„Remember Me“, USA 2010, Regie: Allen Coulter, Kinostart: 25.03.2010
Unregelmäßig aufleuchtende Buchstaben erscheinen auf einem flackernden Hintergrund: REMEMBER ME. Der Schriftzug verblasst, das Spiel aus Licht und Schatten wird gleichmäßiger. Es hat den Rhythmus eines Gegenstandes, der mit sehr hoher Geschwindigkeit vor dem Auge des Betrachters vorbei zieht. Zwei dunkle Umrisse zeichnen sich ab. Wie Figuren auf der Projektion eines Filmstreifens.
Es sind zwei Silhouetten, die durch die Scheiben eines vorbeifahrenden Zuges aufblitzen. Wir befinden uns auf einem dunklen Bahnsteig in Brooklyn, New York, im Jahr 1991. Eine Frau wartet mit ihrer kleinen Tochter auf den nächsten Zug. Die Tochter dreht munter Pirouetten. Die Mutter lächelt. Sie schaut sich um. Zwei verdächtig wirkende Typen bringen erste Dunkeltöne in die Szenerie. Der Zug fährt endlich ein. Die Typen agieren schnell – sie umstellen die Frau und bedrohen sie mit einer Waffe. Ein Überfall. Die Frau hält ihre Tochter schützend hinter sich, gibt den Männern, was sie wollen. Diese steigen mit der Beute in den Zug. Die Türen schließen sich. Stille. Für einen Moment schauen sich Opfer und Täter noch einmal in die Augen. Dann gehen die Türen wieder auf. Einer der Typen richtet seine Waffe direkt auf die Frau. Er drückt ab. Das Mädchen schreit. Der Zug fährt los.
REMEMBER ME – Ally Craig (Emilie de Ravin) war gerademal 11 Jahre alt, als sie miterleben musste, wie ihre Mutter ermordet wird. Eine schmerzhafte Erinnerung, die sie ihr Leben lang nicht vergessen wird. Zehn Jahre später versucht sie jeden Moment so zu leben, als ob es gleichzeitig der letzte sein könnte. So bestellt sie im Restaurant das Dessert immer zu erst – wer kann schon mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob er das Essen bis zur Nachspeise überleben wird?
New York, Lower East Side: Die Kamera fährt langsam durch ein versifftes Apartment. Es ist Morgen. Das Telefon klingelt. Wir betreten das Schlafzimmer. Ein nacktes Bein, das anmutig unter der Bettdecke hervor lugt, lässt erahnen, was für eine junge Schönheit sich gerade im Bett räkeln muss. Doch nicht ihr gilt unser Interesse, sondern einem jungen, attraktiven Mann, der draußen am Fenster auf der Feuerleiter hockt und lässig eine Zigarette raucht: Robert Pattinson. Im strahlenden Morgenlicht. Hehe. Sein Charakter, Tyler Hawkins, besitzt die unheimliche Coolness, die nur solchen Figuren teilhaftig ist, denen das penetrante Klingeln eines Telefons absolut nichts ausmachen. Als er das Zimmer schließlich betritt und an das Telefon geht – ganz vorsichtig, um nicht what’s-her-name aufzuwecken – durchfährt ihn eine plötzliche Unruhe: Es ist ein Erinnerungsanruf. Wie konnte er es nur vergessen? In der nächsten Einstellung steht Tyler halbausgeschlafenen im schwarzen Anzug an einem Grab. Um ihn herum eine Schar ebenfalls schwarzgekleideter Menschen. Es ist seine Familie. Sie stehen zusammen am Grab seines Bruders Michael, der vor sechs Jahren Selbstmord begann.
REMEMBER ME – Tyler setzt alles daran, seinen großen Bruder Michael nicht zu vergessen. Jeden Sonntag geht er in das Café, in dem er und Michael immer zusammen frühstückten, und all seine Gedanken, die er in sein kleines Büchlein niederschreibt, adressiert an seinen Bruder. Doch ist es sehr schwer, die Erinnerung an jemanden festzuhalten, der sich auf so unverständliche Weise aus dem eigenen Leben entfernte. Tylers Erinnern wird somit zu einer doppelt schmerzhaften Angelegenheit: Die Trauer um den Verlust seines geliebten Bruders geht einher mit einem unbändigen Zorn über das Nicht-Nachvollziehen-Können der selbstmörderischen Tat seines Idols. Tiefgreifende Selbstzweifel treiben den sensiblen Tyler in eine sich meist körperlich entladene Aggression, die sich letztlich nur gegen ihn selber richtet. Sein Erinnern macht ihn verletzlich und verletzend zugleich.
So unterschiedlich der Umgang mit dem Schmerz bei den beiden Twentysomethings auch ist, ihre Trauer ist doch etwas, das sie wie ein unsichtbares Band miteinander verbindet. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Schicksal (oder vielmehr ein allzu zielstrebiges Drehbuch) diese beiden jungen Menschen aufeinanderstoßen und sich sofort verlieben lässt. Das Ergebnis ist ein Liebesdrama, das die gelegentlichen Ausrutscher des Scripts in kitschige Plattitüden durch stilsicher inszenierte Familiendrama-Einstreuer auszugleichen versucht.
Denn der Film funktioniert vor allem über seine spannungsreichen Figurenkonstellationen: Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat die Dynamik innerhalb beider Familien maßgeblich verändert. Während Ally nun allein mit ihrem Vater Neil Craig (Chris Cooper) leben muss, einem über den Tod seiner Frau verbitterten Cop aus Queens, hat sich Tylers Mutter Diane (Lena Olin) neu verheiratet und Tylers Vater Charles (Pierce Brosnan) immer mehr von Tyler und seiner kleinen Schwester Caroline (Ruby Jerins) distanziert. Durch dieses reichliche Konfliktpotenzial entwickeln sich die folgenden Familienszenen, vor allem die Konfrontationen zwischen den beiden jungen Protagonisten und ihren Vätern, zu kleinen Höhepunkte des Films. Die Schwere der Trauer lässt die Charaktere nicht offen miteinander umgehen, Konflikte werden in das Innere verschoben, brodeln dort aber nur umso heftiger weiter. Die ständige Präsenz des Unausgesprochenen ist es, die in solchen spannungsvollen Momenten an der Oberfläche der Charaktere so lange herum kratzt, bis es zu vulkanartigen Gefühlsausbrüchen kommt und die unterdrückten Emotionen den Figuren nur so um die Ohren fliegen.
Regisseur Allen Coulter („Die Hollywood-Verschwörung", 2006) schafft es, bei aller Melodramatik nicht zu sehr ins Klischee abzurutschen, und versucht eine nachvollziehbare Charakterstudie über Menschen in Trauer abzuliefern. Ihm zur Seite steht ein hervorragender Cast, angeführt von einem charismatisch kühlen Pierce Brosnan und einem wie immer beeindruckenden Chris Cooper, der seltsamerweise gerade in den Rollen der gewalttätigen Autoritätspersonen am meisten aufzublühen scheint. Neben diesen und anderen Schauspielgrößen wie etwa der Schwedin Lena Olin („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, 1987) überzeugen auch die Jungschauspieler, wie etwa die Australierin Emilie de Ravin, bekannt aus der US-Serie „Lost“ (2004). Selbst Robert Pattinson gibt sein Bestes, sein Teenieschwarm-Image als Edward aus der Vampirschmonzette „Twilight“ abzulegen und die Tiefen seiner Rolle zu ergründen. Dies gelingt ihm sogar über weite Strecken, allerdings droht er ab und an, zu sehr in bemühte James Dean-Attitüden abzustürzen.
„Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.“
Mit diesen beiden Versen endet Mascha Kalékos berühmtes Gedicht „Memento“. Das unmögliche Unterfangen des Menschen, mit dem Tod einer geliebten Person leben zu können, das ist es, was der Film „Remember Me“ nachzuempfinden versucht. Ob es ihm immer so überzeugend gelingt, ist eine andere Frage. Gerade das überraschende Ende, das mit einem gewaltigen Twist Protagonisten wie auch Zuschauer förmlich erschlägt, dürfte bei vielen Leuten zu polarisierenden Reaktionen geführt haben. Letztlich ist der Film doch vor allem in dem am stärksten, was er nicht zeigt.
REMEMBER ME: Im Gewirr aus Liebe und Verlust, Trauer und Glück bedeutet die Erinnerung an das unwiederbringlich Vergangene vor allem eins: Schmerz.
Simon Born
Regie: Allen Coulter. Drehbuch: Will Fetters. Musik: Marcelo Zarvos. Kamera: Jonathan Freeman. Produzenten: Nicholas Osborne, Trevor Engelson. Ausführende Produzenten: Carol Cuddy, Robert Pattinson.
Darsteller: Robert Pattinson (Tyler Hawkins), Emilie de Ravin (Ally Craig), Chris Cooper (Sergeant Neil Craig), Lena Olin (Diane Hirsch), Tate Ellington (Aidan Hall), Ruby Jerins (Caroline Hawkins), Pierce Brosnan (Charles Hawkins)
Verleih: Concorde
Laufzeit: 113 Min.
Kinostart Deutschland: 25.03.2010
Unregelmäßig aufleuchtende Buchstaben erscheinen auf einem flackernden Hintergrund: REMEMBER ME. Der Schriftzug verblasst, das Spiel aus Licht und Schatten wird gleichmäßiger. Es hat den Rhythmus eines Gegenstandes, der mit sehr hoher Geschwindigkeit vor dem Auge des Betrachters vorbei zieht. Zwei dunkle Umrisse zeichnen sich ab. Wie Figuren auf der Projektion eines Filmstreifens.
Es sind zwei Silhouetten, die durch die Scheiben eines vorbeifahrenden Zuges aufblitzen. Wir befinden uns auf einem dunklen Bahnsteig in Brooklyn, New York, im Jahr 1991. Eine Frau wartet mit ihrer kleinen Tochter auf den nächsten Zug. Die Tochter dreht munter Pirouetten. Die Mutter lächelt. Sie schaut sich um. Zwei verdächtig wirkende Typen bringen erste Dunkeltöne in die Szenerie. Der Zug fährt endlich ein. Die Typen agieren schnell – sie umstellen die Frau und bedrohen sie mit einer Waffe. Ein Überfall. Die Frau hält ihre Tochter schützend hinter sich, gibt den Männern, was sie wollen. Diese steigen mit der Beute in den Zug. Die Türen schließen sich. Stille. Für einen Moment schauen sich Opfer und Täter noch einmal in die Augen. Dann gehen die Türen wieder auf. Einer der Typen richtet seine Waffe direkt auf die Frau. Er drückt ab. Das Mädchen schreit. Der Zug fährt los.
REMEMBER ME – Ally Craig (Emilie de Ravin) war gerademal 11 Jahre alt, als sie miterleben musste, wie ihre Mutter ermordet wird. Eine schmerzhafte Erinnerung, die sie ihr Leben lang nicht vergessen wird. Zehn Jahre später versucht sie jeden Moment so zu leben, als ob es gleichzeitig der letzte sein könnte. So bestellt sie im Restaurant das Dessert immer zu erst – wer kann schon mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob er das Essen bis zur Nachspeise überleben wird?
New York, Lower East Side: Die Kamera fährt langsam durch ein versifftes Apartment. Es ist Morgen. Das Telefon klingelt. Wir betreten das Schlafzimmer. Ein nacktes Bein, das anmutig unter der Bettdecke hervor lugt, lässt erahnen, was für eine junge Schönheit sich gerade im Bett räkeln muss. Doch nicht ihr gilt unser Interesse, sondern einem jungen, attraktiven Mann, der draußen am Fenster auf der Feuerleiter hockt und lässig eine Zigarette raucht: Robert Pattinson. Im strahlenden Morgenlicht. Hehe. Sein Charakter, Tyler Hawkins, besitzt die unheimliche Coolness, die nur solchen Figuren teilhaftig ist, denen das penetrante Klingeln eines Telefons absolut nichts ausmachen. Als er das Zimmer schließlich betritt und an das Telefon geht – ganz vorsichtig, um nicht what’s-her-name aufzuwecken – durchfährt ihn eine plötzliche Unruhe: Es ist ein Erinnerungsanruf. Wie konnte er es nur vergessen? In der nächsten Einstellung steht Tyler halbausgeschlafenen im schwarzen Anzug an einem Grab. Um ihn herum eine Schar ebenfalls schwarzgekleideter Menschen. Es ist seine Familie. Sie stehen zusammen am Grab seines Bruders Michael, der vor sechs Jahren Selbstmord begann.
REMEMBER ME – Tyler setzt alles daran, seinen großen Bruder Michael nicht zu vergessen. Jeden Sonntag geht er in das Café, in dem er und Michael immer zusammen frühstückten, und all seine Gedanken, die er in sein kleines Büchlein niederschreibt, adressiert an seinen Bruder. Doch ist es sehr schwer, die Erinnerung an jemanden festzuhalten, der sich auf so unverständliche Weise aus dem eigenen Leben entfernte. Tylers Erinnern wird somit zu einer doppelt schmerzhaften Angelegenheit: Die Trauer um den Verlust seines geliebten Bruders geht einher mit einem unbändigen Zorn über das Nicht-Nachvollziehen-Können der selbstmörderischen Tat seines Idols. Tiefgreifende Selbstzweifel treiben den sensiblen Tyler in eine sich meist körperlich entladene Aggression, die sich letztlich nur gegen ihn selber richtet. Sein Erinnern macht ihn verletzlich und verletzend zugleich.
So unterschiedlich der Umgang mit dem Schmerz bei den beiden Twentysomethings auch ist, ihre Trauer ist doch etwas, das sie wie ein unsichtbares Band miteinander verbindet. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Schicksal (oder vielmehr ein allzu zielstrebiges Drehbuch) diese beiden jungen Menschen aufeinanderstoßen und sich sofort verlieben lässt. Das Ergebnis ist ein Liebesdrama, das die gelegentlichen Ausrutscher des Scripts in kitschige Plattitüden durch stilsicher inszenierte Familiendrama-Einstreuer auszugleichen versucht.
Denn der Film funktioniert vor allem über seine spannungsreichen Figurenkonstellationen: Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat die Dynamik innerhalb beider Familien maßgeblich verändert. Während Ally nun allein mit ihrem Vater Neil Craig (Chris Cooper) leben muss, einem über den Tod seiner Frau verbitterten Cop aus Queens, hat sich Tylers Mutter Diane (Lena Olin) neu verheiratet und Tylers Vater Charles (Pierce Brosnan) immer mehr von Tyler und seiner kleinen Schwester Caroline (Ruby Jerins) distanziert. Durch dieses reichliche Konfliktpotenzial entwickeln sich die folgenden Familienszenen, vor allem die Konfrontationen zwischen den beiden jungen Protagonisten und ihren Vätern, zu kleinen Höhepunkte des Films. Die Schwere der Trauer lässt die Charaktere nicht offen miteinander umgehen, Konflikte werden in das Innere verschoben, brodeln dort aber nur umso heftiger weiter. Die ständige Präsenz des Unausgesprochenen ist es, die in solchen spannungsvollen Momenten an der Oberfläche der Charaktere so lange herum kratzt, bis es zu vulkanartigen Gefühlsausbrüchen kommt und die unterdrückten Emotionen den Figuren nur so um die Ohren fliegen.
Regisseur Allen Coulter („Die Hollywood-Verschwörung", 2006) schafft es, bei aller Melodramatik nicht zu sehr ins Klischee abzurutschen, und versucht eine nachvollziehbare Charakterstudie über Menschen in Trauer abzuliefern. Ihm zur Seite steht ein hervorragender Cast, angeführt von einem charismatisch kühlen Pierce Brosnan und einem wie immer beeindruckenden Chris Cooper, der seltsamerweise gerade in den Rollen der gewalttätigen Autoritätspersonen am meisten aufzublühen scheint. Neben diesen und anderen Schauspielgrößen wie etwa der Schwedin Lena Olin („Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“, 1987) überzeugen auch die Jungschauspieler, wie etwa die Australierin Emilie de Ravin, bekannt aus der US-Serie „Lost“ (2004). Selbst Robert Pattinson gibt sein Bestes, sein Teenieschwarm-Image als Edward aus der Vampirschmonzette „Twilight“ abzulegen und die Tiefen seiner Rolle zu ergründen. Dies gelingt ihm sogar über weite Strecken, allerdings droht er ab und an, zu sehr in bemühte James Dean-Attitüden abzustürzen.
„Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.“
Mit diesen beiden Versen endet Mascha Kalékos berühmtes Gedicht „Memento“. Das unmögliche Unterfangen des Menschen, mit dem Tod einer geliebten Person leben zu können, das ist es, was der Film „Remember Me“ nachzuempfinden versucht. Ob es ihm immer so überzeugend gelingt, ist eine andere Frage. Gerade das überraschende Ende, das mit einem gewaltigen Twist Protagonisten wie auch Zuschauer förmlich erschlägt, dürfte bei vielen Leuten zu polarisierenden Reaktionen geführt haben. Letztlich ist der Film doch vor allem in dem am stärksten, was er nicht zeigt.
REMEMBER ME: Im Gewirr aus Liebe und Verlust, Trauer und Glück bedeutet die Erinnerung an das unwiederbringlich Vergangene vor allem eins: Schmerz.
Simon Born
Regie: Allen Coulter. Drehbuch: Will Fetters. Musik: Marcelo Zarvos. Kamera: Jonathan Freeman. Produzenten: Nicholas Osborne, Trevor Engelson. Ausführende Produzenten: Carol Cuddy, Robert Pattinson.
Darsteller: Robert Pattinson (Tyler Hawkins), Emilie de Ravin (Ally Craig), Chris Cooper (Sergeant Neil Craig), Lena Olin (Diane Hirsch), Tate Ellington (Aidan Hall), Ruby Jerins (Caroline Hawkins), Pierce Brosnan (Charles Hawkins)
Verleih: Concorde
Laufzeit: 113 Min.
Kinostart Deutschland: 25.03.2010