SKYFALL - Bond bierernst


Warum man den Jubiläums-007-Streifen auch mal nicht so toll finden darf ...

I.
Ja, viel gelobt und beschwärmt ist er geworden, der neue James-Bond-Film SKYFALL. Letztlich auch nicht zur Unrecht: Nach dem enttäuschenden Action-Vehikel QUANTUM OF SOLACE macht SKYFALL unter der Regie von Sam Mendes dort weiter, wo der brillante Haudegen Martin Campbell, der die Bond-Reihe bereits zweimal aus dem Sumpf zog, mit dem Reboot CASINO ROYALE aufgehört hat. Treibt Mendes es zusammen mit der Drehbuchinfanterie John Logan aber vielleicht zu weit? Oder aber: zu einfach? Oder in die falsche Richtung?

Schon CASINO ROYALE war famos, zugleich jedoch eine Herausforderung für alle, die die Kunst- und Kultfigur 007 als unverbindlichen (was nicht automatisch heißt: belanglosen oder beliebigen) Charakter mit enormem Bedeutungs-, Erinnerungs- und Verweispotenzial begriffen haben. Daniel Craigs Bond zeigte in diesem Film Emotionen, ist jung im Geheimdienst Ihrer Majestät; Sturm und Drang – verliebt sich, bekommt sein Herz gebrochen. Damit operierte CASINO ROYALE als Initialisierungs- und Initiationsgeschichte, bediente aber mit erstaunlich wenigen, dafür umso intensiveren Actionszenen auch das Genre – und wer hätte gedacht, dass ein Kartenspiel dabei fast noch spannender hergerichtet werden könnte?

Das Problem mit SKYFALL ist nun, dass die Innovation der Bond-Figur sich nachgerade überkonsequent einem an sich originellen Konzept unterwirft: dem der Erneuerung qua Rückwendung. Extrem gut und weit kommt der Jubiläums-Bond-Film dabei, zudem anspielungsreich und bisweilen (verhältnismäßig) erstaunlich subtil: Auf dem großen Level der Story gibt es in der ersten Hälfte klassischen Exotismus, Bond in der Türkei, in Fernost. Ein Schuss in die Schulter erinnert auch metadiegetisch an andere Bondfilme (THE WORLD IS NOT ENOUGH), zeigt ihn verwundbar bis ausgelaugt - eben: menschlich. Ein neuer „Q“ – brillant: Ben Whishaw (DAS PARFUM - DIE GESCHICHTE EINES MÖRDERSE) als Waffenmeister ist kein weißhaariger Onkel, sondern junger Digital-Nerd mit lässigem Selbstbewusstsein, der eher abschätzig auf die Gadgets vergangener Jahrzehnte schaut. Hier bereits wird sie deutlich, die Vorwärtsorientierung am Rückwärtigen, deren Innovation sich freilich nur mehr durch den Rückgriff auf Bekanntes, Bewährtes, Institutionalisiertes erkaufen lässt, das zugleich abgeschrieben und wieder-geholt wird. Damit dreht sich SKYFALL im Kreis, und erneut lohnt der Vergleich mit CASINO ROYALE, auch was die Arbeit des Geheimdienstes anbelangt: Dort die realistische Gruppe von namenlosen Experten, die sich zu mehreren um eine Mikro versammeln, um Bond aus der Ferne Tipps zu geben, wie er sich einer Vergiftung erwehren hat, und die im Zweifelsfall einfach googeln, wenn es um das mögliche Anschlagsziel auf dem Flughafen von Miami geht. 

In SKYFALL hingegen ist es wieder der einzelne Experte, sind es irgendwie mysteriöse allmachtsvolle Computerkenntnisse, die die Welt schützen oder aber bedrohen, und mit welchem hanebüchenem Eifer Rezensenten den Schurken Silva aus SKYFALL mit Julian Assange und Wikileaks assoziieren, nur weil der (bei aller Vielschichtigkeit und Faszinationskraft, die Javier Bardem der Figur zu verleihen versteht) erstaunlich amorph und bis auf seine persönliche Rache unausgestaltete Schuft Undercover-Agenten über YouTube (!) „verbrennt“, ist ein Phänomen für sich. Da waren wir mit dem Gauner Le Chiffre schon weiter, einfach weil der selbst Gejagter und getriebener war - und der so spektakulär unspektakulär das Zeitliche segnete. 
   
Doch auch sonst ist SKYFALL merkwürdig verbissen traditionalistisch in seiner Gesamtstrategie des Updates. „M“s Kritiker und Nachfolger – einmal mehr herrlich: Ralph Fiennes – verdient Respekt, weil er im Nordirlandkonflikt als Soldat diente und sich auch von der IRA nicht kleinkriegen ließ. Und wenn das (mittlerweile nicht mehr so) neue MI-6-Gebäude an der Themse (das von der IRA tatsächlich 2000 attackiert wurde) dank dubiosem Hacking (sprich: „Cyberterrorismus“) zumindest etagenweise in die Luft fliegt, verlegt man die Geheimdienstzentrale folgerichtig in einen Bunker Churchills aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, um schließlich wieder in einem klassischen Gebäude im Empire-Stil zu enden, wo des neuen (und vor allem, endlich wieder, männlichen) „M“s Büro hinter der ledergepolsterten Tür mit vollem Museums- oder Altherrenclub-Mobiliar ausgestattet ist. Und wo - davor - der weibliche Außenagent wieder da und das ist, wo er hingehört und idealserweise sein soll: hinterm Schreibtisch im Vorzimmer des Chefs als patente Schreibkraft Moneypenny. Während also Eva Green als Geliebte Bonds diesem in CASINO ROYALE innerlich das Herz brechen und die Seele zerrütteln durfte, ist die neue Eve (Naomie Harris mit umwerfender Lebendigkeit) letztlich nur dazu da, Bond zwar aus Versehen anzuschießen, ihn aber in seinem Machismo dann doch nur die letzte Ergänzung zu liefern.

Sinnbildlich steht Bond denn auch über den schönen, musealen Dächern einer imperialistischen Metropole London – jedoch nicht am Anfang des Films (wie es der Trailer von SKYFALL suggerieren mag), sondern am Schluss des Films. Es hat einen langen, letztlich aber leicht enttäuschenden Umweg gebraucht, um bei der Erneuerung der nachgerade archetypischen Figur „James Bond“ letztlich doch (nur wieder) dort zu landen, wo – immerhin – die kulturell erfolgreichste Filmreihe der Welt vor 50 Jahre gestartet ist. Das macht Lust auf den nächsten Film. SKYFALL als Transitstation wird dadurch nicht runder.

II.
All diese Wege und Konzepte ließen sich jetzt einfach und vor allem mit einem gewissen Genuss verkraften (gar mit einer Freunde, die beispielsweise standesbewussten Erfolgen wie dem Harry-Potter-Universum mit dem seinem Internatsflair und der Standes-Bedeutung innewohnt). Wäre da nicht die erstaunlich billige Fixierung auf die „Vergangenheit“ (oder eben: Herkunft) von James Bond im letzten Drittel des Films. CASINO ROYALE zeigte, dass gerade in einem heimat- und ortlosen James Bond, der nicht nur konstruiert biografisch, sondern als Figur selbst immerzu „Waise“, sprich: als „Konzept“ un-bedingt war (um faszinations-, symbol- und wirkmächtig sein zu können) enormes Ergründungspotenzial verborgen liegt. Tatsächlich braucht es ja gewisse Leerstellen für 007, ebenso wie eine gewisse Distanz zu seiner Chefin „M“. Indem SKYFALL beide nun zu „echt“ werden lässt, zu konkret und menschlich (bis hin zu: sterblich), werden die Figuren – tatsächlich: - reduziert auf nachgerade beliebige fiktionale Figuren einer (und entsprechend: nur einer) erfundenen Welt ohne symbolische Magie und Relevanz darüber hinaus.

James Bond als Menschen zu zeigen, mehr noch: als Menschen zu befragen, dass schafft SKYFALL zwar hervorragend, wenn der Film an Bonds Profession zweifelt, hinsichtlich seiner psychischen und physischen Fähigkeiten. Gerade hierin wird 007 als Figur zwischen „M“ und Silva als einer Art „Gegen“-Bond glaubhaft und ambivalent (etwas, das der Widerpart Trevelyan alias Sean Bean in GOLDENEYE so großartig versprach, aber nicht einzulösen wusste).

******** Obacht: SPOILER! ***************

Wenn aber Daniel Craig „M“ in das Haus seiner Familie verbringt, in dem alten Aston Martin als Privatwagen, begibt sich SKYFALL – der Titel bezieht sich auf besagtes Anwesen der Bonds im schottischen Nirgendwo – in einen Bereich, der nicht nur nicht zwangsläufig aus der dramatischen Konstellation und Situation des Films entspringt, sondern der den Film mit Abgegriffenem unnötig kaputt macht – oder bestenfalls für fadenscheinige Meta-Lesarten herhält.

Bis zu diesem finalen Akt ist SKYFALL dahingehend packend, als dass – ausgerechnet! – ein Bond-Film neue Maßstäbe nicht in Sachen Spektakel, sondern in Sachen Zurückhaltung (gleichwohl bei erstaunlicher ästhetischer Finesse – Kamera: Stimmungsaltmeister Roger Deakins) setzt. Der Schluss bietet jedoch einen merkwürdigen Versatzstückhandel. Was an sich nicht so schlimm wäre, haben sich Bond-Filme oftmals anderswo bedient oder zumindest an Fremdem orientiert (z.B. am Kung-Fu-Bahnhofskino der frühen 1970er mit THE MAN WITH THE GOLDEN GUN). In SKYFALL geht es aber ums Eingemachte, um die Backgroundstory von James Bond persönlich. Und so entpuppt sich sein Elternhaus nicht nur als abgeschiedenes Herrenhaus in der schottischen Ödnis (und wo bitte, ist der arme James denn zur Schule gegangen – oder auch nur einkaufen?), sondern er hat noch einen alten Haushofverwalter, der auf den guten alten jungen „Master“ wartet wie zu abgehalftertsten Western- und Kolonialistenzeiten der „Boy“ – und das alles, leider, bar jeder Ironie. Eine, die bitter notgetan hätte, weil sie sich ansonsten von selbst und unfreiwillig einschleicht. Das Anwesend der ehrwürdigen Bonds gemahnt denn auch an Spukkulissen der Hammer-Studios (was, mit einer entsprechenden Ausdeutung versehen, natürlich auch wieder seinen Reiz hat). Aber wenn schließlich Bonds Eltern mit albernen Grabstein gedacht wird und – andererseits – „M“ den unoriginellen, klischierten Tod stirbt (ausblutend, in den Armen Bonds), dann fragt man sich wirklich und leider antwortlos, inwiefern hier noch irgendwie von „Update“ oder „Innovation“ zu sprechen ist. Zumindest von einer, die James Bond und der Idee hinter der Figur, würdig ist. Andreas Borcholte attestiert auf Spiegel-Online Sam Mendes, ihm sei mit SKYFALL ein Action-Thriller gelungen, der den ultimativen Kino-Macho Bond dem Zeitgeist anpasst. Gelungen ist SKYFALL – doch ob die Anpassung an den Zeitgeist, einem, in dem jeder Tatort-Komissar bereits bemüht an sich und seiner Privathistorie herumleidet, in Sachen 007 wirklich so famos ist, sei dahingestellt.

SKYFALL, das ist das Problem, verwechselt (bei aller unbestreitbarer Qualität) letztlich Ernsthaftigkeit und leichthändige weil verweisendeTiefe (= CASINO ROYALE) mit „gothic“ Schwulst als vermeintlichem Ernst aus zweiter Hand, der – einerseits – wenig Deutungs- und Phantasiespielraum zulässt und – andererseits – dann doch belanglos im Ungefähren bleibt. So wie die beiden Autoren Neal Purvis und Robert Wade allein schon ordentlich mit den Standards und Ready-Mades der Bond-Serie jonglierten, ohne zu begreifen was sie da tun oder warum sie es tun (und, allein gelassen, ein Skript fabrizieren wie das zu DIE ANOTHER DAY), so arglos hantiert wird letztlich mit dem dräulichen Skyfall, bei dessen Nennung Bond zwar in der psychologischen Untersuchung grimmig selbige beendet, das aber höchstens eine diffuses Batman-Trauma (tote Eltern) parat hält. Freilich ohne Mord und resultierendem Verbrecherhass.

Das ist insofern schade, als durch solche Psychologisierungsbemühungen die persönlichste Beziehung („M“ und Bond) leichthändig dem billigen „Anything-Goes“ eines emotional-affektiven Beliebkeitskinos preisgegeben wird, das nur mehr auf Wirkung setzt, ohne Gedanken an das Davor und Danach, die Bedingungen und die Folgen. Jenes Augenblickskinos, das in Sequels bedenkenlos die Heldenfigur des vorangegangenen Films sterben lässt, und zwar in den ersten fünf Minuten.

Das ist nun – so muss man fairerweise zugeben – in SKYFALL nicht gar so schlimm. Doch gerade weil man die ersten zwei Drittel so auf (Pseudo-)Realismus oder aber Unverbindlichkeitsglamour althergebrachter 007-Streifen setzt (und beides liefert der Film), erscheinen die letzten 20 bis 30 Minuten derart unwürdig, dass sie – freilich auf höchstem Niveau (und das soll freilich auch was heißen) die Bond-Filmreihe nachhaltiger zu unterminineren in der Lage sind als ein leicht zu vergessender Humbug wie DIE ANOTHER DAY. Eben gerade weil SKYFALL selbst sich so absolut setzt in seiner Definitionsmacht - und ernst nimmt.

Vielleicht ist das das Problem mit dem neuen, dem Jubiläums-Bond-Film, der in der Folge doch wieder (oder: einmal mehr) seiner Zeit voraus ist: Dass es nicht die ironische Unverbindlichkeit ist, sondern viel- und weit mehr ein fahrlässiger Ernsthaftigkeitsgestus ohne Überzeugungskraft, der platter ist als alle Jux und Dollerei, die zumindest immerhin noch interpretative Spielräume offen lässt. Gerade, wenn man James Bond ernst nimmt und ein Eigenleben zugestehen mag.

Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung Online: "Am Ende werden die Toten begraben und die Trümmer weggeräumt. Eine neue Zeit beginnt, frisch wie die junge Miss Moneypenny. So muss das gewesen sein, kurz nach dem Krieg, als James Bond aus dem Kopf von Ian Fleming geboren wurde." Bloß dass SKYFALL eben nicht von einem allgemeinen Krieg erzählt, sondern von persönlicher Vendetta, eine albern kleinen Verbrecherbande und Furiosum im finalen konstruierten Klischee. Nicht London ist am Ende zerbombt, sondern Bonds Heimathaus futsch und der schöne Aston Martin kaputt  warum nur? Symbolisch jedenfalls erzählt SKYFALL quasi das Gegenteil. 

zyw