Grindhouse-Nachlese Oktober 2023 - Wilde Frauen, lebende Tote im Leichenhaus, eine Mannheimerin als Lady Streetfighter

Grindhouse Jubiläums-Triple-Feature, 28. Oktober 2023, Cinema Quadrat Mannheim

 „Wild Women“ / „La isla de las vírgenes ardientes“, Spanien 1977, R: Miguel Iglesias aka M. I. Bonns

 „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ / „Invasion der Zombies“ / „No profanar el sueño de los muertes“ / „The Living Dead at Manchester Morgue“, Spanien/Italien 1974, R: Jorge Grau

 „Woman in Anger“ / „Lady Street Fighter“, USA 1980, R: James Bryan

 

Was gibt es schöneres als halbnackte Frauen, die miteinander kämpfen? Eigentlich nur halbnackte Frauen, die miteinander rummachen! Deshalb macht Miguel Iglesias in „Wild Women“ alles richtig: Dina, Kathy und Sei wohnen auf einer Insel, und am Anfang jagen zwei von ihnen die dritte. Bekleidet sind sie in selbstgemachten knappen Bikinis, und wenn sie kämpfen, dann mit selbstgemachtem Kungfu. Und ab und an sind sie nur in ihren knappen Höschen zu sehen, oben ohne! Ein alter Mann beobachtet sie durchs Fernglas, und dann schreitet er ein, weil der Anfangskampf nur ein Manöver war: Sie alle müssen fit bleiben, falls der Feind kommt.

Erst in irgendeinem der folgenden Dialog wird klar, dass der alte Mann, der sie so freundlich-bestimmt führt, ein Japaner sein soll: José Riesgo spielt Yamata, und wir erkennen, dass dieser Film auf einer wahren Begebenheit beruht. Weil: angelehnt an die Story vom japanischen Offizier auf der einsamen Insel, der nicht mitbekommt, dass der Krieg aus ist; erweitert durch seine drei treuen Frauen, Jungfrauen gar, die er vor ca. 20 Jahren aufgenommen hat. Da waren sie drei schiffbrüchige Kinder, jetzt sind sie seine Armee.

Waschechter Japaner
Harter Schnitt in eine Hafenkneipe, wo ein Pokerspiel aus dem Ruder gerät. Und eine Prügelei sich entspinnt. Und was für eine Prügelei! Käpt’n Paul gegen den alten Walter, der eine zeiht den anderen des Betrugs, und es geht los: Der eine haut den anderen. Der fällt um. Dann steht er auf und haut den ersten. Der fällt um. Dann steht der wieder auf und haut den anderen. Der fällt wieder um und steht wieder auf, und da geht der Tisch kaputt, und der Wirt ist verzweifelt, und der eine sagt, er gibt auf, und als er dann wieder aufgestanden ist, dann haut er wieder den anderen, und der wiederum sagt, er gibt auf, und als er aber wieder steht, da haut er wieder den einen. Und so weiter. Das ist eine Neuerfindung des „tit for tat“ von Dick und Doof, die ja auch immer warten, wie der andere reagiert (sprich: ihnen was antut), nachdem sie ihm irgendwas angetan haben. Prügel Pause Prügel, bis die Polizei kommt. Dann hauen alle ab, und die zwei Prügelnden müssen sich solidarisieren, um rauszukommen. Dabei geraten sie im Keller in ein Schlafzimmer mit einem nackigen Mann und einer nackigen Frau, die auf ihm liegt. Die ist dick, und weil fat shaming damals sehr lustig war, rät Paul, als er mit Walter zum Fenster rausklettert, zu einem Stellungswechsel. „Hab‘ ich probiert, hat nichts geholfen“, so die Antwort aus dem Bett – und das ist nur einer der vielen Höhepunkte der Synchronfassung, die wieder eine Menge Sprüche auf verschlossene Lippen gelegt hat. „Bleib unterm Tisch, du Träne!“ – das hatten wir schon vorher bei der Prügelei gehört.

Kurz gesagt: Walter weiß aus alten Kriegstagen, als er Bomberpilot war, den Ort, wo ein japanisches Schiff mit 400 Millionen Dollar untergegangen ist – just bei der Insel mit Yamato und seinen wilden Frauen. Paul hat das Schiff für diese Abenteuerexpedition, sie machen sich auf, aber ein Großteil der Crew hat aus Geldgier eine Meuterei vor. Einer der Matrosen, der immer Mundharmonika spielt, wird (fast) ermordet und rettet sich auf die Insel. Ein anderer kifft immer und hat Halluzinationen von tanzenden, halbnackten Frauen. Ein Blonder namens Mascareñas lacht immer dreckig. Es gibt also eine Menge Dynamik unter den Filmfiguren, zumal die Frauen sich des verletzten Mundharmonikamannes annehmen und Yamata Paul und Walter als Kriegsgefangene hält, weil sie die Insel durchsuchen. Während die Bösewichter, schwer bewaffnet, Sei fangen und kräftig vergewaltigen. Als Kontrast dazu dient das Anbandeln von Paul an Dina, die er davon überzeugt, kein Feind zu sein, indem er sie das Küssen lehrt. Und auch noch mehr: Als sie ihm die Hose öffnet, hui, da ist sie überrascht und lacht und holt ihre Gefährtinnen, und alle lachen und freuen sich über das, was sie da sehen, und es ist – eine Unterhose mit Stars & Stripes-Flagge. Wieder ein Witz!

Es gibt Fallen im Dschungel und Kämpfe und Verfolgungen, und damit’s für die Herren der Schöpfung im Kinosaal nicht öde wird, baden die feurigen Jungfrauen – so der direkt übersetzte Originaltitel – halbnackt, und Kathy und Sei machen miteinander rum, die eine umspielt die Brüste der anderen, rutscht dann tiefer, es wird romantisch, weil Regisseur Iglesias immer wieder auf glitzernd-wogendes Wasser überblendet.

Der Film wurde von 35mm-Material gezeigt, weil er super selten ist – in D bisher nicht digital erschienen, dabei muss er doch auf jeden Fall auf deutsch gezeigt werden, wegen der Synchro!

 

Nach der lustigen Abenteuer-Erotik führt Jorge Grau in tatsächlich unheimliche Gefilde. Klar ist „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ nicht weit von Romeros „Night of the Living Dead“ entfernt, aber doch ganz eigenständig. George hat einen Antiquitätenhandel und reist übers Wochenende nach Norden, Windermere ist das Ziel. An einer Tankstelle zertrümmert Edna sein Motorrad, und er, schnoddrig wie er ist, lässt sich von ihr nicht nur mitnehmen, sondern übernimmt den Fahrersitz. Frau am Steuer, hat man ja gesehn, was rauskommt! Und überhaupt: Er muss nach Windermere. Sie muss nach Southgate. Er fährt sie hin (mit ihrem Auto!), und dann verirren sie sich. Er fragt, sie wartet am Auto. Und hier haben wir also das odd couple der Screwball-Comedy in einem gar nicht komischen Kontext, sondern reingesetzt erstens ins chauvinistische System, das George, der Mann, verkörpert, und andererseits in die Horrorfilm-Standardsituation der im Niemandsland Geparkten.

George will beim Bauernhaus um Rat fragen. Dort ist das Landwirtschaftsministerium grad mitten im Experiment: Radioaktivität gegen Schädlinge, und wenn man die Neutronendiffusion einschaltet, dann hat’s noch durchschlagendere Wirkung. George entpuppt sich als Öko-Späthippie, der Natur Natur sein lassen will, während unten am Bach Edna von einem nassen, wilden, bösen Mann angegriffen wird. Ein Zombie.

Offenbar Guthrie, der Verrückte, ein Landstreicher – der aber vor einer Woche im Bach ertrunken ist. Keiner glaubt ihr. Auch nicht George.

Schnitt ins Haus von Ednas Schwester. Die lebt mit Martin zusammen, der sie rumkommandiert, der sie einsperrt – mit gutem Recht. Weil sie unheilbar heroinsüchtig ist. Sie ist völlig durch. Und wird von Guthrie angegriffen. Während Martin schöne Naturfotos schießt in der Abenddämmerung. Sie flieht zu ihm, der Zombie hinterher, er ermordet mit brutaler Gewalt Martin, der Fotoapparat blitzt unaufhörlich, es ist eine Szene von vager Eleganz, in der sich Brutalität und Schrecken inmitten der schönen Natur entfalten.

Der Inspektor tritt auf, und er ist ein harter Hund. Er weiß natürlich sofort, was los ist, und hier zeigt sich, wie klug und gekonnt Jorge Grau seinen Film komponiert hat. Weil alles, was bisher geschehen ist, auf menschliche Täter hindeuten, aus Sicht der Polizei zumindest. Die Heroinsüchtige, die ihren Mann umbringt, ihre Schwester und ihr Komplize, die ihr nicht nur helfen, sondern im weiteren Verlauf mordsüchtig die Gegend unsicher machen. Haben sie nicht den Film aus Martins Fotoapparat verschwinden lassen? Auf dem sieht man eine völlig aufgelöste Frau, die aussieht, als hätte sie gerade ihren Mann gekillt – dass sie vor einem Zombie fließt, ist eine Interpretation, die polizeilicherseits nicht vorgesehen ist.

George glaubt nicht an Guthries Wiederauferstehung. Im Krankenhaus aber wird er Zeuge von der Aggression frischgeborener Babies, der die Hebammen wie der Arzt ratlos gegenüberstehen – eine der Schwestern flieht mit blutendem, vielleicht gar herausgerissenem Auge aus der Säuglingsstation!

Langsam klärt sich das Bild für George und Edna, die sich aus der Not heraus näherkommen – aber glücklicherweise nicht bis hin zu einer Liebesgeschichte! Das wäre völlig abgeschmackt, und Grau vermeidet das Abgeschmackte bravourös. Auf dem Friedhof kommt’s zum Gemetzel: Zombie Guthrie geht überlegt und planvoll vor, erweckt die frisch Verstorbenen unten in der Gruft, hat den Verwalter schon umgebracht, und in einem perversen Taufritual benetzt er die Augen der Leichen mit dessen frischem Blut. Zu viert gehen sie auf George und Edna los, und auf den Polizisten, der sie beschattet – er wird Zeuge des Übernatürlichen, Unglaublichen, das der Polizei nicht in den Sinn kommt, aber er wird nichts mehr erzählen können.

Der Inspektor sieht klar: Ihr ungewaschenen, stinkenden Langhaarigen, angezogen wie Schwule, Drogen, Sex, Satanismus, Hass auf die Polizei! Es geht in diesem spanischen Film, der in England spielt, um die Unterdrückung durch die waltenden Mächte, um die Borniertheit der Staatsgewalt, um den Konflikt zwischen den Generationen, zwischen den Reaktionären und den Freiheitsliebenden. Und es geht um den Anspruch an absolute Staatsgläubigkeit, nicht nur gegenüber der Polizei, die die Wahrheit für sich gepachtet zu haben glaubt, sondern auch gegenüber der Regierung, die mit ihrem radioaktiven Experiment den Segen einer fruchtbaren Landwirtschaft verspricht: Die Schädlinge werden in ihrem zentralen Nervensystem gestört, fallen übereinander her – natürlich, das hat man getestet, geht das nur bei niedrigen Lebensformen. Dummerweise betrifft es auch Säuglinge. Oder frisch Verstorbene…

Diese untergründige Kritik an Staatsmacht und Staatsgewalt spielt in England, zwischen dem Verbot von „A Clockwork Orange“ und der Kampagne gegen „Monty Python’s Life of Brian“, als die konservativen Moralwächter einen krassen Kampf gegen alles Neue führten – und stammt aus einem noch immer faschistischen Spanien, in dem Franco noch immer herrscht.

Und Grau weiß nicht nur diese Thema souverän durchzuführen – so, dass es nicht im mindesten die Horrorhandlung stört –, sondern bringt auch meisterhaft kleine Details in seine Inszenierung, die diesen Zombiefilm weit über den Durchschnitt heben: Am Anfang sehen wir eine Frau an der Straßenecke, die plötzlich ihren Mantel auszieht und nackt über die Straße läuft, aus Protest: „Freiheit für die Frauen!“; und als wir das erste Mal das Krankenhaus sehen, laufen George und Edna vorne rein – und in einem mit aufreizend unheimlicher Langsamkeit durchgeführten Kameraschwenk sehen wir dann den Hinterausgang, aus dem die Toten rausgetragen werden für die wöchentliche Fuhre ins Leichenschauhaus.

 

Der dritte Film des Abends ist grindhousemäßig rumpelig. „Lady Streetfighter“ heißt dieses im wörtlichen Sinne Amateurwerk, gemacht von einer wahren Liebhaberin: Renee Harmon als Produzentin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin hat sich hier selbst verwirklicht, das Ergebnis ist dementsprechend allerbeste Unterhaltung! 12.000 Dollar hat der Film gekostet, und man fragt sich, wo das Geld hin ist. Naja, immerhin werden zwei Autos gecrasht – eines davon allerdings, der Legende nach, war das Auto von Harmons Ehemann, das sie halt mitgenommen hat zu Dreh, einen Abgrund runtergestürzt und dann wieder heimgebracht. Den Ehekrach hat sie ausgehalten für die Kunst.

Harmon war leidenschaftliche Filmerin, die sich von Fragen des Könnens oder des Scheiterns nicht aufhalten ließ. Sie hatte auch eine Schauspielschule und gab Drehbuchkurse, so konnte sie auch immer wieder Darsteller rekrutieren – der Legende nach hat sie die Teilnehmer ihre Schauspielkurse dafür zahlen lassen, an ihren Filmen mitzuspielen, und diese so finanziert…

Es ist nicht so, dass sie oder ihr Regisseur James Bryan gar nichts können; Autoverfolgungen sind recht OK, und nächtliche Lichtstimmungen sind auch OK. Aber worum es eigentlich geht bei dem Ganzen, das ist vielleicht nicht einmal ihnen klar. Es gibt eine Handlung; nur passt sie nicht zu sich selbst. Einzelne Szenen sind reingehauen wie unpassende Puzzleteile, Figuren ändern ihre Charaktere nach Belieben, die Dialoge sind - - - ach, man kann es gar nicht aufzählen. Prinzipiell wurde die Schwester von Linda Allen zu Tode gefoltert, hat aber das Geheimnis eines Mikrofilms mit einer Liste von Auftragskillern nicht verraten. Linda selbst tritt auf, warum ist egal, sie wird gleich mal von zwei Killern angegriffen, aber sie ist nicht umsonst „Lady Streetfighter“ – Harmon hat eigens Martial Arts-Kurse genommen, um so richtig kicken und schlagen zu können!

Das FBI ist auch mit dabei. Der alte Chef lässt sich von einem seiner freien Undercover-V-Männern berichten. Dann bekommt der einen Anruf, natürlich von Linda, weil dies Teil der Handlung ist, so, wie sie im Drehbuch steht, falls es eines gegeben haben sollte. Die räkelt sich in durchsichtigem Negligé auf dem Bett und stöhnt dem V-Mann voll ins Ohr, der windet sich in zunehmender Geilheit. Zumal der FBI-Chef sich gerade eine Zigarre ansteckt, und sie dabei von allen Seiten oral ableckt.

Derart sind die Szenen des Films: Immer auf den Effekt hin, immer auf Sex und Action hin, und immer darauf aus, Linda Allen = Renee Harmon gut aussehen zu lassen. Alle möglichen Haupt- und Nebenfiguren versichern ihr ständig, wie toll sie aussieht, was für tolle Brüste und wie toll ihre Figur – Drehbuchautorin Harmon gibt Hauptdarstellerin Harmon so richtig Zucker.

Sie ist auch gern mal nackt, unter der Dusche beispielsweise. Wir sehen auch den Duschkopf in Großaufnahme, und den Abfluss – und ha, das ist auf keinen Fall eine zufällige Hitchcock-Referenz! Allenfalls eine ausgesprochen schlecht hingeschluderte. Irgendein Typ durchschleicht das Appartement, und wie ein Blitz ist Linda raus aus der Dusche, weil geprügelt werden muss! Was wollte nun der Typ? Einen Teddybär! Den schlitzt Linda auf, darin eine Musikkassette, besprochen von ihrer Schwester, ich weiß nicht mehr warum. Damit soll irgendetwas erklärt werden, warum wer wie und was, aber das Gesabbere in all den Dialogen erklärt genau nichts, beziehungsweise noch weniger, weil alles mehr verwirrt wird.

Der FBI-Undercoveragent ist der Bösewicht. Linda verführt ihn. Er ist in sie verliebt. Will sie aber auch töten. Sie will ihn auch töten, ist vielleicht auch verliebt. Ein mexikanischer Messerrumfuchtler tut so, als wäre er freundlich, lobt ausgiebig Lindas Titten, dann tötet er Max Diamond und dessen Familie. Max Diamond ist irgendwann aufgetaucht als Name, aus der lauen Luft, er ist reich, handelt mit Drogen und Auftragskillern. Ist aber sehr nett und freundlich! Als kleines Aperçu hat er eine erwachsene Tochter mit dem mindset einer Fünfjährigen. Eine Party ist wirklich krass, da wird geflirtet und gestrippt, und Linda lässt Max an ihren Schuhen lecken, weil er das geil findet, und drei Männer in Toga werden durch den Filmschnitt immer wieder reingekloppt, wie sie sich zutrinken und „Toga! Toga! Toga!“ rufen, das kommt vier, fünf Mal vor.

Ein Kloster gibt es auch, dort ist wahrscheinlich irgendwo der Mikrochip versteckt. Das Kloster wird am Ende in die Luft gesprengt, das heißt, wir sehen ein brennendes Modellhaus von der Spielzeugeisenbahn oder so, das muss ja auch reichen.

Schießereien gibt es auch immer wieder. Und Linda weiß sich der Killer zu erwehren – eines der Autos, die in den Abgrund stürzen, zündet sie mit einem lässigen Schnipsen des Feuerzeugs in die Benzinlache an, der Bösewicht dadrin verbrennt mit Schreien – und mit einem ausgestreckten Mittelfinder, den er ihr brennenden Armes noch entgegenreckt.

Man kann das alles nicht kapieren, und man muss akzeptieren, dass man es nicht kapiert. Harmon hat den Film schon 1975 gedreht, wer weiß, warum er dann erst 1980 rauskam – vielleicht, weil noch am Soundtrack gebastelt werden musste, der aus 80er-Synthie-Sound besteht? Nein, nicht einfach irgendwas hingeschleudert, sondern eine unglaublich bizarre, auf Synthesizer- und Drumcomputerloops draufgepappte Neuversion von Ennio Morricones „Drei glorreiche Halunken“-Musik.

Renee Harmon wurde 1927 in Mannheim geboren, ist nach dem Krieg mit ihrem Mann, einem GI, nach USA gezogen. Es stört sie nicht im Geringsten (und wird von ihrer merkwürdig verschobenen Selbstwahrnehmung wahrscheinlich ausgeblendet), dass sie mit krassem deutschem Akzent durch den Film spaziert. „Hellau, hellau!“ bellt sie ins Telefon, und „wot is häppening hier“ denkt der Zuschauer.

 

Harald Mühlbeyer

 

Grindhouse-Nachlese April 2023 – Autos rasen übern Asphalt und Affen durch den Wald

 Grindhouse Double Feature, Samstag 29. April 2023, Cinema Quadrat Mannheim

 

„10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich“ / „Fast Company“, Kanada 1979, R: David Cronenberg

 „Nackt unter Affen“ / „King Kong und die braune Göttin“ / „Eva, la Venere selvaggia“, Italien 1968, R: Roberto Mauri


Man lernt viel. Über die richtige Treibstoffmischung, die sich jeder Fahrer selbst austüftelt, über die verschiedenen Klassen: Fuellers und Funny Cars, über den Rennzirkus überhaupt und wie man dabei die Viertelmeile in sagenwirmal sechs Sekunden runterreißt. „Fast Company“ heißt der Film, das trifft es, der deutsche Verleihtitel „10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich“ trifft es auch, und irgendwie passt das alles vielleicht sogar rein in die Filmographie von David Cronenberg. Ja, der Cronenberg mit seinem Body Horror, dessen „Brut“ – ebenfalls von 1979 – vor vielen Millionen Jahren auch schon einmal in der Grindhouse-Reihe gelaufen ist, der Cronenberg, der inzwischen etablierter Kunstfilmer geworden ist mit seinen Underground-Themen.

In „Fast Company“ haben wir keinen Horror. Wir haben Geschwindigkeit. Wir haben Autofetisch. Wir haben Fahrer und Mechaniker, die sich liebevoll ihren Fahrzeugen widmen, die so lange schrauben, bis noch ein paar PS mehr rausgekitzelt sind, die aufgehen in dieser irrealen Blase auf der Tour von Race-Track zu Race-Track. Für ein paar Sekunden Höchstbeschleunigung. Und natürlich für FastCo-Motoröl, Sponsor des Dragster-Stars Billy, genannt „Lucky Man“. Warum? Wir sehen’s am Anfang: zu viel am Motor getüftelt, Explosion mitten auf der Strecke, und er steigt aus, als wär nix. Für Anderson, Vertreter des Motorölunternehmens, ist das zu viel, die Fahrer sollen nicht gewinnen, nur mithalten, nicht unter allen Umständen teuer Autos verschrotten, sondern die Marke schön präsentieren! Anderson ist ein Arschloch, das sehen wir gleich, aber er hat natürlich betriebswirtschaftlich einen Punkt. Ist aber trotzdem ein Arsch, fliegt mit Privatflugzeug, will Miss FastCo besteigen, und kassiert von der Rennleitung privat Geld dafür, dass er seinen Star überhaupt starten lässt.

Zur Korruption kommen Neid und Intrigen und generelle Fiesheit – ihm gegenüber Lucky Man mit seinen Mechanikern und dem Junior im Team, der bei den Funny Car-Rennen mitmacht. Weil, also: Das Fuel-Fahrzeug ist für den Senior und viel viel schneller, das Funny Car ist angelehnt an ganz normale Straßenautos, aber natürlich auch schneller, aber nicht sooo. Junior jedenfalls bekommt Miss FastCo ab, und Lucky Man’s Freundin taucht auch auf, und es gibt einmal kurze Verwirrung, weil sie im Bett von Lucky Man eine Nackige sieht, aber kein Problem, ist nur Junior mit seinem Girl, alles Friedefreudeeierkuchen. Nur dass Anderson erst Junior ausbootet, und dann auch Lucky Man hintergeht, indem er ihn durch den Konkurrenten ersetzen will, nicht nur das, er nimmt ihm das Auto ab, und so weiter und so fort, die Handlung ist jetzt nicht sooo interessant. Sabotage, Mordanschlag, das Finale hat es in sich, überzieht dann aber mit einer Verfolgung des startenden Flugzeugs, Absturz und Feuerball – aber was solls!

Trotzdem ein super Film, weil Cronenberg voll Liebe darauf schaut, wie Menschen die Maschinen zu zähmen versuchen, wie sie sie pflegen und streicheln und ihnen Gutes tun, und wie die Maschinen ihnen etwas zurückgeben, in der Währung Miles per Hour. Und wir hören das Spottern und Krückeln und Krachen und Brutzeln und Schnarren und Knurren und Röhren und Tönen der Motoren! Cronenberg bietet uns authentische Einblicke in die Szene, gedreht wurde offenbar bei echten Dragsterrennen, oben im kanadischen Alberta, wiewohl der Film im US-Nordwesten spielt.

Unterwegs ist Lucky Man mit seinem Team in zwei Trucks, veredelt mit dem Star-Spangled Banner, wenn‘s übern Highway geht sitzt Lucky Man hinten drin, der Truck ist ausgebaut zu Wohn- und Schlafzimmer, vor allem aber in ein Konstrukteursbüro, Schreibtisch, Pläne, Modelle, alles, was ein schaffenswütiger Ingenieur braucht, der das Objekt so sehr liebt, an dem er rumtüftelt.

 

Geradezu läppisch dagegen, und ein schöner Kontrast: ein Film namens „Nackt unter Affen“, dessen Titel schon alles enthält, was der Film dann auch ist. Afrika, Söldner, ein Überfall auf die Kasse des Militärs, Tote, ein Oberbösewicht unter den Ganoven, der alle abknallt. Jahre später: Der Oberschurke ist im Urwald verschwunden, und in einem post- oder gar altkolonialen Kneipe in, ich glaube, Angola taucht dessen alter Komplize auf, er hat wider Erwarten überlebt. Die Frau des Wirts, mit der hat er mal was gehabt; die Tochter macht ihn auch an. Außen, unter Palmen, wird er mal angegriffen und er kämpft ganz dolle und ein anderer Mann hilft ihm, der hat ihn vorher schon so angeguckt, wer ist er?

Jedenfalls: Die Tochter geht das erste Mal auf Safari mit, der Bruder will sie beschützen, der Ex-Söldner will von all dem nichts mehr wissen, was genau er da eigentlich macht ist unklar. Safari, das bedeutet: Die fahren durch die Landschaft und sagen: Oh, was schöne Tiere! Elefant, Giraffe und so, und die Tiere sehen wir auch, weil Gottseidank jemand anderes für irgendeinen anderen Film seine Kamera tatsächlich nach Afrika mitgenommen hat, um Nilpferd und Löwen und Antilopen zu filmen, und dessen Filmmaterial hat man hier nun locker geklaut, damit alles echt wirkt. Da! Ein Leopard! Schnell schießen! Aber die Schwester trifft nicht, und der Bruder auch nicht, und wieder ein paar Minuten Film wegerzählt mit spannenden Episoden aus dem Busch.

Naja, sagen sich die Filmleute, wäre jetzt wirklich langweilig, wenn wir nur die Leute durch den Urwald stolpern lassen, und das Fremdmaterial, irgendwann merken das die Leute! Komm, hopp, wir lassen mal die Affen ran! Und tatsächlich: Der Oberschurke ist vom Geldräuber inzwischen zum Mad Scientist mutiert und setzt einem Affen einen Computerchip in die Schläge, keine Kosten und Mühen wurden gescheut, um diese chirurgischen Nahaufnahmen hinzubekommen! Nein, wirklich, die Affenmasken sind hervorragend, sie stechen wirklich hervor aus all dem anderen Zeug, was wir in diesem Film vorgesetzt bekommen.

Affen: Das ist die Erfüllung des ersten Teils der Verheißung durch den Filmtitel; der zweite Teil, den Regisseur Roberto Mauri (alias Robert Morris, soll keiner glauben, man hätte es mit Italoschund zu tun!) und seine „Drehbuchautoren“ in den Film reingepappt haben, das ist die Legende der „weißen Göttin“. Beziehungsweise der im Originaltitel versprochenen „Eva, die wilde Venus“. Nun ist die keine weiße Göttin, sieht eher südamerikanisch aus: jau, Darstellerin Esmeralda Barros ist Brasilianerin, und wohl auch keine Göttin, sondern mehr so eine Art Tarzanin, aber wurscht. Die jedenfalls haust im Urwald, und die Ureinwohner – wahlweise als Wilde oder Schwarze oder N*** benannt – gehen da nicht hin, weil sie von Affen bewacht wird. Tatsächlich hat sie nur so einen Trigema-Schimpansen bei sich, den trägt sie rum und tätschelt ihn und führt ihn spazieren, aber die wirklichen wilden Affen sind mannsgroße Gorillas (damit Männer ins Kostüm passen), robotermäßig gehorsam wegen des Chips, und die entführen die Tochter mit dem schönen Namen Ursula. 

Der Bruder steckt‘s dem Ex-Legionär, und sein Papa raunt ihm zu: „Gut gemacht“, und da wissen wir, dass alles Schmu ist, und der Rest des Films ist, dass der Söldner sich ermannt, Ursula zu suchen, und darauf freut sich der Oberschurken-Exsöldnerchef-verrückterWissenschaftler-Möchtegernweltbeherrscher, und unterwegs begegnet der Söldner der weißen Göttin und sie verstehen sich super, und die Affen greifen an, und.

Nee, man kann nicht erzählen, was da alles los ist. Das Internet würde gesprengt wegen zu viel Inhalt! Er badet und sie guckt zu und gibt ihm Bananen. Sie – oben ohne, den ganzen Film über – springt in einem Einsprengsel auch mal in Zeitlupe durch die Landschaft, und da ist sie ganz nackt, das ist so’n bisschen Playmate, und doch ganz erstaunlich für einen Film, der vor den 70ern gedreht wurde. Weil hier die kindliche Unschuld, die der Film die sonstige Zeit von seiner Eva-Göttin erzählt, heftig erotisiert wird. Man muss ja was bieten. Also noch mehr als Kampfaffen und ein Grottensystem und gefangene Jungfrauen und einen großen Computer, der mit einem hellen Licht, Auge genannt, die Affen kontrolliert, und mit einem höchst eifersüchtigen Wirt, der aber nach außen so freundlich tut, wie es im Wirtsleutestand nun mal gang und gäbe ist, und dann ist da noch der geheimnisvolle Mann, der vorher mal dem Exsöldner geholfen hat und wieder auftaucht und nämlich von Interpol ist und schon ganz lange hinter dem Bösewicht her, und eine Minute später ist er tot, und wieder ein paar Meter Film durch die Kamera gerattert! Absoluter Höhepunkt ist eine Boa, vor der alle zurückschrecken, was ne Würgeschlange, und die ist in derselben Einstellung wie die Schauspieler zu sehen! Heißt: Die müssen in den botanischen Garten, in dem sie gedreht haben (sicher nicht in Afrika!) tatsächlich eine echte Schlange um einen Ast gewickelt haben. Production Value!

Am Ende kommt großer Showdown in der Computerkontroll-Gefängnis-Höhle, alle tauchen auf, jeder erklärt, was los ist, alle merken, dass alles miteinander zusammenhängt, nach und nach ist jeder tot. Das ist im Grunde Shakespeare pur!

Und die weiße Göttin nimmt ihren Schimpansen, und wir sehen sie zum Abschied nochmal nackig durch den Busch tanzen, und freuen uns, dass die Dudelmusik nun auch ihr Ende hat.

 

Harald Mühlbeyer

 

Grindhouse-Nachlese März 2023: „Car Wash“ und „Savage Intruder“

Grindhouse Double Feature, 25.3.2023, Cinema Quadrat Mannheim

„Car Wash – Der ausgeflippte Waschsalon“ / „Car Wash“, USA 1976, R: Michael Schultz

„Savage Intruder“ / „Hollywood Horror House“, USA 1970, R: Donald Wolfe

 

„Car Wash“ – irgendwo ist mir dieser Film schon einmal untergekommen, nicht anguckender-, sondern darüberlesenderweis, und zwar in seriösem Zusammenhang. Wo und wann, weiß ich nicht mehr. Nun aber lief dieser Film in der Grindhouse-Reihe, wo ja sonst eher im Mülleimer der Filmgeschichte nach Genießbarem gewühlt wird; dieser Film aber ist nicht Müll, und auch nicht Exploitation, sondern tatsächlich Black Cinema.

1976 war ja Blaxploitation schon totgelaufen, die Pimps konnten nicht pimpiger, die Autos nicht aufgemotzter, die Kleider nicht exaltierter, die Musik nicht funkiger, die Frauen nicht barbusiger werden. Das führt, wie es in jedem Filmgenre am Ende seiner Lebenszeit ist, einerseits zu einer Entwicklung der Selbstparodie, Stichwort: Dolemite; andererseits zur Neuausrichtung, beziehungsweise zur Verschmelzung mit anderen Stilrichtungen, beziehungsweise zur Evolution durch Kreuzung, zur Neuzüchtung. In „Car Wash“ hat Regisseur Michael Schultz – und Drehbuchautor Joel Schumacher, ja, der, nämlich bevor er ins Regiefach wechselte; ein weiterer Ausweis für die Qualitätsarbeit, die hier abgeliefert wurde –, in „Car Wash“ jedenfalls haben Regie und Drehbuch die Coolness und Lockerheit der Blaxploitationcharaktere zusammengeführt mit gehaltvolleren Statements bezüglich der Lage der Schwarzen in den US-Großstädten; der Film ist damit Vorläufer beispielsweise von Spike Lee.

Ungefähr zwölf Angestellte hat die Autowaschanlage Dee-Luxe, die meisten Afroamerikaner, und der Film folgt ihnen einen Tag lang. Das ist cool und locker, und das ist manchmal albern, und die Typen sind recht exzentrisch – einer eine Tunte in Fummel; zwei Typen im Hollywood-Glamour-Bratpack-Fieber; einer mit Superhelden-Spleen, der sich als „the Fly“ fühlt, und wenn er in Aktion tritt, dann summt er. Einer ist frisch aus dem Knast entlassen, ein anderer auf dem Weg zur Kündigung wegen seiner radikalrevolutionären Ansichten, die er lautstark vertritt. Ein Kid auf Skateboard saust durch die Gegend. Eine Hure lungert herum, sie hat einen Taxifahrer betrogen, der immer wieder als Running Gag auftritt. Eine wirkliche Handlung – im Sinne von durchgehendem Geschehen – gibt es nicht, dafür läuft die ganze Zeit der Sender KGYS mit Soul und Funk, darunter mehrmals der Song „Car Wash“, der sich bis heute im Radio hält. Ab und zu brechen die Charaktere auch in die Musik aus, in Tanzschritte oder in Gesang – es ist natürlich stilisiert, das Ganze, aber lustig und frisch und so.

Aber eben auch ein Kommentar zur Zeit, und das deutlich versteckt hinter der fröhlichen Autowäscherschar. Der Boss ist ein Weißer, der eigentlich nichts macht, außer apodiktisch gelegentliche Diskussionen zu schlichten: Go wash cars! Er ist zu geizig, moderne Maschinerie einzusetzen, und löhnt lieber an Billigarbeitskräfte, die von Hand waschen müssen. Die wiederum sind auf ihn angewiesen, sie haben ja sonst nix – der Ausbeutung steht wenig im Weg. Immerhin macht das Ganze Spaß.

Der Sohn vom Boss ist Salonrevoluzzer, in Mao-T-Shirt und mit Rotem Buch, er zitiert die Sprüche vom Umbruch, will sich mit den Arbeitern vereinigen, aber doch lieber nicht zu viel arbeiten. Abdullah, der vor kurzem noch Duane hieß, ist Radikalschwarzer, der am liebsten alles niederbrennen würde – aber dann doch nicht. Veränderung ist notwendig; aber wer soll sie durchführen?

 

Dem Subgenre „Alternde Hollywood-Diven“ zugehörig nennt Grindhousereihe-Kurator Max den zweiten Film des Abends: „Savage Intruder“, auch als „Hollywood Horror House“ ins Kino gekommen; merkwürdig ohnehin, weil der Abspann als Copyright-Jahr 1973 angibt, tatsächlich wurde der Film 1970 gedreht, er wäre fast nicht veröffentlicht worden – zu Unrecht. Denn auch wenn er ab und an spätere Slasher-Brutalität vorwegnimmt, ist „Savage Intruder“ ein sehr gut ausgedachtes, mit sehr gut konzipierten Charakteren inszeniertes Horrorpsychodrama.
Hauptrolle: Miriam Hopkins, Star der 1930er und 40er, „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (dolle subjektive Kamerafahrt nach der Verwandlung des guten Doktors!), „Trouble in Paradise“ und „Design for Living“, zwei Lubitsch-Klassiker… Hier spielt sie eine alternde Hollywooddiva, also vielleicht sich selbst; und gedreht wurde das Ganze auf dem enormen Anwesen von Norma Talmadge, Filmsuperstar der 1920er und laut Wikipedia als alternde Diva Inspiration für die Norma Desmond-Figur in Billy Wilders „Sunset Boulevard“, dort gespielt von der alternden Diva Gloria Swanson… Das Ende von „Sunset Boulevard“ ist der Anfang von Miriam Hopkins‘ Auftritt als Katharine Packard in „Savage Intruder“: In weißem Mädchenkleid bereitet sie sich auf ihre Party vor, noch ein Schlückchen „personality“ – Wodkaflasche ist immer in Reichweite! –, dann schreitet sie die Treppe runter, man hört die Geräusche ihrer Fans und Bewunderer, und man sieht, dass sie alleine ist in ihrem Wahn nach Star-Anerkennung. So, wie Swanson als Desmond am Ende von Wilders Film die Treppe heruntergeschritten kam, dahin, wo Polizei und Sensationsreporter warten, und diese als ihre Fans verkennt.

Den Anfang des Films macht, hochmetaphorisch, der berühmte Hollywoodschriftzug, den aus der Nähe zu betrachten wir Gelegenheit bekommen: halb zerfetzt, bekritzelt, verrostet, mit Blech, das im Wind flattert, und unten am Hügel eine zerstückelte Frauenleiche (also: keine echte, wir sehen die Puppe dahinter, aber das betrachten wir wohlwollend). Im TV Nachrichten über den Psychopathen, der alternde Damen zerstückelt, an der Bar eine alternde Dame, die sich den letzten Drink runterkippt, sie könnte einem Chandler-Roman entstammen, watschelt nach Hause, gefolgt von einem, den wir nicht richtig erkennen, und der hat ein Köfferchen dabei, darin – nennen wir es ruhig beschönigend: – Chirurgenbesteck, aber mit Knochensäge und Beil wohl eher Pathologen-, in Wirklichkeit aber Psychopathenbesteck, das merken wir, als unser Killer auch noch ein elektrisches Küchenmesser zückt und am Arm der besinnungslosen Dame ansetzt…

Katharine Packard hat sich bei ihrem großen Auftritt vor imaginärem Publikum durch einen Sturz die Stufen runter das Bein gebrochen, sie wartet auf einen Pfleger, ein junger Mann kommt an, nennt sich lustig Laurel N. Hardy, heißt aber tatsächlich Vic Valance, sowohl Haushälterin Mildred als auch Verwalterin Leslie hassen ihn gleich, weil er ist frech, wie die jungen Leute heute so sind. Köchin Greta aber ist angetan, vor allem aber Katharine, die er mit frechem Witz umgarnt – er fährt zweigleisig: die junge Greta für das körperliche Vergnügen, die alte Diva für das finanzielle Auskommen. Kann natürlich nur irgendwann auffliegen.

Auf dem Weg dahin aber geht Regisseur und Autor Donald Wolfe einen sehr reizvollen Weg der Mitte: Denn es gibt ja den Whodunnit. Das ist die Filmgattung, wo ein Killer umherschleicht und wir alle rätseln, wer es ist – und am Schluss werden wir, wenn das erzähldramaturgische Vermögen ausreicht, nochmal kräftig überrascht. Und dann gibt’s die andere Variante, dass von Anfang an der Bösewicht klar ist, und wir folgen ihm und gucken, ob und wie er geschnappt wird. In „Savage Intruder“ nun bleibt der Killer im Dunkeln, wir sehen ihn nicht wirklich, nur Hände, die töten, und haben natürlich gleich Vic in Verdacht, der einen roten Fleck am Schuh hat und ein Köfferchen, und wissen natürlich gleichzeitig, dass der offensichtliche Täter nie der wirkliche Täter ist, weil alles aussieht wie ein Whodunnit – und es vielleicht eben doch nicht ist, weil der Drogentraum viel zu deutlich ist, in dem der junge Vic seine Mutter sieht, von geilen Männern umgeben, wodkasaufend, Liebkosungen genießend und den Sohn schnöde wegschickend… Wolfe vereint also zwei Erzählstrategien, lässt es aussehen wie einen Whodunnit und erzählt, als würden wir von Anfang an den Killer kennen, und das klappt! Wir sehen, dass Vic Böses vorhat, aber wir halten im Hinterkopf immer den Ausweg offen: weil es eben doch nur angedeutet scheint, und wir auch nicht glauben können, dass dieser junge Mann, der eine Gelegenheit sieht und am Schopfe packt, ein totaler Psycho ist.

Irgendwann schleicht sich die Wahrheit an, nicht als Schock, sondern als Klarheit, und das einzige, was der Zuschauer nun noch tun muss, ist, das Wissen um die völlige Bananenhaftigkeit der psychischen Erkrankung des irren Killers zu verdrängen. Und dann kann das Publikum beispielsweise Gale Sondergaard, kleinerer Star von damals und immerhin Oscarpreisträgerin 1937, zuschauen, die deutlich ahnt, was vor sich geht, es aber sich selbst nicht glauben will, die offenbar verliebt ist in ihre Herrin, dies aber weder ihr noch sich selbst eingesteht, die ob ihrer Stellung im Hause lange glaubt, das Heft in der Hand zu halten und irgendwann bemerkt, dass alles irgendwie ins Rutschen kommt, weil Vic mehr und mehr das Kommando übernimmt, und weil Katharine Packard irgendwann nur noch aus der Ferne zu sehen ist, wie sie oben auf dem Balkon sitzt, aber vielleicht ist das auch eine Puppe, und vielleicht ist hier oben auf dem Hügel, im superteuren Anwesen von Katharine Packard bzw. Norma Talmadge, sowieso schon lange der Wahnsinn eingezogen.

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse Nachlese Januar 2023: Frankfurt Kaiserstraße und El Santo in Spanien

Grindhouse Double Feature, Samstag, 28.1.2023, Cinema Quadrat Mannheim

 

Frankfurt Kaiserstraße, D 1981, R: Roger Fritz

Santo contra el doctor Muerte, Mexiko/Spanien 1973, R: Rafael Romero Marchent


Roger Fritz stammt aus Mannheim; und wenn er einen Film mit der Produktionsgesellschaft Lisa-Film dreht, dann ist dies doch wunderbar passend für den Grindhouse-Januartermin. Lisa-Film, die mit Sexkomödien ihr Geld machte und dann, ein paar Jahre später, mit Tommy&Mike – und Roger Fritz, der immer einen Drang zur Wirklichkeit hat, die er fotografisch einfängt, eben nicht als Wirklichkeit, aber als echt. Frankfurt Kaiserstraße ist ein Milieufilm, ein Charakterfilm, eine Liebesgeschichte: Susanne und Rolf lieben sich. Sie, Metzgerstochter in einem hessischen Provinzkaff, ist gerade mit der Schule fertig, er muss bald zum Bund. In seiner Bude erleben sie das Erste Mal; und das ist so zärtlich gefilmt, so innig in der Zweisamkeit, wie man es von einem Werk mit diesem Titel und dieser Produktionsgesellschaft nicht erwarten könnte. Fritz lässt nicht reißerisch die Nacktheit vor dem Zuschauer aus, sondern inszeniert die Intimität, und die beiden haben uns sofort für sich eingenommen, in ihrem Schwur, für immer beieinander zu bleiben.

Dann platzt Rolfs Papa ins Zimmer, ist entsetzt, was sollen die Leute denken, und überhaupt, was wird der Metzger dazu sagen!!! Der ist natürlich sauer, seine Tochter mit diesem Jungen, und Doppelmoral lässt er sich schon gar nicht vorwerfen, nur weil er mit der Verkäuferin liebesspielt, er ist schließlich lange schon Witwer. Die Tochter haut ab, nach Frankfurt, in die berüchtigte Kaiserstraße, da wohnt Onkel Ossi. Zu diesem Schwulen will sie!

Das Provinzleben ist, außer was das Liebespaar betrifft, durchaus karikaturesk gezeichnet, mit breitem hessischen Dialekt und breiten Ressentiments der Alten gegen die Jungen. Das Leben in der Kaiserstraße ist bunt, da steht Ossis Blumenladen zwischen Peepshow, Stripclub und Billardsalon, und Ossis Freund Tony, US-Amerikaner, empfängt Susanne freundlich. Und bereitet so den Boden für den großen Auftritt von Kurt Raab, der als tantenhafte Tunte die Rampensau rauslässt. Er spielt als Onkel Ossi ganz überdreht alle Schwulenklischees rauf und runter, als Transvestit und Travestiesänger, und das wirkt sonderbarerweise auch heute nicht wirklich homophob, sondern als liebevollen, wenn auch kruden Gruß an die Community. Naja, okay. Heute könnt man das nicht mehr machen. Und ein bisschen Klamauk muss halt sein.

Susanne in Frankfurt – um sie herum das Laster, das sie nun jugendlich neugierig betrachtet. Wobei immer das Menschliche hinter dem Laster sichtbar wird. Sie wird umschwärmt vom Gemüsejungen, arbeitet an der Bratwurstbude. Im Billardsalon haben die Handlanger des Unterwelt-Großmufti Johnny – ein Wiener! – dem Besitzer Aldo eine explosive Billardkugel untergejubelt. In der Kaserne wird Rolf von seinem Feldwebel heftig gedrillt, der hat ihn auf dem Kieker, wie er alle Neuen auf dem Kieker hat. Und die Kantine wird geleitet von einer jungen Frau, die weiß, was (und wen) sie will, die sich nimmt, was (und wen) sie will, und die klarmacht, dass das nicht bedeutet, dass jeder sie haben kann. Sie fährt Motorrad, und das findet Rolf dufte.

Rolf wird ins Leben geworfen. Dazu gehört, dass auch Susanne ins Leben geworfen wird, in ein anderes als seines. Das Leben auf der Kaiserstraße wird bestimmt von Johnny. Und der sieht in Susanne Potential, in einer Karriere als große, gewinnbringende Hure. Was sie erstmal nicht erkennen will. Diese Grundhandlung des Films ist flankiert von vielen kleinen Nebenepisoden, die nicht angepappt wirken, sondern als Bereicherung dieser Welt. Aldo, der sich zu wehren versucht gegen die Unterweltrivalen. Die ehelichen Probleme zwischen Ossi und seinem Tony. Wie Susanne Freundschaft schließt mit einer Kollegin. Nebenbei Einschüchterung, Schutzgelderpressung, Zuhälterei, Mord. Und spätnachts labert einer Rolf voll, stockbetrunken brabbelt er davon, wie er einen anderen in den fünften Stock gekickt hat, der’s verdient hat…


Santo, der silbermaskierte Wrestler aus Mexiko – wir kennen ihn aus „Los campeones justicieros“ https://screenshot-online.blogspot.com/2015/09/grindhouse-nachlese-juli-2015-amoklauf.html –, ist Weltmeister in seiner Kunst, und zum Sport hat er den Film addiert. Hunderttausend Filme hat er gedreht, plusminus, als edler Kämpfer für das Gute, und als fairer Kämpfer im Ring. 1973 verschlägt es ihn nach Spanien, aus seiner mexikanischen Heimat, wo die Filme um Ringkämpfer, die das Verbrechen bekämpfen, höchste Publikumsgunst genießen. Und wo es gar nicht weiter auffällt, dass Santo und Co. bei allem, was sie tun, ihre Ganzkopfmaske aufhaben. Auch im Anzug, auch bei der Ankunft am Flughafen. Völlig normal, man fragt ja auch nicht, warum Buster Keaton einen flachen Hut aufhat und Harold Lloyd eine runde Brille.

Ins Museum wird eingebrochen. Wir sehen den Einbruch detailliert, es hat Tom Cruise-Qualitäten, wie der Verbrecher sich vom Oberlicht abseilt hinunter in den sorgfältig gesicherten Raum. Er versprüht was aus der Sprayflasche. Das ist der rätselhafte Beginn von Santo contra el doctor Muerte. Es geht um einen mysteriösen Kunstschaden: Ein Velazquez-Gemälde wurde nach einer Leihgabe von Mexiko aus nach Spanien zurückgebracht, und jetzt ist es zerstört. Obwohl es immer bewacht war! Zum Glück kann Dr. Mann helfen, der ist Kunstsachverständiger und Restaurator in seinem großen Schloss. Und da wird es noch rätselhafter, weil nicht nur eine Menge schöne Mädchen da rumhängen, die drauf warten, dass er sie zum Modellsitzen für eine Malsession ruft, sondern auch der blinde Bruder rumgeistert. Und irgendwo ist eine Kammer mit kranken Frauen, und ab und an wird eine mit Gewalt rausgeholt, und dann wird operiert und irgendwas aus ihrem Bauch geholt. Im Nebenraum werden derweil Gemälde in großem Stil gefälscht.

Santo wird als spezialbeauftragter Agent auf den Fall angesetzt, zumal er in Spanien ohnehin ein paar Weltmeisterschaftskämpfe zu bestehen hat. Er fährt also zweigleisig: abends im Ring, und tatsüber am Ermitteln. Die Ringkämpfe sind wahrscheinlich echt, quasi dokumentarisch gefilmt, und wenn auch zu Beginn drei Kämpfe versprochen wurden, gibt es doch nur zwei zu sehen. Wahrscheinlich, weil die Moves sich halt doch gleichen. Aber man kann Santos Technik schön sehen, viel Beinarbeit, Beinscheren, mit denen er die Gegner rumwirbelt, und immer wieder Hechtsprung. Dies kommt ihm natürlich zugute im Kampf mit den Verbrechern, die sich immer wieder drauf einlassen, ihn besiegen zu wollen. Ha, lächerlich! Immer wieder schöne Kämpfe, es ist herrlich!

Man will ja nicht komplett spoilern. Aber eigentlich muss ich doch, weil das ist zu hammermäßig. Dieser Irrsinns-Plot, um sich die weltbeste Gemäldesammlung anzueignen! Rembrandt ist schon da und Da Vinci (klar, die Mona Lisa), und jetzt kommt der Vélazquez dazu: Die gefälschten nämlich werden zurückgegeben, die Originale behalten, und wie wird gefälscht! Es ist höchst geheimnisvoll. Man muss wissen, dass Dr. Mann nicht nur Kunstwissenschaftler, sondern auch Chemiker ist. Und mit Hormonen oder so kann er in den armen Frauen in der Kammer – ach, ich will’s nicht sagen! Jedenfalls wird gezüchtet, als geheime Zutat im Fälschungsprozess, und dann stimmt sogar das Alter des Neudrucks, so dass die Fälschung nicht bemerkt werden kann von den Museen. Der blinde Bruder übrigens ist nicht blind, sondern fast noch schlimmer als der Doktor, er täuscht sie alle und kann machen, was er will. Vor Jahren, und jetzt wird’s wirklich kompliziert, hat er sich im Louvre als Dr. Schwarz ausgegeben, Kunstsachverständiger, weil damals der Rembrandt ganz merkwürdig zerstört war… Der echte Schwarz übrigens ist natürlich tot. Dr. Mann lebt, als Mastermind, mit Blind-Bruder als Handlanger, und vielleicht hilft es beim Verständnis zu wissen, dass der Keller des Schlosses aus tiefen, grob in Fels gehauenen Gängen besteht, mit Geheimtüren und Geheimkammern und so, und, wie wir am Ende sehen werden, auch mit Geheimfallen, die einen Lucas/Spielberg vor Neid erblassen ließen, weil ist ja viele Jahre vor Indiana Jones! Nicht einfach nur ein Fels, der runterfällt, auch MGs, die schießen, und Pfeile, die schießen, und Feuer und so!

Im Grunde ist das vielleicht das spanische Element im mexikanischen Wrestlerfilm: Dass die Kulissen und der irre Plot um Operationen und Dr. Tod auch aus einem Paul Naschy-Film stammen könnten.

Santo muss sich durch das ganze Gewirr an Handlung durchringen, ein heimischer Polizeiagent und eine Spitzel-Frau im Schloss helfen, es ist eigentlich kein Problem. Und zwar wirklich nicht: Er drehte sichtlich viele der Stunts selbst, und wahrscheinlich hing er am Ende auch selber am Hubschrauber, ließ sich ins rasende Motorboot des Flüchtenden herab, und ist auch rechtzeitig rausgesprungen, bevor es explodierenderweis an der Klippe zerschellte. Santo, der silbermaskierte Meister!

 

Harald Mühlbeyer