Grindhouse-Nachlese Mai 2019: "Maniac Cop" und "Patrick"


Grindhouse Double Feature, 18. Mai 2019, Cinema Quadrat Mannheim:

 "Maniac Cop", USA 1988, Regie: William Lustig

 "Patrick", AUS 1978, Regie: Richard Franklin


Maniac Cop
Zeit, einmal nachzudenken über den Begriff des Reißerischen. Der begleitet ja die Trash-/Grindhouse-/Exploitationfilme seit jeher, ja, macht sie per definitionem aus. Was wird beim Reißerischen gerissen? Die Latte? Das wäre ja schon fast schlüpfrig, aber vielleicht kommen wir gerade so drauf: Ist das Reißerische das, was auf unsere "niedrigen Instinkte" zielt? Das Voyeuristische, das Gewalttätige, das ansonsten Tabuisierte macht natürlich das Grindhouse-Kino aus. Aber eben in unterschiedlichem Maße. Und Tarantino nimmt das auf, und es ist Kunst. Oder Kurosawa. Oder Scorsese. Oder Melville. Oder Bergman. Gewalt – oder auch Sex – sind also nicht per se Kennzeichen des Reißerischen, des Exploitativen, eher, sagen wir, der Selbstzweck – auch so ein Schlagwort fürs Grindhouse-Kino. Selbstzweck: Ist nicht alles, was in einem Film vorkommt, Selbstzweck: Bezweckt nichts anderes, als in genau diesem Film vorzukommen? Mit dem Genaunehmen der Begrifflichkeiten kommen wir wohl nicht weiter. Selbstzweck: Das ist also das Aufnehmen eines Motivs – nackte Brüste oder blutig zerstückelter Torso – in den Film mit keinem anderen Zweck, als den Zuschauer aufzugeilen: Sexuell oder in sonst einem Begehren: Nach Männlichkeit, nach Befriedigung seiner Gewaltfantasien. Freud kommt auf: Eros und Todestrieb, konzentriert und gebündelt im Ausbeutungsfilm.

Selbstzweck: Wer definiert das? Der Zuschauer. Aber wohl kaum der Zuschauer, der dem Selbstzweck, also der Befriedigung seiner libidinösen oder brutalen Triebe, erliegt. Der "mündige", der "aufgeklärte" Beobachter. Ist das gleichzusetzen mit dem Sittenwächter? Zensurgeschichtlich auf jeden Fall. Was da oftmals mit hanebüchenen Begründungen angemahnt oder gar verboten wurde… (Ich bin glücklicher Besitzer der "6000 Filme", die die katholische Filmkommission in den 50ern bewertet und oft genug verworfen hat…! Von der FSK in den 80ern gar nicht zu reden.) Aber zum Glück gibt es auch zugewandte Beobachter: Die innerlich mitgehen und geistig sich distanzieren, die begutachten, analysieren, bewerten. Die sich mit den Filmen beschäftigen. (Ich selbst bin da nur ein kleinstes Licht…) Man kann sich erfreuen, seinen Trieben freien Lauf lassen, ist schließlich alles schön fiktiv und auf die Leinwand gefesselt; und kann dabei drauf schauen, was das Gesehene filmisch ausmacht: Filmgeschichtlich, genrespezifisch, zeitgeistlich.

Wenn nun der Selbstzweck, wie vage auch immer, auf das Zeitgeistliche verweist – beispielsweise Blaxploitation auf die Bürgerrechtsbewegung, Sexploitation auf die Liberation der Libido, Nazisploitation auf den Muff von tausend Jahren unter den Talaren –, dann ist er plötzlich kein Selbstzweck mehr, sondern so eine Art soziologischer Seismograph. Ex negativo, von mir aus.
Knochenbrecher
Der Punkt ist: Es ist nicht so einfach mit dem Reißerischen, dem Selbstzweck, dem Grindhouse. Wobei andererseits: Die Filme, die im April im Cinema Quadrat-Grindhouse-Double-Feature liefen, die waren denn doch eindimensional. Unterhaltsam, das sicher: Aber in "Monkey Kung Fu" (aka "Hurra, die Knochenbrecher sind da", Hongkong 1979, Regie: Mar Lo) ist Handlung auf alle Fälle wurscht.  Es geht halt vor allem um höchst akrobatische Martial Arts, die direkt aus dem Zirkus stammen könnten – Affentechnik meets Geier- und Betrunkenenstil, wenn zwei aus dem Gefängnis Ausgebrochene es mit dem Gibbon-Clan aufnehmen: Das hat was von der guten alten "Robert und Bertram"-Story, wobei Obacht: Die Millowitsch-Torriani-Filmversion unbedingt meiden, und die von 1939 ist der Versuch einer antisemitischen Propaganda-Komödie; bemerkenswert unlustig noch dazu…
Grausame Leichen
Und mit "El jorobado de la morgue" (aka "Die Stunde der grausamen Leichen", Spanien 1973, Regie: Javier Aguirre) hat Paul Naschy – Drehbuch und buckliger Hauptdarsteller – einen billigen Frankenstein-Abklatsch gedreht inklusive brennender Ratten und einem per Menschenfraß gentechnisch kreierten Urzeitmonster, das aussieht wie ein in Gummi gewickelter Komparse. Interessant: Spielt im bayrischen Flecken Feldkirch, wohl, weil Frankenstein persönlich ja aus Ingolstadt kam… Ansonsten aber halt doch eher Wegwerfware, bzw. Guck- und Genieß- und Abhak-Ware. Im Vormonat waren Grusel und Kung Fu tatsächlich Selbstzweck. So wie Zirkus oder Geisterbahn auch nichts anderes bedeuten wollen als sich selbst.

Ganz anders dann im Mai. Da haben wir zwei Filme mit Untoten, die eigentlich doch keine sind. Untote sind ja die Fantasiegestalten, in die der Filmemacher ungefähr alles reinprojizieren kann. Hier aber: Nur scheinbar tot! Das macht das Ganze schon mal interessant. Und dann haben wir eben in "Maniac Cop" von William Lustig eine junge, schöne Frau in einem durch und durch verkriminalisierten New York, und sie kann sich gegen zwei puertoricanische Handtaschenräuber mit aller Kraft wehren und rennt dann auf einen Uniformierten zu: "Officer, Officer!", das sind ihre letzten Worte. Mit ungeheurer Kraft nimmt der ungeheuer große Polizist sie am Hals, hebt sie hoch, sie ist tot. Das ist der Anfang einer heftigen Mordserie, die die Stadt erschüttert. Und weil ein Cop – der weiße Schnurrbart zeigt seine Erfahrenheit an – ahnt, dass ein echter Polizist der Täter ist, leakt er das an die Presse. Und eine Ebene der Medienreferenzen tut sich auf, denn nun kommen die Toten in den Nachrichten, und alle Welt fürchtet sich vor allem, was uniformiert ist. Eine Hysterie, die in Einklang steht mit der filmisch etablierten Atmosphäre eines New York im Ausnahmezustand, zwischen Verbrechen und Polizeigewalt: Der Film stammt aus den 80ern, als alles versucht wurde, den Big Apple von bösen Würmern zu säubern, mit einer heftigen Null-Toleranz-Politik, in der kleinste Vergehen heftigst bestraft wurden. Was sich freilich rückwirkt auf die Befindlichkeiten, dieser Film zeigt es, und er legt den Finger in die Wunde: Die Verunsicherung in den Reihen der Polizei ist nicht geringer als die Verunsicherung der Bevölkerung, weil nie klar sein kann, aus welcher Ecke das Kriminelle kommt.

Dann werden plötzlich Szenen einer zerfallenden Ehe gezeigt, ein Polizist, groß genug, um der Mörder zu sein, wird von seiner Frau (im Nachthemd) durch die Straßen verfolgt, weil sie ihm nicht traut – bzw.: Weil sie ihm alles zutraut. Und dann, lediglich: Eine Affäre, in einem billigen Motel. Wütend zieht die gehörnte Ehefrau ab, und dann wird sie von bekannt muskulöser Hand in einen Wagen gezogen. Und tags drauf tot im Motelbett gefunden. Und die Polizei, die schnelle Aufklärung liebt, mehr noch als die Wahrheit, die hat den gefunden, den sie als den Killer hinstellen kann. Nur ist da noch besagter erfahrener Cop. Und eine Frau mit Gehkrücke. Und am Pier 14 dieser Hüne, der rachsüchtige Bösewicht. Und so spitzt sich alles zu, ein ganzes Polizeirevier wird massakriert, die St. Patricks-Parade beinahe zur Killerkatastrophe – das ist alles zwar in B-Film-Manier gefilmt, aber herausgesogen aus den Straßen von New York, nicht unähnlich dem "Taxi Driver", Urbild des Stadtgewaltfilms.
Am Ende dann ein erstaunlich großartiger Stunt, ein Gefängniswagen der Polizei fällt mitsamt durchstoßenem Killer und dem Helden auf dem Trittbrett in den Hudson River, und nein: Das ist keine Puppe, die im Stürzen vom Auto abspringt, das ist ein tatsächlicher Mensch! Doch gerettet ist erstmal niemand, die Unsicherheit geht weiter im Hinweis auf das Sequel, das Lustig denn auch pflichtschuldig zwei Jahre später drehte.

Was nun erhebt "Maniac Cop" über die "Knochenbrecher" oder die "grausamen Leichen" des Aprils? Nun: Lustig legt seinen Film, so wahnsinnig er sein mag (der Bösewicht, ein Ex-Polizist, der in Sing Sing beinahe hops ging und nun, nach seinem Nahtod, übermenschlich wirkt!), er legt seine Fantasie über die urbane Gewalt getrost in die Welt, wie sie wirklich ist. Die Realität schimmert durch, hinter der Polizeifilm meets Horror-Fiktion. Eine Philosophie wird sichtbar, krude vielleicht, oder vage, aber fatalistisch genug, um wahrhaftig zu wirken und die Menschen anzusprechen.

Wobei Lustigs "Maniac Cop"-Überbau noch gar nichts ist gegen den Australier Richard Franklin, dem es in "Patrick" 1978 gelingt, die "Tommy"-Story der Who ins Grauen zu überführen und dabei "The Shining" vorwegzunehmen.
Ein tauber, stummer/dummer, blinder Junge liegt im Krankenhausbett, völlig karthatisch, ohne sichtbare Regungen, scheinbar ohne Sinneswahrnehmung. In einem ruhigen Land der Vibrationen hat er Gedanken, so kühn, wie Gedanken nur sein können: Die Krankheit wird sicherlich seinen Verstand erreichen, und er spielt zwar nicht Flipper, aber dafür mit allen Gegenständen, die seine Gedankenmacht erreichen kann. "Patrick", so der Filmtitel, ist ein Telekinesefilm, das ist ja schon mal selten. Ein Film, der reingeht in die Gedankenkraft seiner Titelfigur, die die allermeister Zeit reglos, mit weit geöffneten Augen, im Krankenhausbett liegt. Und die dennoch ihre Umgebung manipuliert. Wie, glaubst du, macht sie das? Ich weiß es nicht!

Ihn sehen, ihn fühlen, ihn berühren, ihn gar heilen: Das funktioniert nicht. Die neue Krankenschwester Jacquard tut ihr Bestes, ist einfühlsam, streichelt Patrick die Wange. Mit dem Ergebnis, dass er spuckt. Seine Art der Ejakulation, wie man annehmen muss. Seine einzige Art, sich auszudrücken. Das aber, aus Zuneigung (oder Begierde? Oder Obsession?), sehr deutlich: Denn Schwester Jacquard gelingt es tatsächlich, mit dem komatösen Patienten zu interagieren. Einmal spucken: Ja. Zweimal spucken: Nein. Und dann tippt die Schwester auch noch in Trance seine Gedanken auf die Schreibmaschine…

Was hier, in der schnellen Zusammenfassung, krude und durcheinander wirken mag, entwickelt der Film mit langsamer, zwingender Stringenz. Und genau das macht ihn aus: Wie er einerseits den privaten Trouble der Krankenschwester zeigt, die sich von ihrem Mann getrennt hat und sich einem Playboy-Arzt zuwendet – und die andererseits ihre Pflicht tut bei den täglichen Schichten mit dem Patienten Patrick, der reglos und anscheinend hirntot dahinvegetiert, seit drei Jahren. Zuvor, am Anfang des Films, das Schockerlebnis für ihn: Die Mutter, die mit einem Mann rummacht, ohne an Patrick im Nebenzimmer den kleinsten, lusttötenden Gedanken zu verschwenden. Der daraufhin den beiden in der Badewanne den Garaus macht. Und sich in sich selbst verschließt. Vermutlich, der Film legt es nahe, in ultimativem Narzissmus. Vielleicht aber auch das Opfer langjähriger Vernachlässigung? Oder das Böse an sich?
Keine Heidi weit und breit.
Patrick jedenfalls, der weder Körper noch Geist mehr ist, begehrt seine Krankenschwester. Und manipuliert per Gedankenkraft ihr Leben, vor allem ihr Liebesleben. Ihr Liebesleben zwischen zwei Männern, anderen Männern als Patrick: Das ist das Problem. Psychoanalytiker sollten sich diesen Film mal vornehmen, da haben sie wahrscheinlich alles, was Freud sich jemals hat träumen lassen! Wo William Lustig die Ängste und Unsicherheiten veräußerlicht, da setzt Franklin ganz auf das Innerliche: Die Kraft des Verstandes, geschärft, weil nichts anderes mehr funktioniert, dahingehend, dass mit dem Geistigen physische Aktionen möglich sind. Den Playboy-Arzt im Swimming Pool unter Wasser festzuhalten. Oder dem Ex-Mann die Hände zu verbrennen. Oder Schreibmaschinenbuchstaben zu bewegen. Oder. Oder. Oder. Es steigert sich, das hat ein Film so an sich. Aber es ist von Anfang an Unheimlich – auch das im freudschen Sinne: un-heimelig –, und zusehends werden menschliche Verhaltensweisen von Mitgefühl oder Nächstenhilfe unterwandert und subversiv abgetragen. Nicht nur, weil Patrick bei der Liebe der Krankenschwester Agape mit Eros verwechselt, bewusst, wie einem scheinen kann, auch, weil die Oberschwester gleich zu Anfang klar macht, wie fräuleinrottenmeyerhaft kaltblütig sie ist, sich ins Privatleben einmischt und alles andere als barmherzig handelt.
 
Und wenn diese Oberschwester in ihrer roten Tracht vor grün gemustertem Teppichboden von oben gefilmt wird, wie sie versucht, in Tommys, Verzeihung: Patricks Krankenzimmer einzudringen, dann hat das was von den labyrinthischen Fluren des Overlook Hotels. So, wie Patricks starre Augen die von Alexander DeLarge sind, während der hirnzerfressenden Ludovico-Therapie.

"Patrick" hat nichts Grelles. "Patrick" ist wie Patrick: Scheinbar bewegungslos, aber mit größter Wirkung. Das hat der Film dem "Maniac Cop" voraus, der auch mal auf seine heftigen Szenen setzt, auf das krasse Zeigen von Gewalt und auf die Action. Was ja klar ist, weil es sich um einen Killer-Thriller handelt.


Was kann dies alles nun aussagen? Kommen wir weiter in unseren Überlegungen? Klar ist, dass die Filme des Mai-Grindhouse-Abends, ihre je eigenen Philosophien haben. Sind die auszuformulieren, in Worten? Oder nur in Film auszudrücken, in einer Form, die interpretativ unklar bleibt und doch Ahnungen hervorruft? Vielleicht ist das ja das Geheimnis, das die Grenze zwischen Trash aka Selbstzweck und B-Movie aka verkanntes Kunstwerk ausmacht: Dass das Reißerische auf der anderen Seite nur die Hirnareale aufreißt, die sonst für Körpersäfte zuständig sind, für Blut- und Spermafluss, und die im Sinne des Kultur- und Zivilisationsprozesses besser unterdrückt bleiben. Und bei Filmen der "höheren Kategorie" wird das Hirn rechts- und linkshälftig aufgerissen, zueinander gedrückt, ineinander verschoben, so dass sich Assoziationen ergeben, die das Psycho- und Philosophische erreichen, zumindest ansatzweise, zumindest… Die etwas aussagen über den Menschen, über das Böse und über das Gute, das über Banalitäten hinausgeht: Eben nicht hanebüchen zwei Holzstücke zusammenfügen, um weitere Bösewichter vermöbeln zu können, wie im Hongkongaprilfilm, oder einen Mad Scientist den buckligen Diener schöne Frauen killen lassen wie im Paul Naschy-Vehikel. Sondern, ob gewollt oder nicht, etwas aussagen über die conditio humana: Im New York der Dauerkriminalität oder im Spinnennetz der menschlichen Beziehungen, auch, wenn die rein über Gedankenkraft gelenkt werden.
A bsoffene G'schicht:
Unbemerkt aufgenommenes Selfie des Autors
beim Verfassen dieses Textes.

Und dabei nicht allzu laut werden. Das "Zuviel" vermeiden. Das "Zuviel" ist ja ohnehin ein Schlüssel in mehrerlei Hinsicht: Zu große Ambitionen des stümperhaften Regisseurs, zu nackig, zu blutig, zu eklig, zu wenig von allem – das kann alles eine Rolle spielen, jenseits von allem Inhaltlichen. Wichtig bei der hingebungsvollen Beurteilung ist eben auch: Die handwerkliche Fertigkeit der Filmemacher. Ein Knallophag wie das März-Filmdebakel "Dolemite" ist zwar höchst vergnüglich – sagt aber, trotz seiner Bemühungen, herzlich wenig über die Black Community aus. Aber andererseits ist ein High End-Produkt, das super aussieht, vom Reißerischen nicht weit weg. Ich sach mal: Star Wars.
Harald Mühlbeyer