Grindhouse Double Feature, Samstag, 17. September 2022, Cinema Quadrat, Mannheim:
„The Last Horror Film“ / „Fanatic“ / „Fanatical Extreme“ / „Love to Kill“ / „Maniac 2 – Love to Kill“, USA 1982, Regie: David Winters
„For Y’ur Height Only“ / „Agent 003 ½ in geheimer Mission“ / „Dead Mission – Tödliche Mission“, Philippinen 1981, Regie: Eddie Nicart
Der Anfang wie ein schlechter Horrorfilm. Einer mit einem
langen Messer im Schatten, eine Frau stelzt zum Whirlpool, lässt alle Hüllen
fallen, es ist Nacht, sie räkelt sich, der Killer nähert sich, im Pool streckt
die Dame das Bein kerzengerade in die Luft, ist es Erotik oder Aerobik? Der
Killer benutzt sein Messer – nicht zum Schlitzen, nein, sondern um ein Kabel
durchzutrennen, das er dann dem Pool entgegenschiebt, es schlängelt sich heran,
Starkstrom!
Es ist ein Film, den sich Vinny im Kino ansieht, er geht total mit, „Weirdo“ ranzt ihn ein anderer Zuschauer an. Damit hat er es getroffen, Vinny ist ein Spinner, ein Filmfan auf höchster Irrenstufe. Er ist vernarrt in die Darstellerin Jana Bates, Königin des Horror, will mit ihr einen Film drehen, muss aber sein Geld als Taxler in New York verdienen. Naja, verdienen: Er liest ein Filmfanmagazin, lässt sich von herumlungernden Herumlungerern dumm anmachen, kann die eigene Mama nicht von seinem Traum, von seinem Ziel überzeugen, einen Film mit Ms. Bates zu drehen. Aber er verfolgt seinen Traum, bis nach Südfrankreich, bis nach Cannes zu den Filmfestspielen. Wo Bates’ neuester Reißer im Wettbewerb zu sehen ist.
Ein bisschen New York, und ganz viel Cannes: „The Last Horror Film“ ist ein
unglaubliches Stück Metakino – vergleichbar mit Bigas Lunas „Angustia“ / ImAugenblick der Angst“
ein Paar Jahre später. Schauplatz ist das größte und glamouröseste Filmfestival
der Welt, hier treibt sich Vinny rum auf der Suche nach Jana Bates, nach einem
Zugang zu ihr, um ihr sein Drehbuch pitchen zu können. Wobei er nicht planvoll
vorgeht, auch gar nicht weiß, was „pitchen“ ist, dafür ist er zu sehr „weirdo“.
Mit seinen strähnigen Haaren und dem starren Blick sieht er genau aus wie der
nerdige Soziopath, der er ist, und vor dem alle zurückweichen. Jetzt ist es
aber so, dass Ms. Bates ihren Ex-Mann in dessen Hotel-Badezimmer mit
abgetrenntem Kopf findet. Dass ihr Produzent draufgeht. Dass ihr Regisseur
draufgeht. Dass sie selbst auch diese Notiz erhalten hat: Dies ist dein letzter
Horror-Film! Und dass all die Mord-Untaten mit einer Videokamera mitgefilmt
werden. Weil irgendwer einen ganz scheußlich perversen Horror-Snuff drehen
will, ganz offensichtlich!
Im Hintergrund laufen ständig, kommentierend, Radio- und TV-Berichte über die Attentate auf Papst Johannes Paul II. und auf US-Präsident Ronald Reagan, die im Frühjahr 1981 innerhalb weniger Wochen erfolgt sind - letzteres durch einen fanatischen Jodie-Foster-Fan, ein irrer Stalker, der im Leben allzu untergebuttert war, als dass er leben könnte, ohne dass Foster von ihm wissen würde... Parallelen zu unserem seltsamen Helden in diesem Film nicht ausgeschlossen.
Dass Frau Bates Bates heißt, kommt nicht von ungefähr in
Zusammenhang mit Psycho und Serienkiller; dass das Ganze in Cannes spielt, gibt
dem Film einen krassen Impuls Richtung Pep und Raffinesse. Regisseur David
Winters versteht sein Handwerk, dabei kommt er eigentlich von der Musik, hat in
der „West Side Story“ mitgespielt, hat Elvis, Raquel Welch und Alice Cooper
choreografiert – geradezu tänzerisch, sprich: leichtfüßig und trittsicher, geht
er auch mit seinem Film und dessen vielen verschiedenen Ebenen um: Filmfan,
Filmstar, Filmdreh, Filmvorführung, Filmfestival – und Footage vom echten
Cannes-Fest 1981, perfekt verbunden mit den Szenen des irren Vinny, der sich
als Regisseur eräumt, der auch träumt, wie er von sich selbst als
Dandyproduzent heruntergeputzt wird, der von all den Toten träumt, die ihn
verhöhnen, und der es umso mehr allen zeigen will! Mitten in Cannes gefilmt,
mutmaßlich Guerilla-Style, sichtlich wissen die Umstehenden am roten Teppich
oder auf dem Filmmarkt nicht, dass hier ein echter Kinofilm gedreht wurde –
schließlich ist es normal, dass Leute mit Kamera rumstromern. Dieses
dokumentarische Material, aufgepeppt mit den inszenierten Darstellern, die die
fiktive Filmhandlung ins reale Filmfestival injizieren, wird perfekt gematcht
mit der reinen Inszenierung um Vinny, um Jana, um die Morde.
Wobei das Reinrutschen von Fiktion in reales Setting noch weiter geht als Underground-Filmen in Cannes: Vinnies Wohnung in New York ist die echte Wohnung von Darsteller Joe Spinell, die Mutter ist seine echte Mama – Filomena Spagnuolo heißt sie, wurde für den Saturn-Award nominiert.
Lustig ist der Film auch; absichtlich lustig. Die Kamera
überwindet die Tür zum Jury-Screeningraum, dort wieder einmal eine
Horror-Szene, wie es ja im offiziellen Cannes-Programm üblich ist, und die Juroren
murmeln die ganze Zeit anerkennend vor sich hin, wie wunderbar diese Jana doch
ist; dementsprechend wird auf dem Auswahlzettel sie angekreuzt, nicht Jane
Fonda, Faye Dunaway oder Julie Andrews! Und Joe Spinell ist sowieso der Hammer,
spielt ganz straight und weiß dabei genau, wie schräg das alles ist, spielt
wunderbar den Irren, der unter Dampf steht, und findet das augenscheinlich
gleichzeitig irre komisch – was er aber zugleich beiseite wischt. In seiner
Wohnung (in seiner Wohnung) hängt ein
großes, enorm großes Porträtfoto von ihm aus Coppolas „Pate“, wo er eine kleine
Rolle hatte. In Cannes wohnt er über einem der Filmmarkt-Screeningkinos, dort
läuft sowohl Claude Lelouchs „Les uns et les autres“ / „Ein jeglicher wird
seinen Lohn empfangen“ als auch „Cannibal Holocaust“.
Und der Eingang zum Hotel, in dem Filmstar Jana Bates wohnt, ist groß umpflastert mit Werbung für den neuen Bond „For Your Eyes Only“.
Dass der zweite Film des Abends „For Y’ur Height Only“
heißt, ist kein Zufall, und es ist auch kein Ranschmeißen an die
Bond-Filmserie, sondern eine der lustigsten 007-Parodien. Und was habe ich mich
gefreut! Der Film lief schon mal in der Grindhouse-Reihe, im Januar 2008, am
vierten Grindhouse-Abend überhaupt, da hatte ich ihn gesehen und immer wieder liebevoll
drangedacht! Wie könnte man den Film vergessen. Geht es doch schließlich um
einen Neutronenbombenwissenschaftler, der von „The Giant“ entführt wird, und um
eine junge Frau, die glaub ich Erika heißt oder vielleicht Lola, und die vom
Gangstersyndikat zur Prostitution gezwungen werden soll! Aber auf der anderen
Seite, auf der guten Seite, da steht Agent 00, und der rettet sie, und
irgendwie ist er auch dem Wissenschaftler auf der Spur, ohne eigentlich
tatsächlich von dessen Entführung so richtig zu wissen. Gespielt wird er von
Weng Weng auf ganz unnachahmliche Weise, mit Schnelligkeit und Verve, mit
Charme und Schlag bei den Frauen, und immer mit dem Finger am Abzug. Weng Weng
ist ungefähr 80 Zentimeter groß.
Das ist irre komisch! Weil der Film all die Zutaten für
einen Bondfilm und für eine Bondfigur nimmt, und sie auch ernst nimmt, aber
einem Kleinwüchsigen auferlegt. Und zwar, ohne sich über diesen lustig zu
machen, vielmehr wird über diesen sich über Bond lustig gemacht, über das ganze
künstliche Setting, über die Über-Männlichkeit und die Über-Bösewichter und
über die Über-Wichtigkeit von Bond 007 als Figur im Film wie auch der Filme
überhaupt, die meinen, sie seien der Nabel der Kinowelt!
Mit Roger Moore war die Reihe ja schon – und zwar überfälligerweise – in den Status der Selbstparodie gerutscht, auf geradezu geniale Weise ohne sich selbst zu verraten. Und hier kommt nun der Zwerg und stellt all dem ein Bein! Wo man doch meinen könnte, wenn Moore als 007 so ironisch daherkommt, dann kann man das nicht mehr wirklich persiflieren. Kann man wohl. Warum nicht? Man muss es nur richtig anpacken.
Regisseur Eddie Nicart inszeniert Verfolgungsjagden und
Schießereien und Schäferstündchen, als wäre das alles ein echter
Action-Agentenblockbuster. Nur eben heruntergedampft, weil auf den Philippinen
das Handwerk und die Produktionswerte und natürlich auch das Budget doch eher
im unteren Bereich liegen. Dennoch könnte das ganze fast ernst sein, fast als
Bondploitation geplant gewesen sein; aber dann taucht Agent 00 um die Ecke,
geht den begehrenswerten Damen knapp übers Knie und kriegt sie alle, so wie er
auch jeden Bösewicht locker erschießt, und wenn noch so viele auf ihn
draufballern. Er hat eine Art technischer Zauberring, er hat einen Killer-Hut
(mit Gruß an „Goldfinger“), vor allem hat er eine Röntgenbrille, die er an den
Vorzimmerdamen ausprobiert, und die ihm sehr nützlich ist, als drei Killer sich
in seiner Wohnung hinter dem wandüberspannenden roten Vorhang verstecken – da
hocken sie nackig! Und sind Ziel für Agent 00s Schießeisen.
Der größte Kinoheld der Welt heruntergedimmt aufs
Kleinwüchsige, aber ohne die Größe zu nehmen, das ist ein formidabler Coup.
Gefördert wurde er von Imelda Marcos herself, der Gattin des philippinischen
Diktators Ferdinand Marcos (dessen Sohn inzwischen wieder wie durch ein Wunder
(oder doch durch Wahlfälschung?) dort an die Macht gekommen ist…). Während
unter Marcos I. in den 70ern ein Haufen internationaler – vor allem
amerikanischer – Produktionen ins Land geholt worden waren, nicht wenige Filme
zur wie auch immer gearteten Aufarbeitung des Vietnamtraumas, nicht wenige im
Exploitationbereich, nahm nun Imelda eine Menge Geld in die Hand und organisierte
das Manila International Film Festival, mit vielen eingeflogenen Filmstars und
eben mit „For Y’ur Height Only“ als Lokalmatador, der allem die Show stahl und
durch die Decke ging. Ein internationaler Bombenerfolg – dieser Film!
Unglaublich. Hauptdarsteller Weng Weng wurde zum Star, er nahm seine
körperliche Kleinheit als Größe; und zog sich 1986 aus dem Business zurück.
Dieser Film bleibt. Und wird vielleicht in 14, 15 Jahren
erneut in der Grindhouse-Reihe laufen. Mich würd’s freuen.
Harald Mühlbeyer
Info 30.10.22: Ergänzt um den Abschnitt bezüglich der Attentate; weil mir das erst vorgestern wieder eingefallen ist.