Berlinale Retrospektive 2022: Mae West: „I’m No Angel“

I’m No Angel

USA 1933. Regie: Wesley Ruggles, mit Mae West, Cary Grant, Gregory Ratoff.

 

„No Angels: Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard“ heißt die Retrospektive der 72. Berlinale vom 10. bis 20. Februar 2022. Die Retrospektive blickt damit auf drei Beispiele von Schauspielerinnen, die die Hollywood-Komödien der 1930er bis 1940er geprägt haben. Begleitend dazu ist bei Edition Text + Kritik ist  ein von Rainer Rother verfasster Band mit drei Essays zu den drei Darstellerinnen erschienen:

Rainer Rother: No Angels. Mae West, Rosalind Russell & Carole Lombard. Edition Text + Kritik, München 2021. Text deutsch und englisch. 162 Seiten, viele Abbildungen. 15 Euro.


„I’m No Angel“ kam ein halbes Jahr nach „She Done Him Wrong“ in die Kinos, im Herbst 1933; neben Mae West spielt wieder Cary Grant mit als love interest – also als derjenige, der sie am Ende kriegt; oder sie ihn; oder sie sich, auf jeden Fall Partner im Happy End. Der Film ist ikonisch, die Retrospektive entleiht ihm ihren Titel; aber er ist nicht so schnell und nicht so pfiffig wie der Vorgänger. Das Problem ist vielleicht, dass tatsächlich so etwas wie Handlung ausprobiert wird, und Mae West plus eine Handlung ist wohl zuviel.


Sie spielt Tira, nach der sich die Männer sehnen (was sonst). Zu Beginn stolziert sie über einen Laufsteg, inmitten einer Männermasse, inmitten von gaffenden Männeraugen, und sie blickt auf sie hinunter und sieht, dass sie haushoch überlegen ist. Sie ist Attraktion beim Tingeltangel, auf dem Rummel, da singt sie und blitzt nach den Diamanten der Männer, die als nächstes ihr Opfer werden. Nur dass das Abluchsen des Klunker schief geht, weil ihr Liebhaber eifersüchtig ist und einen erschlägt, halbtot zumindest. Sie muss abhauen, braucht Geld, der Boss rückt es nur raus, wenn Tira in einer Löwendressur mitmacht.

Und das ist eine tolle Szene, denn neben den Aufnahmen, in denen die Löwen per Rückprojektion von Mae West getrennt sind, aber im Bild geschickt kombiniert, scheint sie tatsächlich einem Löwen nahezusein und ihn zur streicheln und zu kraulen – Mae West ist furchtlos, und sie hat sich hier eine tolle Szene geschrieben: Symbol dafür, wie sie mit Verve – Peitsche und Pistole – die Männer zähmt, die sich für die Könige der Tiere halten (sie wird im Vorspann ausdrücklich für Story, Drehbuch und Dialoge gecreditet).

Schnitt. Sie ist jetzt supererfolgreich, hat das Zelt mit einem Penthouse vertauscht; und die Männer laufen ihr nach, speziell einer, der freilich dummerweise anderweitig verlobt ist. Aber er hat braune Augen und ist wohlhabend – der Mann für sie, das hat ein Wahrsager per Horoskop prophezeit. Dessen Cousin aber schreitet ein, auch er ist braunäugig-reich. Und er ist Cary Grant. Da gibt es keinen Zweifel. Schnitt. Die beiden sind so gut wie verlobt. Und in etwas kruder Hopplahopp-Dramaturgie wird eine Intrige eingebaut, Cary Grant wird eifersüchtig, sie verklagt ihn wegen gesprochenen Heiratsverbrechens. Gerichtsverhandlung, Happy End.

 

Es gibt Handlung und mehr Stringenz als im Film zuvor, das stört geradezu die Kreise, die Mae West zieht. Wieder in ausladenden Gewändern, eines mit Spinnennetz-Accessoires; wieder mit Diamanten, wieder mit vielen Männern, die sie sammelt – buchstäblich: Fotos an einer Pinwand und Symbol-Tiere auf einem Tischchen, von stolzem Hirsch bis zu kriechendem Stinktier. Und natürlich ihre Sprüche; viele wurden Klassiker: „When I’m good, I’m very good. When I’m bad, I’m better.“ Oder „It’s not the man in your life, but the life in your men that counts.“ Und kleine Aperçus: Zu einem, der fünfmal verheiratet war: „Hochzeitsglocken müssen sich für dich wie ein Wecker anhören.“ Der Wahrsager: „Ich sehen einen Mann in Ihrem Leben.“ – „Was, nur einer?“

Sie ist offensiv, sie flirtet heftig, mit dem Richter und den Geschworenen zumal. Sie übernimmt höchstpersönlich das Kreuzverhör, und es stellt sich heraus, dass das Unanständige an ihr vor allem in den Hoffnungen der Männer lag, nämlich nicht an dem, was geschehen ist, sondern an dem, was hätte geschehen sollen. Und was kann sie dafür, wenn sie Geschenke bekommt? Cary Grant macht einen Rückzieher, ihre Zeugenaussage war ihm Liebeserklärung genug; nach Ende der Verhandlung nimmt sie ihr Leben wieder auf, hat ein Rendezvous mit dem Richter und gleich noch den Geschworenen Nr. 4 am Telefon, bevor Cary Grant mit dem Happy End zur Türe reinkommt.

 

Harald Mühlbeyer


Fotos (c) Universal Studios