Grindhouse-Nachlese Dezember 2023: Nicht ins Haus gehen! und Bronx 1990

Grindhouse Double Feature, 16.12.2023, Cinema Quadrat Mannheim:

 

„Das Haus der lebenden Leichen“ / „Don’t Go in the House“, USA 1979, R: Joseph Ellison

 

„The Riffs – Die Gewalt sind wir“ / „1990: I guerrieri des Bronx“, Italien 1982, R: Enzo G. Castellari

 

Große Feuer überall: Bei diesem Grindhouse Double Feature passten die Filme wie Faust auf Auge, Arsch auf Eimer, Feuerzeug auf Zunder, Asche in Urne. Da hat der Max, unser großer Kurator, mitten reingegriffen in die Kiste und zwei Filme für einen perfekt runden Abend rausgezogen.

 

„Don’t Go in the House“ heißt auf deutsch „Das Haus der lebenden Leichen“, und das ist fast schon betrügerisch falsch, aber wohl nicht justiziabel: Ja, naja, es gibt Tote, die aufstehen und rumlaufen, aber das sind keine Zombies. Sondern Halluzinationen. Donny hat sie tot gemacht, und Donny redet mit ihnen, und Donny erschrickt vor ihnen, und er ist es, der sich das „Leben“ in den Toten einbildet. Aus seiner Sicht erleben wir alles, und das macht diese bedrückende Atmosphäre aus, die den Film durchzieht.

Am Anfang: Ein Industriebetrieb. Öfen, Feuer, Donny starrt durchs Sichtfenster. Ein Kollege stochert im Feuerloch, das ist seine Aufgabe. Schnitt in die glühende, flammenumzüngelte Schlacke: Dort liegt eine Spraydose. Donny starrt. Der Kollege stochert. Die Dose wird von Feuer umflammt. Explosion. Der Kollege brennend am Boden. Donny starrt. Andere helfen, Donny starrt. Der Chef ist sauer. Er schimpft: Du stehst nur rum! Donny antwortet: Ich konnte nichts anderes tun, als Decken auf den Kollegen werfen! Was er nicht getan hat. Was er aber glaubt von sich, er ist da ganz ernsthaft. Sein Freund Ben baut ihn auf: So ein Schock, da reagiert jeder anders. Kann dir keiner was vorwerfen, dass du nichts getan hast! Und Donny steigt drauf ein: Genau, ein Schock! Ich konnte mich nicht mehr bewegen! Was er von sich glaubt, er ist da ganz ernsthaft.

Aber eigentlich, das weiß er im geheimen Inneren, ist er schlicht fasziniert von Feuer. Und er ist voll Hass, auf sich, auf die Welt; auf Frauen. Auf Mutter. Zuhause sitzt sie im Lehnstuhl, er pflegt sie täglich, kümmert sich, und heute, ja heute ist sie tot. In verzweifeltem Schmerz entringt sich seiner Seele ein Schrei – und dann wird ihm klar: Er kann jetzt alles machen. Die bösartige Frau bestimmt nicht mehr sein Leben. Er ist frei! Er kann laut Musik hören! Was er tut. So’n 70er-Discopop. Dann springt er auf einem Sessel rum, das hat er sich wohl schon als Kind gewünscht!

Wie er diese neue Freiheit erkannt hat? Es wurde ihm eingeflüstert. Drei Frauenstimmen sprechen unisono mit ihm. Donny ist zumindest schizophren. Und Pyromane. Und Serienkiller.

Dann sehen wir ihn mit Hammer und Nagel und Metallplatten. Und dann geht er in den Blumenladen, nach Ladenschluss bequatscht er die Floristin, als die den Bus verpasst, bietet er an, sie nach Hause zu fahren. Ach, können wir nur noch kurz bei Mutter vorbeischauen? Wollen Sie nicht Mutter kennenlernen? Sie geht in sein Haus – genau, wovor der originale Filmtitel warnt. Wird niedergeschlagen. Erwacht. Nackt. Mit den Händen oben an der Decke gefesselt. In einem Raum aus Metall, den Donny sich in sein Haus gebaut hat. Auftritt Donny, der Killer: In Feuerwehr-Asbestanzug mit Schweißgerät, oder eher Flammenwerfer. Und mit Benzinkanister. Was folgt, ist eine unglaublich harte Szene: Weil der Film bisher alles daran gesetzt hat, keine Distanzierung zuzulassen. Uns zu Donny gedrängt hat, und zugleich Donnys derangierte Psyche hat spürbar werden lassen. Und klargemacht hat: Hier passiert alles; das Schlimmste. Donny zündet die nackte Frau an. Die brennt lichterloh. Wir sehen ihren Todeskrampf, wie sie verkohlt.

Nach dieser krassen Szene hat Regisseur Joseph Ellison nicht mehr nötig, weiteren Gore zu zeigen, weitere Gewalt. Es reicht, dass Donny Frauen anspricht, sweettalked, und dann das Haus im Filmbild zu zeigen. Und irgendwann sind da drei verkohlt-verbrannte Leichen. Und im Oberstock verwest die Mutter vor sich hin.

Der Film ist sehr, sehr stark. Der Regisseur weiß genau, was er will, und was er wie einsetzen muss, um es zu bekommen: Kameraeinstellungen der Extraklasse, perfekte Bildkompositionen; Darsteller, die nicht viel tun, das heißt: die alles in ihrem Inneren zeigen, ohne es nach außen zu tragen. Eine Filmmontage, die perfekt das auslässt, was ausgelassen werden muss, damit das Kopfkino anspringt. Und das Haus! Das Haus! Ein enormes Herrenhaus, das „Psycho“ weit in den Schatten stellt… Überhaupt „Psycho“ – klar ist dies ein, nein das große Vorbild. Aber Ellison nutzt diesen Über-Film nicht, um sich ranzuwanzen: Wenn er einzelne Einstellungen direkt übernimmt – der Priester am Ende steigt die Treppe rauf so wie Martin Balsam im Bates-Mansion –, dann nicht, um zu klauen, sondern um den Resonanzraum des Bösen in der kaputten Seele nochmals zu erweitern.

Donny ist ein Opfer seiner Mutter. Häusliche Gewalt: Seine Sünden brennt sie über dem Gasherd aus, seit Kindesbeinen an; die rächt sich an ihm für den Vater, der die Familie verlassen hat. Das Mutter-Über-Ich spricht mit ihm, über den leiblichen Tod hinaus – und das Es spricht aus den Frauenstimmen. Donny ist ein Frauenmörder, aus Hass auf das Weibliche; und lässt sich leiten von den Frauen in seinem Kopf, die ihm alles erlauben. Feuer zerstört, Feuer reinigt. Donny heißt mit Nachname „Kohler“ – auch im Original.

 

Mit Feuer endet „The Riffs – Die Gewalt sind wir“; der internationale Titel „The Bronx Warriors“ – direkt vom italienischen Original her übersetzt – zeigt an, dass es sich um einen Rip-off von Walter Hills „The Warriors“ handelt, und sowieso setzt Enzo G. Castellari alles daran, sich mitten ins Genre zu setzen; von „West Side Story“ bis „Clockwork Orange“. 1982 ist ja auch die richtige Zeit dafür – Coppola verbindet ungefähr gleichzeitig ja auch das Jugendgangmotiv mit seiner Filmkunst (oder was davon nach „Apokalypse Now“ noch übrig ist)…

Jedenfalls: Eine Frau entkommt rüber in die Bronx. Dort herrscht Anarchie: Wir befinden uns im Jahr 1990, die Polizei hat das Gebiet längst aufgegeben, Gangs beherrschen die Straßen und die Häuserruinen. (Ist also nicht allzuweit entfernt von der Bronx-Realität Anfang der 80er…) Die Rollers schnappen sich die junge Frau: Die fahren auf Rollschuhen und haben so eishockeyhaftes Image. Mit ihren Hockeyschlägern erwehren sie sich auch der Riffs, die Motorradgang mit den beleuchteten Totenköpfen auf den Lenkstangen. Aber sie werden in die Flucht geschlagen. Trash, der Riffs-Anführer, hat Ann, die junge, geheimnisvolle Dame, für sich gewonnen.

Das Hin und Her geht seinen gewohnten Gang. Einmal die Gangs gegeneinander; dann Konflikte innerhalb der Gang; und dann die Polizei. Und dann ein eiskalter Killer. Und die Manhattan Corporation, der größte und mächtigste Konzern der Welt: Ann wird das Unternehmen erben, wenn sie 18 ist, also bald. Und deshalb floh sie in die Gesetzlosigkeit. Und deshalb ist der Konzern hinter ihr her, mit allen Mitteln. Das wichtigste Werkzeug dabei: Hammer, der Killer. Kurz und gut: Trash glaubt nicht, dass die „Tigers“ hinter all dem Unbill stecken, sondern, dass von außen Zwietracht gesät werden soll. Weshalb er sich aufmacht zu Oggio, gespielt vom unverwüstlichen Fred Williamson, Chef der Tigers und König der Bronx. Zwischendurch: Menschenfressende Lumpen, und dann noch diese clockworkorangemäßigen Stepptänzer, durch deren Gebiet Trash durch muss, naja, sorgt für Kämpfe und Tote.

Das Ende vom Lied ist, dass die Polizei – klar, die wird gelenkt von der Manhatten Corporation – angreift, geleitet von Hammer, der, jawoll, Polizeichef ist, und halt auch Killer, weil die Bronxianer eh vogelfrei sind. Die Polizei also mit Flammenwerfern auf die Menge der Bronxer, Feuer, Brennen – (fast) alle tot.

Das ist Exploitation vom Feinsten: Ausbeutung der Genregeschichte, indem die Errungenschaften vorheriger Filme genommen und wiedergekäut und ausgewalzt, aber auch perfekt durchperformt wird; und Ausbeutung der aktuellen Lage, indem die Kriminalitätsproblematik speziell von New York, die natürlich notorisch und in aller Munde ist, extrapoliert wird, verdichtet und vergrößert; und damit keine Ausbeutung der Zuschauer, die genau das kriegen, was sie wollen: Action und Spannung und Nervenkitzel und das Gefühl, dass dies irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Dabei hat es natürlich eigentlich nur etwas mit den vorherigen Filmerfahrungen und mit den Filmerwartungen zu tun; die immerhin werden erfüllt.

Man muss, um diesen Film würdigen zu können, aber auf jeden Fall einen Blick auf die Hauptfigur werfen. Abgesehen davon, dass sie „Trash“ (in einem Film, der nicht Trash ist), wird sie nämlich gespielt von Mark Gregory. Der heißt in Wirklichkeit Marco De Gregorio. Er wurde wohl im Fitnessstudio entdeckt. Und jetzt ist es so: Er sieht aus, als hätte jemand einer Pre-Alpha-Version eines KI-Prototypen: Nimm einen Jim Morrison-Mutanten und mach aus ihm einen steroidvollen Bodybuilder, der in einer schlechten Hair-Metal-Band-Parodie mitspielt. Heraus kam Trash, ein junger Mensch, dessen Kopf nicht zum Körper passt, und dessen Bewegungen zu gar nichts passen. Er stakst durch die Gegend und weiß nichts mit irgendwas anzufangen. Und dies, zu seiner Ehrenrettung, vielleicht nur deshalb, weil seine Jeans so eng ist, dass er sie nie wieder wird ausziehen können.

Castellari ist natürlich ein Veteran des italienischen Genrekinos. Und er macht hier auch alles richtig: Alles, was der Film braucht, das hat er. Und er macht dann noch richtiger: Indem er seinem Film diesen Darsteller gibt, erhebt er ihn über die zeitgemäße Begeisterung für kaputte New Yorker Stadtteile und die Gangs, die darin herumfuhrwerken, mit Mark Gregory transzendiert Castellari seinen Film zu einem zeitlosen Werk, indem er dem glatten, sauberen Herunterspulen der Film-Standardkonfiguration diesen Störkörper reinsetzt. Und er setzt auch noch einige andere tolle eigene Ideen ein: Bei einer Versammlung am Flussufer, da sitzt einer am Schlagzeug und gibt einen Solo-Percussionsoundtrack zur Szene, einfach so, und warum auch nicht.

 

Harald Mühlbeyer

Grindhouse-Nachlese Oktober 2023 - Wilde Frauen, lebende Tote im Leichenhaus, eine Mannheimerin als Lady Streetfighter

Grindhouse Jubiläums-Triple-Feature, 28. Oktober 2023, Cinema Quadrat Mannheim

 „Wild Women“ / „La isla de las vírgenes ardientes“, Spanien 1977, R: Miguel Iglesias aka M. I. Bonns

 „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ / „Invasion der Zombies“ / „No profanar el sueño de los muertes“ / „The Living Dead at Manchester Morgue“, Spanien/Italien 1974, R: Jorge Grau

 „Woman in Anger“ / „Lady Street Fighter“, USA 1980, R: James Bryan

 

Was gibt es schöneres als halbnackte Frauen, die miteinander kämpfen? Eigentlich nur halbnackte Frauen, die miteinander rummachen! Deshalb macht Miguel Iglesias in „Wild Women“ alles richtig: Dina, Kathy und Sei wohnen auf einer Insel, und am Anfang jagen zwei von ihnen die dritte. Bekleidet sind sie in selbstgemachten knappen Bikinis, und wenn sie kämpfen, dann mit selbstgemachtem Kungfu. Und ab und an sind sie nur in ihren knappen Höschen zu sehen, oben ohne! Ein alter Mann beobachtet sie durchs Fernglas, und dann schreitet er ein, weil der Anfangskampf nur ein Manöver war: Sie alle müssen fit bleiben, falls der Feind kommt.

Erst in irgendeinem der folgenden Dialog wird klar, dass der alte Mann, der sie so freundlich-bestimmt führt, ein Japaner sein soll: José Riesgo spielt Yamata, und wir erkennen, dass dieser Film auf einer wahren Begebenheit beruht. Weil: angelehnt an die Story vom japanischen Offizier auf der einsamen Insel, der nicht mitbekommt, dass der Krieg aus ist; erweitert durch seine drei treuen Frauen, Jungfrauen gar, die er vor ca. 20 Jahren aufgenommen hat. Da waren sie drei schiffbrüchige Kinder, jetzt sind sie seine Armee.

Waschechter Japaner
Harter Schnitt in eine Hafenkneipe, wo ein Pokerspiel aus dem Ruder gerät. Und eine Prügelei sich entspinnt. Und was für eine Prügelei! Käpt’n Paul gegen den alten Walter, der eine zeiht den anderen des Betrugs, und es geht los: Der eine haut den anderen. Der fällt um. Dann steht er auf und haut den ersten. Der fällt um. Dann steht der wieder auf und haut den anderen. Der fällt wieder um und steht wieder auf, und da geht der Tisch kaputt, und der Wirt ist verzweifelt, und der eine sagt, er gibt auf, und als er dann wieder aufgestanden ist, dann haut er wieder den anderen, und der wiederum sagt, er gibt auf, und als er aber wieder steht, da haut er wieder den einen. Und so weiter. Das ist eine Neuerfindung des „tit for tat“ von Dick und Doof, die ja auch immer warten, wie der andere reagiert (sprich: ihnen was antut), nachdem sie ihm irgendwas angetan haben. Prügel Pause Prügel, bis die Polizei kommt. Dann hauen alle ab, und die zwei Prügelnden müssen sich solidarisieren, um rauszukommen. Dabei geraten sie im Keller in ein Schlafzimmer mit einem nackigen Mann und einer nackigen Frau, die auf ihm liegt. Die ist dick, und weil fat shaming damals sehr lustig war, rät Paul, als er mit Walter zum Fenster rausklettert, zu einem Stellungswechsel. „Hab‘ ich probiert, hat nichts geholfen“, so die Antwort aus dem Bett – und das ist nur einer der vielen Höhepunkte der Synchronfassung, die wieder eine Menge Sprüche auf verschlossene Lippen gelegt hat. „Bleib unterm Tisch, du Träne!“ – das hatten wir schon vorher bei der Prügelei gehört.

Kurz gesagt: Walter weiß aus alten Kriegstagen, als er Bomberpilot war, den Ort, wo ein japanisches Schiff mit 400 Millionen Dollar untergegangen ist – just bei der Insel mit Yamato und seinen wilden Frauen. Paul hat das Schiff für diese Abenteuerexpedition, sie machen sich auf, aber ein Großteil der Crew hat aus Geldgier eine Meuterei vor. Einer der Matrosen, der immer Mundharmonika spielt, wird (fast) ermordet und rettet sich auf die Insel. Ein anderer kifft immer und hat Halluzinationen von tanzenden, halbnackten Frauen. Ein Blonder namens Mascareñas lacht immer dreckig. Es gibt also eine Menge Dynamik unter den Filmfiguren, zumal die Frauen sich des verletzten Mundharmonikamannes annehmen und Yamata Paul und Walter als Kriegsgefangene hält, weil sie die Insel durchsuchen. Während die Bösewichter, schwer bewaffnet, Sei fangen und kräftig vergewaltigen. Als Kontrast dazu dient das Anbandeln von Paul an Dina, die er davon überzeugt, kein Feind zu sein, indem er sie das Küssen lehrt. Und auch noch mehr: Als sie ihm die Hose öffnet, hui, da ist sie überrascht und lacht und holt ihre Gefährtinnen, und alle lachen und freuen sich über das, was sie da sehen, und es ist – eine Unterhose mit Stars & Stripes-Flagge. Wieder ein Witz!

Es gibt Fallen im Dschungel und Kämpfe und Verfolgungen, und damit’s für die Herren der Schöpfung im Kinosaal nicht öde wird, baden die feurigen Jungfrauen – so der direkt übersetzte Originaltitel – halbnackt, und Kathy und Sei machen miteinander rum, die eine umspielt die Brüste der anderen, rutscht dann tiefer, es wird romantisch, weil Regisseur Iglesias immer wieder auf glitzernd-wogendes Wasser überblendet.

Der Film wurde von 35mm-Material gezeigt, weil er super selten ist – in D bisher nicht digital erschienen, dabei muss er doch auf jeden Fall auf deutsch gezeigt werden, wegen der Synchro!

 

Nach der lustigen Abenteuer-Erotik führt Jorge Grau in tatsächlich unheimliche Gefilde. Klar ist „Das Leichenhaus der lebenden Toten“ nicht weit von Romeros „Night of the Living Dead“ entfernt, aber doch ganz eigenständig. George hat einen Antiquitätenhandel und reist übers Wochenende nach Norden, Windermere ist das Ziel. An einer Tankstelle zertrümmert Edna sein Motorrad, und er, schnoddrig wie er ist, lässt sich von ihr nicht nur mitnehmen, sondern übernimmt den Fahrersitz. Frau am Steuer, hat man ja gesehn, was rauskommt! Und überhaupt: Er muss nach Windermere. Sie muss nach Southgate. Er fährt sie hin (mit ihrem Auto!), und dann verirren sie sich. Er fragt, sie wartet am Auto. Und hier haben wir also das odd couple der Screwball-Comedy in einem gar nicht komischen Kontext, sondern reingesetzt erstens ins chauvinistische System, das George, der Mann, verkörpert, und andererseits in die Horrorfilm-Standardsituation der im Niemandsland Geparkten.

George will beim Bauernhaus um Rat fragen. Dort ist das Landwirtschaftsministerium grad mitten im Experiment: Radioaktivität gegen Schädlinge, und wenn man die Neutronendiffusion einschaltet, dann hat’s noch durchschlagendere Wirkung. George entpuppt sich als Öko-Späthippie, der Natur Natur sein lassen will, während unten am Bach Edna von einem nassen, wilden, bösen Mann angegriffen wird. Ein Zombie.

Offenbar Guthrie, der Verrückte, ein Landstreicher – der aber vor einer Woche im Bach ertrunken ist. Keiner glaubt ihr. Auch nicht George.

Schnitt ins Haus von Ednas Schwester. Die lebt mit Martin zusammen, der sie rumkommandiert, der sie einsperrt – mit gutem Recht. Weil sie unheilbar heroinsüchtig ist. Sie ist völlig durch. Und wird von Guthrie angegriffen. Während Martin schöne Naturfotos schießt in der Abenddämmerung. Sie flieht zu ihm, der Zombie hinterher, er ermordet mit brutaler Gewalt Martin, der Fotoapparat blitzt unaufhörlich, es ist eine Szene von vager Eleganz, in der sich Brutalität und Schrecken inmitten der schönen Natur entfalten.

Der Inspektor tritt auf, und er ist ein harter Hund. Er weiß natürlich sofort, was los ist, und hier zeigt sich, wie klug und gekonnt Jorge Grau seinen Film komponiert hat. Weil alles, was bisher geschehen ist, auf menschliche Täter hindeuten, aus Sicht der Polizei zumindest. Die Heroinsüchtige, die ihren Mann umbringt, ihre Schwester und ihr Komplize, die ihr nicht nur helfen, sondern im weiteren Verlauf mordsüchtig die Gegend unsicher machen. Haben sie nicht den Film aus Martins Fotoapparat verschwinden lassen? Auf dem sieht man eine völlig aufgelöste Frau, die aussieht, als hätte sie gerade ihren Mann gekillt – dass sie vor einem Zombie fließt, ist eine Interpretation, die polizeilicherseits nicht vorgesehen ist.

George glaubt nicht an Guthries Wiederauferstehung. Im Krankenhaus aber wird er Zeuge von der Aggression frischgeborener Babies, der die Hebammen wie der Arzt ratlos gegenüberstehen – eine der Schwestern flieht mit blutendem, vielleicht gar herausgerissenem Auge aus der Säuglingsstation!

Langsam klärt sich das Bild für George und Edna, die sich aus der Not heraus näherkommen – aber glücklicherweise nicht bis hin zu einer Liebesgeschichte! Das wäre völlig abgeschmackt, und Grau vermeidet das Abgeschmackte bravourös. Auf dem Friedhof kommt’s zum Gemetzel: Zombie Guthrie geht überlegt und planvoll vor, erweckt die frisch Verstorbenen unten in der Gruft, hat den Verwalter schon umgebracht, und in einem perversen Taufritual benetzt er die Augen der Leichen mit dessen frischem Blut. Zu viert gehen sie auf George und Edna los, und auf den Polizisten, der sie beschattet – er wird Zeuge des Übernatürlichen, Unglaublichen, das der Polizei nicht in den Sinn kommt, aber er wird nichts mehr erzählen können.

Der Inspektor sieht klar: Ihr ungewaschenen, stinkenden Langhaarigen, angezogen wie Schwule, Drogen, Sex, Satanismus, Hass auf die Polizei! Es geht in diesem spanischen Film, der in England spielt, um die Unterdrückung durch die waltenden Mächte, um die Borniertheit der Staatsgewalt, um den Konflikt zwischen den Generationen, zwischen den Reaktionären und den Freiheitsliebenden. Und es geht um den Anspruch an absolute Staatsgläubigkeit, nicht nur gegenüber der Polizei, die die Wahrheit für sich gepachtet zu haben glaubt, sondern auch gegenüber der Regierung, die mit ihrem radioaktiven Experiment den Segen einer fruchtbaren Landwirtschaft verspricht: Die Schädlinge werden in ihrem zentralen Nervensystem gestört, fallen übereinander her – natürlich, das hat man getestet, geht das nur bei niedrigen Lebensformen. Dummerweise betrifft es auch Säuglinge. Oder frisch Verstorbene…

Diese untergründige Kritik an Staatsmacht und Staatsgewalt spielt in England, zwischen dem Verbot von „A Clockwork Orange“ und der Kampagne gegen „Monty Python’s Life of Brian“, als die konservativen Moralwächter einen krassen Kampf gegen alles Neue führten – und stammt aus einem noch immer faschistischen Spanien, in dem Franco noch immer herrscht.

Und Grau weiß nicht nur diese Thema souverän durchzuführen – so, dass es nicht im mindesten die Horrorhandlung stört –, sondern bringt auch meisterhaft kleine Details in seine Inszenierung, die diesen Zombiefilm weit über den Durchschnitt heben: Am Anfang sehen wir eine Frau an der Straßenecke, die plötzlich ihren Mantel auszieht und nackt über die Straße läuft, aus Protest: „Freiheit für die Frauen!“; und als wir das erste Mal das Krankenhaus sehen, laufen George und Edna vorne rein – und in einem mit aufreizend unheimlicher Langsamkeit durchgeführten Kameraschwenk sehen wir dann den Hinterausgang, aus dem die Toten rausgetragen werden für die wöchentliche Fuhre ins Leichenschauhaus.

 

Der dritte Film des Abends ist grindhousemäßig rumpelig. „Lady Streetfighter“ heißt dieses im wörtlichen Sinne Amateurwerk, gemacht von einer wahren Liebhaberin: Renee Harmon als Produzentin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin hat sich hier selbst verwirklicht, das Ergebnis ist dementsprechend allerbeste Unterhaltung! 12.000 Dollar hat der Film gekostet, und man fragt sich, wo das Geld hin ist. Naja, immerhin werden zwei Autos gecrasht – eines davon allerdings, der Legende nach, war das Auto von Harmons Ehemann, das sie halt mitgenommen hat zu Dreh, einen Abgrund runtergestürzt und dann wieder heimgebracht. Den Ehekrach hat sie ausgehalten für die Kunst.

Harmon war leidenschaftliche Filmerin, die sich von Fragen des Könnens oder des Scheiterns nicht aufhalten ließ. Sie hatte auch eine Schauspielschule und gab Drehbuchkurse, so konnte sie auch immer wieder Darsteller rekrutieren – der Legende nach hat sie die Teilnehmer ihre Schauspielkurse dafür zahlen lassen, an ihren Filmen mitzuspielen, und diese so finanziert…

Es ist nicht so, dass sie oder ihr Regisseur James Bryan gar nichts können; Autoverfolgungen sind recht OK, und nächtliche Lichtstimmungen sind auch OK. Aber worum es eigentlich geht bei dem Ganzen, das ist vielleicht nicht einmal ihnen klar. Es gibt eine Handlung; nur passt sie nicht zu sich selbst. Einzelne Szenen sind reingehauen wie unpassende Puzzleteile, Figuren ändern ihre Charaktere nach Belieben, die Dialoge sind - - - ach, man kann es gar nicht aufzählen. Prinzipiell wurde die Schwester von Linda Allen zu Tode gefoltert, hat aber das Geheimnis eines Mikrofilms mit einer Liste von Auftragskillern nicht verraten. Linda selbst tritt auf, warum ist egal, sie wird gleich mal von zwei Killern angegriffen, aber sie ist nicht umsonst „Lady Streetfighter“ – Harmon hat eigens Martial Arts-Kurse genommen, um so richtig kicken und schlagen zu können!

Das FBI ist auch mit dabei. Der alte Chef lässt sich von einem seiner freien Undercover-V-Männern berichten. Dann bekommt der einen Anruf, natürlich von Linda, weil dies Teil der Handlung ist, so, wie sie im Drehbuch steht, falls es eines gegeben haben sollte. Die räkelt sich in durchsichtigem Negligé auf dem Bett und stöhnt dem V-Mann voll ins Ohr, der windet sich in zunehmender Geilheit. Zumal der FBI-Chef sich gerade eine Zigarre ansteckt, und sie dabei von allen Seiten oral ableckt.

Derart sind die Szenen des Films: Immer auf den Effekt hin, immer auf Sex und Action hin, und immer darauf aus, Linda Allen = Renee Harmon gut aussehen zu lassen. Alle möglichen Haupt- und Nebenfiguren versichern ihr ständig, wie toll sie aussieht, was für tolle Brüste und wie toll ihre Figur – Drehbuchautorin Harmon gibt Hauptdarstellerin Harmon so richtig Zucker.

Sie ist auch gern mal nackt, unter der Dusche beispielsweise. Wir sehen auch den Duschkopf in Großaufnahme, und den Abfluss – und ha, das ist auf keinen Fall eine zufällige Hitchcock-Referenz! Allenfalls eine ausgesprochen schlecht hingeschluderte. Irgendein Typ durchschleicht das Appartement, und wie ein Blitz ist Linda raus aus der Dusche, weil geprügelt werden muss! Was wollte nun der Typ? Einen Teddybär! Den schlitzt Linda auf, darin eine Musikkassette, besprochen von ihrer Schwester, ich weiß nicht mehr warum. Damit soll irgendetwas erklärt werden, warum wer wie und was, aber das Gesabbere in all den Dialogen erklärt genau nichts, beziehungsweise noch weniger, weil alles mehr verwirrt wird.

Der FBI-Undercoveragent ist der Bösewicht. Linda verführt ihn. Er ist in sie verliebt. Will sie aber auch töten. Sie will ihn auch töten, ist vielleicht auch verliebt. Ein mexikanischer Messerrumfuchtler tut so, als wäre er freundlich, lobt ausgiebig Lindas Titten, dann tötet er Max Diamond und dessen Familie. Max Diamond ist irgendwann aufgetaucht als Name, aus der lauen Luft, er ist reich, handelt mit Drogen und Auftragskillern. Ist aber sehr nett und freundlich! Als kleines Aperçu hat er eine erwachsene Tochter mit dem mindset einer Fünfjährigen. Eine Party ist wirklich krass, da wird geflirtet und gestrippt, und Linda lässt Max an ihren Schuhen lecken, weil er das geil findet, und drei Männer in Toga werden durch den Filmschnitt immer wieder reingekloppt, wie sie sich zutrinken und „Toga! Toga! Toga!“ rufen, das kommt vier, fünf Mal vor.

Ein Kloster gibt es auch, dort ist wahrscheinlich irgendwo der Mikrochip versteckt. Das Kloster wird am Ende in die Luft gesprengt, das heißt, wir sehen ein brennendes Modellhaus von der Spielzeugeisenbahn oder so, das muss ja auch reichen.

Schießereien gibt es auch immer wieder. Und Linda weiß sich der Killer zu erwehren – eines der Autos, die in den Abgrund stürzen, zündet sie mit einem lässigen Schnipsen des Feuerzeugs in die Benzinlache an, der Bösewicht dadrin verbrennt mit Schreien – und mit einem ausgestreckten Mittelfinder, den er ihr brennenden Armes noch entgegenreckt.

Man kann das alles nicht kapieren, und man muss akzeptieren, dass man es nicht kapiert. Harmon hat den Film schon 1975 gedreht, wer weiß, warum er dann erst 1980 rauskam – vielleicht, weil noch am Soundtrack gebastelt werden musste, der aus 80er-Synthie-Sound besteht? Nein, nicht einfach irgendwas hingeschleudert, sondern eine unglaublich bizarre, auf Synthesizer- und Drumcomputerloops draufgepappte Neuversion von Ennio Morricones „Drei glorreiche Halunken“-Musik.

Renee Harmon wurde 1927 in Mannheim geboren, ist nach dem Krieg mit ihrem Mann, einem GI, nach USA gezogen. Es stört sie nicht im Geringsten (und wird von ihrer merkwürdig verschobenen Selbstwahrnehmung wahrscheinlich ausgeblendet), dass sie mit krassem deutschem Akzent durch den Film spaziert. „Hellau, hellau!“ bellt sie ins Telefon, und „wot is häppening hier“ denkt der Zuschauer.

 

Harald Mühlbeyer

 

Grindhouse-Nachlese April 2023 – Autos rasen übern Asphalt und Affen durch den Wald

 Grindhouse Double Feature, Samstag 29. April 2023, Cinema Quadrat Mannheim

 

„10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich“ / „Fast Company“, Kanada 1979, R: David Cronenberg

 „Nackt unter Affen“ / „King Kong und die braune Göttin“ / „Eva, la Venere selvaggia“, Italien 1968, R: Roberto Mauri


Man lernt viel. Über die richtige Treibstoffmischung, die sich jeder Fahrer selbst austüftelt, über die verschiedenen Klassen: Fuellers und Funny Cars, über den Rennzirkus überhaupt und wie man dabei die Viertelmeile in sagenwirmal sechs Sekunden runterreißt. „Fast Company“ heißt der Film, das trifft es, der deutsche Verleihtitel „10.000 PS – Vollgasrausch im Grenzbereich“ trifft es auch, und irgendwie passt das alles vielleicht sogar rein in die Filmographie von David Cronenberg. Ja, der Cronenberg mit seinem Body Horror, dessen „Brut“ – ebenfalls von 1979 – vor vielen Millionen Jahren auch schon einmal in der Grindhouse-Reihe gelaufen ist, der Cronenberg, der inzwischen etablierter Kunstfilmer geworden ist mit seinen Underground-Themen.

In „Fast Company“ haben wir keinen Horror. Wir haben Geschwindigkeit. Wir haben Autofetisch. Wir haben Fahrer und Mechaniker, die sich liebevoll ihren Fahrzeugen widmen, die so lange schrauben, bis noch ein paar PS mehr rausgekitzelt sind, die aufgehen in dieser irrealen Blase auf der Tour von Race-Track zu Race-Track. Für ein paar Sekunden Höchstbeschleunigung. Und natürlich für FastCo-Motoröl, Sponsor des Dragster-Stars Billy, genannt „Lucky Man“. Warum? Wir sehen’s am Anfang: zu viel am Motor getüftelt, Explosion mitten auf der Strecke, und er steigt aus, als wär nix. Für Anderson, Vertreter des Motorölunternehmens, ist das zu viel, die Fahrer sollen nicht gewinnen, nur mithalten, nicht unter allen Umständen teuer Autos verschrotten, sondern die Marke schön präsentieren! Anderson ist ein Arschloch, das sehen wir gleich, aber er hat natürlich betriebswirtschaftlich einen Punkt. Ist aber trotzdem ein Arsch, fliegt mit Privatflugzeug, will Miss FastCo besteigen, und kassiert von der Rennleitung privat Geld dafür, dass er seinen Star überhaupt starten lässt.

Zur Korruption kommen Neid und Intrigen und generelle Fiesheit – ihm gegenüber Lucky Man mit seinen Mechanikern und dem Junior im Team, der bei den Funny Car-Rennen mitmacht. Weil, also: Das Fuel-Fahrzeug ist für den Senior und viel viel schneller, das Funny Car ist angelehnt an ganz normale Straßenautos, aber natürlich auch schneller, aber nicht sooo. Junior jedenfalls bekommt Miss FastCo ab, und Lucky Man’s Freundin taucht auch auf, und es gibt einmal kurze Verwirrung, weil sie im Bett von Lucky Man eine Nackige sieht, aber kein Problem, ist nur Junior mit seinem Girl, alles Friedefreudeeierkuchen. Nur dass Anderson erst Junior ausbootet, und dann auch Lucky Man hintergeht, indem er ihn durch den Konkurrenten ersetzen will, nicht nur das, er nimmt ihm das Auto ab, und so weiter und so fort, die Handlung ist jetzt nicht sooo interessant. Sabotage, Mordanschlag, das Finale hat es in sich, überzieht dann aber mit einer Verfolgung des startenden Flugzeugs, Absturz und Feuerball – aber was solls!

Trotzdem ein super Film, weil Cronenberg voll Liebe darauf schaut, wie Menschen die Maschinen zu zähmen versuchen, wie sie sie pflegen und streicheln und ihnen Gutes tun, und wie die Maschinen ihnen etwas zurückgeben, in der Währung Miles per Hour. Und wir hören das Spottern und Krückeln und Krachen und Brutzeln und Schnarren und Knurren und Röhren und Tönen der Motoren! Cronenberg bietet uns authentische Einblicke in die Szene, gedreht wurde offenbar bei echten Dragsterrennen, oben im kanadischen Alberta, wiewohl der Film im US-Nordwesten spielt.

Unterwegs ist Lucky Man mit seinem Team in zwei Trucks, veredelt mit dem Star-Spangled Banner, wenn‘s übern Highway geht sitzt Lucky Man hinten drin, der Truck ist ausgebaut zu Wohn- und Schlafzimmer, vor allem aber in ein Konstrukteursbüro, Schreibtisch, Pläne, Modelle, alles, was ein schaffenswütiger Ingenieur braucht, der das Objekt so sehr liebt, an dem er rumtüftelt.

 

Geradezu läppisch dagegen, und ein schöner Kontrast: ein Film namens „Nackt unter Affen“, dessen Titel schon alles enthält, was der Film dann auch ist. Afrika, Söldner, ein Überfall auf die Kasse des Militärs, Tote, ein Oberbösewicht unter den Ganoven, der alle abknallt. Jahre später: Der Oberschurke ist im Urwald verschwunden, und in einem post- oder gar altkolonialen Kneipe in, ich glaube, Angola taucht dessen alter Komplize auf, er hat wider Erwarten überlebt. Die Frau des Wirts, mit der hat er mal was gehabt; die Tochter macht ihn auch an. Außen, unter Palmen, wird er mal angegriffen und er kämpft ganz dolle und ein anderer Mann hilft ihm, der hat ihn vorher schon so angeguckt, wer ist er?

Jedenfalls: Die Tochter geht das erste Mal auf Safari mit, der Bruder will sie beschützen, der Ex-Söldner will von all dem nichts mehr wissen, was genau er da eigentlich macht ist unklar. Safari, das bedeutet: Die fahren durch die Landschaft und sagen: Oh, was schöne Tiere! Elefant, Giraffe und so, und die Tiere sehen wir auch, weil Gottseidank jemand anderes für irgendeinen anderen Film seine Kamera tatsächlich nach Afrika mitgenommen hat, um Nilpferd und Löwen und Antilopen zu filmen, und dessen Filmmaterial hat man hier nun locker geklaut, damit alles echt wirkt. Da! Ein Leopard! Schnell schießen! Aber die Schwester trifft nicht, und der Bruder auch nicht, und wieder ein paar Minuten Film wegerzählt mit spannenden Episoden aus dem Busch.

Naja, sagen sich die Filmleute, wäre jetzt wirklich langweilig, wenn wir nur die Leute durch den Urwald stolpern lassen, und das Fremdmaterial, irgendwann merken das die Leute! Komm, hopp, wir lassen mal die Affen ran! Und tatsächlich: Der Oberschurke ist vom Geldräuber inzwischen zum Mad Scientist mutiert und setzt einem Affen einen Computerchip in die Schläge, keine Kosten und Mühen wurden gescheut, um diese chirurgischen Nahaufnahmen hinzubekommen! Nein, wirklich, die Affenmasken sind hervorragend, sie stechen wirklich hervor aus all dem anderen Zeug, was wir in diesem Film vorgesetzt bekommen.

Affen: Das ist die Erfüllung des ersten Teils der Verheißung durch den Filmtitel; der zweite Teil, den Regisseur Roberto Mauri (alias Robert Morris, soll keiner glauben, man hätte es mit Italoschund zu tun!) und seine „Drehbuchautoren“ in den Film reingepappt haben, das ist die Legende der „weißen Göttin“. Beziehungsweise der im Originaltitel versprochenen „Eva, die wilde Venus“. Nun ist die keine weiße Göttin, sieht eher südamerikanisch aus: jau, Darstellerin Esmeralda Barros ist Brasilianerin, und wohl auch keine Göttin, sondern mehr so eine Art Tarzanin, aber wurscht. Die jedenfalls haust im Urwald, und die Ureinwohner – wahlweise als Wilde oder Schwarze oder N*** benannt – gehen da nicht hin, weil sie von Affen bewacht wird. Tatsächlich hat sie nur so einen Trigema-Schimpansen bei sich, den trägt sie rum und tätschelt ihn und führt ihn spazieren, aber die wirklichen wilden Affen sind mannsgroße Gorillas (damit Männer ins Kostüm passen), robotermäßig gehorsam wegen des Chips, und die entführen die Tochter mit dem schönen Namen Ursula. 

Der Bruder steckt‘s dem Ex-Legionär, und sein Papa raunt ihm zu: „Gut gemacht“, und da wissen wir, dass alles Schmu ist, und der Rest des Films ist, dass der Söldner sich ermannt, Ursula zu suchen, und darauf freut sich der Oberschurken-Exsöldnerchef-verrückterWissenschaftler-Möchtegernweltbeherrscher, und unterwegs begegnet der Söldner der weißen Göttin und sie verstehen sich super, und die Affen greifen an, und.

Nee, man kann nicht erzählen, was da alles los ist. Das Internet würde gesprengt wegen zu viel Inhalt! Er badet und sie guckt zu und gibt ihm Bananen. Sie – oben ohne, den ganzen Film über – springt in einem Einsprengsel auch mal in Zeitlupe durch die Landschaft, und da ist sie ganz nackt, das ist so’n bisschen Playmate, und doch ganz erstaunlich für einen Film, der vor den 70ern gedreht wurde. Weil hier die kindliche Unschuld, die der Film die sonstige Zeit von seiner Eva-Göttin erzählt, heftig erotisiert wird. Man muss ja was bieten. Also noch mehr als Kampfaffen und ein Grottensystem und gefangene Jungfrauen und einen großen Computer, der mit einem hellen Licht, Auge genannt, die Affen kontrolliert, und mit einem höchst eifersüchtigen Wirt, der aber nach außen so freundlich tut, wie es im Wirtsleutestand nun mal gang und gäbe ist, und dann ist da noch der geheimnisvolle Mann, der vorher mal dem Exsöldner geholfen hat und wieder auftaucht und nämlich von Interpol ist und schon ganz lange hinter dem Bösewicht her, und eine Minute später ist er tot, und wieder ein paar Meter Film durch die Kamera gerattert! Absoluter Höhepunkt ist eine Boa, vor der alle zurückschrecken, was ne Würgeschlange, und die ist in derselben Einstellung wie die Schauspieler zu sehen! Heißt: Die müssen in den botanischen Garten, in dem sie gedreht haben (sicher nicht in Afrika!) tatsächlich eine echte Schlange um einen Ast gewickelt haben. Production Value!

Am Ende kommt großer Showdown in der Computerkontroll-Gefängnis-Höhle, alle tauchen auf, jeder erklärt, was los ist, alle merken, dass alles miteinander zusammenhängt, nach und nach ist jeder tot. Das ist im Grunde Shakespeare pur!

Und die weiße Göttin nimmt ihren Schimpansen, und wir sehen sie zum Abschied nochmal nackig durch den Busch tanzen, und freuen uns, dass die Dudelmusik nun auch ihr Ende hat.

 

Harald Mühlbeyer