Jubiläum: Zum 10. Mal findet dieses Jahr vom 18.6. bis 6.7. das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen, pardon: der Metropolregion Rhein-Neckar statt. Und macht selbstbewusst dem Filmfest München (27.6. bis 5.7.) Konkurrenz. Und was sind schon Gäste wie Walter Hill, Wim Wenders, Jean-Pierre Jeunet oder Klaus Lemke, dem in der bayerischen Hauptstadt eine Hommage gewidmet wird gegen die idyllische Parkinsel im Rhein?
Viel Spaß bei Screenshot!
Grindhouse-Nachlese Januar 2020: "Mosquito – Der Schänder" und "Der Krieger und die Hexe"
"Mosquito – Der
Schänder", Schweiz 1977, Regie: Marijan Vajda
"The Warrior and
the Scorceress" / "Der Krieger und die Hexe", USA 1984, Regie: John
C. Broderick

Jetzt: Wer hat's erfunden? Nein, nicht die Schweizer: Der
Film geht ziemlich akkurat dem Fall des "Würgers von Nürnberg" nach:
Kuno Hofmann hatte sich Anfang der 1970er bluttrinkenderweis' an weiblichen
Leichen vergangen und später ein Liebespaar ermordet, um auch deren Blut zu
saugen. "Mosquito" ist ein Film darüber, nur ganz leicht von der
Wirklichkeit versetzt.
Die namenlose Hauptfigur ist taubstumm – und das macht den
Film zum natürlichen Nachfolger, war doch in der vorherigen Grindhouse-Nacht
die stumme "Ms. 45" zu sehen gewesen, als Opfer, das zum Täter wird;
hier nun Werner Pochath in einer doch recht intensiven Darstellung des Täters,
der stets auch Opfer ist. Ein Buchhalter, penibel und genau, er ist ja nicht
abgelenkt vom üblichen, laut plappernden Bürogeplänkel seiner Kollegen und der
Kollegin, er bekommt zu Filmbeginn eine Gehaltserhöhung, weil er mit den
Tabellen der Prä-Excel-Zeit so gut umgehen kann. Zuhause dann sieht er die
Nachbarin, die sich wie immer das Maul über ihre Mitmenschen zerreißt, das
Nachbarsmädel – die wohl jung sein soll, vom Verhalten her vielleicht 13, 14,
gespielt aber von einer Frau an die 30 –, und der Handwerker im Erdgeschoss
prügelt seinen Sohn, keiner greift ein.
Rückgriff auf Mosquitos Kindheit. Der Vater prügelt ihn
wegen einer Kleinigkeit, mit dem Gürtel in der engen Stube, halb kaputt liegt
der Junge da, an der Tür dann die kleine Schwester: "Papa, Papa", er
nimmt sie in den Arm, auf dem Sofa schmiegt sie sich an ihn, er schmiegt
zurück, schmust, betatscht sie, und wie er ihr die Unterhose unterm Nachthemd
auszieht, das sieht der Junge mit Angst, Ekel und vielleicht auch Lust… Das ist
eine krasse Szene, und sie muss so krass sein: Sie ist der Schlüssel für
Mosquitos Taten, für sein ganzes Erwachsenendasein. Psychologie, Psychologieeee!

Was sich reißerisch anhört – Leichenschändung! Blutdurst! –,
behandelt der Film als ein Porträt des Alltags: Er folgt schlicht dem Täter und
ist damit anderen Filmen weit voraus; "Henry: Portrait of a Serial
Killer" lief auch mal in der Grindhouse-Reihe… Marjan Vajda – den die
Schweizer aus Kroatien importiert haben – beobachtet ganz ruhig die Untaten und
kontrastiert die (psychische) Erlebniswelt des Mosquitos mit seinem
gleichgültigen bis feindseligen gesellschaftlichen Umfeld: Ja, der Film ist
tatsächlich Drama.

Mosqito ist einer der unauffälligen Menschen, einer der
stillen Nachbarn, denen man "so etwas" nie zugetraut hätte.

Es geht um einen Brunnen, der liegt auf dem Dorfplatz, links
und rechts die Herren, die das Dorf je zur Hälfte im Griff haben, der eine hat
den Brunnen erobert, der andere hat Geld, es ist ein fragiles Gleichgewicht,
dahinein platzt der Krieger Kain, der die beiden gegeneinander ausspielt… Wenn
der Brunnen mal von der einen Seite erobert wird, kommen die gnomenhaften, in
Säcken gehüllten Bewohner der Stadt aus ihren Höhlen gekrochen und holen
Wasser, und am Brunnenrand tanzen nackte Damen im Tanga. Und der eine der
Herrscher – der harte Zeg – hat eine Frau in seiner Gewalt, Naja heißt sie, die
die ganze Zeit ziemlich nackig rumläuft, im Tanga, der auch mal die Farbe
wechselt. Und irgendwie kennt Kain sie von früher, sie soll irgendeinen Zauber
tun, es ist wurscht, Hauptsache ihre wohlgeformten Brüste sind schön im Bild.


Roger Corman steckt hinter dem Film, er hat ihn mit
Argentinien coproduziert, weil er von dort so viele schöne nackte Frauen in den
Film stecken konnte. Ein tolles Erlebnis.
Harald Mühlbeyer
Grindhouse-Nachlese Dezember 2019: Rape&Revenge, Söldnerquatsch und Weltuntergang
6. Dezember 2019: Grindhouse Triple Feature, Cinema Quadrat Mannheim:
"Ms. 45" / "Die Frau mit der 45er Magnum", USA 1981, Regie: Abel Ferrara
"Scorticateli vivi" / "Häutet sie lebend – Unternehmen Wildgänse", Italien 1978, Regie: Mario Siciliano
"Nosutoradamusu no daiyogen" / "Weltkatastrophe 1999? – Die Prophezeiung des Nostradamus", Japan 1974, Regie: Toshio Masuda
Ein Klassiker, keine Frage. Es gibt Bücher über Abel Ferrara,
es gibt im Deutschen zumindest ein Buch über das Rape&Revenge-Genre, "Girls
with Guns" genannt von Julia
Reifenberger, die sich recht ausführlich über "Ms. 45" aka "Die
Frau mit der 45er Magnum" auslässt, diesem Film, in dem Ferrara explizit
"eine omnipräsente Bedrohung von Frauen durch männliche sexualisierte
Gewalt" inszeniert: Thana ist stumm, und deshalb schreit sie nicht, als
sie im New Yorker Hinterhof bei den Mülltonnen vergewaltigt wird. Ist Schweigen
Zustimmung? Scheint so, für die Männer in dem Film, denn gleichzeitig bricht
auch einer in ihre Wohnung ein – das durch und durch kriminalisierte New York
der frühen 80er! –, und als sie ihn erwischt, vergewaltigt er sie auch noch.
Sie schreit nicht. Erwischt aber ihr Bügeleisen und erledigt ihn… Nach einigem
Zögern und einigen Skrupeln zersägt sie ihn in der Badewanne und packt ihn
stückweise in den Kühlschrank, um ihn nächtens Teilchen für Teilchen, so wie
der Mörder in "Rear Window", in der ganzen Stadt zu verteilen.



Und der nächste beginnt. Ich bin ja generell der Meinung,
dass Filme, die als "zynisch" charakterisiert werden, normalerweise
nicht zynisch sind. Sei's Billy Wilder oder Quentin Tarantino: Allenfalls, was
und wen wir auf der Leinwand sehen, sind Zyniker, die Zynisches tun; der Film selbst
aber ist in der Regel nicht zynisch, er zeigt, aber er affirmiert nicht,
zumindest nicht auf dem Grund seiner Ironieschichten. Ja: Die Unterscheidung
zwischen Figurenrede und Autorenrede fällt vielen nicht leicht, das Verstehen
von Lakonie oder Sarkasmus, oder auch die Unterscheidung zwischen einem Täter
und einem Boten der Tat – da wird leicht fälschlicherweise das Gezeigte zur Eigenschaft des Films.
"Häutet sie lebend – Unternehmen Wildgänse" aber ist durch und durch
zynisch, ein böser, böser Film, der es besser weiß, aber trotzdem das Böse
schafft. Eine geradezu unerträgliche Story von italienischen Söldnern ist
Afrika, die nichts als Verachtung vergießen, die gegen all die Paviane, die
schwarzen Gauner, das Negergesocks mit äußerster Brutalität und Grausamkeit
vorgehen, wie ein ungezogener Bengel Ameisen zertritt, und während draußen vor
den Strohhütten das Massaker zu hören ist mit MGs und Schreien, da muss man
zusehen, wie dem Kommandeur plötzlich der Blick starr wird vor geilem Begehren,
wie er fies zu grinsen beginnt, und die Kamera bleibt bei ihm, wie er sich
bereit macht, um dann, im letzten Moment, zur Seite zu schwenken, zur Frau in
Todesangst, um dann die fällige Vergewaltigung in aller Ausführlichkeit zu
zeigen, während draußen das Sterben ihres Dorfes zu hören ist.


Wie der Film sich auf die Seite der Verbrecher mit den MPs
schlägt! Wie er Unschuldige töten lässt! Wie er das auch ausweidet, wenn ein
junges Pärchen dem Mördertrupp in den Weg gerät, der Junge direkt getötet wird,
und dann im Eisenbahnwaggon ums Vergewaltigen des Mädchens geschachert und
gestritten wird, mit tödlichem Ausgang. Und wie dann Horden von Negern, viele
von ihnen Kinder, den Waggon angreifen, und wir sehen mit den Augen der Söldner
nur wilde Tiere, die als Zielscheiben dienen, völlig entmenschlichtes Futter
für die Handgranaten; dazu als Filmmusik eine Bassline, die von
"In-A-Gadda-Da-Vida" geklaut ist, Psychodelic-Rock zum Gemetzel – er
ist entsetzlich, dieser Film, und will dabei zwischendurch ganz heuchlerisch
noch Gefühl und Romanze einbauen, wenn die Bruder-Hauptfigur an die Geliebte in
Rom denkt, die er in der Anfangssequenz übrigens höchst degradierend behandelt
hat…

Am Anfang ein Labor, und der Oberwissenschaftler mahnt vor den
neuen Pflanzenschutzmitteln, und seine Kollegen tun das als Gewäsch ab, und wer
da nicht an Monsanto denkt! Später werden wir sehen, was draus werden kann,
Riesenschnecken, derer die Feuerwehr nur mit Hilfe von Flammenwerfern Herr
werden kann, zum Leidwesen unseres Wissenschaftlers, der die Schnecks ja
sezieren will und der so gerne Nostradamus zitiert. Aber der Agrarstrang ist
nur Nebensache, tatsächlich geht es um alles, um Sonne und Atome und um die
ignorante, alles verharmlosende Regierung und um eine Liebesstory am Rande des
Weltenabgrunds, man kann's gar nicht alles benennen.



Harald Mühlbeyer
Grindhouse-Nachlese Oktober 2019 – Heiliger Horror und irrer Horror
28. Oktober 2019, Cinema Quadrat Mannheim:
"Alice, Sweet Alice" / "Communion" / "Holy Terror" / Communion – Messe des Grauens", USA 1976, Regie: Alfred Sole
"Misterios de ultratumba" / "Der Tote kehrt zurück", Mexiko 1959, Regie: Fernando Méndez

"Alice, Sweet Alice" spielt in Paterson, New
Jersey, und der Wahnsinn, wenn man die Stadt wiedererkennt aus Jim Jarmuschs
Film, der den Namen der Stadt (und seines Protagonisten) im Titel trägt! Viel
hat sich nicht verändert in den 30 Jahren zwischen den Filmdrehs, und auch der
Charakter der Stadt ist in beiden Filmen persönlich, dörflich geprägt, jeder
kennt jeden und guckt nach allen. Einmal als poetische Filmmeditation. Das andere
Mal als beunruhigender Horrorthriller.



Brooke Shields jedenfalls ist tot. Und der Tante wird vom Treppenabsatz aus ins Bein gestochen, mit einem langen, bösen Messer, wie es Alice immer wieder in den Händen hat. Und dem Zuschauer ist jeder Boden unter den Füßen entzogen: Es könnte sein, dass der Film ein Whodunnit ist, der dem Zuschauer eine mutmaßliche kindliche Mörderin präsentiert, es ist aber dann eben alles doch ganz anders. Es könnte aber genauso gut sein, dass dem Zuschauer eine tatsächliche kindliche Mörderin präsentiert wird und dass alles so ist, wie es scheint, dass hier das Böse aus dem scheinbar so nächstenliebenden katholischen Milieu entspringt und in dieser Beinahejugendlichen explodiert. Die gelben Regenmäntel verweisen auf Nicolas Roegs "Don't Look Now", die Traumata der Vergangenheit, die losbrechen im Schrecklichen, und einmal – bezeichnenderweise hinter einem Sarg – sehen wir ein Plakat, das den Kinostart von "Psycho" ankündigt.

Zwei der irren Ärzte nämlich schließen einen Pakt: Zur
Erforschung dessen, was nach dem Tode kommen wird, soll derjenige, der zuerst
stirbt, dem anderen aus dem Jenseits Hinweise geben, ja, womöglich
zurückzukehren versuchen. Dies nun geschieht, aus einer Seance kommen die
Hinweise: Drei Monate später wird sich eine Türe öffnen, die wird Einblick ins
Jenseits bieten. Dafür werden merkwürdige Dinge geschehen… Beispielsweise kommt
eine Nachtklubtänzerin ins Irrenhaus, nicht als Patientin wohlgemerkt; und ein
junger Mann, der sie aus seinen Träumen kennt, folgt ihr; und der Arzt, der
noch lebt, verliebt sich in die Frau etc., und eine wilde Irre bricht aus und
geistert höchst verwirrt und höchst aggressiv durch die Hallen, und ein
Schlüssel taucht auf, und ein Kästchen enthält einen Dolch, der zuvor in einem
anderen Zimmer gelegen war, und der Tote wandert immer wieder als Schimäre
durchs Bild, insbesondere durch den tollen Innenof der Anstalt, eine
dschungelartige Ansammlung von Pflanzen, die wohl kaum eine beruhigende Wirkung
auf die Nerven der Patienten haben dürfte, bei all den Schatten, die sie an die
Wände werfen!
Während zu dieser Zeit in Deutschland Edgar-Wallace-Krimis mit Horrorelementen bestückt wurden, in England die knalligen Hammerfilme ihren Klassikerstatus erlangten, kommt aus Mexiko dieser wunderbare E.A.Poe-mäßige Horrorfilm, man könnte auch Vincent Price um die Ecke lugen sehen: Dunkelheit und Schatten und Überweltliches und Wissenschaft und das Schicksal, das Schicksal! Denn dem entrinnt keiner, und wer die Schwelle überschreitet, kommt um in all seinen Obsessionen, in seiner zielstrebigen Halsstarrigkeit, im Versuch, umzukehren, was immer schon bestand – in tollen Volten spielt der Film sein Finale aus, nicht als Explosion eines großen Konflikts, sondern als
unausweichliches Verpuffen eines großen
Traumes, der nie hätte geträumt werden dürfen. Weil der diesseitige Arzt die
jenseitigen Tipps nicht richtig hat lesen können (wollen), weil dann über zig
Banden und nach allerlei Andeutungen, falschen Fährten und kleinen Schocks und
Wendungen jeden das Los trifft, das für ihn bestimmt ist: Tote gibt es, und ein
von schrecklicher Säure entstelltes Gesicht, und Verwechslungen, und ein
Todesurteil – und dann wird die Schraube nochmal weitergedreht, und tatsächlich
wandelt ein Toter auf Erden, nicht nur ein Geist, sondern körperlich habhaft.
Doch was für ein Körper, und welch ein Geist…
Während zu dieser Zeit in Deutschland Edgar-Wallace-Krimis mit Horrorelementen bestückt wurden, in England die knalligen Hammerfilme ihren Klassikerstatus erlangten, kommt aus Mexiko dieser wunderbare E.A.Poe-mäßige Horrorfilm, man könnte auch Vincent Price um die Ecke lugen sehen: Dunkelheit und Schatten und Überweltliches und Wissenschaft und das Schicksal, das Schicksal! Denn dem entrinnt keiner, und wer die Schwelle überschreitet, kommt um in all seinen Obsessionen, in seiner zielstrebigen Halsstarrigkeit, im Versuch, umzukehren, was immer schon bestand – in tollen Volten spielt der Film sein Finale aus, nicht als Explosion eines großen Konflikts, sondern als

Ach, ich will nicht zuviel
verraten. Wem der Film unterkommt – vielleicht läuft er ja auch mal in einer
der regelmäßigen arte-Trashreihen –, der soll sich’s angucken, möglichst bei
Kerzenschein.
Harald Mühlbeyer
Grindhouse-Nachlese September 2019: New York und Philippinen
Grindhouse Double Feature, 28. September 2019, Cinema Quadrat Mannheim:
"Willie Dynamite", USA 1974, Regie: Gilbert Moses
"The Twilight People", USA/Philippinen 1972, Regie: Eddie Romero

Willie Dynamite hat, wie uns der Titelsong verrät, "seven
women in the palm of his hand", die für ihn anschaffen. Er hat sie aus der
Gosse geholt und damit an sich gebunden, jetzt bietet er ihnen als Arbeitsplatz
ein Luxushotel, als Klienten Geschäftsleute, die sich abends, weit weg von
zuhause, ein bisschen entspannen wollen. Ein Aufstieg, das flüstert er seinen
Miezen immer wieder ein, sie sind Teil eines Produktionsprozesses, wie am
Fließband, müssen Umsatz schaffen, und dafür haben sie diverse Annehmlichkeiten
wie Sicherheit, Willies Zuneigung und einen Einigermaßen-Anteil am
Erwirtschafteten. "Wir sind schließlich Kapitalisten!", ruft Willie
beim Spitzentreffen der Zuhälter-Funktionäre von New York, als ein Konkurrent
den Vorschlag macht, sich zusammenzutun, die Stadt aufzuteilen, füreinander
einzustehen. Eine Art Kartell; oder, andersherum: die Einführung des
Sozialismus in die Prostitution.



Verglichen damit ist der zweite Film des Abends vollkommener
Stuss, is' klar. "The Twilight
People" – jawoll, so was wie eine Literaturverfilmung, von H. G.
Wells' "Die Insel des Dr. Moreau", der Mad Scientist heißt hier Dr.
Gordon, er hat einen Helfer wie es sich für einen ordentlichen Bösewicht
gehört, der ist wild und blondiert und heißt Steinman, so eine Art Proto-HP
Baxxter in der Rolle von Christopher Walken als Psychopath vs. James Bond, im
Angesicht des Todes.
Der Film beginnt mit idyllischen Bildern zu idyllischer
Musik, die aber alsbald total unheimlich wird, obwohl nichts Bedrohliches zu
sehen ist. NOCH! Denn ein softer Typ mit weichen Wangen taucht in exotischen
Gewässern und guckt sich Fische an, als PLÖTZLICH böse Hände ihn greifen, unter
Wasser fesseln, und mit einem Kran wird er kopfunter an Bord einer Yacht
gehievt, und aber seine eigene Yacht ist gar nicht mehr da. Vielmehr eine sehr
hübsche Krankenschwester und Mr. Blondiepsychopath. Sie fahren zur exotischen
Insel, durch den Dschungel hin zur Villa von Dr. Gordon, bewacht von allerhand
philippinischen Handlangern. Der softe Typ ist ein Superforscher mit
Supergehirn, und weil er so ein guter Mann ist, will Gordon ihn für seine
Experimente. Und was für welche! Es geht um die Zukunft der Menschheit!


Das ist schon super. Kinderkarneval mit bisschen Blut und
Toten, mit einem Bat-Man, der auf dem Baum seine Flügel ausbreitet, als alle
mitnand durch den Dschungel fliehen, und man bedauert die Leute: Wie muss man
sich fühlen, als Schauspieler, wenn man ein tolles Angebot bekommt für einen
Science-Fiction-Horror-Abenteuerfilm, und dann stellt sich raus: Dir werden
Haare, Hörner oder Flügel angepappt, und du weißt, das sieht scheiße aus, und
du weißt, dass damit ein persönlicher Tiefpunkt erreicht ist, aber du weißt
auch, du musst das durchziehen, Vertrag ist Vertrag, und Mensch!, was wird die
Nachwelt sagen! Naja, Frau Grier ist ja ganz gut aus der Sache rausgekommen,
aber eine Karriere-Rakete war das wohl trotzdem eher nicht…

Harald Mühlbeyer
Grindhouse-Nachlese Mai 2019: "Maniac Cop" und "Patrick"
Grindhouse Double Feature, 18. Mai 2019, Cinema Quadrat Mannheim:
"Maniac Cop", USA 1988, Regie: William Lustig
"Patrick", AUS 1978, Regie: Richard Franklin
![]() |
Maniac Cop |
Selbstzweck: Wer definiert das? Der Zuschauer. Aber wohl
kaum der Zuschauer, der dem Selbstzweck, also der Befriedigung seiner
libidinösen oder brutalen Triebe, erliegt. Der "mündige", der
"aufgeklärte" Beobachter. Ist das gleichzusetzen mit dem
Sittenwächter? Zensurgeschichtlich auf jeden Fall. Was da oftmals mit
hanebüchenen Begründungen angemahnt oder gar verboten wurde… (Ich bin
glücklicher Besitzer der "6000 Filme", die die katholische
Filmkommission in den 50ern bewertet und oft genug verworfen hat…! Von der FSK
in den 80ern gar nicht zu reden.) Aber zum Glück gibt es auch zugewandte
Beobachter: Die innerlich mitgehen und geistig sich distanzieren, die
begutachten, analysieren, bewerten. Die sich mit den Filmen beschäftigen. (Ich selbst bin da nur ein
kleinstes Licht…) Man kann sich erfreuen, seinen Trieben freien Lauf lassen,
ist schließlich alles schön fiktiv und auf die Leinwand gefesselt; und kann
dabei drauf schauen, was das Gesehene filmisch ausmacht: Filmgeschichtlich, genrespezifisch,
zeitgeistlich.
Wenn nun der Selbstzweck, wie vage auch immer, auf das
Zeitgeistliche verweist – beispielsweise Blaxploitation auf die
Bürgerrechtsbewegung, Sexploitation auf die Liberation der Libido,
Nazisploitation auf den Muff von tausend Jahren unter den Talaren –, dann ist
er plötzlich kein Selbstzweck mehr, sondern so eine Art soziologischer Seismograph.
Ex negativo, von mir aus.
Der Punkt ist: Es ist nicht so einfach mit dem Reißerischen,
dem Selbstzweck, dem Grindhouse. Wobei andererseits: Die Filme, die im April im
Cinema Quadrat-Grindhouse-Double-Feature liefen, die waren denn doch
eindimensional. Unterhaltsam, das sicher: Aber in "Monkey Kung Fu" (aka "Hurra, die Knochenbrecher
sind da", Hongkong 1979, Regie: Mar Lo) ist Handlung auf alle Fälle wurscht.
Es geht halt vor allem um höchst
akrobatische Martial Arts, die direkt aus dem Zirkus stammen könnten –
Affentechnik meets Geier- und Betrunkenenstil, wenn zwei aus dem Gefängnis
Ausgebrochene es mit dem Gibbon-Clan aufnehmen: Das hat was von der guten alten
"Robert und Bertram"-Story, wobei Obacht: Die Millowitsch-Torriani-Filmversion
unbedingt meiden, und die von 1939 ist der Versuch einer antisemitischen
Propaganda-Komödie; bemerkenswert unlustig noch dazu…
Und mit "El jorobado de la morgue" (aka "Die
Stunde der grausamen Leichen", Spanien 1973, Regie: Javier Aguirre) hat
Paul Naschy – Drehbuch und buckliger Hauptdarsteller – einen billigen
Frankenstein-Abklatsch gedreht inklusive brennender Ratten und einem per
Menschenfraß gentechnisch kreierten Urzeitmonster, das aussieht wie ein in
Gummi gewickelter Komparse. Interessant: Spielt im bayrischen Flecken
Feldkirch, wohl, weil Frankenstein persönlich ja aus Ingolstadt kam… Ansonsten
aber halt doch eher Wegwerfware, bzw. Guck- und Genieß- und Abhak-Ware. Im
Vormonat waren Grusel und Kung Fu tatsächlich Selbstzweck. So wie Zirkus oder
Geisterbahn auch nichts anderes bedeuten wollen als sich selbst.

Dann werden plötzlich Szenen einer zerfallenden Ehe gezeigt,
ein Polizist, groß genug, um der Mörder zu sein, wird von seiner Frau (im
Nachthemd) durch die Straßen verfolgt, weil sie ihm nicht traut – bzw.: Weil sie
ihm alles zutraut. Und dann, lediglich: Eine Affäre, in einem billigen Motel.
Wütend zieht die gehörnte Ehefrau ab, und dann wird sie von bekannt muskulöser
Hand in einen Wagen gezogen. Und tags drauf tot im Motelbett gefunden. Und die
Polizei, die schnelle Aufklärung liebt, mehr noch als die Wahrheit, die hat den
gefunden, den sie als den Killer hinstellen kann. Nur ist da noch besagter
erfahrener Cop. Und eine Frau mit Gehkrücke. Und am Pier 14 dieser Hüne, der
rachsüchtige Bösewicht. Und so spitzt sich alles zu, ein ganzes Polizeirevier
wird massakriert, die St. Patricks-Parade beinahe zur Killerkatastrophe – das
ist alles zwar in B-Film-Manier gefilmt, aber herausgesogen aus den Straßen von
New York, nicht unähnlich dem "Taxi Driver", Urbild des Stadtgewaltfilms.
Am Ende dann ein erstaunlich großartiger Stunt, ein Gefängniswagen der Polizei
fällt mitsamt durchstoßenem Killer und dem Helden auf dem Trittbrett in den
Hudson River, und nein: Das ist keine Puppe, die im Stürzen vom Auto abspringt,
das ist ein tatsächlicher Mensch! Doch gerettet ist erstmal niemand, die
Unsicherheit geht weiter im Hinweis auf das Sequel, das Lustig denn auch
pflichtschuldig zwei Jahre später drehte.



Ein tauber, stummer/dummer, blinder Junge liegt im Krankenhausbett,
völlig karthatisch, ohne sichtbare Regungen, scheinbar ohne Sinneswahrnehmung. In
einem ruhigen Land der Vibrationen hat er Gedanken, so kühn, wie Gedanken nur
sein können: Die Krankheit wird sicherlich seinen Verstand erreichen, und er
spielt zwar nicht Flipper, aber dafür mit allen Gegenständen, die seine
Gedankenmacht erreichen kann. "Patrick",
so der Filmtitel, ist ein Telekinesefilm, das ist ja schon mal selten. Ein
Film, der reingeht in die Gedankenkraft seiner Titelfigur, die die allermeister
Zeit reglos, mit weit geöffneten Augen, im Krankenhausbett liegt. Und die
dennoch ihre Umgebung manipuliert. Wie, glaubst du, macht sie das? Ich weiß es
nicht!

Was hier, in der schnellen Zusammenfassung, krude und
durcheinander wirken mag, entwickelt der Film mit langsamer, zwingender
Stringenz. Und genau das macht ihn aus: Wie er einerseits den privaten Trouble
der Krankenschwester zeigt, die sich von ihrem Mann getrennt hat und sich einem
Playboy-Arzt zuwendet – und die andererseits ihre Pflicht tut bei den täglichen
Schichten mit dem Patienten Patrick, der reglos und anscheinend hirntot
dahinvegetiert, seit drei Jahren. Zuvor, am Anfang des Films, das Schockerlebnis
für ihn: Die Mutter, die mit einem Mann rummacht, ohne an Patrick im
Nebenzimmer den kleinsten, lusttötenden Gedanken zu verschwenden. Der daraufhin
den beiden in der Badewanne den Garaus macht. Und sich in sich selbst
verschließt. Vermutlich, der Film legt es nahe, in ultimativem Narzissmus.
Vielleicht aber auch das Opfer langjähriger Vernachlässigung? Oder das Böse an
sich?
![]() |
Keine Heidi weit und breit. |

Und wenn diese Oberschwester in ihrer roten Tracht vor grün
gemustertem Teppichboden von oben gefilmt wird, wie sie versucht, in Tommys,
Verzeihung: Patricks Krankenzimmer einzudringen, dann hat das was von den
labyrinthischen Fluren des Overlook Hotels. So, wie Patricks starre Augen die
von Alexander DeLarge sind, während der hirnzerfressenden Ludovico-Therapie.
"Patrick" hat nichts Grelles. "Patrick"
ist wie Patrick: Scheinbar bewegungslos, aber mit größter Wirkung. Das hat der
Film dem "Maniac Cop" voraus, der auch mal auf seine heftigen Szenen
setzt, auf das krasse Zeigen von Gewalt und auf die Action. Was ja klar ist,
weil es sich um einen Killer-Thriller handelt.
Was kann dies alles nun aussagen? Kommen wir weiter in unseren Überlegungen? Klar ist, dass die Filme des Mai-Grindhouse-Abends, ihre je eigenen Philosophien haben. Sind die auszuformulieren, in Worten? Oder nur in Film auszudrücken, in einer Form, die interpretativ unklar bleibt und doch Ahnungen hervorruft? Vielleicht ist das ja das Geheimnis, das die Grenze zwischen Trash aka Selbstzweck und B-Movie aka verkanntes Kunstwerk ausmacht: Dass das Reißerische auf der anderen Seite nur die Hirnareale aufreißt, die sonst für Körpersäfte zuständig sind, für Blut- und Spermafluss, und die im Sinne des Kultur- und Zivilisationsprozesses besser unterdrückt bleiben. Und bei Filmen der "höheren Kategorie" wird das Hirn rechts- und linkshälftig aufgerissen, zueinander gedrückt, ineinander verschoben, so dass sich Assoziationen ergeben, die das Psycho- und Philosophische erreichen, zumindest ansatzweise, zumindest… Die etwas aussagen über den Menschen, über das Böse und über das Gute, das über Banalitäten hinausgeht: Eben nicht hanebüchen zwei Holzstücke zusammenfügen, um weitere Bösewichter vermöbeln zu können, wie im Hongkongaprilfilm, oder einen Mad Scientist den buckligen Diener schöne Frauen killen lassen wie im Paul Naschy-Vehikel. Sondern, ob gewollt oder nicht, etwas aussagen über die conditio humana: Im New York der Dauerkriminalität oder im Spinnennetz der menschlichen Beziehungen, auch, wenn die rein über Gedankenkraft gelenkt werden.
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A bsoffene G'schicht: Unbemerkt aufgenommenes Selfie des Autors beim Verfassen dieses Textes. |
Und dabei nicht allzu laut werden. Das "Zuviel" vermeiden. Das "Zuviel" ist ja ohnehin ein Schlüssel in mehrerlei Hinsicht: Zu große Ambitionen des stümperhaften Regisseurs, zu nackig, zu blutig, zu eklig, zu wenig von allem – das kann alles eine Rolle spielen, jenseits von allem Inhaltlichen. Wichtig bei der hingebungsvollen Beurteilung ist eben auch: Die handwerkliche Fertigkeit der Filmemacher. Ein Knallophag wie das März-Filmdebakel "Dolemite" ist zwar höchst vergnüglich – sagt aber, trotz seiner Bemühungen, herzlich wenig über die Black Community aus. Aber andererseits ist ein High End-Produkt, das super aussieht, vom Reißerischen nicht weit weg. Ich sach mal: Star Wars.
Harald Mühlbeyer
Grindhouse-Nachlese März 2019: "Dolemite" und "Hi-Riders"
Grindhouse Double Feature, Cinema Quadrat Mannheim, 30. März 2019
"Dolemite", USA 1975, R: D'Urville Martin
"Hi-Riders – Jungs lasst die Fetzen fliegen" / "Hi-Riders", USA 1978, R: Greydon Clark

"Dolemite"
war sein erster filmischer Versuch. Ziemlich vollkommen missglückt. Gerade
deshalb sehenswert: Man muss ja auch gerade im retrospektiven Blick das Scheitern
schätzen lernen können. Gleich in der ersten Szene, Dolemite sitzt im Gefängnis
und hat seine Mitgefangenen offenbar schon lange zu Kumpels gemacht, da ist oben
links was zu sehen, ziemlich direkt vor der Kamera, wahrscheinlich 'ne Lampe
oder so, irgendwas Filmtechnisches vom Drehort auf jeden Fall. Später, das ist
mit das Lustigste, redet Dolemite mit einem Junkie auf der Straße, und unten
rechts hockt der Tonmann mit seinem Mikro – und
man sieht ihn!!! Es war wohl tatsächlich so, dass Kameramann Nicholas Josef
von Sternberg – jawoll: Sohn des Josef von, der Marlene Dietrich zu der machte,
die sie war! –, dass dieser junge Filmenthusiast überhaupt nicht wusste, wie
eine Filmkamera funktionierte, weil er wie die Jungfrau zum Kind zu dem Job gekommen
war, und so hat er das Bild zu sehr aufgezogen und man sieht Mikros,
Beleuchtung und alles das, was eigentlich ausgespart bleiben sollte…

Handlung: Nullachtfuffzehn. Dolemite war zwei Jahre im
Knast, aber der Knastchef und Dolemites Freundin Queen Bee wissen, dass er
unschuldig ist, weil er von Cops reingelegt wurde, die ihm gestohlene
Pelzmäntel und zwei Packen Rauschgift im Kofferraum untergejubelt haben. Das
sehnwer in einer Rückblende und auch Dolemites Kampf, sich der Verhaftung zu
entziehen: Weil er kann ja Kungfu, oder vielleicht auch Karate, ist alles nicht
so richtig auszumachen, zumal die Schläge ja weit von den Körpern der Gegner
entfernt bleiben, die aber trotzdem umfallen, und natürlich sind die Kämpfenden
viel zu unbeholfen, um irgendeine Art von Choreographie hinzubekommen. Im
Abspann immerhin ist als erstes der Martial Arts-Einweiser genannt, und ein
nettes Dankeschön an die Chuck Norris-Karateschule gibt es auch.



Die beiden sind so was wie die pärchengewordene Variante des
Fahrers und seines Mechanikers aus "Two-Lane Blacktop", wie der Film
sich ohnehin aus dem ganzen Individualisten- und Freiheitstopos speist, den das
sagenwirmal semi-undergroundische, newhollywoodische US-Kino der vorvergangenen
zehn Jahre, also seit Ende der 60er, hervorgebracht hat. Die ganze Bande von
"lost boys" (inklusive ein paar weiblicher Anhängsel) macht sich auf
zu einem großen Wagenrenn-Festival, bleibt aber in einer Kneipe am Wegesrand
hängen. Dummerweise. Denn Billy, der ja ohnehin gerne wettet und ab und zu
unfair fährt, fordert einen Einheimischen raus. Zweimal. Das zweite Mal geht's
schlecht aus. Die beiden krachen in eine Baustelle, da, wo die Gastanks stehen,
und es gibt enorme Explosionen, und damit fängt der Ärger an.


Was heute ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint, wenn inzwischen – m. E. zurecht – junge, rücksichtslose als Mörder verurteilt werden, die hier aber die Guten sind.
Kein großer Film, das Budget nur minimal höher als beim
Low-Budget-Dolemite – aber effektvoll inszeniert, ohne grobe Fehler, wenn man
mal von der Softrock-Musikberieselung absieht, wo sehr mau bei Fahrtszenen
Einfach-Riffs eingesetzt werden, die sogar Status Quo-Fans beschämt weggucken
lassen, und zwischendurch, bei Romantik, säuselt die Akustikgitarre… Aber
sonst: Gutgut.
Und: Sehen wir da nicht mal eines der Hi-Riders-Autos mit
"Dolemite"-Aufdruck…? Göttliche Fügung, würde ich sagen.
Harald Mühlbeyer