Grindhouse-Nachlese Oktober 2022: Mutan-Bestien und Transplantation, Syndikat des Grauens und die Rache des Sex

15jähriges Grindhouse-Jubiläum: Doppel-Double-Feature mit 4 Überraschungsfilmen der Extraklasse, 29. Oktober 2022, Cinema Quadrat Mannheim

 

„2071 – Mutan-Bestien gegen Roboter“ / „Reise durch die Zeit“ / „The Time Travelers“, USA 1964, Regie: Ib Melchior

 „Sinnliche Lippen“ / „The Amazing Transplant“, USA 1970, Regie: Doris Wishman

 „Syndikat des Grauens“ / „Luca il cortrabbandiere“, Italien 1980, Regie: Lucio Fulci

 „La venganza del sexo“ / „The Curious Dr. Humpp“, Argentinien 1969, Regie: Emilio Vieyra, Jerald Intrator

 

Beim 15jährigen Jubiläum lässt sich die Grindhouse-Filmreihe nicht lumpen, es laufen nicht nur zwei Double-Features, sondern unter den vier Überraschungsfilmen gibt es auch zwei 35mm-Projektionen. Die erste davon: Science-Fiction mit „2071 – Mutan-Bestien gegen Roboter“, ja, Mutan! Blassfarbig, zerkratzt, inklusive Filmriss – das volle Grindhouse-Retro-Feeling!

Drei Wissenschaftler – eine davon eine Frau, die mal hier und mal da Knöpfe drücken und Schalter umstellen muss, offenbar ist sie die Computerfachfrau, das ist ja in den 1960ern noch Weibersache –, drei Wissenschaftler jedenfalls tüfteln an der Zeitreise. Im Labor an der Seitenwand die große Computeranlage, frontal ein großer Bildschirm, dort die Experimente, wo der Innenhof der Universität tagweise zurückgeschaltet wird. Ein Elektriker kommt dazu, weil der Uni-Boss befohlen hat, das Projekt ein- und den Saft abzustellen. Dann gelingt im letzten Moment die Zeitreise, nur dooferweise läuft alles schief und auf dem Bildschirm ist nicht mehr der Campus, sondern eine Felswüste zu sehen. Der Elektriker merkt zuallererst, dass dies nicht mehr ein Monitor, sondern ein Durchgangsportal ist. Der Einstieg in die andere Welt ist nicht so raffiniert gemacht wie einst bei Buster Keaton, der durch die Leinwand in den Film stieg, sondern ganz offensichtlich per Rückprojektion getrickst – aber die Rückpro immerhin ist gut gemacht, und dass der Film ein geringes Budget hat, sieht man ihm zwar an, aber man verzeiht es auch, weil was kann der Film dafür.

Wichtig ist, was man draus macht, und Ib Melchior macht das Beste. Er durchpflügt die Zeit um 107 Jahre, die vier landen also 2071, werden von mutierten Bestien angegriffen – das sind Leute in Ganzkörperverkleidung – und in einem Höhlensystem von den letzten unmutierten Menschen gerettet – das sind Leute mit etwas merkwürdigen Kleidern. Hier unten haben sie Androide, das sind Leute mit umhülltem Kopf und Teesieb vor dem Mund. Erklärung: Atomkrieg. Auch das interessant mitten im Kalten Krieg, weil überraschend pazifistisch. Und überaus fatalistisch, denn das wird gleich klargemacht: die Vergangenheit, also die Vernichtung der Erde, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Bei Zeitreisen ist das ja immer das Problem: Wenn du zurückreist und deinen Großvater umbringst – oder sagen wir netter: deinen Großvater verführst, dann wirst du gar nicht geboren, weil dein Großvater jedes Interesse an deiner Großmutter verliert. Und dann kannst du ihn weder töten noch verführen, weil du nicht da bist. Und dann hat er aber doch wieder Interesse an der Omma und du bist wieder da. Unauflösbares Paradox! Das man natürlich erstens umgeht, wenn die Reise in die Zukunft geht, und zweitens, indem ganz klar gesagt wird: Da ihr hier seid, würde es ja wohl nichts bringen, wenn ihr zurückreisen und alle warnen könntet; sonst wärt ihr ja nicht hier!

Eine Reise zu einem Planeten im Alpha Centauri-System ist die letzte Hoffnung für den letzten Rest der Menschheit; unsere Vier können nicht mit, weil Sauerstoff und Vorräte nicht reichen würden in der Rakete. Ärgerlich! Auf Hochtouren bauen sie also an einem weitere Zeittor, das zurückführt – wenigstens eine kleine Rettung auf Zeit soll das werden; im Wettlauf um den Bau der Rakete, und im Wettlauf mit den Mutanten draußen, die versuchen, das Höhlensystem zu stürmen. Und bei all dem nimmt sich der Regisseur eine Menge Zeit, die Wunder der Zukunft zu zeigen!

Eine hübsche Arbeiterin in der Androidenwerkstatt setzt Augen auf ein Tablett, geht zum Wandregal, wo Androidenköpfe warten, steckt einem davon die Augen ein, verkabelt ihn mit einer Batterie, und die Augen sind lebendig!!! Klar, da war ein Schnitt zwischendrin, aber das ist das Wunder des Kinos, dass das Unmögliche möglich gemacht wird. Später legt sich ein kaputter Androide auf eine Liege, der eine Mechaniker demagnetisiert den Hals, der andere nimmt den Kopf ab, der nun nicht mehr am Rumpf gehalten wird, setzt einen anderen drauf, Magnetisierung, der Androide steht auf und geht weg – und das ganz ohne Schnitt, und auch offenbar ohne Splitscreen! Ich konnte nicht direkt erkennen, wie Melchior das hingekriegt hat. Ebenso in einer anderen Werkstatt: Da ist einer damit beschäftigt, einen quadratischen Metallrahmen zwischen den Fingern zu drehen, achsengerecht zu wirbeln, und schwupps wird daraus ein Kreis! Zauberei.

Ja, Zauberei, besser: Magie, ausführlich nimmt sich Melchior die Zeit, um seine Trickfertigkeit zu präsentieren, nicht anders wie George Méliès 60 Jahre vorher, der ja all die Filmtricks erfunden hat – und zwar als Zauberkünstler. Das macht enormen Spaß!

Die Zukunft birgt auch weitere Geheimnisse: Die Dame mit den Augen in der Werkstatt macht unseren Elektriker heftig an, das ist der nicht gewohnt aus seiner Zeit. Auch hier Utopie, die Frau als sexuell aktives Wesen, das sich die Männer aussucht! Man stelle sich vor, wie dies damals, vor fast 60 Jahren, beim Zuschauer angekommen ist… Ohnehin ist „2071“ auf der Höhe der Zeit, beim Rendezvous spielt sie dem Elektriker auf der Lichtorgel vor, das ist eine Art bunt blinkende Tastatur, über die sie die Hände schwebend gleiten lässt, worauf auf einem Monitor bunte Punkte wild umherwuseln – äußerst psychedelisch, und damit seiner Zeit ca. drei Jahre voraus! (Wäre nicht die völlig unpassende Filmmusik zu dieser Szene, die so gar nichts aus dem Ufo-Club der frühen Pink Floyd-Zeit hat…)

Der Film ist recht billig gemacht, ja gut. Aber er ist streng durchdacht, und das Ende ist wirklich niederschmetternd, weil Ib Melchior auf der Zeittastatur spielt, als wäre sie eine Lichtorgel.

Im Übrigen enthält der Film einen der besten Dialoggags der gesamten Filmgeschichte. Unsere Androidenmechanikerin klagt dem Elektriker, dass sie sich ja jetzt trennen müssten, und ob ihm etwas an ihr liege. „Du bist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe!“, antwortet er – „Aber das ist doch nur äußerlich!“ – „Das Innere ist nicht so wichtig, was soll ich mit einer hübschen Leber!“

 

Billig und noch dazu schlecht gemacht kommt „Sinnliche Lippen“ daher. Der Film stammt von Doris Wishman, eine der seltenen Regisseurinnen im Grindhouse-Exploitation-Trashbereich. Sie will ja auch nichts anderes. Sexploitation, aber auf ganz merkwürdige Art! Weiblicher Blick? Als Regisseur nennt sie sich Louis Silverman, als Drehbuchautorin Dawn Whitman. Nuja, Scham ist es wohl nicht.

Der Film: Vier Vergewaltigungen; eine davon endet im Mord, zwei in Verstörung und Trauma, eine immerhin in einer beglückten Frau, weil Gewalttäter Arthur ja immerhin ihr Highschool-Schwarm war. Zwischendurch der Besuch bei einer verführerischen Prostituierten, der abgebrochen wird – der aber auch nichts mit der Handlung zu tun hat. Die besteht darin, dass Detective Barlen nachforscht, wo sein Neffe Arthur bleibt und was genau er getan hat. Und warum. Barlen kann doll mit den Augenbrauen wackeln, kann die Augen zusammenkneifen, den Kopf zur Seite legen, er kann interessiert gucken und misstrauisch und zweifelnd und erstaunt und überhaupt beherrscht er das aktive Zuhören meisterlich. Das ist ja auch seine Aufgabe: Die Damen in Arthurs Notizbuch befragen, deren Antworten dann in den ausführlichen Sex-Rückblenden gezeigt werden. Dem Zuschauer ist klar, dass der Schlüssel in den goldenen Ohrringen der Frauen liegt, das macht Arthur ganz wild. Warum? Das erfahren wir vom Doktor Meat, der geht eine ganze Weile andauernd sorgenvoll durch sein Wohnzimmer und legt sich bekümmert die Hände ans Gesicht, gegen Ende packt er aus, wie’s steht mit dem Ganzen.

Das alles ist mit (ungewollt) wackliger Schulterkamera gedreht und mit dem Filmschnitt weiter verunstaltet worden; der ist wild, und einmal sieht man kurz irgendeinen gezoomten Reißschwenk auf irgendwas, das ist wohl versehentlich nicht rausgeschnitten worden. Die Zimmer im Film werden gerne mehrfach genutzt, man sieht es an den Tapeten beispielsweise, die sind an verschiedenen Schauplätzen in verschiedenen Szenen gleich. So eine Art Film ist das. Am Ende, wenn der Detective den Sexverbrecher gefunden hat, dann reicht offensichtlich das gedrehte Filmmaterial nicht zu den dialogischen Erklärungen, die das Drehbuch vorsieht, und Arthur fährt sich ca. 100 Mal mit der Hand übers Gesicht, immer dieselbe Einstellung hintereinander geschnitten, während er sich erklärt – man sieht ja seinen Mund nicht, da kann man das Sprechen drüberlegen.

Nun ist „Sinnliche Lippen“ ein dummer deutscher Titel. Das Original ist treffend: „The Amazing Transplant“ – und der Film ist auch nicht ganz so dumm, wie er aussieht, er kann halt nicht anders. Tatsächlich greift eine der Damen, bevor der Herr Polizist sie besucht, ins Regal und liest das Buch „Citizen Hearst“, eine Geradeheraus-Anspielung auf Orson Welles’ amazing Debütfilm – die Struktur ist ja ähnlich, jemand ist tot, ein anderer forscht nach und befragt die Leute; ob es sich dabei um das Geheimnis von „Rosebud“ handelt oder um einen Vergewaltigungsmord ist nur eine Frage der Dimension. Und so hat Doris Wishman letztlich mit ihrem Film „Citizen Kane“ vermählt mit dem Stummfilmklassiker „Orlacs Hände“ – nur dass das transplantierte Organ keine Hand war, sondern etwas im männlichen Unterleib, das ich hier der Spannung wegen nicht benennen will.

 

Lucio Fulci Ende der 70er, Anfang der 80er war der wohl verschrienste Filmemacher Italiens. Zwischen seine Zombies hat er 1980er einen Mafiafilm – in der standesgemäß rotstichigen 35mm-Kinofassung vorgeführt –  reingeschoben; und natürlich muss er seinem Publikum Zucker geben. Da fällt einer in eine vulkanische Quelle und kommt total verbrüht raus. Eine Frau wird mit dem Bunsenbrenner gefoltert, indem schön langsam ihre Gesichtshaut zerkocht wird. Schüsse, bei denen Körperteile zerplatzen, sind sowieso obligatorisch. Und eine Frau wird, um ihren Mann gefügig zu machen, genüsslich gefoltert durch Analvergewaltigung.

Das Interessante an „Das Syndikat des Grauens“ ist allerdings, dass sich mit diesem Film offenbart, dass Fulci tatsächlich ein Geschichtenerzähler ist, einer, der seinen Filmen eine stringente Handlung mit nachvollziehbaren Charakteren verleihen kann. Denn auch ohne all die Fulciismen von zerstörten Körperlichkeiten würde der Film funktionieren als harte Mafiastory – und als gesellschaftliches Porträt von Neapel, wo die bisherigen einheimischen Zigarettenschmuggler vom Marseillaner herausgefordert werden, der das Rauschgiftgeschäft etablieren will. Dass in diese Machtkämpfe der Verbrecherclans die Polizei mitmischt, wird als Unglück für das gesamte Gefüge der Stadt angesehen: Tausende sind finanziell abhängig von dem Zigarettenschmuggel, der ihnen das täglich Brot garantiert; wenn die Polizei da einschreitet, dann sind die alle plötzlich vollkommen mittellos. Und werden sich den noch viel schlimmeren Verbrechen zuwenden.

Natürlich hat der böse Franzose innerhalb der neapolitanischen Verbrecher seinen Mann, der ihm den Weg erleichtern soll, die örtlichen Organisationen zu übernehmen – auch das ein Pluspunkt für den Film: Der Zuschauer ahnt von Beginn an, wer dieser doppelgesichtige Türöffner ist, und Fulci legt deshalb die große Enthüllung nicht als Überraschung für den Zuschauer, sondern lediglich für die Filmfiguren an, dramaturgisch sehr klug.

 

Ein geradezu wahnsinniger argentinischer Mischmaschfilm bildete den krönenden Jubiläumsabschluss: „La vengaza del sexo“, also „die Rache des Sex“ heißt dieses irre Mad-Scientist-Sexploitationteil, und dass der Film auf englisch „The Curious Dr. Humpp“ heißt, bezeugt deutlich, dass nicht nur die Deutschen einen Hang zu albernen Verleihtiteln haben. Weil „Dr. Humpp“ eigentlich Dr. Zoide heißt, ein junger und alerter Typ, der aber zunächst gar nicht in Erscheinung tritt, sondern lediglich sein ausführendes Organ; standesgemäß in Point-of-View-Perspektive. Da werden junge Pärchen aus ihren Autos heraus entführt, wo sie grade am Knutschen (und mehr) sind, wir sehen die klobigen Füße dieses Wesens, wir sehen, wie er durch die Straßen streift und einen Stripclub besucht, wo der Barmann ihn entsetzt anstarrt und die Besucher auch. Die Tänzerin zieht sich aus, schon das erstaunlich für einen Film von 1969, langsam und aufreizend, und der Saxophonspieler schielt immer zu ihr rüber – und das Monster starrt ebenfalls, ja ein Monster, mit vollkommen verunstaltetem Gesicht, wahrscheinlich eine deformierte Maske von der alemannischen Fasnet. Zack, ist die Stripperin ebenfalls entführt, die Polizei rätselt, der Reporter der Lokalzeitung bietet seine Dienste an.

Und wir steigen rüber in das Labor von Dr. Zoide, der ja eigentlich ganz nett aussieht, bis auf die Tatsache, dass er die ganzen jungen Leute entführt. Seine hübsche Assistentin jedenfalls ist verschossen in ihn. Standesgemäß lebt und arbeitet er in einem dieser alten, schlossähnlichen Anwesen, da gibt es viele Zimmer, in denen die Opfer gefangengehalten werden, und sie bekommen Spritzen, die sie geil machen. Dann werden Männlein und Weiblein zueinandergeführt, schön nackig ausgezogen, und wenn sie sich dann ranmachen an „die Sache“, dann werden sie extrahiert. Das ist ein Vorgang, der etwas geheimnisvoll bleibt in dem Film.

Als Wächter hat Dr. Zoide eine Menge roboterähnlicher – nein, eigentlich tatsächliche Roboter, entmenschlichte Wesen, die im Garten herumstehen, während die noch lebenden Opfer pärchenweise durchs Gras spazieren gehen, recht dämmerhaft sediert. Der Reporter stößt auf eine sehr versteckte Abzweigung der Straße und findet die Villa, natürlich wird er gefangengenommen, aber er ist auch ein rechter Mann, und die Assistentin ebenso wie seine zugewiesene Zimmerpartnerin verfallen ihm nicht nur erotisch, sondern auch emotional. Das ist der Anfang vom Ende von Dr. Zoide.

Muss ich noch erwähnen, dass Zoide bevorzugt mit einem Gehirn spricht, das in einer blubbernden Flüssigkeit eingelegt ist? Das Einmachgehirn jedenfalls stößt wilde Verwünschungen aus, als Reporter und Polizei des Labor hochgehen lassen, und Dr. Zoide ist verzweifelt – er braucht ja den Lebenssaft der jungen Leute, abgezapft bei (oder doch erst nach?) dem Rumfummeln!

Das ist eine Wahnsinnsprämisse für einen Wahnsinns-Wissenschaftler, offenbar hat er sich 200 Jahre lang so gut gehalten, der Herr Dokter, und das an sich lohnt den Film schon. Aber es steckt bei diesem Film – anders als bei einigen anderen der albernen kleinen Horrorschauerstücken, die in der Grindhouse-Reihe schon gelaufen sind – etwas dahinter.

Wobei eigentlich erstmal alles auf die x-te Frankenstein-Variante hinausläuft mit dem Monster und den entlebten Wächter-Wesen und dem verrückten Wissenschaftler; es könnte aber auch eine x-te Variante von „Jekyll & Hyde“ sein, denn wer weiß zu Anfang schon, ob Zoide und sein Monster nicht dieselben sind, bei all dem Gebräu, das der forsche Forscher in sich reinschlürft? Dann kommt Oscar Wilde ins Spiel, nicht mit einem Porträt auf dem Dachboden, sondern mit einem Hirn im Blubberwasser – und garniert wird das alles mit einem Schuss „Lebensborn“. Und dieser letzte Punkt führt zum eigentlichen Hintergrund des Films.

Der Reporter sagt es ganz am Anfang, weil die Polizei nicht einsehen will, dass hier ein wahnsinniger Serientäter zugange ist: Vor 30 Jahren hat es seinen ähnlichen Fall schon mal gegeben, in einer Stadt drüben in Europa. Und jetzt, was war 30 Jahre vor 1969 drüben in Europa? Richtig. Hitler in voller Pracht. Der mit Mengele seinen eigenen Zoide hatte, und der ist dann, wo wohl, in Argentinien untergetaucht. So dass, unglaublicherweise, dieser Film so etwas wie antifaschistische Aufarbeitungsarbeit leistet. Was wir hier mal ausdrücklich loben wollen!

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese September 2022: Mordsfan in Cannes und Mini-007 auf den Philippinen

 Grindhouse Double Feature, Samstag, 17. September 2022, Cinema Quadrat, Mannheim:

„The Last Horror Film“ / „Fanatic“ / „Fanatical Extreme“ / „Love to Kill“ / „Maniac 2 – Love to Kill“, USA 1982, Regie: David Winters

 

„For Y’ur Height Only“ / „Agent 003 ½ in geheimer Mission“ / „Dead Mission – Tödliche Mission“, Philippinen 1981, Regie: Eddie Nicart


Der Anfang wie ein schlechter Horrorfilm. Einer mit einem langen Messer im Schatten, eine Frau stelzt zum Whirlpool, lässt alle Hüllen fallen, es ist Nacht, sie räkelt sich, der Killer nähert sich, im Pool streckt die Dame das Bein kerzengerade in die Luft, ist es Erotik oder Aerobik? Der Killer benutzt sein Messer – nicht zum Schlitzen, nein, sondern um ein Kabel durchzutrennen, das er dann dem Pool entgegenschiebt, es schlängelt sich heran, Starkstrom!

Es ist ein Film, den sich Vinny im Kino ansieht, er geht total mit, „Weirdo“ ranzt ihn ein anderer Zuschauer an. Damit hat er es getroffen, Vinny ist ein Spinner, ein Filmfan auf höchster Irrenstufe. Er ist vernarrt in die Darstellerin Jana Bates, Königin des Horror, will mit ihr einen Film drehen, muss aber sein Geld als Taxler in New York verdienen. Naja, verdienen: Er liest ein Filmfanmagazin, lässt sich von herumlungernden Herumlungerern dumm anmachen, kann die eigene Mama nicht von seinem Traum, von seinem Ziel überzeugen, einen Film mit Ms. Bates zu drehen. Aber er verfolgt seinen Traum, bis nach Südfrankreich, bis nach Cannes zu den Filmfestspielen. Wo Bates’ neuester Reißer im Wettbewerb zu sehen ist.

Ein bisschen New York, und ganz viel Cannes: „The Last Horror Film“ ist ein unglaubliches Stück Metakino – vergleichbar mit Bigas Lunas „Angustia“ / ImAugenblick der Angst“ ein Paar Jahre später. Schauplatz ist das größte und glamouröseste Filmfestival der Welt, hier treibt sich Vinny rum auf der Suche nach Jana Bates, nach einem Zugang zu ihr, um ihr sein Drehbuch pitchen zu können. Wobei er nicht planvoll vorgeht, auch gar nicht weiß, was „pitchen“ ist, dafür ist er zu sehr „weirdo“. Mit seinen strähnigen Haaren und dem starren Blick sieht er genau aus wie der nerdige Soziopath, der er ist, und vor dem alle zurückweichen. Jetzt ist es aber so, dass Ms. Bates ihren Ex-Mann in dessen Hotel-Badezimmer mit abgetrenntem Kopf findet. Dass ihr Produzent draufgeht. Dass ihr Regisseur draufgeht. Dass sie selbst auch diese Notiz erhalten hat: Dies ist dein letzter Horror-Film! Und dass all die Mord-Untaten mit einer Videokamera mitgefilmt werden. Weil irgendwer einen ganz scheußlich perversen Horror-Snuff drehen will, ganz offensichtlich!

Im Hintergrund laufen ständig, kommentierend, Radio- und TV-Berichte über die Attentate auf Papst Johannes Paul II. und auf US-Präsident Ronald Reagan, die im Frühjahr 1981 innerhalb weniger Wochen erfolgt sind - letzteres durch einen fanatischen Jodie-Foster-Fan, ein irrer Stalker, der im Leben allzu untergebuttert war, als dass er leben könnte, ohne dass Foster von ihm wissen würde... Parallelen zu unserem seltsamen Helden in diesem Film nicht ausgeschlossen.

Dass Frau Bates Bates heißt, kommt nicht von ungefähr in Zusammenhang mit Psycho und Serienkiller; dass das Ganze in Cannes spielt, gibt dem Film einen krassen Impuls Richtung Pep und Raffinesse. Regisseur David Winters versteht sein Handwerk, dabei kommt er eigentlich von der Musik, hat in der „West Side Story“ mitgespielt, hat Elvis, Raquel Welch und Alice Cooper choreografiert – geradezu tänzerisch, sprich: leichtfüßig und trittsicher, geht er auch mit seinem Film und dessen vielen verschiedenen Ebenen um: Filmfan, Filmstar, Filmdreh, Filmvorführung, Filmfestival – und Footage vom echten Cannes-Fest 1981, perfekt verbunden mit den Szenen des irren Vinny, der sich als Regisseur eräumt, der auch träumt, wie er von sich selbst als Dandyproduzent heruntergeputzt wird, der von all den Toten träumt, die ihn verhöhnen, und der es umso mehr allen zeigen will! Mitten in Cannes gefilmt, mutmaßlich Guerilla-Style, sichtlich wissen die Umstehenden am roten Teppich oder auf dem Filmmarkt nicht, dass hier ein echter Kinofilm gedreht wurde – schließlich ist es normal, dass Leute mit Kamera rumstromern. Dieses dokumentarische Material, aufgepeppt mit den inszenierten Darstellern, die die fiktive Filmhandlung ins reale Filmfestival injizieren, wird perfekt gematcht mit der reinen Inszenierung um Vinny, um Jana, um die Morde.

Wobei das Reinrutschen von Fiktion in reales Setting noch weiter geht als Underground-Filmen in Cannes: Vinnies Wohnung in New York ist die echte Wohnung von Darsteller Joe Spinell, die Mutter ist seine echte Mama – Filomena Spagnuolo heißt sie, wurde für den Saturn-Award nominiert.

Lustig ist der Film auch; absichtlich lustig. Die Kamera überwindet die Tür zum Jury-Screeningraum, dort wieder einmal eine Horror-Szene, wie es ja im offiziellen Cannes-Programm üblich ist, und die Juroren murmeln die ganze Zeit anerkennend vor sich hin, wie wunderbar diese Jana doch ist; dementsprechend wird auf dem Auswahlzettel sie angekreuzt, nicht Jane Fonda, Faye Dunaway oder Julie Andrews! Und Joe Spinell ist sowieso der Hammer, spielt ganz straight und weiß dabei genau, wie schräg das alles ist, spielt wunderbar den Irren, der unter Dampf steht, und findet das augenscheinlich gleichzeitig irre komisch – was er aber zugleich beiseite wischt. In seiner Wohnung (in seiner Wohnung) hängt ein großes, enorm großes Porträtfoto von ihm aus Coppolas „Pate“, wo er eine kleine Rolle hatte. In Cannes wohnt er über einem der Filmmarkt-Screeningkinos, dort läuft sowohl Claude Lelouchs „Les uns et les autres“ / „Ein jeglicher wird seinen Lohn empfangen“ als auch „Cannibal Holocaust“.

Und der Eingang zum Hotel, in dem Filmstar Jana Bates wohnt, ist groß umpflastert mit Werbung für den neuen Bond „For Your Eyes Only“.

 

Dass der zweite Film des Abends „For Y’ur Height Only“ heißt, ist kein Zufall, und es ist auch kein Ranschmeißen an die Bond-Filmserie, sondern eine der lustigsten 007-Parodien. Und was habe ich mich gefreut! Der Film lief schon mal in der Grindhouse-Reihe, im Januar 2008, am vierten Grindhouse-Abend überhaupt, da hatte ich ihn gesehen und immer wieder liebevoll drangedacht! Wie könnte man den Film vergessen. Geht es doch schließlich um einen Neutronenbombenwissenschaftler, der von „The Giant“ entführt wird, und um eine junge Frau, die glaub ich Erika heißt oder vielleicht Lola, und die vom Gangstersyndikat zur Prostitution gezwungen werden soll! Aber auf der anderen Seite, auf der guten Seite, da steht Agent 00, und der rettet sie, und irgendwie ist er auch dem Wissenschaftler auf der Spur, ohne eigentlich tatsächlich von dessen Entführung so richtig zu wissen. Gespielt wird er von Weng Weng auf ganz unnachahmliche Weise, mit Schnelligkeit und Verve, mit Charme und Schlag bei den Frauen, und immer mit dem Finger am Abzug. Weng Weng ist ungefähr 80 Zentimeter groß.

Das ist irre komisch! Weil der Film all die Zutaten für einen Bondfilm und für eine Bondfigur nimmt, und sie auch ernst nimmt, aber einem Kleinwüchsigen auferlegt. Und zwar, ohne sich über diesen lustig zu machen, vielmehr wird über diesen sich über Bond lustig gemacht, über das ganze künstliche Setting, über die Über-Männlichkeit und die Über-Bösewichter und über die Über-Wichtigkeit von Bond 007 als Figur im Film wie auch der Filme überhaupt, die meinen, sie seien der Nabel der Kinowelt!

Mit Roger Moore war die Reihe ja schon – und zwar überfälligerweise – in den Status der Selbstparodie gerutscht, auf geradezu geniale Weise ohne sich selbst zu verraten. Und hier kommt nun der Zwerg und stellt all dem ein Bein! Wo man doch meinen könnte, wenn Moore als 007 so ironisch daherkommt, dann kann man das nicht mehr wirklich persiflieren. Kann man wohl. Warum nicht? Man muss es nur richtig anpacken.

Regisseur Eddie Nicart inszeniert Verfolgungsjagden und Schießereien und Schäferstündchen, als wäre das alles ein echter Action-Agentenblockbuster. Nur eben heruntergedampft, weil auf den Philippinen das Handwerk und die Produktionswerte und natürlich auch das Budget doch eher im unteren Bereich liegen. Dennoch könnte das ganze fast ernst sein, fast als Bondploitation geplant gewesen sein; aber dann taucht Agent 00 um die Ecke, geht den begehrenswerten Damen knapp übers Knie und kriegt sie alle, so wie er auch jeden Bösewicht locker erschießt, und wenn noch so viele auf ihn draufballern. Er hat eine Art technischer Zauberring, er hat einen Killer-Hut (mit Gruß an „Goldfinger“), vor allem hat er eine Röntgenbrille, die er an den Vorzimmerdamen ausprobiert, und die ihm sehr nützlich ist, als drei Killer sich in seiner Wohnung hinter dem wandüberspannenden roten Vorhang verstecken – da hocken sie nackig! Und sind Ziel für Agent 00s Schießeisen.

Der größte Kinoheld der Welt heruntergedimmt aufs Kleinwüchsige, aber ohne die Größe zu nehmen, das ist ein formidabler Coup. Gefördert wurde er von Imelda Marcos herself, der Gattin des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos (dessen Sohn inzwischen wieder wie durch ein Wunder (oder doch durch Wahlfälschung?) dort an die Macht gekommen ist…). Während unter Marcos I. in den 70ern ein Haufen internationaler – vor allem amerikanischer – Produktionen ins Land geholt worden waren, nicht wenige Filme zur wie auch immer gearteten Aufarbeitung des Vietnamtraumas, nicht wenige im Exploitationbereich, nahm nun Imelda eine Menge Geld in die Hand und organisierte das Manila International Film Festival, mit vielen eingeflogenen Filmstars und eben mit „For Y’ur Height Only“ als Lokalmatador, der allem die Show stahl und durch die Decke ging. Ein internationaler Bombenerfolg – dieser Film! Unglaublich. Hauptdarsteller Weng Weng wurde zum Star, er nahm seine körperliche Kleinheit als Größe; und zog sich 1986 aus dem Business zurück.

Dieser Film bleibt. Und wird vielleicht in 14, 15 Jahren erneut in der Grindhouse-Reihe laufen. Mich würd’s freuen.

 

Harald Mühlbeyer

 

Info 30.10.22: Ergänzt um den Abschnitt bezüglich der Attentate; weil mir das erst vorgestern wieder eingefallen ist.

Grindhouse-Nachlese April / Mai 2022: „Switchblade Sisters“ und „Rebellion der lebenden Leichen“, „Die Engel von St. Pauli“, „Coffy“ und „Shock Waves“

Grindhouse Double Feature, Samstag 23. April 2022, Cinema Quadrat Mannheim:

 

„Die Bronx-Katzen“ / „Switchblade Sisters“ / „The Jezebels“, USA 1975, R: Jack Hill

 

„Rebellion der lebenden Leichen“ / „Blutrausch der Zombies“ / „Die Beschwörung des Teufels“ / „La rebelión de las muertas“, Spanien 1973, R: Léon Klimovsky

 

 Grindhouse Triple Feature, Samstag, 21. Mai 2022, Cinema Quadrat Mannheim:

 

„Die Engel von St. Pauli“, D 1969, R: Jürgen Roland

 

„Coffy – Die Raubkatze“ / „Coffy“, USA 1973, R: Jack Hill

 

„Shock Waves – Die aus der Tiefe kamen“ / „Zombies – Die aus der Tiefe kamen“ / „Die Schreckensmacht der Zombies“ / „Nazi Bloodstorm“ / „Shock Waves“, USA 1977, R: Ken Wiederhorn


Aus Zeitmangel kann man seiner Chronistenpflicht nicht immer nachkommen; das bedeutet Nacharbeit: Der April hat ein weiteres der irren Paul Naschy-Werke gebracht, „Rebellion der lebenden Leichen“, das diesmal standesgemäß in London spielt, dort, wo es dolle Grabstätten gibt und vor allem, wo das Erbe des alten, großen Empires zurückschlagen kann. Denn es erstehen durch Voodoo-Zauber die Toten aus ihren Gräbern und begehen auf Befehl eines geheimnisvollen Geheimmagiers böse Mordtaten, in die eine junge Frau hineingezogen wird, die wiederum einen Freund hat, den sie aber für einen indischen Guru für ein paar Tage verlässt, um in dessen Landhaus erschreckliche Entdeckungen zu machen, denn dieser Guru ist zwar der Gute, aber er hat einen Bruder, der böse ist und auch völlig verstellt durch ein Feuer damals, in ferner Vergangenheit, in der indischen Heimat –  es ist dies auch eine Geschichte der Rache einer Ex-Kolonie an der englischen Oberschicht. Die beiden Brüder werden von Paul Naschy dargestellt, der hat auch das Drehbuch geschrieben, es ist daher gewohnt willkürlich und gewohnt verworren. Aber dafür guckt man sich diese Filme ja an! Die Zombies sind übrigens nicht die „modernen“ Zombies von Romero und Epigonen, sondern einfach Tote, die wiederauferstehen und hirntot töten. Der böse Bruder will die Welt beherrschen als Voodoo-Weltbeherrscher, der gute Bruder sitzt hilflos da, und die gute Elvira weiß nicht ein noch aus, es ist wie immer bei Naschy: Atmosphäre wie bei den Hammer-Studios, aber mehr Titten (so einstmals Boris, der verdienstvolle Gründer der Grindhouse-Reihe.

 

Boris hat damals die Reihe ja erfunden, um Gelegenheiten zu bieten, die Filme zu sehen, die Herr Tarantino so verehrt und denen er in seinen eigenen Filmen, in Kunst überführt, Referenz erweist. Daher lief im November 2008 schon einmal „Switchblade Sisters“ (Kämpferin mit Augenklappe! Tarantino ist großer Fan!); und er wurde nun noch einmal aufgeführt, weil er schlicht wichtig ist bei der Beschäftigung mit dem Grindhouse-Filmgenre: Jack Hill präsentiert hier nämlich nicht einfach Frauen als Anhängsel der Männerwelt im Film, oder als Eyecatcher für die Männerwelt im Kinosaal, sondern als eigenständige Wesen mit eigenständigem Willen und eigenständigem Handeln. „Switchblade Sisters“ ist ein Girl-Gang-Film, der mit auffallend wenig Nacktheit – und wenn, dann nicht im erotisierenden Sinn – die Selbstermächtigung einer Frauengruppe in den mean streets der Großstadt zeigt; insbesondere die Emanzipation von der Männergang, der die Bande um Lace zunächst als hübsches Anhängsel, quasi springmesserbewehrte Cheerleadergruppe, angehängt ist.

In Laces Girl-Gang „Dagger Debs“ wird die selbstbewusste Maggie aufgenommen, zum Missfallen von Laces Freundin und rechten Hand Patch. Mit Maggie beginnt der Prozess der Selbstermächtigung, insbesondere, weil die Silver Daggers – mit Macho und Lace-Freund Dom an der Spitze – einen Hahnenkampf-Beef hat mit der Konkurrenzgang um den dandyhaften Crabs. Der tritt auf, als hätte er ein paar Mal zu oft „Clockwork Orange“ geguckt, und er will die High School übernehmen, über die Dom und Co. bisher das Sagen haben. Nebenbei findet Dom Maggie, die Neue, gut, und vergewaltigt sie. Während Lace merkt, dass sie von Dom schwanger ist.

Jack Hill blickt auf die Details der Figurenkonstellation, auf die Kleinigkeiten der Beziehungen, wo Täuschungen und Selbsttäuschungen und Freundschaft und Eifersucht und List und Verrat und Liebe und Treue wild durcheinanderschwingen; und er blickt auf die Action auf den Straßen, die von Dom und von Crabs beansprucht wird, und zwischendrin die Dagger Debs. Es gibt natürlich die Szenen, die sein müssen: die Gang im Jugendknast mit einer lesbisch-sadistischen Wärterin, die überwältigt wird; die Bewährungsprobe zum Einstieg in die Gang; die Konfrontation der Rivalen, ums Revier und um die Girls; der große Kampf, in diesem Fall in der Rollschuhhalle, ein Überfall auf die Gegner, der sich als Falle herausstellt mit einigen Toten – aber diese Standards untergräbt Hill durch das Agieren der Frauengang, in der Maggie, mit ihren modernen Ideen der weiblichen Selbständigkeit auch im kleinkriminellen Bereich, mehr und mehr Oberwasser bekommt. Sie kennt auch die richtigen Leute, nämlich eine Black Women-Gang, politisiert, aber bereit, Crabs auszuschalten: der nämlich unter dem Vorwand der Wohltätigkeit Essen verteilt, tatsächlich aber vor allem Drogen vertickt im Viertel. Straßenkampf! – und das mitsamt einem Panzer, provisorisch um ein Auto geschweißte Stahlplatten inkl. Schießscharten; dagegen kommt keine Jungsgang an. Aus der Mädchengang „Dagger Debs“, die bei den großen Jungs mitläuft, werden die „Jezebels“, eigenständig, cool, benannt nach der Bibel: die Frau, die eigene Entscheidungen trifft. Und die fürs Patriarchat als böse gilt.

Max, das Mastermind der Grindhouse-Reihe, freute sich sehr: Endlich konnte er einen Film präsentieren, in dem Frauen im Mittelpunkt stehen, die nicht von einer sexistischen Kamera den lüsternen Blicken eines männlichen Publikums vorgeworfen werden. Und der nicht einfach nur ein weiterer in der Reihe der Grindhouse-Filme ist, nicht einfach ein Vergnügen auf der Leinwand, sondern tatsächlich etwas in der wirklichen Welt bewirkte, nämlich das Streetart-Projekt „Girl Gangs against Harrassment“ – woraufhin sich ein Herr aus dem Publikum meldete. Und Max’ Ausführungen ergänzte. Denn dieses Projekt: Cutouts an dunklen Plätzen mit Abbildungen wehrhafter Frauen – es ist nicht nur in Mannheim konzipiert worden, es ist nicht nur inspiriert von dem Film, sondern es ist direkt aufgrund der erstmaligen Grindhouse-Vorführung von 2008 entstanden, bei der die Initiatoren die „Switchblade Sisters“ entdeckt haben! Und das ist natürlich ein Grund zur großen Freude, dass die Grindhouse-Reihe die Welt zu einem besseren Ort macht.

 

Im Mai brachte dann das Grindhouse Triple Feature einen weiteren Film von Jack Hill, einen früheren:  „Coffy“ brachte Pam Greer 1973 ganz groß raus – erneut ein Film mit selbstbewusster Frau im Mittelpunkt, der über das übliche Revenge-Schema hinausgeht. Greer spielt Ms. Coffin (!), genannt Coffy, „Coffee is the color of your skin“, singt es aus dem Titellied, spätere Lyrics eines weiteren Songs: „Coffy baby – sweet as a chocolate bar“: Das sind die Überbleibsel der sexistisch-patriarchalischen Filmemacherei, der sich der Film natürlich nicht gänzlich verschließen kann – aber er setzt mit Coffy eben eine Frau in Szene, die weit mehr ist als Männerfantasie und Männerblickfang. Coffy ist Krankenschwester, typischer Frauenberuf – aber vor allem lernen wir sie kennen, als sie sich durch einen Dealer einem Drogenboss anbieten lässt: Sie macht alles, was du willst, sie wartet im Auto… Coffy, zwei Männer, eine Wohnung – der eine am nächsten Schuss interessiert, der andere will zum Schuss kommen, aber schießen tut Coffy, sie hat eine große Wumme dabei. Danach ist sie fix und fertig. Sie hat Nachtschicht. Sie zittert, sie weint, bei der OP kann der Arzt sie in dem Zustand nicht brauchen.

Emotionen nach dem Mord werden selten thematisiert im Film, und noch seltener so sehr als existentielle Krise: Weil Coffy sich selbst nicht wieder erkennt, alles war wie ein Traum, der aber nun ja vorbei ist – denkt sie. Ist er aber nicht.

Sie hat die beiden Drogenheinis erschossen, weil diese für die Heroinsucht von Coffys elfjähriger Schwester verantwortlich waren. Die ist seit langem im Rehab, auf dem langsamen Weg zur Besserung – aber die beiden Händler sind ja nicht die, die die Drogen ins Land gebracht, im Land verteilt haben. Coffy hat einen Freund, der ist Polizist, mit ihm war sie mal zusammen, der erklärt, dass so etwas wie Selbstjustiz nicht funktioniert bei Drogen, weil nicht das ganze System zerstört werden kann – es bahnt sich beinahe so etwas wie eine Romanze zwischen den beiden an; zumindest ist vollkommen klar, dass Officer Carter für sie der richtige Mann wäre – und auf keinen Fall der aufsteigende Politiker Brunswick, in den Coffy so sehr verliebt ist. Den erleben wir, vor dem Rendezvous mit Coffy, bei der Korruptionsbesprechung mit dem Polizeipräsidenten, danach aber als liebevoller Liebhaber… Brunswick wird der nächste Kongressabgeordnete werden, steckt mitten im Wahlkampf und verspricht, den Drogenhandel, den das politische System zur Unterdrückung der schwarzen Community billigt oder gar fördert, auszumerzen. Ja, klar.

Carter ist der einzige saubere Cop. Er macht Coffy schöne Augen. Er wird so brutal zusammengeschlagen, dass sein Hirn nur noch Gemüsebrei ist. Auf einen Schlag hat Jack Hill die Konventionen des Genres, die Konventionen von Hollywood zertrümmert: Dass eine Frau noch so stark sein kann, noch so sehr für die Gerechtigkeit kämpfen kann und noch so sehr sich alleine durchschlagen kann, ihr zur Seite steht irgendwo ein Prince Charming, mit dem sie ihr Glück finden wird. Hier nicht. Hier ist Coffy wirklich allein, und sie wird immer einsamer. Immer verzweifelter. Und immer hartnäckiger, weil sie nicht nachlässt, weil sie ihre Tränen herunterschluckt. Weil sie sich geschickt einschleicht, tief hinein in den Sumpf aus Drogen und Prostitution, aus Macht und Gewalt.

Sie bietet sich dem schwarzen Drogenboss der Stadt an, als Hure; der sie an den italienischen Oberboss des Staates weiterleitet, der heftig sadistische Adern hat: Auf die Knie, schwarzes Miststück, da, wo du hingehörst… – leider missglückt der Mordanschlag. Und für die Machomänner im Gangstertum ist klar, dass eine Frau allein sowas nicht zustande bringen könnte – also, die Männer zu verarschen und nach ihrem Leben zu trachten. Wer steckt dahinter? Sicher ihr Lover Brunswick, der politische Zweig der Drogenwelt, der ihnen hinterrücks…

Coffy wird unterschätzt, weil sie eine Frau ist, und sie unterschätzt sich lange selbst, bis sie anfängt, zu erkennen, was sie kann: Nicht nur ihre Schwester rächen, sondern darüber hinaus als echte Vigilantin für das Gute zu kämpfen, das alle anderen längst aufgegeben haben, wenn sie nicht sowieso im Bösen ganz tief drinstecken. Sie tötet. Sie kann es nun. Sie ist allein, und sie wird immer verzweifelter, und sie wird immer zielbewusster; dass Brunswick sie nur als Fickstück benutzt hat, ist nur noch der letzte Push für sie.

Jack Hill und Pam Greer: Weibliche Ermächtigung gegen alle Widerstände; wobei der Film zwar von dem weiblichen Kampf erzählt, Hill aber dennoch – mehr als im späteren „Switchblade Sisters“ – die Kamerablicke über Greers volle nackte Brüste gleiten lässt, weil ja immerhin das Genre, die Kinos ganz in männlicher Zuschauerhand sind. Zwangsläufig, der Film muss ja auch laufen, muss Greer sich einlassen auf die männlich geprägte Ästhetik, zumindest szenenweise; aber die Waffe, das Leben der Männer, ihr eigenes Leben, das alles hat Coffy fest in der Hand, in der eigenen.

 

Fest die Zügel in der Hand haben „Die Engel von St. Pauli“ – das ist sind die Verbrecherbosse, das Kartell der Gangster in Hamburgs Sündenviertel in Jürgen Rolands sehr genauem Kriminalstück direkt aus der deutschen Unterwelt. Horst Frank als Jule Nickels ist der Obergangster, oder, wie er im Voice Over zu Anfang sagt, der „Klassensprecher“. Ein Leichenzug bewegt sich durch St. Pauli, eine der Großen im Gewerbe wird zu Grabe getragen, am Sarg ein Kranz: „Letzter Scheidegruß von deinen Kolleginnen“; Horst Frank erläutert: Das sind die Damen, die ihre Liegenschaften im Liegen erwirtschaften – ein bisschen Kalauer, ein bisschen Herrenwitz muss sein in dem Film, und das Besondere ist, dass Jürgen Roland diese Schmierigkeit nicht übernimmt, während er sie zeigt. Roland geht hinein in die Strip- und Bumslokale, in die Hinterzimmer, zu den Nutten und ihren Freiern, er erzählt aus den Tiefen der Vergnügungsmeile, anhand eines Krieges zwischen den alteingesessenen Hamburgern und den neuen Wienern – Herbert Fux ist Horst Franks Konkurrent um die Häuser, um die Frauen, um die Bars, Drohungen werden zum Überfall auf eines der Freudenhäuser, aus dem Frauen wie Freier rausgeschmissen werden; dann brennt einer der Stripclubs, dann wird geprügelt. Irgendwann gibt es einen Toten: „Schwuli“ wird vor die Gleise der U-Bahn geworfen, das kocht den Gangsterkrieg nochmal so richtig hoch, die Polizei mischt auch mit, nun wirklich: Eigentlich gibt es ein gewisses Stillhalteabkommen zwischen Kommissar und Nickels, die Gangster stören die öffentliche Ordnung nicht, die Polizei guckt nicht so genau hinter die Kulissen.

Doch während die Chose am Hochkochen ist, schleicht einer rum übern Strich, will eine der Vergnügungsdamen haben, die lehnen ab, er landet bei der taubstummen Lisa. Kriegt bei ihr aber keinen hoch, zuviel Hasch. Wird wütend. Will sein Geld zurück. Er und sie kämpfen. Irgendwann liegt sie tot da – nein, sie atmet noch – er raus, aus dem Fenster übern Hinterhof – sie stirbt in den Armen von Nickels. Außen, an der Feuertreppe, steht gerade Hollek, der Wiener Obergangster, er will Nickels ausspionieren – seine und des Mörders Blicke treffen sich – der Mörder ist ab. Und Hollek und Nickels müssen zwangsläufig gemeinsame Sache machen, denn ein Mord außerhalb des Gangstertums, das ist noch schlimmer als würde irgendwer auf Gleise gestoßen.

Roland macht einen auf Fritz Lang, wie in „M“ gehen die Gangsterbanden auf die Suche nach dem Mörder, der ihre Kreise stört – dass die Gangster sich gegenseitig belauern, sich gegenseitig zu Fall bringen wollen; dass ein Polizeispitzel schlau sein will und der Staatsgewalt wie auch den Gangster wie auch dem Nuttenmörder zuarbeitet, immer mit schön Geldkassieren, macht die Sache nicht einfacher, aber spannender – und spannend ist der Film auf jeden Fall, hochinteressant auch, weil er das Hamburg Ende der 60er ganz deutlich zeigt, weil er hineingeht in die Eingeweide, da, wo Fleischeslust zu Einkommen umfunktioniert wird, für Frauen kaum, für die Gangsterbosse umso mehr. Roland geht hinein, er zeigt, wie St. Pauli funktioniert, er zeigt die nackten Frauen, wie sie sich räkeln für die Vergnügungssüchtigen, er zeigt einen Striptease vor Nickels, als Casting für die Eignung der Dame – und das Besondere ist, dass diese Blicke auf die Nacktheiten, die Blicke auf die Lüsternheit nicht die der Kamera selbst sind, sondern dass der Film schlicht registriert, nach welchen Waren und Währungen hier alles funktioniert.

 

Nazizombies: Da denkt man an tiefsten Trash. „Shock Waves“ bietet Nazizombies, ist aber nicht wirklich Trash – da wird der geneigte Besucher an der Nase herumgeführt von diversen Neo-Meta-Grindhousefilmen, die seit etlichen Jahren im Schwange sind, die den Geist der 70er umformen in filmischen Spaß über die 70er – Herrgott, „Iron Sky“ lief ja sogar auf der Berlinale!

1977 aber kam ein echter Grindhousefilm raus, in dem es um eine untote SS-Brigade geht: Die wurden damals gezüchtet, um unempfindlich gegen Schmerz und Mitleid den Tod zu bringen – leider aber überzüchtet, mit so heftigem Tötungstrieb, dass sogar die Nazis sie lieber wieder loswerden wollten und in einem alten Frachter im Meer versenkten. Nur sind sie eben keine Menschen mehr – die Organtransplantation war in Nazideutschland viel weiter als heute! –, deshalb gibt es den ganzen Trouble.

Diese Backstory erfährt man allmählich im Filmverlauf; zunächst geraten wir ins Hochseeabenteuer von ein paar Urlaubern auf Karibik-Kreuzfahrt. Wobei „Kreuzfahrt“: Sie schippern übern Ozean in einem alten Kahn, der Kapitän kennt sich aus, ist aber knorrig (John Carradine spielt ihn), der Smutje hängt am Suff, der Maat ist eher von der nachlässigen Sorte. Und die Urlauber sind bunt gemischt, vor allem der eine nörgelt an allem rum, voll der Spießboomer. Nachmittags aufgewühltes Meer, trübe Sonne, alles in düsteres Ocker-Licht gehüllt: ein Seebeben? Der Kapitän beruhigt, auch sich selbst, in der Nacht aber wird der alte Klapperkutter, der kaum je als Jacht zu bezeichnen wäre, gerammt von einem fetten Dampfer – und schiffbrüchig müssen sich die Kreuzfahrtler auf eine Insel retten.

Vor der Insel ein altes Wrack – es ist über Nacht aufgetaucht. Auf der Insel ein riesiges schlossartiges Anwesen, ein altes Hotel? Darin ein einzelner Mensch, Peter Cushing: Er spielt den vormaligen SS-Kommandeur, der nun erkennen muss, dass sein Werk aus der Nazizeit aus der Tiefe wieder hervorbricht: Unter Wasser schwere schwarze Stiefel, die durch das Wrack marschieren, dann tauchen sie auf, großgewachsen, blond, in den typischen enganliegenden, schmucken Uniformen, die den Nazis diesen ganz speziellen Stil-Appeal geben. Sieht sehr gut aus, wie ein Rammstein-Video, ist aber tödlich – sie verbergen sich unter Wasser, atmen müssen sie ja nicht, sie schleichen sich schnell von hinten an, zack ist man tot.

Die unbedarften Urlauber wie die unbedarfte Crew werden mehr und mehr dezimiert, Peter Cushing irrt halb verzweifelt, halb dement durch die Sümpfe – er wirkt ein bisschen wie Ur-Dracula Bela Lugosi in Ed Woods „Plan 9“, tatterig und halb im Grab; na ja, alsbald voll tot, gekillt von seinen eigenen Geschöpfen.

Es hört sich sehr mies an, ist es aber eigentlich gar nicht; gut, Logik ist nicht die Sache des Films – Küche und Kühlkammer sind leer, wovon lebt eigentlich Cushings SS-Kommandeur über die Jahre? Und wie ist das noch mit den enganliegenden Fliegerbrillen, die die SS-Untoten tragen – warum fallen sie um und verwesen, wenn man ihnen die Brille runterzieht? Aber das ist ja wurscht, schon viel Größere sind an Wahrscheinlichkeiten in ihren Filmen gescheitert – was Regisseur Ken Wiederhorn schafft, ist eine sehr sehr schöne Atmosphäre, zuerst in der Enge des Schiffs, dann in der Weite der Insel, im weitläufigen Schloss, in den urwaldartigen Sümpfen… Und er weiß zu inszenieren, seine Darsteller zu führen, die Produktionswerte herauszustellen, hat Sinn fürs Visuelle und für Dramatik. Eine der besten Szenen: Verzweifelt am Abend verbarrikadieren sich die Überlebenden in der Kühlkammer, die Türe ist dick und fest, und während die SSler das Anwesen überfallen und übernehmen, bekommt in der Kammer einer die Panik: Platzangst, da kannst du nichts dagegen machen – aber sein Anfall gefährdet alle, er will raus, darf aber nicht, schließlich flieht er, schießt auch noch eine Leuchtrakete ab im Handgemenge, und nicht nur müssen jetzt alle räumen, auch ist eine von ihnen blind… Sehr gut herausgespielt, und allein dafür schon mal Hut ab.

Erzählt wird alles aus Sicht von Rose, gespielt von Brooke Adams, als eine lange Rückblende über die schockierend-traumatischen Ereignisse; Adams wird ein Jahr später in Terrence Malicks „Days of Heaven“ neben Richard Gere und in Philip Kaufmans „Die Körperfresser kommen“ neben Donald Sutherland die weiblichen Hauptrollen übernehmen. Hier spielt sie fragil und zart diejenige, alles bezeugen kann; mehr oder weniger.

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese März 2022: „Search and Destroy“ und „Lion Man“

Grindhouse Double Feature, 26. März 2022, Cinema Quadrat Mannheim:

 
„Der Mann, der aus dem Dschungel kam“ / „Search and Destroy“, USA 1979, Regie: William Fruet
 

„Lion Man“ / „Die Todeskralle aus Istanbul“ / „Kiliç Aslan“, Türkei 1975, Regie: Natuk Baytan

 

Wenn die Säbel rasseln, dann erklingt im Soundtrack Musik. Eingespielt wird dieses Musikstück häufig, nämlich immer, wenn im Film gekämpft wird, und das ist, nun ja, häufig der Fall. Eigentlich dauernd. Und es ist eine schöne Sache, dass die monatlichen Grindhouse-Kinogänger geradezu eine Gemeinschaft bilden, denn einer weiß dann am Ende, was hier gespielt wird: Es soll Aram Chatschaturjan sein, und zwar ein Ausschnitt aus seinem Ballett „Spartacus“, das zu den Bildern des Films „Lion Man“ nun wirklich ganz und gar überhaupt nicht passt. Dies ist auf mehrfache Weise bemerkenswert. Erstens ist Chatschaturjan Armene, und es handelt sich um einen türkischen Film. Was fast schon ein Frevel am türkischen Patriotismus wäre. Dann wird nicht naheliegenderweise Chatschaturjans Hit-Single „Säbeltanz“ genommen. Drittens stimmt es gar nicht, auch wenn das Adagio aus dem „Spartacus“-Ballett auf IMDB genannt wird. Zumindest stimmt’s nicht für die „Kampfmusik“, die ich hier meine, denn ein Adagio ist viel zu langsam. Was wir hier hören sind schmissige Streicher mit einschmeichelnder Melodei, geradezu Jahrmarktsmusik für eine Tanzaufführung aufbereitet. Ich bin inzwischen fast schon Chatschaturjan-Experte, so oft wie ich auf Youtube durch diverse „Spartacus“-Musiken geklickt habe, um dann nichts zu finden. Könnte Chatschaturjan sein, oder auch nicht – und in Wirklichkeit ist es egal, denn im Originalfilm, den wir auf Youtube finden (und der anders beginnt als die deutsche Fassung, nämlich nicht auf dem Schlachtfeld), da ist es sowieso wieder eine andere Musik, die da läuft – ist dies vielleicht das „Spartacus“-Ballett?

Es ist also hochkompliziert, weil die Musik so bemerkenswert ist, andererseits für mich als Nicht-Musikhistoriker nicht identifizierbar, drittens derselbe Film mit verschiedenen Schnittfassungen und unterschiedlichen Soundtracks aufwartet. Was machen wir nun daraus? Wir nehmen es als Symptom. Der deutsche Verleih macht mit dem Ton, was er will, so wie der ganze Film macht, was er will – im Übrigen nennt der Abspann lauter amerikanische Pseudonyme, damit wir gar nicht erst auf den Gedanken kommen könnten, es mit einem türkischen Film zu tun zu haben.

Es geht um Tyrannei und den Kampf dagegen, um Sadismen gegen Frauen und um ein Kind, das von Löwen aufgezogen wurde. Und das groß wird, und das als Erlöser gefeiert wird, ohne dass jemand wüsste, ob es diesen Löwenmann tatsächlich geben könnte oder ob er je auftauchen würde, und es geht ums Kämpfen und nicht zuletzt um geheimnisvolle Brüder, die völlig überraschenderweise erkennen, dass sie Brüder sind. Was vor allem deshalb überraschend ist, weil beide ein bestimmtes Muttermal an der Schulter haben, das einen Löwen und ein Schwert darstellt, was nichts anderes bedeutet, als dass der eine sich ca. drei Jahrzehnte seines Lebens nicht gewaschen hat, sonst hätte er das Muttermal ja irgendwann mal im Spiegel gesehen, oder im türkischen Bad hätte einer ihn drauf hingewiesen, oder Mama oder Papa hättens bei der Babypflege bemerkt. Egal.

Löwenmann ist Supermann und kämpft total, und der Bruder auch, und es gibt Verrat und tolle Kostüme, weil einige Darsteller mutmaßlich direkt vom Casting für die Spaßliederkapelle „Dschingis Khan“ ans Set gekommen sind. Gefilmt ist alles im „Wir filmen das!“-Modus, und das bedeutet auch, dass besonders gelungene Aufnahmen mehrmals hintereinander geschnitten werden, so dass es so aussieht, als würde Löwenmann ganz viele Leute bekämpfen, aber eigentlich ist es immer dasselbe. Er macht auch immer wieder die gleichen Moves, nämlich mit weit gespreizten Beinen und ausgebreiteten Händen auf den Feind losspringen und ihn so zu Fall bringen. „Zu Fall bringen“ ist gleichbedeutend mit „töten“. Er kann auch einen Baum ausreißen und auf die Feinde schmeißen, die fallen dann um und sind tot.

Am Anfang verführt eine Prinzessin den König Solomon; die „Prinzessin“ ist ca. 40 Jahre alt, hat aber eine blondbezopfte Perücke auf und soll daher als Teenager gelten. Der König hinterlässt all seinen Söhnen besagtes Muttermal an der Schulter. Der Zwangsverlobte der Prinzessin heißt Antoine (!?!) und ist Solomons Todfeind. Deshalb killt er diesen auch. Dessen schwangere Frau flieht mit dem treuen Diener. Sie entbindet unter einem Viadukt und stirbt. Antoine und seine Mannen stürmen heran. Der Diener legt das Neugeborene ins Gebüsch und findet’s dann nicht wieder. Hier nun die tolle Stelle, als ein echtes Kind mit einem echten Löwenbaby spielt. Von da an sind die Wege des Films klar: Löwenkind wird Super-Löwenmann. Antoines Sohn – also: der Sohn von Solomon, aber das weiß keiner, weil keiner je dessen Schulter erblickt hat – wird zum Tyrannennachwuchs. Die Tochter des treuen Dieners wird Rebellin. Deren Freundin zur Verräterin. Die Ehefrau von Antoine sitzt jahrzehntelang im Gefängnis und spielt später eine alte Frau, die das Geheimnis um die Brüder lüftet. Es gibt auch viele Geheimgänge, wie in einem „Fünf Freunde“-Buch, nur dass bei Enid Blyton keine Säure über die Hände eines Mannes gegossen wird, der unter einem vergitterten Eingang zum Geheimschacht hängt. So kann der Löwenmann seine Hände nicht mehr gebrauchen. Also lässt er sich vom Dorfschmied stählerne künstliche Löwenklauen herstellen, und mit denen ist er im großen Endkampf noch unbesiegbarer. Dazu tönt Musik. Und wenn sie nicht von Chatschaturjan stammt, dann ist das mit dem türkischen Patriotismus auch kein Problem.

 

Wenn man allmonatlich Grindhouse-Filme anschaut, dann wächst eine kleine Grindhouse-Anschau-Gemeinschaft heran. Und wenn auch der eine möglicherweise mit dem „Spartacus“-Ballett einen falschen Tipp abgegeben hat, dann hat der andere sicherlich recht, wenn er meint: „‚FM’ – das ist doch so eine kanadische Rockband, oder?“ FM nämlich hat die Musik zu „Search and Destroy“ gemacht, und die ist wirklich gut und passend! Wobei es mehrere „FM“-Bands gibt – die hier gemeinte kann sehr gut Synthesizerklänge mit scharfen Gitarrentönen und prägnantem Schlagzeug verbinden. Man hat ja schon allerlei gehört, gerade wenn es um Synthies geht, die kleben ja oft genug den ganzen Film zu, Rick Wakeman macht das ja gerne. Hier aber haben wir tönezerfetzende Musik für einen nervenzerfetzenden Film – zumindest will er das sein und hat das Potential dazu: „Search and Destroy“ ist ein Krimithriller mit Vietnam-Heimkehrer-Background. Das war ja in den 70ern nicht ohne Grund immer wieder zu sehen, Stichwort „Taxi Driver“, Stichwort Paul Schrader, Stichwort „Rolling Thunder“ aka „Der Mann mit der Stahlkralle“. Angereichert übrigens nach der damaligen Kinomode um ein paar Martial Art-Kampfsequenzen, bei denen sich die Darsteller eifrig bemühen.

Es geht hier um eine Pioniereinheit von fünf Mann, die 1968 in ein Massaker gerieten, ein Hinterhalt der Vietkong, und zehn Jahre später tötet einer die Männer dieser Einheit nach und nach. Kip Moore ist der Held des Films, seine Freundin wird von Tisa Farrow gespielt, Schwester von Mia und Lucio Fulci-Veteranin. Sie hatte damals Kunst studiert, während er in Vietnam war, sie war für den Frieden marschiert. Er, nonchalant: „Ob für Frieden oder im Krieg, marschiert wird immer“.

Denn er und seine Kumpels fanden’s trotz allem ziemlich geil damals, im Dschungel, er erläutert das mal seiner Freundin: Damals waren sie jung, und sie konnten machen, was sie wollen, Leute killen, jede Frau haben, es war wie ein Rausch. Inzwischen kommt der Kater, denn einer dreht durch mit seiner Killer-Serie – es ist der Vietnamese der damaligen Spähereinheit, der Verbindungsmann, dessen Aufgabe es war, Vietkong aufzuspüren und von innen zu vernichten.

Ein paar Kriegsszenen gibt es, mitten im Film wird das Geheimnis enthüllt: Wir sehen den Killer, wie er im Jahr 1978 schießt, und bekommen eine Rückblende, wie er damals, 1968, einen GI in der Schlacht zurückgelassen hat, woraufhin ihn voll Wut die vier 1A-Amerikaner ebenfalls zurückgelassen haben – „missed in action“. Nun will er Rache.

Spätestens hier wissen wir, dass wir es mit einem ur-US-patriotischen Film zu tun haben. Mit Veteranen, die den Krieg damals als wichtige Station ihrer Mannwerdung betrachten, mit einem Krieg gegen Vietnamesen, der nachträglich gerechtfertigt wird, indem sich die Vietnamesen als fies und böse und mordlustig darstellen, egal ob Nord oder Süd. Das ist das große Problem des Films: Wie sehr er in Klischees badet, mit den Asiaten, die einfach nur böse sind und nebenbei auch überhaupt nicht schießen können (dabei war der Killer ja ein Ass im Krieg und hätte danach noch 10 Jahre üben können, aber jetzt hat er ein Sniper-Gewehr und trifft nicht auf 20 Meter!) Und mit den good clean Americans, die sich tapfer wehren, vor allem Kip, der locker mit der MP aus der Hand feuert, wie es sich gehört. Das Lustige daran ist, dass der Film in den USA spielen soll und dass auch mal das FBI im Gespräch ist, dass er aber offensichtlich in Kanada gedreht wurde, nämlich auf der Nordseite der Niagara-Fälle. Das ist ein spektakuläres Setting, stände nicht die reale Geografie der Behauptung entgegen, und wäre nicht eines der Wasserfall-Ausflugsboote, das die Protagonisten benutzen, kanadisch beflaggt.

Aber wurscht. Pluspunkt ist sicherlich: So sehr sich der Film in US-Filmklischees ergibt, so tief versenkt er sich auch in die US-Postwar-Psyche. Denn was er eigentlich zeigt ist die Rückkehr des Verdrängten, der deutsche Titel deutet es an: Der Mann, der aus dem Dschungel kam, das ist das Vietnam-Trauma, das jeder Amerikaner, vor allem die damaligen Kämpfer, jahrelang mit sich herumtragen. Und das irgendwann zuschlägt im Alltag. Und dem man sich dann mannhaft zu stellen hat.

Weitere Pluspunkte: Sehr spannende Szenen. Der Killer verfolgt mal eines seiner Opfer durch die Turbinenhalle des Niagara-Wasserkraftwerks, und zwischen den riesigen Maschinen kann man sich gut verstecken, und man kann gut suchen, und die Kamera kann gut umherschleichen, und die Musik kann gut Spannungsatmosphäre liefern. Oder: Der Killer auf dem Dach, unten – vor einem Frankenstein-Gruselkabinett-Tussaud-Wachsfiguren-Touristennepp – eine Menge von hunderten von Leuten, offensichtlich hat man den ganzen Ort Niagara Falls zusammengetrommelt. Und der Killer oben zielt und schießt, und Kip unten sieht ihn, und verfolgt ihn, und die Menge wogt hin und her… Dann verlieren sich die beiden im Stadtpark, und die Moose und Farne könnten auch der Dschungel sein, wo sich nun der Showdown abzeichnet.

Dritter Pluspunkt: George Kennedy als Sheriff, der die Ordnung hüten will und dabei genau weiß, dass er den Zweikampf zwischen Kip und Asiate nicht aufhalten kann, der müde ist von der alltäglichen Verbrechensroutine und der all die Mühen trotzdem auf sich nimmt. Der viel später den Polizeichef in der „Nackten Kanone“ spielen wird, dessen Untergebener in diesem Fall ebenfalls Frank heißt (wenn auch nicht Drebin) und der viele Jahre im Voraus schon ganz nonchalant den Begriff „Spezialeinheit“ ausspricht, als wär’s nichts.

  

Harald Mühlbeyer