„Kidnapping... ein Tag der Gewalt“ / „Operazione Kappa: sparate a vista“, Italien 1977, R: Luigi Petrini
„Fröhliche Weihnacht“ / Don’t Open Till Christmas“, GB 1984, R: Edmund Purdom
Ich bin ja total
erschrocken!!!: Da beugt sich doch während des Filmvorspanns Max, der
glorreiche Kurator der Grindhouse-Reihe, zu mir rüber, und raunt mich an: Na,
wo haben sie geklaut, na, naa? Und ich, völlig perplex – ist das eine Fangfrage?
Bin ich im Examen? Muss ich antworten ohne Anwalt? Dabei war’s eigentlich ganz
einfach. Zu einfach; ich dachte, vielleicht werd ich ja aufs Glatteis
geführt?!? Wenn jedenfalls in einer Film-Pretitle-Sequenz ein Typ im Auto mit
einer Frau rummacht, und die Kamera ist subjektiv und schleicht sich um die
beiden rum, und der Protagonist, mit dessen Augen wir sehen, hat ein Messer in
der Hand und sticht den Typen ab, dann ist die richtige Antwort: „Halloween“.
Hätt ich auch gleich drauf kommen können.
Dieser Beginn von „Don’t Open Till Christmas“ (mit dem schönen deutschen Verleihtitel „Fröhliche Weihnacht“) ist symptomatisch für den Film: Liegt klar im Genre, und man weiß trotzdem nicht recht, was man damit anfangen soll. Ist so einfach, dass es schon wieder kompliziert wird. Erzählt alles einigermaßen falsch, aber so, dass am Ende doch was rauskommt – sagen wir: was Besonderes.
Besonders nachlässig nämlich einerseits, und andererseits besonders interessant/irre, und besonders kaltschnäuzig vielleicht auch. Was schon damit anfängt, dass unser POV-Killer von der Eingangsszene laut Drehbuch einen Weihnachtsmanndarsteller beim Fummeln mit der Freundin killt – man dies als Zuschauer aber gar nicht recht mitbekommt, weil dieser Herr im ca. ersten Bild des Films, fürs Publikum quasi unsichtbar, sich die Santa-Maske vom Gesicht zieht, um besser knutschen zu können. Das Ganze kann man sich aber getrost im Nachhinein rekonstruieren, im weiteren Verlauf nämlich bietet „Don’t Open Till Christmas“ eine bunte Palette an Kills an, alle begangen an Weihnachtsmännern, alle auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Und das ist dann auch wirklich ganz besonders cool.
In einer reichlich
betrunkenen Party tritt Santa Claus auf – und wird inmitten der Menschenmenge
auf einer schäbigen kleinen Bühne aus schäbigen kleinen Kulissen heraus von
hinten durchstoßen. Ein anderer torkelt betrunken durch die Hinterhöfe und wird
in den Mund geschossen. Später – ein dolle Szene – fühlt sich einer der Father
Christmases verfolgt, flieht durch die Stadt, eine Tür rein, und plötzlich steht
er mitten im London Dungeon, unter all den ausgestellten Figuren vergangener
Mord- und Foltertaten, und segnet hier natürlich auch das Zeitliche. Ein
anderer taucht plötzlich in einem Theater auf, wo gerade Caroline Munro (als
sie selbst in einem Cameo-Auftritt) auf der Bühne probt, und zack, ist er tot
und taucht von unten, durch die Versenkung direkt vor den Füßen der Sängerin
auf. Es ist recht blutig immer wieder, auch eine Kastration im öffentlichen Klo
kommt vor. Es macht sichtlich allen Spaß, Weihnachtsmänner erfindungsreich zu
morden!
Die Handlung, die der Film haben muss, weil jeder Film eine Handlung hat, die sackt dagegen doch immer wieder deutlich ab; zumindest, soweit es den Zusammenhang der Szenen angeht. Die Einzelteile, die haben das Zeug zu bestehen, und irgendwie, auf geheimnisvolle Weise, heben sie sich gegenseitig auf, wenn sie aneinanderstoßen. Bei der Polizei sind zwei Kommissare mit den Morden beschäftigt, und wenn sie sich unterhalten, dann kann es natürlich durchaus sein, dass sich Polizeikollegen auf diese Weise miteinander unterhalten, im Film ist es aber sehr, sehr langweilig. Außerdem mischt die Tochter des Weihnachtsmanns mit, der bei der kleinen Feier gekillt wurde; ihr Freund ist so nebenher verdächtig. Zwischendurch befinden wir uns in einer Peepshow, da geschieht auch ein Mord vor der sehr jung und unschuldig aussehenden Stripperin, die vom Killer aber auch nicht wirklich was mitbekommen hat. Und ein recht merkwürdiger Reporter ruft immer wieder an und gibt Hinweise oder will was wissen, und so weiter.
Die Stripperin avanciert
irgendwie immer mehr zu so einer Art Hauptfigur, gesellt sich damit zu den
anderen Hauptfiguren des Films (also Kommissare und Mordopfertochter); wobei
der eine Kommissar als Hauptfigur irgendwann, ohne dass dies weiter
thematisiert wird, aus dem Film verschwindet, dafür übernimmt sein Kollege dessen
Hauptfigurenrolle. Warum auch nicht. Der Killer entführt irgendwann die
Stripperin und hält sie im Keller gefangen. Er will eigentlich gar nichts von
ihr, und sie hätte ihn auch kaum identifizieren können. Die Mordopfertochter
dafür wird von ihrem arschigen Freund zu dessen noch viel arschigeren Freund
geführt, der ist nämlich Fotograf, und die beiden haben ausgebaldowert, dass
diese blonde Dame doch mal nackig fotografiert werden sollte. Passenderweise
macht der Fotograf sowieso grade erotische Fotos von einer Dame, und
unpassenderweise macht unser Fotoprofi auch noch sehr pietätlose Bemerkungen
gegenüber der Mordopfertochter in Trauer, da ist die Beziehung am Boden, aber
immerhin noch die halb ausgezogene Dame da. Die denn auch alsbald im
Nikolauskostüm (also: nach wie vor reichlich nackig) außen auf der Straße
fotografiert werden soll, aber da ist auch schon wieder der Killer hinter ihr
her, sie mit all ihrer bloßen Haut in der Kälte des weihnachtlichen Londons!
Das passt alles nicht
zusammen. Und das ist kein Wunder: Denn der Film, den Edmund Purdom mit sich
selbst als Hauptkommissarshauptrolle Nr. 1 inszeniert hat, wurde alsbald
nochmal komplett umgeschnitten und zu ca. der Hälfte neu gedreht, so dass
beispielsweise die ganze Geschichte um die Auflösung des Falls (völlig
hanebüchen natürlich!!!) ganz neu eingepasst wurde. Beziehungsweise eben gerade
nicht eingepasst, sondern aufgezwungen und reingedrückt. Man wüsste
unheimlich gern, wie der ursprüngliche Film geplant war, bevor wasweißich
welche Szenen ihn komplett gesprengt haben.
Dieser wunderbare
Weihnachtsfilm entließ die Grindhouse-hungrige Meute in die stille Zeit der
Besinnung; zuvor wurden wir im ersten Film des Abends kräftig aufgemischt von
einem italienischen, ja, beinahe möchte man sagen True-Crime-Thriller namens „Kidnapping…
ein Tag der Gewalt“, der Bezug nimmt auf die Welle der Jugendgewalt im
Italien der 70er, der wir beispielsweise auch schon „Wie tollwütige Hunde“ von
Mario Imperioli 1976 verdanken; und der auch eine Verbindung mit Rolf
Olsens „Blutiger Freitag“ aufweist, von 1972 und eine deutsch-italienische Koproduktion. Darin haben wir
Raimund Harmstorff als kaltblütigen Geiselgangster; in „Kidnapping“ wiederum
geht es gar nicht um Kidnapping, sondern ebenfalls um Geiselnahme –
wahrscheinlich war das Phänomen damals so neu, dass man die Namen dafür
schonmal durcheinanderbringt.
Auf einer Party begegnen sich zwei, Paolo und Giovanni; Paolo hat gerade die Tochter des Hauses ficken wollen, aber die Mutter hat dies rüde verhindert. Der andere hängt gelangweilt außen rum, liegt auf dem Sprungbrett des Pools und tut nichts. Sie kommen ins Gespräch, auch wenn sie beide sichtlich soziopathisch sind. Gemeinsam sitzen sie auf einem Kanonenrohr – so werden Freundschaften geschmiedet. Giovanni hat ein Problem mit dem Sex, seine Freundin – naja: die, mit der er’s mal probiert hat, hat ihn offenbar eingeschüchtert, er hat’s nicht gebracht. Paolo ist der Macker, der Stecher, der Rumtöner. Im Morgengrauen laufen sie heim, zünden ganz beiläufig einen Obdachlosen an – er strampelt mit den Beinen, das Feuer ist aus –, die Saat ist gelegt. Besuch bei der dickbrüstigen jungen Dame von Giovanni: Sie will ihn schon, findet das so schamvoll empfundene Versagen auch gar nicht schlimm, aber jetzt gerade hat sie keine Zeit. Also, was soll man(n) tun: Vergewaltigung. Und weil das Mädel schreit und die Nachbarin einschreitet, wird sie gleich mit einbezogen. Üble, sadistische Spiele improvisieren die beiden Tunichtgute. Ausziehen, die Damen müssen sich gegenseitig vergleichen, und vielleicht sind sie lesbisch? Sollen mitnand rummachen. Beide völlig panisch, tiefst verängstigt, total gebrochen. Paolo und Giovanni ficken sie zwangsweise. Ihre brutale Ausstrahlung profunder Bedrohung gibt ihnen, was sie wollen. Die ältere Nachbarin begehrt auf. Zack, ist sie tot. Das Mädel verspricht, keinem was zu sagen – die beiden ziehen ab.
Diese beiden sind ein
unglaubliches Paar an Typen. Grausam, ohne Empathie, völlig selbstbezogen;
Alphamännchen, oder zumindest tun sie so als ob. Voll Verachtung für die
Gesellschaft und zugleich mit dem tiefen Drang, dazugehören zu wollen. Herumstreuner
wider jede Autorität und sadistische Brutalos, die ihren Willen mit all ihrer
Macht durchsetzen. Kleine Kinder vor dem Süßigkeitenregal, die Trotz mit Gangstermanieren
paaren. Handtasche klauen, Auto klauen, einen Freund (ja, Paolo hat Freunde!) verkloppen
und beinahe dessen Freundin ficken, um an seinen Rauschgiftvorrat zu kommen,
damit Pistole besorgen und ein schönes kleines Hotelrestaurant betreten – und
der erste Teil des Films ist abgeschlossen. Ein Teil, der puren Sadismus zeigt,
sexuelle Gewalt, absolute Unmoral – und dies jedenfalls nicht reißerisch,
sondern als bloße Beobachtung der Entwicklung dieser schlimmen Früchtchen.
Ach, was muss man oft von bösen Buben hören oder lesen oder in einem Grindhouse-Film sehen! Wie hier diese beiden, die vergewaltigen und morden und sich dabei noch als Opfer fühlen, weil sie vom Schicksal so gebeutelt sind, dass in der geklauten Handtasche nicht mal was Gscheits drin ist und das geklaute Auto ist auch doof, und jetzt, wo sie eh auf der Fahndungsliste stehen, können sie auch in dieses Restaurant gehen und die Pistole zücken und alle als Geiseln nehmen.
Da ist die Dame, die
ihren Mann fest im Griff hat – der sich wiederum liebevoll kümmert in der
Geiselsituation, wenn sie Insulin braucht. Da ist die Dralle, die
möglicherweise stockholmmäßig Gefallen findet an den Gangstern – oder mit ihren
unsubtilen Andeutungen ihr Leben retten will. Der Großsprecher, der Opa mit
seinen Enkeln, die Französin etc.; und außen die Polizei, der Einsatzleiter mit
Liebesproblemen, die Politik, die sich verweigert, und der eine Polizist, der
vieles richtig machen will: Alle bekommen ein Eigenleben, alle haben Charakter,
das macht den Film zu weit mehr als einem bloßen Jugendkriminalitätsschocker.
Bezahlt wird dies alles
mit J&B-Werbung; der Whisky mit markant gelbem Label steht in ungefähr
jeder Szene irgendwo rum.
Harald Mühlbeyer