Filmklassiker im Murnau-Filmtheater: "Sieben Ohrfeigen"

Am Freitag, 7. Januar, läuft als zweiter Film der Reihe "Filmklassiker entdecken! Aus den Beständen der Murnau-Stiftung" Paul Martins Komödie "Sieben Ohrfeigen" von 1937, mit Willy Fritsch und Lilian Harvey in den Hauptrollen. Die Veranstaltung findet um 18 Uhr im Wiesbadener Murnau-Filmtheater statt, Harald Mühlbeyer wird in den Film einführen.


"Sieben Ohrfeigen" (Regie: Paul Martin, 1937):

Willy Fritsch, nach einem Aktiencrash pleite, verabreicht einem millionenschweren Spekulanten - Alfred Abel - sieben Tage lang täglich eine Ohrfeige, damit er auch kleine Zahlen zu schätzen lernt. Dieser wiederum will ihn stoppen und setzt seine Tochter Lilian Harvey auf den impertinenten täglichen Attentäter an.

Dasselbe Team wie bei "Glückskinder" schuf im Jahr 1937 einen Film, der in der derzeitigen Wirtschaftskrise hochaktuell ist. Man stelle sich vor, jemand verabreichte einem Herrn Ackermann 25 Ohrfeigen, damit er sieht, wie viel Rendite ihm vorschwebt...
Erneut mit funkelnden Curt-Goetz-Diealogen versehen, entfaltet sich vor diesem bissig-satirischen Hintergrund eine Liebeskomödie um zwei Menschen, die eine ganz gegensätzliche Agenda betreiben und am Ende doch - buchstäblich - zusammengeschmiedet werden. Und: Der Film enthält eine der schönsten Liebeserklärungen der Filmgeschichte.


Die Filmreihe "Filmklassiker entdecken!", konzipiert von Harald Mühlbeyer, möchte auf deutsche Filmproduktionen aus den Jahren des Dritten Reiches aufmerksam machen, die es verdient haben, dem Vergessen entrissen zu werden.

Die weiteren Filme, monatlich im Murnau-Filmtheater:

"Opfergang", Veit Harlan 1944

"Sergeant Berry", Herbert Selpin 1938

"Capriccio", Karl Ritter 1938

"Peter Voss, der Millionendieb", Karl Anton 1945

"Wir machen Musik", Helmut Käutner 1942

"Romanze in Moll", Helmut Käutner 1943

Grindhouse-Nachlese: Schwertkampf und Höllendämonen

18. Dezember 2010, Cinema Quadrat, Mannheim:

„Xin du bi dao“ / „The New One-Armed Swordsman“ / „Das Schwert des gelben Tigers“, Hongkong 1971, Regie: Cheh Chang.

„Hellraiser“, GB 1987, Regie: Clive Barker.


Wieder mal waren Überraschungsfilme angekündigt; das gibt Boris Becker, der die Filmreihe organisiert, freie Hand zu zeigen, was ihm beliebt, ganz nach Laune kann er aus seinem Filmbestand was aussuchen. Im Monat zuvor, am 27.11., waren das zum Beispiel Filme gewesen, über die ich nicht hatte schreiben sollen; aus verschiedenen Gründen, juristisch wie persönlich… wenn ein Zombie im Krematorium verfeuert wird und der Rauch einen ganzen Friedhof erweckt, oder wenn in New York einer mit Entenstimme rumläuft und Mädels aufschlitzt, ist es halt nichts für zarte Screenshot-Leser.

Für Dezember hatte Becker mündlich angekündigt, wieder etwas Abstand zum Horror der letzten Monate zu nehmen, und folgerichtig kam als erster Film ein Klassiker des Hongkong-Schwertkampf-Films, der, so Becker, Anfang der 70er in Deutschland so richtig die Welle der Martial Arts-Filme losgetreten hat, noch vor Bruce Lee: „Das Schwert des gelben Tigers“, oder besser: „The New One-Armed Swordsman“ aus den Shaw-Brothers-Studios, inszeniert von Cheh Chang (der schon vier Jahre zuvor einen Vorgänger-„One-Armed Swordsman“ gedreht hatte). Gezeigt wurde die deutsche Synchro, und das macht natürlich gleich noch doppelt Spaß, zusätzlich zu den vielgestaltigen Schwertkämpfen, bei denen die Hiebe immer sichtlich dezimeterweit am Gegner vorbeirauschen, der dann aber doch tödlich getroffen mit großer Geste hintüberfällt; wirkt natürlich nur, wenn auch schön überlaute Geräusche drübergelegt sind.

Li Lei ist ein legendärer Schwertkämpfer, wird aber vom bösen Lung reingelegt und in einen Kampf verwickelt, den er nur verlieren kann. Weil Lung nämlich eine teuflische Waffe hat, gegen sein Kettenstab-Rumgefuchtel können, so die (beinahe zu späte) Erkenntnis, eigentlich nur drei Schwerter helfen; mit zwei Armen nicht zu machen, mit einem schon gar nicht. Und einen Arm verliert Li Lei bei diesem fiesen Kampf gegen Lung, haut ihn sich selbst ab als Buße, weil er unterlegen war; schwört dem Kämpfen ab und dient fortan als trauriger Kellner in einer Gaststätte.

Lung, der Bösewicht in der Tigerburg, lässt seine Räuberbande Terror verbreiten, und die haben es auch auf Pa Chiao abgesehen, in die Li Lei heimlich verliebt ist. Da er nicht kämpfen will, meinen die Herren, sie könnten alles mit ihm machen! Und da er nicht kämpfen will, entwickelt sich eine Freundschaft mit Chen, einem Schwertkämpfer, der die Gleichmut von Li Lei bewundert; während der die Kampfkunst von Chen hoch achtet. Chen legt sich mit Lung an, unterliegt, und jetzt liegt es in dem einen Arm von Li Lei, den Freund zu rächen, gegen Hundertschaften von Schurken…

Die Story ist genau das, was man von einem Schwertkämpferfilm erwartet; sie könnte genauso in einem Samuraifilm oder in einem Italowestern vorkommen, nur, dass da ein bisschen anders gekämpft wird. Cheh Chang erzählt seinen Film aber überraschend flott, gleich zu Anfang metzelt Li Lei diverse Reiter nieder, man weiß gar nicht warum, aber dass er der Held ist, das weiß man. Dann setzt eine erklärende Voice Over ein, die den Film historisch einordnet und als Legende präsentiert, und dann ein erstes Schlachtfeld mit vielen Toten, in rotes Kunstblut getunkt, beinahe als statueske Kunstinstallation: wie da einer erstochen wurde, als er gerade selbst einen anderen ersticht, im gegenseitigen Sterben für immer vereint, als erstarrte Skulptur mitten aus dem Kampf gerissen… Und da zeigt sich eben auch, was der Film die ganze Zeit über verhandelt: Kampf oder Nichtkampf, Gewalt oder Pazifismus, Aggression und Duldung: dem Kampfe abschwören, sich absolut friedlich verhalten – oder doch: sich wehren, sich rächen, dem Bösen Einhalt gebieten?

Li Lei, der alles einsteckt, was ihm an Demütigung widerfährt, ist nicht glücklich als Hilfskraft im Wirtshaus, aber Chen, der Schwertheld, sieht in ihm ein Vorbild für das gute, richtige Leben. „Du bist halt ein Krüppel, da hassen dich alle“, heißt es einmal sinngemäß; und Chen träumt davon, zusammen mit Li Lei eine kleine Farm aufzubauen, irgendwo weit weg, sie beide zusammen… (Sehr seltsam und unfreiwillig komisch mutet diese Freundschaft an, die eigentlich Verliebtheit ist, stockschwul – offenbar ganz ungewollte Zwischentöne in diesem Film, der nur mit etwas dramaturgischer Mühe über die verehrte Pa Chiao wieder das männliche Hetero-Weltbild zurechtrücken kann.)

Am Ende jedenfalls zwei große Kämpfe: Chen, der mies herausgefordert wird und sich mit seinem Kämpferherz nicht zurückhalten kann, um dann mit einem fiesen Trick entzweigerissen zu werden. Und Li Lei, der von seinem Schwur der Gewaltlosigkeit abrückt und die bösen Räuber zu Hunderten niederstreckt, um dann wieder Lung gegenüberzustehen, auf einer von Toten übersäten Brücke; Lung mit seiner unüberwindlichen Waffe, und Li Lei mit seiner als Kellner geschulten Fingerfertigkeit, mit nur einem Arm für nur ein Schwert, aber auch mit einer Erkenntnis, die das Dilemma des Films – Kampf oder Friedlichkeit auflöst. „Gegen Mörder kämpft man nicht. Man bestraft sie“, weil Li Lei, und das tut er. Weil er eben auch einarmig mit drei Schwertern umzugehen weiß. Und weil er das erreicht hat, was die Voice-Over-Stimme zu Anfang von den aufrechten Schwertkämpfern gefordert hat: nicht für eigene Zwecke, für Profit oder Hass zu kämpfen, sondern als Weg zu wahrer innerer Erleuchtung – was halt so an pseudophilosophischer Tünche über derartige Filme gegossen wird.

Ja: „Das Schwert des gelben Tigers“ ist Grindhouse pur, schöner Trash, mit Action, Kampf und dem gewissen Witz; und mit einem deutschen Titel, wie er schöner kaum hätte erfunden werden können. Der zweite Film des Abends war dann ebenfalls ein Klassiker – allerdings ohne trashigen Humor, sondern eine erneute Rückkehr zum Horrorgenre, mit direkter, unmittelbarer Wirkung auf den Zuschauer. Böse, sehr böse ist „Hellraiser“ von Clive Barker.

In seiner ganzen, ungeschnittenen Pracht entfaltet „Hellraiser“ ein Panorama des Teuflischen, das eine Metaebene der Ironie, des Verlachens, der reflexiven Distanz nicht mehr zulässt. Im Mittelpunkt, als Grundimpuls: die „Box“, ein goldgeschmücktes Kästchen, mit dem man die Tore zu einer anderen Welt öffnen kann; eine Box, nach der Frank strebt, der sie zu Anfang des Films von einem orientalischen Händler ersteht; und dieser weiß: sie hat schon immer Frank gehört.

Frank experimentiert, und er gerät in die Hölle. Das wird nur in kurzen, aufflackernden Schreckensbildern gezeigt, Frank an Ketten gelegt, mit Fleischerhaken kopfüber aufgehängt, dann in seine Einzelteile zerlegt, die ein Dämon wie ein Puzzlestück zusammensetzt… Die Dämonen, Cenobites genannt, das ist das Zweite im Film, das ihn satanisch werden lässt. Die sind Wesen aus erweiterten Erfahrungsbereichen, schrecklich gepiercte, mit Nadeln durchstochene, kahle, entstellte, scharf bezahnte, böse Wesen, die den, der mit der Box spielt, in ihr Reich holen. Ein Reich sadomasochistischer Rituale, wo Schmerz und Lust unauflöslich miteinander verbunden sind, ein Reich des Bösen, des Untergründigen; ein Reich, das der Film nie zeigt, das man sich aber umso lebhafter vorstellen kann.

Larry und seine Frau Julia kehren heim, ins Haus seiner Familie ziehen sie, und Larry ist begeistert, wieder in der Heimat zu sein. Julia ist zögerlich, distanziert, das Haus ist ihr fremd; und sie ist der Knotenpunkt für die weiteren Geschehnisse. Ein Nagel in der Wand reißt Larrys Hand auf, Blut tropft auf die Bodendielen eines leeren Dachbodenraumes, das erweckt Frank, der hier gelitten hat, entkörperlicht wurde. Knochen, Muskelfetzen, ein paar Organe erstehen auf, aus den Holzbohlen, und Julia verfällt Frank; verfällt ihm wieder, sie hatte eine Affäre mit ihm gehabt, die Lust hat sie an ihn gebunden, bindet sie noch immer an ihn. Er kann über sie verfügen. Und sie tut, was er verlangt: er braucht Blut, zur Wiederherstellung seines Körpers, für Muskeln, Nerven, Haut. Sie bringt ihm Blut, liest in Bars Männer auf, nimmt sie mit nach Hause, doch kein Fick, sondern der Tod erwartet sie. Julia erschlägt sie mit dem Hammer, Frank, das Körperfragment, macht sich über sie her. Und mit jeder Szene sind ihm mehr menschliche Formen gegeben. Eklig ist das, und brutal auch, wie sich hier, in den dämonischen Horrorplot eingebettet, eine Serienkillerhandlung einbaut.

Ein Drittes gibt es, neben der Box und den Cenobites, ein drittes Element des Unheimlichen, das man nicht einschätzen kann, das sich unserem Begreifen, unserer Erfahrung entzieht: ein verlotterter, schmutziger, wildbärtiger Penner, der immer wieder auftaucht und starrt. Einmal frisst er in einer Zoohandlung Spinnen, viele kleine Spinnen aus einem Terrarium, und wahrscheinlich sind sie giftig… Dieser Mann weiß etwas, ist er Satan? Ist er ein rettender Engel? Ist der der unbewegte Beweger hinter dem bösen Spiel der Cenobites?

Kirsty begegnet ihm, sie ist Larrys Tochter, sie ist die Unschuld, die jeder Horrorfilm braucht. Ging es zu Anfang um Frank als Hauptperson, wechselte das Zentrum dann zu Julia, so steht nun Kirsty im Mittelpunkt der Verstrickung der Neurosen, die „Hellraiser“ darstellt. Frank, der unbeständige, untergebutterte, fiese Typ, der neue, weitere Erfahrung sucht im Bösen; Julia, die sexuelle frustriert ist, die Frank hörig ist, weil er ihr Erfüllung gegeben hat, die ihren Mann Larry hasst und gegen Kirsty eifersüchtig ist; die erst angewidert, und dann lustvoll Männer tötet… Und Kirsty, die die Männer anzieht, die vom Vater bemuttert wird, von Frank – als Monster, aber wohl auch schon in seinem echten Leben – angemacht wird, vielleicht missbraucht wurde, die versucht, normal zu leben in der unnormalen Welt, in der sie sich findet, die von inneren Dämonen gequält wird, die sich dann in der Wirklichkeit manifestieren. Sie träumt von Babyschreien, von einer leintuchbedeckten Leiche, von Blut… und das wird wahr, als sie sich von Frank die Box erobert, als die Cenobites nach ihr gieren, als sich hinter einer Wand ein unheimlicher Gang auftut, Babyschreie, und dann dieses Monster, teils Skorpion, teils Piranha, ein grässlicher, höllenhündischer Dämon…

„Hellraiser“ kehrt das Innere nach außen, was seine Figuren im Inneren quält, das greift sie von außen, aus einem unbestimmten, schrecklichen Jenseits an; und, das ist das Abgründige: sie ergeben sich dem Höllenhaften lustvoll, denn das Böse, das Grauenhafte ist auch verführerisch. Angst, Schock und Horror, Schmerz und Leid gehen einher mit Lust, mit innerem Verlangen, mit Eros- und Todestrieb, die sich hier Bahn brechen. Das Faszinosum des Bösen, das die Figuren im Film erfahren, ist auch das Faszinosum des Horrorfilms für den Zuschauer; und konsequent ist am Ende, durch Fortbestand von Box, Cenobites und dem Lumpenkerl, auch die filmische Fortsetzung von „Hellraiser“ gesichert.

Dennoch war es bei den Grindhouse-Nächten in letzter Zeit doch zuviel des Bösen, seit Monaten nun schon Horrorfilme in allen Schattierungen… für Januar, wenn es wieder Überraschungsfilme gibt, will Becker sich mal wieder etwas anderes aussuchen: „Gediegene Action vielleicht, Blaxploitation; vielleicht auch mal ein Porno, irgendwas für die ganze Familie“. (Aber diese Ankündigungen sind die letzten Monate ohnehin nie eingetroffen…)

Harald Mühlbeyer

Im Kino: „Burlesque“ – Tanzbeine, stolpernd

„Burlesque“. Regie, Buch: Steve Antin. Kinostart: 6. Januar 2011


Screenshot freut sich: Aus unseren Autoren kann was werden. Und so hat es unser langjähriger Redakteur Carsten Kurpanek in den Abspann von „Burlesque“ geschafft, als the editor’s apprentice. Und tatsächlich lebt „Burlesque“ von der filmischen Montage; denn was die Story angeht, oder auch die schauspielerischen Leistungen von Christina Aguilera und Cher, geht der Film über die Simplizität eines durchschnittlichen Musikvideos nicht hinaus – nur Stanley Tucci als Kalfaktor in Chers musikalischem Varietétheater bringt Spritzigkeit und Spielfreude mit. Und der Plot ist die schon x-mal durchexerzierte Mädchen-wird-Supersängerin-Handlung, diesmal führt er die Protagonistin Ali (Aguilera) von Dwight’s Bar irgendwo in Iowa in die Burlesque Lounge in L.A., wo Tess (Cher) als gütig-strenge Mutti residiert.

Ein paar Holperer gibt es in der Dramaturgie: Bisschen viel hin und her zwischen Ali und ihrer zickigen Tanzkollegin Nikki, die Intrigen spinnt; bisschen sehr dahingeläpperte verhinderte Lovestory mit Alis Mitbewohner; bisschen überflüssige Charaktere sind auch drin, Peter Gallagher als missmutiger Burlesque Lounge-Mitbesitzer, der immer nur pessimistisch gucken darf und sonst keine Funktion hat. Dafür wird Alan Cumming als geschlechtlich ambivalenter Portier der Lounge ganz unter Wert verkauft, zwei Sätze darf er sagen und dreimal in die Kamera grinsen.

Wahrscheinlich – so scheint es zumindest – wurde seine Figur weitgehend aus dem Film rausgeschnitten; was aber immer noch viel zuviel an Filmhandlung drinlässt, als es „Burlesque“ vertragen würde. Weil es ja eben doch vor allem um Christina geht und um ihre Tanz- und Gesangsnummern, und – quasi als Vorgruppe und Pausenact – um Cher. Gleich am Anfang, noch als Kellnerin bei Dwight, fängt Ali an zu singen, ah, Hoffnungen und Träume; und da zeigt sich, was der Film kann, wenn er sich auf seinen Musicalcharakter besinnt: nämlich in der Montage Welten verbinden, Alis Realität und ihre Wunschgedanken, ihre Gegenwart und ihre Zukunft als Burlesque-Star, das Leben und die Bühne.

Und selbstverständlich, dessen bin ich mir sicher, hat Carsten den allergrößten Anteil an diesen musikalischen Szenen, wenn der Song allumfassend übergreift, um den Film zur überhöhten Bühnen-Musical-Burlesque-Show werden zu lassen.

Nur bei der einen Szene, da hat Carsten wohl Urlaub gehabt: Wenn Aguilera erstmals vor Cher vortanzt, um ein Engagement zu erlangen, und der Schnitt ihre Bewegungen verhackstückt und weitgehend in Großaufnahmen auflöst, so dass der Zuschauer gar nicht recht erkennen kann, was jetzt wirklich gut getanzt und was durch Kamera und Montage gefaket ist, und ob sie wirklich so gut tanzen kann, wie anschließend im Film alle begeistert behaupten.

Harald Mühlbeyer


„Burlesque“. Regie, Buch: Steve Antin. Musik: Christophe Beck. Kamera: Bojan Bazelli. Produktion: Donald De Line.
Darsteller: Christina Aguilera (Ali), Cher (Tess), Eric Dane (Marcus), Stanley Tucci (Sean), Kristen Bell (Nikki), Cam Gigandet (Jack), Peter Gallagher (Vince), Alan Cumming (Alexis).
Verleih: Sony
Länge: 116 Minuten
Kinostart: 6. Januar 2011

Max Ophüls Preis 2011: Vorschau Langfilmwettbewerb


Das 32. Filmfestivals Max Ophüls Preis 2011 in Saarbrücken (17.-23. Januar) hat einen Vorblick auf sein Programm geboten. Hier die Wettbewerber des Langfilmwettbewerbs (wobei einer außer Konkurrenz läuf).

Unser Redakteur Bernd Zywietz wird für Sie wie in den letzten Jahren vom "MOP" berichten.



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Elf der Wettbewerbsfilme werden im Rahmen des Filmfestivals Max Ophüls Preis ihre Uraufführung feiern, vier Produktionen sind deutsche Erstaufführungen, eine Produktion aus Österreich, vier aus der Schweiz und eine deutsch-schweizerische Koproduktion. Somit sind 14 konkurrierende Werke auch gleichzeitig für den Preis des Ministerpräsidenten nominiert. Insgesamt werden im Rahmen des Langfilm-Wettbewerbs acht Preise in einem Gesamtwert von 100.000 Euro vergeben. Neun der Filme sind Fernsehproduktionen, einer ein Hochschulfilm der HFF Konrad Wolf, elf sind Debüt-Filme und drei Zweitwerke.

Die Mitglieder des Auswahlbeirates im Bereich des „Wettbewerb Langfilm“ waren Gabriella Bandel (Künstlerische Leitung), Philipp Bräuer (Künstlerische Leitung), Silke J. Räbiger (Leiterin Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln) und Christian Bauer (Redakteur SR-Fernsehen).

Die im Wettbewerb um den Max Ophüls Preis konkurrierenden Filme sind:

180°
Regie: Cihan Inan
Schweiz 2010, 35mm, Farbe, 93 Min., dt. Erstaufführung
Darsteller: Christopher Buchholz, Sophie Rois, Michael Neuenschwander, Asli Bayram, Siir Eloglu u.a.
Eine Handvoll Menschen wird aus der Sicherheit ihrer Routine katapultiert. Durch die Verkettung von Zufällen kreuzen sich ihre Wege, alle sehen sich mit Trauer und Verlusten konfrontiert. Nur noch der Glaube und die Hoffnung kann Rettung bringen. Echte Tragödien, kleine Dramen – ein Blick hinter die Kulissen von Schreck und Spektakel und eine Hommage an das Wunder des alltäglichen Zusammenlebens.

ABGEBRANNT
Regie: Verena S. Freytag
Deutschland 2010, 35mm, Farbe, 102 Min., Uraufführung
Darsteller: Maryam Zaree, Tilla Kratochwil, Lukas Steltner, Leon Samuel Fischer, Marie-Louise Heinzel, Keywan Fischer u.a.
Pelin macht alles, um ihren Kindern ein liebevolles Heim zu geben. Sie ist allein erziehend und hat es schwer, den Alltag unter Kontrolle zu bekommen. Als sie ihren Job verliert und sich der kleine Elvis mit Ecstasy-Pillen vergiftet, schickt das Jugendamt sie zur Mutter-Kind-Kur. Pelin kann sich nur schwer an den regelhaften Kuralltag anpassen. Allmählich scheint sie innere Stabilität zu gewinnen. Als ihr Exfreund plötzlich auftaucht, wird Pelin von ihrem alten Leben, den Sorgen und Zwängen wieder eingeholt.

DAS SYSTEM

Regie: Marc Bauder
Deutschland 2010, 35mm, Farbe, 90 Min., Uraufführung
Darsteller: Jacob Matschenz, Bernhard Schütz, Jenny Schily, Franziska Wulf, Heinz Hoenig, Florian Renner, Jürgen Holtz
Mike ist zwanzig und intelligent, aber orientierungslos. Als er bei einem Einbruch von Konrad Böhm ertappt wird, ändert sich sein Leben. Der Geschäftsmann führt Mike in eine Parallelwelt internationaler Lobbyisten und ehemaliger DDR-Geheimdienstler ein. Mikes anfängliches Misstrauen weicht Neugierde und Bewunderung. Böhm ist der erste, der Mike etwas über seinen früh verstorbenen Vater erzählt. Als Mike erkennt, dass der Tod seines Vaters kein tragischer Unfall war, ist es fast zu spät.

DER ALBANER
Regie: Johannes Naber
Deutschland 2010, 35mm, Farbe, 104 Min., dt./ alban. mit UT
Darsteller: Nik Xhelilaj, Xhejlane Terbunja, Ivan Shvedoff, Amos Zaharia, Stipe Erceg u.a.
Der Albaner Arben reist oft als Gastarbeiter nach Griechenland. Das verdiente Geld reicht kaum zum Überleben. Als Arbens heimliche Liebe von ihm schwanger wird, will ihr Vater zehntausend Euro für die Hochzeit. Arben verspricht, das Geld aufzutreiben. Ohne Visum und Sprachkenntnisse geht er nach Deutschland. Dort trifft er Slatko, der ihn in eine Schlepperbande einführt. Arben lernt die Schattenseite des europäischen Traums kennen, wo Einsamkeit und Materialismus regieren und alles seinen Preis hat.

DER BRAND
Regie: Brigitte Bertele
Deutschland 2010, digital von Festplatte, Farbe, 90 Min., Uraufführung
Darsteller: Ursina Lardi, Florian David Fitz, Wotan Wilke Möhring, Mark Waschke, Maja Schöne u.a.
Bei einem Salsa-Abend lernt Judith den charmanten Ralph kennen. Auf dem Nachhauseweg fällt der scheinbare Gentleman brutal über sie her. Sie will den Mann anzeigen: der Beginn einer demütigenden Odyssee durch bürokratische und soziale Instanzen. Ralph streitet die Tat ab, die Indizien reichen nicht aus. Der Fall wird eingestellt. Judith ist entsetzt. Um ihr seelisches Gleichgewicht kämpfend, entwickelt sie einen Plan, der auch sie selbst gefährdet.

DER MANN DER ÜBER AUTOS SPRANG
Regie: Nick Baker Monteys
Deutschland 2010, 35mm, Farbe, 105 Min.
Darsteller: Robert Stadlober, Jessica Schwarz, Anna Schudt, Martin Feifel u.a.
Julian bricht aus der Psychiatrie aus, um von Berlin nach Süddeutschland zu wandern. Er will durch die Kraft des Gehens den schwerkranken Vater seines besten Freundes heilen. Unterwegs begegnet ihm die Assistenzärztin Ju, die, beeindruckt von seiner Ruhe und Kraft, ihr altes Leben hinter sich lässt, um Julian zu begleiten. Ruth, die an ihrem Leben als Hausfrau und Mutter zu zerbrechen droht, tut es ihr gleich. In ihnen beiden keimt die Hoffung auf, dass die Welt mehr ist als der Alltag, der sie einsperrt.

DER SANDMANN
Regie: Peter Luisi
Schweiz 2011, 35mm, digital von Festplatte, Farbe, 88 Min., Uraufführung
Darsteller: Fabian Krüger, Irene Brügger, Beat Schlatter, Florine Deplazes
Benno ist kein netter Mensch. Er hält sich selbst für das Wichtigste in seinem Leben. Er regt sich oft über Sandra auf, die unter seiner Wohnung ein Café betreibt und davon träumt, als Musikerin entdeckt zu werden. Eines Tages findet Benno Sand in seinem Bett und muss bald feststellen, dass er es ist, der Sand verliert. Tag für Tag nimmt der Sandverlust zu und bald rinnt ihm sprichwörtlich die Zeit davon. Die Lösung des Problems muss wohl mit Sandra zu tun haben, denn neuerdings träumt er jede Nacht von ihr.

FLIEGENDE FISCHE
Regie: Güzin Kar
Schweiz/Deutschland 2011, 35mm, Farbe, 87 Min., Uraufführung
Darsteller: Meret Becker, Elisa Schlott, Barnaby Metschurat, Hanspeter Müller-Drossaart, Mona Petri, Lilian Naef, Andreas Matti, Alia Duncan, Joseph Sunkler
„Roberta ist die peinlichste Figur im Universum und die unfähigste Mutter aller Zeiten", findet die 15-jährige Nana, die die Vorliebe ihrer Mutter für das leichte Leben verurteilt und deren Rolle übernommen hat: Sie kümmert sich um die jüngeren Geschwister und verdient den Lebensunterhalt. Als das Jugendamt mit dem Entzug des Sorgerechts droht, schwört die Familie: Keine Männer mehr! Doch nicht nur Roberta wird wieder schwach, sondern auch Nana, die die erste Liebe erlebt.

GEGENGERADE

Regie: Tarek Ehlail
Deutschland 2010, HD Cam, Farbe, 90 Min., Uraufführung
Darsteller: Timo Jacobs, Denis Moschitto, Fabian Busch, Natalia Avelon, Mario Adorf, Dominique Horwitz, Moritz Bleibtreu, Claude-Oliver Rudolph, Katy Karrenbauer, André Eisermann, Wotan Wilke Möhring, Sascha Reimann"Ferris MC", Simon Görts, Christian Rudolf
Der große Traum scheint zum Greifen nah: Die Rückkehr des 1. FC St. Pauli in die Erste Liga. Für Magnus, Kowalski und Arne ist es ein Spiel der Entscheidung. Aber ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Kowalski wird von zwei Fahndern ins Visier genommen. Zudem schadet Magnus’ aggressives Verhalten nicht nur dem Ruf seiner Freunde und dem ganzen Verein, sondern ruft auch Staatsanwalt Stiller auf den Plan, dem die Ultras unter den Fans schon lange ein Dorn im Auge sind.

HEIMWEH
Regie: Andreas Kannengießer
Deutschland 2011, HD Cam, digital von Festplatte, Farbe, 93 Min., Uraufführung
Darsteller: Renate Krößner, Dieter Mann, Hermann Beyer, Eugen Krößner
Hannelore pflegt ihren demenzkranken Mann Klaus seit vier Jahren. Doch mehr und mehr fühlt sie sich durch Klaus’ ständige Pflege eingeengt. Als ihr Nachbar Günther überraschend verreist, fährt Hannelore ihm einfach nach – ihren Mann lässt sie allein zu Hause zurück. Was Hannelore nicht weiß: Günther hat soeben seinen Mann an Krebs verloren und will sich in einem Ferienhaus an der Küste das Leben nehmen.

INSIDE AMERICA
Regie: Barbara Eder
Österreich 2010, HD CAM, Farbe, 107 Min., engl./span. mit dt. UT | dt. Erstaufführung
Darsteller: Raul Juarez, Aimeé Lizette Saldivar, Zuleyma Jaime, Luis De Los Santos, Carlos Benavides, Patty Barrera
Eine High School in Brownsville, Texas. Während die Schüler das Treuegelöbnis ablegen, patrouillieren Sicherheitsmänner durch die Flure. Im Unterricht sollen die Jugendlichen an die Ideale des amerikanischen Traums herangeführt werden. Die Freizeit der Jugendlichen sieht jedoch anders aus: Orientierungslosigkeit, Zukunftsangst, Gewalt und Drogen bestimmen die Zeit fernab der Schule. Und die Frage nach Zugehörigkeit, nach der richtigen Nationalität und nach Illegalität.

PAPA GOLD
Regie: Tom Lass
Deutschland 2010, DigiBeta, Farbe, 77 Min., Uraufführung
Darsteller: Peter Trabner, Tom Lass, Lore Richter, Axel Ranisch, Emily Kuhnke, u.a.
Im Nachtleben von Berlin fühlt sich Denny geborgen. Seine Unbekümmertheit geht verloren, als Frank, der zweite Mann seiner Mutter, plötzlich auftaucht, um Denny dazu zu bewegen, nach zehn Jahren wieder Kontakt zu seiner Mutter aufzunehmen. Aber Denny beeindruckt das zunächst wenig. Da Frank nicht weiß, wo er unterkommen soll, nimmt Denny ihn bei sich auf. Schon bald lernt auch Frank das hedonistische Lebensprinzip schätzen. Mit der Zeit jedoch dämmert es den beiden, dass sie sich ihren Problemen stellen müssen.

Polnische Ostern
Regie: Jakob Ziemnicki
Deutschland/Polen 2010, 35mm, Farbe, 94 min., Uraufführung (Außer Konkurrenz)
Darsteller: Henry Hübchen, Grażyna Szapołowska, Adrian Topol, Paraschiva Dragus, Barbara Wysocka
Bäckermeister Werner Grabosch bricht es das Herz, als seine einzige Enkelin Mathilda nach dem Tod ihrer Mutter bei ihrem polnischen Vater Tadeuzs aufwachsen soll. Um Mathilda zurückzubekommen, plant er, sich über Ostern bei der polnischen Familie einzuschleichen und Beweise sicherzustellen, damit sie das Sorgerecht verliert. Anfangs läuft alles nach Plan, doch dann fühlt sich Grabosch überraschend immer wohler.

SILBERWALD
Regie: Christine Repond
Schweiz 2010, 35mm, Farbe, 85 Min., Uraufführung
Darsteller: Saladin Deller, Naftali Wyler, Basli Medici, Heidi Züger, Dieter Stoll, Carmen Klug Supp u.a.
Der fünfzehnjährige Sascha unternimmt oft allein Streifzüge durch den Wald. Seine berufstätige Mutter sieht er kaum, sein Vater ist vor langem ausgezogen. Kälte, Verzweiflung und Wut begleiten ihn auf seiner Suche nach Zuneigung und Identität. Eines Nachts entdecken er und seine Freunde eine Hütte, in der kahlgeschorene Männer laut grölend feiern. Hin- und hergerissen zwischen Furcht und Anziehung treibt ihn die Sehnsucht nach Anerkennung zurück zur Waldhütte.

STATIONSPIRATEN
Regie: Michael Schaerer
Schweiz 2010, 35mm, Farbe, 90 Min., dt. Erstaufführung
Darsteller: Scherwin Amini, Vincent Furrer, Max Hubacher, Nicolas Hugentobler, Stefan Kurt, Elia Robert u.a.
Benji, Michi, Kevin und Jonas reden am liebsten über Sport, Sex, Mädchen - und ihre Krankheit. Sie alle haben Krebs. Ihr junges Leben spielt sich im Krankenhaus ab. Sascha ist neu auf der Station. Den Jungs gegenüber verhält er sich abweisend, da er keiner von ihnen sein will. Er braucht Zeit, um festzustellen, dass er durch die Gespräche mit ihnen lernen kann, mit seinen Ängsten umzugehen. Die fünf Stationspiraten wachsen zu einem echten Team zusammen und schaffen es, ihrer ungewissen Zukunft mutig ins Gesicht zu blicken.

TAGE DIE BLEIBEN
Regie: Pia Strietmann
Deutschland 2011, 35mm, Farbe, 100 Min., Uraufführung
Darsteller: Götz Schubert, Max Riemelt, Mathilde Bundschuh, Lena Stolze u.a.
Die Dewenters sind schon lange keine richtige Familie mehr. Mutter Andrea versucht vergeblich, die Familie zusammenzuhalten. Als sie durch einen Autounfall aus dem Leben gerissen wird, gerät das Leben der Hinterbliebenen aus den Fugen. Ungeahnte Dynamiken treten zu Tage, alte Wunden brechen auf, neue Freundschaften werden geschlossen. In den wenigen Tagen zwischen Tod und Beerdigung müssen Ehemann Christian, Sohn Lars und Tochter Elaine lernen, wieder Vertrauen zu finden, um die Familie zu retten.

WINTERTOCHTER
Regie: Johannes Schmid
Deutschland/Polen 2010, 35mm, Farbe, 90 Min., Uraufführung
Darsteller: Nina Monka, Ursula Werner, Merab Ninidze, Daniel Olbrychski, Leon Seidel, Dominik Nowak, Katharina Marie Schubert, Maxim Mehmet, Julia Kaminska
An Heiligabend erfährt die elfjährige Kattaka zufällig, dass ihr biologischer Vater in Wirklichkeit ein russischer Matrose ist. Enttäuscht von der Lüge ihrer Eltern macht sie sich aus dem Staub. Begleitet wird sie von der Rentnerin Lene, die schon ein Leben lang vor ihrer Vergangenheit auf der Flucht ist. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg nach Polen, um Kattakas Vater zu finden. Auf der Reise müssen sich beide ihren Ängsten zu stellen.

Region: CinéMayence im Januar

Das CinéMayence-Programm im Januar 2011 - vor allem mit Angela Schanelecs neuestem Film:

Do, 06. - Mi, 12. Jan, 20:30 h
deutsch / französisch
»Orly«
Spielfilm von Angela Schanelec, D 2010, OmU
Mit überraschender Leichtigkeit, menschlicher Wärme und sanfter Ironie liest Angela Schanelecs Film der Anonymität des Transit- und Warteraums Orly zarte und bewegende Lebensgeschichten ab.


Do, 13. - Mi, 19. Jan, 20:30 h (zusätzlich Mo, 17. Jan, 18 Uhr)
Film / Musik / Schweizer Film
»Sounds and Silence«
Dokumentarfilm von Peter Guyer und Norbert Wiedmer, CH 2009
Unterwegs durch eine Welt der Töne, Klänge und Geräusche – mit Manfred Eicher, dem großen Entdecker und Vermittler zeitgenössischer Musik und Gründer des Musiklabels ECM.


Do, 20. - Mi, 26. Jan, 20:30 h (Fr, 21. nur um 18:00 Uhr)
Film Musik Tanz / Schweizer Film
»Bödälä - Dance the Rhythm«
Musikdokumentarfilm von Gitta Gsell, CH 2010, OmU
Ein temporeicher Film über Menschen, die ihre Füße archaisch und kraftvoll zu ihrem künstlerischen Ausdrucksinstrument machen. Ausgehend vom Bödelen in der Innerschweiz begibt sich der Film auf eine Reise zu Stepptanz, Flamenco und Irish Dance.


Fr, 21. Jan, 20:30 h
Kino im Kopf / Psychoanalytiker stellen Filme vor
»Das weisse Band - Eine deutsche Kindergeschichte«
Spielfilm von Michael Haneke, D/A/F/I 2009
Referentin: Prof. Ilka Quindeau, Frankfurt
Der vielfach ausgezeichnete Film von Michael Haneke spielt kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einem norddeutschen Dorf und schildert mysteriöse, tragische und brutale Vorfälle.


Do, 27. Jan. - Mi, 2. Feb, 20:30 h (zusätzlich Mo, 31. Jan, 18 Uhr)
Dokumentarfilm / Chile
»Nostalgia de la Luz (Sehnsucht nach dem Licht)«
Essayfilm von Patricio Guzmán, Chile/F/D 2010, OmU
Der renommierte Regisseur Patrico Guzmán kehrt nach Chile zurück und verflicht die Suche der Astronomen nach dem Ursprung des Lebens und seiner Zukunft, nach den Überresten der “Verschwundenen„ und nach dem Fortschritt miteinander.

Kinoseminar Filmpropaganda: „Kolberg“, Veit Harlan 1945

„Kolberg“, Deutschland 1945. Regie: Veit Harlan.

9. Dezember 2010, Murnau Filmtheater Wiesbaden. Einführung und Analyse durch Horst Walther, Institut für Kino und Filmkultur


„Kolberg“, der von Joseph Goebbels angeordnete Großfilm von Veit Harlan, ist ein großer Film. Schon der Anfang überwältigt: Unglaubliche Massen von Menschen, Tausende davon in historischen preußischen Uniformen, weitere Tausende in historischer Zivilkleidung, in den Straßen einer pommerschen Stadt, wie Wellen läuft der Gleichschritt durch die Menge, eine immense Ansammlung von Köpfen: das ist ein wirklicher Volkskörper, den wir da sehen; und den wir hören, denn sie singen ein schmissiges Lied, dessen Text sich langsam im Kopf des Zuschauers festsetzt: „Ein Volk steht auf, der Sturm bricht los…“ Später dann sieht man Unmengen an Soldaten in quadratischen Abordnungen aufs Schlachtfeld marschieren, das erstreckt sich bis zum Horizont – das sind gewaltige, majestätische Bilder vom historischen Napoleonfeldzug, und man spürt: Krieg ist nichts Unmenschlich-Schreckliches, sondern die natürliche Ordnung der Dinge, der man sich unterwerfen muss.

Das reißt mit; man kann nichts machen, außer diese Flut von Bildern, die über einen hinwegrauschen, auf einer zweiten Schiene im Kopf zu reflektieren: doch das ändert natürlich nichts an ihrer Kraft, an ihrer Wirkung. „Kolberg“ ist einer dieser Filme, in denen Veit Harlan genau weiß, wie er den Zuschauer zu packen hat. Und ja: einer der Filme, die ihre Botschaft plakativ vor sich her tragen, das „Haltet durch!“, das „Kämpft bis zum letzten Mann!“, das Glorifizieren von Heldentum und Opferbereitschaft. „Kolberg“, das ist der große Durchhaltefilm, der die Heimatfront stärken sollte, als eigentlich alles schon verloren war. Uraufführung war am 30. Januar 1945, am zwölften Jahrestag der „Machtergreifung“ Hitlers, und zwar in der umkämpften U-Boot-Festung La Rochelle; in die belagerten Städte Königsberg, Breslau, Danzig wurde der Film kurz darauf ausgeliefert.

„Kolberg“: Das ist eine wahre Materialschlacht, allein die Quanität dessen, was man sieht, erschlägt einen: tausende Soldaten wurden eingesetzt, um hier als Statisten zu fungieren, (mindestens) mehrere hundert Frauen und Kinder spielten mit, alles in aufwändigem historischem Umfeld; mit 8,8 Millionen Reichsmark war „Kolberg“ der teuerste Film der Nazi-Zeit, und in jedem Einzelbild sieht man, wohin dieses Geld geflossen ist. Und in jedem Einzelbild sieht man die Sorgfalt – soll man sie liebevoll nennen? –, die Harlan diesem Film zuteil werden lässt. Weil er nicht nur mit Menschenmassen auf der Leinwand umzugehen weiß, sondern auch mit den Massen an Zuschauern vor den Leinwänden, die er mit Emotion und Ideologie zuschüttet.

Lieber unter den Trümmern Kolberg tot und begraben sein, als vor den Franzosen zu kapitulieren: das ist der Wahlspruch des gewählten Bürgerverteters Nettelbeck, der sein Volk in den Kampf gegen den übermächtigen Feind führt. Das ist die eine Linie des Films, die militärische, zu der auch der junge Festungskommandant von Gneisenau gehört und der Rittmeister Schill mit seinem Freikorps. Die stehen für die neue, moderne Kriegsführung, die das Volk mit einbezieht, die den Krieg als Störung des öffentlichen Friedens von außen, als Beleidigung des gesund-patriotischen Gefühls der Masse verstehen und die gegen den Feind die große öffentliche Empörung setzen, die sich in allgemeiner Wehrpflicht, in Einbindung ziviler Kräfte zum Schutz der Heimat und zur Abwehr des Gegners setzt; die den vernünftigen Kampf jenseits aller Standesdünkel wollen, das heißt: Zivilbewaffnung, Volkssturm, totaler Krieg.

Die also als historisches Vorbild dienen dafür, was 1944/45 in Deutschland vorzugehen hat: als die Jungen, die Frauen, die Alten gerade stehen mussten gegen den Anmarsch der Russen und Amerikaner, als die Heimatfront mit Herannahen des Krieges zur wirklichen Front wurde, als jeder Einzelne sein Leben für Deutschland zu opfern aufgefordert wurde; als die Schutzfunktion des Staates für seine Bürger auf diese selbst verlegt wurde. „Kolberg“, der im Film ausgewalzte Mythos um die Stadt, in der Bürger und Soldaten gemeinsam den überstarken napoleonischen Truppen getrotzt haben: „Kolberg“ ist das Gleichnis für die deutsche Situation in den letzten Kriegsmonaten, als offiziell noch der Endsieg angepeilt wurde, unter anderem natürlich durch die Zivilbevölkerung als Kanonenfutter…

Niemals verbirgt „Kolberg“ diese Propagandabotschaft, und die kommt auch oftmals recht platt rüber. „15 Jahre hab ich in dem Haus gewohnt“, sagt Bürgerführer Nettelbeck, als es unter dem Kanonenbeschuss der Franzosen verbrennt, „und jetzt ist es hin. Naja: Das Leben geht weiter“. Aber dann, in der nächsten Szene, zeigt Heinrich George all sein Können, wenn er aus ganzer Seele den gebrochenen Mann gibt, wenn er seine Patentochter Maria tröstet, die ihren gefallenen Bruder betrauert: da fehlen ihm fast die Worte, und auch, wenn er ganz fest daran glaubt, bringt er die Durchhalteparolen nur bruchstückhaft heraus. Und das hat eine berührende Authentizität, wie er mit ihr trauert und doch um die Notwendigkeit ihrer Opfer weiß.

Maria, Kristina Söderbaum, trägt die zweite Schiene des Films. Sie verliert im Verlaufe alles, nach und nach. Den heimatlichen Bauernhof, Familienbesitz seit ewig, muss sie opfern, weil er der Militärstrategie im Weg steht; der Vater stirbt angesichts dieses Verlustes. Den verweichlichten Bruder Klaus muss sie betrauern, er lief im Leichtsinn in die Kugeln des Feindes; der andere Bruder fiel heldenhaft im Kampf; und ihren Geliebten, den Rittmeister Schill, muss sie am Strand verabschieden, er schifft sich ein in der Pflichterfüllung seiner militärischen Aufgaben, und sie weiß, dass er niemals wiederkehren wird. An ihr manifestiert sich das unendliche Leid des Volkes im Deutschland der mittvierziger Jahre, ihre Leidensgeschichte ist die Leidensgeschichte des Volkes; und sie hält es aus, weil sie es aushalten muss. Unendlich traurig zwar, einsam, innerlich gebrochen; aber unverrückt steht sie da: denn es war nicht umsonst, „der Tod ist verschlungen in den Sieg“, weiß Nettelbeck, „das Größte wird mit Schmerzen geboren. Und wenn einer die Schmerzen für uns alle auf sich nimmt, dann ist er groß.“

Pathos? Aber ja. Kitsch? Vielleicht. Aber: Man muss mitbedenken, dass alles und jeder in Harlans Filmen mit größtmöglichem symbolisch-metaphysischem Gepäck beladen wird; und das macht seine Filme groß, dass sie alles Leid in sich aufnehmen und ins Positive – und sei dies auch der durch Sieg errungene Tod – wendet. Wobei „Kolberg“ sogar noch Hoffnung im Diesseits beinhaltet: Denn Kristina Söderbaum, ganz gegen ihre Gewohnheit, stirbt am Ende des Films nicht.

Veit Harlan einer der ganz großen deutschen Filmregisseure, und einer der ganz großen Nazis; auch wenn er nie in der Partei war, auch wenn er danach alle möglichen Gerichtsprozesse gewann, die seinen „Jud Süß“ vom Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit freisprachen: einen besseren Transporteur für Nazibotschaften an die breite Masse konnte sich Goebbels nicht wünschen. Nicht nur wegen der Kunst seiner Bildfindungen, seiner Inszenierung, seiner Charakterisierungen; nicht nur wegen der mal offenen, mal versteckteren Verkündigung der NS-Ideologie in seinen Filmen; nicht nur wegen der emotionalen Überwältigung, die er in seinen Filmkunstwerken bewerkstelligen konnte; nicht nur wegen der Schauwerte, die er wie kein zweiter bot; sondern vor allem, weil alles, alles vollkommen durchdrungen war von nazistischem Wollen, so dass man dem gar nicht entkommen konnte, wenn man einen der Filme sah. Weil es ihm gelang, Mainstream-Emotionskino zu schaffen, in der die politische Botschaft bis ins Skelett der Filme hineingeimpft war.

Und: Weil er die Menschen stets dort abholte, wo sie standen. Und das war 1945: Die Trümmerlandschaft Deutschland, die er in seinem Film nicht verschweigt. Unglaubliche Szenen gibt es da, wie die Franzosen Kolberg zusammenschießen: Feuerwehr auf der Straße vor einem brennenden Haus, eines dieser Patrizier-Bürgerhäuser, die so eng aneinanderstehen; und oben, aus einem Fenster im brennenden ersten Stock, mit dem Feuer schon nebenan, springen ein Mann und eine Frau ins Sprungtuch. Das sind keine CGI-Bilder, keine Modelle, keine Puppen: Das ist echt. Und das ist echt heftig, wie die Bilder des zerstörten Kolberg denen der zerbombten deutschen Städte gleichen.
Angeblich wurden die krassesten Szenen im Nachhinein herausgeschnitten, Bilder von Toten etwa; doch was wir hier sehen, beschönigt die Lage nicht. Und – das ist die goebbelsch-harlansche Dialektik: das Desaster wird umgewendet ins große, metaphysische Positive. Das Opfer und das Leiden macht uns stark, und es erhebt uns über die anderen, die Schwachen: „Was würde aus den Menschen werden, die sagen: Ach, Napoleon, du bist sowieso stärker als wir, komm und besetze uns? Was würde aus ihnen werden? Na: die würden sich doch selbst ausrotten. Und sie gehörten auch ausgerottet!“

Denn es geht um die Werte, um den Anstand, um das, was den starken Menschen stark macht, in erhebt und erhaben macht – das ist das Fundament des harlanschen Kinos. Und dann, wenn man diese Einsicht gewonnen hat, wenn man diesen Status des Erhabenen erreicht hat, dann ist der Unterschied zwischen Glück und Unglück, zwischen Leben und Tod irrelevant. Wichtig ist dann nur noch: Sieg oder Niederlage – auch moralisch –; und dass man sich durch das leidvolle, opferreiche, heldische Leben seinen anständigen Tod verdient hat.

Wobei diese mythisch-mystischen Schichten geschickt übertünchen, dass es in „Kolberg“ ums gleiche geht wie in einer LaMotta-haften Boxer-Geschichte, der so viele Schläge des Gegners einsteckt, ohne umzufallen, bis dessen Arme erschlaffen.

Harald Mühlbeyer


„Kolberg“, Deutschland 1945. Regie, Produktion: Veit Harlan. Buch: Buch: Veit Harlan, Harald Braun. Kamera: Bruno Mondi. Musik: Norbert Schultze.
Mit: Heinrich George (Nettelbeck), Kristina Söderbaum (Maria), Paul Wegener (General Louadou), Horst Caspar (Kommandant von Gneisenau), Gustav Diessl (Leutnant Schill), Otto Wernicke (Bauer Werner).

Weltkongress in Dresden

Filmproduzenten für Sach- und Wissenschaftssendungen in Elbflorenz

In den Tagungsräumen „Bellevue“ des Westin-Hotels tummelten sich jede Menge Menschen, meist in Geschäftskleidung. Nur die ein oder andere extravagante Brille, Frisur oder Farbe der Kleidung ließ vermuten, dass es sich hier um einen Kongress von Filmemachern handelte. Überall ging es ums Geschäft: Auf den Fluren, in der Hotellobby, beim Essen – die neusten Filme wurden feilgeboten und zukünftige Co-Produktionen eingefädelt. Alle Jahre wieder vernetzten sich die Medienmacher aus aller Welt ohne viel Presse und ohne viel Wind.

Vom 30. November bis 3. Dezember 2010 fand der „World Congress of Science & Factual Producers“ (WCSFP) in Dresden statt. Im Mittelpunkt standen Film- und Fernsehproduktionen mit wissenschaftlichen und sachlichen Inhalten, auch jede Menge Dokumentarfilme.



Melbourne, Toronto, New York, Manchester, Tokyo, Florenz…: In der Reihe namhafter Städte ging nun Dresden als Austragungsort des 18. Kongresses ein. In Dresden, dem sogenannte Elbflorenz, produzierte die DDR ab 1955 Animationsfilme. Im Rahmen der Wiedervereinigung schloss das DEFA-Studio für Trickfilme 1990. Das Deutsche Institut für Animationsfilm (DIAF) verwaltet seither die hinterlassenen Filmmaterialien und Dokumente, und bildet langfristig ein Netzwerk zum gesamtdeutschen Animationsfilm. Heute beschränkt sich die Filmszene Dresdens auf kleinere Filmarbeitskreise, die Filmnächte am Elbufer und das Kurzfilmfestival „Filmfest Dresden“. Den mehr als 600 Konferenzteilnehmern, die von allen Kontinenten angereisten, ist die Stadt nicht zuletzt durch den Wiederaufbau der Frauenkirche ein Begriff.

Eigentlich könne man jeden Monat einen Kongress zu diesem Thema besuchen, meinten einige der Besucher, doch diese Veranstaltung hier sei etwas ganz besonderes: keine externe Organisation, sondern die eigenen Mitgliedern organisieren die jährlichen Treffen. Zur Begrüßung fielen sich Medienmacher um den Hals. Man kennt sich. Ein amerikanischer Produzent erklärt, dass es etwa 50 Leute gäbe, die die Inhalte der Wissenschafts- und Sachsendungen bestimmten, und die seien alle hier. Neben den Hauptakteuren der Branche ermöglichte der Kongress gleichzeitig einigen Produzenten aus sogenannten „aufstrebenden Märkten“ die Teilnahme. Der Geschäftsführer einer deutschen Produktionsfirma merkte positiv an, dass das Kongressprogramm wirklich auf die Bedürfnisse der Teilnehmer ausgerichtet sei. Zum Tagesprogramm gehörten Sitzungen, in denen aktuelle und zukünftige Entwicklungen diskutiert wurden. Besonderen Anklang fanden die Veranstaltungen zum Thema 3D und zum deutschen Markt.

Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, Produzenten, Filmemacher und Rundfunkvertreter an einen Tisch zu bringen: Veranstaltungen wie „Speed Dating“ und Treffen zu Finanzierungsfragen im geschlossenen Rahmen gaben dazu die Möglichkeit. Letztere Treffen nannte sich „Close Encounters of the Funding Kind“, in Anlehnung an Steven Spielbergs „Close Encounters of the Third Kind“ („Unheimliche Begegnung der dritten Art“). Zwischen den unterschiedlichen Veranstaltungsräumen und sogar beim Essen war jeder auf der Suche nach den besten Deals und den besten Kontakten. Schließlich waren alle zum Kongress gekommen, um sich hier zu vernetzen. Das galt auch beim Abendprogramm, wie beispielsweise in einer Brauerei oder beim Karaoke-Singen. Durch das exzessive Knüpften und Pflegen von Geschäftsbeziehungen musste sogar das Gastronomie-Team auf der sogenannte Willkommens-Cocktailparty blitzschnell seine Bewirtungsstrategie umstellen. Zur Überraschung der Kellner blieben die Gäste nicht wie erwartet an einem Ort sitzen, sondern wechselten häufig ihren Platz oder feierten gleich eine Stehparty. In diesem Geschäftsbereich gehe es mehr um das Vertrauen zwischen den Beteiligten als in anderen Branchen, so die Veranstalter.

Die Medienleute blieben jedoch keinesfalls nur unter sich: Im Rahmen eines Workshops wurden Wissenschaftler, u.a. vom Max-Plank-Institut, speziell auf die Anforderungen der Medienbranche vorbereitet. Sie lernten ihre wissenschaftlichen Inhalte für eine mögliche Rundfunkvermarktung überzeugend und verständlich darzustellen. Durch den Kontakt mit den Forschern erhoffen sich die Medienmacher neue und aktuelle Inhalte.

Während der Veranstaltungstage hatten die Kongressteilnehmer die frisch eingeschneite Elblandschaft hinter den großen „Bellevue“-Fenstern bestaunt. Zum Abschluss des Treffens schipperten sie gemeinsam bei Dresdner Christstollen auf dem Dampfer über die Elbe: Ein Vorgeschmack auf den Kongress 2011 in Paris, wo sich Touristen mit dem „Bateau Mouche“ über die Seine fahren lassen.


Raphaela Helbig


(Bild: Auf dem „World Congress of Science & Factual Producers” spricht Ranga Yogeshwar über die Wettbewerbssituation wissenschaftlicher Sendungen im deutschen Fernsehen. Foto: Raphaela Helbig)

TV-Tipp: LIVE STREAM heute im Fernsehen.


Nochmal zur Erinnerung:

Heute, Mittwoch, den 8. Dezember, läuft um 23.10 Uhr der auf dem FILMZ als bester mittellanger Film aufgezeichnete LIVE STREAM! Im SWR.

Kinoseminar Filmpropaganda: „Hitlerjunge Quex“

„Hitlerjunge Quex. Ein Film vom Opfergeist der deutschen Jugend“. D 1933. Regie: Hans Steinhoff.
Mit Einführung und Analyse von Horst Walther, Institut für Kino und Filmkultur.


1933 kamen sie an die Macht, schnell verboten sie die politische Konkurrenz von Kommunisten und Sozialdemokraten; doch ins Innere des deutschen Volkskörpers, zu seinem Herz mussten sie mit anderen Mitteln vorstoßen. Dazu diente den Nationalsozialisten die Propaganda, deren Zukunft Joseph Goebbels richtig im Filmbereich erkannte. Heute gilt „Hitlerjunge Quex“ als ein sogenannter Vorbehaltsfilm, der nur mit Experten-Einführung, mit Filmanalyse und anschließender Diskussion gezeigt werden darf.

Als einer der erste NSDAP-Werbefilme kam „Hitlerjunge Quex“ im September in die Kinos; konzipiert und gedreht 1933, spielt der Film irgendwann in den Jahren zuvor, als der Konflikt zwischen Nazis – sprich: Hitlerjugend – und Kommunisten in der ganz heißen Phase war. Darin verwickelt: Heini Völker, 12 Jahre, aus kommunistischem Arbeitermilieu stammend, der zum Entsetzen des Vaters zur HJ tendiert. Botschaft: Die Kommunisten sind liederlich, bösartig, verbohrt und gewalttätig, gut, dass wir das überwunden haben; und, gemünzt auf die noch Unentschlossenen des Jahres 1933: die Nazis, pars pro toto dargestellt durch die Jugendorganisation, sind für alle offen – kommt und macht alle mit!

An sich und an erster Stelle ist der Film eine Werbeveranstaltung für die HJ, damit für die NSDAP; also anders als „Jud Süß“ nicht von vornherein negativ. Der Konflikt, die Diskrepanz zwischen Nazis und Kommunisten, die der Film darstellt, ist auch gar nicht so bösartig, wie man es erwarten könnte; denn, darauf wies Horst Walther vom Institut für Kino und Filmkultur hin: man wollte die, die vor ’33 zur Linken tendierten, ja nicht verprellen, sondern ihnen mit der NSDAP eine Alternative zur bisherigen Lebens-, Welt- und Politikanschauung bieten. Mit dem perfiden Kniff, dass damit den Zuschauern eine Wahl suggeriert wird, als hätten sie die Option einer anderen Meinung, was natürlich ab der sog. „Machtergreifung“ nicht mehr der Fall war.

Das zweite, das der Film bietet – ein Aspekt, der sich nicht nach außen, an die Nochnichtnationalsozialisten, richtet, sondern nach innen, zu den Anhängern der Partei –, ist eine Heiligenlegende, eine Märtyrergeschichte der Hitlerjugend, angelehnt an den realen Fall des Hitlerjungen Herbert Norkus, der im Januar 1932 tatsächlich von Kommunisten beim Flugblattaustragen ermordet wurde. Eine Legendenbildung also, eine Art Gründungs- und Begründungsmythos, mit der der Film die Trauer über den gefallenen Kameraden in die Zukunft richtet. Stets mit dabei: Das von Reichsjugendführer Baldur von Schirach getextete Lied „Unsre Fahne flattert uns voran“, in schmissigem Marschrhythmus ein richtiger Ohrwurm: In diesem Film wird das Lied erstmals präsentiert, das zum Kampflied der HJ werden sollte. „Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not / Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.“ Und: „Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit! / Ja, die Fahne ist mehr als der Tod!

Die Fahne: sie symbolisiert den Mehrwert der NSDAP gegenüber allen anderen, Horst Walther führte das an einem kleinen Dialogdetail des Filmes aus: Der Jugendführer der Kommunisten, der Hauptfigur Heini für sich gewinnen möchte, erzählt von all den wichtigen Werten, für das sie kämpfen: gegen Hunger und Not, für Gleichheit und Gerechtigkeit. Und Heini, inzwischen Hitlerjunge, entgegnet: Ja, dafür kämpfen wir ja auch; aber wir haben auch eine Fahne.
Das wirkt heute erstmal lächerlich, ebenso wie die Freude in Heinis Gesicht, als er endlich endlich seine eigene HJ-Uniform bekommt. Fahne und Uniform, das sind Fetische der Vergangenheit, heutigentags Symbole ohne Wert; doch sie machen den entscheidenden Unterschied aus, und damals wurde das sehr genau verstanden.

Einmal, noch recht am Anfang, nimmt Heini an einem Zeltlager der Kommunistischen Jugend teil, und er fühlt sich dort unwohl. Das Essen wird einem zugeworfen, mit Kartenspiel und Alkohol kann er nichts anfangen, die Mädels sind aufreizend, die Jungs zotig – diese Welt pubertärer Späße ist nichts für ihn, er ist zu jung, er sehnt sich nach anderem. Und das findet er ein paar Meter weiter durch den Wald, am See, wo die HJ ihre Zelte aufgebaut hat, schön ordentlich nebeneinander, in Reih und Glied stehen sie beim Appell stramm, Mädels und Jungs zusammen im Zeltlager, aber geschlechtergetrennt, die Suppe wird mit Schöpfkelle geordnet ausgeteilt; und dann marschieren sie los, die uniformierten Jugendlichen, und unwillkürlich bewegt Heini seine Beine im Rhythmus mit, „Wir marschieren für Hitler durch Nacht und Not…“ Hier hat er seine Berufung gefunden, hierher muss er, das ist seine Welt.

Getrennte Lager, gegenseitige Feindschaft – doch Regisseur Hans Steinhoff bietet kein reines Schwarz-Weiß-Bild, das ist ja das „Gute“ an diesem Film, an der goebbelschen Propaganda: auch da, wo sie ganz explizit präsentiert wird, ist sie zwar eindimensional, aber nicht völlig platt. Die Inszenierung geht mit einiger Raffinesse vor, die Dramaturgie ist ausgefeilt auf Spannung und Emotion ausgerichtet. Und die Figuren sind nicht flach, nein: sie sind durchaus ambivalent gehalten, auch die Kommunisten. Gerade Heinis Vater, für den Heinrich George alle Register seiner Kunst zieht: aufbrausend und liebevoll, geistig arm und bauernschlau, brutal und zärtlich, stur und doch nachdenklich.

Klar: Ein Film, in dem H. George mitspielt, ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ein nazistisches Propagandastück, das geht von ausgesprochenen Vorbehaltsfilmen vom „Quex“ bis „Kolberg“, aber auch die frei zugänglichen George-Filme forcieren stets stark die Nazi-Ideologie. George spielt dabei – weil er ja auch ein guter Schauspieler ist – gerne differenziert, und so gibt es hier eine Szene, in der er mit Ohrfeigen seinem Filmsohn Heini die „Internationale“ um die Ohren haut, sie ihm regelrecht einprügelt, um die vorausflatternde Fahne wegzuballern; und dann, später, sitzt er auf der Parkbank und erzählt sein Schicksal von Weltkrieg, Verwundung, Arbeitslosigkeit und Depression, und er denkt nach, wie es in der Zukunft weitergehen könnte…

Die Zukunft: Dahin richtet sich der Film, das heißt: er richtet sich an die Jugend. Er ist gespickt von Anspielungen auf die damalige Popkultur, einer summt mal „Das ist die Liebe der Matrosen“ aus dem 1931er-Film „Bomben auf Monte Carlo“ – produziert zum 1933 schon emigrierten Erich Pommer, inszeniert vom Juden Hanns Schwarz (beide Filme, „Monte Carlo“ und „Quex“, mit Meister-Kameramann Konstantin Irmen-Tschet…). Heinis Mutter bringt sich um mit dem Gasherd, so wie man es zuvor im „linken“ Kino gesehen hat, in Phil Jutzis „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ – auch darauf ging Horst Walther ein, wie die Nazis nun die filmischen Positionen der Linken besetzen, wie sie das Elend der Arbeitslosen zeigen – mit dem Ausweg HJ, Fahne, Nationalbewusstsein. Wenn die Kommunisten sich mit Pfiffen verständigen, um am Ende die Jagd auf Heini zu eröffnen – sind das nicht ähnliche Pfiffe wie in Fritz Langs „M“? Und wenn die Kommunisten einen bewaffneten Angriff auf die HJ planen, dann ist das derselbe Plot wie zuvor in Franz Seitz Sr.s „SA-Mann Brandt“, mit dem der Regisseur von München aus der neuen Macht um Hitler in den Arsch kriechen wollte, einen Film hinlegte, der bald darauf verboten wurde… Die SA war nach der „Machtergreifung“ nicht mehr opportun, wo zuvor die Reihen fest geschlossen waren, flattert nun die Fahne voran; der Schuss ging für Seitz nach hinten los. „Hitlerjunge Quex“, mit praktisch ähnlichem Plot, ist die neue, verbesserte, staatlich sanktionierte 2.0-Version von „SA-Mann Brandt“; und vor allem sehr viel besser gefilmt, sehr viel besser inszeniert. Am Ende, bei der Verfolgung des Hitlerjungen über einen Jahrmarkt, wie Heini sich versteckt, wie er sich versehentlich verrät, wie er dann – im Off – erstochen wird, mit dem Taschenmesser mit acht Klingen, das er sich so sehr gewünscht hat… da ist Emotion drin, Suspense, und ja: Man wird hingezogen, hineingezogen in den Film, in die HJ.

Klar sind die Werte des Films veraltet, und die heutige Jugend würde dem Film die kalte Schulter zeigen, auch wenn er öffentlich freigegeben würde, wenn der Vorbehalt aufgehoben würde. Doch in der Diskussion nach dem Film deutete sich etwas an: ein Herr berichtete, wie er selbst, als er in der Jugend den Film sah, sich überlegte, die eigenen Eltern denunzieren zu müssen; einer erzählte, wie auch in den 50er, 60er Jahren dann und wann und durchaus ernstgemeint in Diskussionen um Kriminalität und Unmoral – die der Film ja den Kommunisten zuschreibt – geäußert wurde, dass ein kleiner Hitler wieder nötig wäre. Wenn nun dieser Film, der „Hitlerjung Quex“, der sich ursprünglich an Heranwachsenden richtete, zwar die heutige Jugend nicht mehr tangieren würde: könnte er denn nicht vielleicht das ältere Publikum durchaus zu gewissen Gedanken verführen?

Harald Mühlbeyer



Am 9. Dezember folgt in der Filmreihe „Kinoseminar Filmpropaganda“ im Murnau-Filmtheater Wiesbaden Veit Harlans „Kolberg“ von 1945.

Western weltweit - Globale Auswirkungen des uramerikanischen Genres

Unter www.western-global.de präsentiert sich das Projekt "Western global - Interkulturelle Transformationen des amerikanischen Genres par excellence", das nach Spuren des Western-Genres in den Kinematographien verschiedener Länder sucht, jenseits der sattsam bekannten Intalo- und Teutonowestern. Leiter dieser Western-Studien ist der Screenshot-Mitbegründer und langjährige Redakteur Thomas Klein.

Mexiko, Australien, Brasilien und Japan bilden die Länderschwerpunkte, denn dort haben sich - laut Projektbeschreibung - in Mexiko mit dem Charro-, in Brasilien mit dem Cangaceiro-, in Australien mit dem Bushranger- und in Japan mit dem Samurai-Film nationalspezifische Genres herausgebildet, die unter Bezugnahme auf den Western zu einer mythisch fundierten nationalen Identitätsbildung beigetragen haben. "Methodisch wird an den semantisch-syntaktischen Ansatz der Genreanalyse sowie an Ansätze der postkolonialen Theorie angeknüpft. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, Transformationen des Western in den jeweiligen komplexen nationalkinematographischen sowie kulturellen und historischen Kontexten zu untersuchen. Das Projekt versteht sich als Pionierstudie zu einem in dieser Form bislang nicht erforschten Phänomen der interkulturellen Praxis."

Die Webseite des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes befindet sich noch im Aufbau, wird aber in den nächsten Wochen und Monaten beständig erweitert; alsbald werden Filmdatenbank, Analysen, Zwischenberichte aus der Forschung, Filmstills und -ausschnitte veröffentlicht.

FILMZ 2010: Nachlese



Jetzt ist es fast schon wieder eine Woche rum, der 10. Geburtstag des FILMZ – Festival des deutschen Kinos in Mainz. Zeit, das Filmfest nochmal Revue passieren zu lassen und einen Blick vor allem auf einige noch nicht erwähnte Höhepunkte zu werfen. Und auf ein paar Niederungen…

Den Hauptpreis, das Mainzer Rad, gewann MEIN LEBEN IM OFF, was uns nicht nur deshalb freut, weil wir ihn hier schon vorab empfohlen haben. Sondern weil es eine sympathische kleine Komödie von einem jungen, sympathischen Filmemacher ist (Drehbuch und Regie: Oliver Haffner), die sich leichtfüßig gegen ebenfalls sehenswerte bis herausragenden Langfilmwettbewerbsbeiträge wie dem Historiendrama POLL von Chris Kraus (bei dem meine Meinung auch von der unseres Redakteurs Harald Mühlbeyer, der den Film bereits in Hof gesehen hat, stark abweicht).



Oder dem faszinierenden UNTER DIR DIE STADT des „Berliner Schülers“ Christoph Hochhäusler (MILCHWALD, FALSCHER BEKENNER), der auf eine derart ganz besondere Weise GUT ist, bei der man sich manches Mal einfach nur staunt, wie er da was jetzt einem eigentlich gezeigt und erzählt hat. Wer meint, WALLSTREET 2 erkläre ihm was über die Finanzwelt, der soll sich UNTER DIR DIE STADT anschauen. Nicht, weil UNTER DIR DIE STADT wirklich ein Mehr an Innensicht in den Finanzsektor brächte (was Hochhäuslers Film freilich so elegant NICHT tut, dass er gerade dadurch verblüffend viel von den Strukturen und psychologischen Stimmungen hinter den Bankfassaden preisgibt): Nein, vielmehr spricht UNTER DIR DIE STADT allem Gewäsch in Sachen „Ausbeutung“ hier und „Humankapital“ da mit seiner amour fou zwischen dem Bankchef Cordes (fesselnd: Robert Hunger-Bühler) und der einsamen, eigen- wie feinsinnigen jungen Svenja, Ehefrau eines seiner niederen neuen Angestellten (großartig ungreifbar: Nicolette Krebitz) Hohn. Die gegenseitigen Anziehungen und Abstoßungen, Manipulationen und Abhängigkeiten lassen all den kapitalistischen Mechanismen so simpel sein, wobei sich Hochhäusler zugleich auch nicht in einen reduzierenden Psychologismus und Individualismus rettet. Denn natürlich ist ebenso viel Bank in Cordes wie Cordes in der Bank und beides steckt, weder noch, in Svenja, die weniger Gegen- [z.B. als Modell „Kunst“] als eher ein Anti-Prinzip darstellt.



Auf die Weise, wie Cordes – der gar Svenjas Mann ins gefährliche Fernostasien schicken kann, um ihn aus dem Weg zu haben – sich in seinem Begehren nach ihr und mehr noch in der Befriedigung dieses Begehrens selbst verzehrt, gemahnt UNTER DIR DIE STADT in seiner existentiellen Intensität und Verlorenheit durchaus an Lynchs LOST HIGHWAY, einem Klassiker des Kinos des verzweifelten identitätsbestimmenden Erreichen- und Besitzen-Wollens. Am 31. März 2011 startet UNTER DIR DIE STADT in den Kinos; schauen Sie ihn sich an, dann wissen Sie, dass das hier kein Geschwurbel ist, sondern die simple Wahrheit.

Ein weitere Preisträger: LIVE STREAM von Jens Wischnewski, der als bester mittellanger Film ausgezeichnet wurde. Fünfundvierzig Minuten geht der Film, und war damit noch im Rahmen dessen, was auf dem FILMZ als „mittellang“ gilt, nämliche Filme mit einer Lauflänge zwischen 20 und 45 Minuten. Wie albern das ist (weil z.B. sich der nicht mal halb so lange HEIMSPIEL, der beim diesjährigen Max Ophüls Preis im KURZFILMwettbewerb lief, in Dresden als bester KURZfilm von der deutschen Filmkritik prämiert wurde und auch sonst überall als KURZFILM gezeigt wurde, mit LIVE STREAM messen musste / sollte, der entsprechend eine ganz andere Dramaturgie und einen ganz anderen, nun ja, „Flow“ erzeugt), ja das wollen wir hier gar nicht ausbreiten.



HEIMSPIEL und LIVE STREAM haben aber gewisse Ähnlichkeiten, vor allem: ein „Lehrer“ mit Doppelleben. In LIVE STREAM ist es Prof. Hoffmann (Matthias Brandt), der der ausgelassenen, bisweilen manischen Selbstinszenierung seiner Studentin Anne (Anna Maria Mühe) auf deren Videoblog folgt. Er selbst ist ein kalter unnahbarer Doktor Spaßlos der gestrengen Sorte, doch der großartige Brandt mit seinen wässrig-verletztlichen Augen verlieht diesem kontaktgestörten Akademiker die perfekte Ambivalenz, die den Zuschauer zwischen Mitleid und Verachtung festsitzen lässt. Dazu gesellt sich dann noch ein Schaudern und Peinlich-Berührtsein, wenn der Akademiker selbst zu Element-of-Crime-Songs eigene anonyme Videonachrichten für seine „Miss Bingo“ dreht, dabei z.B. seinen mit Lippenstift geschminkten Bauch singen lässt. Lächerlich, traurig und „spooky“ in einem.

Aber auch Anna ist eine verletzte kranke Seele (und mit der großen kleinen Mühe ebenfalls mustergültig besetzt). Das Bravouröse an LIVE STREAM ist aber, dass seine Geschichte nicht nur diverse Vorhersagbarkeiten vermeidet (z.B. am BLAUEN ENGEL gottseidank vorbeischrammt), sondern auch mit dieser Anna wunderbar vage und damit tiefgründiger bleibt, bis dass man zuletzt bei ihr nicht mehr mit Bestimmtheit weiß, was von dem, was sie tut und sagt, eine Lüge ist oder eine Show, wann es Ernst ist, Plan oder Affekt – wann sie sich noch selbst glaubt oder als Kunstfigur sieht. Der Film ist damit letztlich mehr, als die übliche Parade der psychisch oder gesellschaftlich „Kranken“. Viel mehr. Danke nach Ludwigsburg, wo dieser Film, was war’s, dem dritten Jahr? entstand.

Fünfundvierzig Minuten geht LIVE STREAM – gefühlt hätte es auch Langfilmlänge sein können, im bestgemeinten Sinne, denn so dicht und spannend gerät dieses fein inszenierte und geschriebene Stück.

Übrigens: LIVE STREAM kommt im Fernsehen, am Mittwoch, den 8. Dezember um 23.10 Uhr im SWR!!

Was gab es noch so auf dem FILMZ?

Richtig, Dokumentarfilme! Von denen der Verfasser dieser Zeilen zu seiner Schande keinen gesehen hat, schon gar nicht: Heike Bacheliers FEINDBERÜHRUNG, die dafür mit dem brandneuen Dokufilmpreis (gestiftet vom internationalen High-Tech-Glaskonzern Schott mit Hauptsitz in Mainz) ausgezeichnet wurde.

Als bester Kurzfilme wurde WATTWANDERER von Max Zähle prämiert. Der war nett und gut, aber --- …

Okay, geschwiegen werden sollte davon, und das würde es auch, wäre nicht dieselbe sanfte Kritik auch von anderen Festivalgästen geäußert worden. Drum:

Die Auswahl der Kurzfilme im Hauptwettbewerb am Sonntag wie die lokalen am Samstag war nicht gerade, sagen wir’s mal so: „optimal“. Experimentelles und Formspielerisches dominierte, und was vielleicht früher mal zu kurz kam, kam nun im Übermaß. Die Qualität der Werke war in der Gänze gar nicht zu bemängeln, doch weshalb die Computeranimation eine Kugel und ein Musikvideo bei den Rhein-Main-Shorts gezeigt wurden, blieb schlicht rätselhaft. Zumal wenn vorab in der Anmoderation verkündet wurde, für jeden sei etwas vorbei. Sehr bezeichnend, dieser kleine nette Irrtum. Dass nicht Herzeigbares an Konventionell-Erzählerischem unter den über 200 Einsendungen gewesen ist, mag ich persönlich nicht glauben. Wie heterogen hier die Jury also auch tatsächlich gewesen sein mag: Das Kurzfilmauswahl der beiden genannten Veranstaltungen wirkten ein einziger Einzelgeschmacks. Einer mit Schlagseite. Ganz so schlimm war es bei Kurzfilmwettbewerb nicht, aber auch hier spürte man die Tendenz, die mit den traditionell narrativen Werken, die man dann doch bot, eher noch bestärkt wurde: WEITER LAUFEN von Jan Bolender hantierte wunderbar gefilmt mit allzu dick klischierten Vorstellungen einer allzu entmenschlichten Lebenswirklichkeit einer Unternehmensberaterin, der (und uns) von der Freundesunfähigkeit bis zum „nicht erreichbaren“ Vater wenig erspart bleibt, auch nicht der böse Blick des One-Night-Ständers, der flugs das Hotelbett verlässt. Und wie WATTWANDERN blieb auch DAS PAKET nett und lustig, aber letztlich bloß eine Momentepisode. Die beide, so fair muss man sein, erzählerisch auch nicht mehr bieten wollen. Und trotzdem 2010 hatte doch sicher mehr zu bieten – und dem FILMZ sicherlich eingeschickt.

Kurzum: Mutig war die Kurzfilmjury (und das FILMZ), durchaus, und Hut ab dafür. Aber so richtig Freude hat dieser Mut eben nicht gemacht, sorry. Nein, wer eine Kurzfilmrakete haben wollte, war besser mit den Vorfilmen bedient – oder der Best of FILMZ-Gala: Klassiker und solche, die auf dem besten Weg dahin sind, gab es, von STABLERFAHRER KLAUS über 37 OHNE ZWIEBELN bis DER CONNY IHR PONY.

Ansonsten, liebe FILMZ-Organisatoren: Bitte bitte nach dem Stimmzetteleinsammeln des Kurzfilmwettbewerb eine kurze Pause einlegen und nicht direkt weiter mit der Preisverleihung. Viele Leute gingen, andere kamen und der Rest hatte sich nach zwei Stunden ein Show-Durchatmen verdient. Entsprechend herrschte Trubel, Unterhaltung und Spaziergang, kurz: Unaufmerksamkeit im voll erleuchteten Residenz-Kinosaal; und im Mainzer Hauptbahnhof zur weihnachtlich-wochenendlichen Stoßzeit wäre die Drehbuch-Pitch-Prämierung (oder was da sonst gerade so verliehen wurde) nicht weniger unerfreulich und unwürdig untergegangen. Nur 30 Prozent passten auf, 10 Prozent hätten es gerne, konnten aber nicht, vor lauter Kommen, Stehen und Gehen. Wäre ich Preisstifter oder gewinner gewesen, wäre ich mir ziemlich doof vorgekommen.

Darum vielleicht nächstes Jahr einfach eine zehnminütige Pause fürs Nachhause-, Aufs-Klo-, Zigaretterauchen- oder Getränkeholen-Gehen und danach mit Stil weiter. Soviel Zeit muss sein und soviel Souveränität hat FIMZ in seinem Alter verdient. Und alles in allem auch tatsächlich gezeigt.


(zyw)

FILMZ 10: „Potato Fritz“ – Die größten Kartoffeln

Die Rückblende bei Jubiläums-FILMZ beschäftigte sich mit den Rückblenden der vergangenen Jahre. Aber nicht auf so simple Art wie die 60. Berlinale im Februar d.J., wo einfach Filme aus vergangenen Retrospektiven ausgesucht und wiederholt wurden. Nein: FILMZ zeigt Filme, die in den Retrospektiven der vorherigen Jahrgänge nicht gelaufen waren, und bietet so einen nochmals erweiterten Rückblick auf die deutsche Filmgeschichte. Da wurden sinnige Filme ausgesucht: Der „Blechtrommel“-Director’s Cut, der dieses Jahr erstmals in Cannes vorgestellt wurde, als Ergänzung zur Schlöndorff-Retro von 2004 und zur Mario-Adorf-Schau 2009, oder der 1973 in der DDR verbotene und in diesem Jahr rekonstruierte „Die Taube auf dem Dach“ von Iris Gusner als Nachklapp zur Defa-Rückblende 2005.

Von Peter Schamoni, bei FILMZ filmgeschichtlich aufbereitet im Jahr 2008, lief ein seltsamer Film, ein deutscher Western aus dem Jahr 1975: „Potato Fritz“, im Vorspann mit seinem späteren Verleihtitel „Zwei gegen Tod und Teufel“ angegeben. Was ein Western braucht, ist in diesem Film drin: Schlägerei im Saloon und Klopperei zweier Freunde, um sich ihrer Männlichkeit zu vergewissern; Schießereien, Überfälle und Hinterhalte, lauernde Indianer, Siedler und Kavallerie, vorwärtstreibende Gier nach einem versteckten Goldschatz, rückwärtsgewandte Rache wegen einer früheren Fehde; ein züchtig-sehnendes Mädel, typisch leiernde Western-Musik, Helden, Schurken und irgendwas dazwischen. Dazu die typischen Spätwestern-Elemente der latenten bis akuten Ironisierung; denn der Held, gespielt von Hardy Krüger, ist ein Farmer, der eigentlich nur seine Kartoffeln anbauen will; im hart umkämpften Indianergebiet, da, wo irgendwo das Gold versteckt ist…

Problem dabei ist, dass das alles zwar toll in einen Western passt, aber leider nicht in diesen Film. Denn der reiht alles aneinander, ohne so richtig die Übersicht zu haben, wann was angemessen, wann was notwendig und wann was überflüssig ist. Viele wichtige Plotelemente – Morde, die vielleicht von Indianern, vielleicht aber auch von Banditen begangen wurden, oder Hinweise auf Vermisste – werden nicht gezeigt, sondern nur aus zweiter Hand von irgendwelchen Leuten irgendwelchen anderen Leuten berichtet. Überhaupt gibt der Film zu Anfang keine Hinweise, wo die Linien der verschiedenen Gegnerschaften verlaufen, wie die Figurenkonstellation konstruiert ist, worum es eigentlich geht. Das ist wohl eine bewusste Mystifizierung von Schamoni; die aber weniger Spannung als Konfusion aufbaut. Irgendwann tritt ein durchgeistigter, weltabgewandter Reverend auf, der im Namen Gottes Bisons vor sich her scheucht; und dann fällt er einfach aus dem Film und ward nicht mehr gesehen. Oder wurde er ermordet, und ich habs nicht so richtig mitgekriegt?

Trotzdem ist in diesen Zwischenräumen, die sich auftun, wenn alles nicht so recht zusammenpasst, eine gewisse Coolness zu spüren; Hardy Krüger gibt den harten Kerl, Stephen Boyd kämpft für Gerechtigkeit und zugleich für seinen Anteil am Schatz, von oben, von den Felsen, beobachtet Indianerhäuptling Arschloch das Geschehen, die Kartoffeln wachsen und gedeihen, die Musik stammt von Udo Jürgens (!), und einen der Soldaten spielt Fußballweltmeister Paul Breitner, mit seiner typischen wilden Mähne, mit Barttracht und seiner langen Nase: das ist irgendwie schon so verquer, dass es wieder gut ist; nicht mal unbedingt in einem Trash-Sinn, sondern einfach, weil klar wird: hier hat Peter Schamoni so richtig reingehauen, denn wenn schon Genre, wenn schon Western, wenn schon deutsch: dann richtig.

Harald Mühlbeyer

FILMZ 10: SATTE FARBEN VOR SCHWARZ



Seit fünfzig Jahren sind Anita (Senta Berger) und Fred (Bruno Ganz) zusammen, könnten den Lebensabend genießen, eine schöne Villa haben sie, leben in gehobenen Verhältnissen und doch zugleich sehr souverän und entspannt darin – und wie vor allem Fred seiner Frau von der Seite ansieht, dabei lächelt, lässt einen spüren, wie glücklich sie miteinander noch sind.

Doch Bruno will sich auch absondern, Raum und Zeit zum Nachdenken, und während der Sohn nach Hause kommt, weil die Tochter heiratet, erfahren wir nebenbei: Bruno hat Krebs. Und überlegt, ob er sich überhaupt operieren lassen will. Anita ist darüber still verletzt, hilflos. So muss sich das Ehepaar damit auseinandersetzen, wie es ist, mit- und gegeneinander alt zu werden. Und dass es für jeden unweigerlich aufs Ende zugeht.



SATTE FARBEN VOR SCHWARZ ist kein Kranken- und auch weniger ein Alters-, sondern ein Beziehungsdrama. Eines, das sein unbequemes und wichtige, oft unterbeleuchtet Themen mit kleinen Details und genauen Beobachten, dazu mit auch feinsinnigem Gespür für Momente, Stimmungen und Dialoge – auch Witz – geerdet, dabei sehr leicht und umso mutiger angeht. Keine depressive Krankenhausaufnahmen, sondern eine Bürgerwelt, in der die Alltäglichkeit des Rentendasein gegen eine andere, viel existenziellere behauptet werden will. In der Gefühle und Auswege ausprobiert werden, bis zum konsequenten Ende. SATTE FARBEN IN SCHWARZ ist ein Film, der sich nicht nur Zeit, sondern die richtige Zeit nimmt.

Fast schmerzhaft schön oder elegant und doch nicht verkündstelt ist die Bildgestaltung (Kamera: Christine A. Maier). Doch neben dem vorzüglichen Buch (Regisseurin Sophie Heldman zusammen mit Felix von Knyphausen, basierend auf biographischen Erfahrungen der deutsch-schweizerischen Filmemacherin) sowie der vorzüglichen Regie sind es vor allem aber die beiden großen Darsteller Senta Berger und Bruno Ganz, die SATTE FARBEN VOR SCHWARZ zu einem intensiven – nein, nicht Erlebnis: einer Erfahrung machen.



Ob beide zusammen, liebkosend, Berger stumm verzweifelt; wenn Ganz nackt im Spiegel seinen gealterten Körper betrachtet oder im Gespräch mit einem Mundwinkelzucken oder einem Blick Worten und Tun nachgerade „auflädt“, wie das keine Regie und kein Drehbuch auch nur andeuten können: dann ist das bei ihnen nicht nur eine couragierte Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensphase, die mit sichtlichem Wissen miteingebracht wurde, sondern schlicht von einer Präsenz und Dichte, die einen nicht so schnell wieder verlässt.

Vielleicht ist gerade deshalb der Titel so erstaunlich treffend, beschreibt er weniger etwas im Film oder den Films - als vielmehr das "Wirkung" des Films auf den Zuschauer.

Daher: Ganz großes Kompliment für und vielen Dank an Frau Heldman, die hier nicht nur ihren dffb-Abschluss- bzw. Debütfilm vorgelegt hat, sondern mehr noch etwas, das mit zarter Hand ganz fest packt.


Bernd Zywietz


SATTE FARBEN VOR SCHWARZ läuft auf dem FILMZ noch einmal am Sonntag um 17.30 Uhr im Cinestar 7. Sollten Sie nicht verpassen!


R: Sophie Heldman
B: Felix zu Knyphasuen, Sophie Heldman
K: Christine A. Maier
SCH: Isabel Meier
Mit: Bruno Ganz (Fred), Senta Berger (Anita), Leonie Benesch (Yvonne), Barnaby Metschurat (Patrick), Carina Wiese (Karoline)

Kritikerschelte

Schnell mal meine drei Groschen zu den FILMZ-Webkommentaren, DIE ENTBEHRLICHEN und unserem Redakteur und Autor H.M., der mit diesem Meinungstext hier nichts zu tun hat bzw. nur als Aufhänger dient...


Ja, Künstler und Kritiker, eine heikle Beziehung. Man denke an Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki – oder an M. Night Shyamalan, der es sich in LADY IN THE WATER nicht verkneifen konnte, einen Filmrezensenten seinem Graswolf zum Fraße vorzuwerfen.

Auch bei FILMZ gab es jetzt Krawall im Kleinen. Da hat es Screenshot-Redakteur Harald Mühlbeyer als Kommentar auf der entsprechenden Seite des Festivals seine Kritik auf „Filmgazette“ zu verweisen – und prompt ging‘s rund.

Es handelt sich dabei um Andreas Arnstedts DIE ENTBEHRLICHEN, und obwohl Mühlbeyers Kritik noch vergleichsweise moderat ausfiel, hagelte es Gegenkritik und Beschimpfungen.

Perfide“ sei die Besprechung, „Mainz hat kein Niveau, sonst wäre ein Harald Mühlbeyer gar nicht möglich!“ – heißt es da und „Profilneurose“, „Nichttalent“ und „menschverachtendem Zynismus“ ist die Rede. Jahrgang und Wohnort werden genannt.

Die FILMZ-Macher selbst distanzierten sich von Herrn Mühlbeyers Link bzw. der externen Kritik und damit dem Stein des Anstoßes (mit gutem Recht) und weisen darauf hin, dass sie den Film herausragend fänden und daher dem Publikum präsentieren wollten.

Andreas Thomas, Redakteur und Herausgeber der „Filmgazette“, meldete sich auch zu Wort und verteidigte das Abschalten der Kommentarfunktion auf seiner Seite:

„Der auf dieser Kommentarplattform stattfindende und auf der http://www.filmgazette.de gelöschte ‚Meinungsaustausch‘ hat, mit wenigen Ausnahmen, mit inhaltlicher und sachlicher Auseinandersetzung, vor allem aber mit der Tolerierung einer anderen Meinung nichts mehr zu tun, sondern er kommt einer Hetzkampagne gleich, die in ihrer Aggressivität erschreckend ist.
Deshalb habe ich beschlossen, unsere Website generell, nicht nur in diesem Fall, nicht mehr für irgendwelche potentiellen Hetzkampagnen zur Verfügung zu stellen. Die Kommentarfunktion auf der http://www.filmgazette.de ist ab sofort endgültig gesperrt.“ Direkt auf Filmgazette.de ist dies begründet mit „persönliche[n] Beleidigungen gegen den Autor, die mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung meistens nichts mehr zu tun hatten, sondern in ihrer Intoleranz, Stillosigkeit und Aggressivität so nicht mehr hinnehmbar waren“.

Mag durchaus sein, dass DIE ENTBEHRLICHEN – „Deutschlands wichtigster Film“ (FILMZ-Kommentator Klett) – seine Qualitäten und vor allem Fans hat, die ihn nun verteidigen. Vieles von dem, was da auf dem FILMZ-Blog zu lesen steht, wirkt aber wie eine konstatierte Gegenkampagne. Nicht nur wegen solch subtiler Empfehlungen wie „Kümmert Euch lieber um Karten für DIE ENTBEHRLICHEN!!!! Denn ich kenne schon ne Menge Leute die sich den Streifen ansehen wollen!“ wie ein selbsternannter „Kenner der Mainzer Szene“ empfiehlt. Nein, ich nehm das zurück: ein Realsatiren-Werbespruch kann nur singulär und authentisch sein.

Screenshot jedenfalls selbst bietet keine oder nur eine moderierte Kommentarfunktion, weil wir unsere Zeit nicht damit vergeuden wollen, fragwürdige und tumb beleidigende Gegenkritiken (oder Sex-Werbung und sonstigen Spam) aus dem Filter fummeln zu müssen wie nasse Haare aus dem Abfluss. Auf Kommentare mit einem vernünftigen Minimum Umgangston und Niveau freuen wir uns aber natürlich (nicht nur, was die Sex-Werbung betrifft).

Ich weiß, eigentlich ist das Ganze die Aufregung und so einen Text hier eigentlich nicht wert. Anlässlich der Causa Mühlbeyer vs. DIE ENTBEHRLICHEN Kommentare will ich persönlich aber was Grundsätzliches in Sachen Filmkritik und -gegenkritik ansprechen. Gerichtet ist das vor allem an Filmemacher, die gerne auf Filmkritiker schimpfen – wobei ihr Ärger oder gar Verachtung verständlich ist; man steckt schließlich nicht Zeit, Geld und Unmengen an Energie in ein Werk, nur um dann unbekümmert zuzusehen, wie andere darauf rumtrampeln.

Trotzdem (und hiermit zu einigen Klagen, die mir gegenüber in den letzten Jahre geäußert wurden):

1.
Auf die Meinungsfreiheit zu verweisen ist mittlerweile ein solcher Allgemeinplatz geworden, dass man ihn sich eigentlich gar nicht mehr anzufassen getraut, aus Sorge darüber, dass sie als Argument noch weiter trivialisiert wird. Darum anders:

Letzten Endes geben Filmkritiker geben Filmkritiker NICHT einfach nur ihre eigene Meinung wieder – sondern die GOTTES!! Ja, ist so! Sorry. Wir wollten das eigentlich nicht verraten, aber wir haben da eine geheime Telefonnummer, bei der rufen wir an…

Nein, Spaß beiseite: Selbstverständlich geben auch Filmkritiker nur ihre Meinung wider, die natürlich argumentativ, von einem geschultem Blick gestützt und mit Erfahrung und Wissen untermauert sein sollte. Ist sie nicht immer, schon klar. Dagegen zu stänkern wäre aber im Grunde auch nicht anders, als würde man dagegen sein, dass sich nach dem Kinobesuch das Publikum unterhält und Antwort gibt auf die Frage „Und? Wie fandest du’s?“ Und letztlich sind Filmkritiker immer zunächst genau das: Zuschauer, Kinobesucher.

Ebenso wenig wie wir als Publikum gezwungen werden, des Filmemachers Film zu schauen, ist jemand gezwungen, unsere Rezensionen zu lesen. Keine Augenklammern wie in A CLOCKWERK ORANGE, keine Familienangehörige werden als Geiseln gehalten. Und unsere Berechtigung, Filmkritiken öffentlich zu machen, holen wir uns eben im selben Büro ab wie die Filmemacher ihre „Erlaubnis“, ihre Filme zu drehen. Für Sie liegt beides auch da, abholbereit und mit Stempel.


2.
Dass Filmkritik per se gar nicht so schlimm sein kann, zeigen denn auch Freude und Wunsch über bzw. nach einer GUTEN Besprechung. Oder die Freude darüber, wenn ein Rezensent die eigene Meinung widerspiegelt.


3.
Mein Liebling: „Filmkritiker krakeelen nur, steuern aber selbst nichts Konstruktives bei“. Oder eleganter: „Filmkritiker sind wie Kastraten: Sie wissen, wie es geht, können es aber selbst nicht.“ Und, eigentlich die Kirsche auf dem Sahnehäubchen: „Wenn’s dir nicht gefällt, mach es doch besser!“

Wer so oder ähnlich „argumentiert“, solle sich an die eigene Nase fassen und fragen, wann er sich zum letzten Mal zu einer Parlamentswahl gestellt hat, nachdem er über einen Politiker geschimpft hat und oder ob er sich von einem Arzt würde klaglos und achselzuckend falsch behandeln lassen, nur weil er selbst keine Ambitionen verspürt, selbst Medizin zu studieren.

Kurzum: Sollen wir also keine "Probleme" benennen, etwas was schief läuft, schief gelaufen ist, auch wenn wir sie nicht (nachträglich) ändern können? Nein, sicher nicht. Wie auch DIE ENTBEHRLICHEN aufs soziale Elend verweist. Das ist richtig und gut so!

Vielleicht weisen Kritiken in welcher Form und künstlerischen Art auch immer dazu bei, den Blick zu schärfen, auf etwas aufmerksam zu machen. Im Kino oder drum herum.


4.
Nein, natürlich ist ein Film ist im Grunde nie in seiner Gänze schlecht! Klar, manchmal klingt das so (und ganz ganz selten mag das auch mal vorkommen). Man muss halt zuspitzen, verallgemeinern; tut jeder von uns, auch im Alltag. Oder reden Sie nie von DEN Italienern (oder aber von DER Filmkritik)?

Ein Film besteht aus einer Vielzahl von Leuten, die meistens Großartiges leisten, Lichttechniker, Kamera-Assistenten, Set Designer! Auch sie tragen zu einem Film bei, massiv, aber deren Leistung will ein Verriss auch gar nicht schmälern. Tut er auch nicht, wie diese Leute wissen, aber auch das Publikum (das schließlich Filmkritiken selten liest, um sich über die Qualität der Ausleuchtung zu informieren). Mal davon abgesehen, dass viele Techniker gar nicht mehr wollen als ihren Job gut machen – und entsprechen entspannter sind, wenn das große Ganze gescholten wird. Anders als naturgemäß ein Regisseur oder Produzent.

Dass manchmal die Handwerksgüte die kreativen Mängel erst so richtig ins Licht rücken, ist eine andere Geschichte.


4. … - und um wieder aufs Thema zurück zu kommen: Eine Kritik wie überhaupt ein Argument wird nicht dadurch entkräftet, indem man den angeht, der sie äußert. Recht-Haben ist völlig unabhängig von Buckel- und Zahnfäule-Haben oder den Motiven, die hinter einer Äußerung stehen.

Daher bitte bitte!: Über Inhalte streiten, auch über Meinungen, aber nicht persönlich werden, nur um darüber die eigene andere Ansicht auf den Gegenstand zu untermauern. Selbst und gerade wenn es nur eine Art Empfindungsstreit ist, über künstlerische Wahrnehmung und ums Wohlgefallen (oder eben nicht).

Dann wird das nächste Mal auch vielleicht niemand so enttäuscht wie FILMZ-Kommentator Lorenz, der auf der Festival-Seite DIE ENTBEHRLICHEN noch schlimmer und vernichtender kritisierte als Mühlbeyer:

Bin irritiert,

habe den Film gesehen und fand ihn eigentlich nur ziemlich langweilig. Hab eigentlich nach all den Kommentaren erwartet: entweder so richtig gut, oder so schlecht, dass man sich wie der Mühlenbeyer drüber bepissen kann.

Aber Naja… Gääääähn. Beim Zahnarzt 1 1/2 Stunden warten kommt der Filmerfahrung so ziemlich gleich…. :(




Bernd Zywietz

Hinweis:
DIE ENTBEHRLICHEN läuft heute Abend (Do, 25.11.) noch mal, im Mainzer Cinestar 7.