Prämiert wurde in Saarbrücken beim 32. Filmfestival Max Ophüls Preis York-Fabian Raabes
ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE, doch – sorry – der beste war er unter den Kurzfilmen nicht wirklich. In 15 Minuten erzählt der Film von zwei Flüchtlingen, zwei Brüdern, die im Bauch eines Flugzeuges die heimliche Flucht in ein besseres Leben planen, doch nur einer hat sich für den gefährlichen Trip bzw. die Eiseskälte vorbereitet. Parallel dazu wird in die Vorgeschichte in einem sonnigen Township an der Elfenbeinküste geblendet. Leider passen die beiden Hälften des ansonsten und gerade in den Afrikaszenen toll gedrehten Films nicht so recht zusammen, etwas Konfuses haftet ihm bei aller, auch symbolischer, Stärke, an.
Dass nun andere Filme besser waren, heißt allerdings wenig, insofern es wie beim Langfilmwettbewerb ein unglaublich starkes Kurzfilmschualaufen an der Saar war.
Ein paar Ausblicke:
Natürlich:
ARMADINGEN. Eine lobende Erwähnung gab es für witzigen Film von Philipp Käßbohrer – ein weiteres Zeichen dafür, dass die Jury wenig entscheidungsfreudig, aber mit wachem Sinn ihren Job getan hat.
Bauer Walter (Gernot Hertel) lebt mit Frau Helga (Karin Graf) auf dem kleinen Hof, und beide sind sie – ja, sagen wir’s wie es ist: alt, dick und rund geworden über die Jahre. Grummelig auch. Sie leben nebeneinander dahin; oftmals ist das Ächzen, Keuchen und Schnaufen, wenn sie Treppen steigen, sich in Sessel fallen lassen oder vom Stuhl erheben, das einzig „Kommunikative“ in der Partnerschaft, in der jeder seinen Platz, seine Aufgaben hat. Doch dann erfährt Walter auf der Weide über das Radio, dass ein Komet auf die Erde zurast. Die Rettungsmission der NASA ist gescheitert, noch einen Tag hat der Planet oder wenigstens die Menschheit. Tschüs dann.
Hektik ist nun Walters Sache nicht, doch immerhin will er seiner Frau noch einen letzten schönen Tag bereiten. Das gerät so linkisch wie rührend, vor allem überaus leise-komisch, denn Walter bemüht sich, Helga im Unklaren zu lassen, was da draußen vor sich geht, wofür er sich so einiges Einfallen lässt. Helga macht es ihrem Mann dabei nicht leicht, denn: Den vorsichtigen Bruch der Routine, der in einem Spontangrillen samt Platzregen endet, hält sie für die Vorboten einer Ehekrise. Es IST doch was mit dir! Zuletzt – und dafür muss ich SPOILERN!!!!!!, ein bisschen aber nur, tut auch nicht weh – kommt es ganz anders: In Erwartung des Endes legt sich Walter zur schlafenden Gattin, sieht sie nochmal an wie wohl seit Jahrzehnten nicht – als Zuschauer kann man da schon seinen Kloß im Hals haben –, ehe er einschläft. Doch die Verwüstung aus dem All trifft des Nachts nicht metaphorisch und grandios-witzig in seiner Dramatik ein Spielzeugeisenbahndorf, das als Weltmodell herhält, sondern ist nur Walters Traum. Er wacht auf, alles ist heil, und im Fernsehen erfährt er: Die Welt wurde doch gerettet – von Bruce Willis als Harry Stamper, so wie wir es in Michael Bays ARMAGEDDON (USA 1998) miterlebt haben.
Kurz: ARMADINGEN ist die Parallelhandlung zu ARMAGEDDON, das, was sich klein und unbemerkt im Hintergrund oder an der Seitenlinie oder eigentlich ganz woanders abspielt, während wir den großen Heldenabenteuern folgen. Allein diese Grundidee ist schlicht genial und schreit nach Fortsetzungen. Doch ob nun ein Biologielehrer im Allgäu den Kindern mühsam die Bläulinge aus AVATAR erklärt oder ein Pit-Stop-Mechaniker aus Lüdenscheid den TERMINATOR zu reparieren hat (nur die Geschichte vom Film-Nerd, der David Lynch entführt, gibt es leider schon, und zwar HIER): so lange das nur mit halb soviel herzenswarmen wie urkomischen Witz geschieht wird wie ARMADINGEN ist die Welt in Ordnung.
Keine große Erzählung, sondern eine Kurzgeschichte im besten Sinne, ein Ausschnitt aus dem Geschehen, der Wirklichkeit, ist
MAK (CH 2010) von Géraldine Zosso. Fast zu schön oder aber zu gut ist der 18-Minüter gedreht, und er berührt ungemein, seltsam intensiv, vielleicht weil er keine ausgeklügelte Story hat, keine Pointe, sondern nur zeigen, nichts erzählen will. Wie sehr dieser leichte und doch zugleich tiefe Film ganz Erleben und einfach für sich ist, zeigt sich, wenn man ihn „gegen“ das Programmheft hält. Dort steht:
„
Ilinka ist 14 Jahre als. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Tante hat sie vor einem Jahr ihre Heimat in Moldawien verlassen und ist in die Schweiz gegangen. Ilinka hat vor kurzem ein Kind geboren, aber die momentane Situation der drei Frauen ist schwer mit einem Neugeborenen zu vereinbaren. Ilinkas Mutter hat von einer Box gehört, in welche Babys gelegt werden können. Ein Abschied?“
Ja, so kann man Filme kaputt erklären und beschreiben. Hier allerdings nicht, dazu ist MAK zu stark und eigenständig. Und dumm jetzt, dass ich Ihnen das zugemutet habe. Aber: Dass Ilinka 14 ist, sieht man weder (Roxanna Delacroix in der Rolle mutet eher an wie 17, 18), noch spielt es eine Rolle. Dass und wann sie aus Moldawien gekommen ist, ist ebenso schnuppe, und die Tante hielt der Schreiber dieser Zeilen eigentlich für ihre Schwester. Tatsächlich sind Ilinka und ihre Mutter und Schwester (!) Illegale in der Schweiz; die junge Frau hat ein Baby, das soll weggeben werden. Geheimhaltung also, und die Frau Mama ist unwirsch, aber das ist verständlich: Ilinka soll sich nicht zu sehr ans Neugeborene gewöhnen; noch kann sie auch nicht recht mit dem Kleinen umgehen. Doch als sie mit Mama auf dem Weg ist, aus dem Bus aussteigen soll, bleibt Ilinka mit dem Kind zurück – winkend läuft die Mutter nebenher.
Einen Tag verbringt die junge mittellose Frau mit dem Winzling, es passiert nicht viel und genau deshalb: alles. Von Anfang bis zum Ende besteht MAK aus Stimmung, aus Zwischentönen, aus lauter Geschichten hinter dem offensichtlichen und unspektakulären Geschehen. Es ist fast schon ein Affront, diese Beiläufigkeit, und MAK ein sehr ernster, aber nicht schwerer Film, in dem Spiel und Buch, Kamera und das warme zärtliche tongenaue Licht genau abgestimmt sind. Das Ergebnis ist ein ungeheuerlich alltäglicher Ausschnitt aus einem Dasein, wie man es selten sieht und das einem arg und unaufdringlich zu Herzen geht.
Ganz anders und doch ähnlich, zumindest in der Souveränität der Inszenierung, der Ästhetik, ist
RAJU (D 2010) von Max Zähle. RAJU ist keine Momentaufnahme, sondern ein kleiner Spielfilm, ausgeklügelt, genau komponiert, man merkt, wie die Geschichte von vorne bis hinten zum Langfilm strebt – auch wenn sie nicht so angelegt ist, sich dahingehend aufspielt. Aber das Potential, die Kraft hat der kurze Lange, auch seine Darsteller: Wotan Wilke Möhring und Julia Richter spielen die Hauptrollen, und gerade bei Möhring fragt man sich einmal mehr, wann der Mann so groß rauskommt, wie es ihm gebührt.
Möhring und Richter spielen ein deutsches Paar, das nach Kalkutta reist. Die Stadt wird ausgestellt, und zwar genau richtig, nicht allzu exotisch, nicht zu sozial-depressiv. Die beiden sind mehr als „nur“ Tourist und wenig genug um nicht „Besucher“ zu sein; der Kamerablick, den Zähle auf diesen schwülen Moloch wirft, in dem sich die Zeiten mehr zu vermischen scheinen als in den großen Metropolen Mumbai oder Delhi, ist dahingehend unglaublich authentisch in dieser halben unwohlen Distanz. Jan und Sarah (zwei typische Filmhochschülerfigurennamen) staunen mit großen Augen, aber sie kommen für einen bestimmten Zweck: In einem Waisenhaus (Stichwort: Mutter Theresa) holen sie sich ihren Nachwuchs ab, den sie selbst nicht in die Welt setzen können: den kleinen, titelgebenden Raju, ein süßer, dank Silberblick aber gottlob nicht allzu zu süßer Bub. Dann: Sarah bleibt im Hotel, macht einen Schwangerschaftstest. Schon denkt der phantasiebegabte Rezensent und Möchtegern-Drehbuchautor in spe: Schwanger ist sie, die Deutsche, jetzt doch, Gottes Hand hat schicksalsmächtig in ihren Uterus gefingert und da zur Unzeit die Wünsche der Wunscheltern war gemacht, jetzt haben sie den kleinen Bengel am Halb. Von wegen!: RAJU nimmt eine andere Wendung, denn Jan kommt der neue Sprössling, dem in Deutschland ein besseres Leben droht, von einer auf die andere Sekunde abhanden. Was dann folgt ist schönste, kleine und auch hier ganz unspektakuläre Thriller-Drama-Kunst, von der leider leider nun wirklich nicht verraten sei. Aber – Obacht! Dreifacher Floskelalarm –: “““Jan entdeckt ein finsteres Geheimnis“““ . Aber Ironie beiseite: RAJU weiß zu packen, sein dramatisches Potential mustergültig zu nutzen, ohne es zu strapazieren und liefert ein kluges, ein wenig auch überraschendes Ende, an dem mananknüpfen kann – und es als Zuschauer wirklich gerne täte.
AUF WIEDERSEHEN PAPA (D 2010) ist kein Plottwist-Film, schlägt jedoch so einige Haken, die einem nicht von selbigem lassen.
Ok, das war jetzt wirklich gar zu wüst, also noch mal:
Sandra Nedeleff präsentiert mit
AUF WIEDERSEHEN PAPA (D 2010) eine finten- oder eher wendungsreiche Geschichte, die von ihrer kleinen großäugigen Hauptdarstellerin Lucy Ella von Scheelen (leider kein Name, wie ihn sich Filmhochschüler gerne auszudenken belieben) erstaunlich mühelos getragen wird. Ein Familiendrama, mutmaßt man seufzend, als über der 6-jährigen Charlie die Notenblätter und sonstige Utensilien ihres Vaters herabregnen, während sie mit ihrer Freundin im Vorgarten spielt. Denn Mama schmeißt Papa aus dem Haus, er hat eine andere – eine Neue. Versteht Charlie natürlich nicht so recht, schon gar nicht nach den Halb- oder Gar-Nicht-Erklär-Versuchen der Erwachsenen. Papa zieht aus, wird von Mama gehasst, liebt aber Charlie. Mama ist tief verwundet und erklärt ihrer Charlie abends im Bett, inspiriert und entlang der Geschichte von Schneewittchen, dass Papa von einer bösen Zauberin verhext sei. Was so genial Mamas Seelenzustand beschreibt und ein Handlungsgeschehen in Gang setzt, eine Konstellation auftut, wie sie sich Sophokles gewünscht, nicht aber hat träumen lassen. Man sieht den alten Griechen, zusammen mit Shakespeare, begeistert auf und ab hüpfend, tanzend, hätten sie solche modernen Familienverhältnisse als dramatische, tragödische Verfügungsmasse vor sich gehabt. Denn Charlie nimmt die Mama ein bisschen zu ernst.
Es ist aber gar nicht mal das clevere Drehbuch, das bewundernswert mühelos zwischen Ehedrama, Kindermär und, ja nun, kleinem Husarenstück in Sachen Suspense changiert, sondern der Umstand, dass und wie AUF WIEDERSEHEN PAPA diese Qualität erstaunlich stabil in der Kinderperspektive hält und dem Zuschauer gerade vermittels dieser Perspektive (und also darüber hinaus) einen tragischen und lustvoll perfiden anteilnahmsvollen Blick überhaupt erst ermöglicht.
Schließlich:
ANNA (D 2010). Von Ugur Kurkut, mit Sybille Prätsch und Max Woelky, vor allem aber mit: Sybille Prätsch. Dummerweise habe ich just die Aufzeichnung von der „Befragung“ des Filmgesprächs in Lolas Bistro, den traditionellen After-Hour-Talks des Festivals in der SR-Mediathek gefunden. Das Gespräch geht praktisch doppelt so lange wie der Film selbst und nimmt mir einige schöne Einlassungen weg, zerredet diesen kleinen lustvoll sinisteren Film freilich auch. Sehenswert ist das allemal: Moderator Oliver Hottong befragt Kurkut, hat das Gefühl „dass der Film ihm Böses wolle“. Zuvor noch – nicht ganz so vortrefflich formuliert: „Würdet ihr mir zustimmen wenn ich sage, dieses ist im Wortsinne eine böser Film?“ – Schweigen, dann, Kurkut: „Was meinst du demn mit böse?“ Antwort: (…) „Der macht mir was Böses.“ Phantastisch! Noch besser Kurkuts Antwort: „Dann ist er gelungen“. Spricht’s und lacht freundlich.
Allerdings: Wie dereinst Sofia Coppola bei LOST IN TRANSLATION (ok, auch wieder so ein wüster Vergleich; wobei Frau Prätsch durchaus äußerlich etwas von Frau Coppola hat, aber von Frau Prätsch schwärme ich unten noch mehr) wissen Regisseur und die beiden, die einzigen Darsteller sich den klugscheißenden Fragen Hottongs („Staffelhölzchen der Identifikationsfigur“, „… schauspielerisch gaaanz wichtiger Moment“) auf einnehmende Weise nicht zu wehren, ihrem eigenen Film nur hinterher zu reden, derweil dieser kleine, gemeine Lump ein Eigenleben ganz für sich beansprucht. Hätte ANNA neben dem Moderator mit am Tisch gesessen, er hätte den eloquenten, souveränen Glatzkopf längst gefressen, mit Haut und – na ja – Haaren. Und gerülpst.
Durchaus, ANNA ist ein kleiner, schneller oder zumindest kurzer, ein einfach und nett bitterböser Film – für mich der liebste in dieser ganzen Festivalschiene, und noch immer muss ich grinsen, wenn auch nicht mehr laut lachen vor diabolischer Wonne wie direkt beim Anschauen. Acht Minuten dauert er, gefühlte fünf, und eigentlich nichts allzu besonderes. Bloß: Kompakt und gelungen, unangestrengt, aus dem Ärmel geschüttelt. Er nimmt einen mit, ehe man es merkt, spielt mit den Mitteln des Mediums wie sonst kaum ein Film des Wettbewerbs.
Aber um was geht’s? Stefan (Woelky) spricht in die Kamera, ein Botschaft an einen unsichtbaren (imaginären?) Freund: Er habe, erklärt er, eine „Neue“ kennengelernt, Anna heißt sie, und Stefan schwärmt, von ihren kleinen Eigenheiten, von ihrer Katze, spielt Aufnahmen von ihr ein – und spätestens hier wird schon klar, wohin der Haase läuft; gehässig fängt man an, sich zu amüsieren. Heute Abend, so Stefan, ist es soweit, da will er ihr einen Antrag machen. Oder sowas. Hach, es kann ganz simple, ganz unspektakulär und umso effektiv sein, das Unterhalten. Manchmal ist weniger eben doch mehr. ANNA ist jedenfalls ein Film, den man sich vielleicht mehrmals anschauen möchte. Meint Kurkut im MOP-Gespräch. Durchaus. Und: Chapeau!
Ansonsten bleibt Sybille Prätsch in ihrer Kleinrolle hängen. Warum, lässt sich auf eine durchaus faszinierende Weise schlecht sagen. Blaue, schmale Augen, hohe Wangenknochen, ein betörender, selten ausdrucksstarker Mund. Verwundern würde es, wenn wir sie ihn Zukunft nicht mehr und in breit gefächerten Rollen sehen würden. Schade wäre es auf jeden Fall, wenn dem nicht so wäre.
„In den letzten 30 wird’s dann handgreiflich“, sagt sie, im SR-Gespräch zum MOP. Welches
HIER anzuschauen ist.
Und weil es von ANNA auf dem MOP-Presseserver kein direktes Bild gibt (falsch verlinkt), gibt es hier eben eines von Frau Prätsch, von ihrer
Agenturseite, wobei ich hoffe, dass diese nichts dagegen hat...
Bernd ZywietzP.S.: Screenshot trägt sich mit dem Gedanken, Ende des Jahres einen Jahres-Reader zum deutschen Film zu veröffentlichen. Wenn Sie dazu Meinungen oder Anregungen haben, schicken Sie uns diese einfach: redaktion(at)creenshot-online.com