Grindhouse Double Feature, 12. November 2022, Cinema Quadrat Mannheim:
„Zeder – Denn Tote kehren wieder“ / „Zeder“, Italien 1983, Regie: Pupi Avati
„Männer wie Tiger“ / „Terminal Island“, USA 1973, Regie: Stephanie Rothman
1956, Chartres: Ein unheimliches Haus, eine alte Frau, die zu Besuch kommt, auf dem Torbogen wackelt ein Blumentopf, ein Hüne taucht auf… – Polizei, die Frau ist tot, schon wieder eine Leiche. Der Kommissar und Meyer – ist er Polizist, Arzt, Medium, Exorzist? – untersuchen das Haus, ein junges Mädchen wird als Köder genommen für die unheimliche Entität, die hier spukt, im Keller findet das Mädchen die Stelle, wo es zu graben gilt, da wird sie von dem Wesen gefasst… – im Keller findet die Polizei Knochen, das Mädchen überlebt, ihr Bein muss amputiert werden,
Bologna, heute, ein Schriftsteller bekommt zum Hochzeitstag eine tolle neue elektrische Olivetti-Schreibmaschine, seine Frau hat sie aus dem Pfandhaus. Der Sex zwischen den beiden ist durchaus geschmackvoll und zurückhaltend inszeniert; dann steht Stefano auf, er will noch schreiben. Und findet auf dem alten Farbband der Maschine unglaubliche Sätze, merkwürdige Notizen, es geht um K-Gebiete, um Wiederbelebung… Ein alter Freund, Professor für alles mögliche, hat ein Faible für das Übernatürliche und gibt Ratschläge; ein anderer Freund, Polizist, verspricht zu ermitteln; ein Priester stellt sich als falsch heraus, er hat sich getarnt, das Farbband gegriffen. In Chartres ist Meyer noch immer zugange, mit Gabriella, die nur noch ein Bein hat, sie stöbern in den Archiven, erhalten Rückendeckung von ganz oben.
Man sollte meinen, dass italienische Untoten-Filme aus den 80ern nur eine Richtung kennen. Pupi Avati geht mit „Zeder“ genau den anderen Weg. Er baut seinen Film langsam, aber zielgenau auf, atmosphärisch errichtet er ein Gebilde von unheimlicher Kraft, in dem Verschwörung und Jenseits und Ermittlung und tödliche Gefahr sich umschlingen. Er baut mit diesem Film einen tollen Horrormythos auf: K-Gebiete, das sind Gegenden, von denen die Menschen seit Urzeiten ahnen, dass hier Tore geöffnet werden können – sie sind verbunden mit den Orakeln der Antike, bestimmte klimatische Bedingungen, bestimmte Bodenbeschaffenheiten führen dazu, dass Tote hier wiederauferstehen können. Paolo Zeder hat dies damals erforscht, seine Erkenntnisse werden weitergereicht, Meyer und Gabriella haben sich ihnen verschrieben. Über eine alte Schreibmaschine wird Stefano dummerweise zum Mitwisser. Die Spur führt über einen jüngst verstorbenen Priester zu einer Hotelruine; Stefano macht mit Freundin Allessandra einen Ausflug in die Provinz, dort hatte der Priester bei seiner Schwester gewohnt. Die ist blind, es ist alles sehr merkwürdig, ein dicklicher Glatzkopf taucht immer wieder auf, er führt die Schwester zum Friedhof, lässt sie an einem Grab beten, aber dies ist nicht das Grab des Bruders. Der liegt ganz woanders, in einer Gruft, aber auch dort ist sein Grab leer…
Stefano streitet mit Allessandra. Er steigt in einem Motel gegenüber der ominösen Hotelruine ab. Dort scheint eines der stärksten K-Gebiete zu sein; hier haben die Untoten-Forscher allerhand Überwachungs-Equipment eingerichtet, hier liegt irgendwo der Priester begraben; ein anderer Geistlicher ist ebenfalls auf der Spur des Untoten-Geheimnisses. Aber leider bald selbst tot. Denn offenbar: Wer aus dem Totenreich erwacht, ist nicht mehr zu bändigen…
Der Film ist äußerst seltsam – und deshalb unbedingt sehenswert. Irgendwie scheint nicht alles zusammenzupassen; aber das mag auch daran liegen, dass die Geheimnisse der K-Gebiete, die Forschungsergebnisse von Paolo Zeder schlicht noch nicht wieder erkennbar sind, uns Sterblichen. Regisseur Avati legt wert auf seine Charaktere, auf die Interaktion zwischen ihnen, und hat zugleich ein genaues Gespür dafür, nicht zuviel zu offenbaren, so dass die Zusammenhänge für die Figuren wie für den Zuschauer nicht zu früh, nicht zu spät klar werden. Perfektes Informationsmanagment!
Das Unheimlichste im Film aber, das hat Avati gar nicht beabsichtigt. Der Priester nämlich, der verstorben ist, aber nicht tot bleibt, der hat eine besondere Beziehung zu diesem Ort, der heute verfallen ist: Die moderne Ruine war früher ein Ferienheim, dort ist er jeden Sommer mit einer Horde Kinder zur Erholung hingefahren. Und das kommt – ungewollt – in Stefanos Ermittlungen derart schmierig rüber, dass der Film nicht nur okkultwissenschaftlich, sondern auch kirchenpolitisch schmerzhaft visionär wirkt.
Einen Blick in die (nähere) Zukunft wirft „Terminal Island“; es geht um den Strafvollzug in den USA. Dort wurde nämlich jüngst die Todesstrafe abgeschafft und durch lebenslange Verbannung auf eine Insel ersetzt. Zu Anfang wird das sehr schön erklärt, wir befinden uns nämlich im Regieraum einer Nachrichtensendung, wo en paar Vox Populi-Clips geschaut werden. Hier wurden tatsächliche Straßenumfragen mit tatsächlichen Passanten durchgeführt, die tatsächliche Antworten pro und contra – vor allem pro – Todesstrafe abgeben. Dann werden dem TV-News-Redakteur noch per Foto die aktuellen Terminal Island-Insassen vorgestellt, der Zuschauer sieht mit einem Blick: Tom Selleck ist darunter, mit seinem Marken-Schnurrbart!
Auf der Insel dann muss man erstmal suchen, bzw. hinter den Achttagebart schauen, um Selleck zu entdecken, der hier in einer frühen Rolle den nettesten unter den Killern spielt, die auf dieser Insel sich selbst überlassen sind. Natürlich, wie es ist unter Mördern, gibt es ein Hauen und Stechen, weil alle sehr verroht sind. Das ist ja durchaus auch im Sinne von Regierung und Justiz; wer hierher gebracht wird, für den ist schon der Totenschein ausgefüllt, weil es ein Zurück in die Gesellschaft nicht mehr geben wird. Aber natürlich ist das Abschieben auf die abgeschiedene Insel viel humaner als die legale Tötung, und billiger noch dazu.
Stephanie Rothman führt Regie, eine Frau, das ist ja in der Grindhouse-Sparte eine Seltenheit; und
anders als bei Doris Wishman, die halt die Nackedeis runterfilmt, könnte man bei Rothman tatsächlich einen bestimmten Touch im männlich dominierten Genre finden: So, wie das Verhältnis zwischen dem Mörder-Obermotz und seiner rechten Hand ist…: bei aller Rauheit doch sehr liebevoll – welche Blicke sie sich gegenseitig zuwerfen! Und wie sehr das Quälen der anderen, vor allem der Frauen, für sie so eine Art Aphrodisiakum darstellt! Die meisten der Verbannten haben sich zwangsläufig zu einer Gemeinschaft zusammengefunden, ein provisorisches Dorf aufgebaut, der Führer befiehlt, alle folgen; die drei, vier Frauen sind das Wertvollste, das sie haben. Dennoch müssen die Weiber tagsüber ackern, nachts stehen sie den Männern zur Verfügung, zwangsweise.
Es gibt Rebellen, die haben sich abgesetzt, zu ihnen fliehen die Frauen des Dorfes, sie machen sich
daran, das Mörderfaschoregime auszuschalten, gegen jede Chance, man hat ja nichts zu verlieren… Rothman, das ist die ganze Zeit über deutlich, will einen Punkt setzen in der Debatte um Strafjustiz und Todesstrafe, die in den 70ern in den USA, man glaubt es heute kaum, auf der Kippe stand und beinahe abgeschafft wurde. Rothmans Argumentation ist ein hehres Ziel, und sie gelingt auch durchaus, aber eben nicht durchweg. Immer wieder muss der Film, weil er halt einer dieser Filme ist, abweichen vom subtextuellen Diskurs und entweder Gewalt zeigen oder Sex oder zumindest nackte Frauen oder auch mal einen Gag, oder alles zusammen. Bei den Rebellen ist einer, der sich unverhohlen an eine der Damen ranmacht, und sie rächt sich, zeigt sich ihm nackt beim Baden, verführt ihn, und zwar sehr lecker-kulinarisch schmiert sie ihn mit Honig ein, gar mit Gelée Royale, untenrum, ihr wisst schon, dann soll er sich drehen, und sie schmiert ihn auch noch unten-hintenrum ein; dies knapp außerhalb des Bildrandes, aber pervers genug. Zumal sie dann am Baumstamm rüttelt, in dem die Bienen wohnen, und die stechen den Möchtegernstecher…!
„Terminal Island“ fügt sich ein in eine gewissen Tradition, die auch, beispielsweise, Peter Watkins’ „Punishment Park“ oder Norman Jewisons „Rollerball“ umfasst oder, eher hier in unserem Grindhouse-Bereich, Paul Bartels „Frankensteins Todesrennen“/„Death Race 2000“ – Filme, die in Actionform und durchaus kunstvoll gesellschaftliche Diskurse und Umstände in eine todesspielerische Vision interpolieren, irgendwo Science Fiction, weil noch nicht Realität, aber gesellschaftskritisch und -realistisch so verankert, dass Relevanz durchscheint, auch bei möglicher direkter Reiz-Reaktion-Inszenierung an der Oberfläche.
Stephanie Rothman tanzt auf der Klinge zwischen Haltung und Absturz, hält aber die Balance. Und gibt nebenbei ein bisschen anschaulichen Chemieunterricht: Ein bestimmter Stein, doziert eine der Mörderinnen (die ja nicht ungebildet sein müssen, ganz im Gegenteil!), der besteht fast nur aus Kaliumnitrat! Und Holzkohle haben sie auch. Und der Wilde Senf, der überall wächst: Die Blüten enthalten Schwefel. Und in einer Mischung aus McGyver und Hobbythek ist aus der Natur Schwarzpulver hergestellt, in Trinkflaschen gefüllt als Handgranate verwendbar. Ein Riesenvorteil gegen das Faschodorf, und Garant für eine doll explosive Schlacht zum Finale.
Harald Mühlbeyer