenn Martin, also das Original, eingesperrt, und die blinde Tochter muss ihm unbedingt seinen Talisman bringen, eine Münze, das ist unheimlich wichtig – als er sie hat, fummelt er an seiner Taschenuhr rum, er hat nämlich da ein James Bond-Gimmick: einen langen Draht, mit dem zersägt er mühsam die Eisenstäbe. Die Münze hat er dafür gebraucht, weil er sie dafür gebraucht hat. Punkt.

Kurz vor seinem Ausbruch gibt ihm Professor Dornheimer, das Original, einen Tipp: Die Androidengehirne funktionieren ja mechanisch, und die sind so sensibel, dass ein übergroßer Lichtschock – oder was weiß ich. Jedenfalls hat natürlich jede wissenschaftliche Kapazität, die etwas auf sich hält, eine Laserkanone im Labor liegen, und damit werden all die Klone des dornheimerschen Dieners – ungefähr sieben Stück! – total aufgewiegelt, so dass sie sich gegenseitig umbringen. Die Laserkanone ist eine Art Scheinwerfer-Spot, man muss das Licht halt scharf genug einstellen, weiß Prof. Dornheimer (der echte). Der gefälschte kann fliehen, aber nicht lange, jedenfalls gibt es einen Kampf, und eine filmgeschichtliche Erkenntnis: Nicht erst in „Blade Runner“ kann man Androidenaugen weinen sehen.

Ein höchst unterhaltsamer Film, der so gefangen ist in seiner Zeit, dass er davon gar nichts mitbekommt!

 

Aber immerhin ist „FBI jagt Phantom“ ein Film, also: ein Film, bei dem irgendwo klar ist, wer was will, warum wer wohin geht und was wer wann warum tut – auch wenn nach menschlichen Maßstäben alles blödsinnig ist. Godfrey Ho hat versucht, irgendwas zu machen, herausgekommen ist „Mission Thunderbolt“.

Nachdem der erste Film des Abends überraschend komplex und hochatmosphärisch den Menschen im Prozess seiner Entmenschlichung gezeigt hat, und der zweite Film sich auf seine Art mit dem herumgeschlagen hat, was den Menschen ausmacht und was passiert beim Kopieren, schlägt der dritte Film des Abends einen ganz anderen Weg ein im Themenbereich Identität: Denn er ist mit sich selbst nicht identisch. Das ist nämlich so: Da wurden zwei Filme ineinandergezwängt. Und zwar nach einem Geheimrezept, das so geheim ist, dass wir bei IMDb gerade mal erfahren, dass der Originalfilm „Bie ai mosheng ren“ heißt, eine taiwanesische Produktion von 1982. Die muss den hongkongerischen Produzenten in die Hände gefallen sein, die sie mit eigenen Szenen anreicherten, um den doppelt aufgemischten Film dann auf den Videomarkt zu schmeißen.

Am Anfang sieht man Stadtimpressionen von London; New York; Sidney. Dort nämlich passieren Dinge: Ein Mann steigt aus einem Auto, und dann rast ein Rollschuhfahrer herbei und hat eine Sichel in der Hand. Zwei Männer öffnen einen Lieferwagen, und drin ist keine Ware, sondern ein Mörder mit Maschinenpistole. Eine Frau liebkost den Bauch eines Mannes (ohne dass irgendwelche naughty bits gezeigt würden), knabbert an seiner Brustwarze, dann wendet sie ihren Kopf ab, hat plötzlich eine Rasierklinge zwischen ihren Lippen und ratsch, durchtrennt sie die Kehle des sich wollüstig Räkelnden. Und dann ist große Aufregung bei Interpol in Hongkong, der Stadt, in der der Film spielt: Weil diese drei weltbekannten Auftragskiller alle gleichzeitig hier angekommen sind.

Soweit, so klar. Nur sehen wir jetzt zwei junge Frauen miteinander in der Welt der Hochhäuser umeinandertollen, sie haben so richtig Spaß. Und dann wird eine Frau von ein paar gewalttätigen Jugendlichen auf Motorrädern bedrängt. Und bei Interpol soll ein Diavortrag die ganze Geschichte erklären: Es gibt da nämlich zwei Gangsterbanden, die miteinander um die Unterwelt konkurrieren, und ja. Irgendwie gibt es Morde. Eine Frau sieht, wie ihrer Schwester der Bauch aufgeschlitzt wird. Das sind, glaube ich, die, die zuvor herumgetollt sind. Aber da sind auch noch die Killer, die treffen ihren Auftraggeber in ihren Autos auf einer Brücke und bei Interpol wird viel telefoniert und es gibt verschiedene Anweisungen. Die Schwester, deren Schwester ermordet wurde, bietet sich als Schuhputzerin an, andere Schuhputzer wollen sie vertreiben, aber die Gangster der einen Bande laden sie für abends in ihren Nachtklub ein. Wo sie als Animiermädchen mit ihrer miesen Laune die Gäste verkrault und auch mal verhaut. Und dann sind da noch die Killer von auswärts! Die bringen auch Leute um. Und Interpol hat einen Agenten, der sich im Fitnessstudio stählt. Und auf dem Schrottplatz trifft sich die Schwester mit wem, und dann tauchen plötzlich hundert Leute auf und prügeln sich. Und später trifft sie sich nochmal mit wem, und wieder tauchen hundert Leute auf und prügeln sich. Und die Killer treffen ihren Auftraggeber, und der Auftraggeber trifft einen weiteren Auftraggeber, und der Mann aus dem Fitnessstudio prügelt auch herum.

Es ist hier nicht meine Aufgabe, Handlungszusammenfassungen von Grindhouse-Filmen zu liefern, aber bemerkenswert ist doch, dass nicht einmal „Mission Thunderbolt“ selbst seine eigene Handlung erzählen zu können scheint, weil der Film immer wieder über sich selbst stolpert. Und nahezu unmöglich ist es, die heitere Stimmung zu schildern, die dies wiederum auslöst, weil man als Zuschauer ja noch verlorener ist als der Film selbst, man sieht zu und versucht zu folgen, und das Interessante ist, dass man dabei nicht verwirrt wird, sondern dass man die Verwirrung als Teil des Ganzen empfindet, und das ist lustig.

Vielleicht so: Wenn Taube Freejazz spielten; und wenn diese Töne bei einem Publikum von Synästhetikern Farbempfindungen erzeugten; und wenn diese Farben von einem blinden Maler zu einem Landschaftsbild verarbeitet würden; und wenn der demente Opa dieses Gemälde beschriebe: Dann, möglicherweise… aber lassen wir das. Irgendwann im Film versteht man, dass wohl alle Szenen, in denen Asiaten auftauchen, aus dem einen, ursprünglichen Film stammen, in dem es möglicherweise um eine Rachegeschichte wegen des Mordes an der Schwester der Frau geht, die sich deshalb in der Unterwelt hochdient. Und dass alle Szenen mit nicht-schlitzäugigen Darstellern – also die Killer und Interpol – nachgedreht wurden. Und dass diese merkwürdige Rahmenhandlung absolut nicht rahmt, sondern eher alles verquirlt. Weil’s nichts miteinander zu tun hat. Godfrey Ho hat anscheinend ein paar Ideen für diverse ulkige Gewalt- und Mordszenen gehabt und diese dann einfach mal so gedreht und dem anderen Film einverleibt – einmal mit Armbrust! Einmal kopfüber in ein Fass gesteckt und Ratte mit rein und dann eine Katze! Zusatznutzen der Zusatzszenen: Die nicht-asiatischen Darsteller sollten wahrscheinlich dem auf diese Weise neu entstandenen Film ein Standing in westlichen Videotheken verleihen, in der Annahme, dass dort kein All-Asian-Cast goutiert würde. (Dies alles Spekulation meinerseits übrigens: am Film selbst können diese Annahmen nicht verifiziert werden, es gibt nichts Greifbares darin.)

Am Ende jedenfalls bietet der Film doch in einer Sache Klarheit. Da trifft sich unser weißer Interpolagent mit irgendeinem Gegner auf einem Staudamm. Welcher Gegner, weiß ich nicht, ich glaube nicht, dass er zuvor schon einmal aufgetaucht ist, und den Damm gab es vorher auch nicht. Der Gegner jedenfalls ist Asiate, die kaukasischen Auftragskiller hat unser Held nämlich zuvor schon auf einer Baustelle nacheinander getötet mit schönen Kampfmoves, das muss man ihm lassen. Beim Staudamm-Endkampf nun hören wir auf dem Soundtrack ein treibendes Bassmotiv, und dann Gitarrenakkorde: Die markanten Klänge sind eindeutig reinkopiertes „On the Run“ vom „The Wall“-Album, und damit ist nachträglich klargestellt, dass mich meine musikalischen Déja-vus bei der Filmmusik nicht getrogen haben und der Soundtrack kräftig bei Pink Floyd plündert; meines Erachtens hauptsächlich beim „Ummagumma“-Album.

 

Harald Mühlbeyer