Hof-Berichterstattung: Dokumentarisches - Teil 2
Alexander Kluge hat Stefan Aust angerufen und zum Interview nach München bestellt. Angeblich sollte es um das Ende der Glühbirne gehen, doch Kluge hatte was anderes vor: er befragte Aust nach dessen Eindrücken, Erinnerungen, Meinungen, Glaubenssätzen zu 60 Jahre Bundesrepublik.
Dieses Interview - im Hintergrund noch immer die Glühbirne - ist das Rückgrat von "Der Deutschland-Komplex" von Alexander Kluge und Stefan Aust, der 21.915 Tage BRD Revue passieren lässt. Und zwar auf typische Kluge-Art, wie er auch seine kürzeren Filmchen für seine dctp-Schienen bei RTL und Sat.1 produziert: vollkommen assoziativ zusammengestellt, begleitet von seinem flüsternden Raunen, voll von Sätzen und Halbsätzen, die sich wie Aphorismen anhören, mit Blick auf das Abseitige, Unerwartete, mit einem umfassenden Wissen (und Ahnen) der Zusammenhänge (oder ihrer Möglichkeiten). Seine ganz spezielle Form des Essayfilms.
Das kann funktionieren. Und kann scheitern. Hier scheitert es.
Denn einmal kennt man all das meiste schon aus diversen anderen Erinnerungsfilmen - auf andere Art aufbereitet, OK, aber inhaltlich kaum unterschieden. Vieles ist Bildmaterial von damals, auch aus Spiegel TV-Reportagen. Zudem sind die kleinen Überraschungen, die kleinen Nebensächlichkeiten zu breit ausgewalzt, um pointiert zu wirken. Das funktioniert noch - wegen seiner Abseitigkeit - in der Sequenz, in der schlicht eine lange britische Ballade über den Untergang des Segelschiffs "Deutschland" rezitiert wird; wenn dann aber minutenlang eine Parade russischer Soldaten gezeigt wird, ist klar, dass Kluge das Gespür für seinen Stoff abhanden gekommen ist; leider.
So ist es nun mal: seine Methode ist fragil, sie kann auch mal als Ganzes versagen.
So war es auch im Vorfilm "Beinahe wären wir Römer geworden", in dem Kluge Helge Schneider befragt, der einen Mühlheimer Oberstudienrat und Vorsitzenden des Varus-Vereins spielt; angeblich geht es um 2000 Jahre Varusschlacht und das Bedauern darüber, dass die Römer nicht gewonnen haben: dann wären wir vielleicht ein zivilisiertes Volk geworden. Was als Entwurf sehr schön ist, hat überhaupt nichts mit dem Inhalt zu tun, der mitunter sehr lustig ist - wie könnte es anders sein in einer Kluge-Schneider-Begegnung -, der aber mitunter hakt. Vielleicht, weil Schneider zuwenig Latein kann, um Kluges Hochniveau-Einwürfe auffangen zu können; vielleicht auch, weil er sich zu sehr auf seinen gespielten Dialekt konzentriert - hessisch mit kleinen sächsischen und allemanischen Einschlägen -, um wirklich spontan zu improvisieren.
Statt mit den großen Dingen wie Deutschland und seiner Geschichte beschäftigt sich Peter Hümmeler mit "Franks Welt". Frank ist Zuhälter irgendwo in einem Dorf bei Osnabrück; nein, kein Zuhälter: Geschäftsführer eines FKK-Clubs, keiner, der die Mädels zu was zwingt und ihnen das Geld abnimmt, der sie prügelt oder missbraucht. Darauf legt Frank Wert. Aber natürlich ist er ein Schrank von einem Mann, Glatze, Tattoos, die ganzen Statussymbole wie Goldkettchen, dickes Auto, bunte Hemden ("Finde ich inzwischen ganz ansehnlich"). Man muss halt nach was aussehen, sich den Respekt erarbeiten, gerade in dieser Branche, sagt Frank. Und erzählt auch immer wieder von früher, als er durchaus zu Gewalt neigte, sich Schießereien mit polnischen Konkurrenten lieferte, in der Disco einen halbtot prügelte...
Ja: Frank ist der Obermacker. Er wohnt auf einem Bauernhof mit einem seiner Mädels zusammen, Nadine, die er hält wie seine Hunde. Und Pferde. Und Paviane. Er ist der Rudelführer, ganz klar, und in diese Welt - auch Denkwelt - lädt Hümmeler mit seinem sehr nahen, einfühlsamen, faszinierenden Porträt die Zuschauer zu einem Besuch ein. Hier funktioniert das Patriarchat noch, Frank würde nichts anderes zulassen, und Nadine fügt sich gerne ein. Sie liebt ihn, sie liebt Pferde und Hunde, und im Club macht sie ihren Job. Besser als bei Aldi kassieren, sagt sie.
Und das ist kurzweilig. Das ist auch sehr lustig, weil Frank so ne richtige Type ist. Er hat jetzt mal Urlaub genommen für zwei Jahre, kümmert sich um seine Hundezucht (Kampfhunde natürlich!), vielleicht ist er deshalb so entspannt. Vielleicht hat er auch einfach alles erreicht, was er je erreichen wollen, einen hohen Lebensstandard, einen leichten Job, viele Mädels, bei denen er sich bedienen darf... Vielleicht zeigt der Film das Ende eines Zuhälters und den Beginn eines Ruhestandes mit Frau und Kind. Vielleicht wird Frank aber seine Welt auch nie verlassen, weil sie so isoliert ist von allem, was außerhalb von seinem Anwesen und seinem FKK-Club stattfindet.
Harald Mühlbeyer