Grindhouse-Nachlese Januar 2022: „Die Brut des Bösen“ und „Der Clan der Killer“

Grindhouse Double Feature: Zwei Überraschungsfilme am Samstag, 29. Januar 2022, Cinema Quadrat Mannheim

  

„Die Brut des Bösen“, DEU 1979, Regie: Christian Anders, Antonio Tarruella

 

„Der Clan der Killer“ / „Ricco“, ITA/ESP 1973, Regie: Tulio Demicheli


Christian Anders: Das ist der mit dem „Zug ins Nirgendwo“, ein blonder Schlagerbarde, der unterm blonden Haarschopf super aussieht und mit intensivem Blick MĂ€dchenherzen schmelzen lĂ€sst. Und der ganz tiefsinnige Texte singt von Liebe und Einsamkeit und Verlassenwerten und Reue. Aber das, was Anders Ende der 1960er als Laufbahn in der DT Heck-Hitparade aufgebaut hat, ist nur Fassade. Eigentlich und in Wirklichkeit geht es ihm nicht um persönlichen Ruhm, das muss man ihm glauben, sondern um die allumfassende Liebe unter den Menschen – so Ă€hnlich drĂŒckt er es in seinem FilmregiedebĂŒt „Die Brut des Bösen“ aus, und er prĂŒgelt diese Liebe in seine Gegner rein, aber krĂ€ftig!

Denn C. Anders ist zudem Martial Arts-Meister mit Schwarzem KarategĂŒrtel, und in „Die Brut des Bösen“ plaudert er aus der Schule, aus der Kampfschule nĂ€mlich: In Madrid lehrt er die Kunst des waffenlosen Kampfes, und er betont total, dass man keinen einfach so angreifen und umhauen darf, sondern ihm mit Liebe und Respekt begegnen muss. Die innere StĂ€rke ist die Ă€ußere StĂ€rke, und nur zur Verteidigung und so weiter.

Es kann als gesichert gelten, dass Christian Anders dies alles glaubt, es ist aber so, dass der Film ganz anderes zeigt. Da kommen drei Neue in die Karateschule, und deren supercooler Oberdroog dröhnt herum, ob denn Karate wirklich besser sei als seine Kampftechnik, nĂ€mlich einfach Kicken und Treten. „Na, greif mich an“, lockt Anders, denn nur wer ihn mit SchlĂ€gen trifft, darf als SchĂŒler aufgenommen werden (zwinkerzwinker), und Anders kloppt den Kerl brutal zusammen, vor seinen SchĂŒlern und dessen Kumpels. Ja, Frank Mertens – so heißt die Christian Anders-Figur im Film – ist hier ganz schön fies und gefĂ€llt sich darin, den anderen auflaufen zu lassen. Soviel zur allumfassenden Liebe, die halt ĂŒber einen kleinen Gag doch nicht erhaben ist. Man muss mit so ’nem Film die Leute ja auch unterhalten!

Die Geschichte ist einfach. Da gibt es nĂ€mlich einen Gangster, der heißt Van Bullock, und der will eine Karateschule in Madrid eröffnen. Und dann merkt er, dass auf der anderen Straßenseite schon die Karateschule von Frank Mertens steht, und also muss Van Bullock den Frank Mertens fertigmachen. Mit seinen SchlĂ€gertypen versucht er es, die haben aber keine Chance, mit Geld versucht er es, aber Mertens ist Idealist. Dann versucht er’s mit den Waffen einer Frau, nĂ€mlich mit seiner SekretĂ€rin Cora (gespielt von Dunja Rajter, Schlagerkollegin von Anders), die verfĂŒhrt Mertens und schiebt ihm einen Beutel Heroin unter, und Mertens gerĂ€t in eine Polizeirazzia und ins GefĂ€ngnis, und dann merkt er, dass der Van Bullock Jahre zuvor seinen japanischen Karatemeister hatte ermorden lassen und er sinnt auf Rache, und alles könnte gut sein, Dutzendware wie in jedem Martial Arts-Film, nur eben diesmal eine deutsche Produktion, die in Spanien spielt, und keine Hongkong- oder Japan-Kungfu-Schwert-Karate-Haudraufaction.

Könnte also ein Film von vielen sein, doch Christian Anders macht vieles anders. Und zwar anders, als er selbst denkt. Nicht nur die Inkonsequenz, wenn es um die Werte von Liebe und Frieden geht, die genau dann nicht mehr gelten, wenn Frank Mertens zuschlÀgt (und der Kampf auf dem Friedhof gegen Van Bullocks Schergen ist wirklich ganz gut).

Da ist zum Beispiel der Immobilienmakler, bei dem Van Bullock das Haus fĂŒr seine Karateschule kaufen will, und der ist Jude; so ein Jude wie er im Buche der Klischees steht, mit Jiddisch-Akzent und Feilschen und Geldhabenwollen; wie kann man das tun, in einem deutschen Film? Gut, es ist alles deutsch synchronisiert, der Schauspieler ist Spanier und hat das möglicherweise nicht so im Sinn gehabt, aber Anders als Regisseur (und Mit-Investor) hat das sicherlich so gewollt. Warum?

Da fĂ€hrt ein goldener Rolls Royce vor, in Madrid mit MĂŒnchner Kennzeichen (ja, Ă€h. genau???), es steigt ein Schrank von einem Mann aus, öffnet den hinteren Schlag, rollt einen roten Teppich aus in Richtung Gehsteig, und Van Bullock steigt majestĂ€tisch aus – er ist kleinwĂŒchsig. Das ist OK, bei James Bond gibt es auch kleinwĂŒchsige Bösewichter, warum auch nicht. Ein Passant aber lĂ€uft vorbei und murmelt verĂ€chtlich: „Was ist das fĂŒr’n Wurzelzwerg?“; und Mertens wird spĂ€ter seinen Gegenspieler auch mal als „Gnom“ betiteln; das ist wohl lustig gemeint und sagt eben auch viel darĂŒber, wie Anders keineswegs nachdenkt bei seinem Film.

Als Zwischenspiel sehen wir Christian Anders einmal, völlig der Handlung enthoben, beim Muskeltraining. Also, es soll wohl Muskeltraining sein, ist aber eigentlich Posieren fĂŒr die Kamera. Er zeigt seinen Oberkörper, was fĂŒr ein Oberkörper, und hĂ€lt diese Bodybuildingprahlerei fĂŒr total mĂ€nnlich, weil Mertens nun mal der Held der Geschichte ist. Aber dann lĂ€sst Anders seine Bauchmuskeln von links nach rechts rollen, Bauchtanz ist nichts dagegen, und nach dem nĂ€chsten Schnitt steht er da in Lederunterhose (!), an die er Expander hĂ€ngt, und er (also Regisseur Anders) merkt nicht wie er ihn (also Darsteller Anders) hier als schwule SM-Ikone prĂ€sentiert. Zum Abschluss dieser eigentlich sehr peinlichen Sequenz liegt Anders, immer noch in der Leder-Bux, auf dem Boden und schnalzt sich hoch wie ein halbtoter Fisch. Es sieht furchtbar lustig aus.

Christian Anders, wie Christian Anders ihn inszeniert, ist sehr lĂ€cherlich, und keiner von beiden merkt es. Im Film lĂ€cherlich soll der Zwerg sein, Van Bullock, der im Grunde ein trotziges Kleinkind ist, das alles sofort haben will und wĂŒtend wird wenn nicht. Aber was wir sehen ist ein bedauerlicher Behinderter, der mehr noch seine psychische als seine physische Zukurzgekommenheit kompensiert mit narzisstischer MachtfĂŒlle – er kann nichts dafĂŒr, dass er ein Psychopath ist. Seine geliebte Cora sticht er ab, als er mitkriegt, dass die sich nach ihrer Auftragsnacht mit Mertens in diesen verknallt hat; seinen Handlangerschrank Komo braucht er, liebt ihn vielleicht, haut an ihm trotzdem seinen Spazierstock kaputt. (Gespielt wird Van Bullock ĂŒbrigens von Roy Deep, den wir alle kennen in vielfacher Ausfertigung, weil er alle Oompa Loompas spielt in Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“. LeibwĂ€chter Komo wiederum hat dieselbe Synchronstimme wie Bud Spencer, und sein Kampfstil Marke FaustaufdenKopp Ă€hnelt diesem ebenfalls.)

Am Ende wird Van Bullock von Frank Mertens in einen Bach geschmissen, Komo wird im Anschluss getötet, indem sich Mertens auf dessen RĂŒcken setzt und die Beine hochzieht, das soll vielleicht sowas wie den Bruch des RĂŒckgrates symbolisieren, was weiß ich. Auf jeden Fall singt Thomas Anders im Titelsong dann von dem fruchtlosen Pfad namens Rache, ein letzter Beweis dafĂŒr, dass der Film nichts von sich selbst weiß: „It’s a dead end! The road to revenge. Just a dead end! Don’t make any sense.“

 

Nicht mehr als er ist will der zweite Film des Abends sein, damit hat er einiges gegenĂŒber der „Brut des Bösen“ voraus: „Der Clan der Killer“ ist eine italienisch-spanische Koproduktion, spielt in Turin, es geht um die Mafia. Es geht um Ricco, der dem Film seinen Originaltitel gab: Er wird gespielt von Christopher Mitchum, Sohn des großen Robert (und Bruder von Jim, den wir in „Blackout“ bewundern konnten). Er sieht ein bisschen wie Robert Mitchum aus, hat aber auch einiges von der unbeeindruckbaren Ennui David Hemmings’ in „Blow Up“, so um die Augen rum. Und Ă€hnlich wie dieser geht Ricco mit mutwilliger Unwilligkeit durchs Leben – gerade ist er aus dem Knast gekommen, saß zwei Jahre, und schon wieder wird von ihm erwartet, seinen Vater zu rĂ€chen. Dieser Vater wiederum hat die Synchronstimme von Robert Mitchum, Familie ist nicht einfach.

Riccos Vater jedenfalls war der Mafiaboss, der ermordet wurde mutmaßlich von Don Vito, der ihm dann nachfolgte. Ricco hat keine Lust, sich da einzumischen, er hat genug von Blutrache und will lieber der Schwester und dem Schwager helfen beim Aufbau eines Motels; die beiden haben eine Tankstelle, sind aber die meiste Zeit im Bett zugange: „Wenn du bumsen willst, vergisst du die Ölkrise!“ Ricco gerĂ€t trotzdem rein in den Strudel, einmal, weil ein alter Kumpel von Papa ihn drĂ€ngt, vor allem aber, weil seine Geliebte Rosa jetzt die Geliebte vom neuen Boss ist.

Aus der Unlust des (Anti)Helden macht der Film zuwenig, das wĂ€re sehr reizvoll gewesen; ĂŒberhaupt geht Regisseur Tulio Demicheli seinen Film geradezu betulich an (also: fĂŒr einen Mafia-Rachethriller), ohne daraus aber großen Mehrwert zu ziehen – im Mittelteil zumindest. Dann aber zieht der Film an, Ricco will einen großen Diamantendeal durchkreuzen, wird selbst aufs Kreuz gelegt, Don Vito hat nicht nur Rosa in seiner Hand, sondern lĂ€sst auch Riccos Familie – die Mutter im Rollstuhl, die ihn aufgehetzt hat, Schwester und Schwager direkt im Bett – killen. WĂ€hrenddessen geht auch Rosas Plan schief, den LeibwĂ€chter zu verfĂŒhren, um Don Vito zu entkommen, und das ist der Punkt, an dem der Film wirklich drastisch wird und deshalb wirklich gut: Don Vito nĂ€mlich, der Mafiaboss, residiert offiziell als Boss einer Seifenfabrik; und das ist ziemlich geschickt, denn Natron, billiges Parfum, Fett und Knochenmehl kann er immer gebrauchen fĂŒr sein Produkt, und er bezieht seine Rohstoffe auch aus seinen Widersachern, denen er den Garaus macht und deren Überreste er dann weiterverwertet. Nicht einfach so: Er lĂ€sst sie erstmal brutal zusammenschlagen, Sadismus gehört dazu, und das geschieht auch mit dem LeibwĂ€chter, der ihn hintergangen hat, verprĂŒgeln, nackt ausziehen, und dann. Dann: Der Schniedel schwingt auf dem Fliesenboden, schnippschnapp – eine solche Kastration ist denn doch selten im Grindhousekino, obwohl ja das Heftige dabei des Salz in der Suppe ist. Dann wird der schreiende Typ in den Bottich mit brodelnder Lauge geworfen, Rosa muss dabei ĂŒbrigens zusehen. Kurz darauf kommt ein Paket an bei Ricco, Seife – das, was von seiner Rosa ĂŒbrigblieb.

Nunja. Er hĂ€ngt zwar an Rosa, hat inzwischen sich aber auch deren Kusine geangelt, eine Zweitfrau in der Hinterhand ist nie verkehrt, es kommt dann auch noch zum großen Rachefinale, klar. Aber zwischendurch hatten wir auch komische Momente. NĂ€mlich Scilla, Riccos neue, hatte im Zuge von dessen Feldzug gegen Don Vito den Wagen von dessen Geldeintreibern angehalten, auf die Tasche mit den Millionen haben sie und Ricco es abgesehen. Da steht sie im Dunkeln auf der Straße und zieht sich aus, und die deutsche Synchro schlĂ€gt PurzelbĂ€ume vor EntzĂŒcken: „Ich glaub, ich steh im Spargelfeld!“; „Zum GlĂŒck bin ich nicht nachtblind!“; „Sowas Heißes auf meinem KĂŒhler!“; und natĂŒrlich: „Entweder hat die’n Hammer, oder sie ist so voll Hasch wie ein tĂŒrkischer Reisebus!“ Da hat der Zuschauer dann wirklich GlĂŒck, wenn der Filmschnitt ĂŒber lange Passagen die MĂŒnder der beiden Gaffer nicht zeigt, damit derartige SprĂŒche drĂŒbergelegt und aus den Lautsprechern gehauen werden können.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „To Be or Not to Be“

To Be or Not to Be

USA 1942. Regie: Ernst Lubitsch, mit Carole Lombard, Jack Benny, Robert Stack, Felix Bressart, Sig Ruman

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Eine Theatersatire verknĂŒpft mit einer Nazi-Satire, und beides mit eigenem Recht: Carole Lombard nimmt als Maria Tura ihren Diven-Part aus „Twentieth Century“ erneut auf: Wir sehen sie in „To Be or Not to Be“ als Drama-Queen, die in ihrer Theaterwelt aufgeht. Bei der Probe zu einem Nazi-StĂŒck im Warschauer Theater schreitet sie in einem typischen Lombard-Kleid auf die BĂŒhne, seidig, glĂ€nzend, vermutlich golden. Das will sie tragen in ihrer großen Konzentrationslager-Szene, es ist eigentlich vollkommen lĂ€cherlich, aber die Charakterisierung dieses Charakters, der nur in der Kunst lebt, in der Kunst, fĂŒr das Publikum etwas Besonderes zu sein, ist es perfekt. Verblendung, Eitelkeit, Glamour – spĂ€ter werden wir das Kleid wiedersehen. Als Mitglied der Warschauer Untergrundbewegung besucht sie Prof. Siletsky, einen brandgefĂ€hrlichen Gestapozulieferer, der sowohl berufliches – Spionage! – als auch persönliches Interesse an ihr hat. Sie trĂ€gt das Kleid, um ihn zu bezirzen. Da weiß sie schon, wie es zugeht in einem wirklichen Leben in einem Polen, das von den Nazis ĂŒberfallen und zerstört wurde.

Sie geht damit die umgekehrte Entwicklung durch: In „Twentieth Century“ wurde sie zum Theater- und Filmstar aufgebaut und tritt schließlich mit all den divenhaften AllĂŒren auf, die sich das Klischee vorstellen kann. Bei Ernst Lubitsch nun wird sie aus ihrer Theatralik herausgerissen durch die Katastrophe des Weltkriegs, sie landet in der Wirklichkeit und muss mit ihr zurechtkommen. Und Carole Lombard kann das wunderbar spielen, um ihre Augen, ihren Mund immer ein trĂ€umerischer Zug, ein Sehnen nach der Fantasie, die sie aus der RealitĂ€t trĂ€gt – da ist das romantische MĂ€dchen der AnfĂ€nge gegenĂŒber Clark Gable in „No Man of Her Own“ nicht weit, auch nicht die ideenreich schwindelnde Nicht-Mörderin in „TrueConfession“. Doch Hitler hĂ€lt sie fest, unten, im Elend, ohne Chance.

Lubitsch fĂŒhrt seine Theater-Backstage-Komödie ĂŒber in eine pralle Farce ĂŒber Narzissmus im Nazismus, der sich ĂŒber alles stellt und so lĂ€cherlich wird – sehr prĂ€gnant blendet Lubitsch damit das ĂŒberbordende Theaterwesen mit seinen ĂŒberbordenden Stars ĂŒber auf die trotteligen UniformtrĂ€ger, die sich ganz ganz wichtig vorkommen. Und Lubitsch zeigt deutlich, wer die Profis in Sachen Popanz sind – es triumphieren natĂŒrlich die Theaterleute, die die Nazis bis ganz nach oben nach Strich und Faden lĂ€cherlich machen.

Carole Lombard steht im Mittelpunkt der Charade um Verkleidungen und Verwechslungen, sie ist fast so etwas wie der Ruhepol – und hat es faustdick hinter den Ohren. Sie kann ihre VerfĂŒhrungsmechanismen nach Belieben anwerfen, etwa, um hochrangige Nazis vor Liebesbegehren verblendet fĂŒr die Wirklichkeit zu machen. Aber auch geschickt zum eigenen Nutzen, wenn sie ihre Liebhaber um die Theaterauftritte des eitlen Ehemannes herum orchestriert und sie wĂ€hrend des „Sein oder Nicht-Sein“-Monologs in ihrer Garderobe empfĂ€ngt. Dass da nichts gelaufen wĂ€re, glauben doch höchstens ein paar betriebsblinde Hays-Zensoren!

Ich kann mich gerade gar nicht mehr erinnern – wie wohl die deutsche Synchonisation lautet beim Dialog auf der TheaterbĂŒhne, in dem der Kleindarsteller Greenberg seinen ĂŒberagierenden Kollegen zuwirft: „What you are, I wouldn’t eat!“ – „How dare you calling me a ham!“

 

Und wenn man den Film nun nochmals sieht, mit all den anderen Lombard-Komödien im Hinterkopf: Traurig. Sie hat die Premiere nicht mehr erlebt, am 16. Januar 1942 ist Carole Lombard bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Deutsche Kinemathek

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Mr. & Mrs. Smith“

Mr. & Mrs. Smith

USA 1941. Regie: Alfred Hitchcock, mit Carole Lombard, Robert Montgomery, Gene Raymond

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„Mr. & Mrs. Smith“ ist eine der wenigen AusflĂŒgen von Alfred Hitchcock ins Komödiengenre; doch anders als in „The Trouble With Harry“ oder „To Catch a Thief“ kann er mit diesem Stoff fĂŒr eine Screwball-RomCom wenig anfangen. Die Gags gehen weitgehend daneben, und schon allein das ist erstaunlich, weil die Pointen in seinen Thrillern ja immer sitzen. „Der Film entstand aus meiner Freundschaft mit Carole Lombard“, erklĂ€rt Hitch gegenĂŒber Truffaut: „Sie frage mich: ‚WĂŒrden Sie einen Film mit mir machen?’ Ich weiß nicht, weshalb ich angenommen habe. Ich habe mich mehr oder weniger an das Drehbuch von Norman Krasna gehalten. Da ich die Art von Leuten nicht verstand, die in dem Film gezeigt wurden, habe ich die Szenen fotografiert, wie sie geschrieben waren.“

Und auch wenn man all die Koketterie berĂŒcksichtigt, zu der Hitchcock fĂ€hig ist, und auch, wenn man all die Mythenbildung berĂŒcksichtigt, die Hitchcock im Truffaut-Interview betreibt, trifft es diese (Selbst)EinschĂ€tzung doch ziemlich genau.

Carole Lombard spielt Ann Smith, und sie hat in ihrer Ehe klare Regeln aufgestellt: Bei einem Streit mĂŒssen die Ehegatten so lange im Schlafzimmer bleiben, bis sie versöhnt sind (und das bedeutet nicht Sex, sondern Entschuldigungsagen). Regel Nummer 7 wurde eigentlich aufgehoben, sie beharrt dennoch darauf: NĂ€mlich bei Fragen eine grundehrliche Antwort zu geben. Sie hat es sich also selbst zuzuschreiben, wenn ihre Ehemann David auf die Frage, ob er alles noch einmal genauso machen wĂŒrde, antwortet, dass er wohl eher nicht geheiratet hĂ€tte. Sie ist sauer. Sie hatte beim FrĂŒhstĂŒck ihre FĂŒĂŸe seine pyjamabedeckten Hosenbeine hochgeschoben, jetzt zieht sie sie wieder raus (das ist wohl die Ă€ußerste Möglichkeit, so etwas wie ein körperliches Eheleben in Hays-Code-Zeiten zu zeigen; Hitch macht das sehr gut!)

Der Zufall will es, dass es in den USA zwischen den Bundesstaaten doofe Gesetze gibt, und weil der Ort, in dem Ann und David geheiratet haben, dem falschen Bezirk im falschen Staat zugeordnet war, sind alle Ehen, die dort seit 1936 geschlossen wurden, ungĂŒltig. Ist ja klar; da kann David, seines Zeichens Anwalt, nichts machen. Aber es ist nichts passiert: Er bekommt vom Standesbeamten seine zwei Dollar fĂŒr die Heiratslizenz zurĂŒck, also kein Cent verloren!

Auch Ann bekommt diesen Makel in ihrem Zusammenleben mit. Und wartet darauf, dass David ihr einen neuen Antrag macht. Was dieser verstoffelt. Und sie schmeißt ihn raus. Wenn schon nicht verheiratet, dann richtig! Wurschtegal, dass sie drei Jahre lang in wilder Ehe lebte – jetzt genießt sie das Single-Dasein. David ergeht sich in Selbstmitleid.

Rainer Rother schreibt in seinem Band zur Berlinale-Retro ĂŒber den Film: „Konventionell entworfene, stereotyp geschriebene Charaktere waren das Material fĂŒr Carole Lombard, abhĂ€ngig jeweils davon, wie weit das Drehbuch einer freieren Interpretation Raum bot. In ihren Komödien nutzte sie die Vorlagen, um ihre Figuren in eine Richtung zu entwickeln, die vermutlich von den Autor/-innen nicht immer vorgesehen war. [...] Ann Smith ist von der ersten Szene an schwierig, um es gelinde auszudrĂŒcken.“ Und spĂ€ter: „Das böse Wort ‚zickig’ grundiert den Entwurf dieser Mrs. Smith, durchaus passend fĂŒr einen Hitchcock-Film.“ Ja, es ist absolut richtig, dass Carole Lombard ihre Ann sehr viel liebenswerter spielt, als sie geschrieben wurde – sie hat ihre AusfĂ€lle, die geradezu obsessiv aggressiv sind; bei einem Mann wĂŒrde man es wohl cholerisch nennen, bei ihrer Ann ist es freilich immer weiblich konnotiert: Sie fordert wĂŒtend, und sie will bekommen, was sie fordert. Beispielsweise, dass ihr Mann nachgibt, und wenn sie 8 Tage im Schlafzimmer ausharren mĂŒssen. Aber es ist nicht so, dass nur Ann als „schwierig“ charakterisiert ist. Auch David verhĂ€lt sich allzu wurschtelig; er unternimmt stets das genau Falsche, um die juristisch ledige Ann zurĂŒckzugewinnen. Statt die gemeinsamen Jahre mit ihr heraufzubeschwören, versucht er in die verriegelte Wohnung einzudringen, er beschattet sie, indem er ihr im Taxi hinterherfĂ€hrt, er wird handgreiflich an ihrer Arbeitsstelle als VerkĂ€uferin. Mal ehrlich: Warum sollte sie ihn zurĂŒckhaben wollen?

Die Antwort liegt in den Mysterien der Drehbuchkonventionen, dass ein Paar, das als Paar beschrieben wird, auch ein Paar werden und bleiben muss. Egal, was dagegensteht – und wenn es das Paar selbst ist.

Und Hitchcock interessiert sich nicht dafĂŒr, filmt einfach, was zu filmen ist – er war frisch in Amerika, musste sehen, wie er sich einrichtet in Hollywood, und musste seine Nische erst einmal schaffen. Und wenn nun die Charaktere nicht zur Story passen, und wenn die Darsteller – und eben vor allem Lombard – sich einzufĂŒgen haben in die Klischeehandlung, dann ist das halt so, abgehakt und fertig.

Dass er allerdings auch lustigen Szenen den Witz nimmt, ĂŒberrascht dann doch. Lustig ist beispielsweise, wenn David mehr oder wenig unwillig sich mit „Damen“ (= Prostituierten) im Nachtlokal trifft und dabei seine Ann mit ihrem Neuen flirten sieht, worauf David Ann eifersĂŒchtig macht, indem er seiner unbeteiligten Sitznachbarin mimisch, aber lautlos scheinbare Liebesworte zuflĂŒstert; aus der Situation kommt er nur raus, indem er sich selbst die Nase blutig haut. Aber andere Szenen versteht Hitchcock nicht, im ganzen komisch zu gestalten. Wenn Ann mit ihrem neuen Verlobten (ja, verlobt muss sein!) im VergnĂŒgungspark hoch oben feststeckt, dann holt er nicht mehr als einen Schnupfen aus der Episode. Sogar wenn der Verlobte im Folgenden besoffen ist und dabei sich unendlich abmĂŒhrt, weiterhin Gentleman zu sein, gibt es keine Lacher. Auch am Ende Ann, die im Alleingang eine Liebesszene mit ihrem Lover akustisch nachstellt, um den verlorenen Ehegatten zuhörenderweis eifersĂŒchtig zu machen, ist nicht ausgereizt.

In diesem Film bleiben alle unter ihren Möglichkeiten.

 

Harald MĂŒhlbeyer


Bilder (c) Deutsche Kinemathek

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „True Confession“

True Confession

USA 1937. Regie: Wesley Ruggles, mit Carole Lombard, Fred MacMurray, John Barrymore

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Wieder Fred MacMurray, ein großer Komödiant mit perfektem Timing und klarem Bewusstsein, was wie auf der Leinwand rĂŒberkommt – er war gegenĂŒber Carole Lombard in „Hands Across the Table“ der alberne Typ zum Verlieben, und in „Take a Letter, Darling“ musste er als SekretĂ€r von Rosalind Russell bestehen. Hier nun spielt er einen ehrlichen Anwalt, der nur Unschuldige verteidigt – das ist an sich natĂŒrlich schon ein Witz, und da sitzt er in seinem heruntergekommenen BĂŒro und wartet auf Mandanten, und der einzige, der auftaucht, ist einer, der bestreitet, beim Metzger Schinken gestohlen zu haben, aber um Aufschub bei der Bezahlung bittet, bis er die Schinken verkauft hat. Auf dem Schreibtisch hat MacMurrays Ken Bartlett eine Flasche, und es ist nicht die obligatorische BĂŒroflasche Whisky aus den Hardboiled-Krimis, sondern Milch.

Carole Lombard spielt seine Frau Helen, leichtköpfig, fantasievoll, head in the clouds; sie schreibt Geschichten, die keiner kaufen will, sorgt sich einerseits um das Einkommen der kleinen Familie, lebt andererseits im Wolkenkuckucksheim ihrer Schwindeleien, die ihr einfach so aus dem Mund ploppen. Der Vermieter will die Schreibmaschine pfĂ€nden, und sie spinnt eine Geschichte zusammen von ihrem Mann, der verrĂŒckt wurde wegen des gestorbenen Babys und nun die Schreibmaschine liebevoll in Armen hĂ€lt… Sie kommt damit durch, der Vermieter lĂ€sst ihr das ArbeitsgerĂ€t, sie ist ja auch sĂŒĂŸ dabei, und nur ihre Freundin Daisy durchschaut sie – und der Zuschauer: Denn immer, wenn wieder mal eine ihrer spinnerten Ideen in ihrem Kopf Form annimmt, schiebt sie kindlich die Zunge in die Wange.

Nun hat Helen, hinter dem RĂŒcken ihres Mannes, einen Job angenommen. Er hat sich das natĂŒrlich verbeten, denn wie sieht das aus: Sie ist ja keine der gelangweilten Frauen, die wegen der Ödnis ihrer Tage arbeiten wollen – bei ihr hieße eine Stellung, dass der Mann sie nicht ernĂ€hren kann. PrivatsekretĂ€rin soll sie sein, obwohl sie kein Steno kann, fĂŒr 50 Dollar die Woche – wie unseriös dies ist, geht ihr erst auf, als der Chef sie heftig bedrĂ€ngt. Sie boxt ihn in den Bauch und haut ab – und kehrt zurĂŒck, um ihren Mantel und die Handtasche zu holen. Da ist der böse Boss tot, und sie wird festgenommen.

Und im Verhör kann Carole Lombard wieder ihre prĂ€zise FĂ€higkeit zum Doppelspiel prĂ€sentieren; einerseits ist sie völlig eingeschĂŒchtert, wenn der Kommissar aber die Möglichkeiten, wie der Mord vonstatten ging, ausbreitet, dann blĂŒht sie auf, im Reich der Fantasie ist sie zuhause, und sie reichert seine Theorien begeistert mit ihren eigenen Ideen an; tongue in cheek, buchstĂ€blich: als reizvolles Spiel mit LĂŒge und Wahrheit, die den Film ohnehin antreibt.

Denn, wie sich herausstellt: Wenn sie fĂ€lschlich gesteht, hat sie grĂ¶ĂŸere Chancen, davonzukommen, nĂ€mlich wegen Notwehr – ihr Mann verteidigt sie, fĂŒr ihn ist der große Fall, auf den er gewartet hat. Sie will ihn nicht enttĂ€uschen, lĂŒgt also herbei, den Sexualaggressor getötet zu haben, stellt damit alle zufrieden, auch ihr eigenes MĂŒnchhausensyndrom – nur darf natĂŒrlich Ehemann/Anwalt Ken nichts von der LĂŒge erfahren, als notorisch ehrliche Haut. Der in seinem PlĂ€doyer ĂŒbrigens, zu Helens Freude, das Recht der Frau auf Arbeit gepriesen hat.

Angereichert wird das witzige Spiel um das LĂŒgengespinst durch einen VerrĂŒckten. Den spielt John Barrymore, ein abgehalfterter Dandy in der Bar, der seine Theorien ĂŒber das Leben mittels eines Luftballons demonstriert, dem die Luft ausgeht, der von sich selbst als Kriminologen so ĂŒberzeugt ist, dass er Stammgast ist bei Gericht, der alle – vor allem den Bartender – fĂŒr Idioten hĂ€lt und daher den erhofften Alkohol nicht eingeschenkt bekommt. Er ist wieder eine dieser grandiosen Nebenrollen, die den Film nochmals aufwerten, ihn fĂŒllen und zugleich eine ganze Spur verrĂŒckter machen – er spielt – nach „Twentieth Century“ erneut sich selbst karikierend den egomanischen Wahnsinnigen, mit viel Lust an Witz und Spaß. Und mit dessen Auftritt zum Finale das RĂ€tsel um den Mordfall bis in alle Ewigkeit ungelöst bleiben wird.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Nothing Sacred“

Nothing Sacred

USA 1937. Regie: William A. Wellman, mit Carole Lombard, Fredric March, Charles Winninger, Walter Connolly, Sig Ruman

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Carole Lombard als KleinstadtmĂ€dchen mit einem Traum: New York zu sehen – diese Basis bekommt einen besonderen Dreh. Denn Lombards Hazel Flagg stirbt langsam an einer Radiumvergiftung. So stand es in einer kleinen Zeitungsmeldung, und Wally Cook, Reporter, springt auf die Story an: Eine schöne Frau in der BlĂŒte ihres Lebens dahingerafft von innen heraus! In Warsaw, Vermont, sucht er sie auf – und das ist schon auch heute noch, weit von Amerika entfernt, sehr komisch, wie die Provinz karikiert wird, mit ihren „Nope“-„Yap“-einsilbigen Einwohnern, die fĂŒr NichtauskĂŒnfte Dollar sehen wollen, mit der allgemeinen Garstigkeit, mit dem versoffenen Kleinstadtarzt, der die Zeitung hasst, weil er vor 22 Jahren um 10.000 Dollar betrogen worden war, weil er ein Preisausschreiben nicht gewonnen hat. Er ist es auch, der die Radiumvergiftung diagnostiziert hat. Falsch diagnostiziert hat, wie er Hazel gestehen muss. Und die ist hin- und hergerissen zwischen Freude und Traurigkeit, weil sie von den 200 Dollar EntschĂ€digung fĂŒr ihre Strahlenkrankheit nach New York wollte. „Da wird man zum zweiten Mal geboren, und wieder ist es Warsaw!“, schimpft sie aufgebracht.

Wally missversteht die aufgebrachte Stimmung und lĂ€dt sie nach New York ein, als letzte Freude in ihrem kurzen Leben und als Sensation fĂŒr seine Zeitung. Mit dabei ist Dr. Enoch Downer, der Quacksalber – hauptsĂ€chlich, weil eine Komödie komische Figuren braucht. Und die hat der Film reichlich, der Zeitungsherausgeber gehört auch dazu; gespielt werden sie von Charles Winninger als Arzt (der mit Mae West als reicher Gönner in „Every Day’sa Holiday“ zu sehen war) und Walter Connolly als Zeitungsboss (der beispielsweise mit Lombard in „Twentieth Century“ – als Buchhalter des exzentrischen Theatermagnaten – und als Richter in „Lady by Choice“ aufgetreten war, und neben Rosalind Russell als Spielzeugeisenbahnfan in „Four’s a Crowd“ zu sehen war). Ben Hecht hat das Drehbuch geschrieben, und er hat ein HĂ€ndchen fĂŒr skurrile Charaktere, die skurrile Sachen machen, und zwar im Nebenher. Und natĂŒrlich hat er ein HĂ€ndchen fĂŒr das Skurrile, das seinen Hauptfiguren zustĂ¶ĂŸt. Die Selznick-Produktion dauert nur 75 flotte Minuten – und ist in Technicolor gedreht. Man denke: ein „kleiner“ Film, kein Epos, aber alles in Farbe, 1937 – eine Seltenheit; und Carole Lombards einziger Farbfilm.

NatĂŒrlich wird die angeblich sterbende Hazel Flagg die Sensation der Stadt, eine Inspiration fĂŒr das ganze Land, ein großer Star – ihr Leiden, ihr Dahinsiechen bringt ihr viele Fans ein; ihre Beerdigung werden sicherlich eine halbe Million Menschen besuchen – wenn sie denn doch nur tatsĂ€chlich todkrank wĂ€re.

Lombard spielt auch hier „doppelt“, als ein Fake: und dies wiederum anders als die ĂŒberemotionale Diva in „Twentieth Century“ oder als der naive Park-Avenue-Sprössling in „My Man Godfrey“: Hier nĂ€mlich als eine, die versehentlich in eine LĂŒge reinrutscht und nicht mehr rauskann, und die zugleich dieses LĂŒgenleben willentlich genießt, weil es ihr das große Leben in New York ermöglicht. Ihr zur Seite: Fredric March als Reporter Wally Cook, der an ihr hĂ€ngt, der damit seine berufliche Laufbahn zu retten versucht, der sich natĂŒrlich verliebt – und der ungewollt gerne Opfer von TĂ€uschungen wird, Hazel ist nicht der erste Fall. Der Anfang des Films zeigt ein großes Galaessen zu Ehren eines reichen Sultans, der gleich darauf als Schuhputzer aus Harlem entlarvt wird – Wally hat ihn entdeckt. SpĂ€ter wird der Schuhputzer – eine durch und durch rassistische Szene – gezeigt, wie er in Hazels Krankenzimmer einsteigt und fĂŒr seine Frau Blumen klaut. Der Herausgeber jedenfalls will zu Beginn Wally aus dem Reich der Lebenden entfernen – er muss nun im Kellerarchiv Nachrufe tippen. Hazel ist fĂŒr ihn der Ausweg aus der Misere seines Lebens – er bringt sie damit in die Misere ihres Lebens.

Eine der besten Szenen des Films ist die LiebeserklĂ€rung, die als Kampf ausgetragen wird. Denn Hazels TĂ€uschung ist aufgeflogen, nun soll sie wenigstens LungenentzĂŒndung haben und muss fiebrig erhitzt werden: Ein Boxkampf wird es tun. Und Wally provoziert Hazel, und sie wird wĂŒtend, und sie kĂ€mpft – wie ein MĂ€dchen. Also: Lombard spielt Hazel, die so kĂ€mpft, wie im Allgemeinen die Vorstellung ist, dass MĂ€dchen kĂ€mpfen. Nahezu hysterisch, mit fuchtelnden RundschlĂ€gen, die niemals treffen, sehr hampelnd – eine tolle Performance, zumal, wenn Wally sie dann KO schlĂ€gt – sie soll ja krankheitshalber bewusstlos sein. Er boxt ihr aufs Kinn, was ein Gentleman niemals tun sollte, sie steht, er tippt sie an, sie fĂ€llt aufs Bett – Simulant durch Schlagkraft. Und das PrĂŒgeln – es ist immer LiebeserklĂ€rung, da besteht nie Zweifel. Kurz darauf wird sie ihn KO schlagen, da hat er’s zurĂŒck.

Weitere bemerkenswerte Szenen: Bei einem Galaabend im Nachtlokal treten große Heroinen der Weltgeschichte auf; unter anderem Katinka, die Holland gerettet hat, indem sie ihren Finger in das Loch eines rissigen Damms gesteckt hat (das muss man erstmal kompliziert googlen…) – „show the finger!“, heißt es – es ist der Mittelfinger, den sie uns entgegenreckt. Als alles auffliegt, beschwert sich eine typische reaktionĂ€r-prĂŒde Matrone: Sie stehe fĂŒr alle Jungfern des Landes, und gerade erst wurde der Kurs gegen die kommunistische Bedrohung durch einen ĂŒber die inspirierende Hazel ersetzt. Und in einer Szene – in besagtem Nachtlokal – sitzt Wally traurig gegenĂŒber Hazel: „Es gibt keinen besseren Spaß als eine Totenwache“; sie entgegnet: „Sprechen wir nicht ĂŒber Berufliches“ – und blinzelt dabei verschwörerisch in die Kamera, zu ihrem Publikum.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Deutsche Kinemathek (im Film in Farbe!) 

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „My Man Godfrey“

My Man Godfrey

USA 1936. Regie: Gregory La Cava, mit William Powell, Carole Lombard, Alice Brady

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Der Titel „My Man Godfrey“ verrĂ€t schon die Eheschließung zum Happy End, aber ein so unglĂŒckliches Happy End ist selten. Denn es heiraten Carole Lombard und William Powell, (beide waren im wirklichen Leben bis 1933 miteinander verheiratet). Die Filmbeziehung zwischen Irene Bullock und Godrey funktioniert bestens, aber eben nicht im Sinn einer Anbandelungsgeschichte, sondern im Sinn eines Gewitters.

Irene ist Tochter eines superreichen GeschĂ€ftsmannes. Sie ist total verwöhnt und vollkommen lebensunfĂ€hig; wie der Rest ihrer Familie. WĂ€hrend die Schwester nĂ€chtens mal gerne die Schaufenster in der Park Avenue einschlĂ€gt – der Vater ist es schon gewöhnt, deshalb anderntags Schecks auszustellen –, hat Irene auch mal Lust auf einen Ausritt und parkt das Pferd in der Bibliothek. Als WohltĂ€tigkeitsveranstaltung haben sich die Reichen und Dekadenten der Stadt was besonders Interessantes (= Zynisches) einfallen lassen: Alle mĂŒssen Objekte sammeln, die keiner haben will. Irene sticht ihre Schwester Cornelia aus, als es darum geht, auf dem MĂŒllberg einen Obdachlosen aufzugabeln; mit Godfrey gewinnt sie den ersten Preis und nimmt ihn als neuen Butler mit nach Hause.

Carole Lombard tritt nicht, wie in vorherigen Filmen, als „kleines MĂ€dchen“ auf, das per Romantik hoch hinaus will, sondern als verzogene reiche Naive mit kindischen Vorstellungen von Romantik, die niemals etwas hat erreichen mĂŒssen. Sie spielt ihre Irene im Grunde total ĂŒberzogen, als Karikatur – und passt sich damit ein in diesen vollkommen irren Haushalt, in dem jeder auf seine Weise seine Dekadenz auslebt (außer vielleicht der Vater der Familie, der aber immerhin niemals durchkommt mit seinen RatschlĂ€gen zur Vernunft). Lombard spielt das kleine MĂ€dchen mit KleinmĂ€dchenverliebtheit in Godfrey, sie spielt die einfĂ€ltig Ungebildete, die vielsilbrige Fremdwörter liebt, ohne sie zu verstehen, sie spielt die eingebildete Möchtegern-Diva, die sich in Posen wirft, in einem doppelten Spiel: Lombard spielt eine, die overacting betreibt, um sich in Trotz zu produzieren – „Stellung 8“ aus dem Schauspielkurs, stellt Schwester Cornelia trocken fest. Lombard kann sich so richtig ausagieren, und dass dies – wie schon in „Twentieth Century“ – ganz im Dienste und im Sinne des Films geschieht, zeigt ihre Klasse als Komödiantin; in der Familie hat sie den schwierigsten Part, weil sie ihre Verliebtheit ebenso zeigen muss wie das Überkandidelte; die anderen sind nur ĂŒberkandidelt.

Eine Irrenanstalt braucht nur einen leeren Raum und die richtige Leute, heißt es im Film – und er exerziert das aus. Mit einem stoischen Butler Godfrey im Mittelpunkt, an dem sich die VerrĂŒcktheiten brechen. Dass die MĂŒllkippe und das Leben der Obdachlosen im Film romantisch beschönigt dargestellt wird – geschenkt; dass Godfrey eigentlich aus gutem Hause ist und daran arbeitet, wieder hochzukommen – ebenfalls geschenkt. Der Hollywoodfilm muss Glamour liefern, dafĂŒr zahlen die Leute Eintritt, und der Glamour muss auch fĂŒr Armut gelten. Immerhin gibt es Armut in diesem Film, und es ist eine Armut der Menschen, wĂ€hrend der Reichtum fĂŒr Gockel und HĂŒhner in Menschengestalt gilt; Irenes Mutter hat einen ProtegĂ©, einen MöchtegernkĂŒnstler, der sich durchfrisst und ab und an zur Unterhaltung einen Gorilla spielen muss; das kann er sehr ĂŒberzeugend. Er ist das Haustier der MillionĂ€re, und er hat sich da gut eingerichtet. Godfrey hat andere PlĂ€ne; er ist gut zu den Hausherren und ­­‑damen, geht auf ihre BedĂŒrfnisse ein, und er tut etwas fĂŒr seine alten Kumpels von der MĂŒllkippe – insofern ist dies ein Film ĂŒber die Große Depression und ĂŒber den New Deal. Der Unterschied zwischen einem Obdachlosen und einem Menschen ist Arbeit, sagt Godfrey – man muss und kann die Leute, die willens sind, herausholen aus der Misere, die ihnen das UnglĂŒck des Lebens eingebrockt hat.

Irene wird dies nie verstehen. Sie wird einfĂ€ltig bleiben, da gibt es keinen Zweifel; sie hat ihre versponnenen Ideen, und auf eine fĂ€llt der Film rein: NĂ€mlich, dass am Ende eine Heirat stehen muss. Und obwohl die ganze Zeit ĂŒber niemand sich als love interest fĂŒr Godfrey angeboten hat, weiß alle Welt – außer ihm – wer am Ende sich verehelichen wird.

 

Dem Spaß, den der Film verbreitet, macht dieses Ende keinen Abbruch; vielmehr kann das aufgesetzte Happy End fast schon als subversiver Kommentar zur Happy-End-Manie gelesen werden.

 

Harald MĂŒhlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Hands Across the Table“

Hands Across the Table

USA 1935. Regie: Mitchell Leisen, mit Carole Lombard, Fred MacMurray, Ralph Bellamy

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Regi Allen ist ManikĂŒre-Girl, und das macht sie nur, um einen reichen Mann kennenzulernen. Sie ist die unschuldige Version des weiblichen gold diggers, die sich einen mit Geld angelt – sie hat sich das nĂ€mlich ganz ernsthaft als Lebensphilosophie zurechtgelegt: Geld geht vor Liebe. Anders kommt sie nicht raus aus den Ă€rmlichen VerhĂ€ltnissen. Die Armut zeigt der Film mehr als andere Hollywoodproduktionen, auch wenn es eine gekĂŒnstelte Armut ist, wenn man sich Regis gerĂ€umiges Appartement ansieht. Aber ja, es gibt Armut, und das gilt auch fĂŒr Theodor Drew III. Den hĂ€lt alle Welt fĂŒr einen MillionĂ€r, aber: „Erinnerst du dich an den Crash? Das war meine Familie.“

Die Große Depression schwitzt aus diesem Film, der die arme Regi und den verarmten Ted zusammenbringt – sie will ihn erst fĂŒr sich gewinnen wegen den vermeintlichen Geldes, dann muss sie ihn bei sich aufnehmen fĂŒr zehn Tage, damit seine reiche Verlobte nicht merkt, dass er gar nicht auf Bermuda ist: Denn auch er ist ein gold digger, arbeiten hat er nie gelernt; fĂŒr Regi ist ihre Arbeit als ManikĂŒre nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Hausfrau, das ist die weibliche Rolle.

Das Herrliche an dem Film ist, wie sich die beiden verlieben und das Verlieben sich nicht eingestehen; denn ihre PlĂ€ne gehen ja Richtung Geld. Ted nĂ€mlich ist ein sehr alberner Mann, als „the enemy of the ordinary“ charakterisiert er sich einmal, das ist wunderbar, als sie sich erstmals begegnen, hopst er einbeinig ĂŒber die schwarzen Fliesen im Korridor. Das erste Rendezvous ist geprĂ€gt von Schluckauf und Blödsinn: „Sie verstehen sicher, dass ich Sie in dieser Kleidung nicht einlassen kann“, erklĂ€rt der Kellner, und beide beginnen sich auszuziehen.

Carole Lombard spielt eine Frau, die ihr Herz verschließt, und die zugleich offen ist fĂŒr jeden Blödsinn: in all dem Elend, in dem sie steckt, erweckt sie so in Verbund mit Fred MacMurray als Ted große Fröhlichkeit – sie setzt Gags gekonnt und perfekt getimet ein, das Hicksen des Schluckaufs, die Blicke der Liebe, die ĂŒbergehen in das Funkeln des Spaßes; die Anziehung, die sie fĂŒr Ted verspĂŒrt, und das ZurĂŒckhalten, das sie sich auferlegt hat.

Der Weg ins Herz geht ĂŒber den Witz, ĂŒber das Blödeln, gekonnt eingesetzt schweißt es zusammen. Beide faken einen Anruf aus Bermuda, sie spielt Vermittlung, er spielt das FerngesprĂ€ch, und wie beide zusammen harmonieren auf der Ebene des Humors ist umwerfend; beide liegen vor Lachen am Boden. Das Problem wird sein, aus dieser verliebten Beziehung, die ĂŒber das Witzeln, den Spaß funktioniert, den Ernst der Liebe herauszuarbeiten. Das gelingt beinahe nicht, und nur ĂŒber den Katalysator eines MillionĂ€rs im Rollstuhl – nicht, weil er Geld gibt, sondern weil er ihr ebenfalls seine Liebe gestehen will und nobel zurĂŒckweicht, als beide sich vor ihm streiten. Weil dies die beste LiebeserklĂ€rung ist.

 

Harald MĂŒhlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Lady by Choice“

Lady by Choice

USA 1934. Regie: David Burton, mit Carole Lombard, May Robson, Roger Pryor, Walter Connolly

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Patsie ist eine alte Vettel, ein trunk- und streitsĂŒchtiges altes Weib, das schon mehrmals vor Gericht Besserung hat geloben mĂŒssen; diesmal wird sie verurteilt. Der nĂ€chste Fall von Richter Daly ist der von Alabam Lee, die auf BewĂ€hrung verurteilt wird wegen unzĂŒchtigen FĂ€chertanzes. FĂ€chertanz, das ist sowas wie Striptease, das ist sowas wie Prostitution.

Alabam Lee hat einen Manager und einen PR-Agenten. Letzterer hat eine super Idee: Sie kann ihr Image aufpolieren, indem sie am Muttertag eine Mutter adoptiert. Und so kommt es zur Paarung von Alabam und Patsie. Denn letztere wurde, wegen der Milde des Richters, in ein Altenheim abgeschoben, nicht in den Knast. Hier steht sie, nicht wiederzuerkennen: Eine nette alte Dame mit gepflegter Ausdrucksweise. Alabam nimmt sie, sie weiß, worauf sie sich einlĂ€sst: „Good for laughs!“

Carole Lombard spielt die TĂ€nzerin elegant und selbstbewusst; das heißt auch, dass ihre Alabam sich bewusst ist, nicht mehr zu können als zu tanzen. Der Tanz ist nicht Ausdruck von UnabhĂ€ngigkeit – er könnte der Beginn fĂŒr eine Laufbahn sein, die da endet, wo Patsie nun steckt. Sie steht am Scheideweg, Patsie drĂ€ngt sich als Mentorin auf. Patsie hat alles in ihrem Leben versucht, außer die Mutterschaft: „Ich kann dir nicht das Gute beibringen, das du tun sollst, sondern das Schlechte, das du lassen sollst.“ FĂŒr Patsie ist Alabam die letzte Chance, nicht elend auf der Straße zu verrecken. FĂŒr Alabam ist Patsie die Chance, einen anderen Weg einzuschlagen.

Der Mittelteil des Films besteht aus der Beziehung der beiden zueinander, dem dynamischen VerhĂ€ltnis, in dem jede von der anderen lernt. Das funktioniert sehr gut, das Zusammenspiel zwischen Lombard und May Robson in der Rolle der „Mutter“ geht ineinander ĂŒber. Aber das Geld geht aus, Patsie hat Ambitionen, die Alabam nicht erfĂŒllen kann. Und Carole Lombard ist nicht der Typ, um im Film weibliche Eigeninitiative zu ergreifen. Ihre Alabam wird zum gold digger, die macht sich an einen reichen Mann ran, der sie aushalten soll – Mae West hat diesen Typus bis ins Absurde gezogen, bei Lombard spielt immer auch etwas Unschuldiges mit. Ihr reicher Verehrer ist Johnny Mills, dessen Vater mit Patsie ein VerhĂ€ltnis hatte, der deshalb auf Alabams Mutter aufpasst – was sich kompliziert anhört, ist, fĂŒr eine Komödie, recht unchaotisch, dafĂŒr aufgeladen mit moralischen Manschetten, die Alabam bekommt, als sie sich in den Menschen, nicht ins Geld verliebt.

Carole Lombard spielt Rollen, die auf das Frausein aus sind, auf die Ehe. Und dadurch mittelbar auf Sicherheit materieller Art, durch die Liebe.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Twentieth Century“

Twentieth Century

USA 1934. Regie: Howard Hawks, mit John Barrymore, Carole Lombard, Walter Connolly

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„Twentieth Century“: Mit dem Filmtitel ist kein Hollywoodstudio gemeint, sondern ein hochmoderner Zug zwischen Chicago und New York. Er ist der Schauplatz der letzten beiden Drittel des Films.

Der Anfang zeigt Carole Lombard und John Barrymore: Sie als Mildred Plotka ein UnterwĂ€schemannequin, er als Oscar Jaffe ein ĂŒbergroßer Theatermacher. Als erstes benennt er Mildred um in Lily Garland – auch „Carole Lombard“ ist nur ein KĂŒnstlername, den sie nach ihrem ersten Film angenommen hatte. Und Jaffe formt Lily: Wir sind im Theatermilieu, geprobt wird eine Jaffe-Produktion unter der Leitung von Jaffe mit der ĂŒblichen Jaffe-Besetzung im Jaffe-Theater. Jaffe ist ein eitler, selbstsĂŒchtiger und -verliebter, arroganter und, wie sich herausstellen wird, durch und durch wahnsinniger Theaterproduzent; er ist ein Genie. Lily Garland kann nur lernen von ihm, auf die harte Tour: Erniedrigt durch die Kreidestriche auf dem Boden, die ihre Bewegungen vorgeben, und durch den Nadelstich in den Hintern, der ihr das richtige Schreien entlockt, wird sie sein Star.

Lombard, der Star, spielt einen Star, wie John Barrymore, der noch grĂ¶ĂŸere Star, einen Superstar spielt. Doch Lombards Figur macht eine Entwicklung durch, und das sehr lustige an dem Film: Es ist keine Entwicklung zum Besseren. Oscar Jaffe, nach dreijĂ€hriger Beziehung – menschlich wie beruflich – mit Lily, hat sie in einen goldenen KĂ€fig gesteckt, beherrscht sie eifersĂŒchtig, lĂ€sst sie von einem Detektiv ĂŒberwachen. Bis sie flieht und nach Hollywood geht. Und Oscar Jaffe darniederliegt – ohne sie nur noch Flops. Dieser Teil des Films fĂŒhrt uns eine toxische Beziehung vor, einen kontrollwĂŒtigen Mann, der alle manipuliert und in seinem Overacting nur noch lĂ€cherlich wirkt – und eine Frau, der die Flucht gelingt, die den Absprung schafft.

Im Zug dann treffen beide wieder aufeinander. Und es ist Ă€ußerst komisch und zugleich erschreckend traurig, dass Lily Garland, trotz vieltausend Meilen Distanz zu Jaffe, sich zu genau demselben Typen entwickelt hat: eine launische Diva, die wie er nur noch in narzisstischer Theatralik lebt. Sie spielt, wie man spielt, sie ist Drama in Permanenz.

Lombard beim absoluten Overacting ist herrlich anzusehen, im Zug nimmt die Komödie so richtig Fahrt auf: Regie Howard Hawks, Drehbuch Ben Hecht und Charles MacArthur, das bedeutet Tempo, das bedeutet Pointen, das bedeutet kalkulierten Wahnsinn. Denn es reicht ihnen nicht, Lombard und Barrymore gegeneinanderrasseln zu lassen, ein verrĂŒckter Alter muss auch mitspielen, der zu Gott gefunden hat und ĂŒberall Aufkleber verteilt. Und irgendwann stehen zwei bĂ€rtige Barbaren an der AbteiltĂŒr, das sind die Deutschen, die Jaffe so sehr bewundern – von den Oberammergauer Passionsspielen, und das gibt Jaffe den letzten Kick, der ihn ĂŒber die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn fallen lĂ€sst.

Selbst Lily Garland erkennt dies – sie seien ja keine Menschen mehr, nur noch Lithographien, die die Liebe und das Leben nur erkennen, wenn es aufgeschrieben und geprobt wurde – eine Erkenntnis, die sie nur allzu wenig fĂŒr sich selbst anwendet. Als Jaffe ihr seinen Wahnsinnsplan mit Kamelen, Affen und Ibissen im Theater vorschwĂ€rmt, mit Sand direkt aus dem Heiligen Land, da steigt sie erst mit ein, weil die Vision sie packt, weil sie selbst schon auf dem Weg ist, den Jaffe zuende gegangen ist – muss dann aber doch anfangen, hysterisch zu lachen. Wie sie dann auf der Abteilbank sitzt, ihn von sich halten will, strampelnd und kickend wie ein Kind – wer hoch steigt und all den Glamour fĂŒr sich beansprucht wie Lily oder Jaffe, der verliert alle Eleganz; und wer nur noch gekĂŒnstelt lebt, alles als Auftritt fĂŒr andere performt, bei dem schlĂ€gt die komische Theatralik um in echtes Irresein.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „No Man of Her Own“

No Man of Her Own

USA 1932. Regie: Wesley Ruggles, mit Clark Gable, Carole Lombard, Dorothy Mackaill

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Connie Randall lebt in der Kleinstadt, und es ist langweilig. Wie kann sie hier geheiratet werden, wo doch die Mutter gar die Festlichkeit am See verbietet? Da taucht Clark Gable auf. Er spielt Babe Stewart, seines Zeichens Falschspieler und Frauenheld, und wie er die Bibliothekarin Connie anmacht, wie er Grenzen ĂŒberschreitet, wie er sie gegen Regale drĂ€ngt, wie er ihr unter den Rock linst, als sie fĂŒr ihn auf eine Leiter steigt, wie er ihr dann einen Kuss aufzwingt, das ist nicht lustig.

Aber letzteres ist, zumindest in der Logik eines Hollywoodfilms, ohnehin schon Liebe, denn zuvor hat Connie ihrer Kollegin von diesem unverschĂ€mten RĂŒpel berichtet und gestanden, wie sie auf ihn steht. Es ist halt Not am Mann in der Provinz, Babe kommt aus New York – sie flirten heftig, und als er sie in Zeitnot bringt, weil er am nĂ€chsten Tag abreise, und sie nötigt: „Stop kidding around“, da hĂ€lt sie dagegen, fest und selbstbewusst, aber nicht spitzzĂŒngig: „I’m not kidding“. Er könne ja nicht einfach irgendein MĂ€dchen aufreißen und am nĂ€chsten Tag verschwinden. Sie will die Heirat. Sie bekommt die Heirat.

Carole Lombard spielt die romantische Rolle; ihr geht es darum, den Mann zu finden, der ihr Leben verĂ€ndert. Das Feld, auf dem sie spielt, ist das der sozialen Klassen und des Aufstiegs durch Liebe; und es geht um den Lebenswandel, um die VerĂ€nderung, die eine Beziehung bringt. Sie ist das MĂ€dchen aus der Provinz mit gutem Herzen, die das Zweifelhafte aus Clark Gables Charakter vertreibt, oder es zumindest ĂŒberdeckt. Lombard erscheint gerne in Nacht- oder gar UnterwĂ€sche, hell und seidig glĂ€nzend: erotische Versuchung und zugleich reine Unschuld.

Als Unschuldige lebt sie in New York mit dem Halunken Babe Stewart, und es ist ein gutes Leben. Sie glaubt, er arbeite tagsĂŒber und wĂŒrde nachts zum Spaß pokern; tatsĂ€chlich sichert das Pokerspiel – abgesichert durch Komplizen – den Lebensunterhalt, Babe kĂŒmmert sich nicht um Moral und Gesetz und nimmt die Reichen aus. Connie ahnt bald einiges, und als es zur Gewissheit wird, da hat sie Babe schon geĂ€ndert. Er wird es ihr – und sich – nicht eingestehen, geht aber doch ins GefĂ€ngnis, um sich reinzuwaschen. Connie hat es geschafft, ihr Gutsein hat sein Bösesein ausgeschwemmt.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „What a Woman“

What a Woman

USA 1943. Regie: Irving Cummings, mit Rosalind Russell, Brian Aherne, Willard Parker

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Miss 10 Percent lautet der Spitzname von Carol Ainsley: Sie ist höchst erfolgreiche Agentin und Managerin zahlreicher KĂŒnstler, bekommt 10 Prozent der Einnahmen. DafĂŒr hĂ€ngt sie sich auch richtig rein: Im Alleingang findet sie heraus, wer hinter dem sagenumwobenen Pseudonym Anthony Street steckt, der einen Millionenbestseller gelandet hat mit seinem Abenteuerroman „The Whirlwind“, sie folgt seinen Spuren, hĂ€ngt sich an ihn und ĂŒberredet ihn zur Sensation: Professor Michael Cobb, Hobby-Autor mit großer Fantasie, soll seine eigene Whirlwind-Figur spielen in der geplanten Hollywood-Verfilmung.

Das könnte ein Loblied auf die Tatkraft dieser Frau sein, und Rosalind Russell macht auch eines daraus: Tough und geradlinig und zielstrebig geht ihre Ms. Ainsley die Dinge an, genauso wie Russell ihre Rolle. Ein Job muss getan werden, so formuliert es die Agentin, und Russell performt ihren Job wunderbar. Nur dass der Film, weil Hollywood, ihr in den RĂŒcken fĂ€llt. ZunĂ€chst nur ganz zart, hintergrĂŒndig streut er ein, wie harsch, ja unwirsch ihr Verhalten vor allem auf MĂ€nner wirke, behauptet dies, die anderen Figuren sollen es uns glauben machen; je weiter der Film geht, desto mehr stochert er in der angeblichen GefĂŒhllosigkeit von Ms. Ainsley herum, suggeriert ihre FrigiditĂ€t, nur deshalb, weil sie den Avancen der beiden MĂ€nner, die sie umwerben nicht nachgibt. Sprich: Eine Frau sollte schon GefĂŒhle erwidern, es sei denn, sie ist keine richtige Frau.

Agent provocateur dieser Lesart, die der Film so forciert, ist Henry Pepper, Journalist, der fĂŒr das Magazin „Knickerbocker“ ein intimes PortrĂ€t ĂŒber Miss 10 Percent schreiben soll. „Intim“ ist das richtige Wort: Er will in ihr Inneres eindringen, ihre innere Wahrheit erspĂŒren, egal ob sie will oder nicht. Er ist, wo sie ist, taucht ĂŒberall auf. Sie ist in PR-Dingen viel zu erfahren, um ihn abzuweisen. Also dockt er an sie an.

Das Durcheinander, das der Film inszeniert, weil Prof. Cobb nun als Anthony Street geoutet ist, weil er zum Schauspielstar geformt werden soll – man braucht nicht Talent oder gutes Aussehen, sondern Persönlichkeit, weiß Ainsley –; jedenfalls mĂŒssen tausend Dinge erledigt sein, und die sind natĂŒrlich pointiert dargebracht. Aber alles krankt an der Idee, aus einem Kleinstadtprofessor einen Star machen zu wollen, ja, wie es der Film will, zu mĂŒssen; und alles krankt weiter daran, dass dies klappt, weil sich Cobb in Ainsley verliebt, als sie ihm pĂ€dagogisch beibringen will, wie einfach eine Liebesszene zu spielen ist. Das ist natĂŒrlich so weit weg von jedem Anflug von RealitĂ€t und auch innerhalb von Romantik-Klischees soweit hergeholt, dass es schlicht erzĂ€hlerisch nicht funktioniert.

 

Wenn Rosalind Russell in ihren Rollen alles ĂŒber den Kopf wĂ€chst – was wenn, dann nur fĂŒr Momente geschieht –, dann weiß sie ihren Körper auf ganz besondere Art einzusetzen. Die Arme schlenkern, die Körperhaltung wird schlaff, der Kopf hĂ€ngt. Alle Eleganz weicht von ihr, sie lĂ€sst sich richtig hĂ€ngen – das sind nicht subtil, dafĂŒr umso wirkungsvoller eingesetzte Mittel der Slapstick-Körperkomik; wenn sie in „The Women“ mit ihrer Rivalin kĂ€mpft und anschließend einen Nervenzusammenbruch erleidet, oder wenn in „My Sister Eileen“ sechs auslĂ€ndische Matrosen ihr in der kleinen Wohnung einen Tanz aufzwĂ€ngen; oder wenn in diesem Film Cobb die angebetete Ainsley durch den Raum zieht, weil er sie zum Theaterbesuch einlĂ€dt/drĂ€ngt. Dann fĂ€llt die Fassade von Glamour fĂŒr einen Moment von ihr, bis sie wieder die Fassung behĂ€lt und ihre SouverĂ€nitĂ€t – nicht ĂŒber sich, ĂŒber die Situation – wiedererlangt. Nicht, dass sie allen etwas vormacht – wenn sie jemandem etwas vormacht, dann wird das durch Russells Spiel dem Zuschauer immer sehr deutlich gemacht –, sondern weil sie nur dann sie selbst ist, wenn sie funktionieren kann. Wenn nicht, fĂ€llt sie in sich zusammen wie ein Duracell-Hase mit leerer Batterie.

In diesem Film hat es ihre Figur besonders schwer gegen das mĂ€nnerdominierte Hollywoodsystem, weil ihr selten so grund- und motivationslos VerliebtheitsgefĂŒhle in die Rolle geschrieben wurden. Aber ein Job ist ein Job. Rosalind Russell schafft auch eine Rolle wie Carol Ainsley.

 

Harald MĂŒhlbeyer


Bilder (c)Columbia Pictures

Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „My Sister Eileen“

My Sister Eileen

USA 1942. Regie: Alexander Hall, mit Rosalind Russell, Brian Aherne, Janet Blair

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprĂ€gt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, MĂŒnchen 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro. 

 

„My Sister Eileen“ ist geradezu einzigartig: Der Film enthĂ€lt nicht die obligatorische Liebesgeschichte, zumindest bis in die letzte Minute, wenn dann doch ein paar liebevolle Blicke getauscht werden… Aber das ist nur Beiwerk zum Happy End, das darin besteht, es in New York geschafft zu haben.

 

Ruth und Eileen sind in der Provinz unten durch: In Columbus, Ohio, haben sie sich unmöglich gemacht, weil Ruth in der Lokalzeitung eine Lobeshymne ĂŒber ihre schauspielende Schwester Eileen veröffentlicht hat, in ihrer Rezension eines TheaterstĂŒcks – das dann aber kurzfristig umbesetzt wurde. Sie hat die Kritik vor der Premiere bereits geschrieben. Nun muss es New York sein, wo die großen Redaktionen und die großen Theater liegen – und Ruth, die Ältere, muss auf Eileen aufpassen.

Ruth ist eine weitere Paraderolle fĂŒr Rosalind Russell – diesmal nicht als GeschĂ€ftsfrau, sondern als eine, die es werden will. Die Sinn hat fĂŒr Pragmatismus und den Umgang mit dem Leben und vor allem mit den MĂ€nnern, und dies nicht, weil ihr das jemand beigebracht hĂ€tte. In Columbus geht es beschaulich zu, Eileen wĂ€re deshalb in NY verloren, so liebenswert naiv sie ist, so vertrauensselig und allzu herzensgut. Sie ist zu einem guten Teil dafĂŒr verantwortlich, dass sich die miese Untergeschosswohnung in Greenwich Village zum Durchgangsbahnhof entwickelt fĂŒr alle möglichen Leute: Der arbeitslose Ex-Wrestler aus der Nachbarschaft nĂ€chtigt gar in der Mini-KĂŒche. Dazu kommt ein Apotheker mit Hoffnungen und ein Reporter mit Hoffnungen und ein Polizist mit Misstrauen – zwei junge Frauen, das ist nahe an der Prostitution (angedeutet natĂŒrlich nur, nicht ausgesprochen). Irgendwann taucht noch ein Russe in vollem Ornat auf und lĂ€dt ein spiritistisches Medium, die Vormieterin, auf der Couch ab. Zwischendurch gibt es ErschĂŒtterungen, weil unter der Wohnung mit Dynamit eine neue U-Bahn-Linie gebaut wird.

Und Ruth lockt ungewollt ein halbes Dutzend geiler portugiesischer Matrosen in die Wohnung, die ihr quer durch New York gefolgt sind: Auch Ruth hat weibliche Reize, aber vor allem Sinn, wenn irgend möglich eine wie auch immer geartete Linie in der Wohn- und Berufssituation zu finden.

Die Matrosen wechseln ihre Aufmerksamkeit natĂŒrlich sofort von Ruth auf Eileen, als sie ihrer ansichtig werden.

 

Russell kann ihre Bandbreite zeigen, die schnelle Auffassungsgabe, die Verzweiflung ĂŒber Chaos, auch den Slapstick, wenn sie im Tanz herumgeschleudert wird und auch noch weiterwackelt, wenn die Matrosen lĂ€ngst weg sind. Vor allem ist sie praktisch veranlagt, baut eine Beziehung zum „Manhatter“ auf, einem New Yorker-Magazin – und klatscht dem Herausgeber gleich mal ihre Kritik vor den Latz, wie altmodisch und uninteressant selbst fĂŒr die Leute in Columbus, Ohio, dieses Geschreibsel ist.

Als der Redakteur sie des Abends abholt, um wohlwollend ĂŒber ihren Artikel zu reden, entwickelt sich fast die gewohnte Liebesgeschichte – aber doch nicht. Weil der sie nĂ€mlich nur stundenlang volllabert, selbstverliebt, wie er ist.

Als die Schwestern mal ganz unten sind, sagt Ruth: „Um dich mache ich mir keine Sorgen, solange noch irgendwo ein Mann lebt.“ Doch selbst Eileen weiß: „Men are only an escape.“

 

Komödie ist die Kunst, Chaos zu entfesseln, das in der Inszenierung beherrschbar ist, in der DurchfĂŒhrung aber vollkommen over the top. Das gelingt hier prĂ€chtig, der Film ist voll Witz und Tempo, voll schrĂ€ger Charaktere, denen vor allem die ganz normale Rosalind Russell sich entgegenstellt. Sie hat fĂŒr den Film ihre erste Oscarnominierung erhalten.

Am Ende tauchen unter allen Figuren, die sich in dieser kleinen Wohnung tummeln, auch noch die drei Stooges auf.

 

Harald MĂŒhlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures