Grindhouse Nachlese März 2024 – Violent Streets und Beast of Blood

Grindhouse Doube Feature, 23. März 2024, Cinema Quadrat, Mannheim:

 „Bôryoku gai“ / „Violent Streets“, Japan 1974, Regie: Hideo Gosha

 „Drakapa, das Monster mit der Krallenhand“ / „Die blutgierigen Teufel“ / „Beast of Blood“, Philippinen 1970, Regie: Eddie Romero

 

Spanische Gitarre spielt auf einer Bühne, zwei Flamencotänzerinnen sind mit dabei, und es dauert eine Weile, bis man sich fertig gewundert hat – das soll doch ein japanischer Yakuza-Film sein? Dann renkt sich die Wahrnehmung schnell ein, wenn in dieser Bar Japaner auftauchen, sich streiten, und der eine rammt dem anderen einen Zettelspieß ins Gesicht, dem anderen haut er den Telefonhörer über den Schädel. Der Ton ist gesetzt, und wir wurden im Übrigen auch Zeuge der einzigen Fehlleistung in „Violent Streets“, die Regisseur Hideo Gosha immer wiederholen wird: wenn einem ein Hörer oder später Flaschen oder Vasen aufm Kopp zerschlagen werden, dann spritzt das Blut in realiter nicht in dem Maße, wie’s hier gezeigt wird. Sofort alles blutüberströmt! Aber das muss man wohl dem Genre zugestehen.

Tatsächlich aber haben wir mit diesem Film eine verwickelte Geschichte vor uns; Mittelpunkt ist die „Madrid“-Bar in Tokio, deren Besitzer Egawa einst Gangster war. Als Lohn für seine Dienste und Rente beim Ausstieg hat ihm seine „family“ die Bar übergeben, jetzt will sie sie wieder zurückhaben. Politik. Denn die Gangsterbande gibt sich jetzt ehrbar, und sie will und muss Konzessionen machen an die Osaka-Gangster, die Tokios Unterwelt übernehmen wollen. Man muss sich gut stellen, wenn man Geschäfte machen will…

Plötzlich sind wir in einem TV-Studio, bei der Show von Minami, Sängerin, die aufs Klo geht. Und dort entführt wird. Und wir sind bei der Gangsterbande hinter Unternehmensfassade, wo Yakazi als Hitzkopf den Osaka-Jungs einen mitgeben will, wer sonst hat wohl die Entführung eingefädelt? Denn Minami ist eine der Investitionen, wie die ganze TV-Unterhaltungswelt, wo sich jetzt das große Geld machen lässt. Während Egawa mit dem Gangsterboss noch ein Hühnchen zu rupfen hat – oder zu rupfen hätte –, weil seine Frau ihm während der Haft zum Boss übergelaufen ist. Er hat jetzt seine trinkfreudige Kellnerin als Geliebte.

Die Handlungsstränge verwirren sich. Minami wird erwürgt, weil ihr Bewacher sie bumsen will und sie sich wehrt – das ist eine tolle Szene, er hat den Fernseher eingeschaltet, weil gerade eine Aufzeichnung ihrer Show läuft, das müsste sie doch aufheizen, er jedenfalls wird ziemlich geil… Kidnapping jedenfalls im Eimer, die Geldübergabe wird trotzdem über die Bühne gebracht, auf der Baustellenruine eines Hochhauses. Der Bandenkrieg steht kurz bevor. Und plötzlich haben wir ein paar Killer, eine Stipshow, einer der Beleuchter wird von der Galerie gestoßen, eine Frau, die ihn lustvoll mit dem Rasiermesser aufschlitzt… Einer lädt von seinem LKW Schaufensterpuppen, will sie in der Pampa entsorgen, wird von hinten erschlagen. Einer an einer Druckmaschine, einer im Hühnerstall – hier ist auch Egawa mit dabei, und was nun doch recht verwirrend war und konfus, das lichtet sich allmählich. Hideo Gosha macht das sehr geschickt, wie er seinen Film, der völlig aus dem Ruder zu laufen droht, wieder einfängt – Teil seiner Strategie ist die klar konturierte Atmosphäre von Gewalt und Vergeblichkeit, von einer neuen Zeit in der Unterwelt und dem Versuch, sich zu halten, eine Kälte durchzieht den Film, die faszinierend ist – vielleicht Melville-geschult.

Ein Liebespaar bei einer Bühnenaufführung, von oben gefilmt, sich drehend wie auf einer Drehscheibe, mit wechselndem Licht – zwei Frauen, halt nackt sich räkelnd. Dann in der Garderobe zeigt sich: die eine ist einer Frau; die andere ein Mann mit langen Haaren und Kimono. War, was wir gesehen haben, eine normale Hetero-Sexshow, Mann und Frau, nur eben langhaarig, oder waren hier transvestitiv-transsexuelle Komponenten im Spiel, und wenn ja, für wen – für das Publikum im Film, oder nur als Täuschung für uns im Kino? Eine ähnliche Ambivalenz wie das Drehen des Paares – haben sich die beiden oder hat sich die Kamera bewegt? Es sind kleine Täuschungsmomente, Irritationen, die Gosha bewusst einbaut, und das führt zu einer latenten Verunsicherung, die der Filmstimmung zugute kommt. Ich meine, hallo, Schaufensterpuppen mitten im hohen Gras, ein Hühnerstall, an beiden Schauplätzen Mord und Totschlag, ja ein Massaker? Ein Waffenschmied, der sich als Bezahlung ausbedingt, dass er stiller Augenzeuge sein darf beim Abknallen der Gangster, der mit fetten Kopfhörern, radiohörend, fröhlich zuguckt bei der Ballerei?

Es ist eine Geschichte von untergründigem Verrat allenthalben, aber das Thema so subtil einflechtend, dass man nicht sagen würde: aha! Verrat von früher – Egawas Frau, die ihn für den Boss verlassen hat, die Bar, die ihm als viel zu geringe Entschädigung überlassen wird; Verrat der Gegenwart – die Bar, die ihm genommen werden soll; die Entführung, die ein Mord ist, die eingefädelt wurde aus Loyalität zu Egawa, freilich auch in Form eines Verrats seiner Untergebenen; schließlich, worauf es hinausläuft, der Verrat seiner Geliebten, judasmäßig. Die einzig Geradlinigen sind Egawa und sein Gegenspieler Yazaki, beide vom alten Schlag, sie passen nicht mehr ins Jetzt, wo das Gangstertum zum Unternehmertum wird.

 

Yazaki hat eine Haartolle wie Elvis – das ist ein schöner Übergang zum philippinischen Quatsch-Abenteuerfilm mit dem deutschen Quatsch-Titel „Drakapa, das Monster mit der Krallenhand“; die von John Ashley gespielte Hauptfigur hat feine daherfrisierte Haare im Dschungel und King-mäßige Koteletten, mehr als so manche Metzgerei zu bieten hat… Der Film ist der dritte Teil einer Trilogie um die Blutinsel, freilich als einziger in die deutschen Kinos gekommen, und man würde doch gerne wissen, wie ihn damals die Bahnhofskinobesucher aufgenommen haben, wo sie doch eigentlich die ganze Zeit überhaupt nicht wissen können, worum’s geht…?

Drakapa heißt das Monster, es hat schreckliche Hauer und schreckliche Klauen und schreckliche Zähne um Tiere und Menschen zu kauen, und das macht es auch, weil das Schiff gerade wegfährt von der Blutinsel aus Teil zwei – den keiner kennt –, und Dr. Foster ist der einzige Überlebende. Nein, das Monster auch, es ist nur ziemlich verbrannt und wieder auf der Insel. Dies als abrupter Anfang eines Films, der direkt anschließt ans vorherige Unbekannte. Die nächste Expedition von Foster, die wiederum macht diese Filmhandlung aus, wobei er vor allem bei der Rückkehr zur Insel alte Bekannte trifft, die wir nicht kennen, und ein Haus, in dem es mal eine Explosion gab, und der alte Bösewicht ist nach wie vor Dr. Lorca, und Razak, der Stumme, ist sein bulliger Helfer. Und grüne Menschen greifen des Nachts an, wobei „grün“ bedeutet, dass sie irgendwie mit Algen und Schlamm beschmiert sind, und nicht so richtig grünhäutig, wie es Foster noch von früher zu kennen scheint. Das aber bleibt alles unklar.

Neu ist Myra Russell, Journalistin vom Honolulu-Kurier, eine Zeitung, die nicht sooo angesehen ist, wie Dr. Lorca mal süffisant bemerkt. Denn natürlich hat er Ms. Russell entführt, um Foster zu sich zu locken. Der wäre aber ohnehin gekommen, weil noch eine Rechnung offen und so weiter.

Das, was wir kapieren, ist: Dr. Lorca ist ein Spinner, wie alle Mad Scientists, und er ist von seinem Genie überzeugt, wie alle Mad Scientists. Das Tolle ist: Er spricht genau dies aus: Wenn sein Experiment missglückt, geht er als Massenmörder in die Geschichte ein, wenn alles klappt, ist er ein Wohltäter. Er weiß das genau, und deshalb macht er weiter. Denn im Keller, da hat er eine Menge Maschinen und blinkende Lichter, und so Dinger, die sich im Kreis drehen, und Glaskolben, in denen was Grünes blubbert. Und auf der Bahre, da ist der kopflose Körper von Drakapa, und in der Ecke der Kopf. Beide bewegen sich, weil Lorca das so eingerichtet hat. Nur, dass der Drakapa-Kopf nicht zu ihm sprechen will, weil er schmollt.

Jetzt, was ist die Forschungsrichtung von Dr. Lorca, außer Kopftransplantation? Offenbar – ach, also, erstmal ist es ja so, dass das Monster irgendwie im zweiten Teil schon aufgetaucht sein muss, und deshalb wird seine Herkunft nicht so recht thematisiert, aber anscheinend ist es böse, weil es auf Chlorophyllbasis existiert, und aus dem Chlorophyll will Lorca das Böse herausfiltern, und deshalb hat er im Käfig die einigermaßen grünen algenbehangenen Menschen, deren Kopf er auf den Monsterkörper, damit deren Geist – oder so.

Es ist jedenfalls höchst erstaunlich, dass die deutsche Synchro sich nicht ansatzweise bemüht, so etwas wie Zusammenhänge zu konstruieren, wo doch klar ist, dass die vorherigen, offenbar für die Handlung essentiell wichtigen Filme in D nicht gelaufen sind. Es ist noch viel erstaunlicher, wie es Eddie Romero, dem Regisseur, gelingen kann, eine Filmhandlung, die ja doch einige Elemente enthält, die was her machen sollten, so dermaßen zäh und langweilig zu inszenieren! Die tapsen schweigend und ohne jeden Elan durch den Dschungel, und gefilmt ist das öde und ohne jeden Elan, und nur der Geräuschemacher hat hier was zu tun, nämlich hat der sich ein bisschen Laub auf den Boden gelegt und macht darauf ab und zu so Rascheln. Einmal knackt ein Zweig. Und am Schluss brauchts viele Schüsse und Handgranatenexplosionen auf der Tonspur. Aber ohne Zweifel haben hier ziemlich viele lediglich Dienst nach Vorschrift abgeleistet.

Dabei ist neben der Suche nach Dr. Lorca für Dr. Foster, den Guten, ja auch noch die Frage der Frau zu lösen! Weil nämlich eine der Eingeborenen hat ein Auge auf ihn geworfen, und sie offeriert sich ihm sehr offen, weil er ja schon lange nicht mehr mit ’ner Frau und so… Und er kann es nicht, weil nein, es geht nicht, er ist zu rein, sagt er, und er braucht eine Bindung für den Sex, aber er kann gerade keine Bindung eingehen, sagt er. Aber eigentlich, und das ist keinem der Protagonist*innen klar, ist natürlich im Film die gemischtrassige Liebe ein absoluten No-Go, wir befinden uns schließlich letztlich auf kolonialem Terrain, mit dem weißen Wissenschaftler und der weißen Jorunalistin, die die wilde Insel erforschen und die Geheimnisse lösen wollen. Und so.

Und natürlich muss sich Foster für die blonde Miss Russell aufheben, da kann er nix mit der Pseudo-Südseedame anfangen.

Man versteht nicht viel von dem Film, aber der Chauvinismus und alles, was daran hängt, der kommt natürlich gut rüber. Muss ja so sein. Ist schließlich Grindhouse.

 

Harald Mühlbeyer