Gespräch
mit Hellmuth Karasek anlässlich der Eröffnung der Fotoausstellung „Eins, zwei,
drei – Billy Wilder“ im Jüdischen Museum Rendsburg am 17.6.2012
von Tonio Gas, mit Bettina
Uhlich
Hellmuth Karasek, Autor,
Experte und Freund von Billy Wilder, war als Festredner zur
Ausstellungseröffnung geladen und gewährte uns anschließend Zeit für ein
Gespräch. Herr Karasek konnte schon zuvor in einer manuskriptfreien Rede mühelos
auf dem schmalen Grat zwischen anekdotischem Witz und ernsthaften Bezügen zum
NS-Terror wandeln. Und so entwickelte sich auch das Interview zu einer
anregenden persönlichen Unterhaltung, in der Karasek freimütig von seinen
Erfahrungen und Kenntnissen Zeugnis gab, über Größen wie Marilyn Monroe, Jean
Harlow, aber auch Quentin Tarantino, über sein Talent als Witzeerzähler, seinen
Nicht-Sex mit Marilyn Monroe und über eine Verbindung von Billy Wilder zu
Heinrich Heine, Oberst Redl und Romy Schneider.
Karasek: Mein
erster Verleger hatte Billy Wilder gesagt, mein Buch „Billy Wilder – eine
Nahaufnahme“ werde ein Riesenerfolg. Filmbücher werden nie Riesenerfolge in
Deutschland, nie! Und Billy Wilder dachte immer, der Verleger ist ein Betrüger
und zahlt nicht. Er hat gedacht, er verdiene damit so viel wie mit „Some Like
It Hot“. Die Filmleute sind da immer sehr enttäuscht. Filmbiographien haben
keine großen Auflagen. Anthony Quinn, der weltberühmte Schauspieler, hatte in
Hamburg im Thalia Theater die Buchpremiere seiner Autobiographie. Ich hatte
eine Einleitung gemacht, das Theater war gerammelt voll, die Leute haben sich
das signieren lassen, aber der Verlag hatte eine Auflage von unter 10.000
Stück, glaube ich. Nein, Filmbücher kauft man nicht!
Uhlich: In
Deutschland nicht.
Karasek: Ja, in
Deutschland nicht. Ich hätte es merken müssen, als ich zu meiner Mutter sagte:
„Du, ich fahre zu Billy Wilder nach Hollywood.“ Da hat sie gefragt: „Wer ist
das?“ Ich habe gesagt: „Some Like It Hot“, und sie: „Ach ja, dieser herrliche
Monroe-Film.“ Das heißt, Regisseure kennen Leute nicht.
Gas: Nur
Hitchcock, der konnte sich selbst so gut als Marke inszenieren, immer dieser
schwarze Anzug…
Karasek: Der war
die Marke!
Uhlich: Aber nach
Hitchcock kommt doch auch schon ganz schnell Billy Wilder.
Karasek: Er kommt
vor Hitchcock, aber er ist nicht so bekannt. Haben Sie einen Zettel?
Karasek demonstriert
durch verschiedene Schriftgrößen die allgemeine Bekanntheit von Darstellern und
Regisseuren.
Karasek: Ich
zeigen Ihnen mal was: SOME LIKE IT HOT. Jack Lemmon. Marilyn Monroe – so groß,
mit Bildern auf dem Plakat. (Dann schreibt Karasek unten sehr klein weiter) Ein
Film von Billy Wilder.
So war das damals, das ist wie wenn es in Salzburg heißt:
KARAJAN – dirigiert Mozart (schreibt es auf, jedes Wort kleiner als das
vorherige). Also, ich übertreibe ein bisschen, aber so ist es.
Gas: Ich kann das
bestätigen. Ich hatte kürzlich jungen Hochschulabsolventen erzählt, dass ich zu
einer Billy-Wilder-Ausstellung fahre, und man sagt immer „Some Like It Hot“,
wenn jemand fragt, wer Wilder ist. Und dann wissen die Leute Bescheid, ganz
junge Leute, es ist heute noch so.
Sie hatten im Vortrag schon gesagt, dass Sie beruflich
erstmals anlässlich der 1985er Wiederaufführung von „Eins, zwei, drei“ mit
Billy Wilder in Kontakt kamen. Und privat? Wann haben Sie überhaupt zum ersten
Mal von dem Namen Billy Wilder gehört?
Karasek: „Some
Like It Hot“ war der erste Kultfilm, den gab es im Programmkino. Dann gab es
etwas sehr Verdienstvolles: Filmereihen in den dritten Fernsehprogrammen. Da
sind dann die Filme auch gekommen, Stummfilme und Tonfilme. Und ich habe für
den „Spiegel“ noch Kritiken zu Filmen von Wilder geschrieben, die neu ins Kino kamen.
Zum Beispiel „The Front Page“, die Wiederverfilmung von „His Girl Friday“ von
Howard Hawks. Billy Wilder hat auch eine schöne Version gemacht, damals mit
Bezug zu Watergate. Diesen Film habe ich also zu seinen Lebzeiten besprochen.
Gas: Beginnen wir
einmal mit Wilders Schaffen in der Zeit, als er nach Hollywood kam, in den
1930er Jahren. Eine sehr turbulente Zeit, es gab US-Nazis, den Ku-Klux-Klan,
die rassistische und antisemitische Terrorgruppe Schwarze Legion, die
Anti-Nazi-Filme der Warner Brothers. Was meinen Sie, warum Wilder und sein
Studio, die Paramount, so etwas nicht gemacht hatten?
Karasek: Die
Paramount hat das später gemacht, auch Billy Wilder. „Stalag 17“ (1953), das
ist ein Film, der in einem deutschen Gefangenenlager für Engländer spielt. Er
hat 1943 „Five Graves to Cairo“, einen Film gegen Rommel gemacht.
Gas: Aber in den
30ern hatte er es doch eher mit dem Lubitsch-Touch…
Karasek: Da hat
niemand Filme über die Nazis gemacht. Gerade Lubitsch hat einen gemacht, mit „To
Be Or Not To Be“, das ist der erste Nazifilm über Hitler, den ich kenne [Anm.:
Der Film ist 1942 herausgekommen. In „Confessions of a Nazi Spy“, 1939, und in
Chaplins „The Great Dictator“, 1940, kommt Hitler zumindest indirekt vor].
Chaplin hatte die Amerikaner dann sehr verärgert mit seinem
„Großen Diktator“. Ich erinnere mich, dass ich in Hollywood war, bei Spielberg,
als „Schindlers Liste“ herauskam, und ich saß im Wilshire, Beverly Hills, an
der Bar. Die Amerikaner sind ja sehr gesprächig, und jemand fragt mich: „Was
machen Sie denn hier?“ „Ich guck’ mir ‚Schindlers Liste’ an“, darauf sagt er:
„I love Spielberg, but in this film, he mixes politics and movies, that’s never
good.“ Das ist eine alte Hollywoodtheorie. Man macht keine Politik in Filmen.
Das war in den 40er Jahren die große Ausnahme, dass man das machte.
Gas: Manchmal
drückt sich bei Wilder eine sehr kompromisslose Haltung aus, beispielsweise im
Umgang mit der NS-Vergangenheit, wenn er vorschlägt, bei den Passionsspielen
echte Nägel zu verwenden, wenn ein NS-belasteter Mann den Jesus spielen soll…
Karasek: Nein,
das war natürlich ein Witz! Und eine zynische Haltung. Er hat ihn dann auch
spielen lassen, und sie haben keine echten Nägel benutzt.
Gas: Ich wollte
damit auf Folgendes hinaus: Einerseits das Scharfzüngige, vielleicht Zynische,
andererseits die Zusammenarbeit mit Charles Lindbergh, einem Antisemiten, bei „Lindbergh
– Mein Flug über den Ozean“, 1957. Wie verlief diese? Ich habe gehört, sehr
gut, und dass Wilder sehr tolerant war!
Karasek: Ja, das
waren sie wohl beide. Es gibt eine Geschichte, die ich auch in meinem Buch erzähle,
wo er mit Lindberg von New York nach Washington fliegt, und es ist ein sehr
unruhiger Flug. Da hat er zu Lindberg gesagt: „Das wär schön, wenn das Flugzeug
jetzt abstürzt und es hieße: ‚Lindbergh stirbt zusammen mit einem berühmten
Juden’.“ Lindbergh könnte eigentlich ein Chaplin-Held sein. Er hatte drei
Ehefrauen zur gleichen Zeit, er hatte in der Schweiz eine Geliebte, ihre
Schwester in München und eine Frau in Amerika. Jetzt weiß man auch, warum er so
oft geflogen ist!
Gas: Gut, aber
kompromisslos war Wilder doch anlässlich von „Stalag 17“, bei dem in der
deutschen Synchronfassung aus dem deutschen ein polnisches Lager gemacht werden
sollte. Da hat er gesagt: Entweder Sie entschuldigen sich oder ich drehe nie
wieder einen Film für die Paramount. Und letzteres geschah!
Karasek: So ist
es tatsächlich gekommen, das stimmt, da war er kompromisslos, das ist ein gutes
Beispiel.
Gas: Also doch
ein Bruch, dass er dann mit Lindbergh zusammenarbeiten konnte?
Karasek: Nein,
das war es nicht, das war kein Bruch. Ich wollte noch eines erzählen: Wilder
hat es sehr imponiert, dass Lindbergh, dieser amerikanische Nationalheld, mit
dem Bus zu ihm gekommen ist, in Hollywood, als Offizier. Der war ein straighter
Mann, und das hat Wilder schon imponiert. Ich meine, wenn Sie den Rommel-Film „Five
Graves to Cairo“sehen, wissen Sie, dass er auch Rommel, den Erich von Stroheim
spielt, nicht etwa als Bestie zeichnet. Er hat schon echte Charaktere gesucht.
Sie müssen sehen, dass er eigentlich immer ein Feind von ideologischen
Verbiegungen war. Er hat das Drehbuch zu „Ninotschka“ geschrieben, den
Lubitsch-Film – na wenn das nicht der Film ist, der sich am meisten über den
Kommunismus lustig macht.
Gas: Ja, dieses
Ideologiekritische, das sieht man in „Five Graves to Cairo“ bei der Frau, die
Anne Baxter spielt, die sich zunächst immer durchlavier. Und sobald sie sich
entschließt, sich für „die Sache“ einzusetzen – stirbt sie! Das ist doch
bezeichnend!
Karasek: Ja, ja!
Und bei „Five Graves to Cairo“ finde ich den schönsten Einfall, wie der
ägyptische Hotelbesitzer die Bilder wechselt. Wenn Hitler vormarschiert, kommt
immer das Hitlerbild, und bei den Engländern das Montgomerybild.
Gas: Und bei
„Eins, zwei, drei“, 1961, rutscht der Chruschtschow aus dem Rahmen und Stalin
ist dahinter. Haben Sie sich nicht nur bei „Stalag 17“, sondern auch bei
anderen Filmen mit diesen ganzen Umsynchronisierungen beschäftigt? Das gab es
ja noch später, dass die bösen Nazideutschen wegsynchronisiert wurden,
beispielsweise in den 80ern bei einem James Bond, „Im Angesicht des Todes.“
Warum hält sich das so hartnäckig?
Karasek: Also,
bei „Inglorious Basterds“, dem Tarantino-Film, wird nix mehr
umsynchronisiert!!! Den liebe ich sehr, haben Sie den gesehen? Das ist ein so
irrer Film. Ich hatte die Inhaltsangabe gehört und dachte, in den Blödsinn gehe
ich nicht rein. Aber das ist ein so toller Film! Glauben Sie mir, da wird
nichts mehr geschönt! Zurück zu Veränderungen für den deutschen Markt:
Filmleute wollen Geschäfte machen. Das ist völlig legitim. Und wenn die
Deutschen das nicht sehen wollten… Das berühmteste Beispiel ist „Casablanca“,
da hat man diese Liedergeschichte herausgenommen, wenn die deutschen Besatzer „Die
Wacht am Rhein“ singen und die Freiheitskämpfer setzen dem die „Marseillaise“
entgegen. Es gibt viele Beispiele für so etwas. Auch sehr berühmt ist
Hitchcocks „Notorious“, 1946, der auf Deutsch „Weißes Gift“ Genannt wurde. Da
wurde ein Nazifilm zu einem Rauschgiftschmuggelfilm, völlig umsynchronisiert. Und
ehrlich gesagt, es spielt keine Rolle, es geht genauso gut.
Uhlich: Es musste
sich in Deutschland verkaufen…
Karasek: Dabei
waren die Nazis für diesen Film nur ein Aufhänger. Hitchcock hatte übrigens
damals Schwierigkeiten mit dem amerikanischen Geheimdienst, weil er
suggerierte, dass die Nazis von den Atomplänen der Amerikaner wussten. Der
Geheimdienst hatte Angst, dass herauskommt, dass die Amerikaner die Atombombe
bauen.
Gas: Inwieweit
drückt sich Billy Wilder als Regisseur und Autor über seine Filme aus? Ich
denke da an Fritz Lang, der nicht so eloquent war und meinte, er will sich
nicht erklären, er will sich über seine Filme ausdrücken. Andererseits sagt
Billy Wilder, wenn er traurig war, habe er Komödien gemacht, und umgekehrt. Hat
er sich nicht über seine Filme ausgedrückt? Oder war das komplementär, so dass
das eine das andere ergänzt hat?
Karasek: Das mit
„traurig und lustige Filme“, das ist wahr und nicht wahr, und gleichzeitig ein
Bonmot. Aber schon Heine hat gesagt: „Aus meinen traurigen Geschichten mache
ich die lustigen Lieder.“
Gas: Beides ist
bei Wilder sehr dicht beieinander. Als Dreizehnjähriger habe ich „Das
Apartment“, 1960, gesehen, es hieß „Komödie“. Und dann ist das so unendlich
traurig, also heute liebe ich den Film…
Karasek: Ja, es
heißt „Komödie“, und dann kommt ein Selbstmordversuch vor… Im Übrigen habe ich
in meinem Witzbuch „Soll das ein Witz sein? Humor ist, wenn man trotzdem lacht“
einen sehr schönen Wilder-Witz aus der „Apartment“-Zeit:
Da gibt es ein junges Paar in New York. Sie wohnt bei ihren
Eltern und er wohnt mit Freunden zusammen, und sie können’s nie in der Wohnung
miteinander machen. Eines Tages kommt sie zu ihm und sagt: „Es wird Herbst und
im Auto und im Park wird’s immer kälter, aber ich hab eine wunderbare Idee.
Meine Eltern werden dich am Sonntag zum Mittagessen einladen. Du wirst kommen,
wirst meiner Mutter einen Strauß Blumen mitbringen und meinem Vater Zigarren,
dann werden wir Mittag essen, und dann wird mein Vater wie jeden Sonntag sagen:
‚So, jetzt gehen wir ins Kino.’ Ich werde sagen: ‚Ich hab Migräne’, und Du
wirst meinen Vater fragen: ‚Welcher Film läuft denn?’ Mein Vater wird sagen:
‚Vom Winde verweht.’ Und dann wirst Du sagen: ‚Oh, schade, den hab ich schon
gesehen.’ Meine Eltern sind solche Freaks, die gehen trotzdem ins Kino, und wir
können endlich alleine in der Wohnung sein.“ Der junge Mann kommt, bringt
Blumen, bringt Konfekt und Zigarren, isst, der Vater sagt: „So, jetzt gehen wir
ins Kino“, die Tochter sagt: „Ich hab Migräne“, der junge Mann fragt: „Was wird
gespielt?“ Da sagt der Vater: „Vom Winde verweht.“ „Oh“, sagt der junge Mann,
„da komme ich sehr gerne mit, auf den freu ich mich schon lange.“ Jetzt kommt
die Frage von Billy Wilder: „Was war passiert?“ Der junge Mann hatte in dem
Vater den Drogisten erkannt, bei dem er sich am Abend zuvor die Präservative
gekauft hat.
Ein richtig guter Drehbuchwitz, nicht?
Uhlich: Ja, so
ähnlich wie diese Werbung mit Hella von Sinnen …: „Was kosten die Kondoooome?“
Jaja, dass man das nie zugeben mag…
Gas: Aber das
haben die von Woody Allen geklaut; da gibt es in „Bananas“,1971, eine solche
Szene, in der sich Allen verschämt ein Pornoheft im Supermarkt kaufen möchte…
Zurück zu Billy Wilder. Wer ist eigentlich der Autor eines Filmes? Es gab und
gibt ja die französischen Autorentheoretiker oder Autorenpolitiker, die nur den
Regisseur als Autor ansehen. Aber bei Wilder hat man immer den Eindruck, auch
der Drehbuchautor ist es. Wir meinen, dass in „Hold Back the Dawn“ oder
„Blaubarts achte Frau“ wahnsinnig viel Wilder drinsteckt, obwohl er nicht der
Regisseur war. Andererseits erscheint uns seine Lindbergh-Regiearbeit, zu der
er aber auch das Buch geschrieben hat, weniger wilderesk. Also der
Drehbuchautor als Hauptschöpfer?
Karasek: Der
Drehbuchautor ist der Hauptschöpfer. Das heißt, der Filmemacher ist der
Hauptschöpfer. Wilder hat, ohne es zu wollen, den auteur geschaffen. Er hat nur eigene Drehbücher verfilmt. Und er
hat ab einem bestimmten Zeitpunkt seine Drehbücher niemand anderem zum
Verfilmen gegeben, also ist er sozusagen der absolute Autor.
Gas: Billy Wilder
und seine Darsteller: Zu Jack Lemmon und William Holden hatte er ja wohl ein
recht inniges Verhältnis…
Karasek: Er hatte
auch zu Walter Matthau ein sehr enges Verhältnis, und ich glaube, auch zu Erich
von Stroheim. William Holden – so hätte er gern ausgesehen, aber so wäre er
nicht gern gewesen. Sein anderes Ich, sein bestes Ich ist schon Jack Lemmon.
Gas: Würden Sie
denn sagen, dass man sich daher zu Recht eher an Lemmon als an Holden erinnert?
Karasek: Das weiß
ich nicht, ich erinnere mich auch gut an William Holden, und ich habe heute in
der Festrede ja auch gesagt, der erste Film mit William Holden, „Sunset
Boulevard“ von 1950, ist einer seiner persönlichsten Filme. Nicht umsonst
spielt Wilders Frau mit, Audrey Wilder! Nicht umsonst ist das die Geschichte
eines Drehbuchautors, in der diese Frau das Mädchen spielt, für das er sich
gern entscheiden würde.
Tatsächlich irrt Herr
Karasek; die Rolle wird von Nancy Olson gespielt. Aber ist nicht eine tiefere
Wahrheit hinter dieser kleinen Unwahrheit, wie auch in gewissen Anekdoten
Wilders selbst? Karasek meinte später, gelegentlich würde man Geschichten so oft
erzählen und variieren, dass man glaube, man sei selbst dabeigewesen und/oder
sie hätten sich genau so abgespielt. Daher könne man Wilder nicht wegen
mangelnder Akkuratesse kritisieren. Wir meinen, dass Karasek ungewollt ein
schönes Beispiel für diese These geliefert hat. Man kann durchaus in der Figur
des Drehbuchautors aus dem Film Billy Wilder wiedererkennen, und in dem Mädchen
die Frau, zu der er sich sehnt, wenn ihn eben nicht die krakenartige Seite der
Hollywoodmaschinerie an- und aussaugen würde. So gesehen ist es konsequent und
„wahr“, wenn Karasek meint, sich an Audrey Wilder in der Rolle zu erinnern
(wobei der echte Billy Wilder sich nicht aussaugen ließ).
Gas: Zur
Bedeutung der Darsteller für Wilders Filme würde mich Ihre kurze Einschätzung
zu ein paar Besetzungen interessieren, um die Wilder sich vergeblich bemüht
hatte. Wie wären die folgenden Filme geworden, was wäre anders, besser oder
nicht so gut? Zunächst „A Foreign Affair“, 1948, mit Clark Gable statt John
Lund.
Karasek: Der
Hauptdarsteller wäre dominanter gewesen, männlicher. Ob es genützt oder
geschadet hätte? Das, was ist, ist immer besser.
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Besser H. Karasek oder T. Gas? |
Gas: „Sunset
Boulevard“ mit Mae West statt Gloria Swanson?
Karasek: Das
wollte er nicht wirklich. Er hat es versucht, ja. Da ich den Film ohne Mae West
gesehen habe und mir nichts fehlt, ist sozusagen nichts dagegen einzuwenden.
Gas: „Sabrina“,1954,
mit Cary Grant statt Humphrey Bogart?
Uhlich: Ich
glaube, dann hätte man den Film kürzen müssen, denn die Frauen sind ja alle
Cary Grant verfallen.
Karasek: Bogart
waren die Frauen auch alle verfallen. Aber Bogart hat das gehasst, dass er den
älteren Bruder spielt, er hat das wirklich gehasst. Ich glaube, Cary Grant
hätte da mehr Spaß gehabt. Bogart spielt ja gegen den Strich einen reichen,
arbeitsamen, wohlerzogenen, aber zunächst etwas verklemmten Geschäftsmann der
Oberschicht, William Holden seinen leichtlebigen Bruder.
Aber das war nicht wichtig; hingegen: Bei „Some Like It Hot“
wollte er unbedingt Cary Grant haben, und da hat er nur Tony Curtis bekommen.
Und Tony Curtis hat sich gerächt, indem er eine wunderbare Cary-Grant-Parodie
spielt. Er spricht wie Cary Grant, am Strand, als er sich als Ölmillionär
ausgibt. Er benutzt einen britischen Akzent und spielt den Cary Grant! Wilder
hat bedauert, dass Cary Grant nie auf der Payroll der Company war, bei der er
gerade gedreht hat.
Der wichtigste Fall, wenn Sie danach fragen, war, dass
Wilder bei „The Seven Year Itch“ Walter Matthau statt Tom Ewell haben wollte. Tom
Ewell wirkt so ein bißchen wie Lemmon, nur noch dümmlicher, und Billy Wilder
wollte das schon sexuell aggressiver besetzen. Aber da hat die Company nicht
mitgespielt. Walter Matthau, der wäre mit der Monroe ins Bett gegangen, er
hätte sich davon nicht abbringen lassen. [Anm.: obwohl er einen glücklich
verheirateten Strohwitwer spielt und es in der Theatervorlage tatsächlich zum
Ehebruch kommt].
Gas:Und das,
obwohl er einen glücklich verheirateten Strohwitwer spielt. In der
Theatervorlage kommt es übrigens tatsächlich zum Ehebruch. Wilder selbst sagt,
das wär besser gewesen. Claudius Seidl schreibt in seinem Billy-Wilder-Buch aus
der Heyne-Filmreihe, das wär schlechter gewesen. Was meinen Sie?
Karasek: Ja. wenn
ich zwischen Claudius Seidl und Billy Wilder zu entscheiden habe, ist die
Antwort relativ leicht.
Gas: Ein
erfolgloser Billy-Wilder-Film, den ich sehr liebe, ist „Ariane – Liebe am
Nachmittag“, 1957, mit Audrey Hepburn. Gary Cooper ist als dieser eigentlich zu
alte Playboy oft im Halbschatten zu sehen. Wäre dies ein ganz anderer Film mit
Cary Grant geworden, den Billy Wilder haben wollte?
Karasek: Ich weiß
nicht, ich mag „Liebe am Nachmittag“ deshalb sehr gern, weil Cooper da schon
von seiner Krebserkrankung und fast schon vom Tod gezeichnet ist und weil diese
junge unschuldige Hepburn sich sozusagen eine richtige Vaterfigur erwählt. Sie
werden lachen, ich habe mich jetzt an diesen Film aufgrund von Liebesbriefen
von Romy Schneider erinnert. Es sind jetzt Liebesbriefe zwischen Romy Schneider
und Curd Jürgens aufgetaucht. Er war alt und sie hat geschrieben: „Ich würde
gern ewig mit Dir zusammenleben – wenn Du Dir das Saufen und Rauchen auch noch
abgewöhnen könntest.“ Aber er wollte gar nicht mit ihr zusammenleben. Also, das
muss auch bei „Liebe am Nachmittag“ ein alter Mann sein, das muss so sein.
Gas: Auch Playboy
Flannagan alias Cooper betrachtet Ariane alias Hepburn zunächst nur als
Spielzeug, aber sie himmelt ihn an. Ist das nicht eigentlich eine Wiederkehr
seiner Rolle in „Blaubarts achte Frau“, Drehbuch Brackett und Wilder, Regie
Lubitsch, 1938? Da war er zwar nicht alt, aber spielt auch einen, der um den
Verstand gebracht wird – durch die sexuelle Verweigerung seiner Frau. In „Liebe
am Nachmittag“ wird er um den Verstand gebracht, weil Audrey Hepburn
Männergeschichten erfindet und ihn dadurch neidisch macht, ich fand es sehr
passend…
Karasek: Ja, ja,
es ist eine Wiederkehr von „Blaubarts achter Frau“.
Gas: Wie wäre
„Irma La Douce“ mit Charles Laughton geworden?
Karasek:
Wichtiger ist, dass Wilder nach „Witness for the Prosecution“, 1957, einen
anderen Film mit Charles Laughton machen wollte, nämlich „Oberst Redl“. Das hat
Laughton verweigert, denn die Affäre Redl war eine Homosexuellen-Affäre und
nicht eine Frauengeschichte wie in allen anderen Filmen. Die Redl-Geschichte
kannte Wilder aus erster Quelle, weil er mit dem Reporter Egon Erwin Kisch
zusammen in einer Berliner Wohnung gewohnt hatte, der die Redl-Geschichte
damals aufgedeckt hatte. Kisch war ein Prager Sportreporter gewesen, und in der
Prager Fußballmannschaft war ein Spieler, der einmal zu einem Spiel nicht kam.
Es hat sich dann herausgestellt, dass er nicht gekommen war, weil er ein
Strichjunge für Redl war; daraufhin ist Kisch dem nachgegangen und hat die
ganze Affäre um Oberst Redl aufgedeckt.
Gas: Zu der
berühmten Absage Marlene Dietrichs für „Fedora“,1978: Wie wäre der Film mit ihr
statt Hildegard Knef geworden?
Karasek: Genauso
schlecht, wie der Film jetzt ist.
Gas: Oh – das
wäre auch meine nächste Frage gewesen: Gibt es Filme von Wilder, die Sie
deutlich weniger schätzen als andere?
Karasek: „Fedora“
gehört dazu. Das ist eine etwas unselige Konstruktion. Ein Zahnarztfilm! Der
ist von deutschen Zahnarztgeldern finanziert worden. Die deutschen Zahnärzte
versuchten damals, Steuern zu sparen, mit Filminvestitionen, und das ist ein
solcher Film. Okay, „Fedora“ ist nicht so schlecht, aber als Billy-Wilder-Film
ist es ein etwas schwächerer.
Gas: Ansonsten
verteidigen Sie ja häufig die Flops, zum Beispiel „Kiss Me, Stupid“ ,1964, ein
wunderbarer Film…
Karasek: Ja, der
ist auch irgendwie sehr gut, aber da ist die Besetzung des Hauptdarstellers mit
Ray Walston wirklich schlecht.
Gas: Wie wäre er
denn mit Jack Lemmon geworden, den hat er doch mal erwogen?
Karasek: Ja, aber
eigentlich wollte er Peter Sellers haben! Das wär spannender geworden, in der
Ray-Walston Rolle. Dean Martin hingegen wollte er immer haben, denn Dean Martin
spielt hier Dean Martin. Peter Sellers war schon besetzt, die Dreharbeiten mit
ihm hatten schon begonnen!
Gas: Aber Peter
Sellers hat immer improvisiert und Billy Wilder wollte kein Wort Abweichung von
seinem Drehbuch.
Karasek: Das ist
nicht das Spannende daran. Sellers hat vor den Dreharbeiten eine Herzattacke
bekommen, er sollte die Rolle spielen, für die Wilder dann Walston, diesen
damals sehr populären Fernsehkomiker, genommen hat. Und das ist eine
Fehlbesetzung.
Gas: Ich fand, er
passte zur Rolle, aber man kann ja immer unterschiedlicher Ansicht sein.
Karasek: Ich
glaube, Peter Sellers hätte den Film rausgerissen.
Gas: Das kann
natürlich sein – aber nochmals zu dieser Marlene-Dietrich-Absage. Sie war ja
mit Pauken und Trompeten, „How could you possibly think?“. War das denn ernst
gemeint von Billy Wilder, wollte er sie gerne haben? Denn es war doch bekannt,
dass sie sich ungerne mit ihrem Alter auseinandersetzte, wie es die Rolle
verlangte. War da nicht die Absage programmiert?
Karasek: Ja,
vielleicht hat er aber gehofft. Ich meine, sie hat ja für ihn eine „Nazisse“, eine
NS-Mitläuferin in „A Foreign Affair“, 1948, gespielt, was ihr sehr schwer
gefallen ist. Sie hat in „A Foreign Affair“ diese Rolle gespielt, die ihr
contre coeur ging. Und ihr Alter hat sie in „Zeugin der Anklage“ schon sehr
deutlich gemacht. Da war klar, dass sie von einem jüngeren, kräftigen Mann
betrogen wird.
Gas: Ich dachte
an dieses sehr schwierige Verhältnis zu Fritz Lang. Offen gestanden weiß ich
jetzt nicht mehr, ob Sie vor gut 20 Jahren dieses „Spiegel“ -Telefoninterview
geführt hatten…
Karasek: Ja, das
habe ich.
Gas: Da hat sie
gesagt, Langs „Engel der Gejagten“, 1951, wäre der furchtbarste Film, den sie
je gemacht hätte. Und Fritz Lang hat gesagt, sie habe jeden Tag auf dem Set
jünger ausgesehen, sie wollte nicht diese Frau in mittleren Jahren spielen.
Aber vielleicht konnte Billy Wilder das besser aus ihr herausholen.
Karasek: Sie
liebte Wilder seit ihren Berliner Tagen, die waren Kumpels, die waren Freunde
in der Emigration. Aber irgendwann wollte sie überhaupt nicht mehr in die
Öffentlichkeit, und das hat er am eigenen Leib erlebt.
Gas: Und Sie
hatten auch erlebt, dass sie Ihnen am Telefon sagte, Marlene Dietrich sei nicht
da…
Karasek: Ja, ja.
Gas: Wie hat
Wilder aus völlig unterschiedlichen Darstellerinnen das Optimale herausgeholt?
Ich denke gerade an die vier Frauen, die je zwei Mal bei ihm gespielt haben,
also Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Marlene Dietrich und Shirley MacLaine.
Also ganz unterschiedliche Frauentypen, und trotzdem hatten sie alle bei Wilder
ihre Traumrollen. Was war sein Geheimnis dabei, sich diesen Typen anzupassen,
aber nicht unterzuordnen?
Karasek: Also,
Billy Wilder war ein Regisseur, der die Frauen sehr genau kannte, der sie
durchschaute und trotzdem liebte, das ist das Schönste, was man eigentlich über
ihn sagen kann. Er hat übrigens nie mit seinen Hauptdarstellerinnen ein
Verhältnis angefangen. Er hat sich lieber mit Statistinnen und Stuntfrauen
begnügt, weil er da keinen Ärger hatte. Er hat gesagt: „Ich fang doch nicht mit
’ner Hauptdarstellerin ’ne Affäre an, und dann sagt die: ‚Du hast mir doch im
Bett versprochen, dass ich das grüne Kleid tragen darf.’“
Gas: Vielleicht
dies zum Schluss: Sie haben einen Anekdotenschatz in Ihrem Wilder-Buch. Jetzt
gibt es Menschen wie Chris Mankiewicz, den Sohn von Wilders Kollegen und
Zeitgenossen Joseph L. Mankiewicz, die sagen, dass Billy Wilder für eine gute
Geschichte das eine oder andere zurechtgebogen habe. Wie glaubwürdig sind seine
Erzählungen, wie variieren sie, oder ist Wilder einer, der „die Wahrheit sagt,
selbst wenn er lügt“?
Karasek: Erstens
einmal weiß ich inzwischen aus eigener Erfahrung, dass ich bestimmte
Geschichten so oft erzählt habe, dass ich nicht mehr weiß, ob ich sie wirklich
erlebt habe. Ich wusste eine Zeitlang noch, dass ich sie wirklich erlebt habe,
aber irgendwie haben die sich dann verselbständigt. Geschichten drängen sich
zwischen die Wirklichkeit, und man weiß es nicht mehr. Also, ich weiß, dass ich
nie mit der Monroe geschlafen habe und daher auch nie ’ne Geschichte darüber
erfunden habe.
Gas: Das wüsste
man aber!!!
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Karasek und Jean-Harlow-Biogaphin Uhlich |
Karasek: Das
wüsste ich!!! Ich weiß nur, dass ich mal in dem Zimmer geschlafen habe, in dem
sie mit Yves Montand geflirtet hat. Ich war im Beverly-Hills-Hotel, als ich zu
Wilder kam, der „Spiegel“ hatte mir ein Zimmer bestellt, und das Hotel hatte
die Bestellung versusst. Der „Spiegel“ war auch in Amerika nichts ganz
Unwichtiges, und das Hotel war voll, also haben sie mir einen der berühmten
Bungalows gegeben, zum Zimmerpreis. Als ich von Hollywood wegfuhr, habe ich mir
eine Billy-Wilder-Biographie besorgt, flog übers Meer, machte das Buch auf, und
ich sehe, ich war genau in dem Bungalow, in dem Yves Montand mit der Monroe
geschlafen hatte. Ich wäre am liebsten aus dem Flugzeug wieder rausgehopst,
aber inzwischen war die Wäsche wahrscheinlich viertausend Mal gewechselt… Ein
Mal habe ich übrigens auch in einem Zimmer geschlafen, in dem Napoleon mal
geschlafen hat, in den „Drei Königen“ in Basel.
Uhlich: Und ich
war in einem, in dem Jean Harlow geschlafen hat. Ich weiß, wie man sich freut,
wenn man dann an diesen „heiligen“ Stätten ist.
Karasek: Ja,
genau so ist es!
Einen Bericht über die Ausstellung "Eins, zwei, drei - Billy Wilder" finden Sie
HIER.