Grindhouse Double Feature, 18. Mai 2019, Cinema Quadrat Mannheim:
"Maniac Cop", USA 1988, Regie: William Lustig
"Patrick", AUS 1978, Regie: Richard Franklin
Maniac Cop |
Selbstzweck: Wer definiert das? Der Zuschauer. Aber wohl
kaum der Zuschauer, der dem Selbstzweck, also der Befriedigung seiner
libidinösen oder brutalen Triebe, erliegt. Der "mündige", der
"aufgeklärte" Beobachter. Ist das gleichzusetzen mit dem
Sittenwächter? Zensurgeschichtlich auf jeden Fall. Was da oftmals mit
hanebüchenen Begründungen angemahnt oder gar verboten wurde… (Ich bin
glücklicher Besitzer der "6000 Filme", die die katholische
Filmkommission in den 50ern bewertet und oft genug verworfen hat…! Von der FSK
in den 80ern gar nicht zu reden.) Aber zum Glück gibt es auch zugewandte
Beobachter: Die innerlich mitgehen und geistig sich distanzieren, die
begutachten, analysieren, bewerten. Die sich mit den Filmen beschäftigen. (Ich selbst bin da nur ein
kleinstes Licht…) Man kann sich erfreuen, seinen Trieben freien Lauf lassen,
ist schließlich alles schön fiktiv und auf die Leinwand gefesselt; und kann
dabei drauf schauen, was das Gesehene filmisch ausmacht: Filmgeschichtlich, genrespezifisch,
zeitgeistlich.
Wenn nun der Selbstzweck, wie vage auch immer, auf das
Zeitgeistliche verweist – beispielsweise Blaxploitation auf die
Bürgerrechtsbewegung, Sexploitation auf die Liberation der Libido,
Nazisploitation auf den Muff von tausend Jahren unter den Talaren –, dann ist
er plötzlich kein Selbstzweck mehr, sondern so eine Art soziologischer Seismograph.
Ex negativo, von mir aus.
Der Punkt ist: Es ist nicht so einfach mit dem Reißerischen,
dem Selbstzweck, dem Grindhouse. Wobei andererseits: Die Filme, die im April im
Cinema Quadrat-Grindhouse-Double-Feature liefen, die waren denn doch
eindimensional. Unterhaltsam, das sicher: Aber in "Monkey Kung Fu" (aka "Hurra, die Knochenbrecher
sind da", Hongkong 1979, Regie: Mar Lo) ist Handlung auf alle Fälle wurscht.
Es geht halt vor allem um höchst
akrobatische Martial Arts, die direkt aus dem Zirkus stammen könnten –
Affentechnik meets Geier- und Betrunkenenstil, wenn zwei aus dem Gefängnis
Ausgebrochene es mit dem Gibbon-Clan aufnehmen: Das hat was von der guten alten
"Robert und Bertram"-Story, wobei Obacht: Die Millowitsch-Torriani-Filmversion
unbedingt meiden, und die von 1939 ist der Versuch einer antisemitischen
Propaganda-Komödie; bemerkenswert unlustig noch dazu…
Und mit "El jorobado de la morgue" (aka "Die
Stunde der grausamen Leichen", Spanien 1973, Regie: Javier Aguirre) hat
Paul Naschy – Drehbuch und buckliger Hauptdarsteller – einen billigen
Frankenstein-Abklatsch gedreht inklusive brennender Ratten und einem per
Menschenfraß gentechnisch kreierten Urzeitmonster, das aussieht wie ein in
Gummi gewickelter Komparse. Interessant: Spielt im bayrischen Flecken
Feldkirch, wohl, weil Frankenstein persönlich ja aus Ingolstadt kam… Ansonsten
aber halt doch eher Wegwerfware, bzw. Guck- und Genieß- und Abhak-Ware. Im
Vormonat waren Grusel und Kung Fu tatsächlich Selbstzweck. So wie Zirkus oder
Geisterbahn auch nichts anderes bedeuten wollen als sich selbst.
Ganz anders dann im Mai. Da haben wir zwei Filme mit
Untoten, die eigentlich doch keine sind. Untote sind ja die Fantasiegestalten,
in die der Filmemacher ungefähr alles reinprojizieren kann. Hier aber: Nur
scheinbar tot! Das macht das Ganze schon mal interessant. Und dann haben wir
eben in "Maniac Cop" von
William Lustig eine junge, schöne Frau in einem durch und durch
verkriminalisierten New York, und sie kann sich gegen zwei puertoricanische
Handtaschenräuber mit aller Kraft wehren und rennt dann auf einen Uniformierten
zu: "Officer, Officer!", das sind ihre letzten Worte. Mit ungeheurer
Kraft nimmt der ungeheuer große Polizist sie am Hals, hebt sie hoch, sie ist
tot. Das ist der Anfang einer heftigen Mordserie, die die Stadt erschüttert.
Und weil ein Cop – der weiße Schnurrbart zeigt seine Erfahrenheit an – ahnt, dass
ein echter Polizist der Täter ist, leakt er das an die Presse. Und eine Ebene
der Medienreferenzen tut sich auf, denn nun kommen die Toten in den
Nachrichten, und alle Welt fürchtet sich vor allem, was uniformiert ist. Eine
Hysterie, die in Einklang steht mit der filmisch etablierten Atmosphäre eines
New York im Ausnahmezustand, zwischen Verbrechen und Polizeigewalt: Der Film
stammt aus den 80ern, als alles versucht wurde, den Big Apple von bösen Würmern
zu säubern, mit einer heftigen Null-Toleranz-Politik, in der kleinste Vergehen
heftigst bestraft wurden. Was sich freilich rückwirkt auf die Befindlichkeiten,
dieser Film zeigt es, und er legt den Finger in die Wunde: Die Verunsicherung
in den Reihen der Polizei ist nicht geringer als die Verunsicherung der
Bevölkerung, weil nie klar sein kann, aus welcher Ecke das Kriminelle kommt.
Dann werden plötzlich Szenen einer zerfallenden Ehe gezeigt,
ein Polizist, groß genug, um der Mörder zu sein, wird von seiner Frau (im
Nachthemd) durch die Straßen verfolgt, weil sie ihm nicht traut – bzw.: Weil sie
ihm alles zutraut. Und dann, lediglich: Eine Affäre, in einem billigen Motel.
Wütend zieht die gehörnte Ehefrau ab, und dann wird sie von bekannt muskulöser
Hand in einen Wagen gezogen. Und tags drauf tot im Motelbett gefunden. Und die
Polizei, die schnelle Aufklärung liebt, mehr noch als die Wahrheit, die hat den
gefunden, den sie als den Killer hinstellen kann. Nur ist da noch besagter
erfahrener Cop. Und eine Frau mit Gehkrücke. Und am Pier 14 dieser Hüne, der
rachsüchtige Bösewicht. Und so spitzt sich alles zu, ein ganzes Polizeirevier
wird massakriert, die St. Patricks-Parade beinahe zur Killerkatastrophe – das
ist alles zwar in B-Film-Manier gefilmt, aber herausgesogen aus den Straßen von
New York, nicht unähnlich dem "Taxi Driver", Urbild des Stadtgewaltfilms.
Am Ende dann ein erstaunlich großartiger Stunt, ein Gefängniswagen der Polizei fällt mitsamt durchstoßenem Killer und dem Helden auf dem Trittbrett in den Hudson River, und nein: Das ist keine Puppe, die im Stürzen vom Auto abspringt, das ist ein tatsächlicher Mensch! Doch gerettet ist erstmal niemand, die Unsicherheit geht weiter im Hinweis auf das Sequel, das Lustig denn auch pflichtschuldig zwei Jahre später drehte.
Am Ende dann ein erstaunlich großartiger Stunt, ein Gefängniswagen der Polizei fällt mitsamt durchstoßenem Killer und dem Helden auf dem Trittbrett in den Hudson River, und nein: Das ist keine Puppe, die im Stürzen vom Auto abspringt, das ist ein tatsächlicher Mensch! Doch gerettet ist erstmal niemand, die Unsicherheit geht weiter im Hinweis auf das Sequel, das Lustig denn auch pflichtschuldig zwei Jahre später drehte.
Was nun erhebt "Maniac Cop" über die "Knochenbrecher"
oder die "grausamen Leichen" des Aprils? Nun: Lustig legt seinen
Film, so wahnsinnig er sein mag (der Bösewicht, ein Ex-Polizist, der in Sing
Sing beinahe hops ging und nun, nach seinem Nahtod, übermenschlich wirkt!), er
legt seine Fantasie über die urbane Gewalt getrost in die Welt, wie sie
wirklich ist. Die Realität schimmert durch, hinter der Polizeifilm meets
Horror-Fiktion. Eine Philosophie wird sichtbar, krude vielleicht, oder vage,
aber fatalistisch genug, um wahrhaftig zu wirken und die Menschen anzusprechen.
Wobei Lustigs "Maniac Cop"-Überbau noch gar nichts
ist gegen den Australier Richard Franklin, dem es in "Patrick" 1978
gelingt, die "Tommy"-Story der Who ins Grauen zu überführen und dabei
"The Shining" vorwegzunehmen.
Ein tauber, stummer/dummer, blinder Junge liegt im Krankenhausbett,
völlig karthatisch, ohne sichtbare Regungen, scheinbar ohne Sinneswahrnehmung. In
einem ruhigen Land der Vibrationen hat er Gedanken, so kühn, wie Gedanken nur
sein können: Die Krankheit wird sicherlich seinen Verstand erreichen, und er
spielt zwar nicht Flipper, aber dafür mit allen Gegenständen, die seine
Gedankenmacht erreichen kann. "Patrick",
so der Filmtitel, ist ein Telekinesefilm, das ist ja schon mal selten. Ein
Film, der reingeht in die Gedankenkraft seiner Titelfigur, die die allermeister
Zeit reglos, mit weit geöffneten Augen, im Krankenhausbett liegt. Und die
dennoch ihre Umgebung manipuliert. Wie, glaubst du, macht sie das? Ich weiß es
nicht!
Ihn sehen, ihn fühlen, ihn berühren, ihn gar heilen: Das
funktioniert nicht. Die neue Krankenschwester Jacquard tut ihr Bestes, ist
einfühlsam, streichelt Patrick die Wange. Mit dem Ergebnis, dass er spuckt.
Seine Art der Ejakulation, wie man annehmen muss. Seine einzige Art, sich
auszudrücken. Das aber, aus Zuneigung (oder Begierde? Oder Obsession?), sehr
deutlich: Denn Schwester Jacquard gelingt es tatsächlich, mit dem komatösen
Patienten zu interagieren. Einmal spucken: Ja. Zweimal spucken: Nein. Und dann
tippt die Schwester auch noch in Trance seine Gedanken auf die Schreibmaschine…
Was hier, in der schnellen Zusammenfassung, krude und
durcheinander wirken mag, entwickelt der Film mit langsamer, zwingender
Stringenz. Und genau das macht ihn aus: Wie er einerseits den privaten Trouble
der Krankenschwester zeigt, die sich von ihrem Mann getrennt hat und sich einem
Playboy-Arzt zuwendet – und die andererseits ihre Pflicht tut bei den täglichen
Schichten mit dem Patienten Patrick, der reglos und anscheinend hirntot
dahinvegetiert, seit drei Jahren. Zuvor, am Anfang des Films, das Schockerlebnis
für ihn: Die Mutter, die mit einem Mann rummacht, ohne an Patrick im
Nebenzimmer den kleinsten, lusttötenden Gedanken zu verschwenden. Der daraufhin
den beiden in der Badewanne den Garaus macht. Und sich in sich selbst
verschließt. Vermutlich, der Film legt es nahe, in ultimativem Narzissmus.
Vielleicht aber auch das Opfer langjähriger Vernachlässigung? Oder das Böse an
sich?
Keine Heidi weit und breit. |
Und wenn diese Oberschwester in ihrer roten Tracht vor grün
gemustertem Teppichboden von oben gefilmt wird, wie sie versucht, in Tommys,
Verzeihung: Patricks Krankenzimmer einzudringen, dann hat das was von den
labyrinthischen Fluren des Overlook Hotels. So, wie Patricks starre Augen die
von Alexander DeLarge sind, während der hirnzerfressenden Ludovico-Therapie.
"Patrick" hat nichts Grelles. "Patrick"
ist wie Patrick: Scheinbar bewegungslos, aber mit größter Wirkung. Das hat der
Film dem "Maniac Cop" voraus, der auch mal auf seine heftigen Szenen
setzt, auf das krasse Zeigen von Gewalt und auf die Action. Was ja klar ist,
weil es sich um einen Killer-Thriller handelt.
Was kann dies alles nun aussagen? Kommen wir weiter in unseren Überlegungen? Klar ist, dass die Filme des Mai-Grindhouse-Abends, ihre je eigenen Philosophien haben. Sind die auszuformulieren, in Worten? Oder nur in Film auszudrücken, in einer Form, die interpretativ unklar bleibt und doch Ahnungen hervorruft? Vielleicht ist das ja das Geheimnis, das die Grenze zwischen Trash aka Selbstzweck und B-Movie aka verkanntes Kunstwerk ausmacht: Dass das Reißerische auf der anderen Seite nur die Hirnareale aufreißt, die sonst für Körpersäfte zuständig sind, für Blut- und Spermafluss, und die im Sinne des Kultur- und Zivilisationsprozesses besser unterdrückt bleiben. Und bei Filmen der "höheren Kategorie" wird das Hirn rechts- und linkshälftig aufgerissen, zueinander gedrückt, ineinander verschoben, so dass sich Assoziationen ergeben, die das Psycho- und Philosophische erreichen, zumindest ansatzweise, zumindest… Die etwas aussagen über den Menschen, über das Böse und über das Gute, das über Banalitäten hinausgeht: Eben nicht hanebüchen zwei Holzstücke zusammenfügen, um weitere Bösewichter vermöbeln zu können, wie im Hongkongaprilfilm, oder einen Mad Scientist den buckligen Diener schöne Frauen killen lassen wie im Paul Naschy-Vehikel. Sondern, ob gewollt oder nicht, etwas aussagen über die conditio humana: Im New York der Dauerkriminalität oder im Spinnennetz der menschlichen Beziehungen, auch, wenn die rein über Gedankenkraft gelenkt werden.
A bsoffene G'schicht: Unbemerkt aufgenommenes Selfie des Autors beim Verfassen dieses Textes. |
Und dabei nicht allzu laut werden. Das "Zuviel" vermeiden. Das "Zuviel" ist ja ohnehin ein Schlüssel in mehrerlei Hinsicht: Zu große Ambitionen des stümperhaften Regisseurs, zu nackig, zu blutig, zu eklig, zu wenig von allem – das kann alles eine Rolle spielen, jenseits von allem Inhaltlichen. Wichtig bei der hingebungsvollen Beurteilung ist eben auch: Die handwerkliche Fertigkeit der Filmemacher. Ein Knallophag wie das März-Filmdebakel "Dolemite" ist zwar höchst vergnüglich – sagt aber, trotz seiner Bemühungen, herzlich wenig über die Black Community aus. Aber andererseits ist ein High End-Produkt, das super aussieht, vom Reißerischen nicht weit weg. Ich sach mal: Star Wars.
Harald Mühlbeyer