Grindhouse-Nachlese März 2022: „Search and Destroy“ und „Lion Man“
Grindhouse Double Feature, 26. März 2022, Cinema Quadrat Mannheim:
„Der Mann, der aus dem
Dschungel kam“ / „Search and Destroy“, USA 1979, Regie: William Fruet
„Lion Man“ / „Die Todeskralle aus Istanbul“ / „Kiliç Aslan“, Türkei 1975, Regie: Natuk Baytan
Wenn die Säbel rasseln, dann erklingt im Soundtrack Musik. Eingespielt
wird dieses Musikstück häufig, nämlich immer, wenn im Film gekämpft wird, und
das ist, nun ja, häufig der Fall. Eigentlich dauernd. Und es ist eine schöne
Sache, dass die monatlichen Grindhouse-Kinogänger geradezu eine Gemeinschaft
bilden, denn einer weiß dann am Ende, was hier gespielt wird: Es soll Aram
Chatschaturjan sein, und zwar ein Ausschnitt aus seinem Ballett „Spartacus“,
das zu den Bildern des Films „Lion Man“
nun wirklich ganz und gar überhaupt nicht passt. Dies ist auf mehrfache Weise
bemerkenswert. Erstens ist Chatschaturjan Armene, und es handelt sich um einen
türkischen Film. Was fast schon ein Frevel am türkischen Patriotismus wäre.
Dann wird nicht naheliegenderweise Chatschaturjans Hit-Single „Säbeltanz“
genommen. Drittens stimmt es gar nicht, auch wenn das Adagio aus dem
„Spartacus“-Ballett auf IMDB genannt wird. Zumindest stimmt’s nicht für die
„Kampfmusik“, die ich hier meine, denn ein Adagio ist viel zu langsam. Was wir
hier hören sind schmissige Streicher mit einschmeichelnder Melodei, geradezu
Jahrmarktsmusik für eine Tanzaufführung aufbereitet. Ich bin inzwischen fast
schon Chatschaturjan-Experte, so oft wie ich auf Youtube durch diverse
„Spartacus“-Musiken geklickt habe, um dann nichts zu finden. Könnte
Chatschaturjan sein, oder auch nicht – und in Wirklichkeit ist es egal, denn im
Originalfilm, den wir auf Youtube finden (und der anders beginnt als die
deutsche Fassung, nämlich nicht auf dem Schlachtfeld), da ist es sowieso wieder
eine andere Musik, die da läuft – ist dies vielleicht das „Spartacus“-Ballett?
Es ist also hochkompliziert, weil die Musik so bemerkenswert
ist, andererseits für mich als Nicht-Musikhistoriker nicht identifizierbar,
drittens derselbe Film mit verschiedenen Schnittfassungen und unterschiedlichen
Soundtracks aufwartet. Was machen wir nun daraus? Wir nehmen es als Symptom.
Der deutsche Verleih macht mit dem Ton, was er will, so wie der ganze Film
macht, was er will – im Übrigen nennt der Abspann lauter amerikanische
Pseudonyme, damit wir gar nicht erst auf den Gedanken kommen könnten, es mit
einem türkischen Film zu tun zu haben.
Es geht um Tyrannei und den Kampf dagegen, um Sadismen gegen
Frauen und um ein Kind, das von Löwen aufgezogen wurde. Und das groß wird, und
das als Erlöser gefeiert wird, ohne dass jemand wüsste, ob es diesen Löwenmann
tatsächlich geben könnte oder ob er je auftauchen würde, und es geht ums Kämpfen
und nicht zuletzt um geheimnisvolle Brüder, die völlig überraschenderweise
erkennen, dass sie Brüder sind. Was vor allem deshalb überraschend ist, weil
beide ein bestimmtes Muttermal an der Schulter haben, das einen Löwen und ein
Schwert darstellt, was nichts anderes bedeutet, als dass der eine sich ca. drei
Jahrzehnte seines Lebens nicht gewaschen hat, sonst hätte er das Muttermal ja
irgendwann mal im Spiegel gesehen, oder im türkischen Bad hätte einer ihn drauf
hingewiesen, oder Mama oder Papa hättens bei der Babypflege bemerkt. Egal.
Löwenmann ist Supermann und kämpft total, und der Bruder
auch, und es gibt Verrat und tolle Kostüme, weil einige Darsteller mutmaßlich
direkt vom Casting für die Spaßliederkapelle „Dschingis Khan“ ans Set gekommen
sind. Gefilmt ist alles im „Wir filmen das!“-Modus, und das bedeutet auch, dass
besonders gelungene Aufnahmen mehrmals hintereinander geschnitten werden, so
dass es so aussieht, als würde Löwenmann ganz viele Leute bekämpfen, aber
eigentlich ist es immer dasselbe. Er macht auch immer wieder die gleichen
Moves, nämlich mit weit gespreizten Beinen und ausgebreiteten Händen auf den
Feind losspringen und ihn so zu Fall bringen. „Zu Fall bringen“ ist
gleichbedeutend mit „töten“. Er kann auch einen Baum ausreißen und auf die
Feinde schmeißen, die fallen dann um und sind tot.
Am Anfang verführt eine Prinzessin den König Solomon; die
„Prinzessin“ ist ca. 40 Jahre alt, hat aber eine blondbezopfte Perücke auf und
soll daher als Teenager gelten. Der König hinterlässt all seinen Söhnen
besagtes Muttermal an der Schulter. Der Zwangsverlobte der Prinzessin heißt
Antoine (!?!) und ist Solomons Todfeind. Deshalb killt er diesen auch. Dessen
schwangere Frau flieht mit dem treuen Diener. Sie entbindet unter einem Viadukt
und stirbt. Antoine und seine Mannen stürmen heran. Der Diener legt das
Neugeborene ins Gebüsch und findet’s dann nicht wieder. Hier nun die tolle
Stelle, als ein echtes Kind mit einem echten Löwenbaby spielt. Von da an sind
die Wege des Films klar: Löwenkind wird Super-Löwenmann. Antoines Sohn – also:
der Sohn von Solomon, aber das weiß keiner, weil keiner je dessen Schulter
erblickt hat – wird zum Tyrannennachwuchs. Die Tochter des treuen Dieners wird
Rebellin. Deren Freundin zur Verräterin. Die Ehefrau von Antoine sitzt jahrzehntelang
im Gefängnis und spielt später eine alte Frau, die das Geheimnis um die Brüder
lüftet. Es gibt auch viele Geheimgänge, wie in einem „Fünf Freunde“-Buch, nur
dass bei Enid Blyton keine Säure über die Hände eines Mannes gegossen wird, der
unter einem vergitterten Eingang zum Geheimschacht hängt. So kann der Löwenmann
seine Hände nicht mehr gebrauchen. Also lässt er sich vom Dorfschmied stählerne
künstliche Löwenklauen herstellen, und mit denen ist er im großen Endkampf noch
unbesiegbarer. Dazu tönt Musik. Und wenn sie nicht von Chatschaturjan stammt,
dann ist das mit dem türkischen Patriotismus auch kein Problem.
Wenn man allmonatlich Grindhouse-Filme anschaut, dann wächst
eine kleine Grindhouse-Anschau-Gemeinschaft heran. Und wenn auch der eine
möglicherweise mit dem „Spartacus“-Ballett einen falschen Tipp abgegeben hat,
dann hat der andere sicherlich recht, wenn er meint: „‚FM’ – das ist doch so
eine kanadische Rockband, oder?“ FM nämlich hat die Musik zu „Search and
Destroy“ gemacht, und die ist wirklich gut und passend! Wobei es mehrere
„FM“-Bands gibt – die hier gemeinte kann sehr gut Synthesizerklänge mit
scharfen Gitarrentönen und prägnantem Schlagzeug verbinden. Man hat ja schon
allerlei gehört, gerade wenn es um Synthies geht, die kleben ja oft genug den
ganzen Film zu, Rick Wakeman macht das ja gerne. Hier aber haben wir
tönezerfetzende Musik für einen nervenzerfetzenden Film – zumindest will er das
sein und hat das Potential dazu: „Search
and Destroy“ ist ein Krimithriller mit Vietnam-Heimkehrer-Background. Das
war ja in den 70ern nicht ohne Grund immer wieder zu sehen, Stichwort „Taxi
Driver“, Stichwort Paul Schrader, Stichwort „Rolling Thunder“ aka „Der Mann mit
der Stahlkralle“. Angereichert übrigens nach der damaligen Kinomode um ein paar
Martial Art-Kampfsequenzen, bei denen sich die Darsteller eifrig bemühen.
Es geht hier um eine Pioniereinheit von fünf Mann, die 1968
in ein Massaker gerieten, ein Hinterhalt der Vietkong, und zehn Jahre später
tötet einer die Männer dieser Einheit nach und nach. Kip Moore ist der Held des
Films, seine Freundin wird von Tisa Farrow gespielt, Schwester von Mia und
Lucio Fulci-Veteranin. Sie hatte damals Kunst studiert, während er in Vietnam
war, sie war für den Frieden marschiert. Er, nonchalant: „Ob für Frieden oder
im Krieg, marschiert wird immer“.
Denn er und seine Kumpels fanden’s trotz allem ziemlich geil damals, im Dschungel, er erläutert das mal seiner Freundin: Damals waren sie jung, und sie konnten machen, was sie wollen, Leute killen, jede Frau haben, es war wie ein Rausch. Inzwischen kommt der Kater, denn einer dreht durch mit seiner Killer-Serie – es ist der Vietnamese der damaligen Spähereinheit, der Verbindungsmann, dessen Aufgabe es war, Vietkong aufzuspüren und von innen zu vernichten.
Ein paar Kriegsszenen gibt es, mitten im Film wird das Geheimnis enthüllt: Wir sehen den Killer, wie er im Jahr 1978 schießt, und bekommen eine Rückblende, wie er damals, 1968, einen GI in der Schlacht zurückgelassen hat, woraufhin ihn voll Wut die vier 1A-Amerikaner ebenfalls zurückgelassen haben – „missed in action“. Nun will er Rache.
Spätestens hier wissen wir, dass wir es mit einem
ur-US-patriotischen Film zu tun haben. Mit Veteranen, die den Krieg damals als
wichtige Station ihrer Mannwerdung betrachten, mit einem Krieg gegen
Vietnamesen, der nachträglich gerechtfertigt wird, indem sich die Vietnamesen
als fies und böse und mordlustig darstellen, egal ob Nord oder Süd. Das ist das
große Problem des Films: Wie sehr er in Klischees badet, mit den Asiaten, die
einfach nur böse sind und nebenbei auch überhaupt nicht schießen können (dabei
war der Killer ja ein Ass im Krieg und hätte danach noch 10 Jahre üben können,
aber jetzt hat er ein Sniper-Gewehr und trifft nicht auf 20 Meter!) Und mit den
good clean Americans, die sich tapfer wehren, vor allem Kip, der locker mit der
MP aus der Hand feuert, wie es sich gehört. Das Lustige daran ist, dass der
Film in den USA spielen soll und dass auch mal das FBI im Gespräch ist, dass er
aber offensichtlich in Kanada gedreht wurde, nämlich auf der Nordseite der
Niagara-Fälle. Das ist ein spektakuläres Setting, stände nicht die reale
Geografie der Behauptung entgegen, und wäre nicht eines der
Wasserfall-Ausflugsboote, das die Protagonisten benutzen, kanadisch beflaggt.
Aber wurscht. Pluspunkt ist sicherlich: So sehr sich der
Film in US-Filmklischees ergibt, so tief versenkt er sich auch in die
US-Postwar-Psyche. Denn was er eigentlich zeigt ist die Rückkehr des
Verdrängten, der deutsche Titel deutet es an: Der Mann, der aus dem Dschungel
kam, das ist das Vietnam-Trauma, das jeder Amerikaner, vor allem die damaligen
Kämpfer, jahrelang mit sich herumtragen. Und das irgendwann zuschlägt im
Alltag. Und dem man sich dann mannhaft zu stellen hat.
Weitere Pluspunkte: Sehr spannende Szenen. Der Killer verfolgt mal eines seiner Opfer durch die Turbinenhalle des Niagara-Wasserkraftwerks, und zwischen den riesigen Maschinen kann man sich gut verstecken, und man kann gut suchen, und die Kamera kann gut umherschleichen, und die Musik kann gut Spannungsatmosphäre liefern. Oder: Der Killer auf dem Dach, unten – vor einem Frankenstein-Gruselkabinett-Tussaud-Wachsfiguren-Touristennepp – eine Menge von hunderten von Leuten, offensichtlich hat man den ganzen Ort Niagara Falls zusammengetrommelt. Und der Killer oben zielt und schießt, und Kip unten sieht ihn, und verfolgt ihn, und die Menge wogt hin und her… Dann verlieren sich die beiden im Stadtpark, und die Moose und Farne könnten auch der Dschungel sein, wo sich nun der Showdown abzeichnet.
Dritter Pluspunkt: George Kennedy als
Sheriff, der die Ordnung hüten will und dabei genau weiß, dass er den Zweikampf
zwischen Kip und Asiate nicht aufhalten kann, der müde ist von der alltäglichen
Verbrechensroutine und der all die Mühen trotzdem auf sich nimmt. Der viel
später den Polizeichef in der „Nackten Kanone“ spielen wird, dessen
Untergebener in diesem Fall ebenfalls Frank heißt (wenn auch nicht Drebin) und
der viele Jahre im Voraus schon ganz nonchalant den Begriff „Spezialeinheit“
ausspricht, als wär’s nichts.
Harald Mühlbeyer