MOP 2011: DER ALBANER


Schon beim 32. Internationalen Filmfestival in Moskau hat Johannes Naber mit DER ALBANER (D/ALB 2010) zwei Preise – dem „zweiten“ Platz und einer Auszeichnung für den Hauptdarsteller Nik Xhelilaj – gewonnen. Beim ebenfalls 32. Filmfestival in Saarbrücken erhielt er nun die Hauptauszeichnung, den Max Ophüls Preis. Nicht leicht ist die Entscheidung der Jury gefallen, wie auch die zwei zusätzlichen lobenden Erwähnungen und der Spezialpreis zeigen. Warum also DER ALBANER?

Warum eigentlich nicht? Na ja, ein wenig ist man wirklich ein wenig überrascht wie von der Goldenen Palme für Ken Loach und seinem Film THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY 2006 in Cannes. Der hatte sich gegen Iñárritus konfusem aber hochgelobten BABEL, del Toros überschätztem PANS LABYRINTH oder Almodóvars VOLVER durchgesetzt. Ähnlich – und doch ganz anders – war es in Saarbrücken. Doch was brachte die Entscheidung? Haben sich die Juroren einfach den ersten Film ausgedeutet, den sie gesehen haben? Schließlich gewann als bester Kurzfilm BETWEEN HEAVEN AND EARTH von York-Fabian Raabe, der bei aller Qualität leider nicht ganz so überzeugen konnte wie andere Beiträge in dieses Sparte – und der wie DER ALBANER am Dienstagfrüh als die ersten Wettbewerbsbeiträge das „Schaulaufen“ eröffneten.

Nein, so simpel urteilte die Jury natürlich nicht. DER ALBANER stach, blickt man so zurück, durch eine verblüffende Schnörkellosigkeit heraus, eine Sachlichkeit, die nicht unkünstlerisch war, die aber vielleicht den „rundesten“ und punktgenausten Film des Wettbewerbs hervorbrachte – zumindest einen, der sich ganz auf sein Thema und ein Anliegen konzentrierte, das so (auch darin liegt seine Güte) ein solches wiederum gar nicht war und ist.

DER ALBANER erzählt die Geschichte von Arben (Xhelilaj), der mit seiner Familie in einem albanischen Dorf in den Bergen lebt. Zu Beginn des Films kommen er, sein Bruder und Onkel aus Griechenland zurück. Dort haben sie als Gastarbeiter ein wenig Geld zusammengeschuftet, doch das langt hinten und vorne nicht in ihrer Familienhütte in den steinigen Bergen, um die herum die Moderne Einzug hält und wo eine seltsame Mittelzeit zwischen Gestern und Heute herrscht: Im Dorf drunten trinkt man sich einen und denkt sich nicht viel. Die die es zu etwas gebracht haben, fahren dick(ere) Autos, und in Deutschland, ja, da kann man richtig Geld verdienen, heißt es. Arbens Bruder steht auf Rap, darf in der Stadt zur Schule gehen. Und Arben? Der hat anderes im Sinn: die schöne, Etleva (Xhejlane Terbunja) vom Nachbarbauernhof (was in der Ödnis in Sachen Entfernung nicht viel sagt). Auch Etleva liebt Arben, und so treffen sie sich heimlich, denn bei aller Westlichkeit besteht noch das Gesetz der Familienehre, der Blutrache, da wird die Tochter als Gut betrachtet. So gerät Arben in die Bredouille, als Etleva schwanger wird. Schnell muss Geld her, damit er sie auslösen und heiraten kann, sie, die als in ihrer Familie nun nichts zu lachen hat.



Arben macht sich auf nach Deutschland, als Illegaler – und jetzt fängt der Film eigentlich erst an, könnte man meinen, doch das stimmt nicht, denn wie stark die Kontraste zwischen albanischer Provinz und Berlin auch sein mögen, erzählerisch kommt das eine nicht ohne das andere aus; die eine Welt ist immer schon in der anderen enthalten oder zumindest angelegt. Ja, Arben ist ein einfacher ökonomischer Flüchtling, kein politisch Verfolgter, er will von Deutschland nur eines: Geld, für daheim, für daheim. Selten plötzlich hat auch diese Motivation ihr eigenes Recht, eines, das sich nicht um wohlfeile politische Abwägungen schert. Arben wird ausgebeutet, lernt einen Serben kennen, der krank ist, dann sein Freund und Kollege wird; mit ihm zusammen gerät Arben auf die „schiefe“ Bahn, hilft beim Menschenschmuggel über die grüne polnische Grenze, hält Kontakt mit seinen Bruder, einem Hallodri, per Skype – Bescheid soll der sagen, Arben kommt bald. Etleva hat er das versprochen: Bei der Geburt ihres Kindes will er dabei zu sein.

Das klingt nach großem Sozial-, nach Melodrama, aber DER ALBANER verweigert sich den Extremen auf bewundernswerte Weise. Wir fühlen mit Arben, aber wir bemitleiden ihn nicht. Er ist ein Mann mit einer Mission, einer, der für seine Ehre, seine Liebe, seine Zukunft kämpft, ohne recht zu wissen, was das eigentlich ist, und wir bewundern ihn sogar dabei. Nie aber verführt uns Naber und sein vorzüglicher Schauspieler, der seinen Arben zwischen Bestimmtheit und Verzweiflung pendeln lässt, die Hauptfigur als universelle Leidensfigur oder politisches Exempel emotional zu vereinnahmen – geschweige denn dass der Film es selbst tut, dass er mehr erzählt als eine individuelle Geschichte, die Allgemeingültiges fasst, aber nie die Sympathie zu weit treibt oder zur Anklage gegen irgendwelche „Verhältnisse“ verkommt. Arben arrangiert sich, in einer Welt, in der jeder schaut, wo er bleibt, und für Gut-Böse-Schwarz-Weiß bleibt in dem zurückhaltenden, ganz zweckdienlich und zugleich vorzüglich, so selbstlos wie vorzüglich gedrehten Film weder Zeit, noch Platz. Schließlich geht es ums blanke Leben. So einfach ist das.



Naber spart sich Klischees, und wenn doch mal ein Stereotyp aufzuschimmern droht, dann weil es das einer Welt ist, die so ist, wie sie ist. Nette, fürsorgliche Deutsche und Leute, die hierzulande „angekommen“ sind (wenn auch ich Halbschatten) trifft Arben, arbeitet für drei Euro die Stunde, putzt Klos, lügt, als er von seinem Job berichtet, aber das ist okay für ihn. Allerdings wird die Zeit knapp. So macht sich Arben die Finger erst ein wenig schmutzig, dann, schließlich blutig, trotzdem: man verdenkt es ihm als Zuschauer nicht.

Am Ende kommt es nicht ganz dick; ganz konsequent bleibt Naber auch hier fast aufreizend hinter seinen melodramatischen Möglichkeiten zurück, spielt nicht mit den großen Schicksalsschlägen und dem Unheil, sondern bleibt bei einer durchs Individuum formbaren Gleichgültigkeit des eigenen Glücks und damit viel wirkungsvoller in seiner stillen unaufgeregten Konsequenz: Arben ist am Ende Gewinner und Verlierer zugleich, und das eine wegen dem anderen, aber auch das stimmt nicht ganz, denn der Arben, der weggegangen ist, ist nicht mehr der, der am Ende zurückkommt. Alles verändert sich, und nichts ist „schuld“ daran. Das ist die große, erstaunlich ein- und unaufdringliche Lektion von DER ALBANER – einem Film, der von der Relativität, von Fremde und Heimat, von Wünschen und Träumen, aber eben auch von Menschen, ihrem Wesen und ihren Beziehungen so eindrucksvoll und mit geschicktem Wahl von Sujet und Handlungsorten berichtet, dass man glatt glauben könnte, es handele sich einfach nur um eine Drama über illegale Arbeitsemigranten. Aber das ist DER ALBANER ebenso wenig wie DER PATE lediglich ein Film ist über Italiener und Verbrecher.

(zyw)