Grindhouse Nachlese November 2024: Geburtstags-Slasher und Kampfgigant

 Grindhouse Double Feature, 23. November 2024, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Ab in die Ewigkeit“ / „Happy Birthday to Me“, Kanada 1981, R: J. Lee Thompson

 „Der Kampfgigant“ / „Double Target“, Italien 1987, R: Bruno Mattei

 

Zunächst eine Ergänzung zum September-Grindhouseknaller„Ninja: Champion on Fire“ – hier habe ich nach intensiver Recherche die Rätselfrage nach der Musik gelöst. Es ist tatsächlich „Tubular Bells“, und zwar ungefähr nach zwei Dritteln auf der zweiten Schallplattenseite. Die Frage bleibt, warum Google das nicht wusste. Da muss Mike Oldfield offenbar seine digitale Präsenz erhöhen.

 

Im November dann ist ebenfalls gewaltige Musik zu hören, aber woher die zusammengeklaubt ist, das kann ich nun auch nicht sagen. Vielleicht sogar originaler Soundtrack, immerhin wird Stefano Mainetti als Komponist geführt. Man weiß es nicht, auf jeden Fall ist die Musik ansprechend martialisch, denn es geht um eine Mission im Dschungel von Vietnam, die „Der Kampfgigant“ durchführt, weil er seinen Sohn sucht. Und weil ihn Donald Pleasance als Bürokratenarschlochsenator dazu anstiftet, in der nationalen Sache, dort die russisch-kommunistischen Terroristen auszuspähen. Dies tut der Kampfgigant ganz ordentlich, nämlich mit vielen (und immergleichen) Explosionen. Damals war Benzin noch billig, das einfach so in die Luft gejagt, mit einer Menge Granaten, die auf unschuldige Holzbaracken abgefeuert werden…

Es ist ein Heidenspaß, nicht umsonst ist der „Kampfgigant“ sowas wie ein Klassiker des Trashfilms. In der Hauptrolle Miles O’Keeffe als Bob Ross, und das ist schonmal einer der großen Gags, denn er ist alles andere als ein Hippie-Landschaftsmaler, vielmehr ein muskelgestärkter Typ, der erstmal mit nacktem Oberkörper in seinem Zimmer guckt und dann zum Kühlschrank geht. So wird er uns vorgestellt, dann wird er in der vietnamesischen Botschaft getriezt und von den Russen fast umgebracht, die erste Ballerei, die ersten Explosionen, ein amerikanischer Hubschrauber… Was sich aufregend und spannend anhört, ist tatsächlich über weite Strecken langweilig. Und weil es langweilig ist, ist es super, denn Langeweile gehört nun mal so gar nicht ins Konzept eines Actionknallers.

Ziemlich am Anfang seiner Mission besucht Bob Ross seinen Sohn in dessen vietnamesischen Dorf, den hat er noch nie gesehen, aber damals, im Krieg, mit einer Vietnamesin gezeugt. Der Sohn ist zwölf oder so, und der Vater steckt ihm ein Foto von sich selbst mit der Mama zu, Worte werden nicht gewechselt, aber für den Papa ist klar: Der Sohn liebt ihn, weil er ihn so sehr dringend rausholen will und in die USA und dort ist das Leben gut, und überhaupt, der Sohn ist sein Fetisch.

Was wir im Folgenden sehen, ist die lange Geschichte der Entführung dieses Sohnes, der gegen seinen Willen durch Quasi-Krieg mit russischen Soldaten und vietnamesischen Terroristen außer Landes gebracht werden soll, von einem Typen, den er nicht kennt, und den er hasst. Das Schöne ist, es geht gut aus, weil nach viel Tod und Leid und Explosionen sagt der Junge „Papa“, und er will „heim“ in die USA. In der Zwischenzeit ist beispielsweise der Kumpan vom Vater im Minenfeld verreckt (nicht, ohne ein paar böse Feinde mitzunehmen, indem er sich mit letzter Kraft mit einer Handgranate in der Hand auf eine der Minen wirft), es gab Kopfschüsse, eine Vize-Kumpanin wurde aufgetan, die ist ungefähr 30, soll aber wohl eine Teenagerin spielen (jedenfalls gibt es keine Erotik zwischen Bob und ihr). Ihr Vater ist einer von denen, die im Maschinengewehrkugelhagel starben, und das geht so: Schreien, Arme hochreißen, dann bersten viele kleine Löcher ins Wams, und das alles in Zeitlupe, also wirklich langsam, damit man’s genießen, sprich: damit man so richtig mittrauern kann, dass wieder einer sinnlos zu Tode gekommen ist.

Und „Bob Ross“ ist kein schlechter Heldenname, weil der Film aus seinen vielen happy little accidents das Allerbeste rausholt.

 

Was so ziemlich das Gegenteil ist vom ersten Film des Abends, dem Horror-Quasi-Slasher „Ab in die Ewigkeit“, der im Original den sehr viel schöneren Titel „Happy Birthday to Me“ trägt. Es hat sich wer gedacht: Klar, diese aktuellen Horrorfilme, die hängen ja alle an so’nem besonderen Tag, Halloween, Freitag der 13., Valentin und so… Geburtstag! Das ist es! Und man kann sich vorstellen, dass das so ein Möchtegern-Berufsjugendlicher war, der die Idee „klasse“ findet und dann so: Kinder, das ziehen wir durch!

Zieht aber nicht wirklich. Und zwar wegen seiner Widersprüche. Regisseur: J. Lee Thompson. Ein Veteran, und das ist das Problem: Thompson ist zu gut. Er weiß, wie er die Kamera setzen muss, wie er Atmosphäre gestaltet, aber ihm steht der große Feind „Handlung“ gegenüber, und dagegen kommt er nicht an.

Es geht um zehn Schülerinnen und Schüler, die dem „Top Ten“-Club der Schule angehören, also alles Klassenbeste. Die haben ihre Clique, das ist so ein bisschen wie bei Pepe Nietnagel, weil sie immer gerne Streiche spielen an der Schule, einfach deshalb, weil sie sichs leisten können von der schulischen Leistung her. Und von ihnen werden immer mehr Leute umgebracht. Durchaus einfallsreich: Einer wird von seiner Hantel beim Bodybuilding erdrückt, dem anderen den Schal in die laufende Kette seines Motocross-Motorrads gehängt. Virginia ist mittendrin, und mehr und mehr enthüllen sich ihre psychischen Dysfunktionalitäten. Die nämlich von einer experimentellen Behandlung herrühren: Die Gehirnzellen wurden per Stromstößen angeregt, um sich zu regenerieren und wieder zu wachsen, offenbar war zuvor ein schlimmer Unfall geschehen. Immer wieder blicken wir zurück auf diese OP-Tortur, und ihr Psychiater, den sie vertraulich „David“ nennt, der versucht nach Kräften zu helfen. Gespielt wird er von Glenn Ford, ja Mensch, ein waschechter Star!

Allerdings scheint er nicht wirklich bei der Sache zu sein, meistens guckt er nur und sagt irgendwas Belangloses. Auch er kann nicht verhindern, dass der Film immer mehr in Quatsch abdriftet, bis zu einer hanebüchenen Auflösung, die, ja was weiß ich wer sich sowas hat einfallen lassen!

Das Problem des Films: Wäre irgendein lustiger Quatschfilmer, Format Jess Franco oder schlimmer, auf dem Regiestuhl gesessen, dann wäre das alles nicht so gediegen, sprich: wirkungsvoll altmodisch, inszeniert worden, sondern als wilder Blödsinn mit dem Zeug zum Grindhouse-Klassiker. Weil die Handlung würde das locker hergeben. Aber Regisseur Thompson, Jahrgang 1914 und immerhin mit den „Kanonen von Navarone“ und dem ersten „Cape Fear“ im Filmografie-Gepäck, da scheint so ein Wille vorhanden gewesen zu sein, einen wirklich „guten“ Film zu machen. Und dass der Film das gar nicht hergeben kann, das macht ihn „schlecht“. Aber auf interessante Weise – nämlich ganz anders als die „schlechten“ Filme, die so „schlecht“ sind, dass sie schon wieder „gut“ sind, sondern als „guter“ Film, der so „schlecht“ ist, dass er schon wieder auf „schlechte“ Weise „gut“ ist. Zwiespältige Gefühle. Immerhin konnte einen der „Kampfgigant“ dann im Anschluss wieder auf grindhousige Gleis der Eindeutigkeit setzen.

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese September 2024: SM-Baba Jaga und Ninja-Italowestern

Grindhouse Double Feature, 21. September 2024, Cinema Quadrat Mannheim:

„Foltergarten der Sinnlichkeit 2“ / „Baba Yaga“, Italien/Frankreich 1973, R: Corrado Farina

 

„Ninja: Champion on Fire“ / „Ninja Avengers“ / „Ninja Operation 6: Champion on Fire“, Hongkong 1987, R: Joseph Lai


Eine wahrhaftige Hexe, vermutlich, vielleicht auch nur Einbildung/Obsession/Angst/Wunsch? „Baba Yaga“ ist einer der rätselhaftesten und gleichzeitig faszinierendsten Filme in der Grindhouse-Reihe, und dazu gehört auch der deutsche Titel „Foltergarten der Sinnlichkeit 2“, denn einen Foltergarten gibt es nicht, Sinnlichkeit zumindest in dem vom Titel angerissenen exploitativen Sinn auch nicht, und Teil 2 schon gar nicht. Weil „Foltergarten der Sinnlichkeit“ („Emanuelle e Françoise“ vom notorischen Joe D’Amato) erst 1975, also zwei Jahre später gedreht wurde! Was also dem deutschen Verleih durch den Kopf gegangen ist, ist komplettamente mysteriös, vor allem, weil die Stoßrichtung ja so klar ist: geiler Sexklopper, schreit uns der Filmtitel an, und nichts könnte ferner liegen.

Denn „Baba Yaga“ ist eigentlich eine Comicverfilmung, Valentina, die Hauptfigur, ist eine der Charaktere des Comic-Autors Guido Crepax, und der fand die Verfilmung auch ziemlich gelungen. Und der Regisseur Corrado Farina hat immerhin mit seinem vorherigen Film den Goldenen Leoparden gewonnen! Ist bei „Baba Yaga“ allerdings ziemlich im Clinch gelegen mit den Produzenten, hat danach mit dem Spielfilm aufgehört… schade eigentlich.

Er weiß nämlich sehr genau, wie er eine merkwürdige Atmosphäre zu schaffen hat, wie er mit dem Genres – Mystery, Grusel, Erotik, Giallo – zu spielen hat, und wie er zugleich von der Gegenwart, von den Rissen in der Gesellschaft erzählen kann. Und dabei auch noch spielerisch bleibt! Dass nackte Haut zu sehen ist, dass die Frauen in unergründlicher Erotik versinken, das ist nicht reißerisch dahingehauen, wie wir’s aus dieser Reihe gewohnt sind, sondern das hat Hand und Fuß, und die souveräne Machart, mit Vor- und Rück-Flashs, mit Fantasie- und Halluzinationsschnipseln, mit Fotoinserts, die Erinnerungen oder Ahnungen sein können, die hat ihre ganz eigene, ganz eigenwillige Qualität.

Der Vorspann, das sind Comic-Panels, und würde mich nicht wundern, wenn die aus’m originalen Valentina-Comic stammen. Dann unterhalten sich die Linksintellektuellen, es geht um Comics und Revolution, und um Fotografie und Film, um Kunst und darum, wie man über die Runden kommt. Weil sich alle irgendwo bewusst sind, dass sie Huren des Kommerzes sind, aber das reflektieren sie, und darüber reden sie, und das könnte fast sowas wie Woody Allen sein, nur halt avant la lettre, weil der damals seine dollen Comedies gedreht hat.

Valentina jedenfalls ist Fotografin, Mode, Werbung, aber sie hat Marx‘ „Das Kapital“ rumstehen – gespielt wird sie von Isabelle de Funès, Nichte des großen Louis, die hier aber eben nicht in dessen Tradition überkandidelte Hysterie, sondern wirklich schön zurückgezogen, aber zugleich aktiv zielstrebig – zumindest in den Bereichen ihres Lebens, die ihr vertraut sind… So will sie mit Arno (George Eastman – von den Produzenten aufgedrückt, abe
r nicht schlecht in seiner Rolle als Werberegisseur) erstmal nichts anfangen, und das macht sie ihm auch klar, als er ihr nachstellt.. Deshalb wandert sie durch die nächtlichen Straßen, und da ist der niedliche Hund, und sie streichelt ihn, und sie bedauert ihn wegen der Narbe an seiner Stirn, und dann werden die beiden beinahe umgefahren. Von einer Frau, die sich fortan in Valentinas Leben mischt, die sich reindrängt, die raumgreifend ihren Platz beansprucht, und Vals Aufmerksamkeit, und ihre Ergebenheit.

Untertöne von lesbischer Obsession, von Fetisch und Dominanz werden immer lauter, und sinnlich umstreicheln ihre Finger die Rolleiflex von Valentina, jaja, eine Kamera, die friert die Wirklichkeit ein, sagt sie (ein kleiner Reflex auf Godard, über den unsere Intellektuellen gerne diskutieren, und seine Wahrheit in 24 Bildern/Sekunde), jedenfalls: Valentina wird eingeladen, muss diese Frau, die sich als Baba Yaga vorstellt, besuchen, sie kann nicht anders, sie darf nicht anders. Ein altes, vollgestelltes Haus, mit allerlei Antiquitäten, Valentina tritt ein und weiß es nicht anders vor sich und Baba Yaga zu rechtfertigen, als dass sie hier ein paar Fotos machen sollte. Dabei ist Val gar nicht duckmäuserisch, keine graue Maus, nein, sie ist gut in ihrem Job, weiß das auch, wählt ihre Liebhaber und weist sie ab, geht ihren Weg, selbstsicher, selbstbewusst. Außer in diesem einen Bereich, wo Baba Yaga immer mehr von ihr beansprucht.

Dazu kommt: Wenn sie fotografiert, dass geht etwas kaputt. Die Filmkamera von Arno, beispielsweise, oder ihre Modelle, die schönen Frauen, die Val vor ihrer Linse hat, die brechen unerklärlich zusammen… Baba Yaga ist eben eine Hexe, eine böse, man kennt sie aus Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, böse, verführerisch, ihr ist nicht zu entkommen…

Zumal die Baba Yaga hier etwas hat, mit dem sie Valentina kontrollieren kann, sie schenkt ihr eine Puppe, in Lederkluft, bloßgelegtem Oberkörper, SM-like, es gilt kein Widerspruch, Val muss die Puppe nehmen. Und die guckt, und vielleicht manipuliert sie Wille und Gedanken, und vielleicht kann sie auch zustechen mit ihrer Haarnadel – im Dunklen (!) wurden Fotos gemacht, die das zeigen… Und dann steht sie wahrhaftig da, nicht nur Val sieht sie, auch Arno, der inzwischen doch ihr Liebhaber wurde, vielleicht aus Trotz gegen Baba Yaga? Irgendwann befindet sich Val komplett in den Fängen der Hexe, und sie wird ausgezogen und von der Puppe ausgepeitscht, Qual – und Lust? Und in dem Hexen-Haus, da ist ein tiefes, ein bodenloses Loch im Dielenboden, vielleicht das Portal zur Hölle?

Was Val glauben kann, was Wirklichkeit ist, was fließende und was eingefrorene Realität, was ihr tatsächlich widerfährt… Corrado Farina baut die Ambivalenzen aus, und zwar nicht als Gegensätze, sondern als würden sie sich ergänzen zu einer neuen, eigenen Wirklichkeit, einer inneren Realität, der wir ausgeliefert sind, in einer Welt, in der der Kulturkampf von Polizei und Kirche, von Hippies und Linken brodelt, basierend auf faschistischer Vergangenheit, in die Val immer wieder in ihren (Wach)Träumen zurückkehrt…

 

Gegensätze in eins gefügt – das passt sowieso zu diesem Abend mit seinen beiden ganz unterschiedlichen Filmen, und es passt insbesondere auch zu dem zweiten Film selbst, aber ganz anders als in „Baba Yaga“. Weil „Ninja Operation 6: Champion on Fire“ nämlich zwei Filme in einem ist, ganz nach Art des Hauses IDF, von Hongkong-Produzent Joseph Lai zusammengezwungen, koste es, was es wolle. Also: geldmäßig nix, sinnmäßig alles.

Man macht das so: Nimmt einen alten Klopper, dreht paar Szenen dazu, und schon hat man einen neuen Klopper. Weil es halt so ist: Die Zeitläufte machen vor Genre-Moden nicht halt, und Kung Fu ist längst out, Ninja ist in, die Videotheken suchen Stoff, und der Titel (einer von vielen) deutet ja schon an, dass hier eine längere Ninja-Filmreihe bedient wird, natürlich ohne Zusammenhang. So ist das eben: Wenn die Citroën-Ente nicht mehr gefragt ist, stülpt man eine VW-Käfer-Karosse drüber.

Da hat man also, vielleicht sogar rechtmäßig, ich will da gar keine Anschuldigungen erheben, einen Film auf Lager, der (vermutlich) im China der 30er spielt, während der japanischen Besatzung, und dabei einen auf Italowestern macht, inklusive Kungfu-Kämpfen. Dann nimmt man eine Kamera, dreht auf einem Hügel mit vier, fünf Darstellern eine Zusatzhandlung, und zack: man hat nicht nur einen Ninja-Film, sondern auch einen, der sich ganz doll in den Westen verkaufen lässt. Weil man ein paar Stars in petto hat, die gegeneinander antreten, und die haben keine Schlitzaugen! Richard Harrison gegen Stuart Smith. Letzterer tritt zu Beginn aus einer Hütte aufm Hügel und atmet tief durch, und man meint, aha, Ricola, aber er ist eigentlich total böse und erklärt uns, dass er fünf Jahre im Knast war, und zwei Hanseln kommen, und das ist der Rest seiner Bande, wie der Dialog schlüssig erklärt, weil die anderen bei den vielen Versuchen, den Boss zu befreien, draufgegangen sind (man muss es ja auch nicht übertreiben mit Schauspielermassen, ist auch billiger), und dann sagt der Boss: „Scheiße.“ Und wer hat ihn verraten? Antonio! Der ist oben in Nordchina zugange, hat was mit den Japanern am Laufen. „Was machen die Japaner in Nordchina?“, fragt der Boss, der ja fünf Jahre hinter Gittern nix mitgekriegt hat, „Die rauben und plündern, genau wie wir!“, und wir schalten um zu Antonio.

Und das ist nun der alte Film, nämlich genau gesagt: „Django - Im Reich der gelben Teufel“ aus dem Jahr 1974, den hamse genommen und zusammengeschnitten, aber wir bekommen eine ziemlich gute Ahnung, was da so los ist: Antonio nämlich streift in Mönchskutte und mit riesigem Holzkreuz aufm Buckel durch die Lande, genauer über Eisenbahnschienen, und da hören wir Django wirklich ganz laut trapsen! Nur eben: Kein Italowestern, sondern Eastern, mit Zugüberfall und Schießerei und Verrat und so, wir brauchen eine Weile, bis wir durchsteigen, wer gegen wen warum kämpft, die einen jedenfalls haben Säbel, das sind die Japaner, und der andere, das ist Dragon, ein toller Kämpfer, der sich Antonio anschließt. Warum, wissen wir nicht, und Antonio trickst ihn auch immer wieder aus, dann ist er allein unterwegs, und in der nächsten Szene sind sie wieder zusammen!

Es ist ja so: Der alte Film, also der, den sie hier ninjamäßig aufgehübscht haben, der hält sich natürlich auch nicht mit Logik auf, man kann das mit Sicherheit annehmen, selbst wenn man ein gewisses Rausschneiden und Ummontieren miteinberechnet. Vielmehr ist dieser originale Film ja nicht nur ein Italowestern im Martial Arts-Format, sondern vielmehr ein Derivat der Italowestern-Degeneration, wie sie Bud Spencer und Terrence Hill ziemlich gut hingekriegt haben und wie sie dann viele nachzuahmen versucht haben. Also: Paar Buddies unterwegs, und sie hauen sich, und klopfen nicht nur auf Köppe, sondern auch Sprüche. Antonio ist der Plapperer, der immer nach dem eigenen Vorteil schielt, Dragon ist der Ruhige, der stoisch voranschreitet.

Und zwischendurch immer wieder die neuen Szenen vom grünen Hügel – also: das sollen natürlich immer andere Schauplätze sein, ist aber alles am gleichen Ort gedreht. Apropos drehen: Wenn sich die Gegner gegenüberstehen, dass machen sie ne Pirouette, und schwupps, haben sie Ninjakleidung an! Richard Harrison als Master Gordon in weiß und gold, die Gegner rot, und zackzackzack, sind die Bösewichter immer bald tot. Drei Kämpfe gibt es! Und damit wir zwischendurch und am Anfang nicht vergessen, mit wem wir es zu tun haben, hat Meister Gordon immer ein Stirnband um, auf dem groß NINJA steht!

Was ich erwähnen will, auch wenn es für empfindliche Gemüter ein Spoiler ist: Das Kreuz, das Antonio mit sich schleppt, mit dem er auch reitet, klettert und rennt, das ist eigentlich ein Hohlkreuz, und darin versteckt hat er ein Maschinengewehr. Mit dem ballert er am Ende, wenn es nun wirklich gegen die bösen Japsen geht, alle nieder, während Dragon schön rumkungfut. Und auf dem grünen Hügel ist auch alles gut, weil Master Gordon, der Harrison, der ist ja angeblich der Bruder von Antonio, und der hat Ringo, den Herrn Smith, am Ende besiegt, so dass von Ninja-Seite keine Gefahr mehr droht…

Was bleibt ist die Frage nach dieser Musik, die kenn ich irgendwoher, also nicht die paar Takte „Tubular Bells“, die immer wieder anklingen, oder auch mal Bach, sondern dieses mit Orchester gespielte Riff, das auch von ner Prog-Band stammen könnte, Alan Parson oder Ekseption oder was immer, das beim Ausklingen am Ende auch zu sowas wie den „Säbeltanz“ führen könnte, eine Musik also, die ganz ähnlich wie beim türkischen Quatsch-Actionreißer „Die Todeskralle aus Istanbul“ https://screenshot-online.blogspot.com/2022/04/grindhouse-nachlese-marz-2022-search.html mit voller Unwucht die Bilder überlagert, und ich hab das Gefühl, ich kenn die irgendwoher, und komm nicht drauf, und Google weiß auch nicht weiter…

Naja, nicht zuviele Gedanken verschwenden.

 

Harald Mühlbeyer

 

Ergänzung November 2024:

 Nach nach intensiver Recherche habe ich die Rätselfrage nach der Musik gelöst. Das gesuchte Stück tatsächlich „Tubular Bells“, und zwar ungefähr nach zwei Dritteln auf der zweiten Schallplattenseite. Die Frage bleibt, warum Google das nicht wusste. Da muss Mike Oldfield offenbar seine digitale Präsenz erhöhen.

Grindhouse-Nachlese April 2024: Nackt für den Killer und CIA-Klauen

Grindhouse Double Feature, 27. April 2024, Cinema Quadrat Mannheim:

„Nackt für den Killer“ / Der geheimnisvolle Killer“ / „Die Nacht der blanken Messer“ / „Strip Nude for Your Killer“ / „Nuda per l’assassino“, Italien 1975, R: Andrea Bianchi

 

„In den Klauen des C.I.A.“ / „Die Todesfalle des C.I.A.“ / „Ninja in the Claws of the CIA“ / „

Natürlich ist der Film frauenfeindlich. Die meisten Grindhouse-Filme sind das. Das ist ja Teil des Vergnügens, aus heutiger Sicht: Dass man reintaucht in ein sleazy Zeitalter, dass man den ganzen misogynen Mist durchschaut, sich wundert, sich schlau vorkommt, dass man im Vergleich sieht, dass heutzutage doch alles viel besser ist. Aber andererseits auch: Weil heute sowas nicht mehr gemacht hat, freut man sich auf diese Zeitreise in eine vollkommen andere Ära, setzt sich hinein in ein merkwürdiges mindset: Aus diesem heraus wurden die Filme gedreht, und mit diesem wurden die Filme geguckt, von irgendwelchen Herren, die daran etwas Erregendes fanden, vielleicht nicht mal sexuell, sondern einfach nur einen Thrill, einen Kitzel, und vielleicht auch das Ausleben der eigenen frauenfeindlichen Triebe beim Kinobesuch.

Heute steht man drüber, man guckt meta, und man erfreut sich an der ersten Szene: Eine Frau, nackt im Gynäkologenstuhl, wenn die Kamera zwei Zentimeter weiter runter gerichtet wäre, hätte man tiefste Einblicke. Der Doktor schraubt an und in ihr rum, die Dame stöhnt, und es könnte durchaus lustvoll sein – ist aber ihr Todesröcheln. Verdammt, murmelt der Doc, im Sinne von: Nasowas, schon wieder. Die Frau ist hopsgegangen, und mit nem Kumpel schleppt er die Leiche heim in die Badewanne, damit sein Tun verborgen bleibt…

Zwei Szenen später: Ein Hallenbad, eine Menge Männer lümmeln rum und kommentieren eine „heiße Schnitte“, die mit wiegenden Hüften vorbeischreitet, und der kecke Carlo scharwenzelt ihr hinterher, den Fotoapparat im Anschlag, mit dem er den knapp bedeckten Hintern ablichtet. An der Bar macht er sie an, obwohl oder gerade weil sie sich das Fotografieren verbittet, weil sie sieht ja super aus, und er als Fotograf sucht Models, und sie ist perfekt, naja, etwas pummelig am Bauch, aber weißt du, was da hilft? Sauna! Sie weiß, wie sie auf Männer wirkt, und sie genießt es, und in der Sauna zieht sie blank. Und bemerkt, dass der Fotoapparat ja gar nicht klickt – alles nur fake? Egal. Sie bumsen. Und Carlo lässt sich auch nicht stören, als seine Freundin reinkommt und sauer ist.

Er ist aber doch tatsächlich Fotograf, beim Studio Albatros, und um dieses Fotoatelier wird sich nun alles kreisen. Und zwar hat der Film zwei Impulse: Einmal das Hin und Her und Drumherum um Fotoshootings, Casting Couches und Rumvögeln, wie es ja bei jedem Fotostudio gang und gäbe ist – dieser Aspekt des Films behandelt den Voyerismus, und zwar total affirmativ: Frauen sind zum Ausziehen und Ansehen da, zum Ablichten, und dafür, dass der Film das Ablichten en detail bebildert. Der zweite Impuls sind die Morde, die sich rund um die Atelierbelegschaft abspielen, heftige Killings durch einen Täter in Leder-Motorradkluft, behelmt und mit langem Messer bewaffnet, der nach und nach alle abmurkst. Dies ist der vorwärtstreibende Strang des Films, bei dem ein paar originelle Mordideen zu erkennen sind, der das typischen Giallo-Rätsel aufbaut, das sich dann am Schluss genregerecht ins Uninteressante hin auflöst. Das Schöne an dem Film ist, dass er doch recht Unvorhersehbar ist, weil ständig jemand wegen Tod wegfällt, und es ziemlich lange unklar bleibt, wer denn nun Final Girl sein wird – also zusammen mit Carlo überleben wird. Weil dass der durchkommt, ist bald klar, er ist der Held des Films, wenn man so will.

Das ist die weniger schöne Seite des Films: Dass dieser Carlo als Held gehandelt wird. Wo er doch so ein Arschloch ist, wie wir es in der ganzen langen Geschichte der Cinema-Quadrat-Grindhouse-Double-Features bisher kaum je gesehen haben!

Sexistisches Schwein, aufbrausender Idiot, schmieriger Drecksack, Frauenvernascher und -missbraucher. Wie er beim Fotografieren mit den Models umgeht, sie anpflaumt und so weiter! Wie er die Weiber nimmt und fallen lässt, wie’s ihm seine Triebe einflüstern! Wie er Magda, die Assistentin, dominiert nach Gutdünken! Spät im Film, da ist sie im Atelier, und der Killer ist unterwegs, und das Licht geht aus, und er, aus dem Bett im Krankenhaus, mansplaint, was sie machen soll! Ach, das ist sicher nur die Sicherung. Der Kasten ist beim Eingang, mach dir keine Sorgen! Aber mach das jetzt halt so, wie ich sage, und nimm die Pistole mit, aber keine Angst, mach dir keine Sorgen! Wie man halt mit kleinen Mädchen spricht, wenn man Mann ist.

Bianchi verbindet seine beiden Sphären recht gut. Die Atelierchefin ist eine harte Lesbe, die ihre Models gegen Sex einstellt, das führt dazu, dass die Dame aus der Sauna bei ihr landet und nackig durch die Wohnung wandert, und der Wasserhahn in der Küche läuft, und sie macht ihn aus, und dann läuft der Wasserhahn im Bad, und sie will ihn ausmachen und wird vom Motorradfahrerkiller gekillt. Später läuft der Mann der Lesbe durchs Haus und die Wasserhähne laufen, und weil er offenbar im höheren Level ist, nimmt er aus Vorsicht ein Messer mit, wird aber trotzdem vom Motorradfahrerkiller gekillt. Der Mann ist ein notgeiles Würstchen zum comic relief, wir haben schon gesehen, wie er eines der Fotomodels vergewaltigt hat, weil sein Trieb so stark war, sie hat es dann über sich ergehen lassen, also alles gut.

Die ganze Anlage des Films federt die Arschlochigkeit des Carlo-Helden ab, weil alle so ähnlich drauf sind (Carlo freilich hat die Mittel dazu, seine arschige Neigung voll auszuleben). Und das Happy End, das Happy End! Da ist Carlo mit seiner Loverin im Bett, und der Killer ist überwunden, und was nun noch bleibt zum Glück ist Analsex.

 

Ja wirklich! Und mit diesem schrägen, aber ernstgemeinten Glück verbindet sich der erste Film des Abends mit dem Zweiten: „In den Klauen des C.I.A.“ aka „Die Todesfalle des C.I.A.“ endet mit zwei Männerndie sich schwören, fortan unverbrüchliche Freundschaft, eine wunderbare Beziehung zu führen. Also „Casablanca“, aber in einem plötzlichen und unvermuteten schwulen Kontext. Und ich glaube, der Film merkt das gar nicht. Naja, er merkt vieles nicht. Beispielsweise, dass der Bruder des Helden John, ein Vietnamveteran, plötzlich nicht mehr gelähmt ist, als er am Ende nochmal auftaucht – Regisseur John Liu spielt persönlich die beiden in einer Doppelrolle, John, den desillusionierten Superkämpfer, und James, den (zunächst) rollstuhlsitzenden Veteranen, der seinen Scheitel anders trägt und der John dazu bringt/zwingt, sich beim CIA zu verdingen. Das setzt den ganzen Film in Gang, der sich nun von Kampfszene zu Kampfszene weiterhangelt, vieles davon ist Ausbildung, manches auch ernst, aber alles auf jeden Fall gut gemacht! Die Martial Artists sind Künstler ihres Faches, Artisten der Kampfkunst, Liu macht hohe Kicks, dass es ein Lust ist!

Es ist nicht so ganz einfach, die Handlung nachzuvollziehen. Es geht, kurz gesagt, darum, dass die Russen eine neue Kampfmethode entwickelt haben, nämlich Hypnose bzw. Selbsthypnose der Soldaten, die damit alles vergessen und den reinen Tötungstrieb ausleben Ja, auch der Geschlechtstrieb ist ausgeschaltet, das fragt Col. Sanders explizit nach! Sanders wird gespielt von Christian Anders, der Schlagersänger, der sichder Kampfkunst ergeben hat und hier einen Gastauftritt hat – Gastauftritt auf merkwürdige Art: Er bringt John ins CIA-Ausbildungscamp und verschwindet dann aus dem Film. Einfach weg! Dafür kommt eine schöne laszive Dame ist Spiel, die so ein bisschen kämpfen tut, aber es nicht wirklich kann, und John hält ihr Bein gerade, ums zu zeigen, und tätschelt ihren Popo, aber eigentlich widersteht er ihren Verführungskünsten. Dafür wird er in die Intrigen von Pasco verwickelt, den Offizier, der ihn hasst und was weiß ich warum.

Jedenfalls interessant ist, dass alles Szenen mit hypnotisierten CIA-Soldaten nur in der spanischen Fassung vorkommen, nicht in der internationalen, und dass diese Szenen daher auf spanisch mit engl. Untertiteln zu sehen sind. In diesen Szenen gibt Pasco per Funkgerät Anweisungen, wie John angegriffen werden soll, oder wie die Soldaten ein süßes weißes Kaninchen packen und zerreißen sollen (das funktioniert dadurch, dass die Schauspieler rote Farbe auf den Karnickel schmieren und so tun als wär er tot). Im Wald sehen wir John bei seiner Kampfmeditation, und sein hypnotisierter Kumpel greift ihn an, und die hypnotisierte Frau schmiegt sich lasziv an einen Baum und dann lasziv an John, und dann kniet sie vor ihm, aber wir sehen nicht, was sie macht, nur, dass John sich total beherrschen muss, um nicht… Naja, egal, warum genau der CIA-Offizier dem CIA-Ausbilder mit allen Mitteln reingrätschen will, ist völlig unklar, vor allem, wo John doch der einzige in ganz Amerika ist, der die Selbsthypnose beherrscht und damit die US-Soldaten den Russen gleichstellen kann!
Jedenfalls flieht er mit einer Geliebten, und die wird von Tauchern getötet, und dann hat er eine Geliebte in Paris, und die wird auch getötet, weil CIA überall seine Leute hat, auch wenn das Trottel sind, und die Pariserin hat zwei Kinder, und das macht John schon richtig doll wütend, und in Spanien, da findet das Finale statt. Aber eigentlich ist sowieso so ziemlich alles in Spanien gedreht, auch und gerade die Szenen, die in Kalifornien spielen sollen. Man sieht das daran, dass Kisten und Flaschen immer spanisch beschriftet sind.

Einen Kampf gibt es im Keramikladen, und das gäbe eine Menge Möglichkeiten, aber die bleiben ungenutzt, und nur ein paar wenige Teller gehen kaputt, die ganzen Vasen und Töppe, die im Freigeländer drapiert sind, bleiben unangetastet! Wahrscheinlich, weil das Budget des Films nur einen ganz kleinen Posten für verscherbelte Töpferware vorgesehen hat.

Am Flughafen der Höhepunkt, irgendwie will der CIA-Direktor im Hubschrauber weg, tut das aber nicht, sondern es gibt viel Palaver, und ein paar Hypnotisierte tauchen auf, und Kampf und so. Und irgendwie geht es um wichtige Geheimdokumente, die John anscheinend hat mitgehen lassen, was wir bisher nie gesehen haben, aber jetzt sind alle hinter einem Aktenkoffer her. Und wir beginnen zu ahnen, warum im ganzen Film immer wieder chinesische Gesichtsmasken aufgetaucht sind, bei irgendwelchen Random-Leuten, die sie aufhaben, und im Wald an den Bäumen, die John zerhaut: Jetzt, am Ende, da haben wieder welche diese Masken auf, und zwar soll der eine offenbar Pasco darstellen, aber dessen Darsteller war möglicherweise nicht mehr verfügbar, aus dem Film gefallen wie lange zuvor Christian Anders, und jemand musste ihn doubeln, und das geht am besten mit Vollgesichtsmaske.

Dann Explosion, und vieles bleibt ungeklärt, außer dem Beziehungsstatus zwischen John Liu und Johnny Wong.

 

Harald Mühlbeyer

 

Grindhouse Nachlese März 2024 – Violent Streets und Beast of Blood

Grindhouse Doube Feature, 23. März 2024, Cinema Quadrat, Mannheim:

 „Bôryoku gai“ / „Violent Streets“, Japan 1974, Regie: Hideo Gosha

 „Drakapa, das Monster mit der Krallenhand“ / „Die blutgierigen Teufel“ / „Beast of Blood“, Philippinen 1970, Regie: Eddie Romero

 

Spanische Gitarre spielt auf einer Bühne, zwei Flamencotänzerinnen sind mit dabei, und es dauert eine Weile, bis man sich fertig gewundert hat – das soll doch ein japanischer Yakuza-Film sein? Dann renkt sich die Wahrnehmung schnell ein, wenn in dieser Bar Japaner auftauchen, sich streiten, und der eine rammt dem anderen einen Zettelspieß ins Gesicht, dem anderen haut er den Telefonhörer über den Schädel. Der Ton ist gesetzt, und wir wurden im Übrigen auch Zeuge der einzigen Fehlleistung in „Violent Streets“, die Regisseur Hideo Gosha immer wiederholen wird: wenn einem ein Hörer oder später Flaschen oder Vasen aufm Kopp zerschlagen werden, dann spritzt das Blut in realiter nicht in dem Maße, wie’s hier gezeigt wird. Sofort alles blutüberströmt! Aber das muss man wohl dem Genre zugestehen.

Tatsächlich aber haben wir mit diesem Film eine verwickelte Geschichte vor uns; Mittelpunkt ist die „Madrid“-Bar in Tokio, deren Besitzer Egawa einst Gangster war. Als Lohn für seine Dienste und Rente beim Ausstieg hat ihm seine „family“ die Bar übergeben, jetzt will sie sie wieder zurückhaben. Politik. Denn die Gangsterbande gibt sich jetzt ehrbar, und sie will und muss Konzessionen machen an die Osaka-Gangster, die Tokios Unterwelt übernehmen wollen. Man muss sich gut stellen, wenn man Geschäfte machen will…

Plötzlich sind wir in einem TV-Studio, bei der Show von Minami, Sängerin, die aufs Klo geht. Und dort entführt wird. Und wir sind bei der Gangsterbande hinter Unternehmensfassade, wo Yakazi als Hitzkopf den Osaka-Jungs einen mitgeben will, wer sonst hat wohl die Entführung eingefädelt? Denn Minami ist eine der Investitionen, wie die ganze TV-Unterhaltungswelt, wo sich jetzt das große Geld machen lässt. Während Egawa mit dem Gangsterboss noch ein Hühnchen zu rupfen hat – oder zu rupfen hätte –, weil seine Frau ihm während der Haft zum Boss übergelaufen ist. Er hat jetzt seine trinkfreudige Kellnerin als Geliebte.

Die Handlungsstränge verwirren sich. Minami wird erwürgt, weil ihr Bewacher sie bumsen will und sie sich wehrt – das ist eine tolle Szene, er hat den Fernseher eingeschaltet, weil gerade eine Aufzeichnung ihrer Show läuft, das müsste sie doch aufheizen, er jedenfalls wird ziemlich geil… Kidnapping jedenfalls im Eimer, die Geldübergabe wird trotzdem über die Bühne gebracht, auf der Baustellenruine eines Hochhauses. Der Bandenkrieg steht kurz bevor. Und plötzlich haben wir ein paar Killer, eine Stipshow, einer der Beleuchter wird von der Galerie gestoßen, eine Frau, die ihn lustvoll mit dem Rasiermesser aufschlitzt… Einer lädt von seinem LKW Schaufensterpuppen, will sie in der Pampa entsorgen, wird von hinten erschlagen. Einer an einer Druckmaschine, einer im Hühnerstall – hier ist auch Egawa mit dabei, und was nun doch recht verwirrend war und konfus, das lichtet sich allmählich. Hideo Gosha macht das sehr geschickt, wie er seinen Film, der völlig aus dem Ruder zu laufen droht, wieder einfängt – Teil seiner Strategie ist die klar konturierte Atmosphäre von Gewalt und Vergeblichkeit, von einer neuen Zeit in der Unterwelt und dem Versuch, sich zu halten, eine Kälte durchzieht den Film, die faszinierend ist – vielleicht Melville-geschult.

Ein Liebespaar bei einer Bühnenaufführung, von oben gefilmt, sich drehend wie auf einer Drehscheibe, mit wechselndem Licht – zwei Frauen, halt nackt sich räkelnd. Dann in der Garderobe zeigt sich: die eine ist einer Frau; die andere ein Mann mit langen Haaren und Kimono. War, was wir gesehen haben, eine normale Hetero-Sexshow, Mann und Frau, nur eben langhaarig, oder waren hier transvestitiv-transsexuelle Komponenten im Spiel, und wenn ja, für wen – für das Publikum im Film, oder nur als Täuschung für uns im Kino? Eine ähnliche Ambivalenz wie das Drehen des Paares – haben sich die beiden oder hat sich die Kamera bewegt? Es sind kleine Täuschungsmomente, Irritationen, die Gosha bewusst einbaut, und das führt zu einer latenten Verunsicherung, die der Filmstimmung zugute kommt. Ich meine, hallo, Schaufensterpuppen mitten im hohen Gras, ein Hühnerstall, an beiden Schauplätzen Mord und Totschlag, ja ein Massaker? Ein Waffenschmied, der sich als Bezahlung ausbedingt, dass er stiller Augenzeuge sein darf beim Abknallen der Gangster, der mit fetten Kopfhörern, radiohörend, fröhlich zuguckt bei der Ballerei?

Es ist eine Geschichte von untergründigem Verrat allenthalben, aber das Thema so subtil einflechtend, dass man nicht sagen würde: aha! Verrat von früher – Egawas Frau, die ihn für den Boss verlassen hat, die Bar, die ihm als viel zu geringe Entschädigung überlassen wird; Verrat der Gegenwart – die Bar, die ihm genommen werden soll; die Entführung, die ein Mord ist, die eingefädelt wurde aus Loyalität zu Egawa, freilich auch in Form eines Verrats seiner Untergebenen; schließlich, worauf es hinausläuft, der Verrat seiner Geliebten, judasmäßig. Die einzig Geradlinigen sind Egawa und sein Gegenspieler Yazaki, beide vom alten Schlag, sie passen nicht mehr ins Jetzt, wo das Gangstertum zum Unternehmertum wird.

 

Yazaki hat eine Haartolle wie Elvis – das ist ein schöner Übergang zum philippinischen Quatsch-Abenteuerfilm mit dem deutschen Quatsch-Titel „Drakapa, das Monster mit der Krallenhand“; die von John Ashley gespielte Hauptfigur hat feine daherfrisierte Haare im Dschungel und King-mäßige Koteletten, mehr als so manche Metzgerei zu bieten hat… Der Film ist der dritte Teil einer Trilogie um die Blutinsel, freilich als einziger in die deutschen Kinos gekommen, und man würde doch gerne wissen, wie ihn damals die Bahnhofskinobesucher aufgenommen haben, wo sie doch eigentlich die ganze Zeit überhaupt nicht wissen können, worum’s geht…?

Drakapa heißt das Monster, es hat schreckliche Hauer und schreckliche Klauen und schreckliche Zähne um Tiere und Menschen zu kauen, und das macht es auch, weil das Schiff gerade wegfährt von der Blutinsel aus Teil zwei – den keiner kennt –, und Dr. Foster ist der einzige Überlebende. Nein, das Monster auch, es ist nur ziemlich verbrannt und wieder auf der Insel. Dies als abrupter Anfang eines Films, der direkt anschließt ans vorherige Unbekannte. Die nächste Expedition von Foster, die wiederum macht diese Filmhandlung aus, wobei er vor allem bei der Rückkehr zur Insel alte Bekannte trifft, die wir nicht kennen, und ein Haus, in dem es mal eine Explosion gab, und der alte Bösewicht ist nach wie vor Dr. Lorca, und Razak, der Stumme, ist sein bulliger Helfer. Und grüne Menschen greifen des Nachts an, wobei „grün“ bedeutet, dass sie irgendwie mit Algen und Schlamm beschmiert sind, und nicht so richtig grünhäutig, wie es Foster noch von früher zu kennen scheint. Das aber bleibt alles unklar.

Neu ist Myra Russell, Journalistin vom Honolulu-Kurier, eine Zeitung, die nicht sooo angesehen ist, wie Dr. Lorca mal süffisant bemerkt. Denn natürlich hat er Ms. Russell entführt, um Foster zu sich zu locken. Der wäre aber ohnehin gekommen, weil noch eine Rechnung offen und so weiter.

Das, was wir kapieren, ist: Dr. Lorca ist ein Spinner, wie alle Mad Scientists, und er ist von seinem Genie überzeugt, wie alle Mad Scientists. Das Tolle ist: Er spricht genau dies aus: Wenn sein Experiment missglückt, geht er als Massenmörder in die Geschichte ein, wenn alles klappt, ist er ein Wohltäter. Er weiß das genau, und deshalb macht er weiter. Denn im Keller, da hat er eine Menge Maschinen und blinkende Lichter, und so Dinger, die sich im Kreis drehen, und Glaskolben, in denen was Grünes blubbert. Und auf der Bahre, da ist der kopflose Körper von Drakapa, und in der Ecke der Kopf. Beide bewegen sich, weil Lorca das so eingerichtet hat. Nur, dass der Drakapa-Kopf nicht zu ihm sprechen will, weil er schmollt.

Jetzt, was ist die Forschungsrichtung von Dr. Lorca, außer Kopftransplantation? Offenbar – ach, also, erstmal ist es ja so, dass das Monster irgendwie im zweiten Teil schon aufgetaucht sein muss, und deshalb wird seine Herkunft nicht so recht thematisiert, aber anscheinend ist es böse, weil es auf Chlorophyllbasis existiert, und aus dem Chlorophyll will Lorca das Böse herausfiltern, und deshalb hat er im Käfig die einigermaßen grünen algenbehangenen Menschen, deren Kopf er auf den Monsterkörper, damit deren Geist – oder so.

Es ist jedenfalls höchst erstaunlich, dass die deutsche Synchro sich nicht ansatzweise bemüht, so etwas wie Zusammenhänge zu konstruieren, wo doch klar ist, dass die vorherigen, offenbar für die Handlung essentiell wichtigen Filme in D nicht gelaufen sind. Es ist noch viel erstaunlicher, wie es Eddie Romero, dem Regisseur, gelingen kann, eine Filmhandlung, die ja doch einige Elemente enthält, die was her machen sollten, so dermaßen zäh und langweilig zu inszenieren! Die tapsen schweigend und ohne jeden Elan durch den Dschungel, und gefilmt ist das öde und ohne jeden Elan, und nur der Geräuschemacher hat hier was zu tun, nämlich hat der sich ein bisschen Laub auf den Boden gelegt und macht darauf ab und zu so Rascheln. Einmal knackt ein Zweig. Und am Schluss brauchts viele Schüsse und Handgranatenexplosionen auf der Tonspur. Aber ohne Zweifel haben hier ziemlich viele lediglich Dienst nach Vorschrift abgeleistet.

Dabei ist neben der Suche nach Dr. Lorca für Dr. Foster, den Guten, ja auch noch die Frage der Frau zu lösen! Weil nämlich eine der Eingeborenen hat ein Auge auf ihn geworfen, und sie offeriert sich ihm sehr offen, weil er ja schon lange nicht mehr mit ’ner Frau und so… Und er kann es nicht, weil nein, es geht nicht, er ist zu rein, sagt er, und er braucht eine Bindung für den Sex, aber er kann gerade keine Bindung eingehen, sagt er. Aber eigentlich, und das ist keinem der Protagonist*innen klar, ist natürlich im Film die gemischtrassige Liebe ein absoluten No-Go, wir befinden uns schließlich letztlich auf kolonialem Terrain, mit dem weißen Wissenschaftler und der weißen Jorunalistin, die die wilde Insel erforschen und die Geheimnisse lösen wollen. Und so.

Und natürlich muss sich Foster für die blonde Miss Russell aufheben, da kann er nix mit der Pseudo-Südseedame anfangen.

Man versteht nicht viel von dem Film, aber der Chauvinismus und alles, was daran hängt, der kommt natürlich gut rüber. Muss ja so sein. Ist schließlich Grindhouse.

 

Harald Mühlbeyer