FILMZ 2010 - Ab dem 23. November in Mainz
Jetzt sind es schon zehn Jahre, seit ein paar Filmwissenschaftsstudenten das unerhörte Unterfangen wagten, ein Filmfestival zu gründen. Ein Festival des deutschen Films, in Mainz, als erstes Langfilmfestival in Rheinland-Pfalz überhaubt: Nun ist es zu einem Großereignis geworden, vor ein paar Jahren schon war der Punkt erreicht, dass soviele Filme gezeigt, so viele Programmpunkte angeboten wurden, dass es unmöglich war, alle Veranstaltungen zu besuchen. In Ludwigshafen wurde das Festivalkonzept mit einer Menge Geld aus der Großindustrie kopiert, das Wiesbadener exground-Festival hat nun auch eigene Reihen zum deutschen und lokalen Filmschaffen; und FILMZ kann jedes Jahr mehr Besucher vorweisen.
FILMZ, das Festival des deutschen Kinos, bietet in diesem Jubiläumsjahr zehn Filmreihen plus ein umfangreiches Rahmenprogramm, geschätzte 1.000 Filme werden von ca. 100.000 Zusatzveranstaltungen ergänzt: Mainz steht vom 23. bis 28. November ganz und gar im Zeichen des Films, im Zeichen von FILMZ. Im Focus natürlich, wie eh und je: der Langfilmwettbewerb, in dem auch in diesem Jahr einige Highlights zu sehen sein werden.
Das fängt mit dem Eröffnungsfilm an, "Das Lied in mir" von Florian Cossen, der erst vor wenigen Wochen in Hof seine Deutschlandpremiere gefeiert hat. Maria ist in Buenos Aires gelandet, und ein Kinderlied klingt ihr seltsam vertraut in den Ohren... Das ist der Auftakt zu einer Entdeckungsreise zu den eigenen Wurzeln, denn Maria erfährt, dass sie gar keine Deutsche ist, nur adoptiert; dass ihre wirklichen Eltern während der argentinischen Militärdiktatur gefoltert und ermordet wurden. Cossen zeigt eine Identität, der der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, Maria findet sich im Niemandsland des eigenen Lebens, und in der Zwickmühle zwischen ihrem wahren Leben, das sie als Dreijährige verloren hat, und zwischen dem falschen Leben in der deutschen Unternehmerfamilie, in dem sie aufgewachsen ist, das ihr vertraut ist. Das ist spannend gemacht, gute Darsteller - Jessica Schwarz und Michael Gwisdek, aber auch die argentinischen Schauspieler - tragen die Geschichte über ein paar Durchhänger im Mittelteil zu einem intensiven und spannenden Ende.
"Der letzte Angestellte" ist der neue Film von Alexander Adolph, der zuvor eine Dokumentation über "Hochstapler" und mit "So glücklich war ich noch nie" einen tragikomischen Spielfilm über einen von Devid Striesow gespielten Hochstapler gedreht hat. Nun zeigt Adolph erneut, wie einfühlsam er aus seinen Darstellern das Beste herausholen kann, Christian Berkel war vielleicht noch nie so gut wie als "Der letzte Angestellte", der eine insolvente Firma abwickeln muss und von den Geistern der verlorenen Vergangenheit heimgesucht wird. Zunächst scheinen die horrorgenretypischen Stilmittel etwas forciert zu sein, fast schon klischeehaft - aber flackerndes Neonlicht, Geräusche in der Heizung, die Leere eines abendlichen Büroraums sind die Zutaten eines entfremdeten Berufslebens, in dem der Angestellte zwangsweise aufgehen muss. Und wenn dann immer wieder die seltsame Frau auftaucht, die Berkel in Angst und Schrecken versetzt; wenn in kleinen Momenten das Irreale durchblitzt, das immer mehr Gestalt gewinnt; wenn dann noch die Schwiegermutter so hart und böse gegen ihn wettert: dann hat sich das Sozialdrama, das im deutschen Kino immer wieder durchgekaut wird, auf glücklichste Weise in einen Genrefilm gewandelt über das Unglück, wenn das Leben zur bloßen Existenz verkommen ist.
Der vielleicht beste FILMZ-Film aber ist wohl "Unter dir die Stadt" von Christoph Hochhäusler, der eine alttestamentarische Geschichte um König David, seine Macht und Hybris, sexuelles Begehren und willkürliche Gewalt über die Dächer von Frankfurt am Main erhebt, in das Milieu der Banker, denen die Karriere über das Leben geht; und denen das Individuelle, das Wahrhaftige, das Menschsein abhanden gekommen ist. Der Bankvorstand verliebt sich in die Frau eines seiner Angestellten, fängt eine Affäre mit ihr an, sie lässt sich darauf ein, spielerisch, kokettierend. Damit ihr Mann nicht in die Quere kommt, lässt der Chef in versetzen, auf die Philippinen, wo es gefährlich ist, wo organisierte Kriminalität Leib und Leben gefährdet... Und so versuchen sich Chef und Geliebte in etwas, das sich wie Liebe anfühlen soll; und sie offenbaren doch nur ihre Leere, und dass sie keinen Bezug mehr zum Menschen, am allerwenigsten zu sich selbst, herstellen können. Ein großartiger, nachdenkenswerter Film mit allegorisch-fabelähnlichem Anstrich.
Allerdings weicht FILMZ 2010 auch von einem programmatischen Anspruch ab: denn es zeigt im Langfilmwettbewerb zwei Filme, die schon einen Kinostart hatten. "Rammbock", ein Berliner Zombiemovie, ist seit September in den Kinos zu sehen, wenn auch (vermutlich) nur in Berlin und damit immerhin in der Region eine Premiere; wenige Tage nach dem Festival wird der Film auf DVD veröffentlicht.
Ein schlimmerer Fauxpas ist aber die Auswahl von Andreas Arnstedts "Die Entbehrlichen", der Ende September seinen Kinostart hatte und derzeit noch in Frankfurt und Mannheim läuft. Also durchaus nicht zu einem Filmfestival passt, das eigentlich Filme zeigen möchte, die zuvor nicht im Kino zu sehen waren.
Was dazu kommt: "Die Entbehrlichen" ist ein unglaublich schlechter Film, der offenbart, dass Regisseur Arnstedt zwar gute Absichten hatte, das Hartz-4-Unterschichtenmilieu zu porträtieren, dass er aber leider keine Ahnung, zumindest kein Einfühlungsvermögen besitzt, das über die Lektüre einer Zeitungsreportage - auf der die Handlung beruht - und vermutlich zwei, drei Wikipediaartikel hinausgeht. Gezeigt wird Jakob, elf Jahre, der kein Geld für den Klassenausflug hat und dessen Vater sich totgesoffen hat und nun als Leiche in der Wohnung rumliegt. Jacob weiß nicht, was er machen soll, und tut lieber gar nichts. Der Film aber muss natürlich etwas bieten, deshalb geht es auch um typische Probleme wie heimlicher Alkoholismus, Neonazitum und Gammelfleisch. In Rückblenden wird das Familienleben gezeigt, es wird geprügelt, gesoffen, rumgeschrien. Und Jacob hat Hoffnungen, das Nachbarmädchen ist so nett, und sie will Regisseurin werden und das Geheimnis von ausgerechnet Steven Spielberg ergründen...
Das alles ist, schlicht gesagt, ausgemachter Blödsinn, noch dazu ärgerlich. Das einzig Gute ist die assoziative Montage, die verschiedene Zeitebenen miteinander verbindet. (So wie es im Film heißt: Spielberg macht keine guten Filme, er hat nur gute Cutter.) Höhepunkt: Mathieu Carriere als spinnerter Weltkriegssoldat, der eine Armee von Hitler-Gartenzwergen fabriziert und totalen Quatsch redet.
Meidet diesen Film! Guckt was anderes! FILMZ hat ja genug zu bieten!
Harald Mühlbeyer
Infos zum Festival unter www.filmz-mainz.de!