Kritikerschelte

Schnell mal meine drei Groschen zu den FILMZ-Webkommentaren, DIE ENTBEHRLICHEN und unserem Redakteur und Autor H.M., der mit diesem Meinungstext hier nichts zu tun hat bzw. nur als Aufhänger dient...


Ja, Künstler und Kritiker, eine heikle Beziehung. Man denke an Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki – oder an M. Night Shyamalan, der es sich in LADY IN THE WATER nicht verkneifen konnte, einen Filmrezensenten seinem Graswolf zum Fraße vorzuwerfen.

Auch bei FILMZ gab es jetzt Krawall im Kleinen. Da hat es Screenshot-Redakteur Harald Mühlbeyer als Kommentar auf der entsprechenden Seite des Festivals seine Kritik auf „Filmgazette“ zu verweisen – und prompt ging‘s rund.

Es handelt sich dabei um Andreas Arnstedts DIE ENTBEHRLICHEN, und obwohl Mühlbeyers Kritik noch vergleichsweise moderat ausfiel, hagelte es Gegenkritik und Beschimpfungen.

Perfide“ sei die Besprechung, „Mainz hat kein Niveau, sonst wäre ein Harald Mühlbeyer gar nicht möglich!“ – heißt es da und „Profilneurose“, „Nichttalent“ und „menschverachtendem Zynismus“ ist die Rede. Jahrgang und Wohnort werden genannt.

Die FILMZ-Macher selbst distanzierten sich von Herrn Mühlbeyers Link bzw. der externen Kritik und damit dem Stein des Anstoßes (mit gutem Recht) und weisen darauf hin, dass sie den Film herausragend fänden und daher dem Publikum präsentieren wollten.

Andreas Thomas, Redakteur und Herausgeber der „Filmgazette“, meldete sich auch zu Wort und verteidigte das Abschalten der Kommentarfunktion auf seiner Seite:

„Der auf dieser Kommentarplattform stattfindende und auf der http://www.filmgazette.de gelöschte ‚Meinungsaustausch‘ hat, mit wenigen Ausnahmen, mit inhaltlicher und sachlicher Auseinandersetzung, vor allem aber mit der Tolerierung einer anderen Meinung nichts mehr zu tun, sondern er kommt einer Hetzkampagne gleich, die in ihrer Aggressivität erschreckend ist.
Deshalb habe ich beschlossen, unsere Website generell, nicht nur in diesem Fall, nicht mehr für irgendwelche potentiellen Hetzkampagnen zur Verfügung zu stellen. Die Kommentarfunktion auf der http://www.filmgazette.de ist ab sofort endgültig gesperrt.“ Direkt auf Filmgazette.de ist dies begründet mit „persönliche[n] Beleidigungen gegen den Autor, die mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung meistens nichts mehr zu tun hatten, sondern in ihrer Intoleranz, Stillosigkeit und Aggressivität so nicht mehr hinnehmbar waren“.

Mag durchaus sein, dass DIE ENTBEHRLICHEN – „Deutschlands wichtigster Film“ (FILMZ-Kommentator Klett) – seine Qualitäten und vor allem Fans hat, die ihn nun verteidigen. Vieles von dem, was da auf dem FILMZ-Blog zu lesen steht, wirkt aber wie eine konstatierte Gegenkampagne. Nicht nur wegen solch subtiler Empfehlungen wie „Kümmert Euch lieber um Karten für DIE ENTBEHRLICHEN!!!! Denn ich kenne schon ne Menge Leute die sich den Streifen ansehen wollen!“ wie ein selbsternannter „Kenner der Mainzer Szene“ empfiehlt. Nein, ich nehm das zurück: ein Realsatiren-Werbespruch kann nur singulär und authentisch sein.

Screenshot jedenfalls selbst bietet keine oder nur eine moderierte Kommentarfunktion, weil wir unsere Zeit nicht damit vergeuden wollen, fragwürdige und tumb beleidigende Gegenkritiken (oder Sex-Werbung und sonstigen Spam) aus dem Filter fummeln zu müssen wie nasse Haare aus dem Abfluss. Auf Kommentare mit einem vernünftigen Minimum Umgangston und Niveau freuen wir uns aber natürlich (nicht nur, was die Sex-Werbung betrifft).

Ich weiß, eigentlich ist das Ganze die Aufregung und so einen Text hier eigentlich nicht wert. Anlässlich der Causa Mühlbeyer vs. DIE ENTBEHRLICHEN Kommentare will ich persönlich aber was Grundsätzliches in Sachen Filmkritik und -gegenkritik ansprechen. Gerichtet ist das vor allem an Filmemacher, die gerne auf Filmkritiker schimpfen – wobei ihr Ärger oder gar Verachtung verständlich ist; man steckt schließlich nicht Zeit, Geld und Unmengen an Energie in ein Werk, nur um dann unbekümmert zuzusehen, wie andere darauf rumtrampeln.

Trotzdem (und hiermit zu einigen Klagen, die mir gegenüber in den letzten Jahre geäußert wurden):

1.
Auf die Meinungsfreiheit zu verweisen ist mittlerweile ein solcher Allgemeinplatz geworden, dass man ihn sich eigentlich gar nicht mehr anzufassen getraut, aus Sorge darüber, dass sie als Argument noch weiter trivialisiert wird. Darum anders:

Letzten Endes geben Filmkritiker geben Filmkritiker NICHT einfach nur ihre eigene Meinung wieder – sondern die GOTTES!! Ja, ist so! Sorry. Wir wollten das eigentlich nicht verraten, aber wir haben da eine geheime Telefonnummer, bei der rufen wir an…

Nein, Spaß beiseite: Selbstverständlich geben auch Filmkritiker nur ihre Meinung wider, die natürlich argumentativ, von einem geschultem Blick gestützt und mit Erfahrung und Wissen untermauert sein sollte. Ist sie nicht immer, schon klar. Dagegen zu stänkern wäre aber im Grunde auch nicht anders, als würde man dagegen sein, dass sich nach dem Kinobesuch das Publikum unterhält und Antwort gibt auf die Frage „Und? Wie fandest du’s?“ Und letztlich sind Filmkritiker immer zunächst genau das: Zuschauer, Kinobesucher.

Ebenso wenig wie wir als Publikum gezwungen werden, des Filmemachers Film zu schauen, ist jemand gezwungen, unsere Rezensionen zu lesen. Keine Augenklammern wie in A CLOCKWERK ORANGE, keine Familienangehörige werden als Geiseln gehalten. Und unsere Berechtigung, Filmkritiken öffentlich zu machen, holen wir uns eben im selben Büro ab wie die Filmemacher ihre „Erlaubnis“, ihre Filme zu drehen. Für Sie liegt beides auch da, abholbereit und mit Stempel.


2.
Dass Filmkritik per se gar nicht so schlimm sein kann, zeigen denn auch Freude und Wunsch über bzw. nach einer GUTEN Besprechung. Oder die Freude darüber, wenn ein Rezensent die eigene Meinung widerspiegelt.


3.
Mein Liebling: „Filmkritiker krakeelen nur, steuern aber selbst nichts Konstruktives bei“. Oder eleganter: „Filmkritiker sind wie Kastraten: Sie wissen, wie es geht, können es aber selbst nicht.“ Und, eigentlich die Kirsche auf dem Sahnehäubchen: „Wenn’s dir nicht gefällt, mach es doch besser!“

Wer so oder ähnlich „argumentiert“, solle sich an die eigene Nase fassen und fragen, wann er sich zum letzten Mal zu einer Parlamentswahl gestellt hat, nachdem er über einen Politiker geschimpft hat und oder ob er sich von einem Arzt würde klaglos und achselzuckend falsch behandeln lassen, nur weil er selbst keine Ambitionen verspürt, selbst Medizin zu studieren.

Kurzum: Sollen wir also keine "Probleme" benennen, etwas was schief läuft, schief gelaufen ist, auch wenn wir sie nicht (nachträglich) ändern können? Nein, sicher nicht. Wie auch DIE ENTBEHRLICHEN aufs soziale Elend verweist. Das ist richtig und gut so!

Vielleicht weisen Kritiken in welcher Form und künstlerischen Art auch immer dazu bei, den Blick zu schärfen, auf etwas aufmerksam zu machen. Im Kino oder drum herum.


4.
Nein, natürlich ist ein Film ist im Grunde nie in seiner Gänze schlecht! Klar, manchmal klingt das so (und ganz ganz selten mag das auch mal vorkommen). Man muss halt zuspitzen, verallgemeinern; tut jeder von uns, auch im Alltag. Oder reden Sie nie von DEN Italienern (oder aber von DER Filmkritik)?

Ein Film besteht aus einer Vielzahl von Leuten, die meistens Großartiges leisten, Lichttechniker, Kamera-Assistenten, Set Designer! Auch sie tragen zu einem Film bei, massiv, aber deren Leistung will ein Verriss auch gar nicht schmälern. Tut er auch nicht, wie diese Leute wissen, aber auch das Publikum (das schließlich Filmkritiken selten liest, um sich über die Qualität der Ausleuchtung zu informieren). Mal davon abgesehen, dass viele Techniker gar nicht mehr wollen als ihren Job gut machen – und entsprechen entspannter sind, wenn das große Ganze gescholten wird. Anders als naturgemäß ein Regisseur oder Produzent.

Dass manchmal die Handwerksgüte die kreativen Mängel erst so richtig ins Licht rücken, ist eine andere Geschichte.


4. … - und um wieder aufs Thema zurück zu kommen: Eine Kritik wie überhaupt ein Argument wird nicht dadurch entkräftet, indem man den angeht, der sie äußert. Recht-Haben ist völlig unabhängig von Buckel- und Zahnfäule-Haben oder den Motiven, die hinter einer Äußerung stehen.

Daher bitte bitte!: Über Inhalte streiten, auch über Meinungen, aber nicht persönlich werden, nur um darüber die eigene andere Ansicht auf den Gegenstand zu untermauern. Selbst und gerade wenn es nur eine Art Empfindungsstreit ist, über künstlerische Wahrnehmung und ums Wohlgefallen (oder eben nicht).

Dann wird das nächste Mal auch vielleicht niemand so enttäuscht wie FILMZ-Kommentator Lorenz, der auf der Festival-Seite DIE ENTBEHRLICHEN noch schlimmer und vernichtender kritisierte als Mühlbeyer:

Bin irritiert,

habe den Film gesehen und fand ihn eigentlich nur ziemlich langweilig. Hab eigentlich nach all den Kommentaren erwartet: entweder so richtig gut, oder so schlecht, dass man sich wie der Mühlenbeyer drüber bepissen kann.

Aber Naja… Gääääähn. Beim Zahnarzt 1 1/2 Stunden warten kommt der Filmerfahrung so ziemlich gleich…. :(




Bernd Zywietz

Hinweis:
DIE ENTBEHRLICHEN läuft heute Abend (Do, 25.11.) noch mal, im Mainzer Cinestar 7.