Romy Schneider: Die Erinnerung ist oft das Schönste


Beate Kemferts Ausstellung in den Rüsselsheimer Opelvillen (17.9.2008-25.1.2009)

von Renate Kochenrath

Wenn man ihr in die Augen schaut, meint man einen Menschen zu sehen, der zum Lachen geboren ist. Doch dieses Lachen hat die Fähigkeit im breiten Spektrum zwischen der verliebten Naivität einer Sissi und der selbstquälerischen Verachtung einer Pupé – aus Viscontis „Boccaccio 70“ – zu changieren. Romy Schneider gilt als Frau mit tausend Gesichtern. Mindestens neun davon kann man seit dem 17.09.2008 in den Opelvillen in Rüsselsheim betrachten. „Die Erinnerung ist oft das Schönste...“ zitiert der Titel der Veranstaltung eine Aussage von Rosemarie Magdalena Albach, so der wahre Name Romy Schneiders, aus der Mitte ihres Lebens und gibt seinem Besucher die Möglichkeit, durch die Bilder neun verschiedener Fotografen in eine Erinnerung einzutauchen, die nicht Teil seiner eigenen Vergangenheit ist.

Mehrfach verweist der Ausstellungskatalog auf Roland Barthes’ Abhandlung „Die helle Kammer“. Im zweiten Teil dieses Grundwerkes zur Philosophie der Fotografie begibt sich der Autor auf die Suche nach einem wahren Foto seiner Mutter. Dabei arbeitet er sich durch Stapel an Fotografien von ihr, findet sie schließlich im Gesicht ihres Kind-Ichs wieder, dem Gesicht einer Sechsjährigen, die lebte, lange bevor sie ihn geboren hat, und die er trotzdem (er)kannte. Die Ausstellung führt den Besucher hingegen beinahe chronologisch durch das Leben der deutsch-österreichischen Schauspielerin, die am 23.09. letzten Jahres 70 Jahre alt geworden wäre. Der deutsche Fotograf Herbert List hat Romy Schneider als knapp 16-jähriges Mädchen fotografiert. Bei diesen Aufnahmen in einem Münchner Atelier sieht man ihr die Bemühung an, es anderen Recht zu machen, ihre Nervosität zu verstecken und als das brave Mädchen abgebildet zu werden, das andere in ihr sehen wollen.

Schon im nächsten Raum ist Romys spitzbübisches Lächeln zu sehen. Max Scheler, der Sohn des gleichnamigen deutschen Philosophen, fotografierte sie in Venedig bei den Dreharbeiten zu dem letzten Teil der „Sissi“-Trilogie sowie auf dem Filmfestival 1957. Bei einem Eisbecher mit Mutter Magda und Stiefvater Hans Herbert Blatzheim auf dem Piazza San Marco wird die 18-jährige von Fans und Fotografen umringt.

Einen zweiten Blick hinter die Filmkulissen ermöglicht Roger Fritz: In feiner Spitzenunterwäsche steht Romy Schneider als Pupé provozierend mit einem schweren, schwarzen Telefon in der Hand bereit, in „Boccaccio 70“ das Leben ihres Mannes und zugleich ihr eigenes zu zerstören. Ebenso verführerisch wirkt sie außerhalb des Studios als flirtender Twen vor Pariser Bouquinisten am Seinufer sowie in einem französischen Bistro. Ihr Umzug aus der elterlichen Kontrolle in das französische Künstlerleben ist komplett. Zusammen mit ihrem Film- und Lebenspartner Alain Delon wird sie bei einem privaten Abend von Fritz fotografiert. Es ist das erste Foto der Ausstellung, das Romy Schneider hinter Gläsern und einem Aschenbecher zeigt. Drei Jahre nach diesen Fotografien, die zur Zeit der Theaterinszenierung „Schade, dass sie eine Dirne ist“ von Luchino Visconti aufgenommen wurden, wird sich das Traumpaar der Klatschpresse trennen. Mit einem Blumenstrauß und einer sachlichen Abschiedsnotiz ("Bin mit Nathalie nach Mexiko. Alles Gute – Alain“ ) verlässt Delon Schneider für seine zukünftige Frau Nathalie Canovas.

Man meint den zerstörenden Schmerz dieser Liebe und ihres Endes bereits 1962 in den Bildern F. C. Gundlachs zu erkennen. Zugleich ewig jung und ewig gealtert schaut Romy Schneider verstört am Betrachter und Fotografen vorbei, scheint mit ihrem Blick nichts festzuhalten, außer ihre im verschwinden begriffene Vergangenheit. Die Bilder des in Hessen geborenen Modefotografen sind am weitesten entfernt von dem öffentlichen Bild Romy Schneiders – sowohl von dem ihrer frühen Jahre, als auch von denen der vom Leiden gezeichneten Frau. Und doch schien Romy Schneider sich am meisten in ihnen zu erkennen, schien etwas zu sehen, was sie nicht los ließ. Drei Bilder des Fotografen hat Romy Schneider immer wieder nachbestellt – die Bestellung und den Scheck unterschrieb sie jedoch mit Rosemarie Albach. Der wahre Name war zum schützenden Pseudonym geworden. Das verstörende Portrait des Fotografen wurde anscheinend zum Selbstbildnis, zum Spiegel einer Frau, die sich auch in ihrem folgenden Leben nur selten verorten konnte.



Der Einsamkeit, dem gefürchteten und treuen Wegbegleiter von Romy Schneider, wird der Besucher auch auf den Fotografien in den folgenden Räumen begegnen. Teilweise kommunizieren die Bilder reine Selbstinszenierung (vor allem die Studioaufnahmen von Will McBride), an anderer Stelle dokumentieren sie den befreienden Kontrollverlust. Viel zu selten ist dieser von reiner Freude ausgelöst. Im Alkoholrausch, auf der Schwelle zu emotionalen Zusammenbrüchen, von denen Fotografen wie Werner Bokelberg und Robert Lebeck berichteten, verfällt Romy Schneider zurück in einen naiven Glückszustand, wird nicht nur zur vertrauten Freundin der Kamera, sondern zum Kind der ganzen Welt. Die Kamera liebt sie. Fast möchte man sagen, ein Mensch der betrunken immer noch eine solch unerträgliche Schönheit ausstrahlt, möchte man nicht zwingen, vom Alkohol zu lassen. Und doch, Stück für Stück zeichnen sich die Spuren eines verbrauchenden Lebens auf ihrem Gesicht ab. Allen voran die Bilder von Robert Lebeck, neben Helga Kneidl wohl einer der Fotografen, der sie im natürlichsten Zustand erlebt hat, legen schonungslos das innere Leid des Stars offen. Romy Schneider verlor die Kämpfe gegen ihre Ängste: gegen ihre Angst vor der Einsamkeit – durch den Tod ihres vierzehnjährigen Sohnes; gegen die Angst vor dem Alter – das sich auf Grund des intensiven Lebens früh seinen Tribut zollen ließ; gegen die Angst vor dem Tod. Am 29. Mai 1982 starb Rosemarie Albach. Ein Zettel mit den Worten „Steck deine Kindheit in die Tasche und renne davon, denn das ist alles, was du hast“ hatte sie angeblich in der leblosen Hand. Sie hinterließ mit 63 Filmauftritten ein Werk, das an Größe das vieler deutschsprachiger Schauspielerinnen übersteigt. Die Fotografien von List, Scheler, Fritz, Gundlach, McBride, Brüchmann, Bokelberg, Kneidl und Lebeck erlauben dem Besucher einen unvergleichlichen Einblick in das Leben und Werk des Stars Romy Schneider – und des Menschen.