UNDERWORLD: AUFSTAND DER LYKANER


Dunkles Drama

von Dennis Vetter

USA 2009, Regie: Patrick Tatopoulos; Buch: Danny McBride, Dirk Blackman, Howard McCain; Kamera: Ross Emery; Musik: Paul Haslinger; Produktion: Len Wiseman, Kevin Grevioux, u.a..

Darsteller: Michael Sheen (Lucian), Bill Nighy (Viktor), Rhona Mitra (Sonja), Steven Mackintosh (Tannis), Kevin Grevioux (Raze).

Verleih: Sony Pictures
Laufzeit: 92 Minuten
Dt. Kinostart: 26.02.2009

IMDb-Link: http://www.imdb.com/title/tt0834001/



Der Vampir – kaum eine Fantasiegestalt unterliegt so klaren Regeln wie der untote Blutsauger und bietet dabei dennoch einen so großen Spielraum für Interpretationsansätze. Vampirismus als filmische Thematik hat zu einer Vielzahl visueller Umsetzungen, theoretischer Reflexionen über Moral, Sexualität, Sterblichkeit und Film als zeitloses Medium angeregt. Dabei sind häufig besonders markante Charaktere entstanden, Einzelgänger, die, gebeutelt vom Fluch des immerwährenden Lebens, ein nie endendes Dasein der Tristesse fristen und gezwungen sind, entgegen ihrer früheren moralischen Überzeugungen grausame Taten zu begehen, um sich selbst vor Wahnsinn oder Tod zu bewahren.

So vielfältig und eindrucksvoll wie die vampirischen Charaktere ist auch deren Erscheinungsbild. Die Gestalt des Vampirs hat sich vom rattenartigen Geschöpf aus Murnaus NOSPHERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) über Christopher Lees aristokratischen Verführertypus bis hin zur heutigen Form des anmutigen, coolen Killers ständig gewandelt und – vor allem in jüngster Vergangenheit – zunehmend den Rezeptionsgewohnheiten des Publikums angepasst. Der Vampir wurde für das Mainstream-Kino immer weiter modifiziert, und schließlich in Filmen wie BEGIERDE (1983) oder KÖNIGIN DER VERDAMMTEN (2002) einem Star gleich mit Sub- und Popkultur verflochten. So ist der einstige Schrecken seiner Gestalt einer bewundernd euphorischen, zum Teil erotisch konnotierten Haltung – oder, wie aktuell in TWILIGHT – BISS ZUM MORGENGRAUEN (2008), gar einer völligen Banalisierung gewichen.

Mit UNDERWOLRD (2003) und der Fortsetzung UNDERWORLD: EVOLUTION (2006) zollte Len Wiseman dem Vampirmythos einen unterhaltsamen Tribut und revitalisierte ihn ein weiteres Mal. Er wendete sich beinahe ganz vom menschlichen ‚Fußvolk’ ab, stellte mit sichtlicher Begeisterung völlig verschiedene Typen und Charaktermodelle des Vampirs in einem Film nebeneinander und verfrachtete diese wilde Mixtur zur Begeisterung des Matrix-Publikums in ein spätmodernes, technisiert unterkühltes Grostadtambiente. So wurden die aristokratischen, schwertschwingenden Vampire der Vergangenheit von der neuen Vampirgeneration der Latex-Outfits und vollautomatischen Waffen bei Bedarf kurzerhand aus der Kiste geholt, per Erinnerungsübertragung ‚upgedatet’ und fügten sich so wunderbar in die Gegenwart ein. Eingehüllt in ein einheitliches Neo-Gothic-Ambiente präsentierten die Filme dabei vom intriganten Mepistopheles-Typus über den adligen Count Dracula-Verschnitt bis hin zur verführerischen Vampirzofe eine recht umfassende Sammlung bis dato gängiger Vampirklischees – eine Rechnung, die aufging, denn der Erfolg der ersten Teile hat eine weitere Fortsetzung ermöglicht.



Das Prequel UNDERWORLD: AUFSTAND DER LYKANER geht dem Ursprung der Jahrhunderte währenden Blutfehde zwischen Vampiren und den monströsen Lykanern auf den Grund, welche in Teil 1 und 2 bereits in vollem Gange war. Hierbei treten einige Unterschiede zu diesen auf. Während sich bisher die Kamera um Kate Beckinsale als toughe Vampirdame Selene drehte, die als klar ‚konturierte’, eindimensionale Heldin zwischen meist intriganten, kaltherzigen anmutenden Vampiren und anderen Unsterblichen Gestalten um ihr Leben kämpfen musste, steht nun der Leidensweg des einstigen Bösewichts Lucian (Michael Sheen) im Vordergrund. Bereits im ersten Teil wurde in Rückblenden seine tragische Vergangenheit angedeutet, was ihn während des Handlungsverlaufs zu einer der plausibelsten Figuren machte, jedoch erreichte er nie den Status einer moralisch einwandfreien Figur. Nun erhält er seine Absolution und wird rückwirkend als tragischer Held etabliert.

Dies geschieht erstmals in einem klassischen Vampirszenario. Wir finden uns im Mittelalter, Sturmgewehre wurden gegen Schwerter, Äxte und Armbrüste getauscht und die Welt ist noch in Ordnung: Die Vampire herrschen unter Viktors strenger Fuchtel über das Land und niemand gefährdet ihre Vormachtstellung. Die Welt wäre perfekt, wenn sich nicht in den düsteren Wäldern des Landes Werwölfe finden würden, die in regelmäßigen Abständen über vampirisch Patrouillen herfielen. Doch die Plage bringt einen unerwarteten Vorteil. Lucian, der erste Lykaner wird geboren. Er besitzt im Gegensatz zu seinen primitiven Artgenossen einen klaren Geist und die Fähigkeit, sich nach Belieben in seine monströse Form zu verwandeln. Viktor verschont ihn, zieht ihn als Sklaven groß und schließlich werden zahllose Menschen durch Lucians Hilfe zu Lykanern transformiert, um tagsüber über die vampirischen Ruhestätten zu wachen. Lucian lebt als Günstling Viktors und erträgt demütig sein Schicksal. Der Endpunkt der Geschichte ist aus Rückblenden bekannt und wird konsequent beibehalten. Lucian geht eine geheime Liebesbeziehung mit Viktors Tochter Sonja (Rhona Mitra) ein, gerät durch eine Fügung des Schicksals in Viktors Missgunst und kann seinen Wunsch nach Freiheit schließlich nicht mehr unterdrücken. Er begehrt gegen seinen Herren auf und befreit sich und einige Mitstreiter von den vampirischen Unterdrückern. Die Katastrophe ist unvermeidbar, die Würfel sind gefallen...

Es ist beinahe Schade, dass UNDERWORLD: AUFSTAND DER LYKANER erst als dritter Teil erscheint, denn wäre das Ende des Films nicht bekannt, würde er noch weitaus mitreißender wirken – Viktors väterliche Maßnahmen hinterließen mit Sicherheit einen recht intensiven Eindruck. Patrick Tatopoulos, der bei den Vorgängern seinem Beruf als Production Designer alle Ehre machte, hat mit seinem Regiedebüt eine ausgesprochen stimmige Fortsetzung abgeliefert, die zum Teil besser als Wisemans zweiter Teil der Reihe funktioniert, der sehr auf Spektakel abzielte und dafür hin und wieder üble Logiklücken aufzuweisen hatte. Teil 3 fokussiert sich ganz auf die Schlüsselcharaktere, vor allem der bedrückende Konflikt zwischen Lucian und Viktor kommt hervorragend zum Tragen und so verleiht Tatopoulos dem im Verflachen begriffenen UNDERWORLD-Kosmos wieder erfolgreich mehr Tiefe.

Zwei Kritikpunkte bleiben dennoch. Erstens ist Rhona Mitra zwar ein ausgezeichneter Ersatz für Kate Beckinsale, erhält aber nicht das Maß an Aufmerksamkeit, welches sich mancher Kinogänger nach der Vorgängern vielleicht gewünscht hätte. Ihre Figur wirkt ein wenig naiv und unselbstständig, sie bleibt hinter der starken Frauenfigur Selenes deutlich zurück - enttäuschend. Zweitens ist die visuelle Umsetzung von AUFSTAND DER LYKANER nicht vollends geglückt. Gerade bei den Actionszenen des Films kommt der Zuschauer nicht vollends auf seine Kosten, zu sehr zerstückeln übertriebene und unkoordiniert wirkende Montageorgien das Geschehen. Oft bleibt nur eine Flut von Bildern, garniert mit reichlich eingestreuten Gore-Effekten, ein Bilderwust, der nicht wirklich dem hohen ästhetischen Standard der restlichen Szenen des Films gerecht werden kann – Farbfilter sorgen sonst für eine trübe, modrig mittelalterliche Bildwelt, die sofort an Schauermärchen erinnert und wunderbar mit den Fantasyfiguren harmoniert.

UNDERWORLD: AUFSTAND DER LYKANER erreicht im Gegensatz zu Wisemans Sequel inhaltlich und dramaturgisch wieder die Plausibilität des ersten Teils, reduziert allerdings ein wenig das Spektakel der Vorgänger zu Gunsten der Charaktere und ihrer Entwicklung. Leider findet sich kein vollwertiger Ersatz für Kate Beckinsale als Vampirlady Selene, was manchen Fan enttäuschen mag, den Film allerdings nicht weniger unterhaltsam macht – Michael Sheen gleicht den Verlust einer weiblichen Hauptfigur mit einer hervorragenden schauspielerischen Leistung hervorragend aus.

Fazit: Eine überraschend gelungene Fortsetzung mit kleinen Mängeln.

FROST/NIXON

Frostige Zeiten für Richard Nixon

von Sarah Böhmer

USA 2008, R: Ron Howard, B: Peter Morgan (Stück und Drehbuch), K: Salvatore Totino, M: Hans Zimmer, P: Tim Bevan, Eric Fellner, Brian Grazer, Ron Howard

D: Frank Langella (Richard Nixon), Michael Sheen (David Frost), Sam Rockwell (James Reston, Jr.), Kevin Bacon (Jack Brennan), Matthew Macfadyen (John Birt), Oliver Platt (Bob Zelnick), Rebecca Hall (Caroline Cushing)

Länge: 122 Minuten.
Verleih: Universal
Kinostart: 05.02.2009



Als Richard Nixon am 9. August 1974 im Angesicht einer Amtenthebungsanklage seine Präsidentschaft niederlegte, hatte der vorangegangene Watergate-Enthüllungsprozess die Grundfesten der amerikanischen Demokratie bereits zutiefst erschüttert. Seither ist der Name Nixon mit Watergate so eng verwoben, dass sogar Nicht-Amerikaner eine Assoziationskette bilden können. Kein schönes Erbe, das Nixon in der Erinnerung der Menschen hinterlassen hat – und ein großer Schatten, der seine positiven Errungenschaften verschluckt. 1995, ein Jahr nach Nixons Tod, ist Oliver Stone in seinem aufwendigen Bio-Pic den allgemeinen historischen Bemühungen um ein differenziertes Bild des Ex-Präsidenten entgegengekommen, indem er den problembeladenen Menschen hinter dem unbeliebten Politiker zeigte. Nun bereitet Ron Howard ein weiteres Kapitel aus Nixons Leben für die große Leinwand auf: den letzten großen Medienauftritt des Ex-Präsidenten in der Interview-Session mit dem britischen Moderator David Frost. Basierend auf Peter Morgans gleichnamigen Stück "Frost/Nixon" versucht Howard der Dualität der Figur Nixon gerecht zu werden und dabei die richtige Mischung aus Authentizität, Spannung, Massentauglichkeit und aktueller Relevanz zu finden. Dass solch ein Jonglierakt nicht ohne Patzer verlaufen kann, ist keine große Überraschung.

David Frost, britischer Talkshowhost und notorischer Playboy, schlägt sich mehr schlecht als recht mit diversen Unterhaltungssendungen in Australien durch und träumt davon, wieder im amerikanischen Geschäft Fuß zu fassen. Als er Richard Nixons Rücktritt im Fernsehen mitverfolgt, beschließt er, durch eine enthüllende Interview-Reihe mit Nixon das nach einer Entschuldigung für die politischen Fehltritte lechzende, amerikanische Volk für sich zu gewinnen. Waghalsig investiert er mehr Geld als seine Taschen hergeben in das Unternehmen, muss jedoch bald feststellen, dass Politiker in einer anderen Liga als die BeeGees spielen. Zwar kommt Nixon schnell ins Schwitzen, aber ein Strahlemann-Lächeln und ein paar prekäre Fragen reichen nicht aus, um einem professionellen Nichtssager mehr als nur einen Schwall nostalgischer Anekdoten zu entlocken. Ein Duell zwischen den Kontrahenten entbrennt – denn am Ende wird nur noch für einen Platz auf der Bildfläche sein.



Wie Peter Morgan nach Drehschluss wohlwollend feststellte, besitzt Ron Howard die Fähigkeit, einen komplexen Stoff so aufzubereiten, dass er für ein Kinopublikum sofort attraktiv wird. Wenn allerdings ein historisches Ereignis in einer standardisierten 3-Akt-Struktur daherkommt und in der Inszenierung einem Boxkampf ähnelt, fragt man sich als Zuschauer mit weniger wohlwollendem Gestus, wie viel Wahrheitsgehalt überhaupt hinter diesem Doku-Drama steckt. Inmitten auflockernder Schuh-Witze und der breit ausgetretenen Darstellung von Nixons Geiz und Geldgier wähnt man sich nun mal nicht in der Sicherheit historischer Korrektheit. Aber schiebt man mal die Frage nach Authentizität beiseite, kristallisiert sich sehr schnell und überdeutlich das Anliegen des Films heraus. Es ist bei weitem keine Neuigkeit mehr, dass mit dem Einzug des Fernsehens in die Haushalte der optische Eindruck, den Politiker vermitteln, eine immer größere Bedeutung gewonnen hat. Trotzdem ist es interessant zu sehen, wie "Frost/Nixon" den Einfluss, den die mediale Repräsentation von Politikern auf die öffentliche Meinung nimmt, reflektiert und kritisiert. Politiker – und nicht nur sie! – werden nicht allein nach ihrer Kompetenz und dem Inhalt ihrer Wahlreden beurteilt, sondern es zählt auch ihre Wirkung vor der Kamera. Der Film macht schnell klar, dass das Medium Fernsehen nicht nur dienen, sondern auch vernichten kann – denn wenn man vor der Wahl zwischen einem gutaussehenden und wortgewandten Kennedy oder einem deutlich schwitzenden und wenig charismatischem Nixon steht, kann man sich als Zuschauer eben nicht darauf verlassen, dass die Sympathie dem besser Argumentierenden zufliegt. Der Film verweist zynisch darauf, dass Politiker in erster Linie auch Performer sind – nicht zuletzt, wenn ein verbitterter Nixon feststellt, dass ein Talkshowhost ein guter Politiker wäre, weil er sich leicht vor der Kamera und im Umgang mit Menschen tut. Mit dieser Kritik der Oberflächlichkeit und daher leichten Manipulierbarkeit des Zuschauers trifft der Film zu Hoch-Zeiten des Zahn-Bleaching- und Botox-Wahns natürlich einen besonderen Nerv.

Allerdings stört die etwas platt inszenierte Playboy-Attitüde David Frosts, was auch Michael Sheens gutes Schauspiel nicht wieder herausreißen kann. Wenn Frost sich erstmals in der Nacht vor dem letzten Interview ernsthaft vorbereitet und somit erst in der finalen Sitzung überhaupt weiß, wovon er eigentlich spricht, setzt der Film Nixon eine recht abgeschmackte Karikatur eines Talkshowhosts gegenüber. Allerdings bemüht sich der Film zumindest bei der Darstellung des Ex-Präsidenten einigermaßen um Zwiespältigkeit – die man vor allem Anthony Langellas Spiel verdankt, das wunderbar zwischen verlogenem Größenwahn und von Minderwertigkeitskomplexen zugespitzter Paranoia changiert.

Wenn man im Kino ein so dunkles Kapitel amerikanischer Geschichte mit über 20-jähriger Verspätung aufgearbeitet sieht, blitzt zwischen den Zeilen natürlich die Analogie zur Bush-Regierung durch, die sich mit dem Irakkrieg, dem Amtsmissbrauch durch die U.S. PATRIOT Acts und der Terroristen-Paranoia gar nicht so sehr von den Verfehlungen der Nixon-Ära unterscheidet. Rechtzeitig zu Beginn der Obama-Präsidentschaft und den daran gebundenen überschwänglichen Hoffnungen auf ein Nachlassen der Korruption darf nun ein weltweites Publikum in "Frost/Nixon" bewundern, wie der undemokratischste U.S.-Präsident der Geschichte (so weit bekannt) besiegt und gebrochen vor dem Volk den Hut zieht und um Verzeihung bittet. Ist das nicht, was man sehen möchte?

Spiel mit dem Auge

Barbara Flückiger: Visual Effects. Filmbilder aus dem Computer. Marburg: Schüren Verlag 528 Seiten, € 38
ISBN 978-3-89472-518-1

von Andreas Rauscher




Kaum ein anderes Thema erscheint so präsent in aktuellen Debatten über die Zukunft des Kinos und dennoch zugleich theoretisch so diffus wie die Diskussion über die Auswirkungen und Möglichkeiten des digitalen Kinos. Einerseits werden seit Jahren die gleichen kulturpessimistischen Bestandsaufnahmen vom Ende des Kinos gepflegt, die neben einer völlig nachvollziehbaren cineastischen Nostalgie, auch eine latente Sehnsucht nach jener Zeit verraten, als die Welt angesichts des digitalen „Terminator 2“ in farbenfrohem Cinemascope noch schön schwarzmalerisch unterging. Diese Überlegungen tendieren, wie die Filmwissenschaftlerin und Praktikerin Barbara Flückiger treffend anmerkt, häufig dazu, vom digitalen Bild an und für sich zu sprechen, ohne zu differenzieren oder überhaupt genauer auf die sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen des thematisierten Gegenstands zu blicken.

Auf der Seite der praxisbezogenen Produktionsberichte, wie sie sich auf zahlreichen DVD-Special Editions und in Fachmagazinen finden, herrscht umgekehrt eine Fixierung auf die neuen Möglichkeiten der technischen Ausstattung vor. Innovative Problemlösungen für digital generierte Hintergründe und gescannte schauspielerische Leistungen werden ausgiebig dokumentiert und gewürdigt. Eine kritische Auseinandersetzung über die veränderte Ästhetik bleibt weitgehend aus oder tendiert, wie in einigen Neue Medien-Sammelbänden, zu Überakzentuierungen, die dem Fatalismus der Kulturpessimisten eine unreflektierte Affirmation entgegensetzen, die besser in das goldene Zeitalter der Pulp-Science Fiction als in eine medientheoretische Analyse passt.

Die über fünfhundert Seiten umfassende und dennoch übersichtlich strukturierte Studie von Barbara Flückiger über die Geschichte der „Visual Effects“ vermeidet konsequent diese Sackgassen und widmet sich stattdessen auf kenntnisreiche Weise der Entwicklung der visuellen Effekte in den letzten Jahrzehnten und deren verschiedenen Einsatzgebieten. Im Unterschied zu meistens am Set selbst durchgeführten Special Effects bezieht sich der Begriff Visual Effects meistens auf die nachträgliche Bildbearbeitung und die Ausgestaltung der optischen Tricks. Der Übergang zwischen analogen Techniken wie Matte Paintings und digitalen Animationen, die zunehmend in Form der Animatics auch das klassische, comichafte Storyboard ersetzen, gestaltet sich überraschend fließend.

Schlüsselbegriffe wie Rendering, Keyframe-Animation und Motion Capturing, die von filmtheoretischen Grundsatzdebatten bis hin zu aktuellen Filmkritiken immer wieder auftauchen, werden anschaulich erläutert. Die Entwicklung der jeweiligen Effekttechniken lässt sich außerdem mit Hilfe des sorgfältig ausgewählten Bildmaterials gut nachvollziehen.

Nach ihrer ebenfalls in der Reihe Zürcher Filmstudien im Schüren Verlag veröffentlichten Arbeit über Sounddesign gelang Barbara Flückiger mit „Visual Effects“ eine weitere grundlegende Einführung zu einem viel diskutierten, aber zugleich auch theoretisch vernachlässigten Bereich der Filmtechnik, der maßgeblich die ästhetischen Umbrüche des digitalen Zeitalters prägt. Sowohl als informatives Nachschlagewerk wie auch als umfassende historische Einführung eignet sich das aufschlussreiche Buch, das sich vollkommen berechtigt zum Standardwerk entwickeln könnte.

Theodoros Angelopoulos


Warum „Arthaus Premium“, wenn man „Arthaus Collection“ haben kann?

von Renate Kochenrath

Keine sechs Monate nach dem Erscheinen der Einzel-DVD „Die Ewigkeit und ein Tag – Arthaus Collection“ kommt die Premium Doppel-DVD in den Handel. Es drängt sich die Frage auf: Warum? Auf den ersten Blick sind kaum Unterschiede zu erkennen. Beide Versionen beinhalten natürlich Theodoros Angelopoulos’ letzten Film des alten Jahrtausends „Mia aioniotita kai mia mera“ (1998), auf beiden befindet sich Giorgis Fotopoulos’ einfühlsame und doch sachliche Dokumentation „Das Drehen der Stille“ (1998), beide verfügen über ein ansprechendes Booklet mit Informationen zum Film, zum Gesamtwerk von Angelopoulos und zu diesem selbst. Ein bisschen fein geschliffen wurde das Booklet, der Text hier und da ergänzt, umformuliert und in übersichtliche Unterkapitel aufgeteilt, durch zusätzliche Bilder der ursprüngliche Umfang von 14 auf 16 Seiten erhöht und der Name des Autors - Marek Bringezu – hinzugefügt. Die einzige Neuerung auf der DVD ist die zusätzliche Dokumentation „Begegnung mit Theo Angelopoulos“, ein 82-minütiges Interview, das Christiane Habich knapp zehn Jahre nach der Produktion des Hauptfilms mit Angelopoulos in Berlin führte. Aber ist diese Erweiterung alleine die Ausgabe wert? Immerhin kostet die Premium Edition je nach Anbieter das Doppelte der Arthaus Collection-Edition.

In Habichs Interview erzählt Angelopoulos in einem stilvoll eingerichteten Wohnraum sitzend von seinen filmischen Einflüssen, seiner in vielen Filmen gleich bleibenden Crew, seinen Schauspielern und von seiner Motivation für und seinen Erlebnissen bei den Dreharbeiten zu „Die Ewigkeit und ein Tag“. An einigen Stellen werden Szenen, die Angelopoulos aus anderen und aus seinen Filmen beschreibt, eingeblendet. An anderen bebildern Filmplakate das Gesagte. Manchmal scheint jedoch kein Bildmaterial zugänglich gewesen zu sein, weswegen der Illustrierung ein durchgängiges Konzept fehlt. Oder wurde vielleicht tatsächlich davon ausgegangen, dass der Zuschauer den polnischen Regisseur Andrzej Wajda kennt, Andrei Tarkovsky ihm jedoch durch eine Fotografie näher gebracht werden muss? Und sind Filmplakate nach Meinung der Macher das adäquate Bildmaterial, wenn es um die atemberaubenden Plansequenzen eines Orson Welles geht?

Das Interview ist ein Monolog in französischer Sprache. Angelopoulos erzählt, ohne einen Gesprächspartner vor der Kamera zu haben. Das neben ihm stehende Glas Rotwein, dessen Inhalt sich während des gesamten Gespräches nicht verändert, wirkt stilisiert. Schritte und Stimmen aus einem angrenzenden Raum, die in unregelmäßigen Abständen zu hören sind, bringen Unruhe auf der Tonebene, das Mikrofon und die Spiegelung des Kameramannes hinter Angelopoulos, die ab und zu sichtbar sind, stören auf der visuellen Ebene. Und doch: Das Interview ist lebendig und fesselnd. Angelopoulos ist der geborene Erzähler! Er gestikuliert, lacht, wird schwermütig, lässt den Zuschauer an seinen Erlebnissen teilhaben und deckt Geheimnisse der Dreharbeiten zu „Die Ewigkeit und ein Tag“ auf. Was er erzählt, ist oft nicht neu, doch ist es der Zugang für ein deutschsprachiges Publikum in einem so enormen Umfang, der das Unterfangen rechtfertigt.

Zwar fällt es positiv auf, dass sowohl in der deutschen als auch in der sonstigen Forschungsliteratur in fast jedem Buch zu Angelopoulos ein Interview mit ihm abgedruckt ist. Bereits in Walter Ruggles „Theo Angelopoulos. Filmische Landschaften“ stellt sich Angelopoulos 1989 den Fragen des Autors. In den von Giorgis Fotopoulos herausgegebenen Filmnovellen „Der schwebende Schritt des Storches“ von 1991 und „Die Ewigkeit und ein Tag“ von 2001 sind Gespräche der beiden Filmemacher abgedruckt. Auch der Hanser-Band von 1992 beinhaltet ein Interview mit dem Regisseur. Doch von den genannten Büchern ist leider gerade mal eins noch im Handel erhältlich. Alle anderen sind vergriffen und wurden seit Jahren nicht mehr neu aufgelegt.

Der Umgang mit dem Werk des Regisseurs und mit Arbeiten zu seinen Filmen ist in Deutschland leider zu häufig recht lieblos. Nicht zuletzt die beiden vom Schüren Verlag herausgegebenen Bücher „Zeit, Geschichte und Gedächtnis. Theo Angelopoulos im Gespräch mit der Theologie“ von 2003 und „Jenseits von Mythos und Melancholie“ von 2008 weisen unter anderem schon bei der Umschlaggestaltung gravierende inhaltliche Fehler auf. Ein Filmbild Harvey Keitels aus „Der Blick des Odysseus“ wird zum Beispiel als „Marcello Mastroianni in Der Bienenzüchter“ ausgegeben. Zudem ist es traurig und erstaunlich zugleich, dass „Die Ewigkeit und ein Tag“ der erste Film des griechischen Regisseurs ist, der in Deutschland überhaupt auf DVD vertrieben wird. Die japanische DVD-Industrie könnte mit ihren vier DVD Boxen, in denen alle elf Langspielfilme bis „Die Ewigkeit und ein Tag“ enthalten sind, der deutschen Industrie als Vorbild dienen.

In dem beschriebenen Chaos, in dem es bisher oft am meisten Sinn machte, sich direkt den englischen Untersuchungen Andrew Hortons zu widmen bzw. den meisterlich von Dan Fainaru zusammengestellten englischen Interviewband „Theo Angelopoulos. Interviews“ von 2001 zu lesen, bringt das Interview von Habich Licht ins Dunkle.

Gerade mit dem letzten erwähnten Sekundärwerk gibt es viele Überschneidungen, aber schließlich sind es Angelopoulos’ Lieblingsgeschichten, die er wieder zum Besten gibt. Und wie viel mehr Freude macht es, ihm diesmal beim Erzählen zusehen zu dürfen! Nie ist man sicher, wo seine Phantasie mit ihm durchgeht, wo er schauspielert (schließlich liegen hier die Anfänge seiner Karriere) oder wo er einfach zur eigenen Unterhaltung lügt. Er erzählt nicht Geschichte, er erzählt Geschichten, die gleichen Geschichten in Variation. Abenteuergeschichten, Geschichten über Freundschaften, über Künstler und Politiker, über Zensur unter dem Obristen-Regime und Angst vor Verhaftungen, über das Individuum und seine Gesellschaft, über die Gesellschaft und ihre Individuen. Er erzählt von der zärtlichen Beziehung, die Giorgos Arvantis zu der Kamera zu haben scheint und durch die der für Angelopoulos so entscheidende Rhythmus der Einstellungen entsteht. Er berichtet von den Dreharbeiten zur letzten Sequenz von „Der Blick des Odysseus“, lächelt verschmilzt, wenn er erzählt, wie er Harvey Keitel soweit gereizt hat, bis dieser ihm „Fuck you!“ ins Gesicht schrie. Er unterstreicht die Unterschiede im Umgang mit Schauspielern aus verschiedenen Schulen, zwischen Keitel, der aus dem Actor’s Studio kommt, Erland Josephson (ebenfalls „Der Blick des Odysseus“, der eine klassische Ausbildung hat, und Marcello Mastroianni, der bei den Dreharbeiten zu „Der Bienenzüchter“ nicht mal das Drehbuch gelesen hatte, weil er nach eigenen Aussagen wie ein Kind den Inhalt der jeweiligen Szene als Geschichte von Angelopoulos erzählt bekommen wollte.


Es wäre angemessen gewesen, wenn sich die Dokumentation die Zeit genommen hätte, mindestens eine der angesprochenen Plansequenzen des Regisseurs in ihrer vollen, beeindruckenden Länge zu zeigen. Durch die verwendete Illustrierung scheint es, als ständen die Poster, die Fotografien und die Filmausschnitte lediglich als Stellvertreter für etwas, was sich der Film nicht zu zeigen traut. Eine Verdichtung und damit Verknappung des Inhalts, die dafür den so außergewöhnlichen Sequenzen des Auteurs den notwendigen Platz eingeräumt hätte, wäre wünschenswert gewesen. Schließlich muss davon ausgegangen werden, dass die Filme von Angelopoulos, vor allem die frühen, epischen Werke wie „Die Wanderschauspieler“ (1975), dem Publikum weder vertraut noch zugänglich sind. Dass mehr als fünf Filmausschnitte jedoch aus „Die Ewigkeit und ein Tag“ gezeigt werden, ergibt nur Sinn, wenn das von der Kinowelt Home Entertainment GmbH produzierte Interview auch unabhängig vom Hauptfilm vertrieben würde. In diesem Rahmen, als Beigabe zum Hauptfilm, nehmen die Ausschnitte jedoch wertvolle Zeit in Anspruch. Neben der Darbietung von Angelopoulos sind die von Giorgis Fotopoulos zur Verfügung gestellten Szenen von den Dreharbeiten am Beeindruckendsten, wobei es hier an einigen Stellen zu Überschneidungen mit seiner eigenen Dokumentation „Das Drehen der Stille“ kommt.

Es bleibt die Frage offen, warum die Premium-DVD nicht durch weiteres Material ergänzt wurde. Eleni Karaindrou, Angelopoulos’ Komponistin in allen Filmen seit „Reise nach Kythera“ (1984), wurde für „Die Ewigkeit und ein Tag“ zum ersten Mal für ihre bemerkenswerten musikalischen Leistungen zum Werk des griechischen Regisseurs mit einem Filmpreis ausgezeichnet. Von den sieben Preisen, die der Film 1998 beim Internationalen Filmfestival in Thessaloniki erhielt, ging der Greek Competition Award für die beste Musik an Karaindrou. Ist dies nicht zum Beispiel eine Würdigung, die man erwähnen müsste? Wie bei so vielen Arbeiten zu bzw. mit Angelopoulos im deutschsprachigen Raum wird deutlich: Man hätte es besser machen können, sich mehr Mühe geben müssen – aber dennoch ist das Ergebnis unbezahlbar. Es bleibt für die Zukunft die Hoffnung auf mehr.

Romy Schneider: Die Erinnerung ist oft das Schönste


Beate Kemferts Ausstellung in den Rüsselsheimer Opelvillen (17.9.2008-25.1.2009)

von Renate Kochenrath

Wenn man ihr in die Augen schaut, meint man einen Menschen zu sehen, der zum Lachen geboren ist. Doch dieses Lachen hat die Fähigkeit im breiten Spektrum zwischen der verliebten Naivität einer Sissi und der selbstquälerischen Verachtung einer Pupé – aus Viscontis „Boccaccio 70“ – zu changieren. Romy Schneider gilt als Frau mit tausend Gesichtern. Mindestens neun davon kann man seit dem 17.09.2008 in den Opelvillen in Rüsselsheim betrachten. „Die Erinnerung ist oft das Schönste...“ zitiert der Titel der Veranstaltung eine Aussage von Rosemarie Magdalena Albach, so der wahre Name Romy Schneiders, aus der Mitte ihres Lebens und gibt seinem Besucher die Möglichkeit, durch die Bilder neun verschiedener Fotografen in eine Erinnerung einzutauchen, die nicht Teil seiner eigenen Vergangenheit ist.

Mehrfach verweist der Ausstellungskatalog auf Roland Barthes’ Abhandlung „Die helle Kammer“. Im zweiten Teil dieses Grundwerkes zur Philosophie der Fotografie begibt sich der Autor auf die Suche nach einem wahren Foto seiner Mutter. Dabei arbeitet er sich durch Stapel an Fotografien von ihr, findet sie schließlich im Gesicht ihres Kind-Ichs wieder, dem Gesicht einer Sechsjährigen, die lebte, lange bevor sie ihn geboren hat, und die er trotzdem (er)kannte. Die Ausstellung führt den Besucher hingegen beinahe chronologisch durch das Leben der deutsch-österreichischen Schauspielerin, die am 23.09. letzten Jahres 70 Jahre alt geworden wäre. Der deutsche Fotograf Herbert List hat Romy Schneider als knapp 16-jähriges Mädchen fotografiert. Bei diesen Aufnahmen in einem Münchner Atelier sieht man ihr die Bemühung an, es anderen Recht zu machen, ihre Nervosität zu verstecken und als das brave Mädchen abgebildet zu werden, das andere in ihr sehen wollen.

Schon im nächsten Raum ist Romys spitzbübisches Lächeln zu sehen. Max Scheler, der Sohn des gleichnamigen deutschen Philosophen, fotografierte sie in Venedig bei den Dreharbeiten zu dem letzten Teil der „Sissi“-Trilogie sowie auf dem Filmfestival 1957. Bei einem Eisbecher mit Mutter Magda und Stiefvater Hans Herbert Blatzheim auf dem Piazza San Marco wird die 18-jährige von Fans und Fotografen umringt.

Einen zweiten Blick hinter die Filmkulissen ermöglicht Roger Fritz: In feiner Spitzenunterwäsche steht Romy Schneider als Pupé provozierend mit einem schweren, schwarzen Telefon in der Hand bereit, in „Boccaccio 70“ das Leben ihres Mannes und zugleich ihr eigenes zu zerstören. Ebenso verführerisch wirkt sie außerhalb des Studios als flirtender Twen vor Pariser Bouquinisten am Seinufer sowie in einem französischen Bistro. Ihr Umzug aus der elterlichen Kontrolle in das französische Künstlerleben ist komplett. Zusammen mit ihrem Film- und Lebenspartner Alain Delon wird sie bei einem privaten Abend von Fritz fotografiert. Es ist das erste Foto der Ausstellung, das Romy Schneider hinter Gläsern und einem Aschenbecher zeigt. Drei Jahre nach diesen Fotografien, die zur Zeit der Theaterinszenierung „Schade, dass sie eine Dirne ist“ von Luchino Visconti aufgenommen wurden, wird sich das Traumpaar der Klatschpresse trennen. Mit einem Blumenstrauß und einer sachlichen Abschiedsnotiz ("Bin mit Nathalie nach Mexiko. Alles Gute – Alain“ ) verlässt Delon Schneider für seine zukünftige Frau Nathalie Canovas.

Man meint den zerstörenden Schmerz dieser Liebe und ihres Endes bereits 1962 in den Bildern F. C. Gundlachs zu erkennen. Zugleich ewig jung und ewig gealtert schaut Romy Schneider verstört am Betrachter und Fotografen vorbei, scheint mit ihrem Blick nichts festzuhalten, außer ihre im verschwinden begriffene Vergangenheit. Die Bilder des in Hessen geborenen Modefotografen sind am weitesten entfernt von dem öffentlichen Bild Romy Schneiders – sowohl von dem ihrer frühen Jahre, als auch von denen der vom Leiden gezeichneten Frau. Und doch schien Romy Schneider sich am meisten in ihnen zu erkennen, schien etwas zu sehen, was sie nicht los ließ. Drei Bilder des Fotografen hat Romy Schneider immer wieder nachbestellt – die Bestellung und den Scheck unterschrieb sie jedoch mit Rosemarie Albach. Der wahre Name war zum schützenden Pseudonym geworden. Das verstörende Portrait des Fotografen wurde anscheinend zum Selbstbildnis, zum Spiegel einer Frau, die sich auch in ihrem folgenden Leben nur selten verorten konnte.



Der Einsamkeit, dem gefürchteten und treuen Wegbegleiter von Romy Schneider, wird der Besucher auch auf den Fotografien in den folgenden Räumen begegnen. Teilweise kommunizieren die Bilder reine Selbstinszenierung (vor allem die Studioaufnahmen von Will McBride), an anderer Stelle dokumentieren sie den befreienden Kontrollverlust. Viel zu selten ist dieser von reiner Freude ausgelöst. Im Alkoholrausch, auf der Schwelle zu emotionalen Zusammenbrüchen, von denen Fotografen wie Werner Bokelberg und Robert Lebeck berichteten, verfällt Romy Schneider zurück in einen naiven Glückszustand, wird nicht nur zur vertrauten Freundin der Kamera, sondern zum Kind der ganzen Welt. Die Kamera liebt sie. Fast möchte man sagen, ein Mensch der betrunken immer noch eine solch unerträgliche Schönheit ausstrahlt, möchte man nicht zwingen, vom Alkohol zu lassen. Und doch, Stück für Stück zeichnen sich die Spuren eines verbrauchenden Lebens auf ihrem Gesicht ab. Allen voran die Bilder von Robert Lebeck, neben Helga Kneidl wohl einer der Fotografen, der sie im natürlichsten Zustand erlebt hat, legen schonungslos das innere Leid des Stars offen. Romy Schneider verlor die Kämpfe gegen ihre Ängste: gegen ihre Angst vor der Einsamkeit – durch den Tod ihres vierzehnjährigen Sohnes; gegen die Angst vor dem Alter – das sich auf Grund des intensiven Lebens früh seinen Tribut zollen ließ; gegen die Angst vor dem Tod. Am 29. Mai 1982 starb Rosemarie Albach. Ein Zettel mit den Worten „Steck deine Kindheit in die Tasche und renne davon, denn das ist alles, was du hast“ hatte sie angeblich in der leblosen Hand. Sie hinterließ mit 63 Filmauftritten ein Werk, das an Größe das vieler deutschsprachiger Schauspielerinnen übersteigt. Die Fotografien von List, Scheler, Fritz, Gundlach, McBride, Brüchmann, Bokelberg, Kneidl und Lebeck erlauben dem Besucher einen unvergleichlichen Einblick in das Leben und Werk des Stars Romy Schneider – und des Menschen.

DER SELTSAME FALL DES BENJAMIN BUTTON

A Clockwork Reverse

von Sarah Böhmer



USA 2008, R: David Fincher, B: Eric Roth, K: Claudio Miranda, M: Alexandre Desplat, P: Ceán Chaffin, Kathleen Kennedy, Frank Marshall

D: Brad Pitt (Benjamin Button), Cate Blanchett (Daisy), Julia Ormond (Caroline), Tilda Swinton (Elizabeth Abbott), Taraji P. Henson (Queenie), Jason Flemyng (Thomas Button), Elle Fanning (Daisy – Age 7)

Länge: 166 Minuten.
Verleih: Warner Bros. Pictures
Kinostart: 29.01.2009



Wer verspürt nicht dann und wann den Drang, den Naturgesetzen zu trotzen und dem täglich fester packenden Griff des körperlichen Alterns zu entrinnen?
Jeden Tag ein bisschen jünger werden – ist das nicht ein schöner Gedanke? Die jugendliche Kraft am Lebensabend voll auskosten, ohne dass einem erst das Schwinden der körperlichen Stärke die unwiederbringliche Jugend schätzen lehrt. Konsequent zu Ende gedacht, würden wir die Welt dann nicht mit der Last eines ganzen Lebens auf den Schultern verlassen, sondern friedlich und sorgenfrei als Säugling in fürsorglichen Armen entschlummern. David Fincher nimmt dieses Gedankenspiel zum Anlass, in seinem neuen Film das ungewöhnliche Leben eines Mannes zu erzählen, dem aus unerklärlichen Gründen die Gabe und Bürde auferlegt wurde, rückwärts zu altern. Angelehnt an die gleichnamige Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald beleuchtet der Film auch die Kehrseite der Medaille eines solchen Lebens, das von Einsamkeit, Unbeständigkeit und Außenseitertum geprägt ist. Doch leider verzichtet Fincher weitestgehend auf einen Diskurs über Andersartigkeit und das Wechselspiel zwischen äußerem und innerem Altern, sodass er sich stattdessen in Trivialität und einer logisch inkonsequent inszenierten Hauptfigur verliert. So schafft er es trotz der wunderbaren Grundidee und den technischen Voraussetzungen nicht, einen außergewöhnlichen Film zu kreieren.



In New Orleans erfährt Caroline (Julia Ormond) am Sterbebett ihrer Mutter Daisy (Cate Blanchett) die wahre Identität ihres Vaters Benjamin Button (Brad Pitt). In langen Rückblenden erzählt dessen Tagebuch die ungewöhnliche Geschichte seines Lebens, das er als vor der Tür eines Altenheims ausgesetzter Greis begann und als Säugling in den Armen seiner großen Liebe vollendete. Von glücklicher Kindheit inmitten gutmütiger, alter Menschen bis an sein von Altersdemenz überschattetes Lebensende erstreckt sich die Jahrzehnte lange Liebe Benjamins zu Daisy - Kriegserlebnisse, Reifeprozesse und andere Affären überdauernd, obwohl sie nur in der Lebensmitte für kurze Zeit Erfüllung findet. Eine traurige Geschichte über die Unbeständigkeit und Vergänglichkeit alles Menschlichen eröffnet sich vor Carolines Augen, während draußen die Vorboten des Hurrikane Katrina toben.

Obwohl sie den roten Faden und das Zentrum von BENJAMIN BUTTON darstellt, nimmt sich der Film erstaunlich wenig Zeit für die eigentliche Darstellung der Liebesgeschichte zwischen Benjamin und Daisy. Langatmig schwelgt das Epos in der Kindheit und Jugend Benjamins, in der Daisy nur am Rande vorkommt, um dann die Love Story kurz in einer abgedroschenen Aneinanderreihung von exemplarischen, zeitraffenden Szenen gemeinsamen Glücks abzuhandeln. Die schöne Idee des umgekehrten Alterns wird als bloße Prämisse für die Unmöglichkeit der Liebe verbraten, und diese Geschichte durch die schlechte Ausarbeitung dann nicht einmal eindrucksvoll oder zumindest herzergreifend erzählt.

Verwirrend und störend ist auch die unsaubere Ausarbeitung von Benjamins Charakter. Das inkonsequente Wechselspiel zwischen seinem äußeren und inneren Entwicklungsprozess macht es der Figur unmöglich, sich in einem ihr eigenen, in sich logischen Universum zu entfalten. Die Auswirkungen seines äußeren Alters auf sein inneres und die genaue Beschaffenheit seiner inneren Entwicklung werden ebenso ausgeblendet wie weite Teile seines Teenageralters, als sich sein Leben dem Ende zuneigt – was zu sehen durchaus interessant gewesen wäre! Damit büßt die Hauptfigur einen Großteil ihrer Faszination ein und man fragt sich, wieso Benjamin überhaupt rückwärts altert, wenn dem ganzen Prozess außerhalb des Make-Ups kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Sogar die visuelle Opulenz und Tricktechnik des Films bleiben unausgegoren. Die dokumentarisch wirkenden Einschübe, die altes Filmmaterial bis hin zur Stummfilm-Optik imitieren, erwecken zwar in ihrer Nostalgie sehr schön eine vergangene Zeit – allerdings laufen die auf diese Weise beiläufig erzählten Handlungsstränge vom blinden Uhrenmacher und dem sieben Mal vom Blitz getroffenen Mann völlig ins Leere. Auch mit der Verjüngung hapert es – Ballerina Blanchett sieht so computeranimiert aus, als sei sie "Beowulf" entsprungen. Einzig das Make-Up ist wirklich grandios und lässt alle Figuren höchst glaubhaft altern. Aber Maske und Darsteller allein reichen bei diesem verheißungsvollen Film nicht aus, um über Handlungsdefizite und logische Lücken hinwegzutrösten.

Die enttäuschende Bilanz ist, dass der Film weder eine berauschende Liebesgeschichte, noch eine interessante Abhandlung über das Altern an sich, losgelöst vom körperlichen Verfall, bietet. Alles, was bleibt, ist die banale Botschaft, dass nichts im Leben Bestand hat – und auch die springt einem unangenehm effekthascherisch in Form der Naturmetapher des Hurrikane Katrina ins Auge. Obwohl der Film durchaus auch Unterhaltungswerte besitzt, bleibt wegen seines unausgeschöpften Potentials nur der bittere Eindruck verfehlter Größe zurück.

ZEITEN DES AUFRUHRS / REVOLUTIONARY ROAD


Mr. & Mrs. Wheeler

von Maximilian Miguletz


USA 2008, Regie: Sam Mendes; Buch: Justin Haythe (nach dem Roman von Richard Yates); Kamera: Roger Deakins; Musik: Thomas Newman; Produktion: Bobby Cohen, John Hart, Sam Mendes, Scott Rudin.

Darsteller: Kate Winslet (April Wheeler), Leonardo DiCaprio (Frank Wheeler), Michael Shannon (John Givings), Kathy Bates (Helen Givings), Zoe Kazan (Maureen Grube), Ryan Simpkins (Jennifer Wheeler), Ty Simpkins (Michael Wheeler), David Harbour (Shep Campbell), Jay O. Sanders (Bart Pollack).

Verleih: Paramount
Laufzeit: 119 Minuten
Kinostart Dt.: 15.01.2009


Für das gigantische Subuniversum „PR“ in den journalistischen Weiten ist es vor allem „Titanic 2“, mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder gemeinsam vor der Kamera. Der Film an sich ist etwas anderes. Mit „Zeiten des Aufruhrs“ wurde der Debütroman des lange unterschätzten Autoren Richard Yates verfilmt. Keine Soap-Opera, effektgeladen und melodramatisch wie „Titanic“. Sondern kühl, exakt beobachtend, erschütternd, deprimierend. Fans von Rose und Jack, die schlicht ein Wiedersehen ihres Lieblingsliebespärchens aller Zeiten genießen wollen, wird schneller die Hoffnung auf ein zweites romantisches Abenteuer geraubt als Jack „blubb“ sagen kann. Auf der anderen Seite sind diejenigen, die 1998 die Kinos belagerten, ja auch zehn Jahre älter und reif für einen ordentlichen Schuss Desillusionierung.

Eine Party. Quer durch den Raum voller Menschen entdecken sich Frank und April. Beide selbstbewusst, attraktiv, abenteuerlustig. Im Hintergrund spielt „The Gypsy“ von The Ink Spots, ein Lied über unerfüllte Wünsche, unzuverlässige Zukunftsaussichten und willentliches Leben einer Lüge. Hallo, du Wink mit dem Zaunpfahl. Der romantische Beginn endet jäh in bitterer Eherealität. Gerade noch tanzen April und Frank zum ersten Mal, betrachten sich mit ehrlichem Interesse und reifer Leidenschaft. Schnitt, und wir sehen Frank Wheelers skeptischen Blick, als beobachte er die eigene Vergangenheit ungläubig als unwirklichen Kinofilm. Tatsächlich sitzt er Jahre später in einer Aufführung der provinziellen Theatergruppe, in der seine Frau inzwischen ihr kreatives Dasein fristet. Ein enttäuschender Abend. Und es wird noch schlimmer. Er ist unsensibel, sie zickig, beide unnachgiebig in ihren subtilen Schuldzuweisungen, es herrscht angespannte Beklommenheit zwischen den Ehepartnern, und auf der Heimfahrt eskaliert der Streit.

Diese unangenehme Ruhe vor dem Sturm, die Beklommenheit und der unkontrollierte Ausbruch von Wahrheiten durchziehen den Film. Ähnlich wie in seinem vielfach gepriesenen Debütfilm „American Beauty“ inszeniert Regisseur Sam Mendes die amerikanische Vorstadt als oberflächliches Paradies, in dessen Innerem Enttäuschung, Zorn, aber auch unterdrückte Leidenschaft schlummern. Noch hoffnungsloser, obwohl es Hoffnung zu geben scheint.



Paris. Das soll die Lösung sein. Aprils Plan ist die Verwirklichung ihrer Lebensträume in Paris. Raus aus der Revolutionary Road, rein ins vie de Bohème. Frank lässt sich von ihrem Enthusiasmus anstecken. Beide blühen auf, scheren sich nicht mehr um die blutleere Anerkennung der Mitmenschen, lachen der Gesellschaft zum Abschied ins Gesicht. Und lieben sich. Hätten sie aber mal lieber sein lassen. April wird schwanger und die Fluchtpläne sind gefährdet.

All das erfährt der Zuschauer aus nächster Nähe. Die Kamera bleibt stets bei Frank und April, unnachgiebig nah und präzise betrachtend. Kein Stirnrunzeln entgeht ihr, kein Wimpernschlag bleibt unerkannt. Selbst wenn man nicht mehr dabei sein möchte, wenn das peinliche, beklemmende Gefühl überhand nimmt, kennt die Kamera kein Erbarmen. Jeden noch so intimen, unangenehmen Moment der Wahrheit für April oder Frank erfahren wir unmittelbar.

Ein unmöglich erfolgreiches Konzept ohne starke Darsteller. Sam Mendes hat sie. Allesamt. Seine Ehefrau Kate Winslet allen voran. Es soll ihr ein Herzensprojekt gewesen sein. Und sie ist umwerfend. Wie auch DiCaprio, der ohne „leading man“-Manierismen wie zuletzt in „Der Mann, der niemals lebte“, sondern uneitel im Dienst einer Darstellung voll authentischer Ambivalenz agiert.

Das enfant terrible des Casts ist Michael Shannon. Als vermeintlich Verrückter steht er für die tragische Ironie einer Gesellschaft, in der die Lüge zur Wahrheit und Wahrheit zum Wahnsinn wird. Nur der Mann aus der Klapse erkennt die Wahrheit und hält daran fest, während alle anderen die Lüge wollen, ertragen oder überhören.

Eine fremde, abnormale Welt aus heutiger Sicht. Ebenso fremd und teils künstlich inszeniert, was der oberflächlichen Idylle und gekünstelten Harmonie filmisch Ausdruck verleiht. Im Kern aber ist dies keine Geschichte über die 50er, sondern über affektierte Manieren, Erwartungsdruck, Konformismus, den Ausbruch daraus und den Wunsch nach Selbstverwirklichung. Universelle Themen, die dem Zuschauer den Spiegel vorhalten. Die Zerbrechlichkeit der eigenen Bequemlichkeit, Kompromisse, Einschränkungen, unerfüllte Träume – klar leben wir nicht mehr so wie in den 50ern, aber sind wir wirklich frei und kreativ und „wundervoll in der Welt“? April Wheelers Plädoyer für Selbstverwirklichung wird den ein oder anderen Zuschauer womöglich tiefer treffen, als er es für möglich hält.