Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „Go West Young Man“
Go West Young Man
USA 1936. Regie: Henry Hathaway, mit Mae West, Warren William, Randolph Scott
„No Angels: Mae West,
Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72.
Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei
Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis
1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist ein von Rainer Rother verfasster Band mit
drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:
In „Klondike Annie“ hatte sich Mae West ein halben Jahr zuvor von ihrer etablierten Kunstfigur Mae West abgewendet; nun kehrt sie zurück, aber distanziert von der eigenen Marke, indem sie sie – und damit sich selbst – ironisiert: Keine Abkehr, sondern eine Weiterführung ins absolut Künstliche des Filmstardaseins auf der Leinwand.
Denn Mae West inszeniert sich hier in doppelter Weise: Sie ist immer dieselbe Kunstfigur, die uns präsentiert wird, verführerisch-lasziv-frivol-vulgär, und dabei stets ironisch, weil alles, was sie sagt und tut, Auftritt ist, Performance nicht nur fürs Publikum, sondern für die anderen Filmfiguren, letztlich für sich selbst. Das Spiel ist Selbstzweck, und es ist niemals ernst.
In „Go West Young Man“ spielt Mae West Mavis Arden – einen Kinostar. Der Film beginnt mit riesigen Werbetafeln, die die tolle Ms. Arden bejubeln, mit Männern, die starren, mit einem enormen Publikum, das sie sehen will – auf der Leinwand. Und der Film im Film gibt ihr willkommene Gelegenheit, Melodram zu spielen. Auf der Leinwand, die wir sehen, da gibt sie eine ganz andere Performance, nämlich ohne die verschleppte, laszive Sprache, verführerisch ja, aber gefangen im Spannungsfeld zweier Rivalen, am Ende verlassen, und in einer Schlussansprache des Films im Film gibt sie den Geliebten auf: Erinnere dich an das Aprilmädchen, das weggedriftet ist wie eine weiße Sommerwolke am blauen Himmel…
Diese dick aufgesetzte, aber gegen ihr ikonisches Image gesetzte Melodram-Parodie wird noch weiter getrieben, denn Mavis Aden tritt nach der Filmvorführung auf die Bühne, sie ist auf Promotiontour und raunt ins Mikrofon, sie sei ganz anders als alle sich vorstellen, und ganz anders, als die Figuren, die sie darstellt, eigentlich nämlich ein kleines Mädchen vom Lande, die nur niemals sie selbst spielen dürfe in ihren Filmen, nun aber müsse sie weiterziehen, zurück in ihr bescheidenes Appartement in Hollywood… „Oh, wenn ihr doch nur mal hochkommen könntet und es euch ansehen!“ Mae West ist eine Marke, und sie sagt ihren Slogan – aber anders als in den vorherigen Filmen, nämlich nicht anzüglich, sondern als Zitat in ganz anderem Kontext. Sehr geschickt!
Mae West als Ms. Aden trägt wieder ganz dick auf, und es macht ihr sichtlich Spaß, die verwöhnte Hollywooddiva zu spielen, so richtig mit Schmackes – denn natürlich ist sie ein verwöhnter Star mit zig-Zimmer-Villa, und rein materialistisch eingestellt.
Mae West spielt in diesem Film erstmals eine Figur, die die Mae West-Kunstfigur überführt in einen metaironischen Kommentar, und das funktioniert nicht nur wunderbar – Henry Hathaway ist eben auch ein guter Regisseur, der zu erzählen weiß –, sondern es ist auch höchst erfrischend. Erfrischend, weil bewiesen ist, dass Mae West sehr genau weiß, was sie tut, und wann sie es tun muss, und wann es genug ist. Irgendwann muss man weiterziehen, muss man fortschreiten vom Erreichten, das tut sie hier: Aus den farcehaften Komödien um sie herum wird eine Komödie mit und über sie. Denn diese Diva, von Ruhm und Geld umgeben, strandet in einer kleinen Landpension, wegen einer dummen Autopanne. Da kann sie sich nicht mehr rausreden mit den einstudierten Posen und den einstudierten Sentenzen, die sie sich aus vielen, vielen Filmrollen zusammengekratzt hat, da trifft sie auf echte Menschen – auf echte Menschen, die ihre Fans sind und die sie nicht enttäuschen darf.
Aber Mae West bleibt natürlich trotzdem Mae West (auch mit Mae West-Sprüchen: „A thrill a day keeps the chill away“). Durchs Fenster sieht sie den feschen Automechaniker, der den Wagen mit seinen Armen anhebt. Welche Muskeln, welcher Mann – den hat sie auf dem Kieker, und den verführt sie – gespielt wird er von Randolph Scott. Sie gibt sich größte Mühe. Er hat Maschinen im Kopf, und eine Erfindung in der Werkstatt, die, so meint er, die Filmtechnik von Hollywood revolutionieren könnte. Da hat sie einen Anknüpfungspunkt und nähert sich ihm gefährlich an… Ihr PR-Berater hat alle Hände voll zu tun, denn vor allem ist er Anstandswauwau. Laut Vertrag darf sie fünf Jahre lang nicht heiraten.
Der Film beruht auf einem Theaterstück, West hat es adaptiert und auf sie zugeschnitten – aber, und auch das ist neu: Sie lässt zu, dass andere glänzen, dass andere auch mal, wenn auch nur für Szenen, im Mittelpunkt stehen. Größter Fan ist die naive Angestellte der Pension, ein süßes Mädel, das im Gedanken an sie ständig das Geschirr fallen lässt. Einmal läuft sie Richtung Küche, und sie verlangsamt den Schritt, kippt die Hüfte zur Seite, hebt den Arm glamourös an und schreitet mit heftigem Wiegeschritt durch den Raum – auch sie kann Mae West! (Und sie kann Marlene Dietrich: Sie zieht die Wangen ein, schmälert den Mund, raunt mit tiefer Stimme "Falling in love again…" – sie will zum Film, sie zeigt, dass sie's draufhat! Die Verkörperung der vier Marx-Brüder muss sie allerdings erst noch üben.)
Harald Mühlbeyer
Bilder (c) Universal Studios