Hof-Berichterstattung: Abschluss und Ausblick
Für Ihren treuen Korrespondenten sind die Hofer Filmtage für dieses Jahr vorbei; heute steht nur noch eine lange Zugfahrt an.
Es war ein sehr guter Jahrgang voll sehenswerter Filme; und auch die schlechten sind zumindest diskussionswürdig.
Jessica Hausners "Lourdes" ist ein ganz ruhiger Film über ein potentiell unglaublich-außerweltliches Ereignis: eine Heilung in Lourdes; ein Film, der Fragen des Verhältnisses des Menschen zu sich selbst, zu einem Wunder, das uns begegnet, zu einem anderen, dem ein Wunder begegnet, behandelt, das Verhältnis von Körper und Seele, Welt und Glauben, Glaube und Aberglaube. Und das ganz unaufgeregt.
"Die zwei Leben des Daniel Shore", der Debütfilm von Michael Dreher, hat ganz großartige Darsteller - Nikolai Kinski, Matthias Matschke, Judith Engel, "Pi"-Darsteller Sean Gullette, selbst Katharina Schüttler lässt das Extrem-Extreme sein und wird dadurch glaubwürdig. Großartige Kamera, großartige Lichtdramaturgie; großartige Musik (Lorenz Dangel), großartiges Set-Design und eine ganz undurchdringliche, verstörende, mysteriöse Story, die halb in Tanger, halb in einem Stuttgarter Altbau spielt, zwei Welten, die sich bedingen, vielleicht berühren, vielleicht aber auch gar nicht wirklich sind - nur am Ende, in der letzten Minute, da geht die Luft raus, da ist dann plötzlich nichts mehr übrig: weder Klarheit noch Unklarheit wird so richtig hergestellt, nicht einmal das Zwischenreich, das der Film die ganze Zeit über (vielleicht) beschrieben hat, wird bestätigt oder nicht bestätigt. Irgendwas fehlt da.
Werner Herzogs "The Bad Lieutenant" zeigt Nicolas Cage endlich mal in einer Rolle, die zu ihm passt. Er, der sonst auch immer halb schlafwandelnd durch seine Filme schlurft, müde und apathisch, ist hier der Junkie-Cop, der sich auf Gangster einlässt und dafür auch mal einen brutalen Mord beiseite schiebt: Ja durchaus, das ist spannend und irritierend zugleich, der Film steht - auf anderer Ebene, mit anderer Machart - Abel Ferraras Originalfilm nicht nach, ist weniger Nachfolger oder Kopie als ebenbürtiger Parallelfilm. Und dann die Herzog-Momente: Mit Videokamera ganz, ganz nah an einen Alligator ran oder an Leguane (Herzog führte hier die Kamera selbst, er sucht halt die Gefahr, wo es geht), oder der Tanz einer Seele...
"Les Beaux Gosses" von Ryad Sattouf wird in den Untertiteln mit "Die heißen Kerle" übersetzt, und genau darum gehts: um das Brennen im Inneren, das die Pubertät ausmacht - und die völlige Unfähigkeit, mit diesem Feuer der Initiation, mit diesem Fegefeuer der Kindheit umzugehen. Dabei ist der Film überhaupt nicht abstrakt, poetisch, metaphorisch oder was immer das ist, wie ich es gerade beschrieben habe: ganz konkret werden alle Peinlichkeiten, die 14jährige mit sich und mit anderen erleben, komprimiert in 90 Minuten gepackt als Geschichte von Hervé und seinen Freunden, Lehrern, der Mutter, dem ersten Knutschen, dem Wichsen, dem Nichtstun. Der Film ist nicht als lustig-Klamauk à la "American Pie" aufgezogen, sondern bleibt stets höchst lebensnah, auf natürliche Weise zugespitzt - und ist deshalb unglaublich witzig.
"13 Semester" schließlich von Frieder Wittich ist eine Art deutsche College-Komödie. Ich erinnere mich: Udo Corts, damals hessischer Wissenschafts- und Kunstminister, hatte diesen Film auf einem Empfang während der Berlinale 2008 als herausragendes Beispiel hessischer Filmförderung hervorgehoben, nicht ohne sehr polemische Sprüche gegen Langzeitstudenten - als alle, die 12, 13 Semester zu studieren wagen - abzulassen und heftig gegen Studiengebührengegner zu wettern - er stand damals kurz vor der Gerichtsverhandlung um das Studiengebührengesetz, die er dann auch glorreich gewonnen hat. Allein dieser Auftritt vermieste mir damals einen ganzen Berlinale-Tag und auch jede Freude auf den Film.
Nun ist er fertig, und nein: es ist KEIN affirmatives CDU-Propagandamachwerk geworden. Sondern lustig, locker, leicht, mit sehr gutem Gespür für komisches Timing erzählt Wittich einfach mal vom Studentenleben in Darmstadt. Moritz, der gar nicht gerne Momo genannt wird, macht Wirtschaftsmathematik - aber das ist stressig, Mannomann, so hat er sich das nicht vorgestellt. Mitbewohner Bernd ist da viel lockerer, und dann ist da noch Kerstin, in die sich Momo schon im dritten Semester verguckt... Kleine Schlaglichter auf 13 Semester wirft Wittich und erstellt dabei ein Panorama der Studentengestalten; und nein, Herr Corts: da wird nicht der Streber als absolut positives Beispiel herausgehoben, der sein Studium auf der Überholspur angeht, geradeaus durch, aber ohne Blick auf die Landschaft drumherum (diesmal keine Metapher von mir, sondern aus dem Film). Studium wird durchaus als Lebensbildung verstanden, als Reifeprozess - das ist natürlich einerseits typisches Thema im weiten Feld des Coming of Age-Genre, andererseits aber auch ein Argument gegen die politisch gewünschte Studium-Durchmarsch-Strategie, wie sie der Herr Corts offenbar propagiert.
Wobei Hochschulpolitik ganz außen vor bleibt und das emotionale, mentale, finanzielle Auf und Ab von Momo im Mittelpunkt steht. Wobei die Nebenfiguren mindestens ebenso interessant sind: Robert Gwisdeks Ellenbogen-Streberstudent, der nachlässige Mitbewohner, der Pakistani, der immer überall voll einsteigt, ob beim Lernen oder beim Saufen, und dem dann auch alles gelingt...
"13 Semester" hatte in Hof seine Premiere - und wird am 24. November mit vielen Gästen (Hauptdarsteller Max Riemelt, Claudia Eisinger als sein Love Object Kerstin, Regisseur Frieder Wittich und Produzent Jakob Claussen) das Mainzer FILMZ-Festival eröffnen - der Festivalzirkus geht nahtlos weiter, und wenn FILMZ hält, was der Eröffnungsfilm verspricht, werden die sechs Festivaltage in Mainz wunderbare Unterhaltung liefern.
Harald Mühlbeyer