FILMZ - Wenn ich mittwochs in mein Kino geh
Er geht fast verloren im vollgepackten FILMZ-Filmprogramm, und er ist sicherlich auf eine der unattraktivsten Spielzeiten hinprogrammiert worden - dennoch sollte, wer irgend kann, sich am Mittwoch, den 25.11. um 15 Uhr die sehr lustige, sehr locker-leichte Komödie "Ich bei Tag und du bei Nacht" ansehen.
80 Jahre Tonfilm will FILMZ mit diesem Film von 1932 feiern, denn, jawohl: der Ton macht die Musik. Bei "Ich bei Tag und du bei Nacht" handelt es sich um eine sogenannte Tonfilmoperette, der Begriff wirkt etwas abschreckend, gemeint ist aber schlicht: eine Komödie mit ein paar Musikeinlagen, zwei, drei, vielleicht mal vier Schlager - und nicht etwa die ganze Zeit Gesang wie in der traditionellen Bühnenoperette, und auch nicht ein Film über Musik. Ein Film mit Musik eher, ein Film wie Musik.
Das Ende der Weimarer Musik, das mit dem Einzug des Tonfilms in die Kinos zusammenfiel, war die ganz, ganz große Zeit des deutschen Films - niemals danach konnte das deutsche Kino die damalige Qualität wieder erreichen. Die damaligen Ufa-Produktionen - vor allem die von Erich Pommer verantworteten - waren nicht nur auf der Höhe ihrer Zeit, sie waren ihrer Zeit voraus - oft genug mit größerer Sorgfalt, größerer Fantasie, auch mit größerem Tempo und mehr innerer Dynamik hergestellt als die zeitgenössischen Hollywoodfilme. Und ich spreche hier nicht nur von Filmen, die heute als kunstvolle Klassiker gelten - "Der blaue Engel" oder "M" -, sondern von der ganz normalen Unterhaltungsware. "Die drei von der Tankstelle" war der erste wirklich große Erfolg der Tonfilmoperette, der Film zog viele andere mit ähnlichem Konzept nach sich - ein Konzept freilich, das sich nicht verbrauchte. Die Filme boten allerbeste Handwerkskunst der größten Ufa-Künstler auf, Willy Fritsch und Lilian Harvey etwa, Friedrich Hollaender und W. R. Heymann für die Musik, Billie Wilder und Walter Reisch beispielsweise beim Drehbuch, Regisseure wie Wilhelm Thiele, Paul Martin oder eben Ludwig Berger. Organisator des Ganzen: Erich Pommer.
In "Ich bei Tag und du bei Nacht" spielen Fritsch und Käthe von Nagy, auch eine dieser quirligen Frauenfiguren, Ludwig Berger (in Mainz geboren!) führte Regie; und es tauchen auch die Comedian Harmonists auf. Es geht, wie so oft in diesen Filmen, um Verwechslungen, um die Hoffnung auf das große Glück, um Missverständnisse, dass einer den anderen für mehr hält, als er ist - und das ganze wunderbar raffiniert verdreht, mit viel Witz, mit großem Esprit. Willy Fritsch spielt hier einen Kellner, der nur tagsüber in seinem Zimmer wohnt, um zu schlafen - sodass das Zimmer für die Nacht an Käthe von Nagy vermietet wird, die tagsüber die ganze Zeit auf den Beinen ist. Unbekannterweise hassen sich die beiden: jeder bringt halbtäglich die Sachen des anderen in Unordnung; und natürlich, als sie sich kennenlernen, ohne zu wissen, wer der andere ist, verlieben sie sich... Billy Wilder hat diese schön-lustige Grundidee in "Sunset Boulevard" als Drehbuch-im-Film verwendet.
Überhaupt: Wer sich ein bisschen für Selbstreflexivität des Films interessiert, muss sich Tonfilmoperetten ansehen. Hier wird stets Bezug genommen auf das Medium selbst, ironisch stellen sich die Filme als Filme dar; so auch hier: Der große Ufa-Schlager dieses Films ist "Wenn ich sonntags in mein Kino geh", und genau darum geht es, um die Filmhaftigkeit dieser märchenhaften Liebe zwischen Fritsch und von Nagy, die in einer der Realität ganz enthobenen - und als solche auch dargestellten - Traumwelt agieren.
Wobei, und das ist die Kunst der besten Tonfilmoperetten: Diese Traum-Filmwelt doch verwurzelt ist in der Realität des Lebens, sprich: damals in der Weltwirtschaftskrise, in der eben ein ganzes Zimmer den ganzen Tag viel zu teuer ist, weshalb man die Miete und die Tageshälften mit anderen teilen muss; und daraus erwächst das Glück der Liebe.
Der Traum vom großen Glück ist dargestellt als Traum, aus dem der Kinozuschauer erwacht, wenn der Film zuende ist: Eskapismus, der sich seines Eskapismus bewusst ist, der ihn nicht verleugnet, sondern für sich zu nutzen weißt.
"Ich bei Tag und du bei Nacht" ist heute noch so modern wie damals.
Harald Mühlbeyer