DVD: „Exte: Hair Extensions“ - Haarhorror von Sion Sono

„Exte: Hair Extensions“ / „Ekusete“, Japan 2007, Regie: Sion Sono.


Haare sind gruselig. Sehr oft werden sie im Horrorfilm als starker visueller Effekt benutzt. Sie verdecken Gesichter, wie eine Maske ohne Züge, ohne Augenschlitze, und verwandeln diese in das drohende Unbekannte. Oder sie fallen ab, als Zeichen der Zerstörung der körperlichen Integrität, als Metapher des Verfalls einer Person. Doch in Sion Sonos Film sind sie viel mehr als das, sie werden zum Hauptakteur, zur vernichtenden Kraft, zur eigenständigen Waffe.

Der Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass viele Frauen ihre Haarpracht durch Extensions verschönern. Diese Extensions sind meistens echte Haare, von anderen Menschen stammend. Und das Tragen von Haaren anderer Menschen scheint niemanden zu stören. Nein, es wird gemacht, obwohl es nur um Schönheit geht, und einen entwickelten Markt dafür gibt es auch. Anders sieht es aus, wenn es sich um die Gesundheit handelt, und darauf geht der Film ein: Ein Mädchen wird ihrer Organe und ihrer Haare beraubt, nachdem sie entführt wurde. Diese landen auch auf einem Markt, für Organe ist der Markt aber zunächst schwarz. Die Opferperspektive und das Leiden gewinnen in diesem Fall Oberhand, der Wille des Opfers ist das, was den Film in seiner Handlung bewegt: die Haare des Mädchens wachsen auch nach ihrem Tod weiter. Sie entwickeln gar ein Eigenleben: eine Glocke, die das Mädchen während ihrer Misshandlung in der Hand hielt, wird zum pawlowschen Auslöser, der die Haare zum Erwachen bringt. Einmal erwacht, kennen sie nur eins: Rache.

In einem Container wird die Leiche des Mädchens entdeckt, am Hafen. Sie wird in eine pathologische Einrichtung gebracht und trifft dort im Angestellten Yamazaki (Ren Ôsugi) auf einen Haarfetischisten. Dieser entdeckt schnell den Haarwuchs und nimmt sie mit zu sich Zuhause. Dort bekommt sie einen improvisierten Altar, in einer Hängematte zwischen Boden und Decke schwebend, und Freiraum für ihren Haarwuchs. Yamazaki sorgt dafür, dass Strähnen von ihrem Haar in verschiedenen Friseursalons unter die Menschen kommen und ihr vernichtendes Werk anrichten können.

Parallel dazu zeigt der Film die Geschichte der angehenden Hairstylistin Yûko Mizushima (Chiaki Kuriyama) und ihrer Nichte Mami (Miku Satô). Unter den seelischen und körperlichen Misshandlungen von Kiyomi (Tsugumi), Schwester von Yûko und Mutter von Mami, haben sich beide, wie die Haare des von ihren Organen beraubten Mädchens, ein reflexartiges Verhalten angeeignet. Während Yûko mit dem Erwachsenwerden diesen Druck von außen hinter sich lassen konnte, lebt das kleine Mädchen in einer aus drei Zeilen bestehenden Welt: „Ja.“, „Ich habe verstanden.“ und „Entschuldigung.“ Durch die Mutter bekommt die Kleine auch körperlichen Schmerz zu spüren, was zu einer zusätzlichen Sensibilisierung des Zuschauers führt und zu einer Intensivierung der Szenen zwischen den drei. Mami wird also für eine Weile bei ihrer Tante abgegeben und lernt langsam die Vielseitigkeit des Lebens eines Menschen kennen. Doch durch den Friseursalon, in dem Yûko ihre Ausbildung macht, kommen die beiden mit den mörderischen Haaren in Kontakt.

Die zwei Erzählfäden, die der Film aufnimmt, treffen nur forciert aufeinander und hinterlassen den Eindruck, es würde sich um zwei sinnverwandte, ineinander geschnittene Filme handeln. So sind oft die Szenen, in denen Mami Hilflosigkeit gegenüber ihrer Mutter zeigt, viel intensiver als die Horrorszenen um die mörderischen Hair Extensions, und sie verwandeln den Film schließlich doch vielmehr in einen Essay. Dieser essayistische Ansatz lässt sich auf einer subtileren Ebene wiederfinden, indem mit leisen Tönen die Geschichte der Befreiung Yûkos von gesellschaftlichen Zwängen im Hintergrund erzählt wird. Durch einen genialen Inszenierungstrick berichtet sie am Filmanfang auf dem Weg zur Arbeit diegetisch und gleichzeitig als wäre sie ein Dritter, ein Erzähler, über ihr Leben. Ein Leben, das auch, diesmal von ihren Karriereambitionen, bedingt und unterdrückt wird, das ihr keine Zeit lässt, das Meer fünf Minuten am Tag zu betrachten, obwohl sie täglich vorbeifährt, ein Leben, das keinen Raum für private Verhältnisse bietet. Mit der Entwicklung Mamis entwickelt aber auch Yuko Persönlichkeit und ihr Talent als Hairstylistin schafft es nach und nach, die Fleißarbeit in den Hintergrund zu drängen.

„Exte: Hair Extensions“ gibt sich als visuell beeindruckender Unterhaltungshorror, der oft für Nervenkitzel sorgt. Doch die Albernheit des Themas lässt die essayistische Konstruktion oft in den Vordergrund treten und weist ihn als ein Essay auf drei Ebenen über die Identität und Integrität des Menschen aus, seinen Körper, die Beziehungen zu den Menschen seiner näheren Umgebung und seine Position in der Gesellschaft betreffend.

Fast drei Jahre nach seinem Kinostart wird er bei Rapid Eye Movies in die Edition Asien aufgenommen und als außergewöhnlicher asiatischer Film auf dem deutschen DVD-Markt vorgestellt. Auf der DVD befindet sich ein ausführliches Making-of, die die ganze Besetzung und den Regisseur zu Wort kommen lässt, welches Einblicke in den Einstellungen der Schauspieler dem Film und den gespielten Charakteren gegenüber gewährt, sowie in die Gestaltung der Spezialeffekte durch Greenscreens und Masken bietet. Dabei konturiert sich Sion Sonos Arbeitsweise, die verschiedenen Einflüsse auf seine Filme, von Charakter- und Dialoggestaltung bis hin zu Szenen, Ideen und Motiven vor und während dem Dreh werden vorgestellt.


Ciprian David



„Exte: Hair Extensions“ / „Ekusete“
Regie: Sion Sono. Drehbuch: Shion Sono. Masaki Adachi, Makoto Sanada. Kamera: Hiro'o Yanagida. Musik: Tomoki Hasegawa, Sion Sono. Produktion: Tsugio Hattori, Makoto Okada.
Darsteller: Ren Osugi, Chiaki Kuriyama, Megumi Satô, Tsugumi
Verleih: Rapid Eye Movies
Länge: 123 min.
Veröffentlichung: 19.03.2010


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