Grindhouse-Nachlese Dezember 2011 – Freudstein und Hundegott

Samstag, 17. Dezember 2011, Cinema Quadrat Mannheim:

„The House by the Cemetary“ / “Quella villa accanto al cimitero”/ „Das Haus an der Friedhofsmauer“, Italien 1981, Regie: Lucio Fulci.

“The Curse of the Dog God” / “Inugami no tatari”, Japan 1977, Regie: Shunya Ito.

Recht vorhersehbar ist Lucio Fulcis „The House By the Cemetary“ – nur, dass es nicht um Zombies geht, ist überraschend, vor allem wegen des in dieser Hinsicht etwas irreführenden Titels. Ein haunted house in good ole New England steht im Mittelpunkt, drumrum im Garten Kreuze und Grabsteine, auch im Wohnzimmer eine Grabplatte; ein unheimlicher Babysitter, ein geheimnisvolles Geistermädchen, der Angriff einer blutrünstigen Fledermaus, unheilschwangeren Geräusche aus dem Keller und diverse Splatterszenen sind die Zutaten. Die Familie im unheimlichen Haus, ein holder Knabe mit blondem Haar ahnt Böses, der Papa, Historiker, erforscht den Selbstmord eines Kollegen, die Mutter nimmt Tabletten gegen Halluzinationen – das alles ist uninspiriert zusammengerührt, und lächerlich wirken die ständigen wiederholten Aktionen: Jemand kommt heim und ruft nach den anderen, die aber nicht da sind; und wenn einer dann allein ist, dann geht er in den dunklen, dunklen Keller. Dort lauern die Splattereffekte.

Ann, das Kindermädchen, hat ein ähnliches Antlitz wie eine Schaufensterpuppe, die wir zuvor gesehen habe: Ihr Kopf fiel ab, Blut quillt hervor, die Maskenbildner taten alles, um das Halsinnere echt aussehen zu lassen. Zeuge davon: Ein Mädchen, offenbar ein Geist mit telepathischen Fähigkeiten. Doch das alles – inklusive dem Babysitter – sind Nebenkriegsschauplätze, die gar nichts mit irgendwas anderem zu tun haben, deren Wirkung des Unheimlich-Seltsamen deshalb verpufft, ja: sich nie entfalten kann. Das Beste an dem Film: Der Unhold ist ein untoter Geist, ein Mad Scientist des 19. Jahrhunderts, mit dem feinen Namen Dr. Freudstein.

Völlig unvorhersehbar dagegen der zweite Film des Abends; der aber wiederum verblüffend vorausschauend ist. Wäre „The Curse of the Dog God“ bekannter, wäre die Welt nicht so erstaunt über die Katastrophe von Fukushima gewesen. Alles ist hier schon vorgezeichnet, in prophetischer Klarheit!

Das japanische Kino ist voll von Metaphern wider das Atomzeitalter. Godzilla ist die metaphorische Verkörperung von Little Boy und Fat Man; zwei Banden, die von einem herrenlosen Samurai gegeneinander ausgespielt werden, symbolisieren Hiroshima und Nagasaki; und verschiedene Versionen über ein Verbrechen im Lustwäldchen bedeuten zehntausende verlorene Geschichten von atomisierten Toten. Aber diese Interpretationen sind natürlich höchste Kunst der Hermeneutik, die nicht jeder verstehen muss.

Ganz eindeutig dagegen „The Curse of the Dog God“, der sowohl metaphorisch als auch ganz konkret vor dem Atom warnt. Es geht um die Suche nach Uran im rohstoffarmen Japan, drei junge, enthusiastische, übermütige Männer sind im Jeep unterwegs und geraten außer sich vor Freude, als der Geigerzähler über 30.000 geht. Dabei überfahren sie einen Schrein für den Hundegott und gleich darauf auch noch einen echten Hund. Zack, fährt der Fluch in sie, und 10 Filmminuten später sind zwei von ihnen tot. Der Dämon ist entfesselt, die Geister, die sie fanden, werden sie nicht mehr los, die Gefahr des Atoms wütet in Form eines bösen Gottes. Wenn der Bergbaukonzern dann das Uran abbaut, wird es konkret: ein wildgewordener Bohrer rast unten im Bergwerk wild herum und verfolgt und durchlöchert zwei Arbeiter. Und selbstverständlich kann es nicht gut gehen, wenn Uran aus dem Berg mit Schwefelsäure herausgewaschen werden soll. Tepco-like versuchen die Uranarbeiter die Verseuchung des Grundwassers zu vertuschen; und Kano, der einzige integre Uraningenieur – der einzige der Uransuchenden vom Anfang, der überlebt hat –, kann natürlich nichts ausrichten, weil da draußen immer noch der Hundegott wütet.

Was man immer in den Nachrichten hört: Es gebe in Japan keine Antiatomgesinnung; die Katastrophe von Fukushima sei völlig überraschend gewesen – „The Curse of the Dog God“ führte bereits vor fast 35 Jahren die Gefahren haarklein vor. Und ist dabei unheimlich unterhaltsam, weil er alles tut, was man von einem Grindhousefilm verlangen kann: Schon vor dem Sündenfall mit dem Hundegottschrein sehen wir zwei nackte junge Damen sich im Wildwasser tummeln, Kano und seine Kumpels beobachten sie heimlich, und – als wärs ein Almenjodlerbumsifilm: Kano fällt vom Baum ins Wasser, hahaha! Später schlägt der Fluch zu, Kanos Freunde sterben auf unheimliche Weise – der eine wird von Hunden aufgefressen, Tierhorror! -, und Kanos Frau nimmt den Fluch auf sich, um Kano zu schützen. Sie wird wahnsinnig, ist auch noch schwanger, Rosemarys Baby und der Exorzist treffen sich zum Kaffeekränzchen, allerdings auf japanisch: Ein Priester fuchtelt furchtbar herum, ein Medium wedelt mit Papierstreifen aus dem Aktenvernichter, wilde Bewegungen und groteske Fratzen lassen den Dämon im Leib der Lady hervortreten; sie stirbt dann im Schnee. Und der Film wird zum Hinterwäldlerhorror, ein alter Bauer will sein Land nicht an die Urancompany verkaufen – er hat Angst vor der Atombombe –, es kommt zu diversen Ausschreitungen, an denen der Hundegott kaum Schuld hat, eine Art Fronleichnamsprozession wird zum Lynchmob, Religionspsychoaction meets Hexenjagd meets Ökothriller, und im übrigen vergewaltigt eine Rockerbande beinahe die Tochter des renitenten Bauern, Bikerfilm kommt also auch noch hinzu.

Man kann, wenn man inmitten des Wahnsinns dieses Filmes steckt, niemals vorhersagen, was als nächstes passieren wird; Grusel, Horror, Splatter wechseln sich mit Momenten der Komik ab, um dann eine neue, absurde Handlungsschleife zu nehmen. Dass alles vor atemberaubender Landschaft geschieht (gedreht wurde in einem Nationalpark), macht die Bilder groß und schön – dass alles auf komplizierten Familienverhältnissen beruht, macht das Kuddelmuddel schön groß. Kano hat nämlich die Tochter dessen geheiratet, dem der Uranberg gehört, geschäftlich ist also alles in Butter; deren Freundin aber hat einen Bruder, und dessen Hund hat Kano getötet, was überhaupt erst alles ins Rollen brachte. Vater von diesen Geschwistern ist wiederum der renitente Bauer, und – jetzt wird’s kompliziert – nach dem Tod seiner Frau bändelt Kano wiederum mit dessen Tochter an, was den vormaligen Schwiegervater grämt… Reicher Bauer gegen armen Bauer, mein Land und dein Land: typische Heimatfilmzwistigkeiten mischen auch noch mit rein und werden durch diverse wechselseitige Hundegottbeschwörungen und –besessenheiten nicht vermindert. Dass auf der Seite des armen Bauern eine Zwölfjährige sich ganz vom Hundegott in Besitz nehmen lässt und fantastisch-übernatürliche Sprünge durch die Luft vollführt, als sie Kano endgültig den Garaus machen will; oder dass der reiche Uranbergbesitzer in der Scheune einen gewalttätig-wahnsinnigen Sohn versteckt hält: das sind die letzten Aufbäumungen dieses wirren, wilden, hellsichtigen Filmes, der alles in sich vereint, was man sich wünschen könnte.

Ob Regisseur Shunya Ito das kleine oder gar das große Latinum hat – der Name Kano deutet darauf hin (oder habe ich bei meiner Googlesuche nach dem Film vielleicht den falschen Namen der Hauptfigur erwischt…?) – bleibt ungewiss, wie am Ende so manches im völlig Verworrenen bleibt. Wenn Kanos Leiche zum Schluss verbrannt wird und sein Körper sich in den Flammen nochmals erhebt: Dann würde man sich eigentlich nicht wundern, wenn noch eine Zombieepisode angehängt würde.

Harald Mühlbeyer

TV-Nachschau: KOMMISSARIN LUCAS: AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN



Eine Frau um die 60 putzt sich heraus: roter Lippenstift, rauchiger Lidstrich, schwarze Netzstrümpfe, hohe Absätze. Im Bus sitzt sie neben einer Freundin. „Du siehst schön aus“, sagt sie zu ihr, und die beiden lachen kurz. Eine dunkle Limousine gibt Lichtzeichen, sie lässt die Freundin gehen – wir hören noch, wie die protestiert, aber das Auto braust gleich davon. Auf der Donaubrücke wartet ein junger Kerl auf sie. „Hallo, Maria“, sagt er und kaut auf einem Zahnstocher herum. Ganz in der Nähe vertreibt eine andere ältere Dame eine Bordsteinschwalbe. Sie sieht Maria und den jungen Mann von eben ins Haus gehen, im Dachzimmer geht das Licht an und er schließt die Vorhänge. Am Morgen wird die Frau tot an der Donau gefunden, kein Handy, keine Papiere, aber dafür Kondome in allen Farben in ihrer Handtasche – was die Vermutung über sie bestätigt, die bereits seit dem Anfang in der Luft hing.

Kommissarin Ellen Lucas (Urike Kriener) muss ihren jungen Kollegen Leander (Florian Stetter) erst einmal aufklären über Verhütung und Frauen um die 60. Prostituierte in diesem Alter sind neu für die Polizisten. Innerhalb von kurzer Zeit bekommen alle Figuren aus dem Prolog einen Namen und eine Verbindung: Der junge Mann ist Philip Schumann (Vladimir Burlakov) und hatte eine Beziehung mit der ermordeten Maria Bolte (Renate Krößner). Die Kommissarin folgt ihm zum halbseidenen Nachtclubbesitzer Liebl (Hans-Jochen Wagner als arroganter Unsympath), der auf „die Schlampen vom Omastrich“ nicht gut zu sprechen ist. Marias Freundin Agneta Wilhelm (Traute Hoess), die letzte Nacht versehentlich in Liebls Auto gestiegen ist, kann das mit blauen Flecken bezeugen. Philips Mutter Nadja (Hannelore Elsner) betreibt eine Kneipe und war früher selbst Prostituierte. Ferdinand Bolte (Elmar Wepper) schließlich ist Marias Ehemann, der seine Frau als vermisst meldet. In diesem kleinen Panoptikum an Figuren rund um die käuflichen Damen im Herbst ihres Lebens sind alle reichlich maulfaul. Als Zuschauer wissen wir bereits viel mehr, das macht sie natürlich alle verdächtig. Später wird auch Liebl erstochen vor seinem Club liegen, was den Kreis der Suspekten nicht gerade schmälert.

Die Kommissarin ist bald frustriert von den Befragungen und Verhören. Aber sie wäre nicht Ellen Lucas, wenn sie nicht angetrieben wäre, die Wahrheit aufzudecken. So scheint sie aufzublühen, wenn es etwas Konkretes zu tun gibt, denn dann kommt auch der (bewusst) ruhig erzählte Fall stärker auf Touren. „Sie kombiniert und kombiniert“, grantelt ihr Vermieter Max (Tilo Prückner), den sie natürlich auch zu seiner Bekanntschaft mit Agneta befragt. Die Kommissarin bemüht sich sehr, zu verstehen, warum Frauen in ihrem Alter ihren Körper verkaufen. Geld sei immer ein Grund, gibt Nadja lapidar an. Agneta, die Ellen Lucas im Morgengrauen an der Donau trifft, sagt, es fühle sich immerhin gut an, begehrt zu werden.

Im Zentrum von AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN stehen starke Frauen. Resigniert sitzen die Männer zuhause, während ihre Frauen sich nachts schick machen und aus dem Potential schlagen, was sie noch anzubieten haben. Die Männer wussten nichts oder wollten nichts wissen. Ferdinand Bolte gibt zerknirscht zu, dass seine Frau nun eben eine „Geschäftsfrau“ war, aber Überzeugung spricht nicht aus seinem Gesicht. Er wird gleich doppelt entmachtet: Nicht nur ist seine Frau nun zum Verdiener geworden, er muss auch dulden, dass ihr Körper ihm nicht mehr allein gehört. Der junge Philip flüchtet sich in die Beziehung mit Maria, die locker seine Mutter sein könnte, das Schwein Liebl kann er ihr jedoch nicht vom Leib halten. Die Wilhelms hatten früher eine eigene Metzgerei – jetzt nur noch einen Haufen Schulden und Hartz IV, denn beide sind in ihrem Alter auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar. Als die Ermittler aus dem Haus sind, baut sich Agneta vor ihrem Mann auf, reißt sich die Bluse herunter und entblößt die Reizwäsche und Strapse, die sie darunter trägt. „Schau’s dir an, so verdien ich unser Geld. Warum fragst denn nie?“, beschwört sie ihn, während er hilflos davonschleicht. In dem System der Entwertung ist das kein Vorwurf, sondern lediglich der Wunsch nach Anerkennung. Sie will wieder von ihrem Mann „gesehen“ werden, so wie die Männer auf der Straße sie ansehen. Was sie tut, das tut sie für beide. Diese Ehrlichkeit schmerzt, aber zumindest für die Wilhelms gibt es am Ende etwas Hoffnung auf Glück.

Ebenso sachlich wie seine Kommissarin geht auch das Drehbuch von Friedrich Ani mit dem Thema Altersprostitution um. Auf dem sozialen Abstellgleis nimmt man auch für 20 Euro eine unangenehme Nummer in Kauf, so die diegetische Logik. Und das zur besten Sendezeit im ZDF, ohne der Versuchung zu erliegen, die Figuren allzu sozialdramatisch zu karikieren. Das ist auch der Verdienst des nüchternen Stils, in den Regisseurin Maris Pfeiffer den Fall kleidet. Man kann diese Figuren zwar vielleicht nicht immer verstehen, aber man kann sie alle ernst nehmen.
Während der Nebenstrang mit den Wilhelms zeigt, wie trotz grimmiger Krimi-Sozialrealität ein emotional warmer Kontrapunkt gesetzt werden kann, bleibt der Rest des Krimis schnörkellos. Mit Maria muss diejenige sterben, die ihren zweiten Frühling genießt und ausbrechen will. Liebl war ohnehin ein Schwein. Konsequent ist es ein Fall, der sich auf die Kommissarin fokussiert, während das (Männer-)Ermittlungsteam in den Hintergrund rückt. Sie will diese Sache, die ihr so fremd ist, durchdringen. Nadja und sie sitzen sich gegenüber wie Pokerspieler, die abschätzen, welche Hand das Gegenüber haben mag – die Kommissarin ist ebenfalls eine starke und abgeklärte Frau. Natürlich löst Ellen Lucas am Ende beide Morde (mit der Doppel-Verhör-Methode à la Exley in L.A. CONFIDENTIAL) – die entscheidende Spur ergibt sich, das war absehbar, aus der problematisierten Mutter-Sohn-Beziehung. AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN ist, wie in der LUCAS-Reihe üblich, ein stark besetzter Krimi, der ein gesellschaftliches Thema zum spannenden Milieu macht. Die leider sehr konventionelle Auflösung nutzt die darin liegenden Möglichkeiten nicht und bleibt der einzige wirkliche Kritikpunkt, den man hier feststellen kann.

Mathias Grabmaier


KOMMISSARIN LUCAS: AM ENDE MUSS GLÜCK SEIN (ZDF, 23.04.2011)
Regie: Maris Pfeiffer
Buch: Friedrich Ani
Kamera: Andreas Doub
mit: Ulrike Kriener, Hannelore Elsner, Elmar Wepper, Renate Krößner, Vladimir Burlakov, Traute Hoess, Günter Junghans, Michael Roll, Florian Stetter, Inez Björg David, Alexander Lutz, Tilo Prückner, Hans-Jochen Wagner, Roland von Kummant u.a.
Prod: Olga Film

Grindhouse-Nachlese November 2011 – Fleisch

Samstag, 26. November 2011, Cinema Quadrat Mannheim:

„Die Kleine mit dem süßen Po“, Deutschland 1975, Regie: Hans Georg Keil (a.k.a. Georg Tressler).

„Wild Beasts“ / „Belve feroci“, Italien 1984, Regie: Franco Prosperi.


Von ihren Filmen her waren die 1950er Jahre die Fortsetzung des Filmschaffens der 30er und 40er mit anderen Mitteln. Das NS-staatliche Ideologie wurde durch religiös-moralische Ideologie ersetzt, seicht, bieder, chauvinistisch ging es nach wie vor zu, nur wurde nun jegliche Frivolität aus den Filmen rausgeschwärzt (die Filme der Nazizeit durchaus beinhalteten).
Wie in der NS-Zeit gab es auch im Nachkriegsjahrzehnt ein paar Ausnahme-Meisterwerke, von denen eines der größten wohl Georg Tresslers „Das Totenschiff“ von 1959 mit Mario Adorf und Horst Buchholz ist – letzteren hatte Tressler kurz zuvor mit „Die Halbstarken“ zum Star gemacht, einem Film, der nicht nur über die Jugend, sondern auch von den Jugendlichen handelt. „Das Totenschiff“ ist eine Abenteuergeschichte, in der Buchholz als mittelloser Seemann durch Frankreich wandert, um am Mittelmeer endlich auf einem Schiff anheuern zu können. Eine paradiesische Liebe auf dem Land schlägt er aus, um dafür auf einem Totenschiff verheizt zu werden, einem alten Kahn, der aus Versicherungsgründen auf hoher See untergehen soll. Action und Resignation gehen hier eine knisternde Verbindung ein.

16 Jahre später sieht es so aus in der deutschen Kinematographie: Es gibt Autorenfilme mit hohem Anspruch, der schon ins Elitäre geht, und es gibt das populäre Kino – sprich: Schmuddelsexfilmchen; eine Rückkehr der zuvor verdrängten und verdammten filmischen Freizügigkeit. Wo landet Georg Tressler? Es ist traurig, traurig... Wo die anderen Großen des Kinos vor dem Neuen Deutschen Film, Käutner und Staudte etwa, wenigstens ihr Auskommen im Fernsehen hatten, da landet Tressler unter dem Pseudonym Hans Georg Keil auf der Alm.


„Die Kleine mit dem süßen Po“: Da zieht sich zunächst mal die Muschi aus, sie ist die Kellnerin im Berggasthof vom Pichelhofer. Der hat einen jungen Sohn, der gerne der Muschi auf der Alm an die Dudeln gehen möchte, und auch in der Küche lässt er nicht von ihr, obwohl der Herr Pfarrer doch einen Schoppen bestellt hat: „Wo bleibt meine Liebfrauenmilch?“ Die ist in Arbeit, in Handarbeit...

Eine Handlung gibt es natürlich auch, die hat sogar klassische Vorbilder: Schon in den 30ern war Geldvermögen in 13 Stühlen versteckt, denen nachgejagt werden musste, im Farb-Remake in den 50ern waren’s wie bei Mel Brooks 1970 dann noch 12. Hier nun ist keine Erbschaft versteckt, sondern ein Diamant (was später bei Tommy und Mike zum Super-Tanken der Nasen führte: Solche Trash-Albernheit mit mehr Nacktheit ist ungefähr das Niveau von „Die Kleine mit dem süßen Po“), und er steckt nicht in Sitzgelegenheiten, sondern in gewissen runden Objekten. Und zwar solche, die eingeführt werden – erstens aus Japan, zweitens in die weibliche Anatomie, erhältlich sind sie im Sexshop von Herrn Spanner (sic!). Der ist ein windiger Betrüger und Hochstapler, man glaubt es nicht, wie er den Leuten das Geld aus den Taschen zieht. Zum Beispiel dem Pichelhofer, der die ganzen 40.000 Mark vom Kirchenbauverein investiert – ohne zu wissen, dass Spanner pleite ist, dass die Steuerfahndung all seinen Besitz beschlagnahmt hat (in einem großen LKW mit „Finanzamt“-Aufschrift) und dass der Spanner mit Pichelhofers Geld einen Diamanten kauft, den er in einer japanischen Liebeskugel versteckt, die der Pichelhofer und seine Söhne dann usw. usf.

Unglaublich alberne Situationen sind das: Wie der Pichelhofer beim Telefonieren seine Hand im Spalt einer künstlichen Herrenbefriedigungsgerätschaft einklemmt! Das ist lustig, weil es in seiner freizügigen Thematik so verklemmt ist. Das liegt nicht mal am Bauernschwank-Gewand – gerade in diesen Lustspielen geht es um die Lust –, sondern daran, wie die Libido in bizarr-öden Witzchen kompensiert wird. Wo irgendwo so etwas wie Erregung sich breitmachen könnte – beim Filmzuschauer oder bei einer der Filmfiguren –, wird munter eine billig kalauernde Zote hingeklatscht, wo Lust droht, wird diese sofort in einem Scherz aufgelöst. Was geil sein könnte, wird Gag: Genau das macht den Wert des Films aus, dass er sich ständig weigert, das zu sein, was er ist. Dass er jeder Qualität, die er haben könnte – und sei es die einer Blutpumpe in gewisse Körperteile – so konsequent aus dem Weg geht, ist fast schon bewunderungswürdig. Dass er in keiner Weise stimulierend ist – weder Lach- noch sonstige Muskeln–, das macht ihn schon wieder komisch, dass jede Lust verweigert wird, macht ihn lustig.

Also müssen die Herren fünf Liebeskugeln suchen. Also müssen sie die Öffnungen diverser Damen erkunden. Also gibt sich der eine Sohn als Arzt vom Gesundheitsamt aus, der mit seiner großen Spritze der bedürftigen Hausfrau so richtig hintenrein... „Peniscillin“, haha, und als der Ehemann unvermutet heimkehrt und seine Hämorrhoiden untersucht haben will, wird ihm ein Kollege „von der anderen Fakultät“ empfohlen. Der andere Sohn bumst eine andere junge Dame durch, die eigentlich einen Klempner erwartet hatte, der das kleine Löchlein stopfen soll, aus dem immer so viel rausspritzt. Kalauerkalauer, das Niveau wird mau und mauer – und hinterrücks macht es wieder Spaß. „Die Kleine mit dem süßen Po“ – der Titel hat übrigens nichts mit dem Film zu tun – ist eine Anhäufung miesen Geschmacks – und erreicht sehr schnell den Gipfelpunkt, ab dem man bestens unterhalten wird. Das ist ein bisschen wie beim Schwefelwasserstoff: Dieses Gas stinkt in geringen Konzentrationen übel nach faulen Eiern; bei stärkeren Konzentrationen aber kehrt sich der Geruchssinn um, alles riecht fein und süß – dann freilich sind schon solche Gasmengen in der Luft, dass sie tödlich wirken.

Zum Tod führt ist das Machwerk von Tressler/Keil nicht; aber zu seltsam verstiegenen Assoziationen; unerklärlich, wie man als Normalzuschauer von diesem unwitzig-witzigen Film auf die historischen Gipfel der komischen Kunst schließen kann, aber tatsächlich: ist diese Burg, in die es den Pichelhofer auf der Suche nach den Liebeskugeln verschlägt, nicht vergleichbar mit Castle Anthrax / Schloss Dosenschreck, in das Sir Galahad auf der Suche nach dem Heiligen Gral gerät? Und ist ein leergeräumter Sexladen nicht so was wie ein Cheese Shop ohne Käse?

Um Fleischeslust in anderer Form geht es in Franco Prosperis „Wild Beasts“. Prosperi ist Veteran der Mondo-Filme, jener italienischen Spielart von Dokumentationen der Wunder der Welt, die sich auf die bizarren, ekelerregenden, sexual-ausbeuterischen Details stürzen. So wie Disney die Wüste mit all den putzig-lustigen Tierchen, die dort leben, zu einem filmisch erfahrbaren familienfreundlichen Erlebnispark macht, so verdrehen die Mondo-Filme die Wirklichkeit in die andere Richtung, wo Horror und Porno herrschen.

In „Wild Beasts“ ist ein doller Tierfilm, in dem Prosperi sein ganzes Können der filmischen Einvernahme von Natur und deren Umverwandlung ins Exploitationkino zeigt: Die italienische Produktion, die in Frankfurt gedreht wurde, lässt die wilden Tiere des Zoos auf die Menschheit los. Und mit wilden Tieren meine ich: echte wilde Tiere. Löwen, Tiger, Elefanten marschieren durch den Film und fressen und zertrampeln Menschen. Gut, OK: das Zerfleischen wurde mit prostethic makeup und schneller Montage von Großaufnahmen natürlich gefaket; aber ein Tiger in der S-Bahn, ein Gepard, der an einer Ladenpassage vorbei einem Auto hinterherjagt mit 100 km/h, Elefanten, die am Flughafen an Jumbojets vorbeilaufen: Das ist echt, und das ist beeindruckend. Im Schlachthof fällt eine Hyäne Schweine an, eine Löwin zerfleischt ein Rind; und eine Katze wird von Ratten aufgefressen. Hu, die Tierwelt ist ein einziges Töten und Sterben!

Beinahe putzig sind die kleinen sozialkritischen Einlagen, die pflichtbewusst eingestreut werden: Denn das Wasser war kontaminiert, mit dem die Tiere gefüttert wurden. „Dachte ich mir’s doch: Phenol! Sieh nach, ob es zyklisch ist!“ – ja tatsächlich: PCP hat das Wasser verseucht und die Tiere wild gemacht, in einem Halbsatz klingt an, dass ein Leck in einer Industrieanlage schuld ist, und immer wieder wird obligatorisch auf den bösen Umgang der Menschen mit der Natur hingewiesen.


Und weil so scheinheilig grüngefärbt eine Moral behauptet wird, vergisst der Film ganz, wie chauvinistisch er wiederum ist: Der Tierarzt – supermännlicher Held des Films – darf ungestraft die Journalistin – weiblich-emotionales Opfer – betatschen, hat selbstverständlich recht, wenn er sie nach einem Tigerangriff kokett tadelt, dass ihr Make-up nicht mehr sitzt; im übrigen hat die Journalistin eine vernachlässigte Tochter, die sie wegen ihrer Berufstätigkeit niemals sehen kann. Die wird Mit-Opfer einer Horde killender Kinder, die der Film in seinem letzten Drittel braucht, um zu zeigen, wie auch der Mensch nicht gefeit ist vor animalischer Wildheit.

Solche Thesen sind aber natürlich nicht ernst gemeint, es geht nur um die Bilder, nur um das Spektakel, nur um die Echtheit dieses Alptraums. Wo echte Tiere auftreten, ist immer was Dokumentarisches mit dabei – wahr aber ist es natürlich nicht. Zumal man einmal den Dompteur sieht, der schnell hinter einer trampelnden Elefantenherde verschwindet, weil er ja fehl im Bilde ist; und zumal das Hinweisschild auf den Rhein-Main-Airport sich „Flughafel“ liest.

Harald Mühlbeyer