Grindhouse-Nachlese Januar 2022: „Die Brut des Bösen“ und „Der Clan der Killer“

Grindhouse Double Feature: Zwei Überraschungsfilme am Samstag, 29. Januar 2022, Cinema Quadrat Mannheim

  

„Die Brut des Bösen“, DEU 1979, Regie: Christian Anders, Antonio Tarruella

 

„Der Clan der Killer“ / „Ricco“, ITA/ESP 1973, Regie: Tulio Demicheli


Christian Anders: Das ist der mit dem „Zug ins Nirgendwo“, ein blonder Schlagerbarde, der unterm blonden Haarschopf super aussieht und mit intensivem Blick Mädchenherzen schmelzen lässt. Und der ganz tiefsinnige Texte singt von Liebe und Einsamkeit und Verlassenwerten und Reue. Aber das, was Anders Ende der 1960er als Laufbahn in der DT Heck-Hitparade aufgebaut hat, ist nur Fassade. Eigentlich und in Wirklichkeit geht es ihm nicht um persönlichen Ruhm, das muss man ihm glauben, sondern um die allumfassende Liebe unter den Menschen – so ähnlich drückt er es in seinem Filmregiedebüt „Die Brut des Bösen“ aus, und er prügelt diese Liebe in seine Gegner rein, aber kräftig!

Denn C. Anders ist zudem Martial Arts-Meister mit Schwarzem Karategürtel, und in „Die Brut des Bösen“ plaudert er aus der Schule, aus der Kampfschule nämlich: In Madrid lehrt er die Kunst des waffenlosen Kampfes, und er betont total, dass man keinen einfach so angreifen und umhauen darf, sondern ihm mit Liebe und Respekt begegnen muss. Die innere Stärke ist die äußere Stärke, und nur zur Verteidigung und so weiter.

Es kann als gesichert gelten, dass Christian Anders dies alles glaubt, es ist aber so, dass der Film ganz anderes zeigt. Da kommen drei Neue in die Karateschule, und deren supercooler Oberdroog dröhnt herum, ob denn Karate wirklich besser sei als seine Kampftechnik, nämlich einfach Kicken und Treten. „Na, greif mich an“, lockt Anders, denn nur wer ihn mit Schlägen trifft, darf als Schüler aufgenommen werden (zwinkerzwinker), und Anders kloppt den Kerl brutal zusammen, vor seinen Schülern und dessen Kumpels. Ja, Frank Mertens – so heißt die Christian Anders-Figur im Film – ist hier ganz schön fies und gefällt sich darin, den anderen auflaufen zu lassen. Soviel zur allumfassenden Liebe, die halt über einen kleinen Gag doch nicht erhaben ist. Man muss mit so ’nem Film die Leute ja auch unterhalten!

Die Geschichte ist einfach. Da gibt es nämlich einen Gangster, der heißt Van Bullock, und der will eine Karateschule in Madrid eröffnen. Und dann merkt er, dass auf der anderen Straßenseite schon die Karateschule von Frank Mertens steht, und also muss Van Bullock den Frank Mertens fertigmachen. Mit seinen Schlägertypen versucht er es, die haben aber keine Chance, mit Geld versucht er es, aber Mertens ist Idealist. Dann versucht er’s mit den Waffen einer Frau, nämlich mit seiner Sekretärin Cora (gespielt von Dunja Rajter, Schlagerkollegin von Anders), die verführt Mertens und schiebt ihm einen Beutel Heroin unter, und Mertens gerät in eine Polizeirazzia und ins Gefängnis, und dann merkt er, dass der Van Bullock Jahre zuvor seinen japanischen Karatemeister hatte ermorden lassen und er sinnt auf Rache, und alles könnte gut sein, Dutzendware wie in jedem Martial Arts-Film, nur eben diesmal eine deutsche Produktion, die in Spanien spielt, und keine Hongkong- oder Japan-Kungfu-Schwert-Karate-Haudraufaction.

Könnte also ein Film von vielen sein, doch Christian Anders macht vieles anders. Und zwar anders, als er selbst denkt. Nicht nur die Inkonsequenz, wenn es um die Werte von Liebe und Frieden geht, die genau dann nicht mehr gelten, wenn Frank Mertens zuschlägt (und der Kampf auf dem Friedhof gegen Van Bullocks Schergen ist wirklich ganz gut).

Da ist zum Beispiel der Immobilienmakler, bei dem Van Bullock das Haus für seine Karateschule kaufen will, und der ist Jude; so ein Jude wie er im Buche der Klischees steht, mit Jiddisch-Akzent und Feilschen und Geldhabenwollen; wie kann man das tun, in einem deutschen Film? Gut, es ist alles deutsch synchronisiert, der Schauspieler ist Spanier und hat das möglicherweise nicht so im Sinn gehabt, aber Anders als Regisseur (und Mit-Investor) hat das sicherlich so gewollt. Warum?

Da fährt ein goldener Rolls Royce vor, in Madrid mit Münchner Kennzeichen (ja, äh. genau???), es steigt ein Schrank von einem Mann aus, öffnet den hinteren Schlag, rollt einen roten Teppich aus in Richtung Gehsteig, und Van Bullock steigt majestätisch aus – er ist kleinwüchsig. Das ist OK, bei James Bond gibt es auch kleinwüchsige Bösewichter, warum auch nicht. Ein Passant aber läuft vorbei und murmelt verächtlich: „Was ist das für’n Wurzelzwerg?“; und Mertens wird später seinen Gegenspieler auch mal als „Gnom“ betiteln; das ist wohl lustig gemeint und sagt eben auch viel darüber, wie Anders keineswegs nachdenkt bei seinem Film.

Als Zwischenspiel sehen wir Christian Anders einmal, völlig der Handlung enthoben, beim Muskeltraining. Also, es soll wohl Muskeltraining sein, ist aber eigentlich Posieren für die Kamera. Er zeigt seinen Oberkörper, was für ein Oberkörper, und hält diese Bodybuildingprahlerei für total männlich, weil Mertens nun mal der Held der Geschichte ist. Aber dann lässt Anders seine Bauchmuskeln von links nach rechts rollen, Bauchtanz ist nichts dagegen, und nach dem nächsten Schnitt steht er da in Lederunterhose (!), an die er Expander hängt, und er (also Regisseur Anders) merkt nicht wie er ihn (also Darsteller Anders) hier als schwule SM-Ikone präsentiert. Zum Abschluss dieser eigentlich sehr peinlichen Sequenz liegt Anders, immer noch in der Leder-Bux, auf dem Boden und schnalzt sich hoch wie ein halbtoter Fisch. Es sieht furchtbar lustig aus.

Christian Anders, wie Christian Anders ihn inszeniert, ist sehr lächerlich, und keiner von beiden merkt es. Im Film lächerlich soll der Zwerg sein, Van Bullock, der im Grunde ein trotziges Kleinkind ist, das alles sofort haben will und wütend wird wenn nicht. Aber was wir sehen ist ein bedauerlicher Behinderter, der mehr noch seine psychische als seine physische Zukurzgekommenheit kompensiert mit narzisstischer Machtfülle – er kann nichts dafür, dass er ein Psychopath ist. Seine geliebte Cora sticht er ab, als er mitkriegt, dass die sich nach ihrer Auftragsnacht mit Mertens in diesen verknallt hat; seinen Handlangerschrank Komo braucht er, liebt ihn vielleicht, haut an ihm trotzdem seinen Spazierstock kaputt. (Gespielt wird Van Bullock übrigens von Roy Deep, den wir alle kennen in vielfacher Ausfertigung, weil er alle Oompa Loompas spielt in Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Leibwächter Komo wiederum hat dieselbe Synchronstimme wie Bud Spencer, und sein Kampfstil Marke FaustaufdenKopp ähnelt diesem ebenfalls.)

Am Ende wird Van Bullock von Frank Mertens in einen Bach geschmissen, Komo wird im Anschluss getötet, indem sich Mertens auf dessen Rücken setzt und die Beine hochzieht, das soll vielleicht sowas wie den Bruch des Rückgrates symbolisieren, was weiß ich. Auf jeden Fall singt Thomas Anders im Titelsong dann von dem fruchtlosen Pfad namens Rache, ein letzter Beweis dafür, dass der Film nichts von sich selbst weiß: „It’s a dead end! The road to revenge. Just a dead end! Don’t make any sense.“

 

Nicht mehr als er ist will der zweite Film des Abends sein, damit hat er einiges gegenüber der „Brut des Bösen“ voraus: „Der Clan der Killer“ ist eine italienisch-spanische Koproduktion, spielt in Turin, es geht um die Mafia. Es geht um Ricco, der dem Film seinen Originaltitel gab: Er wird gespielt von Christopher Mitchum, Sohn des großen Robert (und Bruder von Jim, den wir in „Blackout“ bewundern konnten). Er sieht ein bisschen wie Robert Mitchum aus, hat aber auch einiges von der unbeeindruckbaren Ennui David Hemmings’ in „Blow Up“, so um die Augen rum. Und ähnlich wie dieser geht Ricco mit mutwilliger Unwilligkeit durchs Leben – gerade ist er aus dem Knast gekommen, saß zwei Jahre, und schon wieder wird von ihm erwartet, seinen Vater zu rächen. Dieser Vater wiederum hat die Synchronstimme von Robert Mitchum, Familie ist nicht einfach.

Riccos Vater jedenfalls war der Mafiaboss, der ermordet wurde mutmaßlich von Don Vito, der ihm dann nachfolgte. Ricco hat keine Lust, sich da einzumischen, er hat genug von Blutrache und will lieber der Schwester und dem Schwager helfen beim Aufbau eines Motels; die beiden haben eine Tankstelle, sind aber die meiste Zeit im Bett zugange: „Wenn du bumsen willst, vergisst du die Ölkrise!“ Ricco gerät trotzdem rein in den Strudel, einmal, weil ein alter Kumpel von Papa ihn drängt, vor allem aber, weil seine Geliebte Rosa jetzt die Geliebte vom neuen Boss ist.

Aus der Unlust des (Anti)Helden macht der Film zuwenig, das wäre sehr reizvoll gewesen; überhaupt geht Regisseur Tulio Demicheli seinen Film geradezu betulich an (also: für einen Mafia-Rachethriller), ohne daraus aber großen Mehrwert zu ziehen – im Mittelteil zumindest. Dann aber zieht der Film an, Ricco will einen großen Diamantendeal durchkreuzen, wird selbst aufs Kreuz gelegt, Don Vito hat nicht nur Rosa in seiner Hand, sondern lässt auch Riccos Familie – die Mutter im Rollstuhl, die ihn aufgehetzt hat, Schwester und Schwager direkt im Bett – killen. Währenddessen geht auch Rosas Plan schief, den Leibwächter zu verführen, um Don Vito zu entkommen, und das ist der Punkt, an dem der Film wirklich drastisch wird und deshalb wirklich gut: Don Vito nämlich, der Mafiaboss, residiert offiziell als Boss einer Seifenfabrik; und das ist ziemlich geschickt, denn Natron, billiges Parfum, Fett und Knochenmehl kann er immer gebrauchen für sein Produkt, und er bezieht seine Rohstoffe auch aus seinen Widersachern, denen er den Garaus macht und deren Überreste er dann weiterverwertet. Nicht einfach so: Er lässt sie erstmal brutal zusammenschlagen, Sadismus gehört dazu, und das geschieht auch mit dem Leibwächter, der ihn hintergangen hat, verprügeln, nackt ausziehen, und dann. Dann: Der Schniedel schwingt auf dem Fliesenboden, schnippschnapp – eine solche Kastration ist denn doch selten im Grindhousekino, obwohl ja das Heftige dabei des Salz in der Suppe ist. Dann wird der schreiende Typ in den Bottich mit brodelnder Lauge geworfen, Rosa muss dabei übrigens zusehen. Kurz darauf kommt ein Paket an bei Ricco, Seife – das, was von seiner Rosa übrigblieb.

Nunja. Er hängt zwar an Rosa, hat inzwischen sich aber auch deren Kusine geangelt, eine Zweitfrau in der Hinterhand ist nie verkehrt, es kommt dann auch noch zum großen Rachefinale, klar. Aber zwischendurch hatten wir auch komische Momente. Nämlich Scilla, Riccos neue, hatte im Zuge von dessen Feldzug gegen Don Vito den Wagen von dessen Geldeintreibern angehalten, auf die Tasche mit den Millionen haben sie und Ricco es abgesehen. Da steht sie im Dunkeln auf der Straße und zieht sich aus, und die deutsche Synchro schlägt Purzelbäume vor Entzücken: „Ich glaub, ich steh im Spargelfeld!“; „Zum Glück bin ich nicht nachtblind!“; „Sowas Heißes auf meinem Kühler!“; und natürlich: „Entweder hat die’n Hammer, oder sie ist so voll Hasch wie ein türkischer Reisebus!“ Da hat der Zuschauer dann wirklich Glück, wenn der Filmschnitt über lange Passagen die Münder der beiden Gaffer nicht zeigt, damit derartige Sprüche drübergelegt und aus den Lautsprechern gehauen werden können.

 

Harald Mühlbeyer

 

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „To Be or Not to Be“

To Be or Not to Be

USA 1942. Regie: Ernst Lubitsch, mit Carole Lombard, Jack Benny, Robert Stack, Felix Bressart, Sig Ruman

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Eine Theatersatire verknüpft mit einer Nazi-Satire, und beides mit eigenem Recht: Carole Lombard nimmt als Maria Tura ihren Diven-Part aus „Twentieth Century“ erneut auf: Wir sehen sie in „To Be or Not to Be“ als Drama-Queen, die in ihrer Theaterwelt aufgeht. Bei der Probe zu einem Nazi-Stück im Warschauer Theater schreitet sie in einem typischen Lombard-Kleid auf die Bühne, seidig, glänzend, vermutlich golden. Das will sie tragen in ihrer großen Konzentrationslager-Szene, es ist eigentlich vollkommen lächerlich, aber die Charakterisierung dieses Charakters, der nur in der Kunst lebt, in der Kunst, für das Publikum etwas Besonderes zu sein, ist es perfekt. Verblendung, Eitelkeit, Glamour – später werden wir das Kleid wiedersehen. Als Mitglied der Warschauer Untergrundbewegung besucht sie Prof. Siletsky, einen brandgefährlichen Gestapozulieferer, der sowohl berufliches – Spionage! – als auch persönliches Interesse an ihr hat. Sie trägt das Kleid, um ihn zu bezirzen. Da weiß sie schon, wie es zugeht in einem wirklichen Leben in einem Polen, das von den Nazis überfallen und zerstört wurde.

Sie geht damit die umgekehrte Entwicklung durch: In „Twentieth Century“ wurde sie zum Theater- und Filmstar aufgebaut und tritt schließlich mit all den divenhaften Allüren auf, die sich das Klischee vorstellen kann. Bei Ernst Lubitsch nun wird sie aus ihrer Theatralik herausgerissen durch die Katastrophe des Weltkriegs, sie landet in der Wirklichkeit und muss mit ihr zurechtkommen. Und Carole Lombard kann das wunderbar spielen, um ihre Augen, ihren Mund immer ein träumerischer Zug, ein Sehnen nach der Fantasie, die sie aus der Realität trägt – da ist das romantische Mädchen der Anfänge gegenüber Clark Gable in „No Man of Her Own“ nicht weit, auch nicht die ideenreich schwindelnde Nicht-Mörderin in „TrueConfession“. Doch Hitler hält sie fest, unten, im Elend, ohne Chance.

Lubitsch führt seine Theater-Backstage-Komödie über in eine pralle Farce über Narzissmus im Nazismus, der sich über alles stellt und so lächerlich wird – sehr prägnant blendet Lubitsch damit das überbordende Theaterwesen mit seinen überbordenden Stars über auf die trotteligen Uniformträger, die sich ganz ganz wichtig vorkommen. Und Lubitsch zeigt deutlich, wer die Profis in Sachen Popanz sind – es triumphieren natürlich die Theaterleute, die die Nazis bis ganz nach oben nach Strich und Faden lächerlich machen.

Carole Lombard steht im Mittelpunkt der Charade um Verkleidungen und Verwechslungen, sie ist fast so etwas wie der Ruhepol – und hat es faustdick hinter den Ohren. Sie kann ihre Verführungsmechanismen nach Belieben anwerfen, etwa, um hochrangige Nazis vor Liebesbegehren verblendet für die Wirklichkeit zu machen. Aber auch geschickt zum eigenen Nutzen, wenn sie ihre Liebhaber um die Theaterauftritte des eitlen Ehemannes herum orchestriert und sie während des „Sein oder Nicht-Sein“-Monologs in ihrer Garderobe empfängt. Dass da nichts gelaufen wäre, glauben doch höchstens ein paar betriebsblinde Hays-Zensoren!

Ich kann mich gerade gar nicht mehr erinnern – wie wohl die deutsche Synchonisation lautet beim Dialog auf der Theaterbühne, in dem der Kleindarsteller Greenberg seinen überagierenden Kollegen zuwirft: „What you are, I wouldn’t eat!“ – „How dare you calling me a ham!“

 

Und wenn man den Film nun nochmals sieht, mit all den anderen Lombard-Komödien im Hinterkopf: Traurig. Sie hat die Premiere nicht mehr erlebt, am 16. Januar 1942 ist Carole Lombard bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Deutsche Kinemathek

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Mr. & Mrs. Smith“

Mr. & Mrs. Smith

USA 1941. Regie: Alfred Hitchcock, mit Carole Lombard, Robert Montgomery, Gene Raymond

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„Mr. & Mrs. Smith“ ist eine der wenigen Ausflügen von Alfred Hitchcock ins Komödiengenre; doch anders als in „The Trouble With Harry“ oder „To Catch a Thief“ kann er mit diesem Stoff für eine Screwball-RomCom wenig anfangen. Die Gags gehen weitgehend daneben, und schon allein das ist erstaunlich, weil die Pointen in seinen Thrillern ja immer sitzen. „Der Film entstand aus meiner Freundschaft mit Carole Lombard“, erklärt Hitch gegenüber Truffaut: „Sie frage mich: ‚Würden Sie einen Film mit mir machen?’ Ich weiß nicht, weshalb ich angenommen habe. Ich habe mich mehr oder weniger an das Drehbuch von Norman Krasna gehalten. Da ich die Art von Leuten nicht verstand, die in dem Film gezeigt wurden, habe ich die Szenen fotografiert, wie sie geschrieben waren.“

Und auch wenn man all die Koketterie berücksichtigt, zu der Hitchcock fähig ist, und auch, wenn man all die Mythenbildung berücksichtigt, die Hitchcock im Truffaut-Interview betreibt, trifft es diese (Selbst)Einschätzung doch ziemlich genau.

Carole Lombard spielt Ann Smith, und sie hat in ihrer Ehe klare Regeln aufgestellt: Bei einem Streit müssen die Ehegatten so lange im Schlafzimmer bleiben, bis sie versöhnt sind (und das bedeutet nicht Sex, sondern Entschuldigungsagen). Regel Nummer 7 wurde eigentlich aufgehoben, sie beharrt dennoch darauf: Nämlich bei Fragen eine grundehrliche Antwort zu geben. Sie hat es sich also selbst zuzuschreiben, wenn ihre Ehemann David auf die Frage, ob er alles noch einmal genauso machen würde, antwortet, dass er wohl eher nicht geheiratet hätte. Sie ist sauer. Sie hatte beim Frühstück ihre Füße seine pyjamabedeckten Hosenbeine hochgeschoben, jetzt zieht sie sie wieder raus (das ist wohl die äußerste Möglichkeit, so etwas wie ein körperliches Eheleben in Hays-Code-Zeiten zu zeigen; Hitch macht das sehr gut!)

Der Zufall will es, dass es in den USA zwischen den Bundesstaaten doofe Gesetze gibt, und weil der Ort, in dem Ann und David geheiratet haben, dem falschen Bezirk im falschen Staat zugeordnet war, sind alle Ehen, die dort seit 1936 geschlossen wurden, ungültig. Ist ja klar; da kann David, seines Zeichens Anwalt, nichts machen. Aber es ist nichts passiert: Er bekommt vom Standesbeamten seine zwei Dollar für die Heiratslizenz zurück, also kein Cent verloren!

Auch Ann bekommt diesen Makel in ihrem Zusammenleben mit. Und wartet darauf, dass David ihr einen neuen Antrag macht. Was dieser verstoffelt. Und sie schmeißt ihn raus. Wenn schon nicht verheiratet, dann richtig! Wurschtegal, dass sie drei Jahre lang in wilder Ehe lebte – jetzt genießt sie das Single-Dasein. David ergeht sich in Selbstmitleid.

Rainer Rother schreibt in seinem Band zur Berlinale-Retro über den Film: „Konventionell entworfene, stereotyp geschriebene Charaktere waren das Material für Carole Lombard, abhängig jeweils davon, wie weit das Drehbuch einer freieren Interpretation Raum bot. In ihren Komödien nutzte sie die Vorlagen, um ihre Figuren in eine Richtung zu entwickeln, die vermutlich von den Autor/-innen nicht immer vorgesehen war. [...] Ann Smith ist von der ersten Szene an schwierig, um es gelinde auszudrücken.“ Und später: „Das böse Wort ‚zickig’ grundiert den Entwurf dieser Mrs. Smith, durchaus passend für einen Hitchcock-Film.“ Ja, es ist absolut richtig, dass Carole Lombard ihre Ann sehr viel liebenswerter spielt, als sie geschrieben wurde – sie hat ihre Ausfälle, die geradezu obsessiv aggressiv sind; bei einem Mann würde man es wohl cholerisch nennen, bei ihrer Ann ist es freilich immer weiblich konnotiert: Sie fordert wütend, und sie will bekommen, was sie fordert. Beispielsweise, dass ihr Mann nachgibt, und wenn sie 8 Tage im Schlafzimmer ausharren müssen. Aber es ist nicht so, dass nur Ann als „schwierig“ charakterisiert ist. Auch David verhält sich allzu wurschtelig; er unternimmt stets das genau Falsche, um die juristisch ledige Ann zurückzugewinnen. Statt die gemeinsamen Jahre mit ihr heraufzubeschwören, versucht er in die verriegelte Wohnung einzudringen, er beschattet sie, indem er ihr im Taxi hinterherfährt, er wird handgreiflich an ihrer Arbeitsstelle als Verkäuferin. Mal ehrlich: Warum sollte sie ihn zurückhaben wollen?

Die Antwort liegt in den Mysterien der Drehbuchkonventionen, dass ein Paar, das als Paar beschrieben wird, auch ein Paar werden und bleiben muss. Egal, was dagegensteht – und wenn es das Paar selbst ist.

Und Hitchcock interessiert sich nicht dafür, filmt einfach, was zu filmen ist – er war frisch in Amerika, musste sehen, wie er sich einrichtet in Hollywood, und musste seine Nische erst einmal schaffen. Und wenn nun die Charaktere nicht zur Story passen, und wenn die Darsteller – und eben vor allem Lombard – sich einzufügen haben in die Klischeehandlung, dann ist das halt so, abgehakt und fertig.

Dass er allerdings auch lustigen Szenen den Witz nimmt, überrascht dann doch. Lustig ist beispielsweise, wenn David mehr oder wenig unwillig sich mit „Damen“ (= Prostituierten) im Nachtlokal trifft und dabei seine Ann mit ihrem Neuen flirten sieht, worauf David Ann eifersüchtig macht, indem er seiner unbeteiligten Sitznachbarin mimisch, aber lautlos scheinbare Liebesworte zuflüstert; aus der Situation kommt er nur raus, indem er sich selbst die Nase blutig haut. Aber andere Szenen versteht Hitchcock nicht, im ganzen komisch zu gestalten. Wenn Ann mit ihrem neuen Verlobten (ja, verlobt muss sein!) im Vergnügungspark hoch oben feststeckt, dann holt er nicht mehr als einen Schnupfen aus der Episode. Sogar wenn der Verlobte im Folgenden besoffen ist und dabei sich unendlich abmührt, weiterhin Gentleman zu sein, gibt es keine Lacher. Auch am Ende Ann, die im Alleingang eine Liebesszene mit ihrem Lover akustisch nachstellt, um den verlorenen Ehegatten zuhörenderweis eifersüchtig zu machen, ist nicht ausgereizt.

In diesem Film bleiben alle unter ihren Möglichkeiten.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Deutsche Kinemathek

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „True Confession“

True Confession

USA 1937. Regie: Wesley Ruggles, mit Carole Lombard, Fred MacMurray, John Barrymore

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


Wieder Fred MacMurray, ein großer Komödiant mit perfektem Timing und klarem Bewusstsein, was wie auf der Leinwand rüberkommt – er war gegenüber Carole Lombard in „Hands Across the Table“ der alberne Typ zum Verlieben, und in „Take a Letter, Darling“ musste er als Sekretär von Rosalind Russell bestehen. Hier nun spielt er einen ehrlichen Anwalt, der nur Unschuldige verteidigt – das ist an sich natürlich schon ein Witz, und da sitzt er in seinem heruntergekommenen Büro und wartet auf Mandanten, und der einzige, der auftaucht, ist einer, der bestreitet, beim Metzger Schinken gestohlen zu haben, aber um Aufschub bei der Bezahlung bittet, bis er die Schinken verkauft hat. Auf dem Schreibtisch hat MacMurrays Ken Bartlett eine Flasche, und es ist nicht die obligatorische Büroflasche Whisky aus den Hardboiled-Krimis, sondern Milch.

Carole Lombard spielt seine Frau Helen, leichtköpfig, fantasievoll, head in the clouds; sie schreibt Geschichten, die keiner kaufen will, sorgt sich einerseits um das Einkommen der kleinen Familie, lebt andererseits im Wolkenkuckucksheim ihrer Schwindeleien, die ihr einfach so aus dem Mund ploppen. Der Vermieter will die Schreibmaschine pfänden, und sie spinnt eine Geschichte zusammen von ihrem Mann, der verrückt wurde wegen des gestorbenen Babys und nun die Schreibmaschine liebevoll in Armen hält… Sie kommt damit durch, der Vermieter lässt ihr das Arbeitsgerät, sie ist ja auch süß dabei, und nur ihre Freundin Daisy durchschaut sie – und der Zuschauer: Denn immer, wenn wieder mal eine ihrer spinnerten Ideen in ihrem Kopf Form annimmt, schiebt sie kindlich die Zunge in die Wange.

Nun hat Helen, hinter dem Rücken ihres Mannes, einen Job angenommen. Er hat sich das natürlich verbeten, denn wie sieht das aus: Sie ist ja keine der gelangweilten Frauen, die wegen der Ödnis ihrer Tage arbeiten wollen – bei ihr hieße eine Stellung, dass der Mann sie nicht ernähren kann. Privatsekretärin soll sie sein, obwohl sie kein Steno kann, für 50 Dollar die Woche – wie unseriös dies ist, geht ihr erst auf, als der Chef sie heftig bedrängt. Sie boxt ihn in den Bauch und haut ab – und kehrt zurück, um ihren Mantel und die Handtasche zu holen. Da ist der böse Boss tot, und sie wird festgenommen.

Und im Verhör kann Carole Lombard wieder ihre präzise Fähigkeit zum Doppelspiel präsentieren; einerseits ist sie völlig eingeschüchtert, wenn der Kommissar aber die Möglichkeiten, wie der Mord vonstatten ging, ausbreitet, dann blüht sie auf, im Reich der Fantasie ist sie zuhause, und sie reichert seine Theorien begeistert mit ihren eigenen Ideen an; tongue in cheek, buchstäblich: als reizvolles Spiel mit Lüge und Wahrheit, die den Film ohnehin antreibt.

Denn, wie sich herausstellt: Wenn sie fälschlich gesteht, hat sie größere Chancen, davonzukommen, nämlich wegen Notwehr – ihr Mann verteidigt sie, für ihn ist der große Fall, auf den er gewartet hat. Sie will ihn nicht enttäuschen, lügt also herbei, den Sexualaggressor getötet zu haben, stellt damit alle zufrieden, auch ihr eigenes Münchhausensyndrom – nur darf natürlich Ehemann/Anwalt Ken nichts von der Lüge erfahren, als notorisch ehrliche Haut. Der in seinem Plädoyer übrigens, zu Helens Freude, das Recht der Frau auf Arbeit gepriesen hat.

Angereichert wird das witzige Spiel um das Lügengespinst durch einen Verrückten. Den spielt John Barrymore, ein abgehalfterter Dandy in der Bar, der seine Theorien über das Leben mittels eines Luftballons demonstriert, dem die Luft ausgeht, der von sich selbst als Kriminologen so überzeugt ist, dass er Stammgast ist bei Gericht, der alle – vor allem den Bartender – für Idioten hält und daher den erhofften Alkohol nicht eingeschenkt bekommt. Er ist wieder eine dieser grandiosen Nebenrollen, die den Film nochmals aufwerten, ihn füllen und zugleich eine ganze Spur verrückter machen – er spielt – nach „Twentieth Century“ erneut sich selbst karikierend den egomanischen Wahnsinnigen, mit viel Lust an Witz und Spaß. Und mit dessen Auftritt zum Finale das Rätsel um den Mordfall bis in alle Ewigkeit ungelöst bleiben wird.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Nothing Sacred“

Nothing Sacred

USA 1937. Regie: William A. Wellman, mit Carole Lombard, Fredric March, Charles Winninger, Walter Connolly, Sig Ruman

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Carole Lombard als Kleinstadtmädchen mit einem Traum: New York zu sehen – diese Basis bekommt einen besonderen Dreh. Denn Lombards Hazel Flagg stirbt langsam an einer Radiumvergiftung. So stand es in einer kleinen Zeitungsmeldung, und Wally Cook, Reporter, springt auf die Story an: Eine schöne Frau in der Blüte ihres Lebens dahingerafft von innen heraus! In Warsaw, Vermont, sucht er sie auf – und das ist schon auch heute noch, weit von Amerika entfernt, sehr komisch, wie die Provinz karikiert wird, mit ihren „Nope“-„Yap“-einsilbigen Einwohnern, die für Nichtauskünfte Dollar sehen wollen, mit der allgemeinen Garstigkeit, mit dem versoffenen Kleinstadtarzt, der die Zeitung hasst, weil er vor 22 Jahren um 10.000 Dollar betrogen worden war, weil er ein Preisausschreiben nicht gewonnen hat. Er ist es auch, der die Radiumvergiftung diagnostiziert hat. Falsch diagnostiziert hat, wie er Hazel gestehen muss. Und die ist hin- und hergerissen zwischen Freude und Traurigkeit, weil sie von den 200 Dollar Entschädigung für ihre Strahlenkrankheit nach New York wollte. „Da wird man zum zweiten Mal geboren, und wieder ist es Warsaw!“, schimpft sie aufgebracht.

Wally missversteht die aufgebrachte Stimmung und lädt sie nach New York ein, als letzte Freude in ihrem kurzen Leben und als Sensation für seine Zeitung. Mit dabei ist Dr. Enoch Downer, der Quacksalber – hauptsächlich, weil eine Komödie komische Figuren braucht. Und die hat der Film reichlich, der Zeitungsherausgeber gehört auch dazu; gespielt werden sie von Charles Winninger als Arzt (der mit Mae West als reicher Gönner in „Every Day’sa Holiday“ zu sehen war) und Walter Connolly als Zeitungsboss (der beispielsweise mit Lombard in „Twentieth Century“ – als Buchhalter des exzentrischen Theatermagnaten – und als Richter in „Lady by Choice“ aufgetreten war, und neben Rosalind Russell als Spielzeugeisenbahnfan in „Four’s a Crowd“ zu sehen war). Ben Hecht hat das Drehbuch geschrieben, und er hat ein Händchen für skurrile Charaktere, die skurrile Sachen machen, und zwar im Nebenher. Und natürlich hat er ein Händchen für das Skurrile, das seinen Hauptfiguren zustößt. Die Selznick-Produktion dauert nur 75 flotte Minuten – und ist in Technicolor gedreht. Man denke: ein „kleiner“ Film, kein Epos, aber alles in Farbe, 1937 – eine Seltenheit; und Carole Lombards einziger Farbfilm.

Natürlich wird die angeblich sterbende Hazel Flagg die Sensation der Stadt, eine Inspiration für das ganze Land, ein großer Star – ihr Leiden, ihr Dahinsiechen bringt ihr viele Fans ein; ihre Beerdigung werden sicherlich eine halbe Million Menschen besuchen – wenn sie denn doch nur tatsächlich todkrank wäre.

Lombard spielt auch hier „doppelt“, als ein Fake: und dies wiederum anders als die überemotionale Diva in „Twentieth Century“ oder als der naive Park-Avenue-Sprössling in „My Man Godfrey“: Hier nämlich als eine, die versehentlich in eine Lüge reinrutscht und nicht mehr rauskann, und die zugleich dieses Lügenleben willentlich genießt, weil es ihr das große Leben in New York ermöglicht. Ihr zur Seite: Fredric March als Reporter Wally Cook, der an ihr hängt, der damit seine berufliche Laufbahn zu retten versucht, der sich natürlich verliebt – und der ungewollt gerne Opfer von Täuschungen wird, Hazel ist nicht der erste Fall. Der Anfang des Films zeigt ein großes Galaessen zu Ehren eines reichen Sultans, der gleich darauf als Schuhputzer aus Harlem entlarvt wird – Wally hat ihn entdeckt. Später wird der Schuhputzer – eine durch und durch rassistische Szene – gezeigt, wie er in Hazels Krankenzimmer einsteigt und für seine Frau Blumen klaut. Der Herausgeber jedenfalls will zu Beginn Wally aus dem Reich der Lebenden entfernen – er muss nun im Kellerarchiv Nachrufe tippen. Hazel ist für ihn der Ausweg aus der Misere seines Lebens – er bringt sie damit in die Misere ihres Lebens.

Eine der besten Szenen des Films ist die Liebeserklärung, die als Kampf ausgetragen wird. Denn Hazels Täuschung ist aufgeflogen, nun soll sie wenigstens Lungenentzündung haben und muss fiebrig erhitzt werden: Ein Boxkampf wird es tun. Und Wally provoziert Hazel, und sie wird wütend, und sie kämpft – wie ein Mädchen. Also: Lombard spielt Hazel, die so kämpft, wie im Allgemeinen die Vorstellung ist, dass Mädchen kämpfen. Nahezu hysterisch, mit fuchtelnden Rundschlägen, die niemals treffen, sehr hampelnd – eine tolle Performance, zumal, wenn Wally sie dann KO schlägt – sie soll ja krankheitshalber bewusstlos sein. Er boxt ihr aufs Kinn, was ein Gentleman niemals tun sollte, sie steht, er tippt sie an, sie fällt aufs Bett – Simulant durch Schlagkraft. Und das Prügeln – es ist immer Liebeserklärung, da besteht nie Zweifel. Kurz darauf wird sie ihn KO schlagen, da hat er’s zurück.

Weitere bemerkenswerte Szenen: Bei einem Galaabend im Nachtlokal treten große Heroinen der Weltgeschichte auf; unter anderem Katinka, die Holland gerettet hat, indem sie ihren Finger in das Loch eines rissigen Damms gesteckt hat (das muss man erstmal kompliziert googlen…) – „show the finger!“, heißt es – es ist der Mittelfinger, den sie uns entgegenreckt. Als alles auffliegt, beschwert sich eine typische reaktionär-prüde Matrone: Sie stehe für alle Jungfern des Landes, und gerade erst wurde der Kurs gegen die kommunistische Bedrohung durch einen über die inspirierende Hazel ersetzt. Und in einer Szene – in besagtem Nachtlokal – sitzt Wally traurig gegenüber Hazel: „Es gibt keinen besseren Spaß als eine Totenwache“; sie entgegnet: „Sprechen wir nicht über Berufliches“ – und blinzelt dabei verschwörerisch in die Kamera, zu ihrem Publikum.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Deutsche Kinemathek (im Film in Farbe!) 

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „My Man Godfrey“

My Man Godfrey

USA 1936. Regie: Gregory La Cava, mit William Powell, Carole Lombard, Alice Brady

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Der Titel „My Man Godfrey“ verrät schon die Eheschließung zum Happy End, aber ein so unglückliches Happy End ist selten. Denn es heiraten Carole Lombard und William Powell, (beide waren im wirklichen Leben bis 1933 miteinander verheiratet). Die Filmbeziehung zwischen Irene Bullock und Godrey funktioniert bestens, aber eben nicht im Sinn einer Anbandelungsgeschichte, sondern im Sinn eines Gewitters.

Irene ist Tochter eines superreichen Geschäftsmannes. Sie ist total verwöhnt und vollkommen lebensunfähig; wie der Rest ihrer Familie. Während die Schwester nächtens mal gerne die Schaufenster in der Park Avenue einschlägt – der Vater ist es schon gewöhnt, deshalb anderntags Schecks auszustellen –, hat Irene auch mal Lust auf einen Ausritt und parkt das Pferd in der Bibliothek. Als Wohltätigkeitsveranstaltung haben sich die Reichen und Dekadenten der Stadt was besonders Interessantes (= Zynisches) einfallen lassen: Alle müssen Objekte sammeln, die keiner haben will. Irene sticht ihre Schwester Cornelia aus, als es darum geht, auf dem Müllberg einen Obdachlosen aufzugabeln; mit Godfrey gewinnt sie den ersten Preis und nimmt ihn als neuen Butler mit nach Hause.

Carole Lombard tritt nicht, wie in vorherigen Filmen, als „kleines Mädchen“ auf, das per Romantik hoch hinaus will, sondern als verzogene reiche Naive mit kindischen Vorstellungen von Romantik, die niemals etwas hat erreichen müssen. Sie spielt ihre Irene im Grunde total überzogen, als Karikatur – und passt sich damit ein in diesen vollkommen irren Haushalt, in dem jeder auf seine Weise seine Dekadenz auslebt (außer vielleicht der Vater der Familie, der aber immerhin niemals durchkommt mit seinen Ratschlägen zur Vernunft). Lombard spielt das kleine Mädchen mit Kleinmädchenverliebtheit in Godfrey, sie spielt die einfältig Ungebildete, die vielsilbrige Fremdwörter liebt, ohne sie zu verstehen, sie spielt die eingebildete Möchtegern-Diva, die sich in Posen wirft, in einem doppelten Spiel: Lombard spielt eine, die overacting betreibt, um sich in Trotz zu produzieren – „Stellung 8“ aus dem Schauspielkurs, stellt Schwester Cornelia trocken fest. Lombard kann sich so richtig ausagieren, und dass dies – wie schon in „Twentieth Century“ – ganz im Dienste und im Sinne des Films geschieht, zeigt ihre Klasse als Komödiantin; in der Familie hat sie den schwierigsten Part, weil sie ihre Verliebtheit ebenso zeigen muss wie das Überkandidelte; die anderen sind nur überkandidelt.

Eine Irrenanstalt braucht nur einen leeren Raum und die richtige Leute, heißt es im Film – und er exerziert das aus. Mit einem stoischen Butler Godfrey im Mittelpunkt, an dem sich die Verrücktheiten brechen. Dass die Müllkippe und das Leben der Obdachlosen im Film romantisch beschönigt dargestellt wird – geschenkt; dass Godfrey eigentlich aus gutem Hause ist und daran arbeitet, wieder hochzukommen – ebenfalls geschenkt. Der Hollywoodfilm muss Glamour liefern, dafür zahlen die Leute Eintritt, und der Glamour muss auch für Armut gelten. Immerhin gibt es Armut in diesem Film, und es ist eine Armut der Menschen, während der Reichtum für Gockel und Hühner in Menschengestalt gilt; Irenes Mutter hat einen Protegé, einen Möchtegernkünstler, der sich durchfrisst und ab und an zur Unterhaltung einen Gorilla spielen muss; das kann er sehr überzeugend. Er ist das Haustier der Millionäre, und er hat sich da gut eingerichtet. Godfrey hat andere Pläne; er ist gut zu den Hausherren und ­­‑damen, geht auf ihre Bedürfnisse ein, und er tut etwas für seine alten Kumpels von der Müllkippe – insofern ist dies ein Film über die Große Depression und über den New Deal. Der Unterschied zwischen einem Obdachlosen und einem Menschen ist Arbeit, sagt Godfrey – man muss und kann die Leute, die willens sind, herausholen aus der Misere, die ihnen das Unglück des Lebens eingebrockt hat.

Irene wird dies nie verstehen. Sie wird einfältig bleiben, da gibt es keinen Zweifel; sie hat ihre versponnenen Ideen, und auf eine fällt der Film rein: Nämlich, dass am Ende eine Heirat stehen muss. Und obwohl die ganze Zeit über niemand sich als love interest für Godfrey angeboten hat, weiß alle Welt – außer ihm – wer am Ende sich verehelichen wird.

 

Dem Spaß, den der Film verbreitet, macht dieses Ende keinen Abbruch; vielmehr kann das aufgesetzte Happy End fast schon als subversiver Kommentar zur Happy-End-Manie gelesen werden.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Hands Across the Table“

Hands Across the Table

USA 1935. Regie: Mitchell Leisen, mit Carole Lombard, Fred MacMurray, Ralph Bellamy

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Regi Allen ist Maniküre-Girl, und das macht sie nur, um einen reichen Mann kennenzulernen. Sie ist die unschuldige Version des weiblichen gold diggers, die sich einen mit Geld angelt – sie hat sich das nämlich ganz ernsthaft als Lebensphilosophie zurechtgelegt: Geld geht vor Liebe. Anders kommt sie nicht raus aus den ärmlichen Verhältnissen. Die Armut zeigt der Film mehr als andere Hollywoodproduktionen, auch wenn es eine gekünstelte Armut ist, wenn man sich Regis geräumiges Appartement ansieht. Aber ja, es gibt Armut, und das gilt auch für Theodor Drew III. Den hält alle Welt für einen Millionär, aber: „Erinnerst du dich an den Crash? Das war meine Familie.“

Die Große Depression schwitzt aus diesem Film, der die arme Regi und den verarmten Ted zusammenbringt – sie will ihn erst für sich gewinnen wegen den vermeintlichen Geldes, dann muss sie ihn bei sich aufnehmen für zehn Tage, damit seine reiche Verlobte nicht merkt, dass er gar nicht auf Bermuda ist: Denn auch er ist ein gold digger, arbeiten hat er nie gelernt; für Regi ist ihre Arbeit als Maniküre nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Hausfrau, das ist die weibliche Rolle.

Das Herrliche an dem Film ist, wie sich die beiden verlieben und das Verlieben sich nicht eingestehen; denn ihre Pläne gehen ja Richtung Geld. Ted nämlich ist ein sehr alberner Mann, als „the enemy of the ordinary“ charakterisiert er sich einmal, das ist wunderbar, als sie sich erstmals begegnen, hopst er einbeinig über die schwarzen Fliesen im Korridor. Das erste Rendezvous ist geprägt von Schluckauf und Blödsinn: „Sie verstehen sicher, dass ich Sie in dieser Kleidung nicht einlassen kann“, erklärt der Kellner, und beide beginnen sich auszuziehen.

Carole Lombard spielt eine Frau, die ihr Herz verschließt, und die zugleich offen ist für jeden Blödsinn: in all dem Elend, in dem sie steckt, erweckt sie so in Verbund mit Fred MacMurray als Ted große Fröhlichkeit – sie setzt Gags gekonnt und perfekt getimet ein, das Hicksen des Schluckaufs, die Blicke der Liebe, die übergehen in das Funkeln des Spaßes; die Anziehung, die sie für Ted verspürt, und das Zurückhalten, das sie sich auferlegt hat.

Der Weg ins Herz geht über den Witz, über das Blödeln, gekonnt eingesetzt schweißt es zusammen. Beide faken einen Anruf aus Bermuda, sie spielt Vermittlung, er spielt das Ferngespräch, und wie beide zusammen harmonieren auf der Ebene des Humors ist umwerfend; beide liegen vor Lachen am Boden. Das Problem wird sein, aus dieser verliebten Beziehung, die über das Witzeln, den Spaß funktioniert, den Ernst der Liebe herauszuarbeiten. Das gelingt beinahe nicht, und nur über den Katalysator eines Millionärs im Rollstuhl – nicht, weil er Geld gibt, sondern weil er ihr ebenfalls seine Liebe gestehen will und nobel zurückweicht, als beide sich vor ihm streiten. Weil dies die beste Liebeserklärung ist.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Lady by Choice“

Lady by Choice

USA 1934. Regie: David Burton, mit Carole Lombard, May Robson, Roger Pryor, Walter Connolly

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Patsie ist eine alte Vettel, ein trunk- und streitsüchtiges altes Weib, das schon mehrmals vor Gericht Besserung hat geloben müssen; diesmal wird sie verurteilt. Der nächste Fall von Richter Daly ist der von Alabam Lee, die auf Bewährung verurteilt wird wegen unzüchtigen Fächertanzes. Fächertanz, das ist sowas wie Striptease, das ist sowas wie Prostitution.

Alabam Lee hat einen Manager und einen PR-Agenten. Letzterer hat eine super Idee: Sie kann ihr Image aufpolieren, indem sie am Muttertag eine Mutter adoptiert. Und so kommt es zur Paarung von Alabam und Patsie. Denn letztere wurde, wegen der Milde des Richters, in ein Altenheim abgeschoben, nicht in den Knast. Hier steht sie, nicht wiederzuerkennen: Eine nette alte Dame mit gepflegter Ausdrucksweise. Alabam nimmt sie, sie weiß, worauf sie sich einlässt: „Good for laughs!“

Carole Lombard spielt die Tänzerin elegant und selbstbewusst; das heißt auch, dass ihre Alabam sich bewusst ist, nicht mehr zu können als zu tanzen. Der Tanz ist nicht Ausdruck von Unabhängigkeit – er könnte der Beginn für eine Laufbahn sein, die da endet, wo Patsie nun steckt. Sie steht am Scheideweg, Patsie drängt sich als Mentorin auf. Patsie hat alles in ihrem Leben versucht, außer die Mutterschaft: „Ich kann dir nicht das Gute beibringen, das du tun sollst, sondern das Schlechte, das du lassen sollst.“ Für Patsie ist Alabam die letzte Chance, nicht elend auf der Straße zu verrecken. Für Alabam ist Patsie die Chance, einen anderen Weg einzuschlagen.

Der Mittelteil des Films besteht aus der Beziehung der beiden zueinander, dem dynamischen Verhältnis, in dem jede von der anderen lernt. Das funktioniert sehr gut, das Zusammenspiel zwischen Lombard und May Robson in der Rolle der „Mutter“ geht ineinander über. Aber das Geld geht aus, Patsie hat Ambitionen, die Alabam nicht erfüllen kann. Und Carole Lombard ist nicht der Typ, um im Film weibliche Eigeninitiative zu ergreifen. Ihre Alabam wird zum gold digger, die macht sich an einen reichen Mann ran, der sie aushalten soll – Mae West hat diesen Typus bis ins Absurde gezogen, bei Lombard spielt immer auch etwas Unschuldiges mit. Ihr reicher Verehrer ist Johnny Mills, dessen Vater mit Patsie ein Verhältnis hatte, der deshalb auf Alabams Mutter aufpasst – was sich kompliziert anhört, ist, für eine Komödie, recht unchaotisch, dafür aufgeladen mit moralischen Manschetten, die Alabam bekommt, als sie sich in den Menschen, nicht ins Geld verliebt.

Carole Lombard spielt Rollen, die auf das Frausein aus sind, auf die Ehe. Und dadurch mittelbar auf Sicherheit materieller Art, durch die Liebe.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „Twentieth Century“

Twentieth Century

USA 1934. Regie: Howard Hawks, mit John Barrymore, Carole Lombard, Walter Connolly

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„Twentieth Century“: Mit dem Filmtitel ist kein Hollywoodstudio gemeint, sondern ein hochmoderner Zug zwischen Chicago und New York. Er ist der Schauplatz der letzten beiden Drittel des Films.

Der Anfang zeigt Carole Lombard und John Barrymore: Sie als Mildred Plotka ein Unterwäschemannequin, er als Oscar Jaffe ein übergroßer Theatermacher. Als erstes benennt er Mildred um in Lily Garland – auch „Carole Lombard“ ist nur ein Künstlername, den sie nach ihrem ersten Film angenommen hatte. Und Jaffe formt Lily: Wir sind im Theatermilieu, geprobt wird eine Jaffe-Produktion unter der Leitung von Jaffe mit der üblichen Jaffe-Besetzung im Jaffe-Theater. Jaffe ist ein eitler, selbstsüchtiger und -verliebter, arroganter und, wie sich herausstellen wird, durch und durch wahnsinniger Theaterproduzent; er ist ein Genie. Lily Garland kann nur lernen von ihm, auf die harte Tour: Erniedrigt durch die Kreidestriche auf dem Boden, die ihre Bewegungen vorgeben, und durch den Nadelstich in den Hintern, der ihr das richtige Schreien entlockt, wird sie sein Star.

Lombard, der Star, spielt einen Star, wie John Barrymore, der noch größere Star, einen Superstar spielt. Doch Lombards Figur macht eine Entwicklung durch, und das sehr lustige an dem Film: Es ist keine Entwicklung zum Besseren. Oscar Jaffe, nach dreijähriger Beziehung – menschlich wie beruflich – mit Lily, hat sie in einen goldenen Käfig gesteckt, beherrscht sie eifersüchtig, lässt sie von einem Detektiv überwachen. Bis sie flieht und nach Hollywood geht. Und Oscar Jaffe darniederliegt – ohne sie nur noch Flops. Dieser Teil des Films führt uns eine toxische Beziehung vor, einen kontrollwütigen Mann, der alle manipuliert und in seinem Overacting nur noch lächerlich wirkt – und eine Frau, der die Flucht gelingt, die den Absprung schafft.

Im Zug dann treffen beide wieder aufeinander. Und es ist äußerst komisch und zugleich erschreckend traurig, dass Lily Garland, trotz vieltausend Meilen Distanz zu Jaffe, sich zu genau demselben Typen entwickelt hat: eine launische Diva, die wie er nur noch in narzisstischer Theatralik lebt. Sie spielt, wie man spielt, sie ist Drama in Permanenz.

Lombard beim absoluten Overacting ist herrlich anzusehen, im Zug nimmt die Komödie so richtig Fahrt auf: Regie Howard Hawks, Drehbuch Ben Hecht und Charles MacArthur, das bedeutet Tempo, das bedeutet Pointen, das bedeutet kalkulierten Wahnsinn. Denn es reicht ihnen nicht, Lombard und Barrymore gegeneinanderrasseln zu lassen, ein verrückter Alter muss auch mitspielen, der zu Gott gefunden hat und überall Aufkleber verteilt. Und irgendwann stehen zwei bärtige Barbaren an der Abteiltür, das sind die Deutschen, die Jaffe so sehr bewundern – von den Oberammergauer Passionsspielen, und das gibt Jaffe den letzten Kick, der ihn über die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn fallen lässt.

Selbst Lily Garland erkennt dies – sie seien ja keine Menschen mehr, nur noch Lithographien, die die Liebe und das Leben nur erkennen, wenn es aufgeschrieben und geprobt wurde – eine Erkenntnis, die sie nur allzu wenig für sich selbst anwendet. Als Jaffe ihr seinen Wahnsinnsplan mit Kamelen, Affen und Ibissen im Theater vorschwärmt, mit Sand direkt aus dem Heiligen Land, da steigt sie erst mit ein, weil die Vision sie packt, weil sie selbst schon auf dem Weg ist, den Jaffe zuende gegangen ist – muss dann aber doch anfangen, hysterisch zu lachen. Wie sie dann auf der Abteilbank sitzt, ihn von sich halten will, strampelnd und kickend wie ein Kind – wer hoch steigt und all den Glamour für sich beansprucht wie Lily oder Jaffe, der verliert alle Eleganz; und wer nur noch gekünstelt lebt, alles als Auftritt für andere performt, bei dem schlägt die komische Theatralik um in echtes Irresein.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures

Berlinale Retrospektive 2022: Carole Lombard: „No Man of Her Own“

No Man of Her Own

USA 1932. Regie: Wesley Ruggles, mit Clark Gable, Carole Lombard, Dorothy Mackaill

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Connie Randall lebt in der Kleinstadt, und es ist langweilig. Wie kann sie hier geheiratet werden, wo doch die Mutter gar die Festlichkeit am See verbietet? Da taucht Clark Gable auf. Er spielt Babe Stewart, seines Zeichens Falschspieler und Frauenheld, und wie er die Bibliothekarin Connie anmacht, wie er Grenzen überschreitet, wie er sie gegen Regale drängt, wie er ihr unter den Rock linst, als sie für ihn auf eine Leiter steigt, wie er ihr dann einen Kuss aufzwingt, das ist nicht lustig.

Aber letzteres ist, zumindest in der Logik eines Hollywoodfilms, ohnehin schon Liebe, denn zuvor hat Connie ihrer Kollegin von diesem unverschämten Rüpel berichtet und gestanden, wie sie auf ihn steht. Es ist halt Not am Mann in der Provinz, Babe kommt aus New York – sie flirten heftig, und als er sie in Zeitnot bringt, weil er am nächsten Tag abreise, und sie nötigt: „Stop kidding around“, da hält sie dagegen, fest und selbstbewusst, aber nicht spitzzüngig: „I’m not kidding“. Er könne ja nicht einfach irgendein Mädchen aufreißen und am nächsten Tag verschwinden. Sie will die Heirat. Sie bekommt die Heirat.

Carole Lombard spielt die romantische Rolle; ihr geht es darum, den Mann zu finden, der ihr Leben verändert. Das Feld, auf dem sie spielt, ist das der sozialen Klassen und des Aufstiegs durch Liebe; und es geht um den Lebenswandel, um die Veränderung, die eine Beziehung bringt. Sie ist das Mädchen aus der Provinz mit gutem Herzen, die das Zweifelhafte aus Clark Gables Charakter vertreibt, oder es zumindest überdeckt. Lombard erscheint gerne in Nacht- oder gar Unterwäsche, hell und seidig glänzend: erotische Versuchung und zugleich reine Unschuld.

Als Unschuldige lebt sie in New York mit dem Halunken Babe Stewart, und es ist ein gutes Leben. Sie glaubt, er arbeite tagsüber und würde nachts zum Spaß pokern; tatsächlich sichert das Pokerspiel – abgesichert durch Komplizen – den Lebensunterhalt, Babe kümmert sich nicht um Moral und Gesetz und nimmt die Reichen aus. Connie ahnt bald einiges, und als es zur Gewissheit wird, da hat sie Babe schon geändert. Er wird es ihr – und sich – nicht eingestehen, geht aber doch ins Gefängnis, um sich reinzuwaschen. Connie hat es geschafft, ihr Gutsein hat sein Bösesein ausgeschwemmt.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Universal Studios

Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „What a Woman“

What a Woman

USA 1943. Regie: Irving Cummings, mit Rosalind Russell, Brian Aherne, Willard Parker

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Miss 10 Percent lautet der Spitzname von Carol Ainsley: Sie ist höchst erfolgreiche Agentin und Managerin zahlreicher Künstler, bekommt 10 Prozent der Einnahmen. Dafür hängt sie sich auch richtig rein: Im Alleingang findet sie heraus, wer hinter dem sagenumwobenen Pseudonym Anthony Street steckt, der einen Millionenbestseller gelandet hat mit seinem Abenteuerroman „The Whirlwind“, sie folgt seinen Spuren, hängt sich an ihn und überredet ihn zur Sensation: Professor Michael Cobb, Hobby-Autor mit großer Fantasie, soll seine eigene Whirlwind-Figur spielen in der geplanten Hollywood-Verfilmung.

Das könnte ein Loblied auf die Tatkraft dieser Frau sein, und Rosalind Russell macht auch eines daraus: Tough und geradlinig und zielstrebig geht ihre Ms. Ainsley die Dinge an, genauso wie Russell ihre Rolle. Ein Job muss getan werden, so formuliert es die Agentin, und Russell performt ihren Job wunderbar. Nur dass der Film, weil Hollywood, ihr in den Rücken fällt. Zunächst nur ganz zart, hintergründig streut er ein, wie harsch, ja unwirsch ihr Verhalten vor allem auf Männer wirke, behauptet dies, die anderen Figuren sollen es uns glauben machen; je weiter der Film geht, desto mehr stochert er in der angeblichen Gefühllosigkeit von Ms. Ainsley herum, suggeriert ihre Frigidität, nur deshalb, weil sie den Avancen der beiden Männer, die sie umwerben nicht nachgibt. Sprich: Eine Frau sollte schon Gefühle erwidern, es sei denn, sie ist keine richtige Frau.

Agent provocateur dieser Lesart, die der Film so forciert, ist Henry Pepper, Journalist, der für das Magazin „Knickerbocker“ ein intimes Porträt über Miss 10 Percent schreiben soll. „Intim“ ist das richtige Wort: Er will in ihr Inneres eindringen, ihre innere Wahrheit erspüren, egal ob sie will oder nicht. Er ist, wo sie ist, taucht überall auf. Sie ist in PR-Dingen viel zu erfahren, um ihn abzuweisen. Also dockt er an sie an.

Das Durcheinander, das der Film inszeniert, weil Prof. Cobb nun als Anthony Street geoutet ist, weil er zum Schauspielstar geformt werden soll – man braucht nicht Talent oder gutes Aussehen, sondern Persönlichkeit, weiß Ainsley –; jedenfalls müssen tausend Dinge erledigt sein, und die sind natürlich pointiert dargebracht. Aber alles krankt an der Idee, aus einem Kleinstadtprofessor einen Star machen zu wollen, ja, wie es der Film will, zu müssen; und alles krankt weiter daran, dass dies klappt, weil sich Cobb in Ainsley verliebt, als sie ihm pädagogisch beibringen will, wie einfach eine Liebesszene zu spielen ist. Das ist natürlich so weit weg von jedem Anflug von Realität und auch innerhalb von Romantik-Klischees soweit hergeholt, dass es schlicht erzählerisch nicht funktioniert.

 

Wenn Rosalind Russell in ihren Rollen alles über den Kopf wächst – was wenn, dann nur für Momente geschieht –, dann weiß sie ihren Körper auf ganz besondere Art einzusetzen. Die Arme schlenkern, die Körperhaltung wird schlaff, der Kopf hängt. Alle Eleganz weicht von ihr, sie lässt sich richtig hängen – das sind nicht subtil, dafür umso wirkungsvoller eingesetzte Mittel der Slapstick-Körperkomik; wenn sie in „The Women“ mit ihrer Rivalin kämpft und anschließend einen Nervenzusammenbruch erleidet, oder wenn in „My Sister Eileen“ sechs ausländische Matrosen ihr in der kleinen Wohnung einen Tanz aufzwängen; oder wenn in diesem Film Cobb die angebetete Ainsley durch den Raum zieht, weil er sie zum Theaterbesuch einlädt/drängt. Dann fällt die Fassade von Glamour für einen Moment von ihr, bis sie wieder die Fassung behält und ihre Souveränität – nicht über sich, über die Situation – wiedererlangt. Nicht, dass sie allen etwas vormacht – wenn sie jemandem etwas vormacht, dann wird das durch Russells Spiel dem Zuschauer immer sehr deutlich gemacht –, sondern weil sie nur dann sie selbst ist, wenn sie funktionieren kann. Wenn nicht, fällt sie in sich zusammen wie ein Duracell-Hase mit leerer Batterie.

In diesem Film hat es ihre Figur besonders schwer gegen das männerdominierte Hollywoodsystem, weil ihr selten so grund- und motivationslos Verliebtheitsgefühle in die Rolle geschrieben wurden. Aber ein Job ist ein Job. Rosalind Russell schafft auch eine Rolle wie Carol Ainsley.

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c)Columbia Pictures

Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „My Sister Eileen“

My Sister Eileen

USA 1942. Regie: Alexander Hall, mit Rosalind Russell, Brian Aherne, Janet Blair

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro. 

 

„My Sister Eileen“ ist geradezu einzigartig: Der Film enthält nicht die obligatorische Liebesgeschichte, zumindest bis in die letzte Minute, wenn dann doch ein paar liebevolle Blicke getauscht werden… Aber das ist nur Beiwerk zum Happy End, das darin besteht, es in New York geschafft zu haben.

 

Ruth und Eileen sind in der Provinz unten durch: In Columbus, Ohio, haben sie sich unmöglich gemacht, weil Ruth in der Lokalzeitung eine Lobeshymne über ihre schauspielende Schwester Eileen veröffentlicht hat, in ihrer Rezension eines Theaterstücks – das dann aber kurzfristig umbesetzt wurde. Sie hat die Kritik vor der Premiere bereits geschrieben. Nun muss es New York sein, wo die großen Redaktionen und die großen Theater liegen – und Ruth, die Ältere, muss auf Eileen aufpassen.

Ruth ist eine weitere Paraderolle für Rosalind Russell – diesmal nicht als Geschäftsfrau, sondern als eine, die es werden will. Die Sinn hat für Pragmatismus und den Umgang mit dem Leben und vor allem mit den Männern, und dies nicht, weil ihr das jemand beigebracht hätte. In Columbus geht es beschaulich zu, Eileen wäre deshalb in NY verloren, so liebenswert naiv sie ist, so vertrauensselig und allzu herzensgut. Sie ist zu einem guten Teil dafür verantwortlich, dass sich die miese Untergeschosswohnung in Greenwich Village zum Durchgangsbahnhof entwickelt für alle möglichen Leute: Der arbeitslose Ex-Wrestler aus der Nachbarschaft nächtigt gar in der Mini-Küche. Dazu kommt ein Apotheker mit Hoffnungen und ein Reporter mit Hoffnungen und ein Polizist mit Misstrauen – zwei junge Frauen, das ist nahe an der Prostitution (angedeutet natürlich nur, nicht ausgesprochen). Irgendwann taucht noch ein Russe in vollem Ornat auf und lädt ein spiritistisches Medium, die Vormieterin, auf der Couch ab. Zwischendurch gibt es Erschütterungen, weil unter der Wohnung mit Dynamit eine neue U-Bahn-Linie gebaut wird.

Und Ruth lockt ungewollt ein halbes Dutzend geiler portugiesischer Matrosen in die Wohnung, die ihr quer durch New York gefolgt sind: Auch Ruth hat weibliche Reize, aber vor allem Sinn, wenn irgend möglich eine wie auch immer geartete Linie in der Wohn- und Berufssituation zu finden.

Die Matrosen wechseln ihre Aufmerksamkeit natürlich sofort von Ruth auf Eileen, als sie ihrer ansichtig werden.

 

Russell kann ihre Bandbreite zeigen, die schnelle Auffassungsgabe, die Verzweiflung über Chaos, auch den Slapstick, wenn sie im Tanz herumgeschleudert wird und auch noch weiterwackelt, wenn die Matrosen längst weg sind. Vor allem ist sie praktisch veranlagt, baut eine Beziehung zum „Manhatter“ auf, einem New Yorker-Magazin – und klatscht dem Herausgeber gleich mal ihre Kritik vor den Latz, wie altmodisch und uninteressant selbst für die Leute in Columbus, Ohio, dieses Geschreibsel ist.

Als der Redakteur sie des Abends abholt, um wohlwollend über ihren Artikel zu reden, entwickelt sich fast die gewohnte Liebesgeschichte – aber doch nicht. Weil der sie nämlich nur stundenlang volllabert, selbstverliebt, wie er ist.

Als die Schwestern mal ganz unten sind, sagt Ruth: „Um dich mache ich mir keine Sorgen, solange noch irgendwo ein Mann lebt.“ Doch selbst Eileen weiß: „Men are only an escape.“

 

Komödie ist die Kunst, Chaos zu entfesseln, das in der Inszenierung beherrschbar ist, in der Durchführung aber vollkommen over the top. Das gelingt hier prächtig, der Film ist voll Witz und Tempo, voll schräger Charaktere, denen vor allem die ganz normale Rosalind Russell sich entgegenstellt. Sie hat für den Film ihre erste Oscarnominierung erhalten.

Am Ende tauchen unter allen Figuren, die sich in dieser kleinen Wohnung tummeln, auch noch die drei Stooges auf.

 

Harald Mühlbeyer

 

Bilder (c) Columbia Pictures