Grindhouse-Nachlese Juli 2017 - Blut am Freitag; auf einer Insel; und in einem unsinnig schlechten Film

Grindhouse-Triple-Feature:

"Blutiger Freitag", BRD/ITA 1972, Regie: Rolf Olsen

"Nove ospiti per un delitto" / "Neun Gäste für den Tod", ITA 1977, Regie: Ferdinando Baldi

"Samurai Cop", USA 1991, Regie: Amir Shervan


Banküberfall mit Geiselnahme – das war 1971 was ganz Neues. Großes Geld ganz auf die Schnelle, ohne Risiko, mit einer Polizei, die angesichts der neuen Brutalität völlig überfordert ist… Man braucht nur einen Plan, und den muss man präzise ausführen, das weiß Heinz Klett, der ganz genau ausgebaldowert hat, was die Gangster in der Prinzregentenstraße in München, in Köln, in Ludwigshafen alles vermasselt haben. Er und seine Kumpane werden es anders angehen!

"Blutiger Freitag" nimmt eine hochinteressante Perspektive an: Inspiriert vom Prinzregentenstraßen-Bankraub vom August 1971 bringt er eine Art Action-Aktualitätenschau ins Kino, nur wenige Monate nach der aufsehenerregenden Tat inkl. totem Räuber und toter Geisel – und er beleuchtet davon ausgehend die Trittbrettfahrer, die sich ein Beispiel nehmen an der Untat. Man muss es vor allem brutal angehen, dann glauben die Bullen, sie haben's mit Baader-Meinhof persönlich zu tun; und man darf nicht zimperlich sein, in jedem Kampf gehen Unschuldige drauf.

Rolf Olsen hat sich sofort nach der kriminalhistorischen Geiselnahme ans Drehbuch gesetzt, hat gedreht, hat seinen Film rausgehauen, und es wurde ein leider ganz unbekannter Kriminalklassiker des deutschen Kinos daraus. "Blutiger Freitag" – wie sehr Dominik Graf von diesem Film schwärmt in seiner Doku "Verfluchte Liebe Deutscher Film"! Mit Hochdampf fängt der Film an, mit Hochdampf geht es weiter, immer direkt am Tempolimit: Wir folgen Reimund Harmstorf in seiner Rolle als Heinz Klett, brutaler Straftäter und Berufszyniker, der vor nichts zurückschreckt. Mit zwei Kumpanen entflieht er aus dem Gerichtsgebäude, in das er von der U-Haft transportiert wurde, haut zwei Polizisten auf dem Klo zu blutigem Brei ("Ich knall dich hier auf dem Scheißhaus ab, du Drecksau!" – er lässt es sich nicht nehmen, stets noch ein paar demütigende Beschimpfungen draufzusetzen.) Zusammen mit dem Italiener Luigi und dessen Freundin Heidi will er eine Bank überfallen, das große Geld und danach die große Flatter machen. Heidis Bruder Christian, frisch von der Bundeswehr desertiert, stößt auch dazu, und um 15.15 Uhr geht es los: Eine Bank, zehn Geiseln, vier Millionen Mark Forderung und hunderte Schaulustiger auf der Straße. Maschinenpistolen und Handgranaten, Polizisten und Reporter, und bald der erste Todesfall: Ein Kind spielt mit einer der Handgranaten, ein Polizist wirft sich heldenmutig drauf, und ungeahnt blutige Gedärme fallen ihm nach dem Knall aus dem Bauch…

Olsen macht kein verzärteltes "Tatort"-Kino (und hätte er ein paar Romanzen-Motive rausgenommen, wäre der Film überhaupt nicht mehr zu toppen gewesen). Olsen zeigt the real thing, die Brutalität der Gangster, die Folgen dieser Brutalität, und in gewisser Weise auch die Ursache. Denn neben der spannenden Gangstergeschichte ist "Blutiger Freitag" auch ein Gesellschaftsporträt, in der die Abgehängten – oder die, die sich dafür halten – aufbegehren. Auf falsche Weise, aber irgendwo mit berechtigten Einwänden gegen und Ansprüchen an die Gesellschaft. Teilhabe am großen Kuchen, kein vorgefertigtes Leben in Büro und Ehe, kein Staat, in dem die Reichen schalten und walten, wie es ihnen gefällt, kein Staat, in dem das Kapital bestimmt. Klett und Konsorten haben sich ein kleines Sammelsurium an revolutionärem Vokabular angelernt, nachgeplappert von den politischen Oppositionskräften der Straßen, von den Studenten und auch von den Terroristen. Das ist einerseits reichlich hilfloser Ausdruck tief empfundener Ungerechtigkeit nach vorgefertigten Schablonen, das ist andererseits Rechtfertigung des eigenen bösen Handelns, indem es auf eine höhere Ebene des Gesellschaftskampfes gestellt wird – das hat aber drittens auch eine Wahrheit in sich: Denn wir sehen ja die Enge, die Tristesse der Nachwirtschaftswunderjahre, die Spaltung, in der der gestandene Bayer für die Todesstrafe plädiert, in der andererseits der pleitegegangene Bankkunde am liebsten bei den Geiselnehmern mitmachen würde: Heinz H. Hilbich, hippelig wie immer, spielt diese Witzfigur auf geradezu berührende Weise, ein kleiner Wurm mit einer bösartigen Frau und einem entfremdeten Kind, der hier seine Chance sieht, sich an Heinz Klett anzuhängen, ach, nehmt mich doch mit, ich tu, was ihr wollt!

Eine der Geiseln: Gila von Weitershausen, eine selbstbewusste Studentin und Tochter des Kaufhauskönigs der BRD, mit hohem Geldwert – und ihr Vater, der Oberbonze, hat sie alle in der Tasche, die Polizei, die Staatsanwaltschaft, die Politik. Bei solchen Leuten kann man die Gangster irgendwie verstehen, räsoniert der Einsatzleiter der Polizei… Und das ist quasi die Essenz dieses Films, ein Gesellschaftssumpf, aus dem die Heinz Klett-Faulgase hochsteigen, und es wird nicht zu stoppen sein, zumindest nicht im Kugelhagel der Maschinenpistolen.

Waren wir mit "Blutiger Freitag" filmisch direkt dran an der Wirklichkeit, so geht es mit "Nove ospiti per un delitto" ins Giallo-mäßig Irreale bis Irre. Der Film, der in Deutschland ursprünglich nicht rausgekommen ist und inzwischen auf DVD veröffentlicht wurde – daher nachträglich der Titel "Neun Gäste für einen Toten" – ist typisch. Wir hatten ja schon mal "Five Dolls for an August Moon" im Grindhouse, und dem können die neun Gäste eigentlich wenig hinzufügen: Zumal Mario Bava der bessere Regisseur ist, visuell zumindest, wenn auch nicht erzählerisch. Wieder haben wir eine einsame Insel, auf der die Reichen ihre Ferien verbringen, wieder werden sie einzeln abgemurkst. Das ist stylisch gemacht, ganz klar, das Haus ist schön modern, und es stehen allerhand Spielzeug-Gegenstände herum – ein Stehaufmännchen, Kugelstoßpendel, Geduldspiele: Sie zeugen symbolisch von der Sinnlosigkeit der Bonzenexistenz, in der Reichtum, Neid und Langeweile schon längst alle Gefühle abgetötet haben.

Interessant an dem Film ist die Entwicklung der Geschichte: Zunächst befinden wir uns in einer "Reich und schön"-Seifenoper, in der schmierige Charaktere querbeet miteinander rummachen, Seitensprung ist öffentlich, Untreue ist en vogue, und Gehässigkeit wird unter der Hand voll ausgespielt. Wir erleben neun Menschen, die sich selbst zuviel sind, die mit dem Alter kämpfen – das Haar wird dünn, das Gesicht faltig, und wahrscheinlich um sich ihrer Körper zu versichern laufen die Frauen in transparenten Kleidern mit nix drunter rum. Nymphomanie und Testosteron treffen auf Frigidität und Impotenz, Bruder hasst Bruder hasst Vater, die Frauen sind im Hyperverführungsmodus, und irgendwann geht eine – bunter, durchsichtiger Kleidung natürlich – auf die Terrasse, sie hat soeben einen Akt des Ehebruchs beobachtet, und wie aus dem Nichts und völlig überraschend und deshalb sehr witzig macht sie – neben dem Garten! – eine Dusche an und zeigt uns ihren noch recht ansehnlichen Leib!

Dann beginnen die Morde, ein Whodunnit, wie er im Buche steht, und irgendwie scheinen alle nicht so richtig das zu tun, was man im Angesicht einer Mordserie so zu tun pflegt, vielleicht sind sie alle tatsächlich verrückt, nicht nur die Hellseherin und die Tante, die besessen ist von einem Mord auf der Insel, der 20 Jahre zurückliegt… Immerhin hat der Serienkiller einiges drauf an Einfallsreichtum, was die Mordmethoden angeht: Da wird eine Frau mit Ankündigung durch einen Traum von der hohen Klippe gestoßen, da scheint eine andere zu schlafen, aber in Wirklichkeit liegt nurmehr ihr abgetrennter Kopf im Bett, ein anderer stürzt in eine Fallgrube, wird in ein Fischernetz gewickelt, mit Benzin übergossen und zur Explosion gebracht. Sex und Mord – die Giallo-Elemente sind hier voll ausgespielt.

Nun war dieser Abend ein warmer Juli-Sommerabend, und für warme Juli-Sommerabende hat sich die Tradition eingebürgert, die monatlichen Grindhouse-Doppelnächte zum Triple-Feature auszuweiten. Ein Glück für mich, war ich doch in den vergangenen Monaten terminlich verhindert und leide an heftigen Trashfilm-Entzugserscheinungen; und ein löbliches Ansinnen, kann auf diese Weise doch in einer einzigen Nacht ein beinahe repräsentativer Querschnitt dessen geboten werden, was innerhalb des Grindhouse-Labels möglich ist. Dazu gehört Krimikunst wie Sex&Crime, und dazu gehört auch das richtig schlechte Kino. Ein Kino, in dem nichts mehr zusammenpasst, in dem die Story zusammengestoppelt ist, in dem die Handlungen unmotiviert sind, in dem Darstellung, Kamera, Schnitt, Musik, kurz: alles, was einen Film zum Film macht, nicht einmal mehr unterrepräsentiert, sondern überhaupt nicht vorhanden sind. Ein solcher Film ist "Samurai Cop", eine Direct-to-video-Produktion von Anfang der 1990er im Gefolge der "Lethal Weapon"-Reihe.

Hier herrscht nicht einmal mehr Lustlosigkeit vor, sondern vollkommenes handwerkliches Nichtkönnen. Dies ist natürlich der Grund, den Film anzusehen, und tatsächlich hat "Samurai Cop" eine ansehnliche Anhängerschaft versammeln können, schlicht, weil er so schlecht ist, dass es kracht. Andererseits: Was soll man über einen Film sagen, wo schon die Kamerawinkel so bekloppt mies sind, weil keiner je was von Blickachsen gehört hat, wo die Schauspieler nichts tun können als immer gleich gucken, und wenn sie gucken, dann auch noch in die falsche Richtung, wo Schmalhans Ausstattungsmeister war, wo die Filmmontage genau die falschen Schnitte setzt, zur falschen Zeit und am falschen Filmmaterial, wo die Essenz, die Botschaft im Befehl des Hauptkommissars liegt: "Kill them all!", die Bösewichter nämlich, wo ohne Sinn und Verstand geprügelt und geschossen wird, und schön gestorben natürlich auch.

Und wo der Hauptdarsteller – Matt Hammon hat sonst eigentlich nix mehr gemacht, lebt wahrscheinlich von der Tatsache, in diesem legendären Film mitgespielt zu haben –, wo der Samurai Cop mit Silberblick und unermesslichem Schlag bei den Frauen (die sich gerne ausziehen und ihre Hintern im Stringtanga zeigen), wo dieser Haudrauf-Cop mit seinen langen, schön gefönten Haaren immer mal wieder eine Perücke (!) aufhat, einfach deshalb, weil er nach den Dreharbeiten beim Friseur war und dann doch noch, wen wundert's, für Nachdrehs eingesetzt werden musste. Die freilich haben den Film nicht verbessert. Bzw. doch: Weil durch diese ausgedehnten Perückenszenen der Film genau über das Maß gezogen wird, das von "schlecht" zu "schon wieder unterhaltsam" führt. Weshalb man "Samurai Cop" mit gutem Vergnügen ansehen kann. Aber nicht muss – im Gegensatz zum noch schlechteren und deshalb noch besseren Nazi-Rocker-Martial Arts-Quatsch "MadFoxes".


Harald Mühlbeyer