28. Oktober 2019, Cinema Quadrat Mannheim:
"Alice, Sweet Alice" / "Communion" / "Holy Terror" / Communion – Messe des Grauens", USA 1976, Regie: Alfred Sole
"Misterios de ultratumba" / "Der Tote kehrt zurück", Mexiko 1959, Regie: Fernando Méndez
Paterson: Dort leben dichtende Busfahrer gleichen Namens,
Frauen mit kreativer Schwarz-Weiß-Obsession, der Wirt sammelt lokalhistorische
Zeitungsausschnitte, und überhaupt haben, wie man weiß, dort alle Bewohner ihre
liebevollen kleinen Macken, die sie pflegen und die sie als Personen ausmachen,
die man also wertschätzen muss. Zumindest im Jahr 2016. Im Jahr 1961 – das
Jahr, in dem "Alice, Sweet Alice" spielt, ein Film aus dem Jahr 1976
– habe auch alle ihre Macken, nur dass die in Mord, Terror und Horror
durchschlagen.
"Alice, Sweet Alice" spielt in Paterson, New
Jersey, und der Wahnsinn, wenn man die Stadt wiedererkennt aus Jim Jarmuschs
Film, der den Namen der Stadt (und seines Protagonisten) im Titel trägt! Viel
hat sich nicht verändert in den 30 Jahren zwischen den Filmdrehs, und auch der
Charakter der Stadt ist in beiden Filmen persönlich, dörflich geprägt, jeder
kennt jeden und guckt nach allen. Einmal als poetische Filmmeditation. Das andere
Mal als beunruhigender Horrorthriller.
Alice ist die Tochter einer alleinerziehenden Mutter. Die
kleine Schwester wird von Brooke Shields in ihrem Filmdebüt gespielt. Die
Familie ist eng mit der katholischen Kirche verbunden, der Priester ist jung
und menschlich zugewandt. Die Tante der Kinder ist fies und bösartig, aber
nicht aus Absicht, sondern wohl eher aus Charakterschwäche. Der alte Monsignore
ist gelähmt und anfangsdement. Der geschiedene Vater der Kinder würde gern
seine Ex verführen und gleichzeitig mit seiner zweiten Frau ein unbeschwertes
Leben führen. Der Nachbar im Erdgeschoss – und Vermieter für die Mutter und
ihre Töchter – ist unglaublich fett, besitzt eine Menge Katzen, ist stets
überall bekleckert und zumindest proto-pädophil.
Alice aber ist vollkommen verdreht. Sie ist fies zur
Schwester, klaut ihr die Puppe und erschrickt sie gerne auf den Tod, sehnt sich
nach dem Vater auf kindlich-naive Art und ist zugleich bedrohlich wie eine
ungeahnte Gefahr. Im Keller hat sie eine Kiste, das ist ihr Schrein, Puppe
darin und schrecklich anzuschauende Masken. Eine große Rolle im Film spielen
die knallgelben Regenmäntel, die wurden von der Kirche an die Kommunionskinder
ausgegeben, und der Mörder/die Mörderin trägt so einen. Jawohl: Mord. Während der
Erstkommunionsfeier, in der Sakristei. Und Alice hat kein Alibi. Die Tante hat
einen Verdacht. Die Mutter ist völlig überfordert. Der Priester versucht, den
Überblick zu behalten. Die Mutter übrigens ist ihm sehr zugetan, nicht nur
geistlich. Überhaupt hat jeder so seine Absichten und Motive im mentalen
Hinterzimmer, geradeheraus ist keiner. Man redet und handelt mit
Hintergedanken, das ist nur angedeutet im Film, aber das macht seinen Reichtum
aus: Dass die Charaktere dermaßen ausgestaltet sind…!
Brooke Shields jedenfalls ist tot. Und der Tante wird vom Treppenabsatz aus ins Bein gestochen, mit einem langen, bösen Messer, wie es Alice immer wieder in den Händen hat. Und dem Zuschauer ist jeder Boden unter den Füßen entzogen: Es könnte sein, dass der Film ein Whodunnit ist, der dem Zuschauer eine mutmaßliche kindliche Mörderin präsentiert, es ist aber dann eben alles doch ganz anders. Es könnte aber genauso gut sein, dass dem Zuschauer eine tatsächliche kindliche Mörderin präsentiert wird und dass alles so ist, wie es scheint, dass hier das Böse aus dem scheinbar so nächstenliebenden katholischen Milieu entspringt und in dieser Beinahejugendlichen explodiert. Die gelben Regenmäntel verweisen auf Nicolas Roegs "Don't Look Now", die Traumata der Vergangenheit, die losbrechen im Schrecklichen, und einmal – bezeichnenderweise hinter einem Sarg – sehen wir ein Plakat, das den Kinostart von "Psycho" ankündigt.
Ein wirklich meisterhaft inszenierter Film, der in
Deutschland sträflichst unbekannt ist. Und der den Auftakt für einen
wunderbaren jahreszeitgemäßen Horrorabend gab, dessen zweiter Teil auf eine
ganz andere Art faszinierend war: "Der Tote kehrt zurück" ist ein
mexikanischer Gruselfilm von 1959, schwarz-weiß, gediegen klassisch, der im
Irrenhaus spielt, wo die Irren genauso irre sind wie die Mad Scientists. Schön
übernatürlich geht es zu, zu Anfang, und dann wird's zu 'nem fast schon
putzigen Atmosphärenthriller.
Zwei der irren Ärzte nämlich schließen einen Pakt: Zur
Erforschung dessen, was nach dem Tode kommen wird, soll derjenige, der zuerst
stirbt, dem anderen aus dem Jenseits Hinweise geben, ja, womöglich
zurückzukehren versuchen. Dies nun geschieht, aus einer Seance kommen die
Hinweise: Drei Monate später wird sich eine Türe öffnen, die wird Einblick ins
Jenseits bieten. Dafür werden merkwürdige Dinge geschehen… Beispielsweise kommt
eine Nachtklubtänzerin ins Irrenhaus, nicht als Patientin wohlgemerkt; und ein
junger Mann, der sie aus seinen Träumen kennt, folgt ihr; und der Arzt, der
noch lebt, verliebt sich in die Frau etc., und eine wilde Irre bricht aus und
geistert höchst verwirrt und höchst aggressiv durch die Hallen, und ein
Schlüssel taucht auf, und ein Kästchen enthält einen Dolch, der zuvor in einem
anderen Zimmer gelegen war, und der Tote wandert immer wieder als Schimäre
durchs Bild, insbesondere durch den tollen Innenof der Anstalt, eine
dschungelartige Ansammlung von Pflanzen, die wohl kaum eine beruhigende Wirkung
auf die Nerven der Patienten haben dürfte, bei all den Schatten, die sie an die
Wände werfen!
Während zu dieser Zeit in Deutschland Edgar-Wallace-Krimis mit Horrorelementen bestückt wurden, in England die knalligen Hammerfilme ihren Klassikerstatus erlangten, kommt aus Mexiko dieser wunderbare E.A.Poe-mäßige Horrorfilm, man könnte auch Vincent Price um die Ecke lugen sehen: Dunkelheit und Schatten und Überweltliches und Wissenschaft und das Schicksal, das Schicksal! Denn dem entrinnt keiner, und wer die Schwelle überschreitet, kommt um in all seinen Obsessionen, in seiner zielstrebigen Halsstarrigkeit, im Versuch, umzukehren, was immer schon bestand – in tollen Volten spielt der Film sein Finale aus, nicht als Explosion eines großen Konflikts, sondern als unausweichliches Verpuffen eines großen Traumes, der nie hätte geträumt werden dürfen. Weil der diesseitige Arzt die jenseitigen Tipps nicht richtig hat lesen können (wollen), weil dann über zig Banden und nach allerlei Andeutungen, falschen Fährten und kleinen Schocks und Wendungen jeden das Los trifft, das für ihn bestimmt ist: Tote gibt es, und ein von schrecklicher Säure entstelltes Gesicht, und Verwechslungen, und ein Todesurteil – und dann wird die Schraube nochmal weitergedreht, und tatsächlich wandelt ein Toter auf Erden, nicht nur ein Geist, sondern körperlich habhaft. Doch was für ein Körper, und welch ein Geist…
Während zu dieser Zeit in Deutschland Edgar-Wallace-Krimis mit Horrorelementen bestückt wurden, in England die knalligen Hammerfilme ihren Klassikerstatus erlangten, kommt aus Mexiko dieser wunderbare E.A.Poe-mäßige Horrorfilm, man könnte auch Vincent Price um die Ecke lugen sehen: Dunkelheit und Schatten und Überweltliches und Wissenschaft und das Schicksal, das Schicksal! Denn dem entrinnt keiner, und wer die Schwelle überschreitet, kommt um in all seinen Obsessionen, in seiner zielstrebigen Halsstarrigkeit, im Versuch, umzukehren, was immer schon bestand – in tollen Volten spielt der Film sein Finale aus, nicht als Explosion eines großen Konflikts, sondern als unausweichliches Verpuffen eines großen Traumes, der nie hätte geträumt werden dürfen. Weil der diesseitige Arzt die jenseitigen Tipps nicht richtig hat lesen können (wollen), weil dann über zig Banden und nach allerlei Andeutungen, falschen Fährten und kleinen Schocks und Wendungen jeden das Los trifft, das für ihn bestimmt ist: Tote gibt es, und ein von schrecklicher Säure entstelltes Gesicht, und Verwechslungen, und ein Todesurteil – und dann wird die Schraube nochmal weitergedreht, und tatsächlich wandelt ein Toter auf Erden, nicht nur ein Geist, sondern körperlich habhaft. Doch was für ein Körper, und welch ein Geist…
Ach, ich will nicht zuviel
verraten. Wem der Film unterkommt – vielleicht läuft er ja auch mal in einer
der regelmäßigen arte-Trashreihen –, der soll sich’s angucken, möglichst bei
Kerzenschein.
Harald Mühlbeyer