Grindhouse-Nachlese März 2023: „Car Wash“ und „Savage Intruder“

Grindhouse Double Feature, 25.3.2023, Cinema Quadrat Mannheim

„Car Wash – Der ausgeflippte Waschsalon“ / „Car Wash“, USA 1976, R: Michael Schultz

„Savage Intruder“ / „Hollywood Horror House“, USA 1970, R: Donald Wolfe

 

„Car Wash“ – irgendwo ist mir dieser Film schon einmal untergekommen, nicht anguckender-, sondern darüberlesenderweis, und zwar in seriösem Zusammenhang. Wo und wann, weiß ich nicht mehr. Nun aber lief dieser Film in der Grindhouse-Reihe, wo ja sonst eher im Mülleimer der Filmgeschichte nach Genießbarem gewühlt wird; dieser Film aber ist nicht Müll, und auch nicht Exploitation, sondern tatsächlich Black Cinema.

1976 war ja Blaxploitation schon totgelaufen, die Pimps konnten nicht pimpiger, die Autos nicht aufgemotzter, die Kleider nicht exaltierter, die Musik nicht funkiger, die Frauen nicht barbusiger werden. Das führt, wie es in jedem Filmgenre am Ende seiner Lebenszeit ist, einerseits zu einer Entwicklung der Selbstparodie, Stichwort: Dolemite; andererseits zur Neuausrichtung, beziehungsweise zur Verschmelzung mit anderen Stilrichtungen, beziehungsweise zur Evolution durch Kreuzung, zur Neuzüchtung. In „Car Wash“ hat Regisseur Michael Schultz – und Drehbuchautor Joel Schumacher, ja, der, nämlich bevor er ins Regiefach wechselte; ein weiterer Ausweis für die Qualitätsarbeit, die hier abgeliefert wurde –, in „Car Wash“ jedenfalls haben Regie und Drehbuch die Coolness und Lockerheit der Blaxploitationcharaktere zusammengeführt mit gehaltvolleren Statements bezüglich der Lage der Schwarzen in den US-Großstädten; der Film ist damit Vorläufer beispielsweise von Spike Lee.

Ungefähr zwölf Angestellte hat die Autowaschanlage Dee-Luxe, die meisten Afroamerikaner, und der Film folgt ihnen einen Tag lang. Das ist cool und locker, und das ist manchmal albern, und die Typen sind recht exzentrisch – einer eine Tunte in Fummel; zwei Typen im Hollywood-Glamour-Bratpack-Fieber; einer mit Superhelden-Spleen, der sich als „the Fly“ fühlt, und wenn er in Aktion tritt, dann summt er. Einer ist frisch aus dem Knast entlassen, ein anderer auf dem Weg zur Kündigung wegen seiner radikalrevolutionären Ansichten, die er lautstark vertritt. Ein Kid auf Skateboard saust durch die Gegend. Eine Hure lungert herum, sie hat einen Taxifahrer betrogen, der immer wieder als Running Gag auftritt. Eine wirkliche Handlung – im Sinne von durchgehendem Geschehen – gibt es nicht, dafür läuft die ganze Zeit der Sender KGYS mit Soul und Funk, darunter mehrmals der Song „Car Wash“, der sich bis heute im Radio hält. Ab und zu brechen die Charaktere auch in die Musik aus, in Tanzschritte oder in Gesang – es ist natürlich stilisiert, das Ganze, aber lustig und frisch und so.

Aber eben auch ein Kommentar zur Zeit, und das deutlich versteckt hinter der fröhlichen Autowäscherschar. Der Boss ist ein Weißer, der eigentlich nichts macht, außer apodiktisch gelegentliche Diskussionen zu schlichten: Go wash cars! Er ist zu geizig, moderne Maschinerie einzusetzen, und löhnt lieber an Billigarbeitskräfte, die von Hand waschen müssen. Die wiederum sind auf ihn angewiesen, sie haben ja sonst nix – der Ausbeutung steht wenig im Weg. Immerhin macht das Ganze Spaß.

Der Sohn vom Boss ist Salonrevoluzzer, in Mao-T-Shirt und mit Rotem Buch, er zitiert die Sprüche vom Umbruch, will sich mit den Arbeitern vereinigen, aber doch lieber nicht zu viel arbeiten. Abdullah, der vor kurzem noch Duane hieß, ist Radikalschwarzer, der am liebsten alles niederbrennen würde – aber dann doch nicht. Veränderung ist notwendig; aber wer soll sie durchführen?

 

Dem Subgenre „Alternde Hollywood-Diven“ zugehörig nennt Grindhousereihe-Kurator Max den zweiten Film des Abends: „Savage Intruder“, auch als „Hollywood Horror House“ ins Kino gekommen; merkwürdig ohnehin, weil der Abspann als Copyright-Jahr 1973 angibt, tatsächlich wurde der Film 1970 gedreht, er wäre fast nicht veröffentlicht worden – zu Unrecht. Denn auch wenn er ab und an spätere Slasher-Brutalität vorwegnimmt, ist „Savage Intruder“ ein sehr gut ausgedachtes, mit sehr gut konzipierten Charakteren inszeniertes Horrorpsychodrama.
Hauptrolle: Miriam Hopkins, Star der 1930er und 40er, „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (dolle subjektive Kamerafahrt nach der Verwandlung des guten Doktors!), „Trouble in Paradise“ und „Design for Living“, zwei Lubitsch-Klassiker… Hier spielt sie eine alternde Hollywooddiva, also vielleicht sich selbst; und gedreht wurde das Ganze auf dem enormen Anwesen von Norma Talmadge, Filmsuperstar der 1920er und laut Wikipedia als alternde Diva Inspiration für die Norma Desmond-Figur in Billy Wilders „Sunset Boulevard“, dort gespielt von der alternden Diva Gloria Swanson… Das Ende von „Sunset Boulevard“ ist der Anfang von Miriam Hopkins‘ Auftritt als Katharine Packard in „Savage Intruder“: In weißem Mädchenkleid bereitet sie sich auf ihre Party vor, noch ein Schlückchen „personality“ – Wodkaflasche ist immer in Reichweite! –, dann schreitet sie die Treppe runter, man hört die Geräusche ihrer Fans und Bewunderer, und man sieht, dass sie alleine ist in ihrem Wahn nach Star-Anerkennung. So, wie Swanson als Desmond am Ende von Wilders Film die Treppe heruntergeschritten kam, dahin, wo Polizei und Sensationsreporter warten, und diese als ihre Fans verkennt.

Den Anfang des Films macht, hochmetaphorisch, der berühmte Hollywoodschriftzug, den aus der Nähe zu betrachten wir Gelegenheit bekommen: halb zerfetzt, bekritzelt, verrostet, mit Blech, das im Wind flattert, und unten am Hügel eine zerstückelte Frauenleiche (also: keine echte, wir sehen die Puppe dahinter, aber das betrachten wir wohlwollend). Im TV Nachrichten über den Psychopathen, der alternde Damen zerstückelt, an der Bar eine alternde Dame, die sich den letzten Drink runterkippt, sie könnte einem Chandler-Roman entstammen, watschelt nach Hause, gefolgt von einem, den wir nicht richtig erkennen, und der hat ein Köfferchen dabei, darin – nennen wir es ruhig beschönigend: – Chirurgenbesteck, aber mit Knochensäge und Beil wohl eher Pathologen-, in Wirklichkeit aber Psychopathenbesteck, das merken wir, als unser Killer auch noch ein elektrisches Küchenmesser zückt und am Arm der besinnungslosen Dame ansetzt…

Katharine Packard hat sich bei ihrem großen Auftritt vor imaginärem Publikum durch einen Sturz die Stufen runter das Bein gebrochen, sie wartet auf einen Pfleger, ein junger Mann kommt an, nennt sich lustig Laurel N. Hardy, heißt aber tatsächlich Vic Valance, sowohl Haushälterin Mildred als auch Verwalterin Leslie hassen ihn gleich, weil er ist frech, wie die jungen Leute heute so sind. Köchin Greta aber ist angetan, vor allem aber Katharine, die er mit frechem Witz umgarnt – er fährt zweigleisig: die junge Greta für das körperliche Vergnügen, die alte Diva für das finanzielle Auskommen. Kann natürlich nur irgendwann auffliegen.

Auf dem Weg dahin aber geht Regisseur und Autor Donald Wolfe einen sehr reizvollen Weg der Mitte: Denn es gibt ja den Whodunnit. Das ist die Filmgattung, wo ein Killer umherschleicht und wir alle rätseln, wer es ist – und am Schluss werden wir, wenn das erzähldramaturgische Vermögen ausreicht, nochmal kräftig überrascht. Und dann gibt’s die andere Variante, dass von Anfang an der Bösewicht klar ist, und wir folgen ihm und gucken, ob und wie er geschnappt wird. In „Savage Intruder“ nun bleibt der Killer im Dunkeln, wir sehen ihn nicht wirklich, nur Hände, die töten, und haben natürlich gleich Vic in Verdacht, der einen roten Fleck am Schuh hat und ein Köfferchen, und wissen natürlich gleichzeitig, dass der offensichtliche Täter nie der wirkliche Täter ist, weil alles aussieht wie ein Whodunnit – und es vielleicht eben doch nicht ist, weil der Drogentraum viel zu deutlich ist, in dem der junge Vic seine Mutter sieht, von geilen Männern umgeben, wodkasaufend, Liebkosungen genießend und den Sohn schnöde wegschickend… Wolfe vereint also zwei Erzählstrategien, lässt es aussehen wie einen Whodunnit und erzählt, als würden wir von Anfang an den Killer kennen, und das klappt! Wir sehen, dass Vic Böses vorhat, aber wir halten im Hinterkopf immer den Ausweg offen: weil es eben doch nur angedeutet scheint, und wir auch nicht glauben können, dass dieser junge Mann, der eine Gelegenheit sieht und am Schopfe packt, ein totaler Psycho ist.

Irgendwann schleicht sich die Wahrheit an, nicht als Schock, sondern als Klarheit, und das einzige, was der Zuschauer nun noch tun muss, ist, das Wissen um die völlige Bananenhaftigkeit der psychischen Erkrankung des irren Killers zu verdrängen. Und dann kann das Publikum beispielsweise Gale Sondergaard, kleinerer Star von damals und immerhin Oscarpreisträgerin 1937, zuschauen, die deutlich ahnt, was vor sich geht, es aber sich selbst nicht glauben will, die offenbar verliebt ist in ihre Herrin, dies aber weder ihr noch sich selbst eingesteht, die ob ihrer Stellung im Hause lange glaubt, das Heft in der Hand zu halten und irgendwann bemerkt, dass alles irgendwie ins Rutschen kommt, weil Vic mehr und mehr das Kommando übernimmt, und weil Katharine Packard irgendwann nur noch aus der Ferne zu sehen ist, wie sie oben auf dem Balkon sitzt, aber vielleicht ist das auch eine Puppe, und vielleicht ist hier oben auf dem Hügel, im superteuren Anwesen von Katharine Packard bzw. Norma Talmadge, sowieso schon lange der Wahnsinn eingezogen.

 

Harald Mühlbeyer