Drehbuchschule Wolfgang Pfeiffer

„Ein guter Film ist ein wirkungsvoller“
Zu Besuch bei der Drehbuchschule Wolfgang Pfeiffer in Berlin

von Bernd Zywietz




Von zwei Postern herab attestieren Andrea Sawatzki und Fabian Busch: „Kein Drehbuch. Kein Film“. Sie sind Teil der Kampagne des Verbands Deutscher Drehbuchautoren e.V., und warum die beiden hier hängen ist klar – es ist die Drehbuchschule Wolfgang Pfeifer in Berlin, Stadtteil Prenzlauer Berg. Die U-Bahn (die hier Hochbahn ist) Station Eberswalder Str. raus, die Danziger runter, dann die dritte oder vierte (je nachdem, ob man die Pappelallee mitzählen will) links rein.

Schön ist die Straße, ein bisschen ruhig, schräg gegenüber gibt es einen kleinen Park. Die Drehbuchschule selbst befindet sich im Erdgeschoss. Das „Klassenzimmer“ mit dem Parkettboden und dem Bürotisch-Viereck ist hell und freundlich, liegt zur Straße raus. Gegen Mittag fällt die Sonne durch die großen Fenster und die Glastür. Zweifellos war das mal ein Ladengeschäft. Drehbuchunterricht im Schaufenster. Dass man sich trotzdem in einem geschützten Raum fühlt, spricht schon mal für sich.



Braucht man das überhaupt? Sicher, „Kein Drehbuch. Kein Film“, das sagt sich leicht und selbstbewusst, aber ist dafür eine Schule nötig oder mehr noch: nutzt sie überhaupt etwas? Von privaten Film-Unis in Mallorca haben wir gehört, von allerlei anerkannten oder selbsternannten Drehbuchgurus in den USA, in Deutschland gibt es unter anderem die HFF München, in Berlin selbst die dffb mit ihrer Drehbuchakademie. Wie seriös ist die Drehbuchschule Wolfgang Pfeiffer? Werden hier Träumer abgezogen, die es anderswo nicht geschafft haben und hier gerne ihr Geld für ein bisschen Hoffnung lassen, ihr Script mal auf der großen Leinwand zu sehen? Stellt hier jemand nur sein übergroßes Ego zur Schau, indem er behauptet, er – ja er! – könne verkünden, was man wie mit den Ideen und Einfällen zu tun hat, die durchs Kreativhirn spuken und zur Karriere führen?

Ein bisschen Personenkult kann man schon wittern, besucht man die Homepage der Drehbuchschule. Im grünen fünfzackigen Stern prangt die weiße Silhouette von Pfeiffers kahlem Haupt, erinnert in der Aufmachung an Hitchcock und auch ein bisschen an Erich von Stroheim. Dazu gibt es ein YouTube-Video, das den Meister selbst wie auch die Schule und ihr Tun vorstellt. Davon, dass die Deutschen keine Geschichten erzählen können, hört man in diesem Filmchen. Geklapper, das zum Handwerk gehört?

Zwölf Schüler sitzen um die Tische, Nachzügler treffen ein, einer mit einem Trolley. Klar, es ist Freitag, der letzte Tag dieser ersten Kurswoche, nachdem einige wieder in die bisweilen weit entfernte Heimat fahren werden, um dort an ihrer Drehbuchidee und dann an ihrem Skript zu arbeiten. Über neun Monate wird das so gehen, wobei die Pausen zwischen den Blöcken immer größer werden. Es braucht Zeit, so ein Drehbuch. Alternativ gibt es einen Intensivkurs – 14 Wochenenden, verteilt über ein Jahr.

Bunt gemischt ist die Gruppe, Ältere, Jüngere, Alleinerziehende, Menschen mit Medienberufserfahrung und ohne. Solche, die sich kurz Notizen machen, andere, die akribisch alles notieren, in simple Ring- oder edle Notizbücher, mit Kugelschreiber oder Füller, hier und da ein Notebook. Der engagierte Ernst und die Aufmerksamkeit haben sie alle gemein.

Vorne sitzt Wolfgang Pfeifer in beiger Hose und Sportschuhen, massig mit runden, kräftigen Schultern, die Ärmel seines graugrünen Pullis hochgeschoben. Schon nach wenigen Minuten ist klar: Das ist kein eitler Selbstdarsteller, eher ein souveräner Dozent und mehr noch: Begleiter. Der sich mit der großen Hand die Glatze reibt, die Arme im Genick verschränkt. Einer, bei dem man bei aller Lässigkeit den Spaß an seinem Beruf spürt. Keiner, der sich selbst gerne reden hört, der aber seine Freude daran hat, frei zu reden, sich, seine großen Ansichten und kleinen Ideen für den Weg zum Buch mitzuteilen – und ihnen dabei selbst nachzuspüren. Es ist das Ende der ersten Woche. Noch liegen keine Stoffe auf dem Tisch, daher geht es um das Allgemeine, die Theorie, die nur solange etwas Esoterisches hat, wie man die Praxistauglichkeit dahinter nicht entdeckt.

Es geht um die Stoffentwicklung und die Haltung dazu. „Ihr braucht Material, mit dem ihr arbeiten könnt“, sagt er und erklärt, dass und wie dieses Materialsammeln sich vom wissenschaftlichen Arbeiten unterscheidet. Es geht nicht um das ganze, das systematische Erschließen. Zu viele Informationen können blockieren, wichtig sei jedoch, das zu sammeln, was bei der kreativen Gestaltung helfen kann. Auch Randständiges, Inspiration, die abseits liegt. Selbst Ideen entwickeln, welche einfangen, sie zulassen. Dabei muss der Kritiker im Kopf erstmal ruhig gestellt werde – ob ein Einfall gut ist, ist erstmal egal. Nicht zuletzt, weil er es irgendwann, vielleicht bei anderer Gelegenheit, mal werden kann. Erst später gelten zwei Kriterien für die Auswahl: Wie könnte der Markt reagieren? Wie ist die Attraktivität, welche Ressourcen würde man brauchen? Und: Wozu habe ich Lust?

Pfeiffer empfiehlt neben dem Anschauen von Filmen, Künstlerbiographien zu lesen. Wie haben sich andere große Künstler mit ihrer Kreativität und dem Strom ihrer Einfälle auseinandergesetzt? Picasso zum Beispiel: Mit dem Stock im Sand oder im Restaurant auf einer Serviette – immer hat er etwas gekritzelt.

Vielleicht ähnelt Pfeiffer doch mehr Picasso als Stroheim.



Pfeiffer rät zum automatischen Schreiben als einer Form der Selbstverständigung. Kein quasi-religiöser Akt, sondern einfach so, ganz funktional. Auch erklärt er: Es gibt nicht DIE eine Idee. Erzählansätze produzieren, dann daraus auswählen. Was, wenn man mehrere hat, unter denen man sich nicht entscheiden kann? Dann verfolgt man beide, bis man eben an dem Punkt kommt, wo man sich auf eine Idee konzentrieren muss. Nur in der Not wird eine Münze geworfen. Die wahre Kunst liegt in der Konzeption, die Ausführung ist nachrangig.

Das Wertvolle an dem, was Wolfgang Pfeiffer an dem Tag propagiert, ist die Erschließung und das Sich-Bewusstmachen des Stoffs. Ganz alltagstauglich und für das Verkaufen von Ideen und all der Stufen, die danach kommen, ist das von Bedeutung: Um auf die Frage, warum daraus ein Film gemacht werden soll, antworten zu können. Seine Idee nur „geil“ zu finden, nutzt beim Pitch nicht viel. Man muss erklären können, warum er „geil“ ist. Einem anderen muss klar werden, was man darin sieht.

Pfeiffer entwickelt ein Konzept, während er spricht. Auch wenn er hier und da die Begriffe durcheinanderwirft, macht das gar nichts, denn es ist, als verständige er sich mit sich selbst, und zuzusehen, wie jemand für sich und andere etwas Kluges entwirft, ist von ganz eigenem Wert. Eine Prämisse, die Ausgangsidee für den Plot, hat verschiedene Elemente, über die man zu seinem Stoff gelangen kann und über die die übrigen zu erschließen sind, um eine Einheit zu bilden.

Der Einstig, das kann ein generelles Thema sein. Freundschaft. Liebe. Der Schwache, der sich gegen die Starken durchsetzt. Oder eine thematische Frage (Was passiert, wenn ich mich für Freundschaft oder Liebe entscheiden muss? Was tun, wenn ich ein zweifelhaftes Angebot bekomme, das ich nicht ablehnen kann?). Dann: die erzählerische Welt, in der die Story angesiedelt ist – ein Film in und über die Welt der hohen Politik oder des Sports, der Hartz-IV-Empfänger.

Dem deutschen Film fehlt da die Substanz, meint Pfeiffer, sie zeigen so selten Ideen, gestalten nicht richtig ihre Themen – im Gegensatz zu den USA. Deren Look wird hierzulande kopiert, jedoch die erzählerische Mitte, die sie auszeichnet und weltweit populär macht, vernachlässigt. Er sei kein Hollywood-Apologet, so Pfeiffer, aber ein Freund guten Erzählens. In Deutschland soll man auch gar keine Hollywood-Filme machen. Sondern eben unsere. Eigentlich könnte man das alles auch in zehn Minuten erklären, bemerkt Pfeiffer und klingt dabei selbst etwas verwundert. Ja, vielleiht. Vielleicht auch nicht.

Gegen Ende gibt es eine kleine Übung. Ein beliebiger alltäglicher Ort. Ein Bahnhof. Die Schüler sollen aufschreiben, was es alles an einem Bahnhof zu sehen gibt, zehn Dinge, egal was, wie klein und beiläufig auch immer. Fertig? Dann nochmal zehn. Und dann weitere zehn. Dann: zehn verschiedene Menschen im Bahnhof. Und nochmal zehn. Und nochmal zehn. Und zehn weitere. Fehlt gerade noch, dass Pfeiffer lächelt, während er seine Schüler triezt. An einer Schiefertafel schreibt Pfeiffer einige der Antworten auf. Darunter: ein Pfarrer. Was würde einem Pfarrer auf einem Bahnhof auffallen? Worauf würde ein Taschendieb achten? Das alles ist nämlich keine Schikane. Es geht darum, sich in die Figuren hineinzudenken. Auch das innere Beobachten des Bahnhofs ist verblüffend sinnvoll. Denn: die ersten zehn, vielleicht auch ersten zwanzig Dinge und Menschen, die einem in den Sinn kommen, fallen wahrscheinlich den Meisten ein. Wenn es darum geht, einen alltäglichen Ort, eine alltägliche Situation in einer Szene originell zu entwerfen, auszugestalten, kann und sollte man weiterdenken – und -sehen. Und hier gilt ebenso: Alles annehmen, nichts werten oder tabuisieren.



Einige Filme hat Wolfgang Pfeiffer gedreht und mehr noch produziert, zuletzt Romuald Karmakars WARHEADS (1993). Er half in den 1990ern der UNESCO, in Simbabwe eine Filmschule zu gründen und zu leiten. Wieder in Deutschland gab er sein Drehbuch- und Dramaturgiewissen in kleinem Kreis weiter, ehe er 2003 seine Lehrtätigkeit als GBR institutionalisierte, woraus die heutige Drehbuchschule Wolfgang Pfeiffer, eine GmbH, entstand. Nicht nur Pfeiffer lehrt dort: Manuel Butt, Schreiber u.a. für Harald Schmidt und Bastian Pastewka, gibt Kurse, wie man Sketche oder, generell, komisch schreibt. Elke Heinemann unterrichtet in Sachen Hörspiel und Radiofeature, Barbara Kappen und Silvia Marquardt Theater.

Seine Schüler sucht sich Wolfgang Pfeiffer aus: In Vorgesprächen entscheidet er, ob er etwas mit den künftige Autoren anfangen kann – und sie etwas mit ihm. Nicht zuletzt kostet der Unterricht so einiges, gibt er unumwunden zu.

Auf (zugegebenermaßen dämliche) Entweder-Oder-Fragen reagiert er mit vernünftigen Weder-Nochs und Sowohl-als-auchs. Ob es mehr zu empfehlen sei, Drehbücher zu lesen oder sich die Filme dazu anzuschauen? Beides. Was wiegt mehr: der europäisch apostrophierte Figurenansatz oder das US-amerikanische „action driven“? Da seufzt Pfeiffer. Der Gegensatz an sich sei schon ein falscher. Beides taugt ohne das andere nichts zu haben; die Handlung brauche die richtigen Figuren, die zugleich zu dienen hätten (die Figurenpsychologie, wie sie gerade die besonders propagiert wird, interessiert ihn nicht sonderlich). Pfeiffer selbst verfolgt einen, seinen dritten Ansatz – im Zentrum steht die geistige, zu gestaltende Idee. Dabei gilt Pfeiffer stets: „Ein guter Film ist ein wirkungsvoller.“

Was aber passiert, wenn die Schüler ihre Drehbücher fertig gestellt haben? Was hilft alles Erfahrungen-Machen und Begleiten der Entwicklung, wenn man zuletzt mit einem fertigen, gar guten Skript dasteht und nicht weiß, wohin damit? Ganz allein gelassen wird man nicht. Pfeiffer gibt Empfehlungen und Tipps, an wen man sich wendet; in Extrakursen können sich Absolventen hinsichtlich Exposees und Treatments weiterbilden. Für das Drittel, so sagt Pfeiffer, das sich durch die Schale frisst. Für ihn ist überdies dieser Blockkurs erstmal der letzte. In Zukunft will er sich der Stoffentwicklung, der Verwertung und (Co-) Produktion widmen. Eine Scriptagentur Wolfgang Pfeiffer gibt es schließlich auch.

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