Grindhouse-Nachlese Dezember 2019: Rape&Revenge, Söldnerquatsch und Weltuntergang


6. Dezember 2019: Grindhouse Triple Feature, Cinema Quadrat Mannheim:


"Ms. 45" / "Die Frau mit der 45er Magnum", USA 1981, Regie: Abel Ferrara

"Scorticateli vivi" / "Häutet sie lebend – Unternehmen Wildgänse", Italien 1978, Regie: Mario Siciliano

"Nosutoradamusu no daiyogen" / "Weltkatastrophe 1999? – Die Prophezeiung des Nostradamus", Japan 1974, Regie: Toshio Masuda



Ein Klassiker, keine Frage. Es gibt Bücher über Abel Ferrara, es gibt im Deutschen zumindest ein Buch über das Rape&Revenge-Genre, "Girls with  Guns" genannt von Julia Reifenberger, die sich recht ausführlich über "Ms. 45" aka "Die Frau mit der 45er Magnum" auslässt, diesem Film, in dem Ferrara explizit "eine omnipräsente Bedrohung von Frauen durch männliche sexualisierte Gewalt" inszeniert: Thana ist stumm, und deshalb schreit sie nicht, als sie im New Yorker Hinterhof bei den Mülltonnen vergewaltigt wird. Ist Schweigen Zustimmung? Scheint so, für die Männer in dem Film, denn gleichzeitig bricht auch einer in ihre Wohnung ein – das durch und durch kriminalisierte New York der frühen 80er! –, und als sie ihn erwischt, vergewaltigt er sie auch noch. Sie schreit nicht. Erwischt aber ihr Bügeleisen und erledigt ihn… Nach einigem Zögern und einigen Skrupeln zersägt sie ihn in der Badewanne und packt ihn stückweise in den Kühlschrank, um ihn nächtens Teilchen für Teilchen, so wie der Mörder in "Rear Window", in der ganzen Stadt zu verteilen.

Thana arbeitet bei einem Schneider, einem flamboyanten Modeschöpfer, dem das erratische Verhalten von Thana in Folge der erlittenen Widerwärtigkeiten nicht entgeht und der vorderhand freundlich sie bittet, sich zu öffnen, sich zu entspannen, in Wirklichkeit aber nur schwer verhohlen mit Entlassung droht, wenn sie nicht weiter am Schneidertisch funktioniert – ein perfekt gesetzter kleiner Seitenhieb auf den Kapitalismus, auf "Hire and Fire", auf Hierarchie und Abhängigkeit, auf ökonomische Bedrängung, die sich später nicht von ungefähr zu erotischer Zudringlichkeit ausweiten wird, das ist von Vornherein klar. Aber zuvor geht Thana einen Wandel durch. Sie ist ein schüchternes Ding, ein Mauerblümchen, nicht nur stumm, jetzt auch traumatisiert. Nachts aber legt sie Schminke an und geht auf Jagd. Sie hat ja die 45er des Einbrechers. Und nachts, wenn sie zur Mrs. Hyde wird, sind die Männer nicht sicher vor ihr, dann ist sie eine andere, sie ist hart und kaltblütig und zielstrebig.

Sie wird überfallen, das bekommt den Übeltätern nicht. Sie wird von einem notgeilen Fotografen angequatscht, folgt ihm ins Atelier, aber nicht er kommt zum Schuss. Aber auch: Sie folgt einem, der seiner Freundin nachrennt, und er entkommt, unwissentlich, nur knapp – da sind wir froh. Oder: Sie sitzt in der Bar, in Nylon und Make-up, und einer labert sie zu, erzählt seine Leidensgeschichte an den Frauen. Später, und das ist ein großartiges Bild, sitzen sie auf einer Bank an der Brooklyn Bridge, und nein: Abel Ferraras New York ist nicht das Manhattan von Woody Allen. Da sitzen sie, und sie zieht die Pistole, und sie hat Ladehemmung, und er nimmt die Waffe, setzt sie an die Schläfe, und PAM.

Thanas Weg ist klar gezeichnet. Den Kopf des Einbrechers, das letzte Körperteil, stellt sie in ihrer Garderobe ab, damit die neugierige Nachbarin ihn findet – was für eine Nachbarin! –, während sie auf dem Betriebs-Maskenfest, als Nonne verkleidet, ihr Finale absolviert. Alles, von Beginn des Traumas an, war ein von Leichen gepflasterter Weg in den erweiterten Suizid, nun, kostümiert, lässt sie sich vom Chef betatschen und gibt ihm Saures, dann gibt’s Amok, dann endet der Film.

Und der nächste beginnt. Ich bin ja generell der Meinung, dass Filme, die als "zynisch" charakterisiert werden, normalerweise nicht zynisch sind. Sei's Billy Wilder oder Quentin Tarantino: Allenfalls, was und wen wir auf der Leinwand sehen, sind Zyniker, die Zynisches tun; der Film selbst aber ist in der Regel nicht zynisch, er zeigt, aber er affirmiert nicht, zumindest nicht auf dem Grund seiner Ironieschichten. Ja: Die Unterscheidung zwischen Figurenrede und Autorenrede fällt vielen nicht leicht, das Verstehen von Lakonie oder Sarkasmus, oder auch die Unterscheidung zwischen einem Täter und einem Boten der Tat – da wird leicht fälschlicherweise  das Gezeigte zur Eigenschaft des Films.
"Häutet sie lebend – Unternehmen Wildgänse" aber ist durch und durch zynisch, ein böser, böser Film, der es besser weiß, aber trotzdem das Böse schafft. Eine geradezu unerträgliche Story von italienischen Söldnern ist Afrika, die nichts als Verachtung vergießen, die gegen all die Paviane, die schwarzen Gauner, das Negergesocks mit äußerster Brutalität und Grausamkeit vorgehen, wie ein ungezogener Bengel Ameisen zertritt, und während draußen vor den Strohhütten das Massaker zu hören ist mit MGs und Schreien, da muss man zusehen, wie dem Kommandeur plötzlich der Blick starr wird vor geilem Begehren, wie er fies zu grinsen beginnt, und die Kamera bleibt bei ihm, wie er sich bereit macht, um dann, im letzten Moment, zur Seite zu schwenken, zur Frau in Todesangst, um dann die fällige Vergewaltigung in aller Ausführlichkeit zu zeigen, während draußen das Sterben ihres Dorfes zu hören ist.

Der Bruder des Söldnerchefs hat Trouble in Italien mit der Drogenmafia, hat wohl Geld unterschlagen und flieht in den Schwarzen Kontinent, und weil der Kommandeur, dieser Kriegsverbrecher, von den Einheimische gefangengenommen wurde – und nicht etwa gelyncht, sondern vor Gericht gestellt werden soll! –, zieht der Bruder mit dem Trupp durch die Lande, weiter kräftig mordend und vergewaltigend, zur Befreiung.

Wie der Film sich auf die Seite der Verbrecher mit den MPs schlägt! Wie er Unschuldige töten lässt! Wie er das auch ausweidet, wenn ein junges Pärchen dem Mördertrupp in den Weg gerät, der Junge direkt getötet wird, und dann im Eisenbahnwaggon ums Vergewaltigen des Mädchens geschachert und gestritten wird, mit tödlichem Ausgang. Und wie dann Horden von Negern, viele von ihnen Kinder, den Waggon angreifen, und wir sehen mit den Augen der Söldner nur wilde Tiere, die als Zielscheiben dienen, völlig entmenschlichtes Futter für die Handgranaten; dazu als Filmmusik eine Bassline, die von "In-A-Gadda-Da-Vida" geklaut ist, Psychodelic-Rock zum Gemetzel – er ist entsetzlich, dieser Film, und will dabei zwischendurch ganz heuchlerisch noch Gefühl und Romanze einbauen, wenn die Bruder-Hauptfigur an die Geliebte in Rom denkt, die er in der Anfangssequenz übrigens höchst degradierend behandelt hat…

Aber Schwamm drüber. Es geht ja besser, es gibt ja den Weltuntergang. "Weltkatastrophe 1999?" ist tatsächlich so etwas wie eine Literaturverfilmung! Nostradamus' Prophezeiungen werden in Film gegossen, in japanischen Film, aber nicht nur das: Man bringt auch noch tatsächlich faktische Lehren über das Ende des Wachstums unter und ein paar krasse Exploitationszenen – eine höchst eigenwillige und durchweg unterhaltsame Nummer! Auch – oder gerade? – wenn der Film von ursprünglich fast zwei Stunden Lauflänge auf 80 Minuten runtergeschnippelt und mit wer was wie genauer Synchro bedeckt wurde. Wurscht!

Am Anfang ein Labor, und der Oberwissenschaftler mahnt vor den neuen Pflanzenschutzmitteln, und seine Kollegen tun das als Gewäsch ab, und wer da nicht an Monsanto denkt! Später werden wir sehen, was draus werden kann, Riesenschnecken, derer die Feuerwehr nur mit Hilfe von Flammenwerfern Herr werden kann, zum Leidwesen unseres Wissenschaftlers, der die Schnecks ja sezieren will und der so gerne Nostradamus zitiert. Aber der Agrarstrang ist nur Nebensache, tatsächlich geht es um alles, um Sonne und Atome und um die ignorante, alles verharmlosende Regierung und um eine Liebesstory am Rande des Weltenabgrunds, man kann's gar nicht alles benennen.

Manches scheint durchaus wissenschaftlich unterfüttert, schön mit animierten Schaubildern, Stand Anfang der 1970er wohlgemerkt. Da wird dann der Treibhauseffekt beschrieben, mit (wenn ich mich recht erinnere) kleinem Denkfehler, dass nämlich die Atmosphäre die Sonnenstrahlung abhält und es daher immer kälter wird… Und dann gibt es da die Concorde-Maschine hoch oben fliegend, an deren Rumpf sich im Flug Eiskristalle bilden, die dann zerbirst und damit die Ozonschicht zerstört, weshalb unten alles ganz heiß wird und wer auf die Straße tritt unweigerlich verbrennt! Ja, ein ganzer Hafen fliegt deswegen in die Luft.

Und dann gibt's da den schönen Blödsinn einer Exkursion auf eine Dschungelinsel, die Forscher sind im Sumpf unterwegs und werden von riesigen, atomar mutierten Vampirfledermäusen angegriffen, hu, was für Biester mit was für Hauern im Maul! Und im Sumpf lauern Blutegel, ebenfalls atomar so verseucht, dass einem, der befallen wurde, das Gehirn wegschmilzt im nächtlichen Zelt. Und nicht nur das: Außen greifen Kannibalen an, und das gibt's eigentlich erst ein paar Jahre später im italienischen Film! In einer Höhle die Überreste der vorherigen Expedition, skelettierte Menschen, die aber noch einigermaßen leben, es ist furchtbar, was das Atom anrichtet!

Schließlich, einer der schönsten Momente: Durch die Erhitzung wird die obere Atmosphäre zum Luftparabolspiegel, und die Stadt spiegelt sich im Himmel auf so verzerrt-verbogene Weise, dass wir uns in "Inception" wähnen. Am Ende natürlich behält Nostradamus recht, auch weil vieles explodiert und, "99 Luftballons" vorwegnehmend, ein General 'ne Fliegerstaffel hinterherschickt, ach nee: Es öffnen sich die Schächte, die Raketen heben ab und bomben den Planeten in Grund und Boden, bis dann in der übriggebliebenen Felsenwüstenei zwei nicht mehr menschliche Wesen sich erheben, halb Gollum und halb Burli, und die Dystopie ist aus, mit der Mahnung, dass es so geschehen wird wie vor 500 Jahren schon geschrieben stund!

Harald Mühlbeyer