FILMZ 09: Hauptpreis und Kurzfilmwettbewerb

Ja, jetzt ist es rum, das 9. FILMZ – Festival des deutschen Films in Mainz. Erneut wurde ein neuer Besucherrekord vermeldet. Rund 5.900 Besucher waren es, 700 mehr als im Jahr zuvor.

Am Sonntag, dem 29. November gab es die traditionelle Preisverleihung im Anschluss an den Kurzfilmwettbewerb. Rappelvoll war das Residenz Kino, entsprechend dürftig die Lust gegen Ende und undultsam das Publikum mit den Rednern. Sei's drum.

Gewinner des „Mainzer Rads“ wurde nicht, wie von vielen erwartet, die flotten 13 SEMESTER, sondern mit hauchdünnem Vorsprung – alle Preise sind Publikumspreise – Aelrun Goettes KEINE ANGST. Deren zwei junge Schauspielerinnen Carolyn Genzkow und Michelle Barthel nahmen in hinreißender Aufgeregtheit und Sprachlosigkeit den Preis entgegen, waren auch schon auf dem Heimweg gewesen, als sie von den FILMZ-Veranstaltern aufgrund der Gewinnchance zurückbeordert wurden.



Sieger des Drehbuchpitchs war Florian Eichinger für sein Filmkonzept zu NORDSTRAND ausgezeichnet und Sönke Andresen mit dem Treatment zu FLUG NACH UNTERLEUTERSHEIM. Die Trophäe wurde allerdings von Tidi von Tiedemann von Kontrastfilm (haha!) nur indirekt überreicht: Die Glasflammen waren auf dem Weg nach Mainz verschütt gegangen, weshalb es ein Foto davon gab. Das war insofern witzig, als ein wenig zum Kurzfilmpreisträgerfilm passte:

Der Kurzfilmpreis ging an Erik Schmitts, Oliver Walsers und Stephan Müllers „Nicht nur der Himmel ist blau“: Mit nur zwei Tagen Zeit und der Themenvorgabe „Mockumentary“ lieferten sie nicht nur eine Fake-Doku ab, sondern die „gefälschte“ Dokumentation eine falschen „Dokumentation“, die eine Protestaktion der Figuren darstellt: Um den Umweltfrevler Lufthansa eins auszuwischen, werden angeblich ein von einem Flugzeugen abgefallener Reifen in der Fußgängerzone präsentiert, „versteckte Kamera“-Aufnahmen aus einem „Cockpit“ in YouTube quasi doppelt getürkt und ein falscher betrunkener „Pilot“ torkelnd durch den Flughafen Tegel geschickt – natürlich beim echten Dreh wie beim „Film im Film“ ohne Drehgenehmigung.

Aber es war schwer, sich bei FILMZ für den besten Kurzfilm zu entscheiden. Eine kleine, beliebige Auswahl:

Felix Stienz, alter FILMZ-Haase mit Berliner Schnauze (zumindest auf der Bühne) präsentierte einen großartigen BETTY B. AND THE THE’S, eine lakonische, bild-schöne, wortkarge und skurrile Verbeugung vor Aki Kaurismäki.

Tom Waits wurde in NEVER DRIVE A CAR WHEN YOU’RE DEAD nicht ausdrücklich gedankt, aber der Titel, eine Zeile aus Waits „Telephone Call From Istanbul“ und die Musik waren beredt genug: Gregor Dashhubers Zeichentrickfilm erzählt wortlos aber musikalisch vom Letzten Geleit, das sich ein Selbstmörder durch die bizarr-verkommene Stadt und ihre herrlich grässlichen Albtraumgestalten quasi selbst gibt.

Peter Hackers JOULUPUKKI JA PORO bot eine computerisierte Realfilmvariant von Cartoons der Marke Tex Avery und Co.: Der Weihnachtsmann und ein Rentier (= ein Mann in Rentierkostüm) jagen sich gegenseitig ein Geschenk ab. Samt Vom-Zug-überrollt-Werden, Lichtschalter am Baum und Dynamit.

MEINE DUMME EX wiederum reflektiert mit bemerkenswert beklemmender Direktheit, weil allzu nah an der Realität, wie man(n) sich an einer Ehemaligen rächt, indem man das Heimsexvideo ins Internet stellt und sie so für Abermillionen (Männer) zynisch zum Schauobjekt degradiert (Regie Steffen Zillig, Moritz Herda).



Im Anschluss gab es dann noch Sekt oder Traubensaft, dank der Initiative KINO VINO („Cineastische Begegnungen und inspirierende Weine“), und wenn nicht in Mainz, wo dann? So endete FILMZ, das von lauter Freiwilligen mit viel Engagement betrieben wird, mit einer ihm würdigen Qualität.

Wir freuen uns aufs nächste Jahr. Da findet das FILMZ 10 voraussichtlich vom 23. bis zum 28. Nov. statt.

Bernd Zywietz

Der Klugscheißer und das Südstaatendummchen – Woody Allens „Whatever Works“

von Harald Mühlbeyer


USA 2009. Buch und Regie: Woody Allen. Kamera: Harris Savides. Produktion: Letty Aronson, Stephen Tenenbaum.
Mit: Larry Davis, Evan Rachel Wood, Patricia Clarkson, Ed Begley Jr., Conleth Hill, Michael McKean.
Verleih:
Länge: 92 Minuten.

Ein alter nihilistischer Klugscheißer heiratet ein junges Südstaatendummchen, und fertig ist der Woody-Allen-Film – dabei hätte Allen den Part des Boris Yellnikoff auch selbst spielen können, diesen hochintelligenten, sehr von sich eingenommenen Beinahe-Nobelpreisgewinner, der in selbstgewählter Isolation versauert. Larry David jedenfalls ist in dieser Rolle größtenteils eine recht exakte Woody-Kopie, nur mit weniger Haaren. Und eben nicht original.

Ebenso wirkt Evan Rachel Wood in diesem Film etwas verschenkt: sie spielt das Dummchen vom Lande zu aufgesetzt, besonders, wenn man sich erinnert, wie damals Mira Sorvino in „Mighty Aphrodite“ eine ähnlich angelegte Rolle perfekt – und oscargekrönt – ausfüllte. Wo Davids Spielweise der von Allen zu ähnlich ist, ist Evan Rachel Wood von dem Potential ihrer Rolle weit entfernt: das ist das Dilemma des Films, zumal er nichts bietet, was dem Allen-Œuvre Neues hinzufügen würde. Der pessimistische, weitschweifend monologisierende Misanthrop mit nihilistischen Ansichten öffnet sich gegenüber einer jungen, hübschen Naiven, die er nach seinem Bilde formt und die ihn dann, etwas gereift, verlässt – einen ähnlichen Pygmalion-Stoff hat Allen in seinem „Stadtneurotiker“ schon verfilmt, und tatsächlich stammt das ursprüngliche Drehbuch zu „Whatever Works“ aus den späten 70ern, damals noch für Zero Mostel in der Hauptrolle geschrieben.

Man muss wohl bei diesem Film den Titel für sich sprechen lassen und sich darauf konzentrieren, was auch immer funktioniert. Und das ist denn doch einiges, wenn auch leider nicht alles. Aber wie etwa Boris von seiner eigenen Brillanz so sehr überzeugt ist und darin bestätigt wird, weil er als einziger die vierte Wand durchbrechen und direkt das Kinopublikum ansprechen kann; oder wie sich stockreaktionäre Südstaaten-Rednecks innerhalb weniger Filmschnitte in libertäre und libidinöse Bohemiens verwandeln; oder wie ganz offensiv der Zufall eingesetzt wird, mit dem sich irgendwelche Leute begegnen und sich ihre Lebensläufe ändern: das ist witzig und souverän konzipiert. Und wenn Allens Inszenierungsstil zu Anfang etwas theaterhaft wirkt und beinahe unbeholfen: auch das ist Programm, weil der Film eigentlich ein Tür auf-Tür zu-Boulevardstück ist mit dem Glück des Schicksals, das man einfach nur reinlassen muss.

Fremd ist der Fremde nur in der Fremde – "Planet 51"

von Harald Mühlbeyer

Spanien/Großbritannien 2009. Regie: Jorge Blanco, Javier Abad, Marcos Martinez. Buch: Joe Stillman. Musik: James Brett. Produktion: Guy Collins, Ignacio Pérez Dolset. Originalstimmen: Dwayne “The Rock” Johnson, Jessica Biel, Justin Long, Seann William Scott, Gary Oldman, John Cleese.
Länge: 90 Minuten.
Verleih: Sony
Kinostart: 3.12.2009



HandMade Films – die Firma, die Ex-Beatle George Harrison und sein Manager Denis O’Brien damals für „Das Leben des Brian“ gegründet haben – existiert überraschenderweise noch, zumindest dem Namen nach. Sie stemmte die britische Finanzierung für eine Produktion des neuen spanischen Animationsstudios Ilion, die mit Hollywood-Besetzung eine uramerikanische Geschichte erzählt. Nunja: eine etwas verdreht-amerikanische Geschichte.

13 Milliarden Kilometer von uns entfernt auf dem Planeten 51 ist alles so, wie es in einem idealen Amerika der 50er Jahre hätte gewesen sein können: eine reine Idylle, in der sich im gutnachbarlichen Miteinander niemand Böses will und in der sich die Kids an den „Homaniac“-Science Fiction-Filmen über die Invasion Außerirdischer ergötzen. Und der Kinoschrecken wird wahr: Ein Raumschiff landet. Ein Astronaut betritt den Planeten. Und rammt die USA-Flagge in den Boden.
Das ist ein wunderbarer Ausgangspunkt, eine verkehrte Welt, die die irdische Angst vor dem Außerirdischen umdreht: Für die ist natürlich der Mensch der Alien. Dabei erliegen die Planet 51ianer der typischen Paranoia der 50er Jahre: Alles Fremde wird als staatsgefährend angesehen, unterstützt von populären Filmen entwickelt sich ein angsterfülltes, misstrauisches, letztendlich ignorantes Klima allgemeiner Paranoia – und das könnte eine gewitzte Satire auf westliche Lebensstile und -gewissheiten des letzten halben Jahrhunderts werden. Zumal der Astronaut-Eindringling in die friedliche außerirdische Welt arrogant-selbstgerecht-imperialistisch-chauvinistisch auftritt, die (liebevolle) Karikatur des typischen Amerikaners eben.

Aber andererseits will „Planet 51“ allen gefallen. Und beißt nicht, ja, bellt nicht einmal, kläfft nur ein bisschen und schmust sich ansonsten durch. Denn eigentlich haben immer noch alle alle lieb, sie wissen nur zuwenig voneinander, der Mensch und die Aliens, und die US-Erkundungssonde ist ohnehin ein liebevoll mit der Antenne wedelndes Pendant zu den außerirdischen Hunden.

Vielleicht kann eine satirische Zuspitzung dieser verkehrten Welt auch nicht erfolgen, weil so etwas wie Kalter Krieg oder McCarthyismus außen vor bleiben; weil sich die Invasionsangst der Außerirdischen nur aus der Kino-Massenkultur von Sci-Fi-Filmen speist (was die real-irdischen Verhältnisse auf den Kopf stellt). So bleibt es eben bei einer witzigen Heldengeschichte, durchsetzt mit einigen popkulturellen Anspielungen. Schließlich war Drehbuchautor Joe Stillman – der einzige tatsächliche kreative Input aus Amerika – auch der Autor der ersten beiden „Shrek“-Filme. Angeheuert wurde er vermutlich, weil er sich mit grünen Männchen auskennt.

Animierter Sternenkrieg - "Star Wars: The Clone Wars" – Staffel 1 (Blu-ray)

von Bernd Perplies

Star Wars: The Clone Wars – Staffel 1
USA 2008. Regie: Dave Filoni, Rob Coleman u. a.
Sprecher: Matt Lanter (Anakin Skywalker), James Arnold Taylor (Obi-Wan Kenobi), Ashley Eckstein (Ahsoka Tano), Anthony Daniels (C-3PO), Ahmed Best (Jar Jar Binks), Matthew Wood (General Grievous) u.a.
Länge: 502 min. , 22 Episoden, vier Disks
Vertrieb: Warner Home Video
Erscheinungsdatum: 20.11.2009
Bonusmaterial: 22 Behind-the-Scenes-Featurettes mit Interviews mit dem Regisseur und der Crew, 68-seitiges Booklet mit Zeichnungen und Anmerkungen der Künstler, Vorschau auf Staffel 2, Game_Trailer: Republic Heroes, Starwars.com-Trailer, Die Jedi-Tempel-Archive: eine umfangreiche Datenbank mit frühen Testanimationen, Konzeptentwürfen und 3D-Ansichten


Als im Sommer 2008 der Film „Star Wars: The Clone Wars“ in die Kino kam, schieden sich an ihm die Geister. Peinliche Handlung um einen Babyhutten, seltsam holzschnittartig agierende Figuren, eintönige Hintergründe (vor allem auf Tatooine) … Das waren Kritikpunkte, die Fans dem neuen Film aus der Schmiede von George Lucas vorwarfen. Dann kam die TV-Serie, für die der Film eigentlich nur der Pilot gewesen war. Und man musste überrascht eingestehen: Sie war in jeder Hinsicht besser als ihr „großer Bruder“. Und mit dem Erscheinen auf Blu-ray ist sie sogar noch ein bisschen besser geworden.

Die grundlegende Situation ist rasch umrissen: Während der Krieg zwischen der Republik und der Konföderation der Separatisten in der Galaxis tobt, kämpfen die heroischen Jedi, darunter Yoda, Anakin Skywalker, Obi-Wan Kenobi und Anakins neuer Padawan Ahsoka Tano darum, Frieden und Ordnung wiederherzustellen. Unterdessen setzen die Separatisten, angeführt vom charismatischen Count Dooku, seiner Attentäterin Asajj Ventress und dem bösartigen Droidengeneral Grievous, alles daran, die Republik zu stürzen und die Macht zu übernehmen.

22 Episoden enthält die erste Staffel der neuen „Star Wars“-Animationsserie, die in einer hübschen, buchartigen Hülle daherkommt. Jede der Episoden beginnt mit einem kleinen Motto in der typischen blauen „Star Wars“-Schrift, einer kurzen Weisheit, wie sie aus dem Munde Yodas stammen könnte und die der jeweiligen Episode als Motiv übergeordnet ist. Ein Hauch von pädagogischem Wert inmitten des ansonsten fröhlich sinnfreien Droidenschlachtens.

Vor der eigentlichen Handlung steht zudem ein kurzes Intro, das in einem flotten Bilderreigen und von einem reißerisch klingenden Sprecher untermalt die gegenwärtige Situation darlegt und somit die gesamte langwierige Exposition einer Episode erspart. Der Stil erinnert stark an die Kriegsberichtserstattung der „tönenden Wochenschauen“ aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, und das ist nicht nur Absicht, sondern auch Programm der ganzen Serie.

Entsprechend bietet „The Clone Wars“ inhaltlich vor allem eines: heroische Kampfepisoden. Sei es auf der Suche nach einer Superwaffe der Separatisten, beim Infiltrieren der feindlichen Reihen, bei Verhandlungen mit wankelmütigen Bündnispartnern oder dem Erobern und Zurückerobern beliebiger Randweltenplaneten: Immer werden uns heldenhafte Jedi, treue Klonkrieger, tumbe Droiden und sinistre Separatistenführer im Widerstreit gezeigt, die sich mit flotten Sprüchen auf den Lippen gegenseitig die Hucke vollhauen.

Natürlich finden sich auch einige kurze, besinnliche Momente in den Folgen, die als Kontrapunkte zur reichhaltigen Action gesetzt werden. Doch man muss schon genau aufpassen, damit man die Botschaft mitbekommt, bevor die nächste Spannungssequenz folgt. Denn „The Clone Wars“ ist keine moderne Serie in dem Sinne, dass sie auf Charakterentwicklung, große Gefühle und ausgefeilte Plot-Twists bauen würde. Sie stellt vielmehr das dar, was „Star Wars“ im Kern schon immer war: ein phänomenal buntes Weltraum-Märchen im Stil der 30er-Jahre-Serials wie „Flash Gordon“ oder „Buck Rogers“.

Das mag eine naive Art des Erzählens sein. Und doch funktioniert sie, wenn man sich mal innerlich von diesen hochbedeutungsschwangeren und -komplexen Erwachsenenserien wie „Battlestar Galactica“ oder „Lost“ zu lösen vermag und den kindlichen „Sense of Wonder“ zulässt. Denn zum Staunen bietet „The Clone Wars“ wirklich einiges – und damit spreche ich nicht nur von den zahllosen neuen Raumschiffen, Droidentypen und Klonsoldaten, die jedem Fan des Expanded Universe das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.

Die im ersten Moment etwas befremdlich wirkende Optik, mit ihren seltsam kantigen Figuren und den 3D-Objekten in einer geradezu in Öl gemalten Welt, ist mitunter wahrlich atemberaubend und wunderschön zugleich. Wenn sich General Grievous’ Superraumschiff von drei republikanischen Sternenzerstörern verfolgt brennend durchs All schleppt, wenn über der Prärie eines fremden Planeten ein prachtvoller Sonnenuntergang die Wolken am Himmel in ein Farbenspektakel verwandelt, wenn Ahsoka Tano mit Meisterin Luminara Unduli gegen die Sith-Attentäterin Asajj Ventress in einem explodierenden Maschinenraum im Lichtschwertduell bestehen muss, dann sind das Momente, in denen man den Film anhalten und sich das Standbild gerahmt an die Wand hängen möchte.

In diesen Momenten entfaltet das Medium Blu-ray (um das mal erwähnt zu haben) wahrhaftig seine ganze Wirkung. Das Bild ist wirklich gestochen scharf und während manche Raumschiffe mit geradezu fotorealistischem Detailreichtum vor einem phänomenalen Sternenmeer dahingleiten, ist der Eindruck sogar noch nachhaltiger in Szenen wie den oben beschriebenen, in denen wundervolle Farbverläufe, kunstvoll texturierte Hintergründe und das Spiel von farbigem Licht den Bildern eine Fülle verleihen, die man im gleichnamigen Kinofilm noch an vielen Stellen vermisst hat. Hier merkt man in der Tat, dass das Team um Serienkoordinator Dave Filoni immer besser wurde und wird.

Apropos Kinofilm: Im Gegensatz zur TV-Ausstrahlung, die „Star Wars: The Clone Wars“ noch in 16:9 (1,85:1) präsentierte, ist die Serie auf der Blu-ray im originalen Scope-Kinoformat von 2,35:1 abgelegt. Das heißt, es finden sich zusätzliche Bildinformationen an beiden Rändern des Bildes, die zwar meist nicht von großer Bedeutung sind, das Bildkader aber weniger eingeengt wirken lassen als noch im Fernsehen. Dieser Umstand ist übrigens falsch auf der Hülle abgedruckt, die noch ein Format von 1,85:1 behauptet!

Auch auf der Tonebene weiß die Serie voll und ganz zu überzeugen. Die Musik ist zwar nicht von John Williams, aber auch Kevin Kiner, der einen nicht ganz so orchestralen, doch kaum weniger vielfältigen und dynamischen Soundtrack beisteuerte, weiß zu gefallen. Die großartige Tonkulisse zieht dann wirklich alle Register. Von allen Seiten jaulen Blaster, dröhnen Schiffstriebwerke und summen Lichtschwerter – das richtige Equipment im Heimkino vorausgesetzt. Alle Geräusche entstammen dem Sound-Fundus der Kinofilme und sorgen somit für erstklassige „Star Wars“-Atmosphäre.

Die englischsprachigen Sprecher sind natürlich nicht Hayden Christensen oder Ewan McGregor, aber das merkt man eigentlich kaum, denn ihre Ersätzmänner verleihen den Figuren authentisch klingende Stimmen. Einige Schauspieler, wie Anthony Daniels (C-3PO) und Ahmed Best (Jar Jar Binks) ließen es sich sogar nicht nehmen, wieder selbst vors Mikrofon zu treten, dazu kommen namhafte Gaststars wie James Marsters (Spike aus „Buffy“), George Takei (Sulu aus „Raumschiff Enterprise), Ron Perlman oder Michael York. In Deutschland dürfen sich die Fans übrigens über die originalen Sprecher der Prequel-Kinofilme freuen – hier zahlt sich aus, dass Synchronsprecher eben keine teuren Hollywoodschauspieler sind.

Das Bonusmaterial der Blu-ray ist gut, aber nicht überragend. Zu jeder Episode existiert ein kurzes Featurette (zuvor bereits auf www.starwars.com zu sehen), das die Macher nutzen, um in etwa jeweils fünf Minuten über die wichtigen Themen und Figuren der Episode zu sprechen. Dazu kommt noch das so genannte Jedi Archiv, das das Gesagte durch Illustrationen und Animationsentwürfe ergänzt. Außerdem gibt es eine kurze Vorschau auf die zweite Staffel, einen Trailer zu dem Computerspiel „Republic Heroes“ sowie ein in der buchförmigen DVD-Hülle eingeklebtes Booklet mit weiteren Konzeptzeichnungen (und natürlich dem Hinweis auf das viel dickere Werk „Art of Star Wars - The Clone Wars“).

Zwei Dinge fehlen mir allerdings. Zum einen gibt es kein richtiges Making-Of, das umfassendere Einblicke in die Entwicklung und Produktion der Serie bietet. Dabei wäre es beispielsweise hochinteressant gewesen, zu sehen, wie sich de facto die visuelle Qualität der Serien-Episoden durch Weiterentwicklungen im Produktionsablauf gesteigert hat. Zum zweiten werden sieben Episoden laut Menü als „Director’s Cut“ angeboten. Leider wird nirgendwo erklärt, was das zu bedeuten hat. Sind die Episoden länger? Sind sie umgeschnitten worden? Wurden sie optisch aufpoliert? Ein kurzer Hinweis wäre hier nicht fehl am Platze gewesen.

Fazit: Wer kurzweilige, visuell eindrucksvolle Animationsunterhalt mag, ist bei „Star Wars: The Clone Wars“ genau richtig. Inhaltlich darf man nicht mehr als heroische Space Opera erwarten, aber optisch auch nicht weniger! Und Freunde des Expanded Universe erfreuen sich an der Fülle neuer „Puzzlestücke“ (von Kommandodroiden, über gewaltige, im Weltraum lebende Flugkreaturen und separatistische Superraumer, bis hin zu Klonsoldaten in Winterrüstung), die das phantastische Panoramabild der Galaxis weit weit entfernt noch etwas bunter machen.


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FILMZ 09 - Stell dir vor, es ist Krieg

Da haben die verschiedenen FILMZ-Sektionen, vermutlich ohne es zu wissen, großartig zusammengearbeiten, einander zugearbeitet.
Am Samstag lief zunächst in der Adorf-Rückblende Robert Siodmaks "Nachts, wenn der Teufel kam" von 1957 (1958 für den Auslandsoscar nominiert, verloren gegen Tatis "Mon Oncle"). Ein spannender Krimi aus den letzten Kriegsjahren, der zeigt, wie ein politisches Verbrechensregime mit kriminellen Verbrechen umgeht. Der Fall eines Massen-Serienkillers wird vertuscht, weil es politisch opportun scheint, der aufrechte Kommissar Kersten, der den Fall aufgeklärt hat, wird an die Front geschickt; Adorf spielt den Killer, einen Schwachsinnigen mit großer körperlicher Kraft, und das ist eine Glanzrolle, gleich am Anfang seiner Karriere.
Spannend, hochspannend verquickt Siodmak den Kriminalfall mit der Zeit, in der er spielt - wobei natürlich, wir sind in den 50ern, die Nazis die sind, die in SS und Gestapo schalten und walten, der normale Bürger auf der Straße hat sich innerlich längst abgewandt, wurschtelt sich durch: Wegducken ist angesagt, Was muss, das muss, kann man nichts machen, abwarten, bis der Krieg endlich aus ist. Klaro: da wird beschönigt, da wird die Verstrickung des Einzelnen verharmlost, ja: geleugnet. Aber das ist kein Fehler des Films, das ist ein Fehler der Zeit, aus der er stammt (ein Fehler, der bis heute in den Köpfen vieler noch drinsteckt, man denke an die Proteste gegen die Wehrmachtsausstellung oder an die Debatte um das Vertriebenenzentrum).
Das Muster "gute Deutsche, einem Tyrannen ausgeliefert" stört die Wirkung des politisches Krimis nicht, der sehr präsent ist, von Suspense bis Komik alles bietet - und der sehr authentische, sehr lebendige Sprache mitliefert.

Ohne Sprache, weil ein Stummfilm, ist Arnold Fancks Bergdrama "Die weiße Hölle vom Piz Palü" von 1929. Fancks Enkel war da, hat in den Film eingeführt, und seine Warnung, man dürfe den Film nicht mit heutigen Augen sehen, er sei halt damals mit damaligen Mitteln gedreht worden, hätte es gar nicht bedurft: Fanck und Co-Regisseur Georg Wilhelm Pabst haben einen sehr dynamischen Film geschaffen, ein Drama vor gewaltiger Naturkulisse, gedreht unter verschärften Bedinungen am Berg, doch nicht nur das bewirkt die Ummittelbarkeit, die Spannung, die sich auf den Zuschauer überträgt. Montage, Kamera, Darstellung, alles state of the art; nur Ernst Udet, der Fliegerkönig, ist etwas lächerlich, wenn er vor seinem Rettungsflug noch ein paar unvermeidliche Loopings fliegen muss.

Auf merkwürdige Weise bedingen sich der nächtliche Teufel und die weiße Hölle: Ersterer verhandelt die Kriegsjahre ca. 10 Jahre danach; letzterer bereitet den Krieg vor, ein Jahrzehnt im Voraus. Mut, Kameradschaft, Abenteuertum, Heldentum, Opferbereitschaft, die Bereitschaft, ja, die Sehnsucht, in den Tod zu gehen: all das steckt im Bergfilm ebenso drin wie im ganz realen Kriegseinsatz ab 39 - Philipp Stölzls "Nordwand" von 2008 behandelt unter anderem genau diese Korrespondenz zwischen Bergabenteuer und NS-Ideologie.

Nein: "Piz Palü" ist kein Nazi-Film; aber er behandelt die Werte, die vier Jahre später Staatsdoktrin wurden.
Und hier ist Urs S. vom FILMZ-Team zu rügen: er bewarb den Film in seiner Vorrede wie im Programmheft damit, dass in "Piz Palü" die "junge Leni Riefenstahl" zu sehen sei - und benutzt dabei den Namen Riefenstahl, der noch heute wegen ihrer faschistischen Propagandafilmen bekannt ist, um für den Bergfilm zu werben, blendet das Problematische von Ideologie, von Affinität zu Nazitum und Hitler, vollkommen aus, entkleidet den Namen Riefenstahl aller üblen Konnotationen, um noch ein paar mehr Leute für den Film zu interessieren - genausogut hätte er damit werben können, dass Udet mitspielt, der damals, im Weltkrieg 1, in derselben Fliegerstaffel wie, oha: Göring diente! Ist doch super: so viele bekannte Namen mit diesem Film verknüpft! Muss man sehen, so wie ihn mutmaßlich auch Hitler aufm Obersalzberg gesehen hat! Yeah!

Lustigerweise erwähnt Mr. S. NICHT, dass Q. Tarantino den "Piz Palü"-Film in seinem gloriosen "Inglourious Basterds" direkt zitiert. Der Urs hat's halt eher mit den WIRKLICH Großen der Geschichte, und ob man in 60 Jahren von Tarantino genauso sprechen wird wie von Hitler und Konsorten, das muss sich halt erst noch zeigen.

Harald Mühlbeyer

FILMZ 09: Pädophilen-Märchen DER PRINZ ?

Auch mal schnelles zu einem Kurzfilm, der vor WAS DU NICHT SIEHST präsentiert wurde: DER PRINZ von Petra Schröder schickt Paula Kallenberg und Jytte-Merle Böhrnsen als Kristin und Moni nach Rom, wo die lustigen Mädels einem älteren Herren (Hannes Hellmann) in die Arme laufen, der Adliger und schwul sein will, ihnen erst Zitronenkuchen und dann Alkohol verabreicht, sie zu Sexspielchen animiert – und während Moni im Bad kotzt, mal mit einer Frau schlafen will. Das tut er dann, ist nur mal kurz drin gewesen, gesteht Kristin dann bei der Heimfahrt im Zug. Betretenes Schweigen. „Er hat alle bekommen was er wollte, und wir nichts“, sagt die eine dann. Aber immerhin hatten sie Zitronenkuchen, so die andere.

Und das war’s dann. Alles wieder gut?

Petra Schröder, die leider selbst nicht in Mainz war, wollte DER PRINZ nicht unkommentiert lassen, weshalb der Moderator stellvertretend den Kurzfilm als Mahnung gegen Pädophilie auswies, genauer: zum Zwecke der Aufmerksamkeitsschärfung.

Hinterher, auch auf der Konstrastfilm-Party in fantastischer Location, der alten Sparkasse in der Kaiserstraße, gab es die eine oder andere Diskussion über DER PRINZ. Ob er gelungen sei, ob das so ginge.

Ohne Frage: DER PRINZ beschäftigt sich mit einem heiklen Thema und konzentriert sich auf einen noch heikleren Aspekt dabei. Keine direkte Vergewaltigung oder ein Missbrauch vermittels seelischen Drucks wird hier angeprangert, sondern das Ausnutzen, das – nun ja – „Verführen“ von – tja – „verboten“ jungen Mädchen. Auch das ist Missbrauch, auch das kann schädigen. Und das anfängliche Lachen blieb einem tatsächlich im Hals stecken, als es ernst wurde, davor schon: wenn man die perfiden Tricks und Kniffe in der Anwendung sieht. So gesehen KANN der Film schon wirken. Oder aber nur offene Türen einrennen – denn wie anders lässt sich das Lachen erklären, das einem da im Halse steckenbleibt, wenn nicht als hilfloses, sarkastisches, angesichts der Naivität und der Durchsichtigkeit des Spiels, das der Prinz treibt?

Denn zugleich balanciert DER PRINZ auf einem schmalen Grad zwischen Anprangern und Verharmlosen, und kippt letztlich meiner Meinung nach insgesamt zu sehr ins letztere. Vielleicht kann man es auch gar Recht machen, zwischen political correctness und mutigen Ambition und angesichts eines stets unterschiedlichen Publikums.

Um Blowjob und Andenken-Sperma auf dem Kissen, darum geht’s gleich zu Beginn zwischen den Mädchen. Zeigt ihre „Reife“ hier wie da, macht sie nicht zu weltfremden Engelchen und auch den Rest glaubwürdiger, die Neugier, das Mitspielen. Doch ebenso wie das achselzuckende Wegwitzeln zum Schluss und dem Nichts-Bekommen also einem „Leerausgehen“, bürdet der Film ihnen so gehörig Selbstbestimmung und letztlich eine gute psychische Kondition auf, die letztlich andeutet: Na, so schlimm war’s ja doch nicht. Oder noch weit zynischer gefragt: Ja, was ist den Schlimmes passiert?

Der Sex an sich selbst wird auch gänzlich ausgeklammert, und vielleicht ist DER PRINZ für seine Intention dann doch gefährlich harmlos und unerfreulich ungefähr: Ein bisschen direkter, klarer in seiner Negativtät, in den möglichen Folgen, überhaupt in irgendeiner Aussage hätte er sein müssen – was ja noch lange nicht bedeutet, dass er mit dem Holzhammer hätte kommen sollen. Einfach beim betretenen Schweigen aufhören, z.B.

Sicher, sicher: Gerade diese Ambivalenz kann man gerade gut finden, subtil, wagemutig, besonders wirkungsvoll, doch auf der anderen Seite hätte ein Pädophiler kaum ein Problem damit, sich mit DER PRINZ sein Gewissen zu beruhigen. Oder ein Mitwisser. Oder ein Opfer einen winzigen Grund mehr, zu schweigen. Vielleicht, vielleicht.

Bei aller wohlmeinenden Absicht: Letztendlich läuft es hier ein wenig zu sehr nach dem Grundgedanken ab, man könne Propaganda entlarven, indem man sie einfach nur wiederholt, im Vertrauen darauf, dass sie sich selbst bloßstellt. So gesehen macht es sich DER PRINZ mit seinem Thema doch ein wenig zu einfach.

Sind Sie anderer Ansicht oder möchten etwas dazu bemerken? Schreiben Sie uns an redaktion(at)screenshot-online.com.


Bernd Zywietz


ERGÄNZUNG VON HARALD MÜHLBEYER:

Da muss ich dem Kollegen Z. ein bisschen widersprechen. "Der Prinz" fand ich gerade deshalb gut, weil er uneindeutig bleibt. Ich mag es, wenn Filme ihre Moral, ihre Botschaft nicht plakativ vor sich hertragen, dem Zuschauer nicht (offen) vorschreiben, was er zu denken hat - was nicht bedeutet, dass diese Filme keine Haltung haben; sie benennen sie nur nicht deutlich. Der Zuschauer ist gefordert, mit- und weiterzudenken, muss sich ein eigenes Urteil, eine eigene Meinung bilden. (Das ist im Übrigen einer der großen Unterschiede zwischen, sagen wir, Steven Spielberg und Terry Gilliam, aber das nur nebenbei).
Und genau deshalb, weil der Film zwar eine klare Haltung erkennen lässt, diese aber nicht benennt, nicht herausstellt, hat die an die Vorführung anschließende Erklärung der Regisseurin, vom Moderator verlesen, dem Film geschadet. Weil hier in quasi vorauseilendem Beschwichtigen erklärt wird, wie der Film für das Thema sensibilisieren will, wie schlecht doch sexueller Missbrauch sei etc. Eine Erklärung, die der Film nicht braucht! Die er nicht verlangt! Die dem Zuschauer sein Denken und Fühlen vorschreiben möchte, und die verhindert, dass sich der Zuschauer fragt, wie der Film denn zu verstehen sei, wie er den Film denn verstehen möchte.


Anmerkung zur Ergänzung

Zur Verdeutlichung: Kollege Mühlbeyer hat vollkommen Recht, insofern ein Film generell nicht nach der Vorführung einer Erklärung bedürfen sollte. Ansonsten bleibe ich dabei, dass der Film eben Haltung beziehen mag (wobei ich gerade die Unterscheidung zwischen "der Film hat eine Haltung" und "der Film stellt seine Haltung heraus" oder aber "benennt sie nicht deutlich" gerade problematisch finde - gerade um die Verwischung geht es). Jedoch trotz oder gerade in dieser Haltung für mein Empfinden verharmlost. Nicht, weil er nicht dem Zuschauer vorschreibt, wie er zu denken oder zu fühlen hat, sondern weil er es einem zu leicht macht, das - ja, das klingt unpopulär - "Falsche" zu fühlen und für sich herauszupicken: Dass Missbrauch eben doch ein - pardon! - "Kinderspiel" sein kann. "Der Prinz" schreibt nichts vor, richtig, aber er konfrontiert auch m.E. nicht genug mit dem Phänomen, dass er zum Gegenstand hat und mit Aspekten, die es eben zu Recht zu einer kriminellen Handlung macht (wie den seelischen Folgen, über die etwas zu lapidar hinweggegangen wird).

Generell: Dass der Film "spannend" ist, und dass es schön und dankenswert ist, Denk- und Lesart nicht vorgeschrieben zu bekommen, soll auch nicht in Frage gestellt werden (der Verweis auf den "Holzhammer") und steht auch nicht im Widerspruch zu den oben geäußerten Vorbehalten.

B.Z.

FILMZ 09 - Überrascht?

*** Obacht! Leichte Spoiler zu 1000 OZEANE und WAS DU NICHT SIEHST!! (Wobei es gerade um die Frage der Schwere im Folgenden geht!..

Manchmal ist es eine Krux, wenn man so viele, so viele Filme gesehen hat in seinem Leben und deshalb neue Filme schon durchschaut, bevor es etwas zu durchschauen gibt.
Gut ist es, wenn der Regisseur dieses Durchschauen seiner Doppelstruktur voraussieht und in seine Inszenierung hineinarbeitet, oder wenn er es zumindest in Kauf nimmt.



Man kann den Regisseuren Luki Frieden von "Tausend Ozeane" und Wolfgang Fischer von "Was du nicht siehst" auch nicht vorwerfen, dass sie ihre Zuschauer für dumm halten; die Plottwists, die sie in ihren Filmen aufbauen, sind nicht wirklich als Überraschung angelegt, es geht nicht um ein shyamalaneskes Schock-Staunen, sondern um die Parallelsetzung von Innen- und Außenwelt, die halt am besten durch Manifestationen dieser Doppelung in die (scheinbare) Realität sich filmisch verwirklichen lässt. Dennoch kommt man den Filmen zu leicht auf die Schliche - bei "Tausend Ozeane" ist halt recht schnell klar, dass Meikel nicht mit seinem Kumpel Björn auf den Malediven war, sondern dass da der Tod mit im Spiel ist. Immer wieder mischt er Irreales ein: das seltsame Verhalten von allen nach Meikels Rückkehr, auf das sich der keinen Reim machen kann, zum Beispiel. Oder, zu subtil: wie ihm auf dem Rückflug eine Ärztin eine Wasserflasche reicht, eineinhalb Liter Vittel in einem Flugzeug (!), was halt zu dem Zeitpunkt doch eher nach Filmfehler aussieht als nach gewollter Irritiation.

Die Überraschung ist denn auch nicht der plötzliche Umschwung der Perspektive von Meikels subjektivem Blick auf eine objektive Wirklichkeit, dann eher schon, wie's weitergeht: dass er nämlich im Wachkoma liegt und seine Fantasiewelt aus diesem Dämmerzustand des Gehirns zwischen Leben und Tod kommt. Das ist nun wirklich neu - reicht aber nicht aus, um die restliche dreiviertel Stunde Film mit - wenn ich so sagen darf - Leben zu füllen.
Wahrscheinlich wäre der Film eben doch eher gelungen, wenn man tatsächlich vom Filmverlauf überrascht worden wäre.

Ähnlich auch "Was du nicht siehst". Hier reist der junge Anton mit seiner Mutter und deren Liebhaber in die Bretagne, und das muss man schon sagen: die Landschaft hat der Film wunderbar eingefangen, fast schon als Tourismuswerbung; wobei es dann halt doch ein bisschen überzogen ist, wenn Anton im Wald geradewegs auf einen Hinkelstein zuläuft. Da ist er mit David und Katja zusammen, die sind mysteriös und auch ziemlich anarchisch und machen, was sie wollen, und dabei geht es immer wieder um das dunkle Geheimnis, das jeder Mensch in sich trägt; und nun ja: weiß jemand unter den Lesern noch nicht, was los ist?



Jedenfalls ist schon, als der Familienhund aus dem Ferienhaus zum ersten Mal rausdarf, dass der später mal tot sein wird. Allerdings wird dieser Hundetod tatsächlich als eine Art Höhepunkt des Films eingesetzt - der eben darum nicht so richtig überragend ist -, und davor gab es eben zuviel Leerlauf: Anton, David und Katja in der Landschaft oder Anton, Mama und Stiefvater in spe in der Landschaft... Wobei, zugegeben: alles wunderbar eingefangen von einer hervorragenden Kamera (Martin Gschlacht).
Am Ende, nach den Längen, wird der Film wirklich gut, ohne dass es ausgesprochen würde kommt da der gute alte Ödipus zu seinem Recht, und das wirklich tiefe dunkle Geheimnis von Anton wird auch nur angedeutet.

Und wie war das denn - vielleicht können hier auch die anderen Screenshot-Blog-Autoren helfen: hat David, als er sich Anton vorstellt, seinen Namen nicht eher wie Harvey ausgesprochen, wie Jimmy Stewards unsichtbarer Hasenfreund?

Harald Mühlbeyer


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Ergänzungen:

Ja, Screenshot lebt und atmet, ist dynamisch wie das FILMZ, und dementsprechend werden auch unsere Blog-Einträge z.B. ergänzt, damit Sie möglichst allen Senf bekommen.

Unser Herr Mühlbeyer hat schon Recht mit seiner Kritik zu WAS DU NICHT SIEHST. Und gerade was der schwebende Plottwist betrifft, so ist der in letzter Konsequenz nur eine Pointe, die leider so und ähnlich schon viel zu oft durch die Film- und Fernsehwelt gegeistert ist. Dass man dann dieses unzuverlässige Erzählen unzuverlässig erzählt, macht es auch nicht besser.

Sicher, die Hinweise sind elegant gestreut und geboten, auch zur fast verweigerten Auflösung hin (aber natürlich immer noch deutlich genug, dass sie jeder mitbekommen dürfte). Nur: Ahnt man die wahre Geschichte in WAS DU NICHT SIEHST, bleibt kaum mehr als das "selbstzweckhafte" Kodieren der dunklen Parallelstory für sich. Anders als z.B. bei Shyamalans THE SIXTH SENSE, der über den Plottwist nur das Thema, um das der Film sonst noch dreht, verdeutlicht. Anders gesagt: WAS DU NICHT SIEHST würde ohne seine Auflösung, so hübsch diese auch dargeboten wird, nicht recht funktionieren – oder aber sogar viel besser, auf eine Weise wie Dominik Molls LEMMING.

Dass WAS DU NICHT SIEHST, mit Ludwig Trepte, Alice Dwyer, Bibiane Beglau und Andreas Patton hochwertig besetzt, bei der Vorführung von Moderation und – über diese – von den Machern als weil ein „Genrefilm“ verkauft wurde, als gäbe es ansonsten keine z.B. Komödien geben und als wäre dieser Film ein harter Thriller oder, das war schon ein bisschen albern.

Bernd Zywietz

FILMZ 09: KEINE ANGST mit einnehmenden Jungschauspielerinnen

Während Mario Adorf im Cinestar 7 anlässlich „seiner“ Rückblende Gast von AM TAG ALS DER REGEN KAM war, gab es den ganz jungen Nachwuchs gleich nebenan. KEINE ANGST war da zu sehen, ein Sozialdrama nicht aus, sondern über die – gesellschaftlich – unterste Schublade. Michelle Barthel spielt mit großen Augen und sympathischer Nuschelstimme die 14-jährige Becky, die für ihre drei kleinen Geschwister die Mama geben muss, weil die echt Mutter (Dagmar Leesch) dank Alkohol und Haltlosigkeit das nicht mehr auf die Reihe bekommt. Beckys beste Freundin Melanie (Carolyn Genzkow) wohnt im selben Kölner Sozialfallhochhaus, ist blond, dünn, trägt auffallende Klamotten und zu viel Lidschatten, weiß auch besser über Jungs und so Bescheid. Melanie ist die Wilde, Becky die Brave, mit Verantwortung, die den netten Bürgersohn Bente (Max Hegewald) kennenlernt und sich verliebt. Derweil Melanie, en passant und ganz natürlich, über ihre Freunde den vorgezeichnete Weg geht.

Ansonsten bietet KEINE ANGST das volle Programm zwischen verkommenen Jungs, die Bente abziehen und verhauen, dem Sozialamt, das die Familie auseinander zu reißen droht, Lehrer, die sich nicht durchsetzen können, nichtexistenten Zukunftschancen, ein bißl Gangbang und überhaupt sexuelle (Selbst-) Ausbeutung bis hin zur Schändung durch Mamas neuen Freund Thomas (mal wieder und gerade schmierig groß: Frank Giering). Das kommt jedoch in KEINE ANGST erstaunlich unbemüht und mit vielen treffsicheren Momenten daher, besonders, wenn es um das schwache Selbstwertgefühl der Frauen geht, ihre Großspurigkeit und der unstete Blick.

Man dürfe auch lachen, erlaubte Michelle Barthel, die mit Carolyn Genzkow allein und unheimlich einnehmend KEINE ANGST ohne ihre in Kindertragik erfahrene Regisseurin Aelrun Goette (DIE KINDER SIND TOT, UNTER DEM EIS) vertraten. Und tatsächlich hatte der Verfasser dieser Zeilen das eine oder andere Mal die Befürchtung, gleich gerügt zu werden, als er mutterseelenallein im Kino lachte, an ganz unpassenden Stellen, weil KEINE ANGST bei und gerade in aller sozialen Härte Augenblicke des trockenen bis finsteren Humors bot – oder besser: anbot. Die besten davon sind jene im Film, die einfach da sind, in den vielschichtigen Figuren angelegt sind, in ihrer Alltagsschnodderigkeit oder den Momenten des Lebens, sogar in den desolaten: jene, in denen KEINE ANGST es dem Zuschauer überlässt, wie er sich zu dem Geschehen auf der Leinwand positionieren mag. Entsprechend verkauft Goette keine ihrer Figuren, sogar Thomas ist einfach da, eine Facette der Tristesse, wenn auch für einen geringen Preis der Distanz. Doch natürlich ist da die junge Liebesgeschichte, eine dankbare und dankenswerte, die ganz einfach und klein ein wenig Magie, Poesie, Hoffnung und Wärme bringt.

Die beiden jungen lebendigen Schauspielerinnen nahmen nach der Vorführung für sich und den Film ein. Barthel, beim Dreh 15, jetzt ein Jahr älter, und die 17-jährige Genzkow wären dabei immer noch als 14-Jährige durchgegangen. Sie berichteten über Goettes Einfühlungsvermögen und Führungskompetenz angesichts die Rollen, die an die Grenzen gehen lassen (und dabei nie ausgeschlachtet werden), sprachen frei über die Zukunftspläne, für den Fall, dass es nicht bei der Schauspielerei bleiben solle: Journalismus studieren, im Kulturbereich arbeiten. Es sei ihnen aus Eigen- und Mit-Erfahrung geraten: Tut es nicht!

Ihre Pläne, eine eigene Partei („Die Glücklichen“) zu gründen und nach dem Überleben diverser Ehemänner gemeinsam in ein Strandhaus zu ziehen, klangen da viel vernünftiger und zukunftssicherer.


PS: Wer den Fernsehfilm KEINE ANGST nicht im Kino zu sehen bekommt (morgen läuft er nochmal), kann ihn am 10.03.2010 um 20.15 Uhr in der ARD sehen.

Bernd Zywietz

FILMZ 09 - Planlos in der Wüste

Etwa dreiviertelvoll war das Kino am Mittwoch, als KRONOS gezeigt wurde. KRONOS ist Olav F. Wehlings Diplomfilm von der Filmakademie Baden-Württemberg, laut Etikett eine Reflektion über den griechischen Mythos des Titanen Kronos, der seine Schwester heiratete, seinen Vater kastrierte und seine Kinder fraß, in Wirklichkeit aber ein Film über Menschen, die durch die Wüste gehen und versuchen, dabei möglichst wenig zu reden und möglichst wirr zu handeln.

KRONOS ist europäisch-prätentiöser Kunstblödsinn in Reinform. Das an sich ist noch kein wertendes Urteil, denn es gibt jede Menge ziemlich guten prätentiösen Kunstblödsinn aus Europa – l’Art pour l’Art ist durchaus ein erlaubtes Kriterium auch für Filmemacher. Bei KRONOS sind dabei aber gerade noch Armin Franzens gut geschossenen Bilder der marokkanischen Wüste positiv erwähnenswert, leider erscheint aber der Rest des Films genauso flach wie die unwirklichen Hintergründe. Ein bisschen so, als hätte Lars von Trier sich eine Überdosis Pasolini gespritzt und wäre als Zombie wieder dem Grab entstiegen.

Um tiefgründig wirken zu wollen reicht es einfach nicht, Dialoge in Wackelkamera-Closeups mit einem „Was ist?“ beginnen zu lassen und darauf zehn Minuten Schweigen folgen zu lassen, und eine gutaussehende dunkelhaarige Hauptdarstellerin zu casten. Mit KRONOS lässt sich vielmehr Kunstblödsinn-Bullshit-Bingo spielen: Tötungsszene mit Industrial-Soundtrack, check. Unangenehme Vergewaltigung, check. Bedeutungsschwangeres Cello-Solostück, check. Ein metaphorisch-verheißungsvoll gegrabener Brunnen wird zum Grab, check. KRONOS fehlt die ansprechende Reflektionsebene, er stellt nur dar und so läuft alles irgendwie ins Leere und es bleibt am Ende nur Langeweile und ein arg verhaltener Pflichtapplaus des Publikums übrig. Dass der Film eine Koproduktion mit dem ZDF Theaterkanal und also entsprechend theatralisch ist, ist leider auch nur eine mangelhafte Erklärung dafür, dass die Figuren losgelöst von ihrem mythologischen Kontext seltsam motivations- und aussagelos bleiben.

Alexander Pohls Vorfilm TRICKSTER, in dem ein Clown versucht, seinem kulturindustriellen Gefängnis zu entfliehen, war insofern vom FILMZ-Team gut programmiert: Der Film bietet schöne, eindrucksvolle, unheimliche Bilder, ist aber in seinen drei Permutationen doch irgendwie planlos. Das gab der sympathische Regisseur im Nachfilm-Gespräch mit den typischen Ausführungen eines Animationsstudenten eigentlich auch offen zu, als er von seinen vagen Inspirationen zwischen Beckett und der tragischen Figur des Clowns berichtete. TRICKSTER lässt immerhin eine der Prätention des Films durchaus gerecht werdende „Cinema will eat itself“-Interpretation zu: Wenn ambitionierte Schauspieler für das gaffende Publikum zunehmend in kargen Motion-Capture und Green Screen Bühnen ins Leere agieren müssen und hinterher von der Traumfabrik zur Unkenntlichkeit aufgehübscht werden, bleibt ihnen wohl nichts anderes übrig, als zum Gegenangriff überzugehen.

Alexander Gajic

Nachtrag exground 09: DIE ANWÄLTE

Wer sich nicht verändert...


DIE ANWÄLTE – EINE DEUTSCHE GESCHICHTE
B + R: Birgit Schulz; Dramaturgische Beratung: Heiner Stadler; P: Jörg Kobel; K: Isabelle Casez, Axel Schneppat; Ton: Pascal Capitolin, Jens Krähnke; Schnitt: Katharina Schmidt; Musik: Pluramon
Filmverleih: Realfiction
Kinostart: 19.11.2009

erschienen auf: Terrorismus & Film

Drei Anwälte, deren Lebenswege und Weltvorstellungen sich von einem Punkt aus in gänzlich andere Richtungen entwickelt haben – oder nicht. Darum geht es in Birgit Schulz' Dokumentarfilm DIE ANWÄLTE. Und diese drei sind nicht irgendwer: das „Gewissen der Grünen“-MdB Hans-Christian Ströbele, Ex-Innenminister Otto Schily und zum rechten, verurteilten Holocaust-Leugner mutierten Horst Mahler stehen im Mittelpunkt, und ein Foto von Anfang der 1970er zeigen sie gemeinsam im Gerichtssaal: Mahler, damals noch linksgerichtet, auf der Anklagebank, Ströbele und Schily als seine Anwälte.

Der Film schlägt den Bogen von ihrer (gemeinsamen) Zeit als Justitiare der „Außerparlamentarischen Opposition“ über Engagement für die RAF-Angeklagten, bzw. in Mahlers Fall „Mitarbeit“ im Untergrund bis in die Gegenwart.



Alle drei hat Schulz in einem Gerichtsaal vor die Kamera holen können (was besonders bei Schily nicht einfach war) und dort Auskunft geben lassen, jeden einzeln – Ströbele und Schily weigerten sich strickt, sich mit ihrem ehemaligen Mandanten Mahler (Schily: „Horst ist eine Tragödie“) in einem Raum aufzuhalten.

Allerdings sind die aktuellen Aussagen der drei nur punktuell erhellend; gar nicht mal weil sie als Selbstdarsteller agieren, sondern – was etwas anderes ist – Schauspieler in eigener Sache sind, die ihren Selbstbild-Part zu sehr verinnerlicht haben, um aus der Rolle zu fallen und mehr zu liefern, als man auch sonst von ihnen bekommt. Gerade für die bewegte gemeinsame Zeit.



Da kommentiert Schily das Vorgehen des Staates in den 70ern, doch ein Umschnitt zeigt, dass es nicht der Schily der Gegenwart ist, sondern der von einst, jünger, aus dem Archiv. Generell ist der Film vordergründig wenig ergiebig, wenn es um die Zeit der Studentenproteste oder der RAF geht. Vielleicht auch, weil man zu gerne mehr den damaligen Argumentationen der streitbaren Juristen zuhören würde, in den vorzüglich ausgewählten und fein montierten Erinnerungsdokumenten schwelgen.

Doch zum Auftakt bietet der Film einen erklärenden Off-Text (ansonsten wird nichts mehr kommentiert), einen schönen Kranschwenk, ansonsten die üblichen Erzählungen von brutaler Polizei und Springer-Protest, Erinnerungen an den Tod Benno Ohnesorgs - eigentlich müssten die drei Ex-Anwälte nur noch vor schwarzem Hintergrund sitzen, schon hätte man eine der viel gescholtenen ZDF-Dokuproduktionen. Natürlich: Welche Rolle Mahler in jener Zeit spielte, wie Ströbele und später Schily mit ihm zusammenfanden, ist interessant, bietet aber – zunächst - nur einen weiteren Facettenblick auf eine 1970er-Narrative ohne sie herauszufordern. Selbst die Musik von Pluramon verbindet hier stilistisch Gestern und Heute, wirkt aber recht dramatisch, wie eine fast reißerische Bedeutungszuschreibung, die etwas Fiktionalisierendes hat (dies ändert sich während des Films).

Der wahre Wert von DIE ANWÄLTE, das, was aus aus „ihnen“ wirklich „eine deutsche Geschichte“ und mehr macht, liefert letztlich der Bogen, der geschlagen wird. Auch und gerade, wenn es um Terrorismus geht. Die Übermacht und Aufrüstung des Staates gegen die linksextremistische Bedrohung wird in Szene gesetzt, von den Ausschnitten, von den Protagonisten im Rückblick. Stammheim, so Ströbele: Eine in Beton gegossene Vorverurteilung. Dass sie, sein Mandant (darunter Andreas Baader) und er abgehört würden, tat er zunächst als Paranoia ab. Nicht lange danach musste der Strafverteidiger, der noch vor dem Prozess ausgeschlossen und später verurteilt wurde, erfahren, dass „der Staat“ tatsächlich Mikrofone installiert hatte.

Auch Schily wird per Tondokument als streithafter Jurist in einer Auseinandersetzung mit den Stammheimprozessvorsitzenden präsentiert. Der „RAF-Anwalt“ - eigentlich zu dumm, um es zu kommentieren. Schily heute: Es waren Mandanten. Er war nicht Syndikus der RAF. Und jemand, der einen Mörder vertritt, sei schließlich auch kein „Mörder-Anwalt“.

Doch die Zeit und der Film schreitet weiter: Mahler liest im Knast Hegel (Schily hat ihm die Gesamtausgabe besorgt), wendet sich – in den Widersprüchen liegt die Wahrheit – dem Rechtsradikalismus zu. Einen Bruch sieht er darin nicht, eher ein Gleiten. Er könnte auch sagen: Eine bizarre „Folgerichtigkeit“.

Umwelt- und Friedensbewegung bringen mehr Leute auf die Straße als die 68er und die Grünen ins Parlament. Ströbele wechselt von der SPD zu den Grünen (was der Film nicht erwähnt), Schily später von den Grünen zur SPD. Ströbele protestiert – auch gegen die Verfahrensregeln des Bundestages - gegen den Einsatz in Kosovo; Schily übernimmt das Innenministerium. Und verteidigt in einer hochemotionalen Rede, bei der auf die Nazi-Opfer seiner Familie und den Schwiegervater, einem jüdischen Partisanen zu sprechen kommt, eben dieses militärische Engagement. Das ergibt eine Szene, die die Begrenztheit der Interview-Situation von DIE ANWÄLTE mit den medial gepanzerten Protagonisten besonders vor Augen führt.



Dann kommt der 11. September. Schily, der sich selbst mit Polizeihelm und erhobenem Schlagstock ablichten lässt, gibt den Hardliner. Der Schutz der Bürger hat Priorität vor der Überwachungsfreiheit. Passt das zusammen, mit dem linken Anwalt von damals? Der Film und sein Material präsentiert den Widerspruch, ohne dabei aufdringlich zu sein. Schily beruft sich auf Grundsätzlichkeit, das Durchsetzen des bestehenden Rechts, damals in den 70ern. Doch der zweite Teil seiner Argumentation verliert sich im Allgemeineren, einer Ethik, dem Schutz des Lebens. Überhaupt gilt ihm freilich: „Wer sich nicht verändert, ist ein Idiot.“

DIE ANWÄLTE ist dahingehend vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint, denn tatsächlich hat der Terrorismus der RAF mit dem heutigen von al-Qaeda und Co. wenig gemein, und Schilys Verändern ist dazu eine Analogie: Das Verteidigen und die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit ist etwas fundamental anderes, als die Formung, die Ausgestaltung und Bewertung von Rechtsgrundsätzen, auch und gerade bei der Terrorgesetzgebung. Schulz entlarvt mit ihrem Film über die biographische Ebene die Widersprüche der politischen, gesellschaftlichen und historischen Sicht als scheinbar oder zumindest konstruiert – über Etikettierungen, die sinnlos werden, weil sich das, was sie bezeichnen, wandelt. So wenig wie der linke Terrorismus des Innen (der einer Selbstversicherung und sozialen Standortbestimmung folgte) kaum durch einen transnationalen Terrorismus von „Außen“ argumentativ ersetzt werden kann, ist Schily nicht kein Idiot, sondern als Innenminister eben schlicht keine Anwalt mehr.

Der Film entlässt einen dahingehend mit einer wohltuenden Unbefriedigtheit: Wer der drei hat denn nun „Recht“? Sicher nicht der Verblender / Verblendete Mahler, aber Ströbele vielleicht? Nur weil dieser sich „treu“ geblieben ist, als ein Wert an sich? Keinem der drei – das macht der Film klar – mangelt es an Überzeugung, damals wie heute. Das ist das Dilemma, das Dilemma einer menschlichen, (eigen-) ideologischen und geschichtlichen Entwicklung.

Vielleicht sind die drei Anwälte nur wieder dort angekommen, wo sie aufgebrochen sind, noch vor dem vereinheitlichenden Moment, der Politisierung Ende der 1960er. Schily, der Dirigent werden wollte, im Elternhaus mit der natürlichen Autorität seines Direktoren-Vaters. Ströbele in seiner Jugend, wo beim Munitionsammeln ein Freund den Tod fand. Und Mahler?



Der Vorteil eines Filmfestivals: DIE ANWÄLTE lief am 16. November auf dem exground Filmfestival in Wiesbaden. Birgit Schulz konnte nach der Vorführung Fragen beantworten, ihren Film ergänzen, Informationen nachreichen. So z.B. dass Mahlers Vater, ein überzeugter Nazi, Selbstmord beging weil das „Dritte Reich“ untergegangen war. Dass Mahler, was im Film zu kurz kommt, mit seinem Rechtsschwenk vielleicht im Alter (und weltsichtigen Unbehaustheit) die Familienideale nachlebt und damit verteidigt. Dass er stets schon ein überaus richtungswechselndes Leben geführt hat, als Mitglied der SPD, der SED, als Marxist, jetzt als Rechter – immer in denkbarer Gegenposition zum politischen System.

Das mag billiger Biographismus sein, doch es erklärt genausoviel oder -wenig wie alles andere das Auseinanderdriften der drei politischen Lebensläufe, die für sich genommen auch nichts aussagen, insofern Lebensläufe aus dem Kopf herausführen mögen, seltenst aber hinein.

DIE ANWÄLTE präsentiert allerdings ein zweites überaus spannendes Thema: das der Juristerei selbst. Vielleicht, so Schulz, sei Mahler der ideologische Wechsel so leicht gefallen, weil er auf einem sehr hohen abstrakten Grad denke. Tatsächlich ist der Film über sein Protagonisten das Ausschnittsporträt eines eigenen, kommunikativen Systems und dessen Wahrnehmungsebene. Die Zeit der RAF als Rechtsgeschichte – da schimmert etwas durch, das Ulrich Kriest als die kommunikativen Verhältnisse bezeichnet hat, die zur Gründung zur RAF geführt haben und die filmisch nicht oder nur sehr schwer zu handhaben sind. Auch die Post-9/11-Welt ist aus und in der eigenen von Gesetzen, Recht und Gerechtigkeit strukturierten Wirklichkeit (heraus) eine andere als die der Kultur, der Medien mit ihren (Bild-) Erzählungen, der der geschichtlichen und sozialen Verläufe oder der politischen Zwangsläufigkeiten.

Das Recht ist dementsprechend nicht nur eine Waffe bzw. ein Instrument der wie auch immer gearteten Verteidigung. Es ist auch ein epistomologisches, ein distanzierendes Mittel in Zeiten der Undurchsichtigkeit und Vermischung.

Als Anwalt, so argumentierte Mahler einst, müsse man zur Verteidigung der Mandanten auch das Recht haben, deren Motive und Überzeugungen anzuführen. Ihre Ideale zu teilen, sei geboten. Das heiße aber nicht, auch die dafür aufgebrachten und eingesetzten Mittel gutzuheißen. Ein kleiner, ein feiner, vor allem aber klarer Unterschied.

Dass sich Ströbele und Schily, aber auch der rückwärtsgewandte Mahler, einander nicht mehr „verstehen“, liegt nicht zuletzt daran, dass sie keine „Anwälte“ sind, d.h.: dass sie die gemeinsame Verständigungsgrundlage aufgegeben haben.


Bernd Zywietz

FILMZ 09 - Billiger Klunker

Selbst wenn man dem FILMZ-Festival wohlgesonnen ist, kann es nur zwei Entschuldigungen dafür geben, einen Schmarrn wie "Diamentenhochzeit" ins Programm zu nehmen.

Wobei Entschuldigung Nummero Eins nicht gelten kann: dass der Film nämlich, wie im Programmheft beworben, beim Filmfest München für den "Förderpreis Deutscher Film" nominiert war. Denn, haha, wir alle wissen: In München hat die Jury um Caroline Link die Förderpreise überhaupt nicht vergeben, mangels geeigneter Kandidaten!
Einer dieser Pappenheimer war eben: "Diamantenhochzeit". Ein schludriger, schlecht gespielter, schlecht getimter, schlecht inszenierter Slapstick-Versuch, der gründlichst danebengeht. Ohne Witz, ohne den Versuch, seine Figuren irgendwie ernstzunehmen - und gerade eine Komödie muss das tun! -, ohne Gespür für Gags, Esprit oder innere Logik - auch die ist essentiell im komischen Fach - hangelt sich der Film von Michael Kupczyk von unlustiger Szene zum nächsten Scherzversuch, immer entlang der Storyline der eineinhalb, zwei Stunden vor einer Hochzeitsfeier, in denen alles schiefgeht.

Die zweite Entschuldigung, die man sich vorstellen könnte, kann zwar auch nicht mit diesem Programm-Fauxpas versöhnen; aber wir wollen mal annehmen, dass es so gelaufen ist, aus Wohlwollen für FILMZ und seine Macher: Da wollte man halt - vielleicht - eine der beiden dezidierten deutschen Komödien nehmen, die in München liefen; und für "Unter Strom" von Zoltan Paul war damals noch der Oktober als Starttermin festgelegt... Weshalb dieser Film für FILMZ ausfiel. Nun startet "Unter Strom" zwar tatsächlich im Dezember; doch das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, die Wahl fiel auf "Diamantenhochzeit", und tatsächlich ist das einzig Interessante an Kupczyks Film sein Scheitern im Vergleich zu Pauls Komödie: Wo der alles richtig macht, macht der andere alles falsch, man müsste da mal Punkt für Punkt den einen in Kontrast zum anderen setzen.
Aber dafür müsste man "Diamantenhochzeit" nochmal sehen, und wer könnte sowas schon wollen.

Harald Mühlbeyer

FILMZ 09: 13 SEMESTER als gelungener Auftakt


Ja, so ist Screenshot zu seinen Lesern: Nachts um drei nach Haus kommen und noch brandaktuell etwas zu Mainz‘ wichtigstem Kulturevent verfassen, dem FILMZ Festival des deutschen Films 2009. Das Fest eröffnete Frieder Wittichs 13 SEMESTESTER, den unser Redakteur Harald Mühlbeyer bereits HIER besprochen hat. Und seinem Lob ist auch kaum etwas hinzuzufügen. Trotzdem:

Flott und mit den nötigen Ecken und Kanten handelt der Film von „Momo“ / Moritz (Max Riemelt), der aus der Kleinstadt in das wilde Studentenleben der – haha – Metropole Darmstadt zieht, um dort als Student das Leben kennenzulernen. Der Film ist witzig, unheimlich temporeich, aber keine Klamotte. Tatsächlich wird in 13. Semestern = Kapiteln die Coming-of-Age-Geschichte Momos erzählt, die gerade in ihrem großen Zeitbogen viel Weisheit enthält. 

Anfänglich beste Freunde gehen einem verloren, die große Liebe wird gefunden und schließlich der eigene Lebensweg in Frage gestellt. 13 SEMESTER bietet Standardfiguren, füllt sie aber liebevoll mit soviel eigenständigem Leben (auch über die wohl gewählten Darsteller), dass man hier erkennt, wie sie erst zu eben jenen Standardfiguren werden (können). 

Momos Liebesgeschichte ist nicht alles beherrschend, das Partyfeiern nur ein Teil des Studentenlebens: Wittich und seine Crew bescheren dem Film, der trotz bekannter Situationen vielleicht zum allerersten Mal mit leichter Hand und bisweilen surreal anmutendem Humor (der Mönch!) die Vielfalt des Studentenlebens miterleben lässt, ohne sich auf einen Aspekt zu versteifen und dafür in seltener Breite alles mit allem zu verknüpfen und aneinander zu relativieren. 13 SEMESTER präsentiert diesen Flow zwischen Jugend und Erwachsensein, dem Weg des Sich-Selbstfindens, in dem jeder Moment und jedes Problem in seiner Zeit das Wichtigste ist, zugleich aber – eben über den breiten Zeitrahmen – seine wahr Bedeutung für das gesamte Leben gemessen wird. 13 SEMESTER ist bei allem Schwung und verblüffend kurzgehaltenen Gags, die nie selbstzweckhaft ausgestellt werden, ein großartiges Porträt eines bestimmten Lebensabschnittes. Einem der durchaus schwerelosen Bittersüße, der junge Menschen prägt und später als Referenzpunkt für gesamte Leben herhalten kann und vielfach muss. 


Dass und wie sich der Film auf diese Weise selbst verortet, zeigt der sympathische (Kurz-vor-) Schluss. Die Liebesbeziehung bleibt nach Höhen und vor allen Tiefen ungeklärt und damit über die Studienzeit erhalten, Freunde und Bekannte, die man aus den Augen verloren haben, erscheinen einfach so wieder, und letztlich liegt es doch an einem selbst, was man aus alldem macht. 13 SEMESTER verschränkt auf geradezu weise, wirklichkeitsgetreue und vor allem vielfältige Art die Lebensphasen, denn sowenig wie man mit dem Studium (oder sonst einem Lebenswegabschnitt) das alte Ich hinter sich lässt, ist man mit dessen Ende ein gänzlich neuer Mensch.  


Besonderen Reiz hat 13 SEMESTER natürlich auch dadurch, dass er in der Screenshot Region gedreht wurde! Darmstadt als Kulisse ist ein echter Glücksgriff für Momo und seine Wirtschaftsmathematikerfreunde. Lokalpatriotismus ist dabei vielleicht mit im Spiel, aber in Berlin oder München hätte der Film weit weniger funktioniert, einfach, weil Darmstadt als kleine Großstadt den Rahmen ungewohnt bodenständig hält und sich die Stadt (oder allgemeiner: Die Stadt) als Akteur nicht selbst in den Vordergrund drängt und doch eigenen Charme entfaltet. Alle Figuren bleiben so zwischen Hochzeitsturm, Großem Woog und Schloss, Wohnheim, Vorstadt-WG-Häuschen, neuem „karo 5“ und Herrngarten ganz bei sich.  

***

Mit diesem Film ist dem FILM ein großer Auftakt für die kommenden 6 Tage gelungen. Auch von der Organisation her schien die Premiere besser zu klappen: keine halbe Stunde musste im Treppenhaus des Residenz Kinos gewartete werden; auch der Vorfilm, EDGAR von Fabian Busch, war von besondere Qualität. Dass die anschließende Feier im Lomo fünf Gehminuten weiter nicht ganz so zündend war wie letztes Jahr – was soll’s; vielleicht lag’s am Spaß des Auftaktfilms, der antiproportional zur Feierlaune danach stehen mag. Eine empirische Untersuchung dahingehend wäre spannend. 

Voll war es – am Anfang zumindest – trotzdem. Dass freilich Claudia Eisner, die in 13 SEMESTER Momos große, bestechende Liebe mit Hang zur quirligen Lebendigkeit gab, angesichts der Partykellergefülltheit gleich das Weite suchte und „Momo“ Max Riemelt sich ab und zu kurz die Ehre gab, gibt Abzüge in der B-Note von 13 SEMESTER. 

Was nichts gegen das voll erwachsene FILMZ Festival aussagt – und eigentlich nur beweist, dass Screenshot im Zweifelsfall doch alles sieht.


Bernd Zywietz


exground 09 - 10 Kurze für den Kurzfilmpreis

Am Sonntag Abend ist die Entscheidung des Publikums gefallen, welche drei Kurzfilme als Sieger aus dem diesjährigen Wettbewerb hervorgehen werden. Im Rennen waren insgesamt zehn Filme, deren Auswahl zwar abwechslungsreich, qualitativ aber sehr durchwachsen war. Nachdem eine Dame hinter mir nach dem Ende der Vorstellung den zweiminütigen Animationsfilm "Der Lauf der Dinge" bereits mit dem Kommentar "Der hatte doch nur einen Gag" verdammt hat, war für mich der Ausgang der Preisvergabe nicht mehr überraschend. Tatsächlich gewannen dann auch drei durchschnittliche Filme mit hohem "Gag"-Potenzial. Auf dem ersten Platz landete die dialoglastige Actionkomödie "Il Giardino" von Michael Ester, in der sich nach dem Überfall auf eine Boutique zufällig der Manager, die Diebe, zwei Polizisten und eine Gruppe von Freunden (darunter Dirk Bach) in einem Restaurant versammeln. Das Aufeinandertreffen endet in einem schnell vorhersehbaren Shoot-Out á la "Reservoir Dogs", der von den extrem langen Monologen Dirk Bachs hinausgezögert wird, aber immerhin noch mit einem originellen Twist aufwarten kann. Den zweiten Preis erhielt der Animationsfilm "Bob" von Jacob Frey und Harry Fast, in der ein Hamster für seine große Liebe vermeintlich um die Welt reist. "Bob" erinnert an frühe Pixar-Kurzfilme wie "KnickKnack", kann ihnen jedoch weder an Kreativität, noch am Design das Wasser reichen. Der kontroverse Beitrag "Judas and Jesus" von Olaf Encke und Claudia Romero wurde Dritter. Der Film wirft einen etwas anderen Blick auf die biblische Geschichte von Judas, Jesus und Maria Magdalena - im Ziegenmilieu. Leider verliert sich die grundsätzlich witzige Idee in zotigem Humor und wird am Ende zu einem grotesken Ziegenporno.

Die wirklich interessanten Beiträge des Abends gingen leider leer aus. Besonders aufsehenserregend war beispielsweise Petra Schröders Kurzfilm "Der Prinz", in dem zwei pubertierende Mädchen in Rom von einem angeblich homosexuellen Adligen zu sexuellen Abenteuern animiert werden. Gerade weil die Mädchen sich ihres Missbrauchs nicht vollends bewusst werden, wirft der Film einen harten Blick auf den Täter, dessen Manipulation und Ausschlachtung der Situation durch seine Geschicklichkeit umso schlimmer wird. Gerade in Hinblick auf den aktuellen Roman Polanski Prozess ist der Beitrag sehr interessant, weil er zeigt, dass ein Opfer sich seiner Situation nicht unbedingt bewusst sein oder ein Trauma davontragen muss, um den Missbrauch zu einer schrecklichen Straftat zu machen.

Sehr mitreißend und in wunderschönen Bildern erzählte Piotr J. Lewandowski die Geschichte des Jungen "Janek", dessen Mutter alkhol- und tablettenabhängig und einem zwielichtigen Liebhaber hörig ist. Die Geschichte ist zwar nicht sehr originell, aber die einfühlsame Kindesperspektive, die expressive Lichtsetzung, das detaillierte Setting und nicht zuletzt die interessante Rolle eines Goldfischs machen den Film trotzdem zu einem berührenden Erlebnis.

Besonders mochte ich auch den zweiminütigen Animationsfilm "Der Lauf der Dinge" von Katharina Vogel, der mit einer einfachen Metapher das Leben auf den Punkt bringt.

Diese letzten drei Filme haben für mich den Abend gerettet, daher finde ich es besonders schade, dass ihre Originalität oder Kreativität nicht von der Mehrheit des Publikums geschätzt wurden.

Sarah Böhmer

FILMZ - Wenn ich mittwochs in mein Kino geh

Er geht fast verloren im vollgepackten FILMZ-Filmprogramm, und er ist sicherlich auf eine der unattraktivsten Spielzeiten hinprogrammiert worden - dennoch sollte, wer irgend kann, sich am Mittwoch, den 25.11. um 15 Uhr die sehr lustige, sehr locker-leichte Komödie "Ich bei Tag und du bei Nacht" ansehen.

80 Jahre Tonfilm will FILMZ mit diesem Film von 1932 feiern, denn, jawohl: der Ton macht die Musik. Bei "Ich bei Tag und du bei Nacht" handelt es sich um eine sogenannte Tonfilmoperette, der Begriff wirkt etwas abschreckend, gemeint ist aber schlicht: eine Komödie mit ein paar Musikeinlagen, zwei, drei, vielleicht mal vier Schlager - und nicht etwa die ganze Zeit Gesang wie in der traditionellen Bühnenoperette, und auch nicht ein Film über Musik. Ein Film mit Musik eher, ein Film wie Musik.

Das Ende der Weimarer Musik, das mit dem Einzug des Tonfilms in die Kinos zusammenfiel, war die ganz, ganz große Zeit des deutschen Films - niemals danach konnte das deutsche Kino die damalige Qualität wieder erreichen. Die damaligen Ufa-Produktionen - vor allem die von Erich Pommer verantworteten - waren nicht nur auf der Höhe ihrer Zeit, sie waren ihrer Zeit voraus - oft genug mit größerer Sorgfalt, größerer Fantasie, auch mit größerem Tempo und mehr innerer Dynamik hergestellt als die zeitgenössischen Hollywoodfilme. Und ich spreche hier nicht nur von Filmen, die heute als kunstvolle Klassiker gelten - "Der blaue Engel" oder "M" -, sondern von der ganz normalen Unterhaltungsware. "Die drei von der Tankstelle" war der erste wirklich große Erfolg der Tonfilmoperette, der Film zog viele andere mit ähnlichem Konzept nach sich - ein Konzept freilich, das sich nicht verbrauchte. Die Filme boten allerbeste Handwerkskunst der größten Ufa-Künstler auf, Willy Fritsch und Lilian Harvey etwa, Friedrich Hollaender und W. R. Heymann für die Musik, Billie Wilder und Walter Reisch beispielsweise beim Drehbuch, Regisseure wie Wilhelm Thiele, Paul Martin oder eben Ludwig Berger. Organisator des Ganzen: Erich Pommer.

In "Ich bei Tag und du bei Nacht" spielen Fritsch und Käthe von Nagy, auch eine dieser quirligen Frauenfiguren, Ludwig Berger (in Mainz geboren!) führte Regie; und es tauchen auch die Comedian Harmonists auf. Es geht, wie so oft in diesen Filmen, um Verwechslungen, um die Hoffnung auf das große Glück, um Missverständnisse, dass einer den anderen für mehr hält, als er ist - und das ganze wunderbar raffiniert verdreht, mit viel Witz, mit großem Esprit. Willy Fritsch spielt hier einen Kellner, der nur tagsüber in seinem Zimmer wohnt, um zu schlafen - sodass das Zimmer für die Nacht an Käthe von Nagy vermietet wird, die tagsüber die ganze Zeit auf den Beinen ist. Unbekannterweise hassen sich die beiden: jeder bringt halbtäglich die Sachen des anderen in Unordnung; und natürlich, als sie sich kennenlernen, ohne zu wissen, wer der andere ist, verlieben sie sich... Billy Wilder hat diese schön-lustige Grundidee in "Sunset Boulevard" als Drehbuch-im-Film verwendet.

Überhaupt: Wer sich ein bisschen für Selbstreflexivität des Films interessiert, muss sich Tonfilmoperetten ansehen. Hier wird stets Bezug genommen auf das Medium selbst, ironisch stellen sich die Filme als Filme dar; so auch hier: Der große Ufa-Schlager dieses Films ist "Wenn ich sonntags in mein Kino geh", und genau darum geht es, um die Filmhaftigkeit dieser märchenhaften Liebe zwischen Fritsch und von Nagy, die in einer der Realität ganz enthobenen - und als solche auch dargestellten - Traumwelt agieren.
Wobei, und das ist die Kunst der besten Tonfilmoperetten: Diese Traum-Filmwelt doch verwurzelt ist in der Realität des Lebens, sprich: damals in der Weltwirtschaftskrise, in der eben ein ganzes Zimmer den ganzen Tag viel zu teuer ist, weshalb man die Miete und die Tageshälften mit anderen teilen muss; und daraus erwächst das Glück der Liebe.

Der Traum vom großen Glück ist dargestellt als Traum, aus dem der Kinozuschauer erwacht, wenn der Film zuende ist: Eskapismus, der sich seines Eskapismus bewusst ist, der ihn nicht verleugnet, sondern für sich zu nutzen weißt.
"Ich bei Tag und du bei Nacht" ist heute noch so modern wie damals.

Harald Mühlbeyer

FILMZ - Ab morgen wieder das Festival des deutschen Kinos in Mainz

Am Dienstag, den 24.11., wird im Mainzer Residenz-Kino FILMZ - Das Festival des deutschen Kinos eröffnet. Zum neunten Mal mittlerweile, und um einen Tag verlängert, zeigt FILMZ deutschsprachige Filme, die zuvor keinen Kinostart hatten.

Bis zum Sonntag, den 29.11., laufen in Mainz zwölf Langfilme im Wettbewerb um das "Mainzer Rad" - und vieles mehr: Mario Adorf, dem laut ZDF beliebtesten deutschen Schauspieler, ist die Rückblende-Reihe mit sieben Filmen (inklusive "Momo" im Schulkino-Segment) gewidmet; die Dokumentarfilmreihe steht unter dem Motto „Suchen, Finden, Sein – Identität 8x anders“; vor allem die mittellangen Filme haben einen größeren Raum beim FILMZ-Festival erhalten, Filme zwischen 20 und 45 Minuten, die von ihrer unkonventionellen Länge her nirgendwo reinpassen - außer auf ein Filmfestival natürlich; und natürlich wird das regionale Filmschaffen präsentiert mit der Rhein-Main-Rolle und den Lokalen Langen. Dazu kommen die mittlerweile traditionellen Programmpunkte des Rahmenprogramms: Drehbuchlesung, Drehbuch-Pitching, Kurzfilm-Poetryslam und der allabendliche FILMZirkel, bei dem das Festival-Publikum auf die Festivalmacher, vor allem aber auf die diversen Filmemacher treffen können, die ihre Werke vorstellen. Und so weiter und so fort: Für sechs Tage wird Mainz ganz im Zeichen des Films (des FILMZ) stehen.

Eröffnungsfilm ist "13 Semester" von Frieder Wittich, der erst Ende Oktober seine Deutschlandpremiere bei den Hofer Filmtagen erlebt hat - ein ganz frischer Film also, der im Januar in die Kinos kommt. Eine Art deutsche College-Komödie: Ein Film, der das beste der diversen US-Unispaß-Filme ins Deutsche übersetzt, aufs Hiesige transponiert. Moritz, Momo genannt, kommt aus dem Osten der Republik nach Darmstadt, um Wirtschaftsmathematik zu studieren, aber dem Stress des Studiums mag er sich nicht so recht hingeben. Viel lieber himmelt er Kerstin an, ohne dass es ihm was brächte, und hängt mit Mitbewohner Bernd rum. Während die Studiumsstreber an ihm vorbeiziehen, während andere so richtig ihr Leben leben, fühlt Momo aber sich mehr und mehr abgehängt, aber andererseits: was ist das eigentlich, das Leben?
Der Film lebt von seinen Charakteren, gerade auch denen in Nebenrollen, und von der temporeich-dynamischen Erzählung: 13 Kapitel zu 13 Semestern. Eine locker-leichte Komödie über das Studieren in Zeiten von Bachelor und Leistungszwang: ein wunderbarer Eröffnungsfilm für FILMZ.
Regisseur Frieder Wittich wird mit seinem Produzenten Jacob Claussen und seinen Hauptdarstellern Max Riemelt und Claudia Eisinger in Mainz anwesend sein.

Alle Infos zum Festival und zum Programm unter www.filmz-mainz.de!

Harald Mühlbeyer

exground filmfest 09 – Der Mann, der in den Himmel zog: MOON

Science Fiction und David Bowie, bereits diese bloße Aufzählung weckt einige Assoziationen. Schließlich hinterließ die Pop-Ikone mit der eindruckvollen Verkörperung eines neurotischen Außerirdischen in THE MAN WHO FELL TO EARTH (1976) eine sehr markante Spur im Genre. David Bowies Sohn, Duncan Jones, nimmt nun, knapp 30 Jahre später, gleich selbst im Regiestuhl Platz, um still und heimlich das Erbe seines Herrn Vaters anzutreten. Entstanden ist der wunderbare Film MOON, der den Eindruck erweckt, Science Fiction läge der Familie Bowie irgendwie im Blut.

MOON spielt in einer undefinierten Zukunft. Die Ressourcen der Erde reichen für die Versorgung der Weltbevölkerung nicht länger aus, doch endlich wurde eine Lösung gefunden: Helium-3, das aus Mondgestein gewonnen wird. Sam Bell, der Protagonist des Films, bewohnt seit knapp drei Jahren eine Station zum Abbau des Stoffes. In der endlosen Mondlandschaft folgt er als einziges Lebewesen tagtäglich den immer gleichen Routinen, Kommunikation mit der Erde ist wegen einer Satellitenstörung nur verzögert möglich. Sein einziger Begleiter (wer hätte es erwartet): ein gesprächiger Roboter – von Jones sehr treffend vertont mit der charismatischen Stimme Kevin Spaceys. Bald wird Sam Bells Vertrag auslaufen, dann kann er zurück zu seiner Frau und seiner Tochter. Als er jedoch – durch eine Wahnvorstellung abgelenkt – einen Unfall hat, kommt alles anders.

Bereits die Tatsache, dass die ominöse Substanz Helium-3 sowie der gesamte historische Background des Films zu Beginn in wenigen Minuten abgehandelt und dann niemals weiter erläutert werden, lässt kaum Zweifel daran, dass Jones seinen Blick allein auf den Menschen richten will. Sein Desinteresse an inhaltsleeren Zukunftsvisionen und technischen Spielereien spiegelt sich in den minimalistischen Schauplätzen des Films wieder, welche eher Träger von Stimmungen als von Spezialeffekten sind. Durch den feinfühligen Soundtrack von Clint Mansell entwickeln sie in manchen Momenten eine überwältigende Wirkung, vor allem die stille Melancholie der grauen Mondlandschaft bleibt im Gedächtnis.


MOON will zurück zu den plausiblen, psychologisch bzw. existenzialistisch geprägten Bereichen des Science Fiction Kinos, die vor allem in den Siebzigern und Achtzigern mit Filmen wie BLADE RUNNER(1982) oder OUTLAND(1981) – und natürlich mit Perfektion in einigen Filmen Andrej Tarkovskys – erkundet wurden. Ein lobenswerter Ansatz, hier anzuknüpfen. Noch lobenswerter ist, dass Jones seinem Vorhaben auch gerecht werden konnte.

Ohne zu viel vorweg zu nehmen: Der Film greift fast ausschließlich Motive auf, welche bereits bekannt sind, kombiniert und variiert diese aber sehr gekonnt. Hervor sticht dabei Sam Rockwell (FROST/NIXON, CONFESSIONS OF A DANGEROUS MIND), der die Geschichte mit seinem vielseitigen Spiel stets lebendig hält und die Entwicklung der Figur sehr bewegend und aufreibend vermittelt. MOON thematisiert die Entfremdung des Menschen: von seiner Heimat, von seiner Vergangenheit, von sich selbst. Und damit hat sich Duncan Jones letztlich gar nicht weit entfernt von den Sorgen und Nöten, die damals den gestrandeten Raumfahrer in Gestalt seines Vaters plagten.

Dennis Vetter

exground filmfest 09 - Tanz des Teufels: WHITE LIGHTNIN'

West Virginia, tiefste Provinz. Inmitten eines perspektivenlosen 'White Trash'-Milieus nimmt das Leben von Jesco White seinen Ursprung. Bereits nach wenigen Filmminuten wird klar: Der impulsive Junge hat es nicht leicht unter seinem jähzornigen Vater D Ray White, der gottgleich und mit allen Mitteln versucht, ihn stets auf dem rechten Pfad zu halten. Jesco scheint in seinem Leben nichts richtig zu machen, erntet bei jedem neuen Fehltritt immer härtere Bestrafungen. Doch selbst ein Aufenthalt in einer Besserungsanstalt bringt keine Änderung. Zwischen streng christlicher Moral, brutaler Misshandlung und bitterer Armut flüchtet er sich bei jeder Gelegenheit in seinen Lieblingszustand, den Rausch aus Benzinkanistern und Bierflaschen. Die Antwort, welche WHITE LIGHTNIN' auf das ruhelose Wesen seines Protagonisten liefert, ist dabei fatal: Jesco ringt mit dem Bösen selbst, das durch seine Adern fließt und das immer wieder unkontrolliert hervorbricht.


Es ist nur schwer zu glauben, dass Regisseur Dominic Murphy das nihilistische Szenario seines Films tatsächlich der Realität entnommen hat. Sowohl Donte Vixen Ray (D Ray) White, als auch Jesco White (Jahrgang 1956) existieren tatsächlich und sind mit der Perfektionierung der ausgestorbenen Kunst des 'Appalachian Mountain Dance' zu amerikanischen Legenden geworden. Noch heute werden sie von einer festen Fangemeinde kultisch verehrt. Bereits 1991 wurde Jesco White ein Film gewidmet. In der Dokumentation THE DANCING OUTLAW portraitiert ihn Regisseur Jacob Young. Es existieren außerdem zahlreiche Fanpages sowie Veranstaltungen, die sich intensiv mit seinem Tanzstil und seinem Leben befassen.

Wie die vielen Fans scheint auch Dominic Murphy fasziniert von der Person Jesco White. Mehr jedoch als dessen Biografie interessiert ihn offenbar das wahnhafte, schizophrene Wesen des kauzigen Stars. Er begleitet Kindheit und Erwachsenenalter seines Protagonisten, zeichnet dabei aber weniger eine Biografie als vielmehr die Karte eines geschundenen Geisteslebens zwischen Spiritualität, Emotionalität und Wahnsinn.


In WHITE LIGHTNIN' nimmt Jesco Whites tragisches Dasein von Station zu Station immer groteskere Züge an. Vom Jugendlichen Problemfall führt sein Weg über eine psychiatrische Klinik in sein Erwachsenenleben zwischen Tanzkarriere, Liebe und Blutrache für seinen grausam ermordeten Vater. Wie seinen Protagonisten scheint es den Film dabei stets voran zu ziehen, jede Aussicht auf Entspannung ist nur von kurzer Dauer. Unentwegt wechseln sich kurze inhaltliche Passagen mit episodenhaften Sequenzen ab, die beinahe wie Prüfungen anmuten, wie Wegpunkte auf einem Pfad ins Verhängnis. Die zermürbende, unterschwellige Anspannung der Geschehnisse im Fim gipfelt immer wieder aufs Neue in Wutausbrüchen und Gewaltexzessen Jescos, die allerdings nie seine permanente Ruhelosigkeit lindern können. Fiebrige Höllenvisionen etablieren ihn mit zunehmender Drastik als pervertierte Märtyrerfigur ohne jeden versöhnlichen Bezugspunkt.

Dominic Murphys Jesco White scheint den gesamten Film über nach Vergebung für seine schandhafte Existenz zu schreien. Er zerbricht dabei immer wieder aufs Neue an den unerfüllbaren Geboten seines toten Vaters, dem er sich aufs Tiefste verpflichtet fühlt. Dominic Murphys Jesco White taumelt von inneren Dämonen geplagt durch ein sozial wie optisch verwahrlostes Umfeld voller Schlamm, Schweiß und Blut - stets auf der Suche nach einem Sinn, nach Anerkennung, nach Zuneigung.

Was er findet, ist nur der Zuschauerblick.

Dennis Vetter

Buch: Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film



Das Blaue vom Himmel

Fabienne Liptay / Yvonne Wolf (Hg.): Was stimmt denn jetzt? Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film. Edition Text + Kritik 2005. 368 Seiten, € 29,50


Ja genau, was stimmt denn nun? So provokant wie der Titel fragt, so argwöhnisch muss man ja sein: Vielleicht wagen die Damen Liptay und Wolf einen fidelen Schabernack, das Buch entpuppt sich als selbstreflexives Eigengezirkel und dem Inhalt ist nicht zu trauen. Denn es geht ums Schwindeln. Angeblich. Und schließlich grinst da niemand Geringeres als der kanonenkugelreitende Baron Münchhausen, Lügenbeutel par exellence, vom himmelblauen Cover. Na schön, was heißt Lügen. In der Literatur und im Film wird das feiner betitelt: Hier erzählt man lediglich unzuverlässig. Und das erweist sich als um einiges komplexer als das bloße Vorspiegeln falscher Tatsachen, wie das Buch belegt.

Zwischen welchen Polen die Texte dieses Readers schwanken, zeigt sich an den ersten Beiträgen. Thomas Koebner spendiert einmal mehr einen seiner Texte (der dem Buch auch den Titel geliehen hat) und denkt darin laut – soll heißen schriftlich – über das unzuverlässige Erzählen hier und da und besonders in Kurosawas RASHOMON nach. Derweil sich die beiden Literaturwissenschaftler Monika Fludernik und Andreas Solbach die Sache höchst analytisch und entsprechend lustfeindlich angehen: Fludernik gibt einen Abriss der diversen literaturwissenschaftlichen Konzepte, während sich Solbach über die Rhetorik heranarbeitet. Das gerät sehr kompliziert, insbesondere weil auf wenigen Seiten verhandelt wird, was in eigene Büchlein gehört. Wehe dem, der da durchsteigen will. Wobei freilich Studenten und ähnlichen Abhängigen kurzer wie profunder Abrisse eine tiefe Schatzkiste geöffnet wird.

So scheint die Marschrichtung – ganz grob gesehen – festzuliegen: Auf der einen Seite die Literaten, die dank ihrer elaborierten Narratologie ein schweres Päckchen zu schultern haben, auf der anderen die Filmleute, in deren Gebiet, so scheint’s, unbeschwerter gewildert werden darf. Schlussendlich findet man jedoch hier wie da viel Lesenswertes. Maren Jäger beweist anhand der pikarischen (also Schelmen-) Romane, dass das Unzuverlässige schon im 16. Jahrhundert zu haben war. Mit Hilfe der Romane Fay Weldons und speziell LIFE FORCE versucht Gaby Allrath, die genderspezifische Verwendung der Unreliability auf die Schliche zu kommen, während Yvonne Wolf sich der Kinder- und Jugendliteratur annimmt.

Auch was den Film angeht, glänzt das Buch. Britta Hartmann erklärt anhand des medienwissenschaftlichen bzw. kognitionspsychologischen Konzepts des priming überhaus erhellend, wie Shyamalans THE SIXTH SENSE funktioniert. Fabienne Liptay versucht sich dagegen an David Lynchs Filmmysterien LOST HIGHWAY und MULLHOLLAND DRIVE, versucht gottlob erst gar nicht, irgendwelche ontologischen Ebenen aufzuschlüsseln, sondern zeigt u.a. mittels des Rhizom-Begriffs nach Deleuze und Guattary, wie und in welche Richtung die Reise beim Großmeister des Bizarren geht. Auch Maurice Lahdes Analyse der USUAL SUSPECTS gerät äußerst spannend, führt er doch aus, quasi in letzter Instanz, wie das Unzuverlässige schließlich das Erzählen / die Erzählung selbst verschlucken kann.

Etwas weich geraten ist hingegen Jörg Helbigs Gliederung der „Signale erzählerischer Unzuverlässigkeit im zeitgenössischen Film“. Das liegt zum größten Teil daran, dass halbwegs feste Kategorien und Merkmalsbestimmungen in einem solchen Bereich, der sich ganz auf Konventionen und deren Herausforderungen sowie jeweilige Deutungsleistungen stützt, kaum dingfest zu machen sind. Und worauf Thomas Meder letztendlich hinaus wollte, hat sich mir nicht recht erschlossen. Was für mich schade ist, weil es sich um einen gleichwohl intelligenten wie packenden Text handelt, zugleich aber auch passt, geht es doch um blinde Flecke und schwarze Löcher.

Zusammengenommen fällt dank „Was stimmt denn jetzt?“ auf, dass die literaturwissenschaftliche Narratologie vielleicht die ausgeklügelsten Modelle für das unzuverlässige Erzählen hat, diese dem Film mit seiner komplexeren Struktur mit seinem Unterschied von showing und telling aber nur ungenügend gerecht werden. Gerade in diesem Grenzenbereich, zwischen Zeigen und Erzählen, wie auch entsprechend zwischen Literatur und Film, ist es noch recht duster (auch wenn Thomas Klein mit seiner Untersuchung von Henry James’ The Turn of the Screw und deren Verfilmung THE INNOCENTS etwas Licht hinein bringt.)

Man wünscht sich folglich für die Zukunft – trotz der „Warnung“ Fluderniks, wie hurtig man darüber den Spaß verlieren kann, und auch nicht, weil das Buch dazu besonderen Anlass böte! – grundlegende Konzeptionen oder Systematiken der Unzuverlässigkeit im Film. Schon allein weil der Begriff (und hier trifft man leider eine Inkonsistenz in Liptay und Wolfs Sammlung) Gefahr läuft, zu verwässern. Nicht, dass man in kleinkrämerischen Streit ausbrechen muss, ob es so was wie den „impliziten Erzähler“ (oder „Leser“) geben mag, soll, darf oder kann.

Aber: Dass Unzuverlässigkeit nicht nur vorliegt, weil Präsentiertes nicht oder nicht so geschehen ist, sondern auch, weil die Interpretationen der vermittelnden Instanz, dem Erzählenden (vor allem in der Literatur) zweifelhaft sind, insofern sie mit den Erfahrungswerten des Rezipienten über Kreuz liegen, ist wohl richtig. Wenn jedoch (wie es z.B. der Text von Bernd Kiefer nahe legt, oder dezidiert Jörg Helbig anführt) der Begriff in Selbstreflexivität und Intertextualität hinein(ge)spielt (wird), fragt man sich schon, ob angesichts der Beliebigkeitsgefahr, die etwas so interpretativ Bedingtem wie dem „unzuverlässige Erzählen“ innewohnt, nicht des Guten zuviel getan wird.

Eines bleibt bei alledem jedoch sicher: Dafür, dass die Fußnoten der Texte im Block hintereinanderweg gesetzt wurden, gehören die Verantwortlichen gehauen. Immerhin bieten der Literatur- wie der Filmindex ein bisschen Entschädigung: in beiden werden die Originaltitel wie auch die deutschen aufgeführt.
Alles in allem darf „Was stimmt denn jetzt?“ bereits jetzt als ein Standartwerk im Bereich des unzuverlässigen Erzählens gelten.

Ungelogen!


Bernd Zywietz (2005)