DVD: „Chéri – Eine Komödie der Eitelkeiten“ - Erzieherin im Jugendstil
Großbritannien, Frankreich, Deutschland 2009. Regie: Stephen Frears.
Es gibt in der Kunst der Belle Epoque um 1900, vor allem im Jugendstil, von dem auch die Ausstattung von „Chéri“ geprägt ist, zwei vorherrschende Frauentypen: die „femme fatale“ und die „femme enfant“. Lea de Lonval (Michelle Pfeiffer) gehört eindeutig zu der ersten Kategorie. Als Edelkurtisane in Paris lebte sie jahrelang im Kreise der reichsten Männer und galt als Schönste ihrer Zunft. Mittlerweile ist sie über 40 und etwas ruhiger geworden. Ebenso ergeht es ihren Weggefährtinnen, notgedrungen über die Jahrzehnte zu den besten Freundinnen geworden, weil ihr Beruf neben allen finanziellen Vorteilen eben doch eine gewisse Abgeschiedenheit mit sich bringt. Eine der Damen, Madame Peloux (Kathy Bates), hat einen neunzehnjährigen Sohn, dem sie seine unbesonnene Lebensführung abgewöhnen möchte, damit er nicht eines Tages im Rausch von Sex und Drogen der Pariser Bordelle zugrunde geht. Weil sie selbst nicht mit ihm klar kommt, bittet sie Lea um Hilfe. Diese kennt den Sohn schon seit seinen Kindertagen, sie gab ihm den Spitznamen, unter dem er bekannt ist: Chéri. Auch er erfand als Kleinkind einen Kosenamen für die ältere Frau, nämlich Nunu, wie er sie jetzt während ihrer Affäre auch wieder nennt.
Hier sind schon die Konflikte und Themen deutlich, die den Film und die Liebesgeschichte zwischen der alternden Hure und dem jungen Lebemann ausmachen werden. Denn Chéri ist durchweg eine Frucht des Lebenswandels, dem Lea und die anderen Frauen nachgehen. Er wuchs auf inmitten der Kurtisanen und Tänzerinnen, die die Männer für Geld und Status begehrten, aber sie nie liebten, die kokett, frivol, frei und abhängig zugleich waren. Einen Vater hat er offensichtlich nie erlebt, generell tauchen in dem Film keine erwachsenen Männer auf, nur Jünglinge oder lüsterne Freier. So entwickelte sich Chéri zu genau dem, was ihm als Vorbild angeboten wurde, im Prinzip führt er das Leben einer Edelprostituierten. Die sechs Jahre, die er an Leas Seite verbringt, lässt er sich nämlich auch von ihr finanziell aushalten, obwohl er genügend Vermögen hat. In einem Gespräch zu Beginn ihres Verhältnisses bittet sie ihn, etwas von sich zu erzählen, worauf er antwortet: „Da gibt es nichts.“ Er ist die Verkörperung der nur auf ihre Zerstreuung und ihr Wohlsein erpichten Koketten. In derselben Unterhaltung betrachtet er ihre Perlen, sechs Jahre später wird er selbst sagen, dass sie ihm genauso gut stehen wie Lea selbst.
Mit seiner Mutter, die ihren Beruf längst abgelegt hat und sich für ihn und sich ein sittsames Leben wünscht, kann er nichts anfangen. Lea hingegen ist für ihn nicht nur Rollenmodell und perfekte Liebesgespielin, sondern zu großem Teil Mutter und Erzieherin. Zunächst lehrt sie ihn in Dingen der körperlichen Liebe, ihre Beziehung ist stets im Hauptteil sexuell, doch ihre Wesensverwandtschaft, die Gewöhnung und die gemeinsam verbrachte Zeit führt bei beiden doch zu tiefer Liebe. Ob dies die Liebe eines Paares oder doch eher die zwischen Mutter und Sohn ist, lässt sich nicht wirklich trennen, auf jeden Fall ist sie echt, auch wenn sie beide dies zu spät begreifen werden.
Denn durch seine Jugend und sein Geschlecht kann Chéri seine Lebensart auf die Spitze treiben. Als nämlich die „femme enfant“, die von seiner Mutter ausgesuchte, sehr junge Braut, in sein Leben tritt, nimmt Chéri an, er könne eine Ehefrau haben und trotzdem weiterhin mit Lea seine Zeit verbringen. Er weiß eben einfach nicht, wie er sich als Mann zu verhalten hätte. Hier aber zeigt sich Leas Stärke, sie kann sich nicht in der Rolle der Geliebten wiederfinden, nicht wenn es um Chéri geht. Daher beendet sie die Affäre, doch beide haben danach unter starkem Trennungsschmerz zu leiden. Chéri wirft ihr am Schluss vor, dass sie für seine kindische und verantwortungslose Art verantwortlich sei. Lea scheint diese Schuldzuweisung wegen ihres Alters und ihres lockeren Lebens anzunehmen. Geschickt erklärt die Voice-over des Films im Nachhinein, dass beide später erkennen werden, dass ihre Liebe vielleicht ungewöhnlich, moralisch und persönlich kompliziert war, aber doch das einzig Wahrhaftige in ihren Leben darstellte.
Der Jugendstil dominiert das Dekor und die Kostüme des Films. Die üppigen floralen Ornamente und organischen Formen lassen die Räume beinahe phantastisch erscheinen, losgelöst von der wirklichen Welt. So wie die Figuren, die sich auch in ihrem eigenen Zirkel einer Art Phantasiewelt hingeben, die Realitäten des Lebens nicht wirklich annehmen wollen. Dem Jugendstil als Kunstrichtung der vorletzten Jahrhundertwende, zu deren Zeit viele gesellschaftliche, politische, wissenschaftliche Umwälzungen und Neuerungen stattfanden, haftet auch der Gegensatz zwischen Endzeitstimmung und Hoffnung auf einen Neubeginn an. Es ist aber nicht so, dass Lea als ältere und Chéri als der Jüngling jeweils eine Richtung verkörpern würden. In beiden Hauptcharakteren schwingt dieser Gegensatz mit, jeder muss seinem Leben eine neue Richtung geben oder er wird untergehen. Doch leider geben sie ihrer Liebe keine Möglichkeit zur Neugeburt und damit ihren Leben den Anstoß zu einer echten Veränderung.
Die leichte Erzählweise von Stephen Frears („Gefährliche Liebschaften“, „Die Queen“) und die großartige Ausstattung machen diese unglückliche und trotzdem sehr unterhaltsame Liebesgeschichte sehenswert.
Auf der DVD befindet sich neben Trailer und entfallenen Szenen ein kurzes Making Of. Zudem kommt die DVD mit einem recht umfangreichen Booklet mit Hintergrundinformationen und Romanauszügen der Vorlage.
Elisabeth Maurer
„Chéri – Eine Komödie der Eitelkeiten“
Regie: Stephen Frears.Drehbuch: Christopher Hampton nach dem Roman von Colette. Kamera: Darius Khondji. Musik: Alexandre Desplat. Produzenten: Andras Hamori, Bill Kenwright, Thom Mount, Tracey Seaward.
Darsteller: Michelle Pfeiffer, Rupert Friend, Kathy Bates.
Verleih: Prokino
Laufzeit: 89 min
Veröffentlichung: 11.3.2010
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