Grindhouse-Nachlese Mai 2018: Car Chase und ein Pimp


Grindhouse Double Feature, Cinema Quadrat Mannheim, 26. Mai 2018:

"Kesse Mary – irrer Larry" / "Auf Risiko ist kein Rabatt" / "Dirty Mary Crazy Larry", USA 1974, Regie. John Hough

"The Candy Tangerine Man", USA 1975, Regie: Matt Cimber

Außerdem:
"Alien, die Saat des Grauens kehrt zurück" / "Alien 2 – Sulla terra", Italien 1980, Regie. Ciro Ippolito

"Die nackten Vampire" / "La Vampire Nue", Frankreich 1970, Regie: Jean Rollin



Sorry. Wirklich, tut mir leid. Ich bitte aus tiefstem Herzen um Entschuldigung – ich habe seit Monaten keine Grindhouse-Nachlesen mehr hinbekommen. Was größtenteils an fehlender Zeit lag; nur teilweise daran, dass mich der eine oder andere Film nicht inspiriert haben. Naja, der Jess-Franco-Horrorkrimi "Der schreckliche Dr. Orloff" beispielsweise; immerhin von 1961, aber andererseits eben auch nur ein Jess-Franco-Horrorkrimi (obwohl der blinde Morpho halt doch was hat…)

Um meine Versäumnisse ein bisschen wiedergutzumachen, sei hier im Erinnerungsmodus auf ein paar bemerkenswerte Filme verwiesen – "Alien 2 – Sulla terra" etwa, auf deutsch "Alien, die Saat des Grauens kehrt zurück". Sein Science-Fiction-Horrorwerk geht Ciro Ippolito schamlos dreist an: Juristisch gesehen taufte er seinen Film in Anlehnung an einen uralten Roman – weshalb Hollywood aus irgendwelchen Quatschgründen nichts gegen den Alien-Teil im Titel unternehmen konnte; kurz, nachdem Ridley Scotts Meisterwerk rausgekommen war…

Tatsächlich spielt sich der Film vornehmlich in einer Höhle ab, nicht in der Höhe des Weltalls. Immerhin wird zu Anfang des Films kräftig auf die Ankunft einer Raumkapsel nach erfolgreicher Weltraummission gewartet. Deshalb interviewt ein Herr Interviewer im TV-Studio auch kräftig eine – ähm, ja: Höhlenforscherin, logisch. Die wird live im Fernsehen ohnmächtig, ihr Freund – mit Conchita-Wurst-Bart – weiß auch, warum: Sie hat wieder einen ihrer hellseherischen Anfälle, denn sie ist telepathisch veranlagt. Thelma hat auch noch was vor, sie trifft sich nämlich mit ihren Höhlenforscherfreunden in einer Kegelbahn (! – fragen Sie nicht), und dann geht's auch schon los, nachdem einer der Forscher noch in einem Laden Magnesiumstäbe gekauft hat, die aber den ganzen Film über nicht mehr auftauchen. Im Übrigen ist das alles eher so eine Art Wochenend-Ausflug, eine Höhlenparty vergnügungssüchtiger junger Leute.

Wir Geologen, Paläontologen und Troglodyten unter den Filmzuschauern kriegen das kalte Grausen, wie sie ohne Schutzhelme in die Höhle runtersteigen, wie sie respektlos an herrlichen Tropfsteinen rumturnen, und natürlich muss unsere Heldin zwischendurch ihre Brüste freilegen. Sie sieht zwar hell, aber nicht hell genug, um die Gefahr abzuschätzen, die von dem blauen Stein ausgeht, den sie gefunden hat und im Rucksack mit sich herumschleppt. Daraus schlüpft irgendwann so ein Alienteil, das die Höhlenmeute nach und nach niedermetzelt – mit schönen Effekten, weil das irgendwie auch alles Körperfresserqualitäten hat und aus scheinbar intakten Menschen durch die Augenhöhle das Alien rausbrechen kann. Später fliehen die Überlebenden weiter, weiter nach vorne, da sind dann auch so eine Art lebende Steine, die alienmäßig die Leute zerfleischen. Telepathisch kann unsere Heldin dann dieses Geschöpf mental sprengen. Um dann im desillusionierenden Ende zum eigentlichen Sinn und Zweck des Films vorzustoßen: Der besteht nämlich in der brillanten Idee, subjektiv den Alienblick aufzunehmen, während Thelma durch die verlassene Kegelbahn irrt: Die Kamera mit Fleischfetzen behängt blicken wir durch die Augen der menschenfressenden Apokalypsereiter.
Oder: "Die nackten Vampire" von Jean Rollin, eine surreale Phantasmagorie um, ja: um was eigentlich? Die Erinnerungen verwirren sich, Bilder rollen auf mich ein, ungeordnet, sich überlagernd, traumartig – äh Halt: Ich glaube, das ist doch genau der Film, wie er auf der Leinwand war. Ungeordnet, sich überlagernd, traumartig: Ein Forschungsinstitut mit Laboren, bunt beleuchtet und mit bunten dampfenden Flüssigkeiten, und Untersuchungen an jungen Mädchen, denen Blut abgezapft wird – von einem anderen jungen Mädchen… Ein mondäner Selbstmörderklub, alle merkwürdig maskiert, das hallt nach bis zu "Eyes Wide Shut"; drei gierige Geschäftsmänner, die sich eben jene junge Frau als Forschungsobjekt halten, die nämlich ist Vampirin, vielleicht glauben sie auch nur, dass sie Vampirin ist, vielleicht reden sie es ihr auch ein: Aus ihr jedenfalls soll Ewige Jugend springen, ihr Blut ist besonders (sagen die Herren), doch der Sohn des Oberbosses kommt mit ihr in Kontakt. Und sieht mehr als die Geschäftsmänner, sieht den Menschen in ihr, und wird hinübergezogen auf die andere Seite. Eine Armee von "anderen" dringt in das Schloss der Herren ein, und wir erkennen: Die anderen sind die Guten, die die Mächte des Alten, des Verkrusteten aufbrechen, und in einem Herrenhaus, vielleicht auch ein Theater, darf sich unser junger Held einschreiben für die Reise ins Anderswo, in die Unendlichkeit, in die Unsterblichkeit, wer weiß. Hochsymbolisch, tiefmetaphorisch, in unglaublichen Bildwelten, unausdeutbar – aber doch erstens recht deutlich, nämlich im Sinn von 68er-Befreiungsmythen, und zweitens sehr cool.
Von sich aus weniger inspirierend freilich war der zweite Beitrag in der aktuellen Mai-Grindhousenacht: "The Candy Tangerine Man" von Matt Cimber Ein Blaxploitation-Pimp-Movie aus Los Angeles (nein: nicht New York!), der im Vorspann stolz verkündet, dass die Nutten und Pimps frisch und direkt aus der Szene kommen. Im Mittelpunkt: The Baron, dessen Darsteller wir aus dem ein Jahr später erschienenen "Black Shampoo" kennen: Er fährt einen alten Rolls Royce, rot-gelb. Und putzt sich immer schön raus mit feiner Straßencredibilitätskleidung. Er hat Feinde bei der Polizei, die ihn wegen Rumpimpens austricksen und einbuchten wollen. Und bei der Konkurrenz, einem schmalen, weichlichen, großmäuligen, zugekokst lachenden Zusatzpimp, der unter der Fuchtel der Italien-Mafia steht. Der ist auch ein super Billardspieler, aber der Baron kann ihm trotzdem bei einem Spiel ein allzu junges Indianermädchen wegnehmen, setzt seinen Gewinn aber nicht lukrativ im eigenen Nuttenzirkus ein, sondern schickt sie im Greyhound-Bus nach Hause. Er ist nämlich ein Guter!

Zuvor hat er gezeigt, dass in seinem Auto 007mäßig Maschinengewehre stecken, mit denen er auf Knopfdruck Widersacher von der Straße ballern kann. Gleich danach wird er von der Polizei festgenommen wegen nix, und dann ist er wieder frei. Und als wäre das nicht genug, fährt er am selben Abend ins Grüne, entsteigt seinem überspannten Auto, zieht die überspannten Klamotten aus, gewandet sich in einem Anzug und fährt im typischen Wagen eines typischen Mittelklasslers in die typische Vorstadtsiedlung, weiße Häuschen mit reinlichem Vorgarten, wo die nette Gattin wohnt, die ganzwöchentlich ihres trauten Gatten harrt, der in der Stadt die langen und schwierigen Vertreterjobs innehat – denkt sie. Wir wissens besser, und wir sind voller Anerkennung für diesen großartigen Storytwist, dass der Baron in Wirklichkeit Ron heißt und ein Doppelleben führt. Und dass er sowohl der Oberpimp ist als auch der überaus liebevolle Familienvater. Beides. Gleichzeitig. Mit gleichem vollem Herzen.

Da ist dann ca. ein Drittel des Films rum, und es geht weiter mit dem Baron, mit den korrupten Bullen, den Mafiosi, immer wieder wird geballert, es wird auch eng, ein Devisenschwindel fliegt auf, die Sekretärin des Baron verschwindet, einige Freunde sterben, aber er weiß immer, was zu tun ist. Auch wenn seine Nutten eingeschüchtert werden, wenn ihnen die Titten abgeschnitten werden, er ist gut zu ihnen, weil er gut ist. Moralisch gut wie auch actionmäßig gut, er räumt auf und hat ja einen Rückzugsort, bei seiner Familie.

Das ist gut und schön, für sich aber denn doch auch nicht so total gut und schön. Da brauchts für einen wirklich gelungenen Abend noch ein Zusatzplus. Nämlich einen irren Larry, eine kesse Mary und einen getreuen Heinrich, bzw. Deke. Tatsächlich heißt der Film auf deutsch "Kesse Mary – irrer Larry", und der Wahnsinn – im Original "Dirty Mary, crazy Larry". Hört sich bescheuert an, trifft aber den Kern der Qualität des Films auf überraschend genaue Weise mitten ins Herz. Es geht tatsächlich in einer Art Non-Comedy-Variante einer Screwballcomedy um das komplizierte und komplexe Verhältnis zwischen besagter Mary (Susan George) und besagtem Larry (Peter Fonda), mit einer kleinen Zusatzkomplikation: Larry hat einen Supermarkt ausgeraubt und ist auf der Flucht, als sich Mary einfach so an ihn dranhängt, weil er zuvor mal eine Nacht mit ihr verbracht hat.

Man merke auf: Allein schon, dass sich der Zuschauer Gedanken macht über die Charaktere, ihre Beziehungen zueinander und ihre Motivationen, sagt schon viel aus über die Qualität des Films. Dass Mr. Landis sich für seine Blues Brothers viel abgeschaut hat, kommt ihm ebenfalls nur zugute: Lange Flucht, Polizisten als Versagerverfolger, gar ein Sprung über eine sich öffnende Klappbrücke…

Und letztendlich, newhollywoodlike, ist das Ganze natürlich auch 'ne Art Generationenporträt: Warum die kesse Mary überhaupt bei der ganzen Chose dabei ist? "Ich hab nichts anderes zu tun."

Jetzt sitzt sie da, in seinem Auto, und er wird sie nicht mehr los. Sie ist offenbar verschossen in ihn und zeigt das, indem sie spielerisch rumzickt. Er zickt zurück, allerdings weniger spielerisch als aggressiv. Zeigt dabei aber sein breites Peter Fonda-Grinsen, das dem nicholsonschen Markenzeichen kaum zurückzustecken hat. Das macht sie umso heißer. Kampf als Flirt – schön und gut, aber vielleicht nicht gerade im Fluchtauto, oder?

Deke sitzt dabei und verdreht die Augen. Er ist Komplize bei einem hervorragend geplanten und konsequent ausgeführten Plan: Supermarktkasse ausrauben, indem der Boss kurzzeitig erpresst wird. Während Larry im Laden das Geld aus dem Chefbüro abkassiert, hat Deke beim Boss zuhause dessen Familie als Geiseln genommen. Mittels Kassettenrekorder am Telefonanschluss wird dann Zeit gewonnen, und wusch!. Gleich mal über eine Rampe und über ein paar Bauarbeiter, und dann geht er ab, der Larry! Denn er ist Rennfahrer. Und will sich mit dem Überfall das Startkapital für eine Karriere verdienen. Und da sieht man, wie wunderbar man Pläne schmieden und doch erstens den Über-, zweitens den Unterbau völlig vernachlässigen kann. Larry ist ja nicht maskiert oder so: Wie will er da in die Nascarserie einsteigen? Und wie will er unauffällig verschwinden, wenn er erstens bei jedem Truck, den er sieht, Gas gibt, um ihn in halsbrecherischen Fahrmanövern zu schneiden und auszubremsen und zweitens eine Spur an verunglückten Polizeiautos hinter sich herzieht, die er mit Karacho abhängt?

Der Plan an sich ist super: Über Nebenstraßen Richtung Staatsgrenze, und dort in einer riesige Walnussplantage, mit einem Straßennetz labyrinthisch durchzogen, die Bullen vollends abhängen. Nur halt die Details. Und die Ausführung. Weil Larry halt irre ist. Und Mary zu kess. Und Deke zu loyal.


Harald Mühlbeyer