Grindhouse-Nachlese April 2023 – Autos rasen übern Asphalt und Affen durch den Wald

 Grindhouse Double Feature, Samstag 29. April 2023, Cinema Quadrat Mannheim

 

„10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich“ / „Fast Company“, Kanada 1979, R: David Cronenberg

 „Nackt unter Affen“ / „King Kong und die braune Göttin“ / „Eva, la Venere selvaggia“, Italien 1968, R: Roberto Mauri


Man lernt viel. Über die richtige Treibstoffmischung, die sich jeder Fahrer selbst austüftelt, über die verschiedenen Klassen: Fuellers und Funny Cars, über den Rennzirkus überhaupt und wie man dabei die Viertelmeile in sagenwirmal sechs Sekunden runterreißt. „Fast Company“ heißt der Film, das trifft es, der deutsche Verleihtitel „10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich“ trifft es auch, und irgendwie passt das alles vielleicht sogar rein in die Filmographie von David Cronenberg. Ja, der Cronenberg mit seinem Body Horror, dessen „Brut“ – ebenfalls von 1979 – vor vielen Millionen Jahren auch schon einmal in der Grindhouse-Reihe gelaufen ist, der Cronenberg, der inzwischen etablierter Kunstfilmer geworden ist mit seinen Underground-Themen.

In „Fast Company“ haben wir keinen Horror. Wir haben Geschwindigkeit. Wir haben Autofetisch. Wir haben Fahrer und Mechaniker, die sich liebevoll ihren Fahrzeugen widmen, die so lange schrauben, bis noch ein paar PS mehr rausgekitzelt sind, die aufgehen in dieser irrealen Blase auf der Tour von Race-Track zu Race-Track. Für ein paar Sekunden Höchstbeschleunigung. Und natürlich für FastCo-Motoröl, Sponsor des Dragster-Stars Billy, genannt „Lucky Man“. Warum? Wir sehen’s am Anfang: zu viel am Motor getüftelt, Explosion mitten auf der Strecke, und er steigt aus, als wär nix. Für Anderson, Vertreter des Motorölunternehmens, ist das zu viel, die Fahrer sollen nicht gewinnen, nur mithalten, nicht unter allen Umständen teuer Autos verschrotten, sondern die Marke schön präsentieren! Anderson ist ein Arschloch, das sehen wir gleich, aber er hat natürlich betriebswirtschaftlich einen Punkt. Ist aber trotzdem ein Arsch, fliegt mit Privatflugzeug, will Miss FastCo besteigen, und kassiert von der Rennleitung privat Geld dafür, dass er seinen Star überhaupt starten lässt.

Zur Korruption kommen Neid und Intrigen und generelle Fiesheit – ihm gegenüber Lucky Man mit seinen Mechanikern und dem Junior im Team, der bei den Funny Car-Rennen mitmacht. Weil, also: Das Fuel-Fahrzeug ist für den Senior und viel viel schneller, das Funny Car ist angelehnt an ganz normale Straßenautos, aber natürlich auch schneller, aber nicht sooo. Junior jedenfalls bekommt Miss FastCo ab, und Lucky Man’s Freundin taucht auch auf, und es gibt einmal kurze Verwirrung, weil sie im Bett von Lucky Man eine Nackige sieht, aber kein Problem, ist nur Junior mit seinem Girl, alles Friedefreudeeierkuchen. Nur dass Anderson erst Junior ausbootet, und dann auch Lucky Man hintergeht, indem er ihn durch den Konkurrenten ersetzen will, nicht nur das, er nimmt ihm das Auto ab, und so weiter und so fort, die Handlung ist jetzt nicht sooo interessant. Sabotage, Mordanschlag, das Finale hat es in sich, überzieht dann aber mit einer Verfolgung des startenden Flugzeugs, Absturz und Feuerball – aber was solls!

Trotzdem ein super Film, weil Cronenberg voll Liebe darauf schaut, wie Menschen die Maschinen zu zähmen versuchen, wie sie sie pflegen und streicheln und ihnen Gutes tun, und wie die Maschinen ihnen etwas zurückgeben, in der Währung Miles per Hour. Und wir hören das Spottern und Krückeln und Krachen und Brutzeln und Schnarren und Knurren und Röhren und Tönen der Motoren! Cronenberg bietet uns authentische Einblicke in die Szene, gedreht wurde offenbar bei echten Dragsterrennen, oben im kanadischen Alberta, wiewohl der Film im US-Nordwesten spielt.

Unterwegs ist Lucky Man mit seinem Team in zwei Trucks, veredelt mit dem Star-Spangled Banner, wenn‘s übern Highway geht sitzt Lucky Man hinten drin, der Truck ist ausgebaut zu Wohn- und Schlafzimmer, vor allem aber in ein Konstrukteursbüro, Schreibtisch, Pläne, Modelle, alles, was ein schaffenswütiger Ingenieur braucht, der das Objekt so sehr liebt, an dem er rumtüftelt.

 

Geradezu läppisch dagegen, und ein schöner Kontrast: ein Film namens „Nackt unter Affen“, dessen Titel schon alles enthält, was der Film dann auch ist. Afrika, Söldner, ein Überfall auf die Kasse des Militärs, Tote, ein Oberbösewicht unter den Ganoven, der alle abknallt. Jahre später: Der Oberschurke ist im Urwald verschwunden, und in einem post- oder gar altkolonialen Kneipe in, ich glaube, Angola taucht dessen alter Komplize auf, er hat wider Erwarten überlebt. Die Frau des Wirts, mit der hat er mal was gehabt; die Tochter macht ihn auch an. Außen, unter Palmen, wird er mal angegriffen und er kämpft ganz dolle und ein anderer Mann hilft ihm, der hat ihn vorher schon so angeguckt, wer ist er?

Jedenfalls: Die Tochter geht das erste Mal auf Safari mit, der Bruder will sie beschützen, der Ex-Söldner will von all dem nichts mehr wissen, was genau er da eigentlich macht ist unklar. Safari, das bedeutet: Die fahren durch die Landschaft und sagen: Oh, was schöne Tiere! Elefant, Giraffe und so, und die Tiere sehen wir auch, weil Gottseidank jemand anderes für irgendeinen anderen Film seine Kamera tatsächlich nach Afrika mitgenommen hat, um Nilpferd und Löwen und Antilopen zu filmen, und dessen Filmmaterial hat man hier nun locker geklaut, damit alles echt wirkt. Da! Ein Leopard! Schnell schießen! Aber die Schwester trifft nicht, und der Bruder auch nicht, und wieder ein paar Minuten Film wegerzählt mit spannenden Episoden aus dem Busch.

Naja, sagen sich die Filmleute, wäre jetzt wirklich langweilig, wenn wir nur die Leute durch den Urwald stolpern lassen, und das Fremdmaterial, irgendwann merken das die Leute! Komm, hopp, wir lassen mal die Affen ran! Und tatsächlich: Der Oberschurke ist vom Geldräuber inzwischen zum Mad Scientist mutiert und setzt einem Affen einen Computerchip in die Schläge, keine Kosten und Mühen wurden gescheut, um diese chirurgischen Nahaufnahmen hinzubekommen! Nein, wirklich, die Affenmasken sind hervorragend, sie stechen wirklich hervor aus all dem anderen Zeug, was wir in diesem Film vorgesetzt bekommen.

Affen: Das ist die Erfüllung des ersten Teils der Verheißung durch den Filmtitel; der zweite Teil, den Regisseur Roberto Mauri (alias Robert Morris, soll keiner glauben, man hätte es mit Italoschund zu tun!) und seine „Drehbuchautoren“ in den Film reingepappt haben, das ist die Legende der „weißen Göttin“. Beziehungsweise der im Originaltitel versprochenen „Eva, die wilde Venus“. Nun ist die keine weiße Göttin, sieht eher südamerikanisch aus: jau, Darstellerin Esmeralda Barros ist Brasilianerin, und wohl auch keine Göttin, sondern mehr so eine Art Tarzanin, aber wurscht. Die jedenfalls haust im Urwald, und die Ureinwohner – wahlweise als Wilde oder Schwarze oder N*** benannt – gehen da nicht hin, weil sie von Affen bewacht wird. Tatsächlich hat sie nur so einen Trigema-Schimpansen bei sich, den trägt sie rum und tätschelt ihn und führt ihn spazieren, aber die wirklichen wilden Affen sind mannsgroße Gorillas (damit Männer ins Kostüm passen), robotermäßig gehorsam wegen des Chips, und die entführen die Tochter mit dem schönen Namen Ursula. 

Der Bruder steckt‘s dem Ex-Legionär, und sein Papa raunt ihm zu: „Gut gemacht“, und da wissen wir, dass alles Schmu ist, und der Rest des Films ist, dass der Söldner sich ermannt, Ursula zu suchen, und darauf freut sich der Oberschurken-Exsöldnerchef-verrückterWissenschaftler-Möchtegernweltbeherrscher, und unterwegs begegnet der Söldner der weißen Göttin und sie verstehen sich super, und die Affen greifen an, und.

Nee, man kann nicht erzählen, was da alles los ist. Das Internet würde gesprengt wegen zu viel Inhalt! Er badet und sie guckt zu und gibt ihm Bananen. Sie – oben ohne, den ganzen Film über – springt in einem Einsprengsel auch mal in Zeitlupe durch die Landschaft, und da ist sie ganz nackt, das ist so’n bisschen Playmate, und doch ganz erstaunlich für einen Film, der vor den 70ern gedreht wurde. Weil hier die kindliche Unschuld, die der Film die sonstige Zeit von seiner Eva-Göttin erzählt, heftig erotisiert wird. Man muss ja was bieten. Also noch mehr als Kampfaffen und ein Grottensystem und gefangene Jungfrauen und einen großen Computer, der mit einem hellen Licht, Auge genannt, die Affen kontrolliert, und mit einem höchst eifersüchtigen Wirt, der aber nach außen so freundlich tut, wie es im Wirtsleutestand nun mal gang und gäbe ist, und dann ist da noch der geheimnisvolle Mann, der vorher mal dem Exsöldner geholfen hat und wieder auftaucht und nämlich von Interpol ist und schon ganz lange hinter dem Bösewicht her, und eine Minute später ist er tot, und wieder ein paar Meter Film durch die Kamera gerattert! Absoluter Höhepunkt ist eine Boa, vor der alle zurückschrecken, was ne Würgeschlange, und die ist in derselben Einstellung wie die Schauspieler zu sehen! Heißt: Die müssen in den botanischen Garten, in dem sie gedreht haben (sicher nicht in Afrika!) tatsächlich eine echte Schlange um einen Ast gewickelt haben. Production Value!

Am Ende kommt großer Showdown in der Computerkontroll-Gefängnis-Höhle, alle tauchen auf, jeder erklärt, was los ist, alle merken, dass alles miteinander zusammenhängt, nach und nach ist jeder tot. Das ist im Grunde Shakespeare pur!

Und die weiße Göttin nimmt ihren Schimpansen, und wir sehen sie zum Abschied nochmal nackig durch den Busch tanzen, und freuen uns, dass die Dudelmusik nun auch ihr Ende hat.

 

Harald Mühlbeyer

 

Grindhouse-Nachlese März 2023: „Car Wash“ und „Savage Intruder“

Grindhouse Double Feature, 25.3.2023, Cinema Quadrat Mannheim

„Car Wash – Der ausgeflippte Waschsalon“ / „Car Wash“, USA 1976, R: Michael Schultz

„Savage Intruder“ / „Hollywood Horror House“, USA 1970, R: Donald Wolfe

 

„Car Wash“ – irgendwo ist mir dieser Film schon einmal untergekommen, nicht anguckender-, sondern darüberlesenderweis, und zwar in seriösem Zusammenhang. Wo und wann, weiß ich nicht mehr. Nun aber lief dieser Film in der Grindhouse-Reihe, wo ja sonst eher im Mülleimer der Filmgeschichte nach Genießbarem gewühlt wird; dieser Film aber ist nicht Müll, und auch nicht Exploitation, sondern tatsächlich Black Cinema.

1976 war ja Blaxploitation schon totgelaufen, die Pimps konnten nicht pimpiger, die Autos nicht aufgemotzter, die Kleider nicht exaltierter, die Musik nicht funkiger, die Frauen nicht barbusiger werden. Das führt, wie es in jedem Filmgenre am Ende seiner Lebenszeit ist, einerseits zu einer Entwicklung der Selbstparodie, Stichwort: Dolemite; andererseits zur Neuausrichtung, beziehungsweise zur Verschmelzung mit anderen Stilrichtungen, beziehungsweise zur Evolution durch Kreuzung, zur Neuzüchtung. In „Car Wash“ hat Regisseur Michael Schultz – und Drehbuchautor Joel Schumacher, ja, der, nämlich bevor er ins Regiefach wechselte; ein weiterer Ausweis für die Qualitätsarbeit, die hier abgeliefert wurde –, in „Car Wash“ jedenfalls haben Regie und Drehbuch die Coolness und Lockerheit der Blaxploitationcharaktere zusammengeführt mit gehaltvolleren Statements bezüglich der Lage der Schwarzen in den US-Großstädten; der Film ist damit Vorläufer beispielsweise von Spike Lee.

Ungefähr zwölf Angestellte hat die Autowaschanlage Dee-Luxe, die meisten Afroamerikaner, und der Film folgt ihnen einen Tag lang. Das ist cool und locker, und das ist manchmal albern, und die Typen sind recht exzentrisch – einer eine Tunte in Fummel; zwei Typen im Hollywood-Glamour-Bratpack-Fieber; einer mit Superhelden-Spleen, der sich als „the Fly“ fühlt, und wenn er in Aktion tritt, dann summt er. Einer ist frisch aus dem Knast entlassen, ein anderer auf dem Weg zur Kündigung wegen seiner radikalrevolutionären Ansichten, die er lautstark vertritt. Ein Kid auf Skateboard saust durch die Gegend. Eine Hure lungert herum, sie hat einen Taxifahrer betrogen, der immer wieder als Running Gag auftritt. Eine wirkliche Handlung – im Sinne von durchgehendem Geschehen – gibt es nicht, dafür läuft die ganze Zeit der Sender KGYS mit Soul und Funk, darunter mehrmals der Song „Car Wash“, der sich bis heute im Radio hält. Ab und zu brechen die Charaktere auch in die Musik aus, in Tanzschritte oder in Gesang – es ist natürlich stilisiert, das Ganze, aber lustig und frisch und so.

Aber eben auch ein Kommentar zur Zeit, und das deutlich versteckt hinter der fröhlichen Autowäscherschar. Der Boss ist ein Weißer, der eigentlich nichts macht, außer apodiktisch gelegentliche Diskussionen zu schlichten: Go wash cars! Er ist zu geizig, moderne Maschinerie einzusetzen, und löhnt lieber an Billigarbeitskräfte, die von Hand waschen müssen. Die wiederum sind auf ihn angewiesen, sie haben ja sonst nix – der Ausbeutung steht wenig im Weg. Immerhin macht das Ganze Spaß.

Der Sohn vom Boss ist Salonrevoluzzer, in Mao-T-Shirt und mit Rotem Buch, er zitiert die Sprüche vom Umbruch, will sich mit den Arbeitern vereinigen, aber doch lieber nicht zu viel arbeiten. Abdullah, der vor kurzem noch Duane hieß, ist Radikalschwarzer, der am liebsten alles niederbrennen würde – aber dann doch nicht. Veränderung ist notwendig; aber wer soll sie durchführen?

 

Dem Subgenre „Alternde Hollywood-Diven“ zugehörig nennt Grindhousereihe-Kurator Max den zweiten Film des Abends: „Savage Intruder“, auch als „Hollywood Horror House“ ins Kino gekommen; merkwürdig ohnehin, weil der Abspann als Copyright-Jahr 1973 angibt, tatsächlich wurde der Film 1970 gedreht, er wäre fast nicht veröffentlicht worden – zu Unrecht. Denn auch wenn er ab und an spätere Slasher-Brutalität vorwegnimmt, ist „Savage Intruder“ ein sehr gut ausgedachtes, mit sehr gut konzipierten Charakteren inszeniertes Horrorpsychodrama.
Hauptrolle: Miriam Hopkins, Star der 1930er und 40er, „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (dolle subjektive Kamerafahrt nach der Verwandlung des guten Doktors!), „Trouble in Paradise“ und „Design for Living“, zwei Lubitsch-Klassiker… Hier spielt sie eine alternde Hollywooddiva, also vielleicht sich selbst; und gedreht wurde das Ganze auf dem enormen Anwesen von Norma Talmadge, Filmsuperstar der 1920er und laut Wikipedia als alternde Diva Inspiration für die Norma Desmond-Figur in Billy Wilders „Sunset Boulevard“, dort gespielt von der alternden Diva Gloria Swanson… Das Ende von „Sunset Boulevard“ ist der Anfang von Miriam Hopkins‘ Auftritt als Katharine Packard in „Savage Intruder“: In weißem Mädchenkleid bereitet sie sich auf ihre Party vor, noch ein Schlückchen „personality“ – Wodkaflasche ist immer in Reichweite! –, dann schreitet sie die Treppe runter, man hört die Geräusche ihrer Fans und Bewunderer, und man sieht, dass sie alleine ist in ihrem Wahn nach Star-Anerkennung. So, wie Swanson als Desmond am Ende von Wilders Film die Treppe heruntergeschritten kam, dahin, wo Polizei und Sensationsreporter warten, und diese als ihre Fans verkennt.

Den Anfang des Films macht, hochmetaphorisch, der berühmte Hollywoodschriftzug, den aus der Nähe zu betrachten wir Gelegenheit bekommen: halb zerfetzt, bekritzelt, verrostet, mit Blech, das im Wind flattert, und unten am Hügel eine zerstückelte Frauenleiche (also: keine echte, wir sehen die Puppe dahinter, aber das betrachten wir wohlwollend). Im TV Nachrichten über den Psychopathen, der alternde Damen zerstückelt, an der Bar eine alternde Dame, die sich den letzten Drink runterkippt, sie könnte einem Chandler-Roman entstammen, watschelt nach Hause, gefolgt von einem, den wir nicht richtig erkennen, und der hat ein Köfferchen dabei, darin – nennen wir es ruhig beschönigend: – Chirurgenbesteck, aber mit Knochensäge und Beil wohl eher Pathologen-, in Wirklichkeit aber Psychopathenbesteck, das merken wir, als unser Killer auch noch ein elektrisches Küchenmesser zückt und am Arm der besinnungslosen Dame ansetzt…

Katharine Packard hat sich bei ihrem großen Auftritt vor imaginärem Publikum durch einen Sturz die Stufen runter das Bein gebrochen, sie wartet auf einen Pfleger, ein junger Mann kommt an, nennt sich lustig Laurel N. Hardy, heißt aber tatsächlich Vic Valance, sowohl Haushälterin Mildred als auch Verwalterin Leslie hassen ihn gleich, weil er ist frech, wie die jungen Leute heute so sind. Köchin Greta aber ist angetan, vor allem aber Katharine, die er mit frechem Witz umgarnt – er fährt zweigleisig: die junge Greta für das körperliche Vergnügen, die alte Diva für das finanzielle Auskommen. Kann natürlich nur irgendwann auffliegen.

Auf dem Weg dahin aber geht Regisseur und Autor Donald Wolfe einen sehr reizvollen Weg der Mitte: Denn es gibt ja den Whodunnit. Das ist die Filmgattung, wo ein Killer umherschleicht und wir alle rätseln, wer es ist – und am Schluss werden wir, wenn das erzähldramaturgische Vermögen ausreicht, nochmal kräftig überrascht. Und dann gibt’s die andere Variante, dass von Anfang an der Bösewicht klar ist, und wir folgen ihm und gucken, ob und wie er geschnappt wird. In „Savage Intruder“ nun bleibt der Killer im Dunkeln, wir sehen ihn nicht wirklich, nur Hände, die töten, und haben natürlich gleich Vic in Verdacht, der einen roten Fleck am Schuh hat und ein Köfferchen, und wissen natürlich gleichzeitig, dass der offensichtliche Täter nie der wirkliche Täter ist, weil alles aussieht wie ein Whodunnit – und es vielleicht eben doch nicht ist, weil der Drogentraum viel zu deutlich ist, in dem der junge Vic seine Mutter sieht, von geilen Männern umgeben, wodkasaufend, Liebkosungen genießend und den Sohn schnöde wegschickend… Wolfe vereint also zwei Erzählstrategien, lässt es aussehen wie einen Whodunnit und erzählt, als würden wir von Anfang an den Killer kennen, und das klappt! Wir sehen, dass Vic Böses vorhat, aber wir halten im Hinterkopf immer den Ausweg offen: weil es eben doch nur angedeutet scheint, und wir auch nicht glauben können, dass dieser junge Mann, der eine Gelegenheit sieht und am Schopfe packt, ein totaler Psycho ist.

Irgendwann schleicht sich die Wahrheit an, nicht als Schock, sondern als Klarheit, und das einzige, was der Zuschauer nun noch tun muss, ist, das Wissen um die völlige Bananenhaftigkeit der psychischen Erkrankung des irren Killers zu verdrängen. Und dann kann das Publikum beispielsweise Gale Sondergaard, kleinerer Star von damals und immerhin Oscarpreisträgerin 1937, zuschauen, die deutlich ahnt, was vor sich geht, es aber sich selbst nicht glauben will, die offenbar verliebt ist in ihre Herrin, dies aber weder ihr noch sich selbst eingesteht, die ob ihrer Stellung im Hause lange glaubt, das Heft in der Hand zu halten und irgendwann bemerkt, dass alles irgendwie ins Rutschen kommt, weil Vic mehr und mehr das Kommando übernimmt, und weil Katharine Packard irgendwann nur noch aus der Ferne zu sehen ist, wie sie oben auf dem Balkon sitzt, aber vielleicht ist das auch eine Puppe, und vielleicht ist hier oben auf dem Hügel, im superteuren Anwesen von Katharine Packard bzw. Norma Talmadge, sowieso schon lange der Wahnsinn eingezogen.

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse Nachlese Januar 2023: Frankfurt Kaiserstraße und El Santo in Spanien

Grindhouse Double Feature, Samstag, 28.1.2023, Cinema Quadrat Mannheim

 

Frankfurt Kaiserstraße, D 1981, R: Roger Fritz

Santo contra el doctor Muerte, Mexiko/Spanien 1973, R: Rafael Romero Marchent


Roger Fritz stammt aus Mannheim; und wenn er einen Film mit der Produktionsgesellschaft Lisa-Film dreht, dann ist dies doch wunderbar passend für den Grindhouse-Januartermin. Lisa-Film, die mit Sexkomödien ihr Geld machte und dann, ein paar Jahre später, mit Tommy&Mike – und Roger Fritz, der immer einen Drang zur Wirklichkeit hat, die er fotografisch einfängt, eben nicht als Wirklichkeit, aber als echt. Frankfurt Kaiserstraße ist ein Milieufilm, ein Charakterfilm, eine Liebesgeschichte: Susanne und Rolf lieben sich. Sie, Metzgerstochter in einem hessischen Provinzkaff, ist gerade mit der Schule fertig, er muss bald zum Bund. In seiner Bude erleben sie das Erste Mal; und das ist so zärtlich gefilmt, so innig in der Zweisamkeit, wie man es von einem Werk mit diesem Titel und dieser Produktionsgesellschaft nicht erwarten könnte. Fritz lässt nicht reißerisch die Nacktheit vor dem Zuschauer aus, sondern inszeniert die Intimität, und die beiden haben uns sofort für sich eingenommen, in ihrem Schwur, für immer beieinander zu bleiben.

Dann platzt Rolfs Papa ins Zimmer, ist entsetzt, was sollen die Leute denken, und überhaupt, was wird der Metzger dazu sagen!!! Der ist natürlich sauer, seine Tochter mit diesem Jungen, und Doppelmoral lässt er sich schon gar nicht vorwerfen, nur weil er mit der Verkäuferin liebesspielt, er ist schließlich lange schon Witwer. Die Tochter haut ab, nach Frankfurt, in die berüchtigte Kaiserstraße, da wohnt Onkel Ossi. Zu diesem Schwulen will sie!

Das Provinzleben ist, außer was das Liebespaar betrifft, durchaus karikaturesk gezeichnet, mit breitem hessischen Dialekt und breiten Ressentiments der Alten gegen die Jungen. Das Leben in der Kaiserstraße ist bunt, da steht Ossis Blumenladen zwischen Peepshow, Stripclub und Billardsalon, und Ossis Freund Tony, US-Amerikaner, empfängt Susanne freundlich. Und bereitet so den Boden für den großen Auftritt von Kurt Raab, der als tantenhafte Tunte die Rampensau rauslässt. Er spielt als Onkel Ossi ganz überdreht alle Schwulenklischees rauf und runter, als Transvestit und Travestiesänger, und das wirkt sonderbarerweise auch heute nicht wirklich homophob, sondern als liebevollen, wenn auch kruden Gruß an die Community. Naja, okay. Heute könnt man das nicht mehr machen. Und ein bisschen Klamauk muss halt sein.

Susanne in Frankfurt – um sie herum das Laster, das sie nun jugendlich neugierig betrachtet. Wobei immer das Menschliche hinter dem Laster sichtbar wird. Sie wird umschwärmt vom Gemüsejungen, arbeitet an der Bratwurstbude. Im Billardsalon haben die Handlanger des Unterwelt-Großmufti Johnny – ein Wiener! – dem Besitzer Aldo eine explosive Billardkugel untergejubelt. In der Kaserne wird Rolf von seinem Feldwebel heftig gedrillt, der hat ihn auf dem Kieker, wie er alle Neuen auf dem Kieker hat. Und die Kantine wird geleitet von einer jungen Frau, die weiß, was (und wen) sie will, die sich nimmt, was (und wen) sie will, und die klarmacht, dass das nicht bedeutet, dass jeder sie haben kann. Sie fährt Motorrad, und das findet Rolf dufte.

Rolf wird ins Leben geworfen. Dazu gehört, dass auch Susanne ins Leben geworfen wird, in ein anderes als seines. Das Leben auf der Kaiserstraße wird bestimmt von Johnny. Und der sieht in Susanne Potential, in einer Karriere als große, gewinnbringende Hure. Was sie erstmal nicht erkennen will. Diese Grundhandlung des Films ist flankiert von vielen kleinen Nebenepisoden, die nicht angepappt wirken, sondern als Bereicherung dieser Welt. Aldo, der sich zu wehren versucht gegen die Unterweltrivalen. Die ehelichen Probleme zwischen Ossi und seinem Tony. Wie Susanne Freundschaft schließt mit einer Kollegin. Nebenbei Einschüchterung, Schutzgelderpressung, Zuhälterei, Mord. Und spätnachts labert einer Rolf voll, stockbetrunken brabbelt er davon, wie er einen anderen in den fünften Stock gekickt hat, der’s verdient hat…


Santo, der silbermaskierte Wrestler aus Mexiko – wir kennen ihn aus „Los campeones justicieros“ https://screenshot-online.blogspot.com/2015/09/grindhouse-nachlese-juli-2015-amoklauf.html –, ist Weltmeister in seiner Kunst, und zum Sport hat er den Film addiert. Hunderttausend Filme hat er gedreht, plusminus, als edler Kämpfer für das Gute, und als fairer Kämpfer im Ring. 1973 verschlägt es ihn nach Spanien, aus seiner mexikanischen Heimat, wo die Filme um Ringkämpfer, die das Verbrechen bekämpfen, höchste Publikumsgunst genießen. Und wo es gar nicht weiter auffällt, dass Santo und Co. bei allem, was sie tun, ihre Ganzkopfmaske aufhaben. Auch im Anzug, auch bei der Ankunft am Flughafen. Völlig normal, man fragt ja auch nicht, warum Buster Keaton einen flachen Hut aufhat und Harold Lloyd eine runde Brille.

Ins Museum wird eingebrochen. Wir sehen den Einbruch detailliert, es hat Tom Cruise-Qualitäten, wie der Verbrecher sich vom Oberlicht abseilt hinunter in den sorgfältig gesicherten Raum. Er versprüht was aus der Sprayflasche. Das ist der rätselhafte Beginn von Santo contra el doctor Muerte. Es geht um einen mysteriösen Kunstschaden: Ein Velazquez-Gemälde wurde nach einer Leihgabe von Mexiko aus nach Spanien zurückgebracht, und jetzt ist es zerstört. Obwohl es immer bewacht war! Zum Glück kann Dr. Mann helfen, der ist Kunstsachverständiger und Restaurator in seinem großen Schloss. Und da wird es noch rätselhafter, weil nicht nur eine Menge schöne Mädchen da rumhängen, die drauf warten, dass er sie zum Modellsitzen für eine Malsession ruft, sondern auch der blinde Bruder rumgeistert. Und irgendwo ist eine Kammer mit kranken Frauen, und ab und an wird eine mit Gewalt rausgeholt, und dann wird operiert und irgendwas aus ihrem Bauch geholt. Im Nebenraum werden derweil Gemälde in großem Stil gefälscht.

Santo wird als spezialbeauftragter Agent auf den Fall angesetzt, zumal er in Spanien ohnehin ein paar Weltmeisterschaftskämpfe zu bestehen hat. Er fährt also zweigleisig: abends im Ring, und tatsüber am Ermitteln. Die Ringkämpfe sind wahrscheinlich echt, quasi dokumentarisch gefilmt, und wenn auch zu Beginn drei Kämpfe versprochen wurden, gibt es doch nur zwei zu sehen. Wahrscheinlich, weil die Moves sich halt doch gleichen. Aber man kann Santos Technik schön sehen, viel Beinarbeit, Beinscheren, mit denen er die Gegner rumwirbelt, und immer wieder Hechtsprung. Dies kommt ihm natürlich zugute im Kampf mit den Verbrechern, die sich immer wieder drauf einlassen, ihn besiegen zu wollen. Ha, lächerlich! Immer wieder schöne Kämpfe, es ist herrlich!

Man will ja nicht komplett spoilern. Aber eigentlich muss ich doch, weil das ist zu hammermäßig. Dieser Irrsinns-Plot, um sich die weltbeste Gemäldesammlung anzueignen! Rembrandt ist schon da und Da Vinci (klar, die Mona Lisa), und jetzt kommt der Vélazquez dazu: Die gefälschten nämlich werden zurückgegeben, die Originale behalten, und wie wird gefälscht! Es ist höchst geheimnisvoll. Man muss wissen, dass Dr. Mann nicht nur Kunstwissenschaftler, sondern auch Chemiker ist. Und mit Hormonen oder so kann er in den armen Frauen in der Kammer – ach, ich will’s nicht sagen! Jedenfalls wird gezüchtet, als geheime Zutat im Fälschungsprozess, und dann stimmt sogar das Alter des Neudrucks, so dass die Fälschung nicht bemerkt werden kann von den Museen. Der blinde Bruder übrigens ist nicht blind, sondern fast noch schlimmer als der Doktor, er täuscht sie alle und kann machen, was er will. Vor Jahren, und jetzt wird’s wirklich kompliziert, hat er sich im Louvre als Dr. Schwarz ausgegeben, Kunstsachverständiger, weil damals der Rembrandt ganz merkwürdig zerstört war… Der echte Schwarz übrigens ist natürlich tot. Dr. Mann lebt, als Mastermind, mit Blind-Bruder als Handlanger, und vielleicht hilft es beim Verständnis zu wissen, dass der Keller des Schlosses aus tiefen, grob in Fels gehauenen Gängen besteht, mit Geheimtüren und Geheimkammern und so, und, wie wir am Ende sehen werden, auch mit Geheimfallen, die einen Lucas/Spielberg vor Neid erblassen ließen, weil ist ja viele Jahre vor Indiana Jones! Nicht einfach nur ein Fels, der runterfällt, auch MGs, die schießen, und Pfeile, die schießen, und Feuer und so!

Im Grunde ist das vielleicht das spanische Element im mexikanischen Wrestlerfilm: Dass die Kulissen und der irre Plot um Operationen und Dr. Tod auch aus einem Paul Naschy-Film stammen könnten.

Santo muss sich durch das ganze Gewirr an Handlung durchringen, ein heimischer Polizeiagent und eine Spitzel-Frau im Schloss helfen, es ist eigentlich kein Problem. Und zwar wirklich nicht: Er drehte sichtlich viele der Stunts selbst, und wahrscheinlich hing er am Ende auch selber am Hubschrauber, ließ sich ins rasende Motorboot des Flüchtenden herab, und ist auch rechtzeitig rausgesprungen, bevor es explodierenderweis an der Klippe zerschellte. Santo, der silbermaskierte Meister!

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese Dezember 2022: Kidnapping und Weihnachtsmann-Schlächter

„Kidnapping... ein Tag der Gewalt“ / „Operazione Kappa: sparate a vista“, Italien 1977, R: Luigi Petrini

„Fröhliche Weihnacht“ / Don’t Open Till Christmas“, GB 1984, R: Edmund Purdom

 

Ich bin ja total erschrocken!!!: Da beugt sich doch während des Filmvorspanns Max, der glorreiche Kurator der Grindhouse-Reihe, zu mir rüber, und raunt mich an: Na, wo haben sie geklaut, na, naa? Und ich, völlig perplex – ist das eine Fangfrage? Bin ich im Examen? Muss ich antworten ohne Anwalt? Dabei war’s eigentlich ganz einfach. Zu einfach; ich dachte, vielleicht werd ich ja aufs Glatteis geführt?!? Wenn jedenfalls in einer Film-Pretitle-Sequenz ein Typ im Auto mit einer Frau rummacht, und die Kamera ist subjektiv und schleicht sich um die beiden rum, und der Protagonist, mit dessen Augen wir sehen, hat ein Messer in der Hand und sticht den Typen ab, dann ist die richtige Antwort: „Halloween“. Hätt ich auch gleich drauf kommen können.

Dieser Beginn von „Don’t Open Till Christmas“ (mit dem schönen deutschen Verleihtitel „Fröhliche Weihnacht“) ist symptomatisch für den Film: Liegt klar im Genre, und man weiß trotzdem nicht recht, was man damit anfangen soll. Ist so einfach, dass es schon wieder kompliziert wird. Erzählt alles einigermaßen falsch, aber so, dass am Ende doch was rauskommt – sagen wir: was Besonderes.

Besonders nachlässig nämlich einerseits, und andererseits besonders interessant/irre, und besonders kaltschnäuzig vielleicht auch. Was schon damit anfängt, dass unser POV-Killer von der Eingangsszene laut Drehbuch einen Weihnachtsmanndarsteller beim Fummeln mit der Freundin killt – man dies als Zuschauer aber gar nicht recht mitbekommt, weil dieser Herr im ca. ersten Bild des Films, fürs Publikum quasi unsichtbar, sich die Santa-Maske vom Gesicht zieht, um besser knutschen zu können. Das Ganze kann man sich aber getrost im Nachhinein rekonstruieren, im weiteren Verlauf nämlich bietet „Don’t Open Till Christmas“ eine bunte Palette an Kills an, alle begangen an Weihnachtsmännern, alle auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Und das ist dann auch wirklich ganz besonders cool.

In einer reichlich betrunkenen Party tritt Santa Claus auf – und wird inmitten der Menschenmenge auf einer schäbigen kleinen Bühne aus schäbigen kleinen Kulissen heraus von hinten durchstoßen. Ein anderer torkelt betrunken durch die Hinterhöfe und wird in den Mund geschossen. Später – ein dolle Szene – fühlt sich einer der Father Christmases verfolgt, flieht durch die Stadt, eine Tür rein, und plötzlich steht er mitten im London Dungeon, unter all den ausgestellten Figuren vergangener Mord- und Foltertaten, und segnet hier natürlich auch das Zeitliche. Ein anderer taucht plötzlich in einem Theater auf, wo gerade Caroline Munro (als sie selbst in einem Cameo-Auftritt) auf der Bühne probt, und zack, ist er tot und taucht von unten, durch die Versenkung direkt vor den Füßen der Sängerin auf. Es ist recht blutig immer wieder, auch eine Kastration im öffentlichen Klo kommt vor. Es macht sichtlich allen Spaß, Weihnachtsmänner erfindungsreich zu morden!

Die Handlung, die der Film haben muss, weil jeder Film eine Handlung hat, die sackt dagegen doch immer wieder deutlich ab; zumindest, soweit es den Zusammenhang der Szenen angeht. Die Einzelteile, die haben das Zeug zu bestehen, und irgendwie, auf geheimnisvolle Weise, heben sie sich gegenseitig auf, wenn sie aneinanderstoßen. Bei der Polizei sind zwei Kommissare mit den Morden beschäftigt, und wenn sie sich unterhalten, dann kann es natürlich durchaus sein, dass sich Polizeikollegen auf diese Weise miteinander unterhalten, im Film ist es aber sehr, sehr langweilig. Außerdem mischt die Tochter des Weihnachtsmanns mit, der bei der kleinen Feier gekillt wurde; ihr Freund ist so nebenher verdächtig. Zwischendurch befinden wir uns in einer Peepshow, da geschieht auch ein Mord vor der sehr jung und unschuldig aussehenden Stripperin, die vom Killer aber auch nicht wirklich was mitbekommen hat. Und ein recht merkwürdiger Reporter ruft immer wieder an und gibt Hinweise oder will was wissen, und so weiter.

Die Stripperin avanciert irgendwie immer mehr zu so einer Art Hauptfigur, gesellt sich damit zu den anderen Hauptfiguren des Films (also Kommissare und Mordopfertochter); wobei der eine Kommissar als Hauptfigur irgendwann, ohne dass dies weiter thematisiert wird, aus dem Film verschwindet, dafür übernimmt sein Kollege dessen Hauptfigurenrolle. Warum auch nicht. Der Killer entführt irgendwann die Stripperin und hält sie im Keller gefangen. Er will eigentlich gar nichts von ihr, und sie hätte ihn auch kaum identifizieren können. Die Mordopfertochter dafür wird von ihrem arschigen Freund zu dessen noch viel arschigeren Freund geführt, der ist nämlich Fotograf, und die beiden haben ausgebaldowert, dass diese blonde Dame doch mal nackig fotografiert werden sollte. Passenderweise macht der Fotograf sowieso grade erotische Fotos von einer Dame, und unpassenderweise macht unser Fotoprofi auch noch sehr pietätlose Bemerkungen gegenüber der Mordopfertochter in Trauer, da ist die Beziehung am Boden, aber immerhin noch die halb ausgezogene Dame da. Die denn auch alsbald im Nikolauskostüm (also: nach wie vor reichlich nackig) außen auf der Straße fotografiert werden soll, aber da ist auch schon wieder der Killer hinter ihr her, sie mit all ihrer bloßen Haut in der Kälte des weihnachtlichen Londons!

Das passt alles nicht zusammen. Und das ist kein Wunder: Denn der Film, den Edmund Purdom mit sich selbst als Hauptkommissarshauptrolle Nr. 1 inszeniert hat, wurde alsbald nochmal komplett umgeschnitten und zu ca. der Hälfte neu gedreht, so dass beispielsweise die ganze Geschichte um die Auflösung des Falls (völlig hanebüchen natürlich!!!) ganz neu eingepasst wurde. Beziehungsweise eben gerade nicht eingepasst, sondern aufgezwungen und reingedrückt. Man wüsste unheimlich gern, wie der ursprüngliche Film geplant war, bevor wasweißich welche Szenen ihn komplett gesprengt haben.

 

Dieser wunderbare Weihnachtsfilm entließ die Grindhouse-hungrige Meute in die stille Zeit der Besinnung; zuvor wurden wir im ersten Film des Abends kräftig aufgemischt von einem italienischen, ja, beinahe möchte man sagen True-Crime-Thriller namens „Kidnapping… ein Tag der Gewalt“, der Bezug nimmt auf die Welle der Jugendgewalt im Italien der 70er, der wir beispielsweise auch schon „Wie tollwütige Hunde“ von Mario Imperioli 1976 verdanken; und der auch eine Verbindung mit Rolf Olsens „Blutiger Freitag“ aufweist, von 1972 und eine deutsch-italienische Koproduktion. Darin haben wir Raimund Harmstorff als kaltblütigen Geiselgangster; in „Kidnapping“ wiederum geht es gar nicht um Kidnapping, sondern ebenfalls um Geiselnahme – wahrscheinlich war das Phänomen damals so neu, dass man die Namen dafür schonmal durcheinanderbringt.

Auf einer Party begegnen sich zwei, Paolo und Giovanni; Paolo hat gerade die Tochter des Hauses ficken wollen, aber die Mutter hat dies rüde verhindert. Der andere hängt gelangweilt außen rum, liegt auf dem Sprungbrett des Pools und tut nichts. Sie kommen ins Gespräch, auch wenn sie beide sichtlich soziopathisch sind. Gemeinsam sitzen sie auf einem Kanonenrohr – so werden Freundschaften geschmiedet. Giovanni hat ein Problem mit dem Sex, seine Freundin – naja: die, mit der er’s mal probiert hat, hat ihn offenbar eingeschüchtert, er hat’s nicht gebracht. Paolo ist der Macker, der Stecher, der Rumtöner. Im Morgengrauen laufen sie heim, zünden ganz beiläufig einen Obdachlosen an – er strampelt mit den Beinen, das Feuer ist aus –, die Saat ist gelegt. Besuch bei der dickbrüstigen jungen Dame von Giovanni: Sie will ihn schon, findet das so schamvoll empfundene Versagen auch gar nicht schlimm, aber jetzt gerade hat sie keine Zeit. Also, was soll man(n) tun: Vergewaltigung. Und weil das Mädel schreit und die Nachbarin einschreitet, wird sie gleich mit einbezogen. Üble, sadistische Spiele improvisieren die beiden Tunichtgute. Ausziehen, die Damen müssen sich gegenseitig vergleichen, und vielleicht sind sie lesbisch? Sollen mitnand rummachen. Beide völlig panisch, tiefst verängstigt, total gebrochen. Paolo und Giovanni ficken sie zwangsweise. Ihre brutale Ausstrahlung profunder Bedrohung gibt ihnen, was sie wollen. Die ältere Nachbarin begehrt auf. Zack, ist sie tot. Das Mädel verspricht, keinem was zu sagen – die beiden ziehen ab.

Diese beiden sind ein unglaubliches Paar an Typen. Grausam, ohne Empathie, völlig selbstbezogen; Alphamännchen, oder zumindest tun sie so als ob. Voll Verachtung für die Gesellschaft und zugleich mit dem tiefen Drang, dazugehören zu wollen. Herumstreuner wider jede Autorität und sadistische Brutalos, die ihren Willen mit all ihrer Macht durchsetzen. Kleine Kinder vor dem Süßigkeitenregal, die Trotz mit Gangstermanieren paaren. Handtasche klauen, Auto klauen, einen Freund (ja, Paolo hat Freunde!) verkloppen und beinahe dessen Freundin ficken, um an seinen Rauschgiftvorrat zu kommen, damit Pistole besorgen und ein schönes kleines Hotelrestaurant betreten – und der erste Teil des Films ist abgeschlossen. Ein Teil, der puren Sadismus zeigt, sexuelle Gewalt, absolute Unmoral – und dies jedenfalls nicht reißerisch, sondern als bloße Beobachtung der Entwicklung dieser schlimmen Früchtchen.

Ach, was muss man oft von bösen Buben hören oder lesen oder in einem Grindhouse-Film sehen! Wie hier diese beiden, die vergewaltigen und morden und sich dabei noch als Opfer fühlen, weil sie vom Schicksal so gebeutelt sind, dass in der geklauten Handtasche nicht mal was Gscheits drin ist und das geklaute Auto ist auch doof, und jetzt, wo sie eh auf der Fahndungsliste stehen, können sie auch in dieses Restaurant gehen und die Pistole zücken und alle als Geiseln nehmen.

Da ist die Dame, die ihren Mann fest im Griff hat – der sich wiederum liebevoll kümmert in der Geiselsituation, wenn sie Insulin braucht. Da ist die Dralle, die möglicherweise stockholmmäßig Gefallen findet an den Gangstern – oder mit ihren unsubtilen Andeutungen ihr Leben retten will. Der Großsprecher, der Opa mit seinen Enkeln, die Französin etc.; und außen die Polizei, der Einsatzleiter mit Liebesproblemen, die Politik, die sich verweigert, und der eine Polizist, der vieles richtig machen will: Alle bekommen ein Eigenleben, alle haben Charakter, das macht den Film zu weit mehr als einem bloßen Jugendkriminalitätsschocker.

Bezahlt wird dies alles mit J&B-Werbung; der Whisky mit markant gelbem Label steht in ungefähr jeder Szene irgendwo rum.

 

Harald Mühlbeyer