Berlinale Retrospektive 2022: Rosalind Russell: „Four's a Crowd“
Four's a Crowd
USA 1938. Regie: Michael Curtiz, mit Errol Flynn, Olivia de Havilland, Rosalind Russell
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72.
Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei
Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis
1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit
drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
Ihr gehört die erste Szene: Auftritt Rosalind Russell, die
frohgemut ins Bürogebäude stürmt, sich von der Einsilbigkeit des
Fahrstuhlführers nicht stören lässt, durch den Flur, durch die Tür an ihren
Arbeitsplatz, zügig Papier in die Schreibmaschine gespannt, sie brennt darauf,
ihre Story aufzuschreiben – sie ist Reporterin, jetzt hat sie ihren Artikel im
Kopf, er muss nur noch in die Zeitung. Doch dann merkt sie, dass etwas nicht
stimmt, sie blickt sich um, immer verstörter, dann wütend: Die Redaktion wird
gerade abgewickelt. Ihre Zeitung ist Geschichte. Und sie stürmt hinein ins
Büro; naja: in den Salon des Herausgebers Mr. Buckley, dem sie gehörig die
Meinung geigt. Er steht am Spiegel, wird von ihr verbal überfahren, und sie ist
überhaupt nicht irritiert von ihm – obwohl sie schon die ganze Zeit sehen muss,
was uns Zuschauern erst gegen Ende ihrer Gardinenpredigt offenbart wird,
nämlich, dass Buckley gerade am Anziehen ist und keine Hose anhat. Das hält Ms.
Christie nicht auf, sie hilft pragmatisch beim Anziehen, während sie eifrig
erörtert, wie denn die Zeitung gerettet werden kann.
Errol Flynn als Bob Landsford war der Starjournalist, der
jetzt als PR-Manager eine zweiter Karriere aufgebaut hat. Er ist im Clinch mit
dem Millionär Mr. Dillingwell, als Jean Christie ihn zu überreden versucht,
zurückzukehren als Chefredakteur – er will nicht, und Rosalind Russell hat eine
Idee. Wenn Rosalind Russell eine Idee hat, dann sieht man das, sie blickt
verschmitzt hin und her, rollt die Zunge – klug gesetztes Overacting macht hier
die Komödie aus, ein Spiel mit dem Schauspiel und eine Verbrüderung mit dem
Publikum über den Film, über die Filmfiguren hinweg: Wie sie da sitzt in
Landsfords Büro und diese Idee hat, das ist der Schlüsselmoment des Films, der
die komplizierten Wirrungen zur Folge hat. Denn hier nun wird sie beginnen, das
Professionelle mit dem Privaten zu mischen, indem sie Landsford auf
Dillingwells Enkelin anheizt, die wiederum nämlich mit Herausgeber Buckley so
gut wie verlobt ist.
Landsford ist die Hauptfigur, Errol Flynn, diesmal nicht als Abenteurer, macht eine flott komische Figur, er ist ein PR-Hallodri, wie er im Buche steht, hier ein Spin, dort eine kleine Lüge, dann wieder rückwärts und ein bisschen hintenrum. Jean Christie ist ihm ebenbürtig, obwohl sie eine Frau ist – das ist bemerkenswert; während Olivia de Havilland als Lorri Dillingwell vor allem romantische Interessen hat, ist Jean Christie darauf aus, die Zeitung zu retten, und dafür auch ihr Liebesleben zu opfern.
Was abseits von Russells Performance bemerkenswert ist: Der
alte Dillingwell ist superreich, aber vor allem ist er ein Kind, mit einem
besonderen Hobby. Im Garten hat er eine enorme Spielzeugeisenbahn aufgebaut, eine
bestimmt 15 Meter breite Anlage, mit seinem Butler zusammen nimmt er das sehr
ernst – auch ihm geht das Private vor das Berufliche, das betreibt er nebenbei
und scheffelt so Millionen; Landsford hat eine lange, komische Sequenz, wie er
den Alten zu einem Miniatureisenbahnrennen herausfordert, um seine
Aufmerksamkeit zu erlangen, wie er deshalb aus der Küche Butter stiehlt, um die
Gleise zu präparieren, dabei Wachmännern ausweichen muss und ins Gemach von
Lorri gerät, der er Liebe vorspielen muss – auch bei ihm ist für den Zuschauer
immer offensichtlich, wenn er anderen etwas vormacht, genau wie bei Russells
Jean Christie-Figur.
Deshalb passen die beiden auch gut zusammen, so gut ein Screwball-Couple eben zusammenpassen kann. Am Ende gibt es eine Doppelhochzeit, und diese Doppelhochzeit ist ganz besonders – denn wer wen genau heiratet, ob aus Liebe oder nur um den anderen auszustechen oder vielleicht auch, um jemand anderes zu besitzen, das ist in diesem Chaos letztendlich so egal, wie wer nun genau mit wem getraut wird. Noch bei der gemeinsamen Fahrt vom Amt des Friedensrichters kommen die Brautpaare geradezu polyamourös durcheinander.
Harald Mühlbeyer
Bilder (c) Turner Entertainment