Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „My Little Chickadee“

My Little Chickadee

USA 1940. Regie. Edward F. Cline. Mit Mae West, W. C. Fields, Joseph Calleia, Dick Foran

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.

 

Zwei ganz Große treffen aufeinander. Mae West und W. C. Fields in einem Film, mit geteiltem Drehbuchcredit – offenbar sind beide gar nicht gut miteinander ausgekommen, was damit anfängt, dass Mae West wohl die ganze Filmstruktur geliefert, Fields dann seine Szenen und Dialoge ausgearbeitet hat – und beide gleichwertig genannt wurden. Und was, angeblich, damit endete, dass Fields die besseren Kritiken für seinen Auftritt erhielt, weshalb West nie mehr mit ihm geredet hat. Zeichen wohl auch dafür, dass die Zeit von Mae West nach neun Filmauftritten vorbei war – aber was für Auftritte, und welches Finale legt sie hier nochmal hin!


Sie trägt den ultimativen Mae West-Namen „Flower Belle“, es ist nach all den urbanen 1890er-Filmen ein Western, der natürlich mit dem Überfall auf eine Postkutsche beginnt. Flower Belle ist Passagierin, die männlichen Mitreisenden starren sie nicht an – dafür nimmt sie der maskierte Bandit mit. In der Stadt helle Aufregung: Das Geld ist gestohlen, und auch noch Flower Belle, eine der ihren – offenbar hat sie hier zur Abwechslung keinen verruchten Ruf. Den erhält sie erst, als sie anderntags wiederkehrt: „Ich war in die Enge getrieben, konnte mich aber rauswinden“: den schlagfertig-(un)zweideutigen Spruch hat sie natürlich drauf. Der Bandit hat ihr zudem einen Beutel mit Gold geschenkt, als Dank, zusätzlich zur Freilassung. Und er besucht sie des nachts, noch immer maskiert, was das Klatschmaul der Stadt, eine dieser hochanständigen Tanten, die West auf dem Kieker hat, gleich sieht. Anklage, Prozess, Urteil: Sie muss die Stadt verlassen, bis sie Respektabilität erlangt hat und verheiratet ist.

 

Im Zug dann Auftritt – eines Indianers, der vor den Gleisen steht. Hinten in der Gepäckrutsche: Cuthbert J. Twillie, der W. C. Fields-Charakter in diesem Film, und nun können die beiden ihre bewährten Kunstfiguren aufeinander loslassen. Fields ist der Schaumschläger, der Dampfplauderer, der Großmotz, voll von Trieben, gegenüber Frauen, mehr noch gegenüber Geld, vor allem gegenüber Schnaps. Er macht sich natürlich gleich an Flower Belle ran, schon der Name schmeichelt dem Auge. Sie sieht, dass er eine Tasche voll Geld bei sich hat – kurzerhand wird geheiratet im Zug, durch einen Priester, der freilich nur wie ein solcher aussieht, eigentlich Falschspieler ist. In aller Augen aber sind die beiden nun getraut. Und landen im verruchten Greasewood. Dort ist Jeff Badger Chef der Stadt, der tapfere, gutaussehende Wayne Carter ist der Zeitungsredakteur, der das Übel der Stadt im Auge hat. Zwischen diesen Männern wird Mae West stehen, den ganzen Film über; dazu der geile Ehemann, den sie nicht an sich ranlässt, und der geheimnisvolle Bandit, der sie zum nächtlichen Stelldichein einlädt.

 

Mae West ist schlagfertig wie immer; Fields ein Schwadronierer vor dem Herrn wie immer – beide sind in Hochform, gerade in der Reibung aneinander: Cuthbert wird gar Sheriff, er weiß, dass das gefährlich ist: Die Leute hier können den Sheriff nicht von einer Tontaube unterscheiden. Er drängt sich in ihr Bett, um endlich Vollzug zu melden; sie hat ihm aber eine Ziege reingelegt, er hält das erst für einen Pelzmantel. Als er vom maskierten Banditen erfährt, schneidert er sich eine schwarze Maske, um wenigstens in dieser Verkleidung den einen oder anderen Kuss von ihr zu stehlen. Aber, West weiß es: Der Kuss eines Mannes ist wie seine Signatur.

 

West hatte zuvor über zwei Jahre keinen Film mehr herausgebracht; danach würden nur noch weit fadere Auftritte von ihr folgen. Also lässt sie natürlich hier einige Sprüche vom Lager; einige sind auch gänzlich misslungen, wie sie abfällig die Indianer abfertigt, die den Zug überfallen wollen und die sie mit Sechsschüssern in beiden Händen freimütig abknallt. Wenn es aber ums andere Geschlecht geht, dann ist sie nicht zu schlagen. „Generell vermeide ich Versuchungen, außer ich kann nicht widerstehen.“ Oder in einer Schulszene: „Ah, Arithmetik! I always was good at figures.“ Am Ende dann steht sie zwischen den beiden Männern, der eine der Gute, der andere der Feurige; vielleicht entscheidet sie sich morgen, vielleicht nie, jedenfalls: „Any time you got nothing to do and have lots of time to do ist, come up“. Da ist er wieder, ihr Slogan!

 

Harald Mühlbeyer


Bilder (c) Universal Studios