Grindhouse Triple Feature: Drei Überraschungsfilme am 18. Dezember 2021, Cinema Quadrat Mannheim
„Sometimes Aunt Martha Does Dreadful Things“, USA 1971, Regie: Thomas Casey
„Die Saat der Angst“ / „Una vela para el diablo“, Spanier 1973, Regie: Eugenio Martin
„Das Blut der roten Python“ / „Tian long ba bu“, Hongkong 1977, Regie: Hsueh-Li Pao
Familie: Gerade an Weihnachten liegen dem Menschen der traute Partner, die lieben Geschwister, der süße Nachwuchs am Herzen, und bewusst oder unbewusst bedient dieser formidable Grindhouse-Dreifach-Abend die Sehnsucht im Herzen nach den geschätzten Mitmenschen. Also, ich mein’ jetzt: vermischt mit Hass und Blut und Mord und Intrige und so weiter und so fort.
Tante Martha kehrt nach Hause zurück. Die Nachbarin, hochschwanger, sucht Anschluss, aber Martha fertigt sie ab – sie will rein ins Nest ihrer Privatheit, wo sie endlich die kratzende Perücke absetzen kann. Weil eigentlich ist Martha nicht Martha, sondern Paul: Ein untersetzter, etwas rundlicher, nicht mehr ganz vollhaariger Herr in den besten Jahren. Der hier in den Suburbs von Miami zusammen mit Stanley lebt: Der ist jünger, und wie es um ihre Beziehung bestellt ist, das sehen wir schon in dieser ersten Sequenz von „Sometimes Aunt Martha Does Dreadful Things“: Das Telefon klingelt, Martha weiß schon, wer dran ist, aber Stanley sagt nichts, er ist unterwegs mit einer jungen weiblichen Schönheit und quält Martha/Paul, indem er sie/ihn genau dies wissen lässt. Stanley und seine Gespielin haben Spaß am Strand, nachts drängt sich das Mädel auf, sie will mit Stanley ins Haus, will mit ihm ins Schlafzimmer, zieht sich dort aus, sie ist schlichtweg geil – und Stanley krümmt sich in Unbehagen, schließlich ist die „Tante“ nebenan, er wehrt sich, als das Girl ihm an den Hosenlatz geht, da stürmt die Tante auch schon rein, wütend wie eine Tarantel, jagt das Mädchen aus dem Haus, verfolgt sie, Martha hat auch ein Messer dabei, sie holt ihr Opfer ein - - -
Tante Martha hat wieder mal eine ihrer fürchterlichen Taten vollbracht, von denen der Filmtitel redet. Und sie – also er: also Paul – hält Stanley weiter in ihrem Bann, in Abhängigkeit: Denn die beiden sind Verbrecher, das haben wir schnell raus, in Baltimore sind sie gesucht, haben sich nach Florida abgesetzt, hier hausen sie zusammen, ein Liebespaar, das sich hasst, das fiese Spiele miteinander treibt, das sich triezt und neckt, und das Necken und Triezen geht bis aufs Blut. Stanley zahlt Paul einiges heim, indem er mit Frauen rummacht, gleichzeitig tickt er aus, wenn die ihm an die Wäsche wollen, Paul ist eifersüchtig bis ins Letzte, behandelt zugleich Stanley wie den letzten Dreck, hängt aber an ihm, hat ihn an sich gebunden: Denn Stanley hat damals in Baltimore die gute alte Mrs. Robinson gekillt, Paul hält ihm das immer wieder vor, und welche Opfer er, Paul, auf sich nimmt für Stanley, und wie er sich abmüht…
„Sometimes Aunt Martha Does Dreadful Things“ ist ein kruder Film, Regisseur Thomas Casey hat das filmischen Handwerkszeug nicht drauf. Schauspielerführung, Kameraführung, Filmschnitt, das ist alles nur sehr rudimentär, der Film ist ohne Kunstfertigkeit zusammengekloppt, die Schauspieler gehen eher in Richtung Laiendarstellung, und die Dramaturgie ist auch mitunter willkürlich – aber das Krasse ist, dass der Film trotz dieser Mängel, dieser Low Budget-Machwerkigkeit packt, dass er emotional funktioniert: „Emotional“ nicht im Sinne von Einfühlung und/oder Identifikation, sondern von abschreckender Ergriffenheit angesichts dieser schrecklichen Paarbeziehung. Ein schwules Paar in einem Grindhouse-Film ist ja ohnehin eine höchste Seltenheit, zumal wenn die Schwulen nicht als lächerliche Pausenclowns, sondern als ernstzunehmende Hauptfiguren gesetzt sind. Paul und Stanley sind auch nicht pure filmische Gimmicks, die’s halt interessanter machen: Sie sind vielmehr Exemplare einer psychopathischen Paarbeziehung, in der zumindest Paul wirklich irre ist, Stanley auf bestem Weg dahin, beide nicht voneinander lassen können, beide sich zutiefst quälen – und diese toxische Beziehung vergiftet nicht sie selbst, sondern wirkt nach außen, durch ein, zwei, drei Morde.
Paul ist ein Killer, kein Zweifel – und der Film zeigt ihn als Liebenden, erfüllt zumindest von dem, was bei einem Psycho- und Soziopathen wie ihm der Liebe nahe kommt. Er und Stanley zerfleischen sich selbst, metaphorisch, und buchstäglich zerfleischt Paul dann die weiblichen Eroberungen, die Stanley macht. Wieweit Stanley davon weiß, vielleicht auch sadomasochistische Befriedigung darin findet, das lässt der Film nicht so recht raus. Stanley jedenfalls ist jung und unbedarft, und deshalb kann auch Paul mit ihm rumspringen, wie er will: Mit demütigenden Bemerkungen beispielsweise, oder mit konservativ-reaktionärem Rollenverhalten, mit dem er Stanley Anstand beibringen will – hier gelingen einige schöne subkulturelle Spitzen gegen das Nixon-Amerika, gegen die 50er-Jahre-Doppelmoral, gegen die guten alten Werte, die im Generationenkonflikt der 1960er zur Disposition standen: Tante Martha wird zur alten Vettel, wenn sie Stanley runterputzt, weil er nichts im Haushalt macht, und überhaupt: Geh zum Friseur! Sowieso: Meinst du, es macht Spaß, die ganze Zeit im Fummel und mit Perücke rumzulaufen, nur um die Tarnung aufrechtzuerhalten, um Stanley zu schützen?
Einen reichhaltigen Assoziationsspielraum eröffnet der Film: Der reicht von Laurel und Hardy, wenn Martha wieder mal einen ihrer „Da hast du uns ja wieder eine schöne Suppe eingebrockt“-Blicke wirft; geht weiter zum „seltsamen Paar“, mit dem waltermatthauischen Hallodri und dem jacklemmonischen Pedanten – nur dass „Martha“ ihre Neurosen nicht in sich reinfrisst, sondern sie in psychotischen Morden externalisiert; das Jack-Lemmon-hafte natürlich erweitert bis zum Drag-Träger in „Manche mögen’s heiß“. Was in der Filmkomödie Gang und Gäbe ist, die Beziehungsbrüche, verquickt mit latenter Homoerotik, das spielt Regisseur Casey voll aus, gewendet in den Psychothriller mit diesem unglaublich vergifteten Verhältnis der beiden Liebhaber zueinander. Katalysator der Katastrophe ist ein alter Bekannter aus Baltimore, der sich bei Stanley für ein paar Nächte ins „Tante Martha“-Haus einlädt, dort rumschnüffelt und eine zumindest erpresserische Bedrohung ist…
Wichtig ist die Gartenhütte, die ist ein paar Meter durchs Gebüsch vom Haus entfernt, hinten, versteckt – dort ist die Truhe mit dem in Baltimore erbeuteten Schmuck; dort feiert Stanley mit ein paar Freunden eine Haschorgie, dort kommt es fast zu einem flotten Vierer – wenn Stanley nicht einen seiner Rückzieher machen würde. (Was natürlich wieder Tante Martha auf den Plan ruft…) Dort kommt es auch zu einer der schrecklichsten Szenen: Die Nachbarin nämlich, die Schwangere, die so gerne eine Freundin sucht in „Tante Martha“, wird umgerannt, als Martha in Mordsraserei den Baltimore-Schnüffler verfolgt; Stanley packt sie ins Auto, fährt – nein: nicht ins Krankenhaus, sondern zur Gartenhütte, wo die Schwangere am Herzanfall stirbt! Schwanger! Und tot! Das kann nicht einmal Stanley ertragen, der so viel ertragen hat und das Ertragene immer wieder seinem Paul zurückgezahlt hat: Mit dem Messer, mit dem einst Frau Robinson gekillt wurde, schneidet er die Nachbarin auf, holt das Baby – das sehen wir nicht, was alles umso schrecklicher macht. Immerhin überlebt das Kleine. Sonst überlebt, natürlich, keiner, wie denn auch. In einem Filmstudio, auf der Flucht, kommt es zum Showdown zwischen den Liebenden…
Eine Mutter mit Kleinkind in Todesgefahr: Das ist eine der Verbindungslinien zwischen „Sometimes Aunt Martha Does Dreadful Things“ und dem spanischen Horrorthriller „Die Saat der Angst“ – im Original „Una vela para el diablo“, also: Eine Kerze für den Teufel. Hier ist es nicht die pervertierte Psychopathologie der Liebe, sondern die durch und durch empfundene Frömmigkeit des Katholizismus, die eine simple Herberge in einem spanischen Dörfchen zur Mörderhöhle macht – „It Happened at Nightmare Inn“ lautet der englische Titel dieses Films, in dem wir zwei Schwestern erleben, die über Leichen gehen, für die Liebe Gottes.
Es ist ja auch furchtbar: Da versammeln sich die Jungs auf dem Nachbardach, um rüberzulinsen zu diesem englischen Flittchen, das sich oben, auf der flachen Fläche überm Hotel, sonnt – oben ohne! Die Schwestern Laura und Marta (!), Inhaberinnen der Pension „Las dos hermanas“, sind empört, stellen ihren Gast zur Rede, schmeißen sie raus (wohlgemerkt: die Frau, nicht die jugendlichen Spanner) – und werfen sie dabei die Treppe runter. Das kann ein Unfall sein, wirkliches Zufallspech, zumal, dass das Opfer in ein kirchenfensterlich bemalten Glasscheibe fällt und daher stirbt. Man könnte zur Polizei gehen – doch Marta besteht darauf: Das war der Wille Gottes, der diese Sünderin bestraft hat. Und in der Küche, da brennt ja das Feuer im großen Holzofen…
Später sehen wir eine junge Frau aus dem Bus aussteigen, der ein-, zweimal am Tag den Ort befährt, und wir sehen da schon alles in der Wahrnehmung der beiden Schwestern: Wie die aussieht! Kurze, aufreizende Hose, knappes, durchscheinendes Top: ein Flittchen, wie es im Buche steht, das den Männern den Kopf verdreht (im wahrsten Sinne des Wortes: Sie läuft mal durch die Straße, und alle starren ihr nach, alle, alle!) Sie steigt in dem Hotel ab. Sie wird misstrauisch beäugt von den Wirtinnen. Und weil sie auch gerne spätnachts erst in der Pension austaucht, und weil sie die Schwestern provoziert, und weil sie gar halbbesoffen der einen das Kleid runterzieht, aus Spaß und Heissassa – klar, sie wird auch umgebracht.
Und dann kommt da noch eine: Eine junge Frau, Ausländerin wie die anderen, sie hat ein Baby in der Rückentrage, und das Baby ist süß, und die Mutter ist nett, und die beiden Schwestern ganz angetan. Bis sie erfahren, dass das Kindlein keinen Vater hat! Eine Frucht der Sünde ist! Und sie werden doch nicht… eine junge Mutter… mit süßem Baby…???!!! Es gibt definitiv eine innere Verbindung zwischen „Saat der Angst“ und dem „Aunt Martha“-Film, zuerst eine Schwangere, jetzt eine Mama.
Die mörderischen Schwestern – eine Frau entkommt ihnen, zunächst. Die Schwester des ersten Opfers stellt Ermittlungen an, sie lernt dabei einen Reporter kennen, der war mit dem Mordopfer verabredet, beide sind misstrauisch, da ist doch was los – und das ganz, ganz große Plus des Films ist, dass zwischen diesen beiden, die dem verdächtigen Verschwinden mehrerer junger Frauen nachgehen, keine Liebesgeschichte losdampft! Zeichen für die hohe Qualität des Films, der aus dem möglicherweise höchst reißerischen Stoff einen nahezu hitchcockesken Horrorthriller entstehen lässt – und Hitch hätte natürlich die Liebesgeschichte zugelassen! Regisseur Eugenio Martin aber fokussiert auf die beiden Schwestern, Marta, die Dominante, und Laura, die Mitläuferin – beide so fest im Glauben, dass diese Frömmigkeit jedes fünfte Gebot übertrumpft.
Und das Besondere daran: So sehr die beiden, unter Martas Führung, ihre Religiosität leben – und anderen das Leben nehmen –, so sehr sind sie selbst dem Weltlichen unterworfen: Denn Laura schleicht immer wieder aus dem Haus, um sich mit dem jungen Hausknecht zu treffen, dann ficken sie. Was Marta natürlich nicht wissen darf – aber sie ahnt es: „Laura – der ist 20 Jahre jünger als du!“ Und wenn Marta spazieren geht und in den Dünen heiteres Lachen hört, dann versteckt sie sich im Gras und schaut den nackten Jünglingen beim fröhlichen Ballspiel am Strand zu, und ein merkwürdiges Gefühl bemächtigt sich ihrer, und des Abends kleidet sie sich in einem feinen Tuche und schminkt sich den Mund…
Das weitere Plus des Films ist, dass er diese Scheinheiligkeit zeigt, aber darüber nicht übermütig wird: Es gibt keine direkte moralische Verurteilung der beiden Mörderinnen, sondern alles bleibt beim Darstellen, bei der Darstellung einer komplexen Welt, in der die Menschen nicht sind, was sie scheinen, die deshalb Gott als alleinigen Maßstab nehmen, diesen Maßstab aber drehen und verbiegen, bis er ihren Maßen passt.
Dabei folgt die Handlung einem wirklich bitteren Weg; nicht nur der Schock, dass eine junge Mutter hinweggerafft wird, sondern auch, sozusagen genrebezogen, der Schock, dass es möglicherweise gar kein Final Girl gibt und geben kann, weil die ermittelnde junge Dame und ihre Reporterfreund den beiden Mordschwestern zu spät oder zum falschen Zeitpunkt auf die Schliche kommen: Nachts schleichen sie in den Keller unter der Küche, nacheinander, immer einzeln, immer ohne Backup, unten stehen zweifrauhohe Tonkrüge, in denen der Wein lagert, und nicht nur der Wein. Man muss den schweren Deckel abnehmen, kann mit einem langen Holzstab in der roten Flüssigkeit rühren, und dann findet man…
Bis zum Schluss bleibt der Film spannend, der einem keine Erleichterung durch komische Momente bietet, durch Ironie oder auch durch dilettantisches Filmhandwerk, nein: durchweg gut gemacht ist der Film, und auch klug konzipiert: Zwischendurch gleitet der Film in ein Kloster, das nun Museum ist, die Kamera schleicht in Nahaufnahmen über die Gemälde von Hieronymusboschhöllen.
Dass ein solches Werk im spätfaschistischen Franko-Spanien entstehen konnte, das nicht wie sonstiger Spanienhorror rein auf Grusel und Publikumskitzel aus ist, sondern tief einsteigt die die Religionsgewalttaten, ist erstaunlich – demgemäß wurde der Film auch im Heimatlande tunlichst zusammengekürzt. Aber Gottseidank gibt es Auslandsfassungen…
Kommen wir zum lustigen Teil des Abends, der den Themenkreis von Familienbande und Tötungen harmonisch abrundet.
„Das Blut der roten Python“ beginnt mit einer elegischen Kamerafahrt durch ein heimeliges Heim. Geschirr auf dem Tisch, eine Kerze brennt, die Vorhänge ums Himmelbett bauschen sich, darin liegen engumschlungen Frau und Mann in zärtlicher Vereinigung – keusch angekleidet übrigens, ohne zuviel nackte Haut, denn in dieser Szene geht es um etwas anderes, nämlich um Unmoral. Die Frau, total verliebt, gesteht ihm ihre Schwangerschaft, er guckt so, dass man nichts Gutes befürchtet, beteuert allerdings seine Freude, sieht aber Schwierigkeiten, weil die Frau ist ja verheiratet – und schon tritt der Gehörnte ein, und es kommt zum Kampf, weil beide können gut kämpfen. Nicht nur die üblichen Martial Arts-Moves, nicht nur das Shaw-Brothers-typische Hochhüpfen vulgo Fliegen, sondern der Liebhaber schießt auch aus seinen Handflächen leuchtende Strahlen ab. Nein, das ist keine Zauberei, das Geheimnis der Strahlen ist uraltes Wissen in seinem Clan, während der gehörnte Ehemann seinerseits das Geheimnis des sengenden Feuers kennt, aber das kann er hier nicht mehr offenbaren, weil er hoch aufs Dach gehüpft ist und an der Dachkante sitzt und die Strahlen treffen ihn an den Knien und seine Beine fallen ab und landen auf dem Boden. Dann taucht die Verlobte vom Liebhaber auf und verkündet, ja, das Techtelmechtel ist ja gut und schön, aber der Liebhaber kann ja nicht unter Stand heiraten und überhaupt und die Schwangere bleibt einsam und verzweifelt sitzen. Ende des Epilogs.
20 Jahre später lernen wir einen jungen Mann kennen im Palast seines Vaters. Er ist ein Bücherwurm, der die Poesie liebt und den Kampf hasst, sprich: ein Schwächling; sein Vater ist da von anderem Geblüt – er ist der Liebhaber vom Anfang, König in seinem Reich und Ursache für den Männerhass der Frau, die er damals schwanger hat sitzen lassen – sie hat die Frucht ihres Leibes inzwischen zur männerhassenden Kämpferin ausgebildet; während der beinlose Ehemann wiederum auf einer Art Thron in einer düsteren, aber bunt beleuchteten Felsgrottenhölle sitzt und einen Kumpel hat: Der ist wohl eine Art Dämon, mit enormer Hummerzange als Arm (vielleicht aber auch geschmiedetes Stahlwerkzeug, das ist nicht ganz klar), jedenfalls mit grüner Hautfarbe in Gesicht und Glatze – wobei er ein hervorstechendes Gebiss hat, so dass er aussieht wie Toni Erdmann in der Hongkong-Märchenfilm-Version.
Beim müßigen Spazierengehen durch den Wald lernt unser poetischer Jüngling eine weitere Protagonistin kennen, die dort sitzt und mit ihren Schlangen spielt, und zwischen ihnen entwickelt sich ein spritziger Dialogschlagabtausch, ganz klar, Liebe liegt in der Luft, aber dann geraten sie unter die Räuber. Die haben eine Grube ausgehoben, darinnen sind sie nun gefangen, und die Schlangenfrau zaubert eine ihrer Schlangen unter die Haut des Räuberhauptmanns, der dafür den Jüngling freilassen muss – sie will ihm die Schlange dann irgendwann wieder rausnehmen.
So. Zusammenfassung. Wir haben eheliche Untreue, Verrat, Demütigung, einen Schwächling, Laserstrahlen, Schlangenzauber. Ach ja, eine Zauberkröte hat die Schlangenfrau auch noch. Und einen Namen nennt sie, ich weiß nicht mehr welchen, und alle Leute scheuen zurück, wenn der Jüngling ihn ausspricht, denn, das ist bald heraus, es ist ein Spitzname, und der wirkliche Name gehört genau zu der männerhassenden Kämpferin, von der allein wir wissen, dass sie die Halbschwester unseres Jünglings ist. Weil er sie vor Unholden warnen will, und weil sie aber die Unholde ordentlich verdrischt und dabei ebenfalls lasermäßig aus ihren Händen schießen kann, finden die beiden sich gut. Am Flüsschen hocken sie traut beinander, als – oh, ich habe vergessen vom Mythos zu erzählen, der den Filmtitel ausmacht! Wie konnte ich nur so dumm sein! Das ist doch das Wichtigste!
Aber andererseits auch egal, weil nämlich auch nur eines von vielen Sensationen in vielen Episoden in diesem unheimlich vollgepackten Film, in dem jederzeit alles passieren kann! Da gibt es nämlich eine mysteriöse rote Python, hat die Schlangenfrau erzählt, die erscheint nur selten, nämlich dem, der nie etwas Böses getan, und da haben wir die Nachtigall schon trapsen gehört – jetzt isse da. Also die Python, die eher eine Art Monsteranakonda ist, da, im Bächlein, und der Jüngling springt rein und beißt ihr, verheißungsgemäß, die Kehle durch, trinkt ihr Blut und wird unheimlich stark, also so siegfriedmäßig. Man sieht die Schauer der Stärke durch seinen Körper schimmern, das ist so auf das Filmbild draufgemalt, ähnlich wie die Strahlenblitze, das ist technisch ungefähr so wie in „Krieg der Sterne“, aber irgendwie noch cooler. Weil jetzt der Toni Erdmann-Hummer-Dämon auftaucht und die beiden aufmischen will, und die starke Männerhasserin ist aber jetzt nicht mehr so stark, weil sie ja auch keine Männerhasserin mehr ist, sondern vielmehr verknallt in den Jüngling, weil nun der so stark ist und sie sich ihm unterordnen kann, der Dämon jedenfalls wird von unserem Jüngling ordentlich verdroschen und schleicht sich zurück zu seinem Meister, dem gehörnten Ehemann vom Anfang, und der freut sich, weil nun das Ultimative geschieht, dass nämlich Bruder und Schwester sich alsbald verloben werden, harharhar!
Es geht dann noch viel hin und her. Das liegt auch daran, dass dieser Film eine Literaturverfilmung ist, eines dreibändigen Fantasy-Romans, und wahrscheinlich sind alle drei Bände hier untergebracht, wer weiß. Bei den Eltern jedenfalls kommt es zur Keilerei zwischen beinlosem Bösewicht inkl. Dämon und dem Papa, der seinerseits schon den Inzest wittert – wobei auch Feuerspucken ins Repertoire aufgenommen wird. Ex-Jüngling und Ex-Männerhasserin werden in einen tiefen Brunnenschacht geworfen. Und nicht nur das: Es wird auch ein Kampfgorilla auf sie losgelassen. Warum nicht? Ich meine, klar, der Kampfgorilla, vor dem wir alle uns ja in Acht nehmen müssen, weil er so stark ist! Stärker noch als der pythonblutgestärkte Jüngling, da hilft nur eines!
Wer aufgepasst hat, kann es erraten. Klar, die Lösung ist die Zauberkröte von der Schlangenfrau, die trägt er nämlich in seinem Wams, und er schleckt daran, und wieder jagen die aufgemalten Schauer in seinem Körper, und wumms, und dann kann er auch noch den Brunnenschacht hochfliegen und die Steinplatte wegstemmen, die ihn verschließt, und im Endkampf vor dem Brunnenturme hoch oben auf dem Berge, da kommt dann endlich das am Anfang versprochene Geheimnis des sengenden Feuers ins Spiel, abgesehen von den Laserstrahlen aus den Händen, die übrigens auch noch die verschärfte Form der Sichelstrahlen annehmen kann, und es geht hin und her und es gib Tote! Nämlich die Schwester, also Beinaheverlobte, was den Vollzug des Inzests glücklich verhindert, und die Moral von der Geschicht ist am Ende: Es ist immer gut, wenn man(n) noch eine Ersatzfrau aufbieten kann, sprich: die Schlangefrau – und damit Happy End.
Ein ganz unglaublicher Film ist dies, in dem alle Schandtaten vorkommen, der den familiären Hass wie kaum ein anderer abbildet und daraus die schönsten Geschichten spinnt, die nie jemals vorhersehbar sind. Und deshalb ist dieser Film einer der besten Märchenfilme, die es überhaupt geben kann, weil all seine Gestalten durch all den Zauber um sie herum ganz unbedarft wandeln. In seinem überaus wichtigen Buch Das europäische Volksmärchen arbeitet Max Lüthi das heraus:
„Der Märchenheld handelt und hat weder Zeit noch Anlage, sich über Seltsames zu wundern. […] Er verwundert sich nicht, er fürchtet sich nicht: das Gefühl für das Absonderliche fehlt ihm. […] Das Wunderbare ist dem Märchen nicht fragwürdiger als das Alltägliche. […] Es ist, wie wenn die Märchengestalten Papierfiguren wären, bei denen man beliebig irgend etwas wegschneiden kann, ohne dass eine wesentliche Veränderung vor sich geht. In der Regel äußert sich bei solchen Verstümmelungen weder körperlicher noch seelischer Schmerz; nur wenn dies für die weitere Handlung wichtig ist, werden Tränen vergossen.“
Undsoweiterundsofort, you get the picture. So einigermaßen zumindest. Denn all die fantastischen Bilder des Films – und dabei auch ein paar Waldwegszenen, die erstaunlicherweise offenbar nicht im so wunderbar künstlichen Shaw-Brothers-Studio gedreht wurden! – können gar nicht in einem Text wiederauferstehen, man muss das sehen, dann kann man staunen, und natürlich lachen, weil sehr lustig ist das alles auch.
Harald Mühlbeyer