"Inception"
USA 2010, Buch, Regie: Christopher Nolan, Start: 29. Juli 2010
Dom Cobb muss es wissen, er geht schließlich in anderer Leute Träumen spazieren: "Während des Traumes halten wir ihn für real. Erst wenn wir aufwachen, merken wir, dass er recht seltsam war."
Auf merkwürdige Weise trifft diese Aussage auch auf den Traum-Film "Inception" zu - der sich ohnehin irgendwo ganz unten, subtil, mit der nicht einfachen Frage beschäftigt, wie Kino und Traum zusammenhängen. Bei "Inception" weiß man schon bei den ersten Bildern, dass man richtig liegt: dass dieser Film zum Faszinierendsten gehört, das in den letzten Jahren in die Kinos gekommen ist; und hinterher, nach dem Abspann, nach dem Erwachen, fallen einem dann doch all die Kleinigkeiten ein, die den Film - unbewusst - noch merkwürdiger machen.
Da fällt dann auf, dass Christopher Nolan, wenn er auch ein großer Regisseur, so eben doch kein sonderlich guter Drehbuchautor ist. Großartig zwar, wie er in den ersten 15 Minuten größte Verwirrung stiftet, mit der Verschachtelung verschiedener Träume ineinander, die von mehreren Filmfiguren geteilt werden, das ganze noch dargebracht in einer lockeren Rückblendestruktur und durchsetzt durch die Realitätsebene des Films. Aber überdehnt er nicht ein wenig, wenn Dom Cobb und sein Traumräuberteam in dieser Realität von einem ehemaligen Auftraggeber gejagt werden, weil sie einen Diebstahljob im Unterbewussten des Industriellen Saito vermasselt haben, wenn diese Verfolger heimlich auftreten wie alle Bösewichter im Film, wenn Saito unvermittelt Cobb anbietet, die Seiten zu wechseln und für ihn zu arbeiten? Das ist ein ziemlich langer, verschlungener, mäandernder Vorlauf, um zum eigentlichen Plot zu kommen: dass Cobb und seine Leute in die Träume des Konzernerbes Robert Fischer eindringen sollen, um dort nicht tief im Inneren verschlossene Geheimnisse herauszufischen, sondern um etwas einzupflanzen, die Idee nämlich, das Unternehmen des Vaters lieber zu zerschlagen als zu erhalten.
Saito begründet diesen Auftrag: Der Fischer-Konzern monopolisiere die weltweite Energiewirtschaft, eine Zerschlagung sei also eine gute Tat für die gesamte Menschheit. Was der ganze Film unkommentiert und unwidersprochen lässt, und was dadurch äußerst hanebüchen wirkt. Hatten wir doch Saito in der Exposition als harten Hund kennengelernt, mit allen Wassern gewaschen und beispielsweise diversen Formen von Industriespionage zum eigenen Nutzen nie abgeneigt: keinesfalls aber als Menschenfreund.
Auch andere Details des Films stellen sich im Nachhinein betrachtet als an den Haaren herbeigezogen heraus. Das Schlafmittel etwa, das Cobb und seine Leute benutzen, um das Opfer und sich selbst ins Reich der Träume zu schicken, ist erstens stark genug, dass das Opfer nicht aufwacht, selbst wenn ihm ein Traum im Traum im Traum vorgegaukelt wird; beschleunigt zweitens die Gehirnströme, so dass die Traumzeit sehr viel langsamer verläuft als die Realzeit; und drittens, passenderweise, betrifft die Betäubung nicht das Mittelohr: denn durch den äußerlich, in der Realwelt herbeigeführten Gleichgewichtsverlust wird der Schläfer aus dem Traum zurückgeholt. Sehr dienlich, das; und für einen Film, der in die Tiefen des Unterbewusstsein von diversen Figuren hineintaucht, viel zu funktional. Ebenso wie die allzu eindimensionale Charakterisierung der Hauptfigur Cobb, der monokausal definiert ist durch die Trauer um seine verstorbene Frau und den Wunsch, seine Kinder wiederzusehen.
Nolan schert sich scheint's nicht darum, dass das allzu offensichtlich zurechtgeschnitzt ist, um Lücken in Motivation oder Grundgefüge der Handlung zu schließen. Zwischendurch, wenn der Film sich schon länger mit Erklärungen aufgehalten hat, geht plötzlich und recht unmotiviert eine Verfolgungsjagd durch Mombasa los, Cobb wird von den geheimnisvollen Auftraggebern, die er enttäuscht hat, durch enge, labyrinthische Gassen gejagt - das soll offenbar einerseits die Leute daran erinnern, das dies ein Actionfilm ist, andererseits geht es natürlich darum, eine gewisse Ambivalenz der Realität aufzubauen: ist das, was Cobb für Wirklichkeit hält, vielleicht auch nur ein Traum? Aber: diesen Weg führt der Film in seinen weiteren zwei Dritteln nicht fort, bis auf einen kleinen aufscheinenden Gedanken in seiner Auflösung. (Und wir erinnern uns, dass Nolan auch in "Dark Knight" nicht sehr stringent war in der Ausbalancierung der Handlung: da gehts einmal grundlos nach Hongkong, und nach des Jokers Ende müssen noch weitere plötzlich auftauchende Gegner erledigt werden, die eigentlich in einen eigenen Film, nicht aber in die letzte halbe Stunde einer Zelebrierung des Nihilismus hätten gesteckt werden müssen.)
Aber hey: ist das wichtig? Das eigentlich grandiose von "Inception" ist, das er trotz dieser Makel grandios ist. Denn immer wird das Merkwürdige, das Detail, das sich falsch und aufgesetzt anfühlt, dadurch rechtfertigt, was daraus folgt. Die eindimensionale Besessenheit von der Familie? Sieht Cobb am Ende selbst ein und zieht seine Konsequenzen. Das Schlafmittel, das so perfekt in den vom Drehbuch vorgedachten Handlungsfortgang passt? Ist das Sprungbrett für das großartige Finale des Films: Eine Dreiviertelstunde lang fällt in einem Traum ein Lieferwagen eine Brücke hinunter ins Wasser; darin liegen Schlafende, in deren Traum Hotelkorridore - schwerelos! - durchkämpft werden; in einem Traum in diesem Traum geht es um die Eroberung einer schwer bewachten Festung im verschneiten Gebirge; und hinter einem Traum in diesem Traum kommen wir dem Wahnsinn schon ziemlich nahe. Das alles voller Tricks, voller kleiner Täuschungen, voller Finten - wie es eben ist in einem Heist-Movie, nur dass es hier nicht um Las-Vegas-Millionen geht, sondern um eine Idee im Unterbewussten des Opfers; voller wirkungsvoller kleiner Spannungselemente, die perfekten Thrill erzeugen; und voller großartiger Special Effects, viele davon nicht am Computer generiert, so dass auch in der vom Film vollzogenen Auflösung von Realität in Traum alles sehr wirklich aussieht.
Wenn einem ein Traum im Nachhinein seltsam vorkommt: Heißt das, dass wir ihn ungern geträumt hätten? Dass wir ihn nicht gerne nochmals träumen würden?
Harald Mühlbeyer
"Inception". USA 2010.
Regie, Buch: Christopher Nolan. Kamera: Wally Pfister. Musik: Hans Zimmer. Produktion: Emma Thomas, Christopher Nolan.
Mit: Leonardo DiCaprio (Dom Cobb), Ken Watanabe (Saito), Joseph Gordon-Levitt (Arthur), Ellen Page (Ariadne), Marion Cotillard (Mal), Cillian Murphy (Robert Fischer), Tom Berenger (Browning), Michael Caine (Miles).
Länge: 148 Minuten.
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 29. Juli 2010.
USA 2010, Buch, Regie: Christopher Nolan, Start: 29. Juli 2010
Dom Cobb muss es wissen, er geht schließlich in anderer Leute Träumen spazieren: "Während des Traumes halten wir ihn für real. Erst wenn wir aufwachen, merken wir, dass er recht seltsam war."
Auf merkwürdige Weise trifft diese Aussage auch auf den Traum-Film "Inception" zu - der sich ohnehin irgendwo ganz unten, subtil, mit der nicht einfachen Frage beschäftigt, wie Kino und Traum zusammenhängen. Bei "Inception" weiß man schon bei den ersten Bildern, dass man richtig liegt: dass dieser Film zum Faszinierendsten gehört, das in den letzten Jahren in die Kinos gekommen ist; und hinterher, nach dem Abspann, nach dem Erwachen, fallen einem dann doch all die Kleinigkeiten ein, die den Film - unbewusst - noch merkwürdiger machen.
Da fällt dann auf, dass Christopher Nolan, wenn er auch ein großer Regisseur, so eben doch kein sonderlich guter Drehbuchautor ist. Großartig zwar, wie er in den ersten 15 Minuten größte Verwirrung stiftet, mit der Verschachtelung verschiedener Träume ineinander, die von mehreren Filmfiguren geteilt werden, das ganze noch dargebracht in einer lockeren Rückblendestruktur und durchsetzt durch die Realitätsebene des Films. Aber überdehnt er nicht ein wenig, wenn Dom Cobb und sein Traumräuberteam in dieser Realität von einem ehemaligen Auftraggeber gejagt werden, weil sie einen Diebstahljob im Unterbewussten des Industriellen Saito vermasselt haben, wenn diese Verfolger heimlich auftreten wie alle Bösewichter im Film, wenn Saito unvermittelt Cobb anbietet, die Seiten zu wechseln und für ihn zu arbeiten? Das ist ein ziemlich langer, verschlungener, mäandernder Vorlauf, um zum eigentlichen Plot zu kommen: dass Cobb und seine Leute in die Träume des Konzernerbes Robert Fischer eindringen sollen, um dort nicht tief im Inneren verschlossene Geheimnisse herauszufischen, sondern um etwas einzupflanzen, die Idee nämlich, das Unternehmen des Vaters lieber zu zerschlagen als zu erhalten.
Saito begründet diesen Auftrag: Der Fischer-Konzern monopolisiere die weltweite Energiewirtschaft, eine Zerschlagung sei also eine gute Tat für die gesamte Menschheit. Was der ganze Film unkommentiert und unwidersprochen lässt, und was dadurch äußerst hanebüchen wirkt. Hatten wir doch Saito in der Exposition als harten Hund kennengelernt, mit allen Wassern gewaschen und beispielsweise diversen Formen von Industriespionage zum eigenen Nutzen nie abgeneigt: keinesfalls aber als Menschenfreund.
Auch andere Details des Films stellen sich im Nachhinein betrachtet als an den Haaren herbeigezogen heraus. Das Schlafmittel etwa, das Cobb und seine Leute benutzen, um das Opfer und sich selbst ins Reich der Träume zu schicken, ist erstens stark genug, dass das Opfer nicht aufwacht, selbst wenn ihm ein Traum im Traum im Traum vorgegaukelt wird; beschleunigt zweitens die Gehirnströme, so dass die Traumzeit sehr viel langsamer verläuft als die Realzeit; und drittens, passenderweise, betrifft die Betäubung nicht das Mittelohr: denn durch den äußerlich, in der Realwelt herbeigeführten Gleichgewichtsverlust wird der Schläfer aus dem Traum zurückgeholt. Sehr dienlich, das; und für einen Film, der in die Tiefen des Unterbewusstsein von diversen Figuren hineintaucht, viel zu funktional. Ebenso wie die allzu eindimensionale Charakterisierung der Hauptfigur Cobb, der monokausal definiert ist durch die Trauer um seine verstorbene Frau und den Wunsch, seine Kinder wiederzusehen.
Nolan schert sich scheint's nicht darum, dass das allzu offensichtlich zurechtgeschnitzt ist, um Lücken in Motivation oder Grundgefüge der Handlung zu schließen. Zwischendurch, wenn der Film sich schon länger mit Erklärungen aufgehalten hat, geht plötzlich und recht unmotiviert eine Verfolgungsjagd durch Mombasa los, Cobb wird von den geheimnisvollen Auftraggebern, die er enttäuscht hat, durch enge, labyrinthische Gassen gejagt - das soll offenbar einerseits die Leute daran erinnern, das dies ein Actionfilm ist, andererseits geht es natürlich darum, eine gewisse Ambivalenz der Realität aufzubauen: ist das, was Cobb für Wirklichkeit hält, vielleicht auch nur ein Traum? Aber: diesen Weg führt der Film in seinen weiteren zwei Dritteln nicht fort, bis auf einen kleinen aufscheinenden Gedanken in seiner Auflösung. (Und wir erinnern uns, dass Nolan auch in "Dark Knight" nicht sehr stringent war in der Ausbalancierung der Handlung: da gehts einmal grundlos nach Hongkong, und nach des Jokers Ende müssen noch weitere plötzlich auftauchende Gegner erledigt werden, die eigentlich in einen eigenen Film, nicht aber in die letzte halbe Stunde einer Zelebrierung des Nihilismus hätten gesteckt werden müssen.)
Aber hey: ist das wichtig? Das eigentlich grandiose von "Inception" ist, das er trotz dieser Makel grandios ist. Denn immer wird das Merkwürdige, das Detail, das sich falsch und aufgesetzt anfühlt, dadurch rechtfertigt, was daraus folgt. Die eindimensionale Besessenheit von der Familie? Sieht Cobb am Ende selbst ein und zieht seine Konsequenzen. Das Schlafmittel, das so perfekt in den vom Drehbuch vorgedachten Handlungsfortgang passt? Ist das Sprungbrett für das großartige Finale des Films: Eine Dreiviertelstunde lang fällt in einem Traum ein Lieferwagen eine Brücke hinunter ins Wasser; darin liegen Schlafende, in deren Traum Hotelkorridore - schwerelos! - durchkämpft werden; in einem Traum in diesem Traum geht es um die Eroberung einer schwer bewachten Festung im verschneiten Gebirge; und hinter einem Traum in diesem Traum kommen wir dem Wahnsinn schon ziemlich nahe. Das alles voller Tricks, voller kleiner Täuschungen, voller Finten - wie es eben ist in einem Heist-Movie, nur dass es hier nicht um Las-Vegas-Millionen geht, sondern um eine Idee im Unterbewussten des Opfers; voller wirkungsvoller kleiner Spannungselemente, die perfekten Thrill erzeugen; und voller großartiger Special Effects, viele davon nicht am Computer generiert, so dass auch in der vom Film vollzogenen Auflösung von Realität in Traum alles sehr wirklich aussieht.
Wenn einem ein Traum im Nachhinein seltsam vorkommt: Heißt das, dass wir ihn ungern geträumt hätten? Dass wir ihn nicht gerne nochmals träumen würden?
Harald Mühlbeyer
"Inception". USA 2010.
Regie, Buch: Christopher Nolan. Kamera: Wally Pfister. Musik: Hans Zimmer. Produktion: Emma Thomas, Christopher Nolan.
Mit: Leonardo DiCaprio (Dom Cobb), Ken Watanabe (Saito), Joseph Gordon-Levitt (Arthur), Ellen Page (Ariadne), Marion Cotillard (Mal), Cillian Murphy (Robert Fischer), Tom Berenger (Browning), Michael Caine (Miles).
Länge: 148 Minuten.
Verleih: Warner Bros.
Kinostart: 29. Juli 2010.