Trollt Euch! Eine kritisch-polemische Bewertung des aktuellen Fantasy-Films.
von Dirk Christian Loew
Teil 1 von 2
Die New-Line Produktion THE LORD OF THE RINGS sowie die STAR WARS- und HARRY POTTER-Filmreihen bilden momentan den marktbeherrschenden Kern von Kinoproduktionen. Allesamt sind sie dem Genre des fantastischen Films, oder zeitgemäßer: Fantasy-Film, zuzurechnen. Für mich sind diese Produktionen jedoch inhaltlich triviale, filmisch dürftige, rein profitorientierte Vehikel einer gigantischen Geldvermehrungsmaschinerie, die einher geht mit einer aufwendigen Verdummungspropaganda. Es scheint, als ob mit dem Fantasy-Film, so wie er sich heute darstellt, die geistloseste, weichgespülteste Ausprägung des Mainstream-Kinos eine endgültige Dominanz im aktuellen Filmgeschehen erreicht hat. Der Erfolg des Fantasy-Films steht auch für einen allgemeinen gesellschaftlichen Wandel, wenn nicht gar Verfall: für den Sieg der Oberfläche über den Inhalt, für den allgemeinen Triumph des Pop, für visuell unsäglichen Kitsch, für eine umfassende Sanktionierung der Infantilität - er steht für die Jeanette-Biedermann-Isierung unserer Zeit. Deshalb muss ein Text wider den Fantasy-Film auch eine Gesellschaftskritik sein, muss lauthals Stellung beziehen und sich dem Hype verneinen.
Dieser Text wird demnach auch nicht in den offenbar gleichgeschalteten Kanon unserer Medien über die Großartigkeit der Herr-der-Ringe-Filme mit einstimmen. Nein, mir würde nicht im Traum einfallen, für Harry Potter, sei es im Kino oder in der Buchhandlung, Geld auszugeben. Denn schließlich war ich der Einzige in meiner Klasse, der 1977 schon nicht in STAR WARS ging und auch keine Han Solo-Actionfigur besaß. Und schließlich fand ich schon in den 1980er Jahren, dass die Leute, die mir das Buch „Herr der Ringe“ aufdrängen wollten, irgendwie die Falschen waren: Parkas, PLO-Tücher und Anti-Alles-Buttons waren keine Empfehlung, eher eine nachhaltige Warnung. Parkas trägt jetzt keiner mehr, und die ehemaligen Demonstranten gegen die Startbahn-West fliegen heute über sie in ihren Urlaub. Doch die Fantasy-Filme und ihre Folgschaft, die damit zusammenhängende geistige Haltung sowie der Erfolg bei den Massen blieben. Ebenso wie mein Misstrauen gegen die an Massenhysterie grenzende mediale Umarmung dieses Phänomens. Ich habe überhaupt nichts gegen Fantasy-Filme: Ich finde sie nur momentan, von Publikum, als auch der Kritik, für total überbewertet. Warum?
Ein filmhistorischer Rückblick:
Es begann alles mit dem sogenannten Post-Code-Quartett Ende der Anfang bis Mitte der 1970er Jahre. Mit der Ablösung des Production-Codes der Filmindustrie durch das auch heute noch gebräuchliche Rating-System (ab 1966) erhielten die Filmemacher, die Studios, die Produzenten die Möglichkeit, bisher Ungesehenes und Ungehörtes in das Mainstream-Kino einfliessen zu lassen. Die Filme THE GODFATHER, JAWS, THE EXORCIST und STAR WARS waren Produktionen und Kassenerfolge, die Hollywood, die amerikanische Filmindustrie sowie die Rezeption des Mediums durch ein Massenpublikum, nachhaltig veränderten. Erstmalig erreichte ein Film in den USA, nämlich JAWS, die magische Grenze von 100 Mio. Dollars Einspielergebnis an den Kinokassen, und wurde zum finanziell erfolgreichsten Streifen aller Zeiten. Bereits zwei Jahre später übernahm STAR WARS diese Position. Insbesondere dieser Film führt in die Filmgeschichte den Begriff der Verwertungskette ein: Umsätze wurden nicht allein über die Kinokassen generiert, sondern auch über die Verwertung von Merchandisingprodukten, gegebenenfalls sogar in Kooperation mit Unternehmen außerhalb der Filmindustrie (z.B. McDonalds, Pepsi-Cola etc.), Comics und Büchern, Spielzeug, den Videos (später DVDs), Computerspielen und Schnickschnack jeglicher Art. Für die gesamte Star-Wars-Reihe gilt: 41% der Einnahmen kommen aus der Kinoverwertung, der Rest über die o.g. Produkte. Logo und Werbung eines solchen Films sind allgegenwärtig: In den Medien, auf CDs, Colabüchsen, Pommesschachteln, Kleidung etc. etc. Die Verwertungskette wird Teil unseres Lebens. Wir werden, wenn wir uns nicht verweigern, unvermeidbar Teil dieser Verwertungskette.
Drei der Filme aus dem Post-Code-Quartett bezeichnen einen grundsätzlichen inhaltlichen, stilistischen, filmisch-ästhetischen, genrespezifischen und zielgruppenorientierten Umschwung des Hollywood-Mainstream-Kinos: den Aufstieg der ehemals skurril-exotischen, belächelten B-Film-Genres Fantasy und Horror hin zum massenkompatiblen Kinoereignis. Eine Entwicklung übrigens, die analog auch THE LORD OF THE RINGS-Regisseur Peter Jackson durchgemacht hat: Vom Splatter-Film-Macher für ein Minoritäten-Publikum hin zum Erschaffer des Fantasy-Event-Streifens für Millionen von Zuschauern in aller Welt.
THE GODFATHER ist in dieser Vierer-Gruppe tatsächlich der Vertreter einer anderen Art von Film: klassisches Erzählkino, dramaturgisch ausgefeilte Spannungsbögen und fein gezeichnete Charaktere, Schauspieler und Regie-Kino für eine erwachsene, anspruchsvolle Zielgruppe. Die drei anderen Filme dagegen legen den Grundstein auch für den heutigen Erfolg des Fantasy- und des engverwandten Horrorgenres. Alle drei Filme bedienen sich einschlägiger Elemente dieser Genres, besonders STAR WARS ist eher ein Märchen- oder Fantasyfilm in einer Science-Fiction-Kulisse (was George Lucas auch nie bestritten hat) denn ein Science-Fiction-Film. Robert Blanchet bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt, dass diese Filme zunehmend die "künstlerische Ambition" zugunsten von "Spannungsmomenten, Schockeffekten und spektakulären Schauwerten abstreifen".
Böse Zungen behaupten ja schon seit langem, Produzenten des Hollywood-Massenkinos hätten als typischen Repräsentanten ihrer Zielgruppe einen US-amerikanischen, männlichen 17-jährigen, mittelmäßig gebildet und aus dem ländlichen Mittelwesten stammend, vor Augen. Also jemanden, der Shakespeare für einen der Hunde der Osbourne-Familie hält und zu den 2/3 der US-Schülern zählt, welche die Vereinigten Staaten nicht auf der Weltkarte finden. Aber genau diese Bevölkerungsschicht war es, für die das Fantasy- und Horrorgenre in den 1950er Jahren gemacht wurde.
Der Begriff der Zielgruppe bzw. des zielgruppengerechten Filmprodukts erhält in diesem Zusammenhang erstmalig in der Filmgeschichte eine gewisse Bedeutung. Jack Arnold und Roger Corman z.B. schufen für ein jugendliches, anspruchsloses Vorstadt-Publikum, das vornehmlich die Autokinos frequentierte, klassische Vertreter des Horror/Fantasy-Genres wie ATTACK OF THE CRAB-MONSTERS (USA 1957), CREATURE FROM THE BLACK LAGOON (USA 1954) oder THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (USA 1957). An der Formel des fantastischen Films, seinen Elementen und Figuren (sei es Fantasy oder Horror) hat sich, im Prinzip seit Stummfilmtagen, bis heute nichts Wesentliches geändert. Der fantastische Film suchte und fand ab den 1950er Jahren lediglich ein neues Publikum. Diese Entwicklung und ganz spezielle Wechselbeziehung zwischen fantastischem Genre und seinem spezifischen Auditorium hat sich bis heute bewahrt. Das Autokino wurde lediglich durch das Multiplex ersetzt, welche auch zuerst in der Vorstadt (z.B in Sulzbach) enstanden. Das heutige Publikum will ebenfalls angenehm und unkritisch unterhalten und intellektuell nicht herausgefordert werden.
Es spricht somit nicht sehr für unsere Gesellschaft, dass auch Erwachsene sich z.B. in Harry-Potter-Filme begeben: Zweifellos geht der Erfolg der Fantasy-Filme einher (und wird ermöglicht) mit einer zunehmenden Infantilisierung unserer Gesellschaft. Denn im Prinzip bleiben die Harry-Potter, Herr der Ringe und Star-Wars-Reihen, auch in ihrem filmästhetischen Duktus, lediglich Verfilmungen von Kinder- und Jugendbüchern. Und: ganz offensichtlich können sie diese literarischen Wurzeln nicht verleugnen. Die durchgestylte, MTV-mäßige, platt-eindeutige Bildsprache, der Versuch, das Publikum auf keinen Fall mit zweideutigen Bildbotschaften zu verstören, spricht u.a. für diese Annahme. Die Bildsprache von z.B. THE LORD OF THE RINGS ist technisch aufwändig, mit enormen FX-Aufwand und CGI-Elementen aufgemotzt, doch kompositorisch eigentlich schlicht und auf ihre reine Oberflächenwirkung reduziert. Und offenbar kennt Regisseur Jackson nur zwei Einstellungssgrössen: die riesenhaften, extrem nahe Grossaufnahme sowie die unecht wirkende, per Computer aufgemöbelte Panorama-Totale. THE LORD OF THE RINGS scheint aus nichts anderem zu bestehen: Gesichter (ohne Stirn) wirklich langweiliger Schauspieler füllen die Leinwand und tauschen dümmlich-kryptische, pseudo-philosophische Dialoge von geradezu monumentaler Schlichtheit aus. Dazwischen füllen von Programmierern gebastelte Totalen mit allerlei Landschafts- und Kulissenkitsch die Leinwand. Der ganze Film besitzt keine einzig natürlich-komponierte Einstellung, nicht ein einziges emotional berührendes Bild. Was für gefühlig betrachtet wird, endet im larmoyanten Kitsch, zeigt heulende Hobbits, verstärkt durch Weichzeichner, und ertränkt in einer suppig-breiigen Musik.
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