FILMZ 2011 - Elfter Abschluss

"Der Albaner" hat gewonnen bei FILMZ 2011. Völlig zurecht, wie man HIER und HIER nachlesen kann.

Vermutlich ist die Festivalreise dieses Debütfilms von Johannes Naber damit zuende, nach München 2010, Saarbrücken und Ludwigshafen 2011. Die Karriere im Kino übrigens auch: Anfang August hatte "Der Albaner" einen Pflicht-Kinostart wegen der Filmförderung, sprich: wurde vom Filmverleih rausgehauen und ist direkt im Kinospielbetrieb versickert. Ob wohl irgendjemand diesen Film tatsächlich regulär, gegen eine normale Eintrittskarte, im Kino gesehen hat? Schön jedenfalls, dass er jetzt, wenn auch auf einem Festival, doch auch in Mainz gelaufen ist und begeistern konnte: dabei ist das Mainzer FILMZ-Publikum durchaus streng.

Zumindest, wenn ich unter den Zuschauern bin und beim FILMZ-Abschluss einen der im Wettbewerb gezeigten Kurzfilme öffentlich kritisiere - nachdem der Regisseur seine eigene Meinung über den Film verkündet und ausdrücklich zugegeben hatte, dass auch andere Ansichten gelten können; und meine Aussage dann als Blödsinn abtat. Was völlig legitim ist - und dann eskalierte, als ein anderer Herr im Publikum dem Regisseur widersprach, worauf diverse Schmähungen durch den Saal hallten ("Idiot!" - "Selber Idiot!") Kurz: Es war sehr lustig.

Wie ja ohnehin die Stimmung bei FILMZ locker ist wie auf keinem anderen Festival. Was dazu führt, dass der Kurzfilmwettbewerb inkl. Preisverleihungen dreidreiviertel Stunden dauert - und dabei große Unterhaltung bietet. Kulenkampff hat auch überzogen, Gottschalk selig auch! Es gibt Led-Zeppelin-Konzerte von dieser Länge! Im Übrigen ist FILMZ wohl auch das einzige Festival, bei dem der Start eines Filmes um ein paar Minuten verzögert wird, um einem Zuschauer die Möglichkeit zur Eintrittspreis-Teilrückerstattung zu geben, der wegen eines Missverständnisses 8 statt 6 Euro bezahlt hatte...

Und die Filme in diesem Jahr: "Der Albaner" und "Über uns das All" von Jan Schomburg zählen zum Besten des deutschen Kinos in diesem Jahr, und "Tage die bleiben" von Pia Strietmann spielt auch beinahe in dieser Liga.

"Tage die bleiben" beginnt mit einem Totentanz: eine Frau im Auto, während eines Unfalls, in ästhetizistischer Zeitlupe, mit graziös umherfliegenden Blumenblättern und Glasscherben, das Ballett einer Sterbenden. Dann für zehn, zwanzig Minuten die Vorgeschichte dazu, eine Vorstellung der Familie Dewenter, die keine wirkliche Familie mehr ist. Vater meist abwesend, zumindest geistig, oft auch körperlich, weil er eine Affäre hat; die Tochter eine rotzfreche Pubertätsteenagerin; der ältere Sohn schon lange aus dem Haus; und die Mutter hat einen Roman geschrieben über den Ausbruch aus dem Alltag einer mittelalten Mutter... Nach der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Münster stehen wir dann wieder am Anfang des Films, am Ende des Lebens der Mutter, am Beginn einer neuen Zeit für die Dewenters. Wie sich Vater, Tochter, Sohn zusammenraufen - wie sie vor allem miteinander raufen -, wie zwischen dem Trott der Vergangenheit, dem Bruch durch den Verlust der Mutter, den nötigen Bestattungsformalitäten und den gegenseitigen Abneigungen so etwas wie Einsicht, vielleicht gar Gemeinschaft entsteht: Das erzählt Pia Strietmann auf sehr einfühlsame Weise, ohne in die Klischees des Trauerfilms auszubrechen. Weil die Trauer erstmal gar nicht da ist, sondern die Egoismen der Übriggebliebenen, die miteinander so gar nichts anfangen können. Und die sich selbst und einander erstmal überhaupt kennenlernen müssen.

Was es natürlich auch gab bei FILMZ: Filme, die nicht ganz schlecht sind, aber auch nicht gut, so lala im Mittelfeld, also eigentlich unsichtbar, sprich: eigentlich nicht sehenswürdig. In "Unter Nachbarn" macht Regisseur Stephan Rick an sich alles richtig, das heißt aber auch: alles vorhersehbar. Womit nicht einmal unbedingt die Handlung gemeint ist, die sogar recht spannend ist: Maxim Mehmet, neu in der Stadt, lernt seinen Nachbarn kennen, der so anhänglich ist, dass es psychopathisch wird. Als Mehmet einen Unfall baut, eine Frau tötet und dann Fahrerflucht begeht, ist er an seinen Nachbarn, den Mitwisser, gebunden; der fortan sich mehr und mehr in sein Leben drängt.
Vorhersehbar ist dabei insbesondere die Inszenierung: Man weiß schon im Voraus, wann der nächste Schnitt kommt, bei manchen Einstellungen weiß man genau, dass jetzt eine Schärfenverlagerung kommt, man kennt vorher die Klavierakkorde, die dann tatsächlich auch einsetzen; und den nächsten Dialogsatz kann man mitunter auch erraten. Es ist alles so glatt, handwerklich so präzise und nach Lehrbuch gefilmt, dass kein Platz für Überraschungen mehr bleibt. Und die wären nötig in einem solchen Nachbarschaftsthriller.

Höchst originell dagegen Niko Kühnels Langfilmdebüt. "Ein Jahr später" ist privat entstanden, unter Freunden - quasi die Fachschaftsrat-Generation nach mir beim Filmwissenschaftsstudium -, die an Wochenenden, ohne Budget, diese fantastische Komödie gedreht haben. Natürlich sind die production values niedrig, die Schauspieler sind sichtlich keine Profis, weshalb der Film auch nie über den Status eines Liebhaberobjektes hinauswachsen wird.
Aber eine dolle Handlung, dramaturgisch sehr gut entwickelt, mit treffenden Dialogen und ohne jeden Lehrlauf: Frank, Mark und Alex erwachen nach einem langen WG-Abend, und es ist ein Jahr später. Sind sie über zwölf Monate drübergestolpert? Haben sie ein Jahr verschlafen? Haben sie die vergangenen Monate vergessen? Jedenfalls ist die Zeit weitergegangen, und sie stecken im Zustand der Vergangenheit fest. Und müssen feststellen, dass ihre Träume allesamt nicht in Erfüllung gegangen sind: Alex, der mit seiner Freundin ein spießiges Familienleben beginnen wollte, hat plötzlich eine Neue, Caro, mit der er ein halbes Jahr zusammen ist, die er aber natürlich gar nicht kennt. Frank, der wild und frei nach Neuseeland wollte, steckt im langweiligen, aber wohldotierten Job als, uaaah: Unternehmensberater fest. Und Mark ist nicht mehr ihr Freund: der wacht dafür in einer möbellosen Wohnung auf, und wird von ominösen Gestalten gejagt.
Ein Sprung in die Zukunft, nach dem Abschluss des Studiums: ein Sprung, der das Ergebnis ohne den Entwicklungsweg dahin präsentiert. Verlorenheit in einer neuen Zeit für die drei, eine Zeit, die ihre eigene ist, ihre eigene sein wird, in sprunghafter Fortentwicklung.
Sie müssen sich zurechtfinden in diesem neuen Leben. Sie müssen herausfinden, wer sie nun sind, was sie nun sind: Detektivarbeit für jeden von ihnen, was in drei Handlungssträngen von Mysterythriller bis romantic comedy mündet. Und vor allem letztere ist sehr gelungen: schön, wie Caro, Alex' Neue, ihn an sich heranführen will, indem sie im Schnelldurchgang ihr Kennenlernen nachinszeniert: Das Re-Enactment einer schonmal erlebten Liebe, um die Gefühle in Alex zu wecken, die sie für ihn empfindet - weil sie ihn ja schon lange kennt, und er sie am Morgen erstmals gesehen hatte...
Kühnel schaltet ganz sicher von einem Strang zum anderen, die Schauspieler liefern eine gute - wenn auch nicht professionelle - Leistung ab: Ein Film, der wirklich großen Spaß macht.

Harald Mühlbeyer

FILMZ 2011 - Elfte Eröffnung

Ging es wirklich so drunter und drüber hinter den Kulissen von FILMZ, wie die beiden Moderatorinnen des Eröffnungsabend, Tiziana Calò und Linda Kujawski, andeuteten? Immerhin sind die beiden die Hälfte der Festivalleitung und müssen es wissen; und immerhin wurden wir zwar im Foyer des Residenz&Prinzess-Kinos in Mainz von einer freundlichen Dame mit "Akkreditierung"-Schild empfangen, die uns aber erst an die falsche Kasse schickte, und die Dame an der richtigen Kasse wiederum wusste nichts mit einem anzufangen, der so mit so einem orangeroten Badge eine Karte haben wollte... Immerhin, und eine solche Freundlichkeit findet man auf keinem anderen Festival: Mit der Pressemappe wurde den Akkreditierten auch eine Ritter Sport-Mini-Schokolade mit auf den Weg gegeben. Danke dafür!

FILMZ ist ehrenamtlich organisiert, FILMZ hat eine große Fluktuation der Organisatoren: Es sind ja alles Studenten, die das machen, und wer im einen Jahr kann, ist im nächsten vielleicht nicht mehr verfügbar. Davon hat man aber gar nichts bemerkt am Eröffnungsabend - außer bei den gar nicht kokett gemeinten Bemerkungen der Moderationsrede (die sich also für etwas entschuldigten, was keiner Entschuldigung bedurfte). Dass in diesem Jahr zwei Drittel des 600-Plätze-Kinosaals für geladene Gäste reserviert waren, kann FILMZ als neuen Rekord buchen - dass davon gut ein Drittel frei blieb, ist den Veranstaltern nicht anzulasten, eher den doofen Promigästen, die zusagen und dann doch nicht kommen.


Verpasst haben sie eine schöne Komödie von Ingo Haeb: "Sohnemänner" erzählt vom Sohn im Mann. Dreh- und Angelpunkt ist Edgar, auch schon über sechzig, ein Hamburger Kiez-Original mit zwanghafter Vitalitätsaura. Er hat einen Sohn, Uwe, und eine Mutter, Hilde. Und unter Umgehung der Edgar-Generation schnappt Uwe seine Oma Hilde und fährt sie schnurstracks in den Schwarzwald. Dort wohnt er in einem urigen Bauernhof, zusammen mit Johann. Edgar folgt ihm nach, nistet sich dort ebenfalls ein. Später kommen noch Edgars viel jüngere Freundin und deren einigermaßen hyperaktiver Sohn dazu. Natürlich gibt es Reibereien.

Denn Uwe hegt tief verwurzelte Animositäten gegen den Vater, der seine Oma so schnöde in ein schäbiges Altenheim abgeschoben hat; sie wäre doch in der Seniorenresidenz Sonnenhof hier am Ort viel besser aufgehoben. Schließlich ist sie wie eine Mutter für ihn! Der Vater hatte ihn ja als Kind bei ihr abgegeben... Edgar wiederum will auch das Beste für die Mutter, nur soll's ihn auch nicht allzusehr belasten in seinem Leben, das er mit aller Kraft führen will. Edgar gegen Uwe, dazwischen Oma Hilde als Zankapfel und zugleich Waffe, die beide wechselseitig gegen den anderen führen. Und dabei weiß keiner viel über den anderen; und Edgar heißt ja eigentlich wohl doch Johnny, ein Name, der viel besser zu ihm passt.

Dass Uwe schwul ist, dass sein Liebhaber an Parkinson erkrankt ist und wegen seiner Pillen gerne mal durchgeistigt lächelt: Das sind kleine Nebendetails, die den Film so reich machen. Haeb hat ein Gespür für die Charakterisierung seiner Figuren - auch der kleinsten Rollen - aus kleinen Gesten, aus Blicken, aus Bemerkungen, die en passant fallen; er hat ein Gefühl für die eingestreuten Gags, die ganz beiläufig eingeflochten sind. Was dem Film ein bisschen fehlt: Man kann die Figuren nicht wirklich sympathisch finden, zunächst zumindest, sie sind nicht skurril genug, um schrullig zu wirken, aber innerlich, emotional zu verdreht, um für normal zu gelten. Immerhin, wenn wir tiefer in die Geschichte, in diese irgendwie beleidigten und doch aufeinander angewiesenen Wesen eindringen, dann bietet der Film sehr schöne Einblicke in Generationenproblematik, Sohn-Dasein, Männlichkeitsvarianten.

Harald Mühlbeyer

DVD: MOON


The Dark Side of the ...

In der Zukunft löst die Menschheit ihr Energieproblem durch Helium-3, das auf der Rückseite des Mondes abgebaut wird. Das geschieht weitgehend automatisiert unter der Kontrolle von Computer Gerty (mit der Stimme von Kevin Spacey). Ganz ohne Menschen geht es allerdings nicht: Sam Bell (Sam Rockwell) ist als einziger Arbeiter auf der Mondstation postiert und leistet die letzten zwei Wochen seines dreijährigen Dienstes ab. Bald wird er seine Frau und seine kleine Tochter wiedersehen. Direkt mit ihnen sprechen kann er nicht, eine defekte Satellitenverbindung erlaubt nur die Kommunikation über Videobotschaften. Die Isolation nagt an Sams Psyche. Er beginnt, mysteriöse Erscheinungen zu sehen, und verunglückt bei einer Kontrollfahrt. Auf der Krankenstation kommt er wieder zu sich, wird jedoch das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt. Gerty erklärt ihm nur, dass er aufgrund des Unfalls an Gedächtnislücken leide. Sams Misstrauen ist geweckt.

"There is no dark side of the moon really. / Matter of fact it's all dark." (Eclipse)

Wer sich nach gänzlich Spoiler-freier Kritik sehnt, dem sei Dennis Vetters SCREENSHOT-Beitrag vom Exground Filmfest 2009 ans Herz gelegt. Doch bitte keinesfalls einen Blick auf die Rückseite der DVD werfen (ärgerlich!). Wie gut, dass Duncan Jones‘ erster Langfilm zwar nach Mystery aussieht, aber sich letztlich viel mehr als ein melancholisches Drama herausstellt. Es geht nicht so sehr darum, was geschehen ist, die Kraft und Schönheit von MOON liegt vielmehr darin, wie der Film sich des einsamen Mondbewohners annimmt.

Sam definiert sich über die Familie, die er auf der Erde zurücklassen musste. Er arbeitet und lebt drei Jahre in völliger monotoner Einsamkeit. Seine einzige wirkliche Aufgabe besteht darin, gelegentlich zu den Erntemaschinen hinauszufahren, volle Rohstoffkartuschen abzuholen und diese zur Erde zu schicken. Sein Leben in der Station richtet er sich ein in der Hoffnung auf das andere Leben, das Zuhause auf ihn wartet, so wie die Fotos von seinen Liebsten, die überall hängen. Den schmuddeligen Funktionalismus der Station „Sarang“ hat er sich mit ein wenig Geborgenheit ausgefüllt. Im Traum sehnt er sich in goldenem Licht nach seiner Frau Tess. Doch in der Mond-Realität reißt ihn der Wecker aus dem Traum, aus dem ironischerweise ausschließlich „The One and Only“ von Chesney Hawkes tönt. Nur sachte angedeutet wird, dass es mehr als nur einen beruflichen Grund für sein Exil geben könnte. Tess denkt jedenfalls laut darüber nach, dass es richtig von ihm war, fortzugehen. Dem Vater seines Kindes wünscht man sicher keine drei Jahre Einzelhaft ohne Telefon.

I never said I was frightened of dying.” (The Great Gig in the Sky)

Im Audiokommentar, zusammen mit Produzent Stuart Fenegan, lässt Regisseur Duncan Jones keinen Zweifel daran, dass er seine Vorbilder kennt. Wenn Sam sich geduldig seinen Pflanzen widmet, die er in Essenskartons züchtet, und mit ihnen spricht, erinnert das nicht von ungefähr an SILENT RUNNING (1972) – außerdem heißen die Pflänzchen Ridley, George, Kathryn und Stanley. Kubricks 2001 drängt sich stark auf, ebenso wie OUTLAND, ALIEN oder SOLARIS (eher Soderbergh als Tarkovski, doch darüber lässt sich natürlich trefflich streiten). Es verwundert nicht, dass entlang dieser Kette an Referenzen (nicht nur) Sams Verdacht zunächst auf Computer Gerty fällt, der zwar mit Emoticons mit seinem menschlichen Mitbewohner interagiert – das hat er der roten Glühbirne von HAL voraus –, doch letztlich auch für dessen Überwachung verantwortlich ist. Er überlistet ihn und fährt hinaus zur Unfallstelle und findet seinen Doppelgänger dort eingeklemmt. Er rettet ihn.

Die Begegnung mit dem Fremden ist in MOON nichts anderes als die Begegnung mit sich selbst, die Reise eine existenzialistische. Jeder der beiden ist sich seiner Individualität und Erinnerungen völlig gewiss. Erst gehen sich Sam und Sam aus dem Weg, dann streiten sie, wer das Original ist und wer die Kopie, über einer Partie Tischtennis kommt es fast zu Handgreiflichkeiten. Sam Rockwell schafft es in dieser Doppelrolle, beide Figuren als unterschiedliche Charaktere zu entwickeln: Einerseits der gealterter Sam, gesetzter und müder, auf der anderen Seite der junge Sam, vitaler, aber auch aufbrausender, der nicht aufhören will, die Situation zu hinterfragen.

Die Begegnung mit seinem Doppelgänger konfrontiert Sam damit, wie er vor drei Jahren war. Der ältere bleibt das emotionale Zentrum des Films, denn er ist eine melancholische Figur und spürt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Also fährt hinaus, immer geradeaus und siehe da – Funkkontakt. Sam will, nein, er muss herausfinden, welche Wahrheit ihm bleibt. Er ruft Zuhause an. Clint Mansells sensibler Score weitet sich hier zu Sams ganz eigener Version des „Nach-Hause-Telefonierens“, öffnet den Raum zu einem elegischen Moment: Der kleine Mensch in seinem Spielzeugauto in der Mondwüste, die Erde direkt vor ihm und doch absolut unerreichbar. Es ist einsam dort oben. Jetzt noch mehr als vorher.

So wie Gerty lernen muss, dass Menschen keine Programme sind (ein versöhnlicher Moment), so muss auch Sam den Wert des Lebens neu entdecken. Beide Sams lernen voneinander und versöhnen sich in einer Art Vater-Sohn-Verhältnis. Sie haben beide die gleiche Tochter, die sie gleich lieben. MOON ist nicht die Geschichte von einem – sondern von zweien, die daran wachsen, dass sie in den Spiegel schauen. Darin gleicht der Film einem anderen modernen Klassiker, GATTACA, der auf einer ganz ähnlichen bittersüßen Note endet. Sams Reise ins Ungewisse, die er am Ende wirklich antritt, zitiert erneut Kubricks 2001, doch es ist nicht der Übergang in zeit- und ortlose weiße Räume, sondern die Reise nach Hause. Sam will endlich sein Leben zurück. Er hat lange genug gewartet.

Mathias Grabmaier

MOON (UK 2009)
Regie: Duncan Jones
Buch: Nathan Parker nach einer Idee von Duncan Jones
mit: Sam Rockwell, Kevin Spacey, Dominique McElligott, Kaya Scodelario, Benedict Wong, Matt Berry
Laufzeit: 93 min.
Sprachen: Deutsch und Englisch

Bonusmaterial: Trailer, Audiokommentar mit Duncan Jones, Kameramann Gary Shaw und den Designern Gavin Rothery und Tony Noble, zweiter (empfehlenswerter) Audiokommentar mit Duncan Jones und Produzent Stuart Fenegan
Zusätzliches Bonusmaterial der Special Edition: Kurzfilm WHISTLE von Duncan Jones, Making of Visuelle Effekte, Science Center und Sundance Festival Interviews

MOON ist erhältlich auf Blu-Ray, DVD und 2-Disc Special Edition
(Die Extras von Blu-Ray und DVD sind identisch)

FILMsZene - FIlmemachen in RLP oder: Ohne Moos nix los

Nicht nur, dass sich schon mit seiner Podiumsdiskussion bzw. dessen Titel "FILMsZene" das 11. FILMZ - Festival des deutschen Kinos allein typorgrafisch in unser Herz gekalauert hat, die Veranstaltung selbst verspricht auch inhaltlich Spannendes, berührt sie doch ein gerade in Rheinland-Pfalz wundes Thema: Die (hier nicht, zumindest nicht direkt existente) Filmförderung.

"Ohne Filmförderung kein Filmmarkt" lautet die Devise des Gesprächs von und mit regionalen Filimschaffenden. Gäste am Donnerstag, dem 24.11. im Instut Francaise (18.00 Uhr) sind Michael Schwarz von "Nachtschwärmerfilm", Tidi von Tiedemann ("Konstrastfilm") und Claudia von Tronnier (Redaktionsleitung ZDF - Das kleine Fernsehspiel). Aus der Politik gibt es Ulrich Steinbach als Medienpolitischen Sprecher Landtagfraktion Bündnis 90 / Die Grünen zu bestaunen, außerdem Tanja Machalet, SPD Arbeitskreisvorsitzende für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur. Heidi Schmidt von ARD Online moderiert. Vertreter aus Wirtschaft und Politik sind - laut FILMZ - eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen (was immer das jetzt heißen soll...).

Aber vielleicht kommt ja doch was bei raus, drum: Hingehen, kräftig Filmförderung fordern - vielleicht kommt nächstes Mal dann nicht "nur" eine Arbeitskreisvorsitzende, sondern Doris Ahnen, wer weiß.

zyw

FILMZ 2011 - Viel geboten!


Vielfältig wie nie, soll das FILMZ – Festival des deutschen Kinos sein, so versprechen es die Veranstalter. Ob das stimmt, können Sie selbst vom 23. bis 27. November hier in Mainz nachprüfen. Das Programm lässt sich auch im 11. Jahr (wieder) sehen: Im Landfilmwettbewerb präsentiert wird Brigitte M. Berteles bemerkenswertes Vergewaltigungsdrama DER BRAND (D 2010) mit einer eindrucksvollen Maja Schöne.

Außerdem: Das Trauerdrama TAGE DIE BLEIBEN (D 2011) von Pia Strietmann, in dem Götz Schubert, Max Riemelt und Mathilde Bundsch als Vater, Sohn und Tochter nach dem Autounfalltod der Mutter (Lena Stolz) im doppelten Sinne zu sich und einander finden müssen.

Und ebenfalls dank den FILMZern in Mainz das Exilanten- u. Schwarzarbeiterdrama DER ALBANER von Johannes Naber, Gewinner des diesjährigen Max-Ophüls-Preises.

Ist aber natürlich nicht alles Drama, auf dem 11. FILMZ, dafür sorgt schon die FILMZ-Vorfreudeparty in der Dorett-Bar am 17.11., die Kurzfilme, der FILMZirkel. Eröffnet wird das Festival übrigens mit SOHNEMÄNNER (D 2011) von Ingo Haeb, dem Vorfilm MEIN SASCHA (D 2010) von Markus Kaatsch und sicher einer ulkigen Ansprache von dem bald nicht mehr amtierenden Bürgermeister der Mainzelmännchenmetropole.

Ehrengast ist 2011 Hans W. Geißendörfer. Dem Mann mit der Mütze wird die Rückblende gewidmet sein (mit Filme wie die DIE GLÄSERNE ZELLE oder JONATHAN); live Rede und Antwort steht der „Lindenstraße“-Macher auf dem traditionellen Symposium im Hörsaal der Filmwissenschaft (Medienhaus, Samstag, 26.11., ab 13.00 Uhr).

Ein weiteres Highlight gibt es auch am Sonntag, dem 27.12.: Ab 11.00 Uhr morgens werden im Cinestar 7 hintereinander die drei Teile des Projekts DREILEBEN (D 2011) gezeigt: ETWAS BESSERES ALS DER TOD von Christian Petzold, KOMM MIR NICHT NACH von Dominik Graf und EINE MINUTE DUNKEL von Christoph Hochhäusler bauen aufeinander auf, hängen zusammen, und wie dies alles entstand und mit welchen Hintergedanken, das ergibt sich aus der anschließenden Szenischen Lesung des (E-Mail-)Briefwechsels der drei Meisterregisseure. Vom Team und der Produktion (bzw. Redaktion) wird dafür leider – anders als bislang angekündigt – dann niemand da sein.

Mehr - ach was: ALLES! - zum FILMZ hier: http://www.filmz-mainz.de/


zyw

KURSDORF auf Festivals

Neues zu dem kurzen Dokumentarfilm der "Nachtschwärmer"-Filmer Michael Schwarz und Alexander Grieser:

KURSDORF feierte am 10. November Doppel-Premiere auf dem Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest sowie auf dem den Flensburger Kurzfilmtagen, wo die u.a. mit Harry Rowohlt besetzte Fachjury dem Film eine lobende Erwähnung aus- bzw. zusprach.

Außerdem wird die Kurzdoku sowohl im Rahmen des exground filmfests Wiesbaden (19.11.2011, 18 Uhr, Murnau Filmtheater) und beim Mainzer FILMZ (25.11.2011, 17.30 Uhr, Cinestar)zu sehen sein. Und schließlich geht es mit KURSDORF auch nach Oberfranken: Die Doku wurde für den Dokumentarfilm-Wettbewerb der Bamberger Kurzfilmtage Ende Januar ausgewählt.

Grindhouse-Nachlese – Slasher zu Halloween

Samstag, 29.10.2011, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Friday the 13th“, USA 1980, Regie: Sean S. Cunningham.

„Madman“, USA 1982, Regie: Joe Giannone.



Da sitzen sie alle am Lagerfeuer, die Betreuer eines Camps und ein paar Kids, und einer singt eine Horrormoritat vom Killer im Dunkeln. Dann erzählt der Chef des Camps, passend zur Atmosphäre, die Geschichte des alten Bauern Marz, hässlich, fies, brutal, ein Säufer und Schläger, der eines Tages durchdreht und Frau und Kinder mit der Axt zerhackt. Ein Mob lyncht ihn, erhenkt entkommt er der Schlinge und streunt seither durch die Wälder. Und wer seinen Namen ausspricht, den holt er: Madman Marz.

Wie sich herausstellt: eine lebende Legende. Degeneriert und mehr Tier als Mensch, mit klobigen nackten Füßen, behaarten Klauen mit langen Krallen, einem fellähnlich behaarten Gesicht, gebücktem Gang tötet er die, die allein im Wald unterwegs sind. Mal mit einer Axt zugeschlagen, mal eine Schlinge flugs seinem Opfer von hinten um den Hals geschlungen; gefährlich auch, nachts den Pickuptruck reparieren zu wollen, den Kopf unter die Motorhaube zu stecken, wenn Madman Marz auf dem Autodach steht, bereit zum Sprung… Ein Kühlschrank bietet Sicherheit, nicht nur – siehe Indiana Jones – vor einer Atombombe, auch vor dem Wahnsinnigen; sofern man nicht zu früh die Türe aufmacht…

Da sitzt sie, die verängstigte Frau, wie ein kleines Zicklein im Versteck: Dieser Moment offenbart, was die Grundlage für diesen Film „Madman“ von Joe Giannone aus dem Jahr 1982 ist, was die Grundlage eines jeden Slasherfilms sein sollte: Der böse Wolf kommt, die Geißlein versuchen, ihr Heim zu verrammeln; vergeblich: sie verstecken sich voll tödlicher Angst, und sie werden doch eins ums andere gepackt und gekillt. Ein Muster, das im Horrorfilm lediglich um die Komponente eines weitläufigeren Geländes ergänzt wird, und um eine größere Eigenständigkeit der Geißlein, die im Slasherfilm dummerweise ihren eigenen Kopf haben und deshalb immer wieder alleine in den Wald gehen. Mit den besten Vorsätzen zwar – die Vermissten zu suchen –, aber mit fatalem Ergebnis. (Was nebenbei ein kleines Rotkäppchenmoment mit hineinbringt: Ich will mein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn mir's die Mutter verboten hat... Im Übrigen ist das Bäucheaufschlitzen – wie es in beiden Märchen vorkommt – das konstituierende (und titelgebende) Motiv des Genres, wenn’s auch vornehmlich nicht beim Bösen Wolf geschieht, sondern bei den bemitleidenswerten Opfern.)

Ein grandioser Slasherfilm ist „Madman“, von Ideenreichtum und Wirkung wie „The Burning“, aber dann doch nochmal interessanter – sind die Opfer doch nicht die Teenies, sondern die Betreuer, die sich wie Teenies verhalten, mit ihren kleinen Kabbeleien, mit ihren Sehnsüchten, mit ihren Beziehungskisten und Sexaffären. Dunkel ist der gefährliche Wald, unheimlich das halbverfallene Farmhaus, in dessen Keller Marz seinen Vorrat an selbstgefertigten Leichen anlegt, unmenschlich-grauenhaft ist der Killer; Regisseur Giannone spielt nach den Regeln, er weiß um die Regeln, er variiert sie und ironisiert sie mitunter, wobei der tongue-in-cheek-Ansatz dem Grusel nicht im Weg steht. Vor allem aber: Die Opfer wissen um ihr Schicksal, und der Zuschauer tut es auch. Denn zu Anfang, bei den Lagerfeuer-Horrorstories – das ist der Clou des Films – blendet Giannone sekundenkurze Flashforwards auf das spätere Schicksal derer ein, die sich da am Feuer so schön gruseln – und die später stolpern, schreien, fliehen und sterben werden.

Das ist der Unterschied zu „Freitag, der 13.“: Dieser gilt als einer der allerersten Slasherfilme, als der, der mit seinem immensen Erfolg dieses Subgenre so richtig angeschubst hat, der deshalb filmgeschichtlich legendär ist – und dem die Zeit nicht gut getan hat. Ein Eindruck, der durch die billige deutsche Synchro nicht gerade gemildert wird; der sich aber vor allem aus dem Film selbst ableitet. Denn: Die Teenager, die Crystal Camp wiederaufbauen wollen, werden vom Killer – den wir wegen subjektiver Kamera (die nie so schön glatt gleitet wie am Beginn von „Halloween“) nie sehen können – voneinander isoliert und dann aus heiterem Himmel gemordet. Ohne dass sie es selbst merken würden. Ohne dass irgendjemand im Film Angst hat. Sprich: Nicht sieben Geißlein, sondern zehn kleine Negerlein werden hier zum Opfer, die nichts wissen von ihrem Schicksal, die nichts ahnen, die einfach rumlaufen und plötzlich tot sind. Bis zu den letzten fünfzehn Minuten weiß keiner, dass da überhaupt irgendwo ein Killer ist!

Der Zuschauer weiß es. Das würde ja auch genügen, wenn der Film denn die Whodunnit-Formel erfüllen würde. Aber darum geht es eben auch nicht, denn der Killer ist keiner, den wir kennen, und kann auch keiner sein. Dafür taucht am Ende eine ältere Dame auf, die direkt aus einem Edgar Wallace-Film von 15 Jahre zuvor stammen könnte. Und am Ende ist alles eine Art umgekehrtes „Psycho“, mit einer Kinderstimme „Töte sie, Mami, töte sie“, die, so stellt sich heraus, die diversen (scheinbar mit sexueller Bedeutung aufgeladenen, weil phallisch ausgeführten) Morde generiert hat.

Man kann dem Film natürlich nicht vorwerfen, dass er zu formelhörig dem Genremuster folgt – er hat die Regeln ja erst aufgestellt. Aber wie es eben ist am Anfang einer Kette, wenn man sie im Nachhinein betrachtet: zu offensichtlich, zu plakativ werden die Motive und Elemente des Genres angeordnet, und das wird weder durch Witz oder Ironie noch durch übermäßige Gewalt aufgelockert. Klar: es gibt Momente von heftigem Blutvergießen, bei denen Special Make-Up Effects-Mann Tom Savini ganze Arbeit leistet. Aber immer nur für ein paar Sekunden, und ohne wirklichen Effekt auf die Atmosphäre, weil ja im Film keiner außer dem Getöteten was gemerkt hat. Dafür ergehen sich die Teenies in diversen Erforschungen der Sexualität, und das wird dann zuverlässig vom Killer bestraft. Als Final Girl übrig bleibt die mit der hochgeschlossenen Rüschenbluse.

Das natürlich ist eine der Grundregeln des Slashergenres, dass die Teenies mit sexuellen Interessen gemeuchelt werden – muss aber nicht unbedingt als reaktionär-moralisierend gebrandmarkt werden. Die Zielgruppe des Films sind halt Teenies, die müssen gekitzelt werden mit ein bisschen Sex und viel Gewalt, die zur größeren Effektivität miteinander verknüpft werden, nichts weiter. Denn am Ende wird alles eben doch anders aufgelöst, die Motive des Mörders sind nicht sexuell konnotiert, sondern dem Wahnsinn entsprungen. Dass dieser Wahnsinn real sein könnte – das legte den Grundstein für eine langlebige Filmreihe um Jason Vorhees, der dann in späteren Filmen eine Hockeymaske aufgesetzt bekam. Zehn weitere Teile des Franchises plus einer modernen Neuinterpretation: Das zeigt, wie viel Potential nach oben im ersten „Freitag, der 13.“-Film steckt. Während der „Madman“ ein Unikat blieb, das nicht hätte verbessert werden können.

Harald Mühlbeyer